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Torsten Schwarz

Herausgeber

LEITFADEN
Growth
Marketing

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Print: ISBN 978-3-943666-12-0

1.Auflage 2020

Umschlaggestaltung und Layout: Maren Wendt, Lübeck

Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen wurden nach bestem Wissen der Autoren und des Verlags zusammengestellt. Gleichwohl sind Fehler nicht vollständig auszuschließen. Daher sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine juristische Verantwortung und werden auch keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Art aus der Benutzung dieser Informationen entsteht, auch nicht für die Verletzung von Patentrechten und anderer Rechte Dritter, die daraus resultieren können. Ebenso übernehmen Autoren und Verlag keine Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren usw. frei von Schutzrechten Dritter sind.

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Vorwort

Die Digitalisierung von Prozessen bewirkt zwei Dinge: Erstens verändern sich die Prozesse und zweitens entsteht dabei etwas Neues: Daten. Die neuen Prozesse sind meist effizienter und oft besser. Sind es Prozesse, an denen Kunden beteiligt sind, kann es für den Kunden auch mal komplizierter oder auch unangenehm werden. Customer-Experience-Manager meinen, dass alles einfacher und bequemer wird.

Der zweite Aspekt jedoch ist viel interessanter: Die vielen Daten. Sie sind das Öl des 21. Jahrhunderts und die GAFAs (Google, Amazon, Facebook und Apple) machen vor, wie sich aus diesem Öl Wertschöpfung generieren lässt.

In diesem Buch geht es um Marketingprozesse. Wer diese Prozesse digitalisiert, bekommt in Echtzeit Feedback, was bei Kunden ankommt und was nicht. Je schneller dieses Wissen verarbeitet und umgesetzt wird, desto schneller können Prozesse optimiert werden. Wenn neue Dinge ausprobiert werden, liegen in kürzester Zeit Ergebnisse vor. Was schnell wächst, wird verstärkt, was nicht wächst, wird beendet. Das ist Growth Marketing.

Ein großer Dank geht an all die Autoren, die dazu beigetragen haben, das Thema mit Inhalten zu füllen. Themen wie Fehlerkultur, agiles Arbeiten und Disruption werden angesprochen. Es wird erklärt, welche Rolle die Stationen der Customer Journey spielen, um die Marketingziele zu erreichen. Und schließlich erfahren wir, wie sich die Kundenerfahrungen messen und verbessern lassen, um die Begeisterung für die eigene Marke zu stärken. Welche digitalen Kanäle wie bespielt werden sollten, erfahren Sie im letzten Kapitel des Buchs.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Erarbeiten Ihrer neuen Wachstumsstrategie.

Dr. Torsten Schwarz

Waghäusel, im November 2020

Inhaltsverzeichnis

Wie digitales Marketing sich selbst verstärkt

Torsten Schwarz

1. Growth Marketing

Marketing im Fokus? Fokus im Marketing!

Uwe Techt

Mit den richtigen KPIs zu mehr Marketing-Performance

Katharina Neumann

Wachstum durch Automation

Julia Patrizia Leutloff

Growth Marketing – Die Evolution des Marketing

Tomas Herzberger

Organisation und Strategie: Querdenkern eine Chance geben

Anne M. Schüller

About You: Durch Growth Marketing zur Marke mit Haltung und echten Fans

Peer Hartog

2. Customer Journey

Erfindet die Leadgenerierung neu

Jens Fuderholz

Die perfekte Landingpage erstellen und optimieren

Robert Weller

Customer Journey Mapping: Viel mehr als Visualisierung

Harald Henn

3. Customer Experience

Erfolgsfaktor Usability

Markus Mattscheck

Digitales Storytelling in drei Akten

Julian Jonas

KI-gestützte Text-Performance

Ralf T. Kreutzer, Dirk Majchrzak, Jörn Winter

Kundenmanagement strategisch planen

Nils Hafner

Growth Marketing und CRM

Georg Blum

KI ist für den Kunden da

Tim Cole

4. Omnichannel Marketing

Onlineplanung mit SEO und SEA

Dietmar Barzen

Drei Strategien im holistischen Suchmaschinenmarketing

Wolfgang Schilling

Kostenlos verkaufen über Google Shopping?

Martin Grahl

E-Mail-Marketing und Growth Hacking: A match made in heaven

Danylo Vakhnenko

Gezielte Newsletter-Optimierung durch Tests

Sebastian Pieper

Best Practice E-Mail-Marketing: Interaktive E-Mails

Urs Thüring, Cyrill Gross

Kölner Stadt-Anzeiger gewinnt 35.000 Empfänger in drei Monaten

Sophie Schneider

Social Media – echte Follower generieren und Reichweite erzielen

Maik Mohl

Mit Wallet Cards Kunden informieren

Olaf Brandt

Digitalstrategie sorgt für Automatisierung im Berufsverein

Tobias Tellers

Ressourcen im Content-Marketing bestmöglich einsetzen

Ines Eschbacher

Marketing-Revolution: Switch to video

Gordon Lueckel

5. Anhang

Autoren

Stichworte

Wie digitales Marketing sich selbst verstärkt

Torsten Schwarz

Die Idee, diesen Beitrag mit einem Griff in die Evolutions-Biologie zu beginnen, habe ich von Tomas Herzberger kopiert. Er vergleicht auf Seite 59 das klassische Marketing mit den Dinosauriern. Von Charles Darwin stammt die Theorie der Anpassung an den Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion. Er schockierte die durch die Französische Revolution sowieso schon geschwächte Kirche mit der Behauptung, der Mensch sei keine eigenständige Schöpfung, sondern ein Evolutionsprodukt wie Millionen andere Arten. Die Natur setzt nach dem Zufallsprinzip Mutationen bestehender Lebewesen in die Welt und schaut zu, welche überleben.

Genau das macht ein moderner Marketer: Er setzt in hoher Zahl kleine und große Abwandlungen bestehender Prozesse in die Welt und schaut, was beim Kunden ankommt. Neu ist, dass heute die meisten Interaktionen digital ablaufen und damit eine Unmenge von Daten produziert werden, die nur darauf warten, ausgewertet zu werden.

In der Evolution bekommen die besseren Mutanten mehr zu fressen und wachsen schneller, während für die erfolglosen nichts mehr übrig bleibt. Sie verhungern und können keinen Nachwuchs mehr zeugen.

