Zacharias Mbizo
Literarisches Corona-Tagebuch
Literaturplanet
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Titelbild: Paul Gauguin (1848 – 1903): Madame La Mort (Frau Tod, 1890/91); Musée d'Orsay, Paris (Wikimedia)
Autor:
Zacharias Mbizo debütierte 2015 bei LiteraturPlanet mit seiner Erzählung Glücklose Heimkehr. Der Tote, der den Mord an sich aufklärte. Über sein Leben ist nicht viel bekannt. Manche behaupten, er sei aus Afrika nach Europa übergesiedelt und habe sich danach als Aushilfskraft auf Friedhöfen durchgeschlagen. Anderen Quellen zufolge war er jahrelang in europäischen Nachtclubs tätig, ehe er dann irgendwann nach Haiti ausgewandert ist. Ob es sich bei seinen Großeltern wirklich – wie immer wieder kolportiert wird – um traditionelle Geisterbeschwörer gehandelt hat, ist ebenfalls nicht zweifelsfrei erwiesen. Mittlerweile hat sich Mbizo dem Autorenkreis der Ecartisten um den Blogger Rother Baron angeschlossen, von dem in unserem Verlag auch bereits mehrere Bücher erschienen sind.
Im ersten Teil des literarischen Corona-Tagebuchs geht es um die abrupten Veränderungen, die das Virus mit sich gebracht hat, und um unsere vergeblichen Versuche, es auszusperren oder vor ihm zu fliehen.
Als du an jenem Morgen erwachst, ist alles wie immer. Der Kalender an der Wand gegenüber deinem Bett zeigt dieselben schneebedeckten Berge wie am Abend zuvor. An der Pinnwand herrscht noch immer dasselbe Zettelchaos, und deine Tiffany-Nachttischlampe glitzert in dem Sonnenstrahl, der sich wie jeden Morgen durch die Lücke in der Gardine stiehlt. Und doch hast du das Gefühl, dass sich etwas verändert hat.
Schläfrig streckst du dich und versuchst, dir die Traumwelt der Nacht aus den Augen zu wischen. Im Bad lässt du gebirgsbachkaltes Wasser deine Poren durchdringen, in dem unbestimmten Wunsch, dich von etwas reinzuwaschen. Dann beauftragst du die Kaffeemaschine mit einem extra starken Erweckungstrank. Surrend fügt sie sich deinen Anweisungen.
Du setzt dich an den Küchentisch. Du schaltest das Radio ein. Du blätterst in der Zeitung. Du nippst an dem Kaffee.
Aber die Musik klingt schriller als sonst, sie lässt sich nicht zu dem Klangteppich zähmen, mit dem sie sonst dein Frühstück untermalt. Die Zeitung spricht nicht zu dir – es ist, als würde sie über ein anderes Universum berichten. Und der Kaffee schmeckt bitter, als hätte ihn jemand mit Gift versetzt.
Du kommst dir vor wie ein Schauspieler, der das Leben eines anderen vorführen soll. Das, was sonst selbstverständlich war, musst du dir nun mühsam vortäuschen: Normalität.
Ist etwa jemand bei dir eingebrochen? Ja, sagst du dir, das muss es sein! Wie sonst ist es zu erklären, dass dir alles anders erscheint, obwohl nichts sich verändert hat?
Du springst von deinem Stuhl auf und stürzt von einer Ecke der Wohnung in die andere. Hastig erstellst du eine imaginäre Inventarliste deiner Habseligkeiten: Smartphone? Hattest du schon in der Hand! Tablet? Auf dem Couchtisch! Fernseher? Hängt unversehrt an der Wand! Geldbeutel? Unangetastet in deiner Manteltasche – was ja auch kein Wunder ist, denn es klimpern nur ein paar nutzlose Münzen darin!
Nein, musst du dir eingestehen, es fehlt nichts. Ein Einbrecher kann nicht in der Wohnung gewesen sein. Da beschleicht dich auf einmal ein ungutes Gefühl: Wenn der Einbrecher nun noch in der Wohnung ist? Wenn du aufgewacht bist, bevor er sein Werk vollenden konnte?
Reflexartig drehst du dich um: Hat sich da nicht etwas in deinem Rücken bewegt? Etwas, das sich unmerklich an dich anschleicht?
Beunruhigt trittst du ans Fenster. Auch die Menschen unten in der Straße scheinen sich hektischer zu bewegen als sonst. Auch sie drehen sich ständig nach allen Seiten um, als würden sie von einem unsichtbar Gegner verfolgt.
So bricht sich die Welle deiner inneren Unruhe nur an der äußeren und stürzt mit doppelter Kraft in dich zurück. Als du dich wieder an den Tisch setzt, steht es dir auf einmal klar vor Augen: Es ist niemand bei dir eingebrochen. Nein, es ist jemand bei dir eingezogen. Jemand, den du nicht siehst. Jemand, den du nicht kennst. Jemand, mit dem du nicht reden kannst, weil er nicht deine Sprache spricht.
Vielleicht hat dieser Jemand deine Wohnung gerade für ein paar Augenblicke verlassen. Aber du weißt: Er wird wiederkehren. Von jetzt an wird er als Untermieter bei dir leben, er wird dir nahe sein, ohne dass du ihm nahekommen kannst.
Du möchtest fliehen, fort aus dieser Wohnung, in der du dich auf einmal nicht mehr zu Hause fühlst. Aber du erhebst dich noch nicht einmal von deinem Stuhl. Zu deutlich spürst du, dass der, der sich bei dir eingenistet hat, dir überallhin folgen würde, ganz egal, an was für entlegenen Orten du Zuflucht suchen solltest.