Warum sollte man Obst oder Gemüse dörren? Nun, dafür gibt es hunderte Gründe. Manchmal geht es darum, dass die Ernte aus dem Garten nicht verschwendet werden soll, manchmal will man Proviant möglichst platzsparend auf eine Wanderung mitnehmen. Nicht selten benötigt man eine Zutat für ein bestimmtes Gericht in der getrockneten Form.
Für mich war immer der wichtigste Grund der einfachste Grund: Jedes getrocknete Obst, jedes getrocknete Gemüse schmeckt anders, intensiver, aufregender als das frische Pendant. Dörren macht aus jeder Sorte ein neues Geschmackserlebnis. Es macht einen Apfel nicht „besser“, wenn man ihn dörrt, aber er schmeckt wie eine gesunde Süßigkeit.
Fast alle Obst- und Gemüsesorten lassen sich trocknen. Manche besser (fast alle in diesem Buch zu finden), manche etwas schlechter (manche in diesem Buch zu finden). Auch der Schwierigkeitsgrad schwankt. Manche Sorten benötigten zwingend eine Vorbehandlung, sei es in Form von Kochen oder einer anderen Methode, manche Sorten können wie sie sind in den Dörrautomaten gegeben werden.
Apropos Dörrautomat. Keine Sorge, er ist für keines der Rezepte in diesem Buch Pflicht. Genauso gut kann man meistens im Backofen dörren. Trotzdem ist ein Dörrautomat eine lohnende Investition, gerade wenn man häufiger dörrt, einerseits aus energetischen Gründen, andererseits gelingen die meisten Dörrvorgänge im eigenen Gerät einfach besser, gelingsicherer.
Egal, weswegen du dörrst, ich hoffe, dieses Buch wird dir helfen, Obst & Gemüse richtig zu dörren, auf das es dir genau so viel Freude bereitet, wie es das mir tut.
Gutes Gelingen wünscht
Till Steinbrenner
Bist du bereit endlich loszulegen? Bevor du dich in das Dörren stürzt, soll dich dieses Kapitel auf das „erste Mal“ vorbereiten. Hier erfährst du alles, was du vor dem ersten Dörren wissen solltest und was dir hoffentlich auch danach gute Dienste leistet. Dadurch gewinnst du nicht nur Sicherheit im Prozess selbst, sondern stellst auch sicher, dass dein erster Dörrversuch von Erfolg gekrönt ist.
Ein wenig weißt du bestimmt über die Funktionsweise des Dörrens. Aber was genau macht einen erfolgreichen Dörrvorgang aus? Vier Erfolgsfaktoren sind entscheidend.
Du wirst im späteren Verlauf dieses Buchs detaillierte Beschreibungen mit genauen Zeit- und Temperaturangaben finden. Wenn eine Vorbehandlung von Nutzen ist, wirst du darauf hingewiesen. Trotzdem können deine eigenen Erfahrungen davon abweichen. Das kann am Dörrautomaten selbst liegen (wie genau er die Temperatur hält oder wie gut die Luftzirkulation funktioniert), aber auch am Reifegrad, der Dicke oder dem Wassergehalt des Ausgangsprodukts.
Um zu verstehen, warum der Dörrprozess so lange Zeit benötigt, hilft es uns vorzustellen, wie die enthaltene Flüssigkeit aus dem Lebensmittel weicht. In der Regel muss die Flüssigkeit, egal ob im Kern oder einer anderen Schicht, durch das Lebensmittel an die Oberfläche getragen werden. Ist es einmal an der Oberfläche, kann es von der Wärme und der Luftzirkulation hinfort getragen werden. Es ist diese Reise an die Oberfläche, die die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Diese Reise wird der Flüssigkeit durch Diffusion ermöglicht. Diffusion ist ein selbstständiger Prozess, der dafür sorgt, dass die Konzentration (in diesem Fall von Flüssigkeit) ausgeglichen ist. Wird also Flüssigkeit an der äußeren Fläche entfernt, tritt die Diffusion in Kraft, wodurch sich die Flüssigkeit vom Kern ihren Weg weiter nach außen bahnt.