Im digitalen Marketing wird dazu anders als bei der Evolution noch eine göttliche Instanz benötigt: Ein Marketingmanager analysiert die durch die Varianten erzeugten Daten und schaltet alle erfolglosen Varianten gnadenlos ab. Bei den erfolgreichen Varianten dagegen wird nachgefüttert, sprich das Budget erhöht. Und je schneller dieser Trial-Error-Zyklus durchlaufen wird, desto erfolgreicher ist das Growth Marketing.

Die Digitalisierung der Kundenbeziehung

4,5 Milliarden Menschen weltweit sind online. Vor fünf Jahren waren es nur 3,4. Die Starlink-Satelliten des Tesla-Gründers Elon Musk bringen das Internet jetzt auch in die Wüste und in den Urwald. Facebook, China Mobile, MTN, Orange, Vodafone und Telecom Egypt legen gerade ein dickes Glasfaserkabel, um 23 afrikanische Staaten besser anzubinden. In Italien liegt der Preis pro Gigabyte mobiler Daten bei 38 Cent, in Israel bei 11 Cent. Seit vielen Jahren vollzieht sich ein langsamer Wandel von klassischen Kommunikationskanälen hin zu digitaler Kommunikation. WhatsApp sendet täglich 100 Milliarden Nachrichten, in Brasilien kann man bequem mit WhatsApp bezahlen. In Kenia nutzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Mobile-Payment-Dienst M-Pesa. Die aktuelle Krise zwingt Verbraucher wie Unternehmen, diesen Weg zu beschleunigen. Die Einschränkungen im öffentlichen Leben und im öffentlichen Raum lassen keine Wahl: Es muss auch digital gehen.

Und es geht: 23 Millionen indische Schüler im Staat Maharashtra arbeiten jetzt auf einer Lernplattform von Google. Die Qualifizierte Elektronische Signatur (QES) hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht durchgesetzt, doch plötzlich steigt das Interesse rasant.

Großeltern, die jahrelang E-Commerce nur von Hörensagen kannten, bestellen online und merken, dass das sogar bequemer ist. Unternehmen, die sich lange gegen Homeoffice gesträubt haben, stellen erstaunt fest, dass Mitarbeiter zu Hause manchmal sogar produktiver sind. Geschäftsreisende erleben, dass Videokonferenzen zwar kein Ersatz für persönliche Treffen sind, aber oft eine äußerst sinnvolle Ergänzung. Kurz: Wir alle merken, dass es auch anders geht.

Digitales Marketing boomt

Kontinuierlich steigt die Zeit, die Menschen online sind. Wenn mehr Menschen mehr Zeit im Internet verbringen, steigt das Angebot an Werbeplätzen. Der beste Zeitpunkt, ins Programmatic Advertising einzusteigen. Seit 2013 hat sich das Geschäft mit der datengetriebenen Werbung fast verzehnfacht. Klassische Werbebuchung ist laut aktuellen Zahlen ein Auslaufmodell. 77 Prozent der Banner werden inzwischen programmatisch ausgespielt. Die Umsätze mit programmatischer Werbung in Europa sind laut IAB im vergangenen Jahr um 23 Prozent auf insgesamt 23 Milliarden Euro gestiegen.

Wer einen gut gepflegten E-Mail-Verteiler sein Eigen nennt, muss auch bei einem Lockdown nicht in Panik ausbrechen, denn plötzlich ist die elektronische Post der einzige Weg, direkten Kontakt mit Kunden aufzunehmen. Die Öffnungsraten der E-Mails schossen im Lockdown nach oben, weil es schlicht und einfach nichts anderes zu tun gab, als seine E-Mails zu lesen. Gleichzeitig sind einige Unternehmen dermaßen in Schockstarre verfallen, dass keiner sich darum gekümmert hat, laufende Kampagnen weiterzuführen. Im Ergebnis gab es weniger E-Mails und damit mehr Zeit für die verbleibenden Mails in der Inbox.

E-Mail, Social Media und Suchmaschinen

Nach wie vor sind es die Kanäle E-Mail, Social Media und Suchmaschinen, die die höchste Verbreitung haben. Die meisten großen und mittleren Unternehmen sind hier aktiv, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Intensität (Abbildung 1).

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Abb. 1: Anteil der Unternehmen, die diese Kanäle 2020 für die Kundenkommunikation einsetzen [1].

Auch die Professionalisierung des digitalen Marketing nimmt zu. 98,7 Prozent haben inzwischen sichere Webseiten (SSL) – vor einem Jahr waren es nur 95 Prozent [2]. Die Website wird zunehmend interaktiver – so bieten bereits 80 Prozent der Unternehmen ihren Kunden ein Log-in zum Mitgliederbereich an – im Vorjahr waren es nur 68 Prozent.

Von den digitalen Kanälen ist lediglich der Bereich Mobile Messenger auf dem Rückzug. Waren es 2019 noch 65 Prozent, die Messenger eingesetzt haben, so fiel der Anteil dieses Jahr auf 58 Prozent. Die Entscheidung seitens WhatsApp, den Versand von automatisierten Massenmailings ab Dezember 2019 zu verbieten, zeigt erste Auswirkungen – so verzichten, im Vergleich zum Vorjahr, sieben Prozent der Unternehmen auf die Kommunikation per Messenger. Das größte Minus ist in der Touristikbranche erkennbar, hier sank der Einsatz des Kanals von 82 Prozent (2019) auf 67 Prozent (2020). Statt also auf einen anderen Dienst auszuweichen oder von einer Push- auf eine Pull-Kommunikation umzuschwenken, stampfen einige Unternehmen das Thema Messenger vollständig ein.

Budgets verschieben sich zum digitalen Marketing

Die wenigsten Unternehmen streichen Budgets für die digitalen Kanäle. Im Gegenteil: Knapp die Hälfte erhöht ihre Ausgaben für Social-Media-Marketing und über zwei Drittel bei E-Mail und Suchmaschinen (Abbildung 2).

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Abb. 2: Anteil der Unternehmen, die ihr Budget 2020 erhöhen oder beibehalten [1].

Lediglich die Dynamik der digitalen Transformation hat sich verändert. 2018 war das Wachstum der Digitalbudgets noch deutlich ausgeprägter als 2020. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Analyse im Januar, also vor Ausbruch der Pandemie, stattfand. Diese Zahlen haben sich möglicherweise wieder erhöht.

