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Fotos: privat

Warum sehe ich anders aus?

Schon im Kindergartenalter wurde ich mit solchen Erfahrungen konfrontiert. Warum sehe ich anders aus? Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich vom Kindergarten oft traurig und voller Fragen nach Hause kam. Ich begrüßte eines Tages meinen Vater nach der Arbeit mit der Frage:

„Papa was ist ein ´Negerle´?“

Daraufhin wollte mein Vater wissen, woher ich dieses Wort hatte. Ich selber wusste nicht, was es bedeutete, aber aufgrund meines anderen Aussehens wurde ich immer so genannt. An einem anderen Tag kam ich nach Hause und fragte meine Mutter in der Küche hoffnungsvoll:

„Mama, kannst du mir Mehl auf meine Haut machen?“

Meine Mutter gab zur Antwort:

„Aber Esha, warum denn? Wir backen doch nicht.“

„Weißt du, Mama, wenn du mir Mehl auf die Haut gibst, dann sehe ich aus wie alle anderen Kinder“, erklärte ich ihr daraufhin.

Ein andermal wurde ich sogar gefragt, ob man schmutzig werden würde, wenn man mich an meiner Haut berühren würde, oder ob durch meinen Körper blaues Blut fließt. Bis heute werde ich mit diesem Thema immer mal wieder im Alltag konfrontiert. Im Jugendalter wollte ich beim Friseur grundsätzlich blonde Haare wie meine Mutter und am liebsten blaue Augen. Aber ich bin eben ein indisches Mädchen mit schwarzen langen Haaren und brauner Haut.

Immer häufiger kam ich nach der Schule traurig und niedergeschlagen nach Hause. Oft mit blutender Nase oder fehlenden Sachen. Meine schulischen Leistungen ließen nach und ich landete beim Kinder- und Jugendpsychologen. Was ein anderes Aussehen mit einem Kind anstellen kann, und was daraus folgt, kann fatal sein.

Ich erinnere mich noch ganz gut, wie ich eines Tages von der Bushaltestelle tränenüberströmt nach Hause rannte. Der Nachbarjunge fragte sich, ob bei uns jemand gestorben wäre, so sehr schluchzte ich.

Unterstützung oder Rückhalt fand ich bei niemandem. Mit den Worten meiner Eltern konnte sich meine Kinderseele nicht zufriedenstellen.

„Esha, du musst da einfach darüberstehen. Zeig doch, wie stark du bist, lass dir nichts anmerken.“

Aber wo sollte ich die Dinge hinstecken, wofür ich überhaupt keine Taschen hatte? Nach langem Hin und Her folgte ein Schulwechsel, der eine deutliche Besserung mit sich brachte. Jedoch warteten dort ganz andere Hindernisse auf mich.

Ein verliebter Junge stalkte mich über mehrere Jahre lang. Auch dies war keine einfache Zeit. Besonders wollte er mir schmeicheln, indem er von Indien erzählte oder mir heimlich kleine indische Geschenke zusteckte. Ich konnte damit jedoch überhaupt nichts anfangen. Die Ablehnung wurde immer größer.

Bis heute kommt dieses Thema immer mal wieder auf, nur eben auf eine andere Art und Weise. In der Berufsschule wurde ich plötzlich aus heiterem Himmel gefragt, ob ich denn gekauft sei, und ob meine Eltern viel Geld hätten, wenn sie zwei Kinder hätten kaufen können. Heute schaue ich schmunzelnd über solche Fragen hinweg. Gerne gebe ich in solchen Fällen auch eine passende Antwort, die ich mir über die Jahre hinweg zurechtgelegt habe. Selbstbewusst antworte ich dann:

„Siehst du den Barcode auf meiner Stirn? Da wurde ich an der Kasse abkassiert.“

Dass eine Adoption alles andere als ein Kauf ist, wissen viele Menschen nicht. Man konnte auch nicht einfach in das Kinderheim gehen und sich ein Kind aussuchen wie in einem Supermarkt.

Alle Kinder sehen aus wie ich

Für einen Tag im Jahr war ich wie alle anderen Kinder auch, dunkelhäutig und adoptiert. Keiner wurde aufgrund seiner Hautfarbe ausgeschlossen oder durfte nicht mitspielen. Doch diesen Tag gab es nur einmal im Jahr – beim Indientreffen‘.

Auch dieses Jahr war es wieder soweit, das gemeinsame „Indientreffen“ stand an. Dort schlossen sich Eltern mit indischen Adoptivkindern aus dem Holy Cross Social Service Centre Delhi zusammen.