Diese Erkenntnis macht deutlich, warum selbst kleinste Unterschiede in der Dicke des Dörrguts massive Auswirkungen auf die Dörrzeit haben. Dickere Stücke (egal von Obst oder Gemüse) benötigen eine sehr lange Trocknungsphase, dünnere Stücke eine kürzere. Dabei ist es keinesfalls eine linear ansteigende Kurve, bei der doppelte Dicke zu doppelter Dörrzeit führt. Die Kurve steigt exponentiell und ist sehr steil. Was ist also die richtige Dicke? Wichtiger als diese Frage ist jedoch, dass die zu trocknenden Lebensmittel alle dieselbe Dicke aufweisen. Die falsche Dicke gibt per se nicht. Wer trotzdem nach einem Richtwert sucht, wird feststellen, dass ich in diesem Buch häufig empfehle, als Dicke 0,5 Zentimeter zu verwenden. Das ist meiner Meinung nach ein guter Kompromiss zwischen relativ schneller Dörrzeit und einfacher Verarbeitung. Generell gilt, je mehr Oberfläche im Verhältnis zur Dicke, desto schneller die Dörrzeit.
In den meisten Dörrautomaten wird das Lebensmittel auf Dörretagen, ähnlichen einem Backofenrost, getrocknet. Diese werden dann entweder aufeinandergestapelt oder, wenn es ein Dörrautomat mit Einschubsystem ist, übereinander geschoben. Besonders wichtig ist es, dass die zu trocknenden Lebensmittel gleichmäßig auf den Dörretagen verteilt werden und sich nicht berühren. Wenn möglich sollte die gesamte Oberfläche Luftkontakt haben, um eine gleichmäßige Trocknung zu garantieren. Wird eine Dörrfolie verwendet, ist es meistens empfehlenswert, dass Dörrgut nach der Hälfte der Zeit zu wenden.
Einige Dörrgeräte haben keine gleichmäßige Temperatur und Luftzirkulation auf den einzelnen Etagen. Das resultiert häufig in eine ungleichmäßige Trocknung. Dieses Problem tritt häufiger bei Dörrautomaten mit einem Stapelsystem auf (hier vor allem oben und an den Seiten), kann aber auch bei Dörrautomaten mit Einschubsystem (hier oftmals vorne) auftreten. Dieses Problem lässt sich in der Regel einfach beheben, indem man alle paar Stunden die Reihenfolge der Dörretagen verändert. Das sogenannte „Umstapeln“ ist gerade bei günstigeren Dörrautomaten die Regel. Es erfordert ein paar Dörrvorgänge, bis man diese Eigenarten des eigenen Dörrgeräts versteht und entgegenwirken kann.
Zeit ist ein zentraler Faktor im Dörrprozess. Nicht selten benötigt ein Dörrvorgang zehn Stunden und länger. Natürlich ist der Zeitfaktor eng verknüpft mit der Luftzirkulation und der Temperatur. Ein natürlicher Instinkt ist es, die Temperatur zu erhöhen und so den Dörrprozess zu beschleunigen. Das ist in der Regel nicht zu empfehlen. Manche Lebensmittel reagieren empfindlich auf höhere Temperaturen, verlieren gar an Geschmack und Nährstoffen. Es kann sogar kontraproduktiv sein, denn manche Lebensmittel bekommen bei zu hohen Temperaturen eine sehr ledrige Oberfläche, durch die nur schwer Wasser vom Inneren an die Oberfläche diffundieren kann.