Seit 2018 ist ein leichter Abwärtstrend hinsichtlich der Steigerung der Marketingbudgets erkennbar: So rudern jährlich rund zwei Prozent der befragten Unternehmen zurück und verzichten darauf, das Werbebudget im neuen Jahr nochmals zu steigern. Der Anteil der Unternehmen, welche das Budget senken wollen, ist dieses Jahr sogar um vier Prozentpunkte gestiegen und liegt damit bei knapp 20 Prozent. Diese Entwicklung könnte auf eine sinkende Investitionsbereitschaft, kosteneffizientere Werbemaßnahmen, das Abstoßen von Marketingkanälen oder die Budgetverschiebungen in andere Unternehmensbereiche zurückzuführen sein. Am stärksten ist der Rückgang in der Tourismusbranche spürbar – hier verzichtet fast jeder Zehnte darauf, das Budget dieses Jahr weiter zu erhöhen.

Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen, die das digitale Marketing noch nicht wirklich für sich entdeckt haben und die neu einsteigen. Zwar hat jedes Unternehmen eine Website, aber jedes vierte Unternehmen verzichtet komplett darauf, diese Website auch zu bewerben. Dabei bietet das Internet perfekte Voraussetzungen, um insbesondere kleingranulare spitze Zielgruppen ohne Streuverlust direkt anzusprechen. Und genau dadurch, dass ausschließlich Personen mit nachgewiesenem Interesse angesprochen werden können, sinken die dazu nötigen Werbekontakte und damit die Kosten. Mit weniger mehr erreichen ist das Motto des Programmatic Advertising, das inzwischen alle großen Plattformen anbieten.

Marketing Automation bleibt eine Herausforderung

Wer mit Growth Marketing erfolgreich werden will, muss automatisieren. 71 Prozent der Unternehmen beschäftigen sich inzwischen mit Marketing Automation [1]. Vielfältige Prozesse im Marketing können automatisiert werden – sowohl interne Abläufe wie auch im Dialog mit Kunden.

Growth Marketing impliziert aber auch eine schnelle Reaktion auf die Ergebnisse der automatisierten Datenanalysen. Zwar redet heute jeder über agiles Arbeiten, Design Thinking und New Work, aber die wenigsten Unternehmen sind wirklich bereit dafür. Die größte Hürde bei der Einführung schlanker Prozesse sind endlose Abstimmungsmarathons und Abteilungsdenken. Jeder weiß, wie wichtig CRM-Systeme und effizientes Marketing-Ressource-Management sind, aber die meisten stolpern über Datensilos, von denen sich niemand trennen mag.

Am weitesten sind oft B2B-Unternehmen, die bei der Generierung neuer Leads und dem Lead-Nurturing auf Marketing-Automation-Lösungen setzen. Marketing liefert dem Vertrieb damit neue Kontakte in Kombination mit der Information über spezifische Interessen und das Ganze genau dann, wenn der potenzielle Kunde auch wirklich Interesse hat.

60 Prozent der 5000 wichtigsten deutschsprachigen Unternehmen setzen Softwarelösungen ein, die Marketing-Automation-Funktionalitäten beinhalten. Trotzdem gelingt es nur 20 Prozent, einem Interessenten, der sich gerade online registriert hat, eine Begrüßungs-E-Mail zuzusenden. Hier ist wohl innerhalb der nächsten Zeit das größte Wachstumspotenzial.

Datenqualität wird ernst genommen

Nur die wenigsten Unternehmen betreiben heute schon vollumfänglich datengetriebenes Marketing. Umso positiver stimmt es, dass 64 Prozent angeben, dass sie sich zumindest einmal mit dem Thema Datenqualität auseinandersetzen. Viel zu oft nämlich werden komplexe Systeme auf schlecht gepflegte Daten aufgesetzt. Die Hauptursache für falsche Kennzahlen sind Fehler und Inkonsistenzen in den Daten.

In der Praxis nimmt die Qualität der Website-Daten kontinuierlich ab, weil die Unterstützung von First-Party-Cookies abnimmt – ganz zu schweigen von Third-Party-Cookies, die bald der Vergangenheit angehören. So fehlt oft die kontinuierliche Analyse wiederkehrender Besucher. Die Synchronisierung mit CRM-Daten scheitert besonders oft an ungepflegten Stammdaten oder an einer Vielzahl von Dubletten im System.

Customer Experience: Von der Kür zur Pflicht

Heute wechseln Kunden immer häufiger die Anbieter für ihre Produkte und Dienstleistungen. Um sich von Mitbewerbern zu differenzieren, kommt es heute weniger auf die Qualität als vielmehr auf das Gefühl an, das ein Produkt dem Verbraucher vermittelt. Wie erlebe ich die Marke? Welche Erfahrungen habe ich mit dem Anbieter?

Was zählt, ist die Summe der Erfahrungen und der Erlebnisse, die jemand mit der Marke oder dem Unternehmen verbindet. Auch wenn manchen der Anglizismus „Customer Experience“ missfällt – es gibt keinen vergleichbaren deutschen Begriff, der sowohl Erfahrung als auch Erlebnis miteinander verknüpft.

Kunden haben heute weitaus mehr digitale als physische Kontakte mit einem Unternehmen. Online stehen Unternehmen vor anderen Herausforderungen als offline: Wie umständlich es ist, online etwas zu bestellen. Wie ärgerlich es ist, bei einer Reisebuchung ständig entscheiden zu müssen, ob der nächste Klick zu unerwünschten Mehrkosten oder gar zu einer falschen Buchung führt. Alle Prozesse gehören auf den Prüfstand: Wird hier unter Stress eine Prozedur durchlitten oder ist es für Kunden ein angenehmes Erlebnis, das gerne wiederholt wird.

Künstliche Intelligenz ist kurz vor dem Durchbruch

Bewertung von Kundenpotenzialen durch neuronale Netze, hochintelligente Chatbots durch Natural Language Processing oder automatisierte Zielgruppen- und Umsatzanalysen durch Deep Learning – Künstliche Intelligenz birgt ein schier unendliches Potenzial für den Einsatz im Marketing. Während aber immer neue Erkenntnisse und Tools im KI-Kontext aufkommen, hinkt der Einsatz in der Praxis noch meilenweit hinterher. So wollen sich von 923 befragten Unternehmen, nur 22 Prozent in diesem Jahr mit dem Thema KI auseinandersetzen – 2019 waren es 23 Prozent. Unternehmen beschäftigen sich 2020 eher mit allgemeinen Bereichen, wie Marketing Automation, Content-Marketing und dem Sicherstellen einer soliden Datenqualität [1].

Handel ist Vorreiter bei KI-Einsatz

Jeder dritte Händler will dieses Jahr das Thema Künstliche Intelligenz im Marketing angehen – die größten Potenziale sehen diese dabei im Einsatz für Recommendation-Systeme (75 Prozent) und die automatisierte Segmentierung von Kundenclustern (69 Prozent). Interessanterweise betrachten die befragten Händler, im Vergleich zur Grundgesamtheit, Chatbots als eines der weniger attraktiven Felder für KI (39 Prozent) – in der Finanzbranche sind es hingegen ganze 70 Prozent.

