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George Kardinal Pell

Unschuldig angeklagt und verurteilt

Das Gefängnistagebuch

Band I

Der Kardinal legt Berufung ein

27. Februar bis 13. Juli 2019

Vorwort von George Weigel

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Bibliografische Information: Deutsche Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Originaltitel der amerikanischen Ausgabe:

PRISON JOURNAL

Volume 1

The Cardinal Makes His Appeal

27 February – 13 July 2019

© 2020 by Ignatius Press, San Francisco

Die Zitate aus dem Brevier von George Kardinal Pell stammen aus:
The Divine Office, 3 Bände, E. J. Dwyer, Sydney 1974. In deutscher Sprache:
Die Feier des Stundengebetes, Lektionar für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes, Hefte I/1 bis I/8, Hrsg. Bischofskonferenzen, 1978–2017.

Die Bibelzitate stammen aus der revidierten Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart 2016.

UNSCHULDIG ANGEKLAGT UND VERURTEILT

Band I

Das Gefängnistagebuch

Übersetzung: Dr. Gabriele Stein, Sr. Cornelia M. Knollmeyer

© Media Maria Verlag, Illertissen 2021

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-9479312-5-5

eISBN 978-3-9479318-0-4

www.media-maria.de

INHALT

Einleitung von George Weigel

Zeittafel

1. Woche: In Untersuchungshaft

2. Woche: Einsamer Aschermittwoch

3. Woche: Die Urteilsverkündung

4. Woche: Erlauchte Gesellschaft

5. Woche: Geistliche Mittelmäßigkeit

6. Woche: Die Erosion des sozialen Kapitals

7. Woche: Vollendung durch Leiden

8. Woche: Die Karwoche

9. Woche: Die Osterwoche

10. Woche: Göttliche Barmherzigkeit

11. Woche: Feindliche Manöver

12. Woche: Fragen ohne Antworten

13. Woche: Tochter der Zeit

14. Woche: Blick voraus

15. Woche: Berufung

16. Woche: Herabkunft des Heiligen Geistes

17. Woche: Mysterium der Dreifaltigkeit

18. Woche: Die Realpräsenz

19. Woche: Ein Netz der Täuschung

20. Woche: Hoffnungen und Träume

Anmerkungen

EINLEITUNG
VON
GEORGE WEIGEL

Dieses Gefängnistagebuch hätte niemals geschrieben werden dürfen.

Dass es dennoch geschrieben wurde, zeugt von Gottes Gnade, die es inmitten von Niedertracht, Bosheit und Ungerechtigkeit vermag, Einsicht, Großmut und Güte hervorzubringen. Und dass etwas so Schönes daraus entstanden ist, zeugt von der christlichen Gesinnung, die seinen Verfasser, George Kardinal Pell, prägt.

Wie und warum es dazu kam, dass der Verfasser mehr als 13 Monate lang wegen Verbrechen im Gefängnis war, die er nicht begangen hatte und gar nicht hätte begehen können, ist eine andere, weit weniger erbauliche Geschichte. Gleichwohl wird eine Kurzfassung dieser skandalösen Geschichte Ihnen für das, was Sie zu lesen im Begriff sind, den nötigen Hintergrund liefern – einen Hintergrund, vor dem sich noch deutlicher abzeichnen wird, wie bemerkenswert dieses Tagebuch ist.

Am 7. April 2020 fällte der High Court von Australien1 in der Sache Pell vs. The Queen ein einstimmiges Urteil, das den vorangegangenen Schuldspruch aufhob und in einen Freispruch verwandelte. Damit wurde sowohl die unverständliche Verurteilung von Kardinal Pell wegen »lange zurückliegender Fälle von sexuellem Missbrauch« als auch die nicht weniger rätselhafte, mit 2:1 Stimmen gefällte Entscheidung eines Berufungsgerichts im australischen Bundesstaat Victoria, an diesem Fehlurteil festzuhalten, aufgehoben. Der Spruch des Obersten Gerichtshofs befreite einen Unschuldigen aus der ihm zu Unrecht auferlegten Haft, gab ihn seiner Familie und seinen Freunden zurück und ermöglichte es ihm, seine wichtige Arbeit in der katholischen Kirche und für sie wiederaufzunehmen.

Wer die Sache Pell vs. The Queen aus der Nähe beobachtet hat, weiß, dass dieser Fall niemals hätte vor Gericht verhandelt werden dürfen. Bei den polizeilichen Ermittlungen, die zu den Beschuldigungen gegen Kardinal Pell geführt hatten, wurde im Trüben gefischt und es wurden fadenscheinige Ergebnisse zutage gefördert. Die Richterin, die die Verhandlung zur Beweisaufnahme (das australische Pendant zu einem Geschworenengericht)2 leitete, stand unter immensem Druck, eine Reihe von Anklagepunkten zuzulassen, die – wie sie selbst wusste – überaus schwach waren. Als der Fall dann verhandelt wurde, brachten die Staatsanwälte keinerlei Beweise dafür vor, dass das vermeintliche Verbrechen überhaupt begangen worden war, und stützten ihre Argumentation einzig und allein auf die Aussage des Klägers – die sich mit der Zeit als unstimmig und zutiefst fragwürdig erwies. Es gab keine erhärtenden Beweise und keine Zeugen, die die Vorwürfe bestätigten.

Im Gegenteil: Diejenigen, die zur Zeit der angeblichen Straftaten, zwei Jahrzehnte zuvor, in der Kathedrale von Melbourne anwesend gewesen waren, beharrten unter Eid und im Kreuzverhör darauf, dass sich die Ereignisse unmöglich so hatten zutragen können, wie der Kläger sie darstellte. Weder der zeitliche Rahmen, den die Staatsanwaltschaft bei der Schilderung des vermeintlichen Missbrauchs angab, noch die Beschreibung der Kathedral-Sakristei, wo dieser stattgefunden haben sollte, ergaben irgendeinen Sinn. Die Staatsanwaltschaft unternahm keinen ernsthaften Versuch, diese umfangreichen Aussagen zugunsten des Kardinals zu entkräften. Zudem wurde die schiere Unmöglichkeit, dass das, was angeblich geschehen sein sollte, wirklich geschehen war, später von objektiven Beobachtern und Kommentatoren – auch solchen, die zuvor keinerlei Sympathien für Kardinal Pell gehegt hatten, und einem, der zu seinen härtesten Kritikern zählte – bestätigt.