Einige Ratgeber empfehlen, das zu dörrende Lebensmittel in der ersten Stunde bei einer höheren Temperatur zu dörren und erst nach und nach die Temperatur zu reduzieren. Tatsächlich kann eine höhere Anfangstemperatur die Dörrzeit reduzieren. Am Anfang ist der Wassergehalt sehr hoch und die Verdunstung und Diffusion kommt nur schwer in Gang. Allerdings ist es nicht trivial, die Temperatur zur richtigen Zeit anzupassen. Stellt man die Temperatur zu spät herunter, fügt man dem Dörrgut teils irreparablen Schaden zu. Deswegen verzichte ich in diesem Buch auf derlei Manöver. Es ist einfacher und sicherer, bei nur einer Temperatur zu dörren.
Wie schon erwähnt braucht es für das Dörren zirkulierende, sich bewegende Luft. Steht die Luft, kann die Flüssigkeit trotz hoher Temperatur nur schwer das Dörrgut verlassen. Die meisten Dörrgeräte verwenden einen Ventilator, um die Luft im Gerät zirkulieren zu lassen. Dieser Ventilator lässt sich in der Regel nicht selbst anpassen. Man ist darauf angewiesen, dass er von Werk aus korrekt justiert wurde. Ist die Luftzirkulation korrekt eingestellt, zirkuliert die Luft ständig über die feuchte Oberfläche des Dörrguts, was den Trocknungsprozess beschleunigt, da die Feuchtigkeit besser an die Umgebungsluft abgegeben werden kann.
Die Luftzirkulation ist laut Labortests fast ebenso wichtig, wie die korrekt eingestellte Dörrtemperatur. Eine hohe Temperatur alleine genügt kaum, um ein Lebensmittel korrekt zu trocknen. Nur die Kombination zwischen Luftzirkulation und Temperatur entfaltet ein gutes Dörrklima.
Wenn das zu dörrende Lebensmittel in ein Dörrgerät gelegt wird, ist die Oberfläche oft sehr feucht. Es kann sehr lange dauern, bis diese erste, sehr feuchte Schicht entfernt wurde und mit dem eigentlichen Dörrprozess begonnen werden kann. Deswegen ist meine Empfehlung, bei jedem Dörrprozess das Dörrgut einerseits so gut es geht abtropfen zu lassen, anderseits mit einem Tuch die Oberflächen trockenzutupfen. Das beschleunigt den Dörrprozess. Neben einer gleichmäßigen, nicht zu großen Dicke (um die Diffusionszeit der Flüssigkeit vom Kern an die Oberfläche gering zu halten), ist diese Methode mit der größte Faktor für eine Zeitersparnis.
Fast alle Lebensmittel lassen sich trocknen. Manche davon mehr, manche davon weniger einfach. Es gibt allerdings auch Nahrungsmittel, von denen zumindest Heimanwender die Finger lassen sollten.
Für Anfänger eignen sich besonders einfach zu verarbeitende, einfach zu trocknende Früchte. Äpfel sind ein gutes Obst, um die ersten Dörrversuche zu starten, sei es als dünne Chips oder dickere Scheiben. Hierbei lernt man auch gut, welch große Unterschiede es bei verschiedenen Dicken es gibt.
Schwieriger zu dörren ist fast jedes Nahrungsmittel mit einem hohen Fettanteil etwa fettiges Obst wie etwa Avocados. Der Grund liegt darin, dass Fett beim Trocknen schnell ranzig wird. Das führt zu Geschmacksveränderungen und zu einer verminderten Haltbarkeit.
Alles Obst und alles Gemüse enthalten Enzyme, die verschiedene, natürliche Reaktionen (etwa die Veränderung der Farbe) beschleunigen. Enzyme sind nichts anderes als Reaktions-Katalysatoren. Enzyme arbeiten auch, nachdem die Frucht oder das Gemüse geerntet wurden: Eine Banane etwa wird grün geerntet, auf dem Transport nach Deutschland oder im Laden langsam gelb und Letzten Endes braun. Sofern diese Enzyme weiter am Werk sind, wird das Nahrungsmittel sich weiter verändern, sich Bakterien vermehren und das Lebensmittel früher oder später schlecht werden.