„K-Muffel“ findet man hingegen im B2B-Sektor (14 Prozent) und bei Markenherstellern (17 Prozent) – Unternehmen dieser Branchen wollen zuerst ein solides Datenfundament aufbauen, um sich dann mit weiterführenden Trendthemen zu beschäftigen. So liegt der Fokus auch hier darauf, die eigenen Marketingprozesse zu automatisieren, die bestehende Datenqualität zu verbessern und Datensilos aufzubrechen [1].

Noch besteht eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis. Während Experten KI predigen, sind viele Unternehmen noch damit überfordert, Ordnung in ihre Daten zu bringen und Marketingprozesse zu automatisieren.

Literatur

[1] Schwarz, T., Vakhnenko, D. (2020): Digital Marketing Trends 2020 – absolit. https://www.absolit.de/studien/trends – Zugriff 11.11.2020

[2] Schwarz, T., Vakhnenko, D. (2020): Benchmarks der Internetnutzung. – absolit. https://www.absolit.de/studien/benchmarks-der-internetnutzung – Zugriff 11.11.2020

Weiterführende Literatur

Schwarz, T., Vakhnenko, D. (2020): Digital Marketing Benchmarks. – absolit. https://www.absolit.de/studien/digital-marketing-benchmarks – Zugriff 11.11.2020

Schwarz, T., Vakhnenko, D. (2020): E-Mail-Marketing Benchmarks. – absolit. https://www.absolit.de/studien/e-mail-marketing-benchmarks – Zugriff 11.11.2020

http://www.marketing-boerse.de/Experten/details/Torsten-Schwarz

LEITFADEN GROWTH MARKETING

GROWTH
MARKETING

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Marketing im Fokus? Fokus im Marketing!

Uwe Techt

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Der Wunsch nach „mehr Agilität“ resultiert aus dem Eindruck, dass das Unternehmen oft nur langsam auf veränderte Rahmenbedingungen und neue Erkenntnisse reagiert. Das Unternehmen wird vom Wettbewerb überholt, die Geschäftsergebnisse leiden. „Mehr Agilität“ ist die (vermeintliche) Lösung. Für „Mehr Agilität“ ist allerdings ein Preis zu zahlen: Das Unternehmen kann nicht mehr so viel Projekte und Initiativen gleichzeitig verfolgen wie bisher; Fokussierung ist erforderlich.

Der vorliegende Aufsatz beantwortet daher zwei wesentliche Fragen:

Welche (Marketing-)Projekte sollte das Unternehmen realisieren (und welche nicht)?

Falls mehrere Projekte um Managementaufmerksamkeit oder Ressourcen konkurrieren: Welches Projekt ist zuerst dran? Welches Projekt soll warten?

Unbegrenzte Möglichkeiten

Die Menge der Möglichkeiten, was ein Unternehmen tun könnte, um seine Marktposition zu verbessern, erscheint viel größer als die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Ressourcen (Managementaufmerksamkeit, Mitarbeitende, Geld).

Es versteht sich daher von selbst, dass nicht alles, was möglich und denkbar wäre, auch tatsächlich umgesetzt werden kann. Eine Auswahl ist erforderlich. Jede Auswahl hat allerdings ihren Preis: Was nicht umgesetzt wird, kann auch keine Wirkung entfalten.

Aus diesem Grund tendieren Unternehmen dazu, mehr Projekte zu starten, als das Unternehmen gleichzeitig verkraften kann. Der „Work in Progress“ (WIP) ist hoch. Bei hohem „Work in Progress“ ist klar, dass ein Teil dessen, was man sich für einen bestimmten Zeitraum vorgenommen hat, in diesem Zeitraum nicht fertig wird.

Das ist unproblematisch, sofern es sich um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Ist die Überlast allerdings – wie in den meisten Unternehmen – chronisch, müssen die aktiven Projekte laufend um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren, oft sogar „kämpfen“ (weil: Projektleitende sind für „ihr“ jeweiliges Projekt verantwortlich und werden entsprechend beurteilt).

In diesem Kampf um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen kommt es typischerweise zu verschiedenen Effekten, die die Projekte ausbremsen:

Dünne Ressourcenverteilung: Die Projekte erhalten weniger Ressourcen, als sie für höchstmögliche Geschwindigkeit brauchen.

Multitasking: Mitarbeitende und Führungspersonen fühlen sich gezwungen, zwischen verschiedenen Aufgaben in verschiedenen Projekten hin und her zu wechseln.

Infolgedessen

steigt der Aufwand für die Projekte (im Wesentlichen durch Multitasking),

verlängert sich die Dauer der Projekte,

werden Projekte später abgeschlossen als geplant oder mit Abstrichen am Content,

treten die wirtschaftlichen Wirkungen der Projekte später ein und/oder sind deutlich kleiner als vorgesehen.

Um diese unerwünschten Effekte zu kompensieren, werden

Projekte früher gestartet (um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass das Projekt zum jeweils notwendigen/vereinbarten/vorgegebenen Zeitpunkt fertig wird).

Mehr Projekte gestartet (um „mehr Wirkung“ zu erzeugen).

Ein Teufelskreis! Das Unternehmen ist träge geworden; es reagiert langsam (Abbildung 1).

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Abb. 1: Der WIP-Teufelskreis [1]

Befindet sich ein Unternehmen in dieser Situation (bei den meisten Unternehmen ist das der Fall), entsteht ein zunehmend drängender Bedarf nach mehr Transparenz, klaren Prioritäten, mehr Ressourcen, neuen/besseren Projektmanagementmethoden, Einführung schlankerer/besserer Prozesse, neue Steuerungssoftware, …

Die schlechte Nachricht allerdings ist: Jede einzelne dieser potenziellen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation erhöht zunächst den Work in Progress, belastet Mitarbeitende und Führungspersonen noch mehr, verschärft den Kampf um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen, macht das Unternehmen langsamer und träger.

Nur wenn es gelingt, die Menge der Arbeit so weit zu reduzieren, dass Projekte quasi durch das Unternehmen hindurch „fließen“ können (ohne auf Managementaufmerksamkeit oder Ressourcen warten zu müssen), bekommen wir schnelle Projekte und eine agile Organisation, die flexibel und wirksam auf Veränderungen reagieren kann.