Der Fall Pell vs. The Queen wurde ferner derart verhandelt, dass gravierende Zweifel daran aufkamen, ob die Behörden in Victoria sich wirklich an solche elementaren Grundsätze des im angelsächsischen Raum geltenden Strafrechts wie die Unschuldsvermutung oder die Pflicht des Staates gebunden fühlten, die Anklage »über jeden vernünftigen Zweifel hinaus« zu beweisen. Was das betrifft, hat Mark Weinberg, der Richter, der das Urteil des Berufungsgerichts im August 2019 nicht mittrug, einen entscheidenden juristischen Punkt ins Feld geführt, als er die Begründung seiner Kollegen, die an Kardinal Pells Verurteilung festhielten, auseinanderpflückte: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Weinbergs Kollegen am Berufungsgericht hätten jede nur mögliche Verteidigungsstrategie dadurch unterlaufen, dass sie die Glaubwürdigkeit des Klägers zum Dreh- und Angelpunkt des gesamten Falls machten. Aufgrund dieses Glaubwürdigkeitskriteriums war es weder erforderlich zu beweisen, dass wirklich ein Verbrechen geschehen war, noch mussten die Beschuldigungen erhärtet werden. Es kam einzig und allein darauf an, dass der Kläger aufrichtig wirkte. Das aber war nach den Maßstäben der jahrhundertealten Tradition des Common Law3 keine seriöse juristische Beweisführung, sondern eine Geltendmachung von Gefühlen oder sogar von Gefühlsduselei – die aber niemals den Ausschlag dafür hätten geben dürfen, einen Mann eines abscheulichen Verbrechens für schuldig zu befinden und ihn um seinen guten Ruf und seine Freiheit zu bringen.

Als sich Juristen und altgediente Rechtsexperten in Australien mit dem außerordentlichen, 200 Seiten starken Minderheitenvotum von Richter Mark Weinberg nach dem Berufungsverfahren auseinandersetzten und als die im Fall Pell verhängte Nachrichtensperre aufgehoben wurde und sich zeigte, auf welch schwachen Füßen die Sache der Anklage stand, war die wachsende Besorgnis der Menschen, die sich Gedanken machten – die zunehmend davon überzeugt waren, dass hier ein schweres Unrecht geschehen war –, nicht nur in Melbourne, sondern auch noch Tausende Meilen entfernt zu spüren. Diese Besorgnis hat sich möglicherweise auf die Entscheidung der höchsten gerichtlichen Instanz, des Obersten Gerichtshofs von Australien, ausgewirkt, eine weitere Berufung (der nicht hätte stattgegeben werden müssen) zuzulassen.

Ähnliche Bedenken regten sich offenbar unter den Richtern des Obersten Gerichtshofs während des strengen Verhörs des Generalstaatsanwalts im Zuge der Berufungsverhandlung im März 2020. Dieses zweitägige Unterfangen machte erneut deutlich, dass die Staatsanwaltschaft nichts vorzubringen hatte, was dem Kriterium einer über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erwiesenen Schuld gerecht geworden wäre; dass die Geschworenen beim Wiederaufnahmeverfahren gegen den Kardinal (das stattfand, weil die Geschworenen sich im ersten Verfahren nicht einig geworden waren) zum zweiten Mal ein fragwürdiges und de facto unhaltbares Urteil gefällt hatten und dass die beiden Richter vom Victoria Supreme Court4, die an diesem Urteil festhielten (einer der beiden verfügte übrigens über keinerlei strafrechtliche Erfahrung), schwere Fehler von der Art gemacht hatten, wie sie ihr Kollege, Richter Mark Weinberg, später in seinem Minderheitenvotum beschreiben sollte.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, Kardinal Pell freizusprechen und aus der Haft zu entlassen, war mithin sowohl gerecht als auch begrüßenswert. Die Frage, wie all dies einem der angesehensten Bürger Australiens widerfahren konnte, bedarf hingegen noch der Klärung.

Die feindselige öffentliche Stimmung, die Kardinal Pell insbesondere in seinem heimatlichen Bundesstaat Victoria entgegenschlug, erinnerte an das vergiftete Klima im Kontext der Dreyfus-Affäre im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. 1894 führte ein Gemisch aus politischer Rohheit, Begleichung von alten Rechnungen, korrupten Beamten, einer fanatischen Presse und massiven religiösen Vorurteilen dazu, dass ein unschuldiger französischer Armeeoffizier jüdischer Abstammung, Hauptmann Alfred Dreyfus, des Verrats für schuldig befunden und verurteilt wurde. Dreyfus wurde aus der Armee entlassen und zur Verbannung und Inhaftierung auf der Teufelsinsel, einer übel riechenden Hölle vor der Küste von Französisch-Guyana, verurteilt. Natürlich kann man das Melbourne Assessment Prison5 und Her Majesty’s Prison Barwon, die beiden Anstalten, in denen George Pell inhaftiert war, nicht mit der Teufelsinsel vergleichen. Doch im Grunde waren die Faktoren, die bei Alfred Dreyfus’ ungerechter Verurteilung und bei dem widerlichen öffentlichen Klima in Victoria während der mehrjährigen Hexenjagd auf Pell eine Rolle spielten, in großen Teilen identisch.

Die Polizei von Victoria, die schon damals wegen des Verdachts der Inkompetenz und Korruption unter Beobachtung stand, suchte mühsam nach »Beweisen« für Verbrechen, von denen bis dato niemand behauptet hatte, dass sie überhaupt begangen worden waren, und manche glauben, dass die Ermittlungen gegen George Pell für sie eine willkommene Gelegenheit war, von ihren eigenen Problemen abzulenken. Die lokale und nationale Presse ließ – abgesehen von einigen wenigen rühmlichen Ausnahmen – die Maske der journalistischen Integrität und Fairness fallen und lechzte nach Kardinal Pells Blut. Der Mob, der während der Verhandlungen das Gerichtsgebäude belagerte, hob professionell gedruckte Anti-Pell-Plakate in die Höhe, die irgendjemand bezahlt haben muss. Und die Australian Broadcasting Corporation6 – ein mit Steuergeldern finanzierter öffentlich-rechtlicher Sender – führte einen antikatholischen Propagandafeldzug, wie man ihn sich primitiver kaum vorstellen kann, und brachte eine Flut von diffamierenden Beiträgen über Kardinal Pell (von denen einer just während der Beratungen des Obersten Gerichtshofes ausgestrahlt wurde).

Dass in einer derart aufgeheizten Situation ein unvoreingenommenes Geschworenengericht unbeeindruckt seiner Arbeit nachgehen konnte, ist kaum vorstellbar und vielleicht sogar unmöglich. Doch das Gesetz in Victoria erlaubte es Kardinal Pell nicht, ein rein richterliches Verfahren ohne die Geschworenen zu beantragen. Und so ähnelte etwas, das eigentlich ein nüchternes Gerichtsverfahren hätte sein sollen, am Ende einem in Zeitlupe und mit juristischen Mitteln ausgeführten politischen Mord.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass einige der an der Verfolgung von George Pell beteiligten Personen genau dies beabsichtigt hatten.

