eISBN 978-3-649-64083-7
© 2021 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,
Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise
Text: Suza Kolb
Illustrationen: Anja Grote
Lektorat: Jutta Knollmann
Satz: Helene Hillebrand
Bildnachweis S. 124: Albert Einstein: picture-alliance / dpa | UPI;
Bertha Benz: picture alliance / akg-images;
Leonardo da Vinci: picture alliance / ullstein bild | Archiv
Gerstenberg
www.coppenrath.de
Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-63471-3.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Über diese Menschen kannst du staunen!
Heute war der Tag, an dem sich Emil Einsteins Leben für immer verändern sollte. Aber das wusste Emil noch nicht, als er die karierte Bettdecke von sich schob, die Arme hinter dem Kopf verschränkte und herzhaft gähnte. Ganz sicher wusste er aber, dass er heute Geburtstag hatte! Durch den Türspalt waberte bereits ein köstlicher Duft nach Kakao und Kuchen in sein Zimmer.
Emil sprang aus dem Bett und schlüpfte in die Hausschuhe. Anzuziehen brauchte er sich noch nicht, denn erstens hatte er Sommerferien und zweitens war heute Sonntag. Da war Frühstücken im Schlafanzug immer erlaubt.
„Juchhu, ich habe Geburtstag!“, rief Emil sich und der Welt vergnügt zu und marschierte in den Flur hinaus.
Unten im Haus klapperte Geschirr. Ein Mann rief: „Bist du fertig, Emil Sonntag?“, und eine Frau sang fröhlich: „Zum Geburtstag viel Glück …“
Schwungvoll hüpfte Emil aufs Treppengeländer und sauste ins Erdgeschoss. Trotz der etwas zu großen Hausschuhe kam er mit einem Sprung vor seinen Eltern zum Stehen – sehr elegant, wie er fand.
„Da bist du ja endlich“, sagte seine Mutter und nahm ihn in die Arme. „Alles Liebe zum Geburtstag!“
Sein Vater klopfte ihm auf den Rücken. „Heute ist Sonntag! Genau wie vor sechs Jahren bei deiner Geburt!“
„Weiß ich doch, Papa.“ Emil grinste.
Seine Eltern fanden es wunderbar, dass ihr Sohn ein Sonntagskind war. Deshalb lautete sein zweiter Name auch „Sonntag“. Aber das hatte er noch keinem seiner Freunde verraten, denn irgendwie klang das ja schon etwas komisch. Seine Eltern waren fest davon überzeugt, dass Sonntagskinder ganz besondere Glückskinder waren. Von den weisen Feen wurden die geküsst, erzählte man sich. Also jedenfalls die Leute, die so alt waren wie seine Eltern oder sogar noch älter! Emil musste sich immer schütteln, wenn in seinem Beisein darüber gesprochen wurde. Er sah dann lauter uralte, runzlige Frauen um seine Wiege stehen, die ihn unbedingt abknutschen wollten. IGITT!
Außerdem stimmte das mit dem Glück gar nicht. Er hatte genauso viel und genauso wenig Glück wie alle anderen Kinder, die er kannte. Manchmal hatte er sogar viel weniger Glück, zum Beispiel im Sportunterricht.
„Unser Geschenk!“ Herr Einstein zeigte auf ein riesiges Paket, das mitten im Wohnzimmer stand. „Mach es doch mal auf!“
Emil stellte sich mit verschränkten Armen davor.
Im Gegensatz zu ihm waren seine besten Freunde Tom und Mira mit ihren Eltern und Geschwistern verreist. Diesmal sogar für mehrere Wochen! Emils Eltern hatten dazu momentan keine Zeit. Es gab nur zwei Tierarztpraxen in der Umgebung und die wechselten sich immer mit dem Urlaub ab. Gerade war die andere Praxis an der Reihe. Damit seine Sommerferien nicht schrecklich langweilig werden würden, hatte Emil sich noch im letzten Moment einen Hund zum Geburtstag gewünscht. Natürlich hatte er sein Erfinderlabor, aber mit einem Hundefreund konnte er vielleicht lustige Abenteuer erleben. Doch war es wirklich möglich, dass ein Hund in dem Paket lag und stumm darauf wartete, ausgepackt zu werden?
„Beeil dich, Liebling, sonst wird noch der Kakao kalt“, drängte seine Mutter.
„Ist es ein Hund?“, fragte Emil leise.
„Schau es dir doch erst einmal an“, sagte sein Vater lächelnd und schob ihn näher an das Paket heran.
Das Geschenk war so hoch, dass es ihm sogar ein Stück über den Bauch reichte. Über so ein Riesengeschenk freuten sich bestimmt die meisten Kinder.
„Also gut“, seufzte Emil und riss das Papier auf. Es war eine Menge Papier. Leider war darunter kein Hund zu finden. Stattdessen entdeckte er einen Stapel …
HOLZBRETTER!
Emil starrte enttäuscht auf den Bretterhaufen.
„Was sagst du dazu?“, fragte seine Mutter erwartungsvoll. Und sein Vater rief: „So etwas wollte ich als Junge immer haben!“
„Dann ist es jetzt dein Geschenk“, schniefte Emil, drehte sich um und rannte aus dem Wohnzimmer heraus in den Flur und durch die Küche bis in den Garten. Von dort aus ging es quer über den Rasen an dem Nussbaum vorbei bis zum Gartenhaus. Vor der knallroten Tür mit dem Schild „Betreten verboten! Lebensgefahr!“ blieb er stehen. Die Warnung kümmerte ihn nicht. Schließlich hatte er sie selbst geschrieben. Emil riss die Tür auf und knallte sie hinter sich zu.