Daher stellt sich die Frage: Welche (Marketing-)Projekte soll das Unternehmen jetzt realisieren (nämlich sehr wenige) und welche anderen (Marketing-)Projekte (oder Projektmöglichkeiten) sollte das Unternehmen jetzt streichen oder zumindest zurückstellen (nämlich sehr viele)?

Strategische Auswahl der Projekte

Marketing ist (wie jede andere Unternehmensfunktion) dazu da, das Unternehmen darin zu unterstützen, nachhaltig zu florieren, das heißt, den Nutzen/Wert, den das Unternehmen für seine Interessengruppen (Mitarbeitende, Kundschaft, Eigentümerinnen und Eigentümer) stiftet, zunehmend zu steigern, und zwar ohne die Welt zu beschädigen.

Eine (im aktuellen Weltwirtschaftssystem) unbestreitbare Tatsache ist, dass ein Unternehmen (mehr und mehr) Geld verdienen muss, um den Nutzen für seine Interessengruppen immer wieder zu steigern.

Marketing – egal ob „strategisch“ oder „taktisch“ – muss also dazu beitragen, dass das Unternehmen (mehr und mehr) Geld verdient. Das mag banal erscheinen, ist es aber nicht, denn: Für viele Marketingprojekte nimmt man zwar an, dass sie zu „(mehr und mehr) Geld verdienen“ (mehr oder weniger) signifikant beitragen, klar ist das in vielen Fällen allerdings nicht.

Das klingt zunächst unproblematisch, bis man sich Folgendes klar macht: Ein Marketingprojekt, das nicht signifikant zum Unternehmensergebnis beiträgt, schadet dem Unternehmen. Warum ist das so?

1.In der Regel nimmt sich ein Unternehmen – auch im Marketing – mehr vor, als aufgrund der vorhandenen Ressourcen (Managementaufmerksamkeit, Mitarbeitende, Geld) leistbar ist. Dadurch konkurrieren Aktivitäten/Projekte um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen. Aktivitäten, die wenig zum Unternehmensergebnis beitragen, bremsen dann andere Aktivitäten/Projekte, die viel zum Unternehmensergebnis beitragen, potenziell aus. Das schadet dem Unternehmen (siehe zuvor).

2.Intuitiv (und oft auch rational) erkennen Mitarbeitende und Führungskräfte, ob das, was sie gerade tun, dem Unternehmen als Ganzes tatsächlich signifikant nützt oder nicht. Ist die Verbindung zwischen Arbeit und deren Wirkung auf die Unternehmensergebnisse schwach oder gar kontraproduktiv, sinkt das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Führungskräfte und die Organisation. Das schadet dem Unternehmen.

Wenigstens unter diesen beiden Gesichtspunkten ist es zwingend erforderlich, aktuelle und geplante Marketingaktivitäten daraufhin zu prüfen/zu beurteilen, ob sie signifikant (im Verhältnis zum mit ihnen verbundenen Aufwand) zum Unternehmensergebnis beitragen.

Wie das Unternehmen Geld verdient

Das Unternehmen verdient Geld, indem es gebundenes Geld (Investitionen und Bestände) in Durchsatz (Deckungsbeitrag 1 = Differenz zwischen Umsatz und tatsächlich variablen Kosten) verwandelt. Der so entstehende Durchsatz muss immer schneller wachsen als die Betriebskosten des Unternehmens. Denn: Aus dem Durchsatz müssen auf jeden Fall die Betriebskosten gezahlt werden; erst danach steht dem Unternehmen Geld für die Steigerung des Nutzens zur Verfügung [2].

Jedes Projekt muss daher dazu beitragen

den Durchsatz zu steigern (indem es den Umsatz erhöht oder den Anteil der tatsächlich variablen Kosten am Umsatz senkt),

das im Unternehmen gebundene Geld zu verringern (ohne den Durchsatz zu gefährden) oder

die Betriebskosten langsamer wachsen zu lassen als den Durchsatz (ohne den Durchsatz zu gefährden oder das gebundene Kapital zu erhöhen).

Marketing ist auf „Umsatz“ ausgerichtet. Die tatsächlich variablen Kosten, das gebundene Kapital und die Betriebskosten (abgesehen von den Betriebskosten des Marketings) liegen in der Verantwortung anderer Unternehmensbereiche.

Die Wirkung von Marketing auf „Umsatz“ kann durch höheres Volumen und/oder durch höhere Preise für die – an sich – gleiche Leistung entstehen. Um zu erkennen, wie ein Marketingprojekt auf die Unternehmensergebnisse wirkt, können wir uns also darauf konzentrieren, wie „Marketing“ auf „mehr Volumen“ und „höhere Preise“ wirkt.

Nun ist jedem klar, dass weder „höheres Volumen“ noch „höhere Preise“ allein durch Marketingmaßnahmen erzielt werden können (obwohl die Ziele von Marketingleitenden oft gerade von dieser Annahme auszugehen scheinen), denn:

Kunden brauchen einen guten Grund, um mehr (als bisher) vom Unternehmen zu kaufen oder höhere Preise zu bezahlen. Daran müssen andere Unternehmensbereiche signifikant mitwirken.

Dass Kunden bereit sind, mehr vom Unternehmen zu kaufen und/oder höhere Preise zu zahlen, nützt nichts (sondern ist sogar schädlich), wenn das Unternehmen die angebotenen Leistungen nicht verkaufen (Vertriebsfähigkeiten oder -kapazität) oder zuverlässig liefern (Operationsfähigkeiten oder -kapazität) kann.

Mehr Volumen und höhere Preise

Wann sind Kunden gewillt, mehr von einem Unternehmen zu kaufen oder höhere Preise zu zahlen?

1.Die Kapazität des Marktes, die die Anforderungen der Kunden erfüllen kann, ist kleiner (wächst langsamer) als die Nachfrage.

2.In umkämpften Märkten: Ein Unternehmen erscheint für (einen Teil der) Kunden „irgendwie“ attraktiver als der Wettbewerb, sodass – unter ansonsten gleichen Bedingungen – die emotional geprägte Entscheidung zugunsten des Unternehmens ausfällt.

3.Dem Markt ist bekannt, dass das Unternehmen – unter ansonsten gleichen Bedingungen – (wenigstens) ein entscheidendes Kundenbedürfnis entscheidend besser befriedigt als jeder entscheidende Wettbewerber. Mit anderen Worten: Das Unternehmen verfügt über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Fall 1 (Marktkapazität kleiner als Nachfrage) ist komfortabel. Marketing kann kaum etwas „falsch“ machen. Das Unternehmen wird auch ohne „Marketing“ wachsen und gedeihen (allerdings nur so lange, wie die genannten Bedingungen erfüllt sind und kein entscheidender Wettbewerber über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt). Sich darauf zu verlassen, dass man mit dem Markt mitwächst, ist daher kein sicheres Rezept dafür, nachhaltig zu florieren.