Während seines Martyriums war Kardinal Pell, wie dieses Tagebuch beweist, ein Vorbild an Geduld und tatsächlich auch ein Vorbild in seiner priesterlichen Wesensart. Er wusste, dass er unschuldig war und das machte ihn selbst in der Haft zu einem freien Mann. Und er nutzte diese Zeit – zu ausgedehnten Exerzitien, wie er es nannte –, um seinen vielen Freunden überall auf der Welt Mut zuzusprechen und ein ohnehin schon intensives Leben des Gebets, der Studien und des Schreibens noch zu intensivieren. Nun, da er wieder die heilige Messe feiern kann – was ihm mehr als 100 Tage lang verwehrt war –, hege ich keinerlei Zweifel daran, dass Kardinal Pell die Bekehrung seiner Verfolger und die Reform der Justiz in seinem geliebten Heimatland als Anliegen in seine Gebete einschließt.

Als Bürger der Vatikanstadt war Kardinal Pell gesetzlich nicht dazu verpflichtet, seine Arbeit in Rom aufzugeben und nach Australien zurückzukehren, um dort vor Gericht zu erscheinen. Dennoch kam ihm nie der Gedanke, sich auf seine diplomatische Immunität zu berufen. Er war entschlossen, seine Ehre und die Ehre der australischen Kirche zu verteidigen, an deren Spitze er sich selbst jahrelang gegen die Verbrechen und Sünden des sexuellen Missbrauchs (und in vielen anderen Belangen) eingesetzt hatte. George Pell setzte auf die grundsätzliche Fairness seiner Landsleute.

Der Oberste Gerichtshof gab ihm im letztmöglichen Moment recht.

Das Gefängnistagebuch von George Kardinal Pell beweist, dass durch die Entscheidung des höchsten australischen Gerichts ein Mann in die Freiheit entlassen wurde, der nicht gebrochen werden konnte: ein Mann, dessen lebensprühender christlicher Glaube ihn auch unter außergewöhnlichem Druck nicht wanken ließ. Während seiner Promotionsstudien Ende der 1960er-Jahre in Oxford hatte der junge Priester George Pell reichlich Gelegenheit, das treue Zeugnis von Thomas Morus und John Fisher zu erwägen, die unter allergrößtem Druck ihre Standhaftigkeit bewiesen haben. Er konnte damals nicht ahnen, dass auch er ein Opfer von Verleumdungen, öffentlichen Verunglimpfungen und ungerechter Inhaftierung werden sollte. Doch genau wie Thomas Morus und John Fisher setzte George Kardinal Pell sich für die Wahrheit ein im Vertrauen darauf, dass die Wahrheit in des Wortes tiefster und menschlichster Bedeutung frei macht.

Das Tagebuch, das Sie nun lesen werden, zeigt anschaulich, dass der Weg zu dieser Freiheit voller Licht ist.7

George Weigel ist Distinguished Senior Fellow am Ethics and Public Policy Center in Washington und dort Inhaber des William-E.-Simon-Lehrstuhls für Katholische Studien. Sein 27. Buch, »Der nächste Papst: Das Amt des Petrus und eine missionarische Kirche«, ist 2020 beim Media Maria Verlag erschienen. Kardinal Pell und er sind seit 1967 befreundet.

ZEITTAFEL

16. Juli 1996

Papst Johannes Paul II. ernennt Weihbischof George Pell zum Erzbischof von Melbourne, Australien.

26. März 2001

George Pell wird Erzbischof von Sydney, Australien.

21. Oktober 2003

Papst Johannes Paul II. ernennt Erzbischof Pell zum Kardinal.

25. Februar 2014

Papst Franziskus beruft Kardinal Pell in die neu geschaffene Position eines Präfekten des Wirtschaftssekretariats, das die Finanzen des Heiligen Stuhls und des Vatikans verwaltet.

29. Juni 2017

Die australische Polizei wirft Kardinal Pell mehrere lange zurückliegende sexuelle Übergriffe vor.

5. März 2018

Kardinal Pell, der alle Vorwürfe von sich gewiesen hat und freiwillig nach Australien zurückgekehrt ist, erscheint vor dem Magistrates’ Court in Melbourne zur Verlesung der Anklagepunkte.

1. Mai 2018

Nachdem einige Anklagepunkte fallen gelassen worden sind, entscheidet eine Richterin in Melbourne, dass der Kardinal sich für die übrigen vor Gericht verantworten muss.

2. Mai 2018

Die Fälle werden in zwei Verfahren aufgeteilt: Das erste soll sich mit Vorwürfen befassen, die auf die 1990er-Jahre zurückgehen, als Pell Erzbischof von Melbourne war. Im zweiten Verfahren werden Vorwürfe verhandelt, die auf die Anfänge seines priesterlichen Dienstes in den 1970er-Jahren zurückgehen.

20. September 2018

Das erste Verfahren, das am 15. August 2018 begonnen hatte, endet damit, dass die Geschworenen sich nicht einigen können.

11. Dezember 2018

Das Wiederaufnahmeverfahren, das am 7. November 2018 begonnen hatte, endet mit einem Schuldspruch.

26. Februar 2019

Die Staatsanwaltschaft lässt den zweiten Teil der Beschuldigungen, die auf die 1970er-Jahre zurückgehen, fallen.

27. Februar 2019

Kardinal Pell kommt in Untersuchungshaft und wird ins Gefängnis gebracht.

13. März 2019

Kardinal Pell wird zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

5. bis 6. Juni 2019

Beim Supreme Court of Victoria wird über die Berufung verhandelt.

21. August 2019

Die Berufung wird mit 2:1 Stimmen abgewiesen.

10. bis 11. März 2020

Die Anhörung Kardinal Pells erfolgt durch den High Court of Australia am 10. März 2020. Am 11. März 2020 wird sie vertagt.

7. April 2020

Der High Court hebt mit 7:0 Stimmen alle bisherigen Urteile auf. Kardinal Pell wird aus der Haft entlassen.

1. WOCHE

IN UNTERSUCHUNGSHAFT

27. Februar bis 2. März 2019

Mittwoch, 27. Februar 20191

In den letzten Monaten habe ich eigentlich immer gut geschlafen, aber gestern Abend hat es mit dem Einschlafen länger gedauert und heute Morgen bin ich vor dem Weckerklingeln um 6.00 Uhr aufgewacht. Die Messe wurde wie üblich im Esszimmer der McFarlanes gefeiert. Die Wände waren mit Bildern des Herzogs von Wellington, von W. G. Grace2 und Victor Trumper3 geschmückt, die vermutlich noch nie zuvor an einer Werkstagsmesse teilgenommen hatten.

Ich entschied mich für die Votivmesse »Unsere Liebe Frau«, weil ich mich während dieser seit Langem andauernden Misere unter ihren besonderen Schutz gestellt habe. Das Ganze dauert länger, als ich es erwartet hatte, aber ich fühle mich noch immer beschützt. Immerhin haben sie die anderen falschen Beschuldigungen allesamt fallen gelassen.4

Joseph und Susan Santamaria5 kamen mit ihrer Tochter Helen zu Besuch, die gerade aus London zurückgekehrt ist, um mir ihre Unterstützung zu signalisieren.