Wir alle hatten eines gemeinsam: Wir sahen alle gleich aus und kamen alle aus dem gleichen Heim. Dieses Treffen wurde vom Jugendamt in Konstanz organsiert. Es war schon zur Routine geworden und zum Highlight des Jahres. Ich freute mich immer auf diesen schönen Tag. Meine Spielgefährtin stand von Anfang an schon fest. So hatte es das Leben gewollt.

Das Mädchen, mit dem ich mich gleichzeitig im Kinderheim befunden hatte, war auch hier zu meiner besten Freundin geworden. Seit meiner Ankunft in Deutschland hatten wir und unsere Eltern regelmäßigen Kontakt. Wir beide waren zeitgleich das Wunder. Zwei indische Gesichter schauten damals aus den Kinderwagen deutscher Eltern. Beide Kinder von den Straßen Indiens.

Das Indientreffen fand immer am Bodensee statt. Für uns Kinder kam ein Clown und mit ihm viele weitere Spielattraktionen. Niemand wurde ausgeschlossen. Wir waren wie Schicksalsgenossen und machten sehr gerne alles zusammen.

Sapna, meine Schwester war anfangs noch zu klein – später wurden wir zum Trio. Wir waren die drei Mädels aus dem Kinderheim. Ein Schicksal und eine Verbindung für immer. Ganz egal, wohin uns der Weg auch führte und wie das Leben seinen Lauf nehmen würde. Denn eines hatten wir gemeinsam: Wir gingen von Anfang an alle auf die gleiche Reise.

Ein unverhofftes Team

Weg vom Schulstress und der schrecklichen Grundschulzeit. Die Sommerferien standen endlich an. Das bedeutete für mich sechs Wochen Ruhe und keine Hänseleien. Wie jedes Jahr um diese Zeit fuhren wir meistens für zwei Wochen in den Urlaub. Dieses Jahr stand ein Wanderurlaub in Österreich an. Ich mit meinen zehn Jahren und meine kleine Schwester freuten uns darüber, in die Berge zu fahren. Denn meistens reisten wir in die Toskana auf ein Weingut mit Tieren. Doch dieses Jahr stand ein anderes Ziel auf dem Plan.

Nach langer Autofahrt wurde der Familienwagen endlich im Parkhaus des Hotels abgestellt. Wir stiegen aus und machten aus der Ferne schon die Begegnung mit zwei Mädchen, die mir und meiner Schwester verblüffend ähnlich sahen, dahinter folgten zwei hellhäutige Menschen. Mutter und Vater. Genauso wie bei uns. Wir wechselten unsere ersten Blicke aus und waren überrascht. Selten sieht man diese Menschenkonstellation außerhalb unseres ‚Indientreffens‘.

Was dieser Urlaub noch mit sich bringen würde, wussten wir bei unserer Ankunft noch nicht. Doch ein Tag später war das Eis zwischen uns schon gebrochen. Immer wieder begegneten wir uns im Hotel und freundeten uns an – was nicht schwer ist, wenn man gleich aussieht. Die Familie kam aus Belgien und sprach Niederländisch. Wir wurden zu viert ein gutes Team. Gleiches Alter und gleiches Aussehen. Doch das war nicht alles, was uns verband. Auch diese beiden Mädchen waren aus Indien adoptiert worden. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Unsere Eltern saßen jeden Abend zusammen, während wir vier Mädchen miteinander spielten.

Verständigen konnten wir uns, obwohl wir nicht die gleiche Sprache miteinander sprechen konnten. Die Kinder konnten kein Wort Deutsch und Sapna und ich kein Niederländisch. Da hatten es unsere Eltern schon einfacher, die sich alle auf die deutsche Sprache einigen konnten. Das Sprachproblem hielt uns Kinder dennoch nicht davon ab, uns toll zu verstehen. Wir hatten das gleiche Schicksal, wir sahen uns ähnlich, und wir waren alle in einem Alter. Da konnte einfach nichts schiefgehen!

Den ganzen Urlaub verbrachten wir mit gemeinsamen Ausflügen und Unternehmungen. Am Abend schlichen wir Kinder uns in das Nachbarhotel. Dort gab es ein riesiges Trampolin und ein Spieleparadies für alle. Nach dem Abendessen, das jede Familie für sich einnahm, stellte meine Schwester stets die gleiche Frage:

„Mama und Papa, darf ich zu den zwei braunen Mädchen spielen gehen?“

Meiner Schwester ist es nicht aufgefallen, dass sie selbst auch ein ‚braunes Mädchen‘ war. Meine Eltern schmunzelten darüber. Bis heute amüsieren wir uns über diese Aussage.

Auch noch Jahre später besuchen wir uns nach dem Urlaub gegenseitig. Der Kontakt zur belgischen Familie besteht bis heute. Eine Freundschaft wurde geschlossen, ab der ersten Minute.