Fall 2 (umkämpfter Markt) ist mühsam. Die Vorteile, die den Kunden durch Marketingaktivitäten suggeriert werden, sind substanzarm und sprechen den emotionalen Teil der Kaufentscheidung an. Der Wettbewerb setzt dieselben Mittel ein. Das Unternehmen befindet sich im „Kampf“ gegen den Wettbewerb. Wächst der Markt nicht oder langsamer als die im Markt verfügbare Kapazität, nimmt der Kampf immer weiter zu. Das Unternehmen lebt in einem „roten Ozean“ [3]. Es geht immer weniger um tatsächliche Kundenbedarfe, sondern immer mehr um emotionale Anteile. Einen Vorsprung auf diesem Gebiet aufzubauen und aufrecht zu erhalten, ist sehr anstrengend und aufwendig. In diesem Fall ist es ein hoffnungsloses Unterfangen, aus den vielen Möglichkeiten die „genau richtigen“ schlüssig auszuwählen.

Fall 3 (entscheidender Wettbewerbsvorsprung) ist eine große Herausforderung und zugleich das einzig wirksame Szenario für ein nachhaltig florierendes Unternehmen. Wenn das Unternehmen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt, steht es außerhalb des Wettbewerbs. Es gestaltet einen neuen, wachsenden Markt. Das Unternehmen lebt in einem „blauen Ozean“ – so lange, bis ein Wettbewerber ebenfalls die erforderlichen Fähigkeiten erworben hat.

Entscheidender Wettbewerbsvorsprung

Die entscheidende Frage für die Fokussierung von Marketingaktivitäten ist daher: Verfügt das Unternehmen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung? Das heißt: Befriedigt das Unternehmen durch seine Leistungen und Produkte (wenigstens) ein entscheidendes Kundenbedürfnis entscheidend besser als dies jeder entscheidende Wettbewerber kann und will?

Ja? Dann kann Marketing sich darauf fokussieren, die Awareness im Markt (für das Kundenbedürfnis und die Leistungen des Unternehmens) zu erhöhen. Jedenfalls sofern das Unternehmen die für ein wachsendes Geschäft erforderliche Kapazität in anderen Unternehmensbereichen entsprechend aufbauen kann.

Nein? Dann muss Marketing sich darauf fokussieren, dem Unternehmen zu helfen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung aufzubauen und (anschließend) in lukratives Geschäft zu verwandeln (gleichzeitig sollte Marketing alle anderen Projekte unterlassen).

Die Diskussion, ob das Unternehmen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt oder nicht, kann mühsam sein. Man räumt ungern ein, dass sich das Unternehmen „kaum“ vom Wettbewerb unterscheidet.

Wie kann man zu einer pragmatischen Einschätzung gelangen, ob das Unternehmen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt oder nicht?

Zum einen durch Ausschluss: Die Fälle 1 und 2 sind leicht zu erkennen. Befindet sich das Unternehmen in einer dieser beiden Situationen, verfügt es eben nicht über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Zum anderen durch die Beantwortung der Frage: „Ist ‚Preis‘ ein entscheidender Faktor?“ Wenn ja, ist das Unternehmen dem Wettbewerb sehr ähnlich; es hat keinen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Umfangreiche Erfahrungen zeigen für die meisten Unternehmen:

„Preis“ ist ein entscheidender Faktor.

Der Markt, in dem das Unternehmen agiert, ist „rot“.

Das Unternehmen hat keinen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Königsaufgabe im Marketing: Wettbewerbsvorsprung erzeugen

Anders formuliert: Die Königsaufgabe von Marketing besteht darin, dem Unternehmen zu helfen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung aufzubauen, diesen Vorsprung in lukratives Geschäft zu verwandeln und diesen Vorsprung aufrecht zu erhalten (in dieser Reihenfolge).

Bevor man also die verschiedenen (aktiven und geplanten) Marketingaktivitäten und -projekte betrachtet, beantwortet man rigoros die Frage, ob das Unternehmen über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt oder nicht. Abhängig von der Antwort auf diese Frage sind vollkommen unterschiedliche Marketingprojekte erforderlich (während die jeweils anderen Aktivitäten/Projekte dem Unternehmen schaden).

Wenn das Unternehmen (noch) nicht über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt, ist damit eine „bittere“ (aber vielleicht auch entlastende) Erkenntnis verbunden: (Fast) alle (aktiven und geplanten) Marketingprojekte sind (zum aktuellen Zeitpunkt) kontraproduktiv, sie helfen dem Unternehmen nicht signifikant weiter, vermutlich schaden sie sogar (indem sie Aufmerksamkeit und Ressourcen von den Aktivitäten abziehen, die das Unternehmen signifikant voranbringen würden).

Die jetzt „richtigen“ Projekte sind:

1.Identifikation entscheidender (nicht erfüllter) Kundenbedürfnisse.

2.Finden von (verhältnismäßig schnell umsetzbaren) Veränderungen, durch die das Unternehmen die identifizierten Kundenbedürfnisse entscheidend besser befriedigen kann als jeder entscheidende Wettbewerber. Das heißt: Herausarbeiten, wie das Unternehmen den Kunden einen signifikant größeren Wert stiften kann als bisher.

3.Entwicklung von Geschäftsmodellen – passend zum signifikant größeren Nutzen – für eine sinnvolle Auswahl der unter 2. entwickelten Ansätze.

4.Entscheidungen, welche der unter 2. und 3. konzipierten „Business Innovationen“ realisiert werden sollen.

5.Definition von Gates und Abbruchkriterien, um schnelles Lernen aus Realität zu ermöglichen.

Wenn das Unternehmen dagegen bereits über einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung verfügt (was nur sehr selten der Fall ist), muss bei der Definition erforderlicher Marketingprojekte berücksichtigt werden, dass dem Unternehmen nun – aufgrund seines vorhandenen Vorsprungs – andere Marketinginstrumentarien zur Verfügung stehen (und genutzt werden sollten) als im „roten Ozean.

Workload-Kontrolle

Um Agilität zu ermöglichen, muss das Unternehmen also dafür sorgen, dass nur so wenig Projekte gleichzeitig aktiv sind, dass sie nicht mehr chronisch (womöglich aber temporär) um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Dazu braucht das Unternehmen die Fähigkeit, zu entscheiden, welche Projekte jetzt notwendig sind und welche jetzt zurückgestellt oder gestrichen werden sollten. Da Managementaufmerksamkeit der Engpass des Unternehmens ist, sollte besonders auf die Konkurrenz um Managementaufmerksamkeit geachtet werden.