Chris Meney6 war gestern Abend vorbeigekommen, und nach der Messe und dem Frühstück fuhr Tim [McFarlane]7 uns beide zum Gericht. Die Menge war sehr feindselig, besonders ein armer Mann mittleren Alters, dessen Miene vor Wut verzerrt war. Ich frage mich, was ihm die Kirche angetan hat. Doch die meisten waren Medienvertreter.

Paul [Galbally]8 wartete bereits auf uns, und man konnte erkennen, dass er schlechte Nachrichten hatte. Er erklärte, dass sie es nicht für ratsam hielten, heute Nachmittag beim Berufungsgericht eine Freilassung gegen Kaution zu beantragen. Ich hörte mir an, was [Robert] Richter9 und Ruth [Shann]10 dazu zu sagen hatten, und willigte dann ein. Also würde ich heute Nachmittag im Gefängnis sein.

Ein Großteil der Abschlussdiskussion war surreal und kafkaesk: Der Richter zählte die vielen Gründe auf, weshalb der Übergriff unwahrscheinlich war, um dann Vermutungen über meine Motivation anzustellen! Ruth meinte, dass sogar der Staatsanwalt – und wir kennen auch die Ansichten des Richters – mich für unschuldig hält.

Ich kam in Untersuchungshaft und wurde von zwei Gefängniswärtern durchsucht, Filipinos, die mich beide respektvoll behandelten. Der eine erzählte mir, dass er während des Verfahrens im Gericht gesessen habe und wisse, dass ich unschuldig sei. Drei Mitglieder des Wachpersonals, die während der Verhandlungen auf uns aufgepasst hatten, wünschten mir alles Gute und sagten, sie seien froh, mich kennengelernt zu haben. Offenbar hat sogar David Marr11 gegenüber Richter und Denis Shanahan12 zugegeben, dass er mich in diesem einen Verfahren nicht für schuldig hält! Beinahe hätte ich vergessen, mich beim Verlassen des Saals vor dem Richter zu verneigen.

Für die Fahrt ins Untersuchungsgefängnis legte man mir Handschellen an. Bei der Ankunft durchlief ich mehrere Registrierungen und eine gründliche medizinische Befragung. Alles höflich, aber eine Reihe von Verzögerungen hinter verschlossenen Türen.

Da man glaubte, es bestünde Gefahr, dass ich mir selbst Schaden zufügte, wurde ich die Nacht über regelmäßig kontrolliert. Unter den anderen Gefangenen, die ich nicht zu Gesicht bekommen werde, da jeder seine eigene Zelle hat, war eine Frau, die gelegentlich weinte (zumindest hörte es sich so an). Ein oder zwei andere schrien in ihrer Seelenqual und stießen immer wieder laute Beschimpfungen aus. Mein Name fiel auch ein paarmal.

Ich war ein wenig erschöpft und habe tief und fest geschlafen, bis der Wärter mich weckte. Danach habe ich versucht, wie gewohnt den Rosenkranz zu beten, um wieder einzuschlafen, aber ich habe nur noch vor mich hingedöst.

In jedem Fall ist es eine Erleichterung, dass der Tag vorbei ist. Ich befinde mich nun im Auge des Sturms, wo Ruhe herrscht, während meine Familie, meine Freunde und die Kirche insgesamt mit dem Tornado fertigwerden müssen.

Gott, unser Vater, gib mir die Kraft, dies durchzustehen. Möge mein Leiden mit dem Erlösungswerk deines Sohnes Jesus vereint werden für die Ausbreitung des Reiches Gottes, die Heilung aller Opfer dieser Geißel der Pädophilie, den Glauben und das Wohl unserer Kirche und insbesondere für die Weisheit und den Mut der Bischöfe, die uns aus den finsteren Schatten in das Licht Christi führen müssen.

Donnerstag, 28. Februar 2019

Am Mittwochabend habe ich mit David, Judy und Bec [Pell]13 telefoniert. David war sehr niedergeschlagen, und ich habe vergessen, seinen heutigen Geburtstag zu erwähnen.

Mein zweiter Tag, mein erster ganzer Tag, ist mit der Hauptmahlzeit um 15.30 Uhr offiziell zu Ende gegangen. Früher als in einem Seniorenheim.

Kartya [Gracer]14 und Paul [Galbally] waren da. Die Berufungsverhandlung ist auf den 11. Juni angesetzt, aber der Plan ist, bald nach der Urteilsverkündung am Mittwoch [der übernächsten] Woche (13. März) beim Berufungsgericht eine Freilassung gegen Kaution zu beantragen. Drei Oberste Richter sind ernannt worden, einer von ihnen ist [Mark] Weinberg15, der vermutlich eine entscheidende Rolle spielen wird. Das Team ist sehr zufrieden mit den drei Ernennungen.

Richter wird sich auf eine Seite hinbewegen und Bret Walker16 die Führung überlassen. Robert glaubt, dass wir uns, wenn wir Freilassung gegen Kaution beantragen, vielleicht einen guten ersten Eindruck verschaffen können, wie sie die Beweislage einschätzen, und dass die Kaution vielleicht sogar bewilligt werden könnte.

Meine Uhr wurde mir abgenommen. Es ist nicht möglich, vom Licht, das durch die dunkel getönten Fensterscheiben fällt, und von der Gefängnisroutine auf die Uhrzeit zu schließen.

Meine psychische Verfassung – die von Anfang an gut war – wird inzwischen besser beurteilt, sodass ich einen kleinen elektrischen Wasserkocher und einen Fernseher bekommen habe. Bisher habe ich ihn nur sehr wenig benutzt, weil mein Fall immer noch auf allen Kanälen das Hauptthema ist.

Mein Brevier habe ich gleich vom ersten Tag an behalten dürfen und man hat mir einen Gefängnisrosenkranz in meine Zelle gelegt, nachdem mein eigener Rosenkranz wie die meisten meiner Habseligkeiten konfisziert worden sind.

Heute war ich zum ersten Mal in dem kleinen, heruntergekommenen Außenbereich. Eine ziemliche Enttäuschung: Die gesamte Hoffläche, die unterteilt ist, umfasst etwa 15 mal 10 Meter. Sie ist von hohen Wänden umgeben, wobei die eine Hälfte jeweils überdacht, die andere Hälfte mit einem Gitterwerk bedeckt ist, durch das man den Himmel sehen kann. Nicht gerade ein botanischer Garten.

Kartya hat sich – das hat sie mir gesagt, als sie und Paul bei mir waren – über einen Artikel von John Sylvester17 gefreut, der regelmäßig Polizeikolumnen schreibt und in The Age die Frage aufgeworfen hat, wie es bei einer nicht bestätigten Beschuldigung und 20 widersprüchlichen Zeugenaussagen der Anklage überhaupt zu einem Prozess kommen konnte.

Paul hat meiner positiven Einschätzung von Frank Brennans Artikel in The Australian18 zugestimmt und war über seinen Auftritt in 7.30 Report19 genauso enttäuscht wie ich. Andere – zum Beispiel Cait Tobin20 und Greg Smith21 – waren wohlwollender und haben geltend gemacht, dass Brennan doch erkennbare Zweifel an der Verurteilung geäußert habe.