Sein Blick wanderte über einen alten Ohrensessel bis hin zur Werkbank mit den vielen Schraubenziehern, Zahnrädern und Metallplatten. In ihrer Mitte stand ein schwarzer Kasten, aus dem bunte Kabel herauslugten. Seine neueste Errungenschaft.
Emil seufzte und rückte die Brille auf der Nase zurecht. Seine Mutter hatte ihm den Kasten sowie drei kleine Funkmikrofone vor ein paar Wochen überlassen. „Für deine Basteleien“, hatte sie gesagt.
Basteleien? Pah! Das hier war ein ERFINDERLABOR!
Aber nach Erfinden war Emil gerade gar nicht. Sein Blick schweifte weiter durch den Raum bis hin zu einem Puppenhaus. Dort saß in einem der unteren Zimmer eine Maus mit blitzenden Augen und gesträubtem Rückenfell. Sie fiepte empört.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken!“ Emil ging zu einem Regal und zog eine Tüte heraus. Sofort veränderte sich das fellige Gesicht mit den großen Augen und Ohren. Fast schien es, als würde die Mäusedame lächeln.
Vorsichtig legte Emil ein Stückchen Käsekräcker vor die Pfoten der Puppenhausbewohnerin. Dann bückte er sich und hob ein Büschel Holzwolle auf. Es war wohl herausgefallen, als Bertha vor Schreck aus ihrem Schlafzimmer geschossen war. Bestimmt regte sie sich so auf, weil ihre Höhle nun etwas zerrupft aussah. Bertha liebte es nämlich ordentlich. Nie ließ sie irgendwo einen Krümel liegen oder wühlte etwas versehentlich durcheinander.
Das Puppenhaus hatte Emils verstorbener Großmutter gehört. Nun stand es im Gartenhaus und war mit den Jahren total verstaubt. Letzte Woche war dann die kleine Mäusedame darin eingezogen. Emil hatte sich kein Stück vor ihr geekelt, so wie es viele Menschen tun würden. Ganz im Gegenteil: Die Mäusedame und er waren ganz schnell Freunde geworden und er hatte sie Bertha genannt. Bertha Benz. So hieß nämlich die allererste Autofahrerin der Welt.
Emil kuschelte sich in den Ohrensessel und schaute seiner Mäusefreundin beim Schlemmen zu. Sie hatte es sich dafür auf dem Dach des Puppenhauses gemütlich gemacht.
„Ich habe heute Geburtstag.“
Bertha hörte auf zu kauen und starrte ihn aus dunklen Knopfaugen an.
„Ein Geburtstagskind bekommt normalerweise Geschenke, über die es sich sehr freut. Nur ich nicht.“ Emil stieß einen lauten Seufzer aus. „HOLZBRETTER habe ich bekommen!“
Vom Dach des Puppenhauses ertönte ein Piepsen, als würde Bertha lachen.
„Das ist nicht witzig!“, maulte Emil und verdrehte die Augen.
Es klopfte an der Tür und Frau Einsteins Stimme ertönte: „Liebling, es tut uns leid, kommst du bitte wieder raus? Wir wollen doch mit dir Geburtstag feiern!“
Am liebsten hätte Emil „Ich feiere nicht mehr!“ gerufen, aber stattdessen sagte er: „Ich komme gleich!“
Wieso war das Leben manchmal so ungerecht zu ihm? Wenn sein Freund Tom sich etwas wünschte, bekam er es auch. Aus einem Mountainbike-Wunsch wurde ein Mountainbike und nicht etwa eine Schreibtischlampe oder gar ein Haufen Holz!
Es klopfte wieder.
„Ich habe doch gesagt, ich komme gleich!“ Emil stöhnte und erhob sich aus dem Sessel.
Diesmal wurde die Tür trotzdem geöffnet. Eine Frau trat ein. Sie trug eine blaue Arbeitslatzhose und hatte die grauen Haare zu einem Dutt zusammengebunden. „Schwebe ich in Lebensgefahr, wenn ich dir zum Geburtstag gratulieren möchte?“
„Hallo, Frau Pfeifendeckel!“ Emil fuhr sich verlegen durch die blonden Strubbelhaare und schickte ein „Nee, natürlich nicht“ hinterher.
Frau Pfeifendeckel wohnte neben der Familie Einstein. Früher hatte sie zusammen mit ihrem Bruder eine Autowerkstatt besessen. Aber vor einem Jahr war ihr Bruder in Rente gegangen und nach Südamerika ausgewandert. Nun reparierte sie Autos und alle möglichen anderen Maschinen nur noch für ihre Freunde.
Frau Pfeifendeckel lachte. „Aber, aber, so ein trauriges Gesicht passt doch nicht zu einem Geburtstagskind! Vor allem nicht zu einem, das an einem Sonntag geboren wurde und heute SECHS Jahre alt wird.“ Sie schüttelte den Kopf, als könne sie es nicht fassen, und fuhr fort: „Und nach den Ferien kommst du schon in die zweite Klasse!“ Die ältere Dame zwinkerte ihm zu. „Dein Nachname passt perfekt zu dir!“ Einstein hatte nämlich vor langer