Aus diesen Annahmen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen:

Je mehr Managementaufmerksamkeit in einem Projekt (voraussichtlich) erforderlich ist, damit es in Höchstgeschwindigkeit vorankommt, umso weniger Projekte können und sollten gleichzeitig realisiert werden.

Wenn zwei Projekte inhaltlich miteinander verbunden sind, sollten sie entweder zu einem Projekt verbunden werden oder nacheinander realisiert werden. Denn: Es ist sehr wahrscheinlich, dass zwischen den beiden Projekten sonst inhaltliche Widersprüche entstehen, die durch Einsatz von Managementaufmerksamkeit gelöst werden müssen, was Managementaufmerksamkeit verschwendet und so den Fortschritt aller Projekte und Initiativen bremst.

Der Fluch der Termine

Termine sind der größte Feind von Agilität, obwohl sie in bester Absicht gesetzt und verfolgt werden. Termine sind allerdings ein wesentliches Element unsere Sozialisierung: Eine große Aufgabe (ein Projekt) wird dadurch termingerecht fertig, dass die einzelnen Meilensteine und Projektschritte jeweils termingerecht fertig werden.

Diese fast überall praktizierte Vorgehensweise hat allerdings dramatische Implikationen: Wer danach beurteilt wird, ob sie/er zuverlässig liefert, wird sich mehr Zeit einplanen als durchschnittlich für eine Aufgabe notwendig ist (sonst kann man nicht zuverlässig sein) und diese Zeit auch selbst vollständig verbrauchen (damit auch zukünftig die eigene Zeitschätzung ungekürzt in der Projektplanung berücksichtigt wird).

Kommt es innerhalb des Projektes nun aber zu einer starken Verzögerung („Murphy schlägt zu“), kann diese Verspätung nur schwer eingeholt werden, da niemand seinen Planaufwand unterschreiten „darf“.

Staffelläufer-Prinzip

Um Agilität zu ermöglichen, muss das Unternehmen also nicht nur dafür sorgen, dass so wenige Projekte gleichzeitig aktiv sind, dass diese nicht mehr chronisch um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Das Unternehmen muss auch auf Termine verzichten und stattdessen den Menschen ermöglichen, einer Arbeitsweise zu folgen, die als „Staffelläufer-Prinzip“ bezeichnet werden könnte:

Hat jemand gerade keinen Staffelstab (keine Projektaufgabe), wartet sie/er darauf und bereitet sich vor.

Hat jemand gerade den Staffelstab (diese Projektaufgabe), hat sie/er nicht anderes zu tun, als diesen Staffelstab (diese Aufgabe) auf dem richtigen Weg so schnell wie möglich zu transportieren (zu bearbeiten) und ordentlich an die/den nächste/n zu übergeben.

Diese Arbeitsweise kann allerdings nicht erzwungen werden, sondern wird dadurch ermöglicht, dass die einzelne Person sich voll auf eine Aufgabe konzentrieren kann (statt mehrere Aufgaben gleichzeitig jonglieren zu müssen) (Abbildung 2).

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Abb. 2: Das Staffelläufer-Prinzip.

Termine sind irrelevant

Da Termine in unserem Wirtschaftsleben eine derart große Bedeutung zu haben scheinen, klingt die Forderung „auf Termine verzichten“ geradezu widersinnig. Deshalb müssen wir uns etwas intensiver mit der Notwendigkeit von Terminen befassen:

Für die meisten Projekte ist es „in Wirklichkeit“ völlig irrelevant, wann genau sie fertig werden. Viel wichtiger für das Unternehmen ist es, dass möglichst viele der Projekte, die für das Unternehmen wichtig (weil ergebnisrelevant) sind, so schnell wie möglich fertig werden. Ein Unternehmen, das es schafft, pro Jahr mehr Projekte abzuschließen (allerdings „unpünktlich“) ist agiler, effizienter, effektiver und lukrativer als ein Unternehmen, das – unter ansonsten gleichen Bedingungen – fast jedes Projekt pünktlich fertigstellt, dafür allerdings pro Jahr weniger Projekte fertigstellt.

Nun werden einige vielleicht einwenden, dass es aber doch Projekte gibt, die total terminkritisch sind. Zum Beispiel wäre es fatal, mit der notwendigen Vorbereitung für eine Messe nicht zu Beginn der Messe fertig zu sein. Das stimmt selbstverständlich. Allerdings gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, genau am Tag vor Messebeginn mit den Vorbereitungen fertig zu werden; vier Wochen früher wäre überhaupt kein Schaden.

Es mag paradox erscheinen, ist aber dennoch wahr:

Eine Multiprojektorganisation auf Termintreue zu steuern (insbesondere durch das Prinzip „Projektzuverlässigkeit soll durch Vorgangszuverlässigkeit bewirkt werden“) erzeugt eine langsame, träge, unflexible Organisation.

Eine Multiprojektorganisation auf Geschwindigkeit zu steuern (ohne dabei mit Terminen zu arbeiten), macht sie schnell, flexibel, hochgradig effektiv und erhöht (im Nebeneffekt) auch ihre Termintreue (bezüglich der sehr wenigen Projekte, für die es eine echte physikalische „Deadline“ gibt).

Man sollte sich die besonders erfolgreichen Unternehmen dieser Welt anschauen. Man wird überall erkennen, dass „Geschwindigkeit“ viel wichtiger ist als „Zuverlässigkeit“.

Taktische Prioritäten

Auch wenn deutlich weniger Projekte gleichzeitig aktiv sind, kann es immer noch temporär vorkommen, dass Projekte um Managementaufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Für diesen Fall benötigen die Führungspersonen und Mitarbeitenden klare, eindeutige taktische Prioritäten.

Wie genau diese Prioritäten zustande kommen, ist im Grunde irrelevant. Relevant ist, dass die Menschen geneigt sind, sich entsprechend dieser Prioritäten zu verhalten. Die beiden besten Methoden dafür sind:

1.First in, first serve: Ein Projekt, das früher begonnen hat, bekommt im Zweifelsfall Vorfahrt. Diese Vorgehensweise ist ideal, wenn die Projekte etwa gleich lang/groß sind.