Das Essen ist zu reichlich, große Portionen mit mindestens drei Gemüsesorten in verschiedenen Farben. Ich habe den Gefängnisdirektor getroffen. Ein stattlicher Mann, beeindruckend und direkt. Er hat mir erklärt, dass meine Sicherheit oberste Priorität habe, und von Schwester Mary O’Shannassy, der Seelsorgerin, weiß ich, dass er sich in seiner zweijährigen Amtszeit für bessere Umgangsformen eingesetzt hat.

Ich habe Sehnenschmerzen im Bein (vor allem links), weil das Bett und der Toilettensitz sehr niedrig sind und es keinen Stuhl in meiner Zelle gibt. Deshalb habe ich um einen erhöhten Stuhl gebeten. Der Direktor meinte, er wolle sich nicht vorwerfen lassen, dass er mir einen bequemeren Stuhl zur Verfügung gestellt hätte, und ich habe ihm geantwortet, dass er ja nicht bequemer, sondern nur höher sein müsse! Daraufhin haben sie drei Plastikstühle aufeinandergestapelt, das hat schon geholfen. Einen erhöhten Toilettensitz habe ich auch bekommen.

Schwester Mary O’Shannassy, eine Ordensschwester der »Dienerinnen Christi«, ist eine Schwester von Monica Mackie, einer Schulrektorin, mit der ich im Bistum Ballarat zusammengearbeitet habe, und von Jake O’Shannassy, der vor mir das St Patrick’s [College] in Ballarat besucht hatte und ein guter Football-Spieler war, Position Centre Halfback22, wenn ich mich nicht irre.

Sie erinnerte sich noch daran, dass ich am Weihnachtstag die letzte Messe im Pentridge-Gefängnis gefeiert hatte, bevor es 1996 geschlossen wurde, und dass ich verspätet von dort wegkam, weil ich mit den jüngeren Häftlingen Billard gespielt hatte. Ich erzählte ihr, dass diese einfach nicht glauben konnten, was für ein miserabler Billardspieler ich war.

Gott, unser Vater, hilf all meinen Lieben, diese Zeit mit meinen Problemen und Leiden zu überstehen und etwas Frieden zu finden. Ich danke dir, dass mein Glaube fest bleibt und dass ich über ein gutes Maß an Frieden verfüge, wahrscheinlich eine greifbare Frucht der vielen Gebete, die für mich aufgeopfert werden.

Freitag, 1. März 2019

Meine Einkäufe sind aus der Kantine gekommen, aber die billigen Uhren, die sie verkaufen, waren nicht mehr auf Lager. Ich kann im Fernsehen nachsehen, wie spät es ist, aber meine Uhr fehlt mir immer noch.

Es ist ruhiger heute, weniger Gespräche, die tägliche Routine kehrt ein. Ich habe tief und fest geschlafen, bis die Wärter schließlich um 6.30 Uhr an meine Zellentür kamen, um mich zu wecken. Neben dem Bett ist ein langes vergittertes Fenster mit einer dunkel getönten Scheibe aus Glas oder Plastik. Jalousien oder Vorhänge gibt es natürlich nicht: Man kann erkennen, wie es draußen hell und dunkel wird.

Meine Kleidung ist eingetroffen, vieles davon ist im Gefängnis zu nichts zu gebrauchen, außerdem drei Bücher und ein paar Ausgaben von The Spectator. Meine Jerusalemer Bibel habe ich wieder zurückgesandt, weil Schwester Mary mir schon ein Exemplar besorgt hatte. Ich glaube, dass ich sechs Bücher und sechs Zeitschriften haben darf, und hoffe, anstelle der Bibel Peter Browns Through the Eye of the Needle23 über Geld und die alte Kirche zu bekommen. In der Herald Sun, die ich mir über die Kantine besorgen konnte, habe ich gelesen, dass Richter sich dafür entschuldigen musste, dass er von »Blümchensex« gesprochen hat. Ich hatte das gar nicht mitbekommen.24 Das Urteil der Geschworenen wurde in den meisten Leserbriefen als fragwürdig oder falsch kritisiert, und Paul und Kartya, die mich heute gemeinsam besucht haben, meinten, eine solche Debatte über die Rechtmäßigkeit eines Urteils habe es in Australien seit dem Lindy-Chamberlain-Fall nicht mehr gegeben.25

Es ist seltsam, nicht jeden Tag die Messe zu feiern, obwohl ich sonst keine Pflichten und deshalb reichlich Zeit für meine täglichen Gebete habe. Irgendwo in der Nähe muss ein Muslim inhaftiert sein, denn ich kann ihn abends beten hören. Einige der anderen Untersuchungshäftlinge sind offenbar auf Crystal-Meth-Entzug. Ein paar haben ganz sicher psychische Probleme.

Ich hatte zweimal eine halbe Stunde lang Hofgang in der Nachmittagshitze, das zweite Mal in einem neuen Außenbereich, der ein bisschen sauberer und heller war als der erste. Nachdem ich 25 Minuten lang mit meinem Stock auf und ab gegangen bin – vorwärts, zurück, seitwärts … –, bin ich froh, dass ich mich wieder ein bisschen ausruhen kann.

Während des zweiten Hofgangs kam der energische Segs-Chef26 – derselbe, der mich in Handschellen hergebracht hatte – zu mir, um mir zu erklären, dass seine Abteilung jeden Monat meine Zelle durchsuchen und dass er mich zur Urteilsverkündung bringen würde. Ich zeigte auf die leichten Quetschungen an meinem linken Handgelenk und fragte ihn, ob die Handschellen beim nächsten Mal weniger eng sein würden. Natürlich, antwortete er, aber die Handschellen würden an einem Gürtel befestigt und der Transporter würde anders aussehen! Und das alles, weil sie mich in irgendeine Sonderkategorie eingestuft haben. Ein korrekter Mann, aber nicht gerade ein Ausbund an Herzlichkeit.

Ich habe mir vorgenommen, immer abends Tagebuch zu führen und eine Routine zu entwickeln: zuerst das Stundengebet, dann, später am Morgen, eine Betrachtung – am Hebräerbrief entlang, einem meiner Lieblingstexte. Absolut christozentrisch: Paulus (oder sein Schüler oder Nachahmer) zeigt, dass Christus die Verheißung der jüdischen Schriften verkörpert.

Meine drei Plastikstühle sind durch einen prächtigen erhöhten Gesundheitsstuhl ersetzt worden, wie er mir im Krankenhaus in der Vergangenheit schon empfohlen worden ist.

Bei den Besuchszeiten ist etwas durcheinandergeraten. Nicht Samstag und Sonntag, wie auf den Listen, sondern Montag und Donnerstag. Ich habe einen Termin für drei Personen am Montag, 4. März, um 13 Uhr. Bin nicht sicher, ob David das einrichten kann.

Interessanterweise haben mir einige Leute – von Ruth bis hin zu Angehörigen des Gefängnispersonals – erklärt, dass mein Glaube in dieser Zeit eine große Hilfe sein werde. Mein erster Impuls war, ihnen trocken zu antworten, dass ich das bereits wüsste. Aber sie haben es gut gemeint, und es war interessant und sogar ein bisschen rührend, so etwas von Menschen gesagt zu bekommen, die selbst nicht gläubig sind. Sie haben recht.

Gott, unser Vater, ich bete für die Menschen, die von den Buschbränden in Gippsland betroffen sind, und für alle Häftlinge in diesem Gefängnis: Manche von ihnen sind hoffnungslos unglücklich, andere haben keinen Glauben und keine Hoffnung. Ich bete auch für das gesamte Gefängnispersonal: dass die Höflichkeit und der Anstand, den sie mir gegenüber an den Tag legen, die Norm sind und dass sie sich nicht von der Gewalttätigkeit, dem Zorn und dem Hass der schlimmsten der Häftlinge anstecken lassen.

Samstag, 2. März 2019

Die erste Lesung im heutigen Brevier (7. Woche) stammt aus dem Buch Kohelet: anspruchsvoll, pessimistisch und das heidnischste Buch im Alten Testament. »Dann wird das Licht süß sein und den Augen wird es wohltun, die Sonne zu sehen« (Koh 11,7). Weder in meiner Zelle noch auf den Fluren des Hochsicherheitsgefängnisses gibt es helle Fensterscheiben. Mein Zellenfenster befindet sich hinter einem schmiedeeisernen Fenstergitter, und sogar die obere Hälfte ist irgendwie blickdicht. Ich vermisse die Sonne und die Silhouette der Stadt und die Landschaft. Nur im Hof kann ich durch die Gitterstäbe hindurch ein kleines Stück Himmel sehen. Heute Morgen hat die Sonne gegen Ende meines halbstündigen Hofgangs einmal kurz in eine Ecke geschienen.

Jahrelang habe ich etwas die Nase gerümpft über den Schöpfungsbericht im Buch Genesis, wo Licht und Dunkelheit lange vor der Sonne erschaffen wurden. Doch das war wahrscheinlich gegen diejenigen gerichtet, die die Sonne für einen Gott oder sogar für den höchsten Gott hielten. Ich kann mir vorstellen, wie sich die Sinnoder Wahrheitssuchenden der alten Zeiten in diese Richtung vorangetastet und die Sonne vergöttlicht haben.

Das Gefängnis ist ein Ort der Bestrafung, auch wenn es von anständigen Menschen geführt wird. Gesuche werden immer verspätet beantwortet und Verwechslungen gibt es reichlich. Mehrtägige Verzögerungen sind üblich und die spartanischen Bedingungen in der Zelle und das schlechte Licht sind Teil des Systems. Wo Licht ist, ist auch Schatten, doch auch das Gegenteil ist wahr: Wir können zwar keine Fenster öffnen, aber wir haben eine Klimaanlage – als einziges Gefängnis in ganz Victoria.

Ich habe drei- oder viermal versucht, meinen Bruder anzurufen, und es klingt jedes Mal so, als wäre sein Telefon abgestellt. Schließlich habe ich sie gebeten zu überprüfen, ob die Nummer auf der Anrufliste korrekt ist. Eine Ziffer fehlte und der hilfsbereite Chef hat versprochen, das korrigieren zu lassen, doch bis jetzt ist noch nichts geschehen.

Kartya war da und wir haben eine erste Besucherliste erstellt, die, wenn die betreffenden Personen da waren, auch wieder geändert werden kann. Charlie Portelli27 war außer sich vor Wut über einen Artikel in irgendeiner Lokalzeitung, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass zwischen ihm und mir Absprachen getroffen worden seien. Er hat eine Richtigstellung erzwungen. Trotzdem habe ich Kartya gebeten, ihm Franz von Assisis Gruß pace e bene [Frieden und Gutes] zu überbringen, und ihr den Hintergrund ein bisschen erklärt. Kartya fand das schön.

Schwester Mary hat mir die Kommunion gebracht und wir haben gemeinsam eine kleine Andacht mit den Sonntagslesungen gehalten. Ich vermisse es, die Messe zu feiern, und ich war dankbar für die Kommunion. Ich fühle mich immer unbehaglich, wenn wir gleich nach der Kommunion beginnen, uns zu unterhalten. An den Besuchstagen setzen die Leute das voraus. Wahrscheinlich sollte ich vorschlagen, dass wir ein paar Minuten warten, ehe wir uns unterhalten. Die Seelsorger machen einen guten Job, und Schwester Mary hat erzählt, dass die Häftlinge ihre Arbeit schätzen. 35 Prozent würden sich selbst noch als katholisch bezeichnen.

Die beiden Leiter der Segs-Einheit, die mich bei allen Besuchen außerhalb des Gefängnisses begleiten werden, haben mir meinen Status und ihre Aufgabe erklärt. Die Handschellen sind offenbar unvermeidlich. Ich habe ihnen erklärt, dass eine Flucht nicht sehr wahrscheinlich sei, dass ich gar nicht dazu in der Lage und auch für niemanden eine Bedrohung wäre, und sie haben mir zugestimmt. Es geschieht alles zu meinem Schutz.

Ich habe im Fernsehen gesehen, wie Winx28 ihr 31. Rennen in Folge gewonnen hat, ihr 23. in Gruppe I – Weltrekord.

Gott, unser Vater, hilf mir, mich so nach dir zu sehnen, wie ich mich nach dem Licht und dem Anblick der Sonne sehne. Hilf uns allen, die wir in der Kirche als Lehrer tätig sind, den vielen, die sich nicht um ihre Blindheit sorgen oder sie vielleicht nicht einmal bemerken, dieses Licht zu zeigen.

2. WOCHE

EINSAMER ASCHERMITTWOCH

3. März bis 9. März 2019

Sonntag, 3. März 2019

Heute ist seit vielen Jahrzehnten, wahrscheinlich seit über 70 Jahren, der erste Sonntag, an dem ich – ohne krank zu sein – keine Messe besucht oder zelebriert habe. Ich konnte nicht einmal die Kommunion empfangen.

Die erste Lesung im heutigen Brevier handelt von Ijob, dessen Prüfungen gerade erst begonnen haben. Alles liegt noch vor ihm. [Robert] Richter, der kein christlicher Theist, sondern Jude ist, hat ihn mir ein paarmal als Vorbild vor Augen gestellt. Ich habe ihm geantwortet, dass mich der Gedanke an Ijob ein bisschen tröstet, weil sein Glück – anders als das unseres Herrn – noch zu seinen Lebzeiten zu ihm zurückgekehrt ist, und ich glaube noch immer, dass es für die Richter nur ein einziges gerechtes Urteil gibt: den Schuldspruch aufzuheben.