2.Verhältnis zwischen Projektfortschritt und Pufferverbrauch: Ein Projekt, das langsamer vorankommt (als geschätzt), bekommt höhere Priorität als ein Projekt, das schneller vorankommt (als geschätzt). Diese Vorgehensweise ist ideal, wenn die Projekte sich in Größe, Dauer, Aufwand, … stark unterscheiden (was der Normalfall ist).

Um die Methode „Verhältnis zwischen Projektfortschritt und Pufferbrauch“ verwenden zu können, ist es erforderlich, einen expliziten Projektpuffer auszuweisen. Gängige Praxis ist, die Gesamtplandauer des Projekts um ein Drittel zu verkürzen und dieses Drittel als explizite Sicherheit zu verwenden. Sowie Vorgänge länger dauern als der Plan vorsieht, wird Sicherheit verbraucht; die taktische Priorität des Projekts steigt. Geht etwas schneller als der Plan vorsieht (was im Staffellauf durchaus vorkommen kann), wird Sicherheit zurückgewonnen; die taktische Priorität des Projekts sinkt (Abbildung 3).

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Abb. 3: Explizite Planung von Sicherheiten.

Steuerung der Projektumsetzung

Wie kann man nun konkret vorgehen, um die Multiprojektorganisation zu planen und zu „agil“ zu steuern? Eine praxiserprobte und vielfach erfolgreiche Vorgehensweise dazu besteht aus den folgenden Phasen und Schritten:

Phase 0: Erfassung Ist-Situation

1.Anzahl der pro Jahr fertiggestellten Projekte (= Projektfertigstellungsrate)

2.Anzahl der gleichzeitig aktiven Projekte (= Work in Progress)

3.Berechne: durchschnittliche Projektlaufzeit (= Work in Progress/Projektfertigstellungsrate)

4.Prüfe, ob der zuvor dargestellte Teufelskreis die Ist-Situation des Unternehmens annähernd beschreibt (das ist sehr wahrscheinlich).

Phase 1: Workload reduzieren

1.Identifiziere, welche Projekte jetzt zwingend erforderlich sind.

2.Stelle alle anderen Projekte und Initiativen zurück oder streiche sie.

3.Konzentriere Managementaufmerksamkeit und Ressourcen auf die wenigen weiterhin aktiven Projekte.

4.Starte ein neues (reaktiviere ein unterbrochenes Projekt) in dem Moment, in dem ein aktives Projekt fertiggestellt ist. So bleibt der Workload unter Kontrolle.

Phase 2: Staffelung der Projekte

1.Lege die Reihenfolge der Projekte fest (anhand ihrer logischen Abhängigkeiten voneinander; falls notwendig anhand einer – wie auch immer zu definierenden – strategischen Priorität).

2.Erstelle für jedes Projekt einen groben Projekt-Netzplan. Kennzeichne jeweils die eine Phase, in der besonders intensiv Managementaufmerksamkeit erforderlich ist, damit das Projekt schnellstmöglich vorankommt (diese Phase bezeichnen wir als Staffelungsphase; gelegentlich kann es sich dabei auch um das gesamte Projekt handeln).

3.Entscheide, wie viele Projekte gleichzeitig in dieser Phase sein dürfen (sehr wenige!), damit die Projekte sich nicht mehr chronisch gegenseitig behindern.

4.Staffel die Projekte anhand (1.) Reihenfolge, (2.) Staffelungsphase und (3.) gleichzeitig in Staffelungsphase erlaubte Projekte. Berechne so die notwendigen Starttermine der Projekte (Abbildung 4).

5.Statte jedes Projekt mit einer expliziten Sicherheit aus (zwei Drittel der Projektdauer sind Arbeitspakete, ein Drittel ist explizite Sicherheit).

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Abb. 4: Staffelung von Projekten.

Phase 3: Geschwindigkeit und Workload einstellen

1.Prüfe, wie sich die geplante Projektfertigstellungsrate von der Ist-Fertigstellungsrate unterscheidet. Wenn die Plan-Fertigstellungsrate kleiner oder gleich der Ist-Fertigstellungsrate ist: Verkürze die Plandauern der Projekte (und damit auch der Staffelungsphasen) so sehr, dass die Plan-Fertigstellungsrate deutlich größer als die Ist-Fertigstellungsrate wird.

2.Prüfe, ob nun planerisch mehr oder weniger Projekte aktiv sein würden als in der Ist-Situation. Wenn gleichviel oder mehr Projekte aktiv sein müssten als in der Ausgangssituation, reduziere die Plandauer so stark, dass deutlich weniger Projekte gleichzeitig aktiv sind.

3.Plausibilisiere die Plandauer anhand der Annahmen (1) Singletasking, (2) optimale Ressourcenausstattung, (3) bei Bedarf jeweils sofortige Managementunterstützung.

Phase 4: Steuerung transformieren

1.Stelle den Ressourcenführungskräften – durch ein geeignetes Tool – priorisierte Arbeitspaketlisten zur Verfügung, damit deren Mitarbeitende die verschiedenen Aufgaben aus den verschiedenen Projekten in der für das Unternehmen richtigen Reihenfolge schnellstmöglich abschließen können. Die Prioritäten ergeben sich aus dem Verhältnis zwischen Projektfortschritt und Pufferverbrauch (Abbildung 5).

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Abb. 5: Ermittlung Pufferindex.

2.Sorge dafür, dass die Ressourcenführungskräfte an das Tool zurückmelden, sowie ein Arbeitspaket abgeschlossen ist oder sich signifikante Verzögerungen ergeben.

3.Stelle den Projektmanagerinnen und Projektmanager priorisierte Arbeitspaketlisten zur Verfügung, damit sie wissen, an welcher Stelle sie den Mitarbeitenden ihre Unterstützung anbieten sollten, um die Geschwindigkeit aller Projekte zu erhöhen.

4.Stelle den höheren Führungskräften priorisierte Projektübersichten zur Verfügung, damit sie jederzeit wissen, wo sie intervenieren sollten und wo ihre Intervention eher kontraproduktiv wäre.

5.Falls mehr (oder weniger) Projekte pro Monat fertig werden als geplant, suche nach Verbesserungsoptionen und passe die Planung gegebenenfalls an.

Zusammenfassung

Um „agil“ zu sein, also „mehr Projekte in kürzerer Zeit“ zu realisieren und flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, steuern erfolgreiche Unternehmen konsequent ihren Workload auf einem Niveau, in dem Projekte nicht mehr chronisch um Aufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Außerdem stellen die Unternehmen den Führungskräften – durch ein geeignetes Tool – klare, robuste und nachvollziehbare Prioritäten zur Verfügung, damit auch im temporären Konfliktfall immer klar ist, was zuerst fertiggestellt werden und was warten soll.