Paul [Galbally] und Kartya [Gracer] besuchten mich heute Nachmittag, um mir zu sagen, dass Paul und [Bret] Walker das weitere Vorgehen besprechen und sich darüber beraten wollen, ob es sinnvoll ist, beim Berufungsgericht eine Freilassung gegen Kaution zu beantragen. Solche Anträge haben nur sehr selten Erfolg, aber vielleicht bringen sie den Fall dennoch voran. Wie Richter zu Richter Kidd sagte, als ich festgenommen wurde: »Sie haben soeben die Haftverschonung eines Unschuldigen aufgehoben.«

Paul und Kartya haben mir von Paul Kellys erstklassigem Artikel in The Australian1 erzählt, laut Paul dem besten Artikel, der bis jetzt erschienen ist. Tess [Livingstone] hat mir einen Ausdruck ihres Online-Artikels, den sie am Donnerstag veröffentlicht hat (und der zwei Tage lang die meisten Klicks erhalten hatte)2 und ihres Artikels von letztem Samstag3 gesandt. Paul freut sich über die rege Debatte, die es ähnlich intensiv nur im Chamberlain-Fall gab4, und er spürt, dass sich insbesondere unter den Richtern die Sympathien in meine Richtung bewegen.

Er hält es nicht für gut, wenn ich auf James Gargasoulas’ Brief von Freitag antworte. Als ich ihm erklärte, dass ich mich als Priester ein bisschen schuldig fühle, wenn ich ihm nicht irgendwie antworte, hat er mir vorgeschlagen, ihm zu schreiben, wenn ich wieder in Freiheit bin. »Galbally ist sein Geld wert«, habe ich zu Kartya gesagt. Heute sind zwei weitere dieser (buchstäblich) verrückten Botschaften eingetroffen. Gargasoulas ist der Mann, der bei einer Amokfahrt mit seinem Wagen in der Bourke Street sechs Menschen getötet hat.5

Dem Besuch von David, Judy und Sarah [Pell]6 morgen um 13.00 Uhr steht nichts mehr im Weg, und ich habe die Liste mit den zehn Personen vervollständigt, die ich anrufen darf. Der freundliche polnische Wärter B. hat meine Wäsche mitgenommen und waschen lassen. Er und E., der Chef, sind gleichermaßen hilfsbereit.

Ein sehr heißer Tag, 40 Grad Celsius, mit schlimmen Bränden rund um Bunyip und Nar Nar Goon [in Gippsland, Victoria]. Viele Häuser sind zerstört.

Muslimische Gebetsgesänge sind in meiner Zelle zu hören und ich frage mich, von wem sie kommen, vermutlich nicht von Gargasoulas. Ich bin nicht sicher, auf welche Religion er sich bezieht, wenn er behauptet, Gott oder der Messias zu sein. Heute Abend ist es wieder etwas lauter, mindestens einer der anderen Häftlinge schreit seine Verzweiflung heraus.

Ich bin noch immer mit dem Hebräerbrief beschäftigt, ein großartiger Text, in dem sich Paulus’ zentrales Anliegen entfaltet, nämlich die Bedeutung Jesu in alttestamentlichen oder jüdischen Kategorien zu erklären: dass er das Werk und die Botschaft des ersten Bundes vollendet. Die Treue zu Christus und seiner Lehre bleibt unverzichtbar für jeden fruchtbaren Katholizismus und jede religiöse Erneuerung. Deshalb sind die »approbierten« argentinischen und maltesischen Auslegungen von Amoris laetitia7 so gefährlich. Sie widersprechen der Lehre des Herrn über Ehebruch und den Lehren des heiligen Paulus über die notwendigen Voraussetzungen für den würdigen Empfang der heiligen Kommunion.

Heute Morgen hat man mich unverhofft zu einer ärztlichen Untersuchung gerufen. Alles in Ordnung, auch wenn mein Blutdruck (120/80 im Stehen) niedrig war. Das habe ich jedoch vermutet, weil ich mich ein bisschen schlapp fühle.

Gott, unser Vater, ich bete für all meine Mithäftlinge, vor allem für die, die mir geschrieben haben. Hilf ihnen allen, ihr wahres Selbst zu erkennen. Hilf auch mir, darin besser zu werden. Bring ihnen allen ein bisschen Seelenfrieden, besonders jenen, die ganz sicher keinen haben.

Montag, 4. März 2019

Im Brevier ging es heute weiter mit Ijobs Problemen, die sich sogar verschlimmert haben, weil es Satan erlaubt wurde, ihn mit bösartigen Geschwüren zu schlagen. Ijob hat Gott nicht gelästert, obwohl seine verbitterte Frau ihn drängte: »Lästere Gott und stirb!« Doch ihm kam kein sündiges Wort über die Lippen. »Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?« (Ijob 2,9–10).

Wenn ich bei manchen Gelegenheiten nach unverdientem Leid gefragt wurde, habe ich oft geantwortet: »Gottes Sohn Jesus hatte auch kein wirklich einfaches Leben.« Christen bringt das oft dazu, innezuhalten und nachzudenken, und manchmal habe ich sie auch gebeten, sich an all das Gute in ihrem Leben zu erinnern.

Das habe ich an meinem ersten Osterfest als Priester im Jahr 1967 in dem italienischen Dorf Notaresco in den Abruzzen gelernt. Die meisten der Männer lebten und arbeiteten damals in der Schweiz oder in Deutschland, schickten ihren Familien Geld nach Hause und kamen nur einmal im Jahr auf Heimaturlaub. Ich war ein gänzlich unerfahrener Neupriester und wusste nicht so recht, wie ich diese Ehefrauen und Mütter trösten sollte. Ich versuchte dieses und jenes – ohne Erfolg –, doch dann sagte ich ihnen ganz einfach, dass Jesus auch gelitten hat, und das war ein Trost für sie. Der Sohn Gottes hat gelitten, und sie litten ebenfalls.

Schriftsteller, die betonten, dass das Leid wesentlich und notwendig ist, um Gott näherzukommen, mochte ich nicht sonderlich. Dies betraf selbst so große christliche Schriftsteller wie den heiligen Johannes vom Kreuz. Ich habe nicht viel von ihm gelesen, weil mich seine Schriften immer etwas erschreckt haben. Doch Die innere Burg [1588] der heiligen Teresa von Avila, die eine ähnlich handfeste spanische Theologie vertritt, habe ich zu Ende gelesen.

Ich konnte mich eher mit der Herangehensweise von Jude Chens Großvater anfreunden, der laut Jude mit Sun Yat-sen8 befreundet gewesen war. Sein Großvater hatte die Angewohnheit, Gott um kleine Prüfungen zu bitten, weil er ohne sie stolz werden könnte, und durch sie wollte er größeres Leid vermeiden. Die Chens waren gläubige Mitglieder der Untergrundkirche im kommunistischen China. Sie verloren alles, erduldeten großes Leid, und einige von ihnen waren lange im Gefängnis, bis es in den späten 1980er- und 1990er-Jahren eine Amnestie gab. Damals floh Jude nach Australien. Wir wurden gute Freunde, und die Familie half ihm, bis er nach Kanada auswanderte, weil er hier keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten konnte. Wir haben noch immer Kontakt und ich kann mir vorstellen, wie aufgebracht er und seine Frau Monica über meine missliche Lage sind.

David, Judy und Sarah haben mich zum ersten Mal besucht. Es war (natürlich) schön und wir haben viel gelacht. Vor dem Besuch musste ich mich einer Leibesvisitation unterziehen. Wir trafen uns in einem größeren Raum mit hellen Fenstern und bunten Kinderbildern an den Wänden. Ich hatte es geschafft, mich in den obligatorischen Overall zu zwängen – allerdings falsch herum: mit dem Reißverschluss auf der Vorderseite!

David meinte, er halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Berufungsgericht mir eine Freilassung auf Kaution zugestehen würde. Dies bestätigte sich später, als Paul, Kartya und Ruth [Shann] vorbeikamen, um mir zu erklären, dass mit einer Berufung gleich nach der Urteilsverkündung nichts gewonnen wäre, weil die Staatsanwaltschaft ihre Erwiderung noch nicht eingereicht hätte und ein verfrühter Vorstoß das Gericht womöglich verärgern würde. Ruth erklärte, dass sie keinen Präzedenzfall für eine Freilassung auf Kaution finden konnte, die allein wegen der Beweiskraft der Berufungsgründe gewährt worden sei. Ich habe beschlossen, im Fall der Fälle das zu tun, was Ruth mir rät – vorausgesetzt, dass sie ihre eigene Meinung äußert und nicht die ihres Vorgesetzten. Daraufhin hat sie erwidert, dass sie ein bisschen rebellisch veranlagt sei und immer ihre eigene Meinung von sich gebe.

Es hat mich beunruhigt, dass Nick [Pell]9 so aus dem Gleichgewicht gebracht ist und nicht zur Arbeit geht, und deshalb habe ich vorgeschlagen, Charlie [Portelli] zu bitten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Paul hat versprochen, Nick anzurufen, um ihm zu helfen. David hat erzählt, dass Marg10 vergesslich ist, aber dass es ihr ansonsten nicht allzu schlecht geht. Paul hat mit ihr gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie klarkommt.

Gott, unser Vater, gib allen, die tief erschüttert sind, und insbesondere meinen nahen Verwandten Frieden und Gelassenheit. Hilf Nick, dass er zurechtkommt und sich helfen lässt. Und ich danke dir, guter Gott, dass in der Öffentlichkeit über das Urteil debattiert wird. Möge dieser Kampf auf die seltsamste Weise die Entschlossenheit der gläubigen Katholiken stärken und sie dazu führen, sich an Jesus zu halten, damit wir alle erkennen, dass er unsere einzige Rettung ist.

Dienstag, 5. März 2019

In der heutigen Lesung im Brevier ist Ijob eingeknickt, hat »den Schnuller ausgespuckt«, wie es in der alten australischen Ausdrucksweise heißt. Er wendet sich nicht gegen Gott, aber er beklagt den Tag seiner Geburt: »Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen. Jener Tag werde Finsternis.« Weiter unten in Kapitel 3 bedauert er, dass er nicht gleich nach seiner Geburt gestorben ist: »Was mich erschreckte, das hat mich getroffen, wovor mir bangte, das kam über mich« (Ijob 3,3.25).

Seine Situation ist extrem: die Familie tot, Hab und Gut vernichtet, eine abstoßende Krankheit, die Aschegrube seine letzte Zuflucht, verloren in der Stille. Kein Wunder, dass er sich beklagt.

Natürlich wusste Ijob nichts von Christus, und seine Vorstellung vom Leben nach dem Tod scheint nicht zwischen Guten und Bösen, Glücklichen und Unglücklichen zu unterscheiden. Bei den Schatten, so glaubt er, »[…] hören Frevler auf zu toben, dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist. […] Klein und Groß ist dort beisammen, der Sklave ist frei von seinem Herrn« (Ijob 3,17.19), doch der eine und wahre Gott wird nicht als der letzte und einzige Richter gesehen, der die Guten belohnen und obendrein alle, die gelitten haben, die arm und unglücklich waren, auf immer mit dem und in dem ewigen Leben segnen wird. Ijobs Leben nach dem Tod ist, soweit man daran glaubt, eine Zuflucht für alle, die keine klare Vorstellung davon haben, dass die Schafe von den Böcken getrennt und alle, die gelitten haben, entschädigt werden.

Nach Kiko Argüello11 trennt vor allem eine Lehre die Christen und Säkularisten voneinander, und das ist die unterschiedliche Einstellung zum Leiden. Säkularisten wollen das Leiden ausblenden oder beenden. Daher stammt ihre Begeisterung für Abtreibung und Euthanasie. Wir Christen dagegen sind davon überzeugt, dass das im Glauben ertragene Leiden erlösungswirksam sein kann, dass Christus uns durch sein Leiden und Sterben das Heil erworben hat und dass auch der böseste Mensch erlöst werden kann. Gleichzeitig engagiert sich keine Gruppe mehr als die Christen dafür, die Leiden zu lindern. Die Juden haben keinen Messias erwartet, der Leid erdulden und geschlagen werden würde, und Ijob hatte in seinem Leiden nicht das Vorbild Christi vor Augen.

Auch die Vorstellung von Himmel oder Hölle, Belohnung oder Strafe – von einem Jenseits also, in dem diejenigen, die in diesem Leben über das ihnen zugemessene Maß hinaus gelitten haben, die Waagschalen der Gerechtigkeit und des Erbarmens zu ihren Gunsten geneigt vorfinden werden – war ihm unbekannt.

Himmel heißt, dass die schlimmste menschliche Katastrophe nicht das letzte Wort hat, und ich glaube, der liebe Gott wird im nächsten Leben hauptsächlich damit beschäftigt sein, den Milliarden von Anawim12 seine Fürsorge angedeihen zu lassen.

Die antike Tragödie ist von einer ganz anderen Brutalität und Endgültigkeit: Hier ist Gott nicht der Herr über das Leben nach dem Tod, er ist nicht gerecht, er belohnt nicht und er bestraft nicht. Ich wusste natürlich immer, dass die alten Griechen nicht an unseren Himmel glaubten, doch erst nach vielen Jahren wurde mir klar, dass ich Sophokles (vor 60 Jahren!) durch die katholische Brille gelesen und mir nie wirklich bewusst gemacht hatte, welche Endgültigkeit Tod, Zerstörung und Schande für Sophokles und sein Publikum bedeuteten.

Heute war ein ruhigerer Tag, der erste von vielen, nur Kartya hat mich besucht. Wir haben über das mögliche Strafmaß gesprochen (fünf bis sieben Jahre?) und waren uns einig, dass [der Oberste Richter] Kidd für hohe Strafen bekannt ist. Das Berufungsverfahren beginnt wahrscheinlich am 5. Juni.