Impressum
© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-162-3
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Die Schätze locken sie – und sie haben keine Skrupel …
Er hieß Robinson und war Engländer. Die Crew des schwarzen Viermasters unter ihrem Kapitän Thorfin Njal hatte ihm allerdings einen anderen Namen gegeben, nämlich Muddy, und das war bezeichnend für diesen Mann. Er liebte weder Wasser noch Seife, und Reinlichkeit war für ihn ein Fremdwort.
Zur Zeit saß er zwei Wochen harten Arrest in der Vorpiek des Viermasters ab.
Zu dieser Strafe hatte ihn Kapitän Njal verdonnert, weil er als Ankerposten während der Mittelwache geschlafen hatte. Muddy war weit davon entfernt, Einsichten zu haben – zum Beispiel die, daß ein Gegnerin den Stützpunkt der Korsaren an der Cherokee-Bucht eindringen konnte, wenn ein Mann auf Wache schlief.
Er fühlte sich zu Unrecht bestraft und hatte in den zwei Wochen, in denen er in sich gehen sollte, nichts Besseres zu tun, als etwas ganz Übles auszubrüten …
Robinson – genannt Muddy, büßt zwei Wochen harten Arrest in der Vorpiek des Schwarzen Seglers ab, aber ob er geläutert ist, scheint fraglich.
Mißjöh Buveur – wer ihn zum Saufen einlädt, der ist sein Kumpel – und sollte es der Teufel persönlich sein.
Thorfin Njal – der Wikinger verabscheut die neunschwänzige Katze, aber dann ergreift er sie doch.
Barry Winston – entdeckt morgens nach vier Uhr, daß der Ankerposten verschwunden ist, und schlägt Alarm.
Edwin Shane – genannt Eddy; der fünfjährige Sohn der O’Flynns erlebt eine böse Überraschung, aber die wirft ihn nicht um.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Cherokee-Bucht an der Ostküste der Bahamainsel Great Abaco, 15. April 1600.
Am Morgen dieses Tages hatte Muddy seine vierzehn Tage harten Arrest hinter sich gebracht. Harter Arrest bedeutete, daß er nur mit Wasser und Brot verpflegt worden war. Und er hatte eine halbe Stunde lang jeden Tag frische Luft an Deck des Viermasters schnappen dürfen.
In dieser Zeit an Deck hatte man ihn zwar im Auge behalten, aber niemand hatte mit ihm gesprochen. Man mied seine Nähe, denn er stank mal wieder. Das Sprechverbot hatte der Wikinger angeordnet, aber im Grunde erübrigte sich das, denn über was sollte man sich schon mit einem Kerl unterhalten, der die Muffigkeit in Person war.
An diesem Morgen nun hatte die Crew des Schwarzen Seglers auf der Kuhl eine hölzerne Waschbalje bereitgestellt. Dazu gehörten Schmierseife und verschiedene Wurzelbürsten. Auch das hatte Thorfin Njal, der Wikinger, befohlen. Er meinte in einem Anflug von Optimismus, Muddy würde beim Anblick der Reinigungsutensilien von selbst endlich einmal die glorreiche Idee haben, sich einer gründlichen Körperwäsche zu unterziehen.
Das wäre, so hatte der Wikinger erklärt, bei Muddy dann immerhin als ein äußeres Zeichen der Läuterung zu betrachten. Bei dieser hoffnungsfrohen Ansicht vergaß Thorfin Njal offenbar, daß die vielen gewaltsamen Reinigungskuren, welche die Crew dem Schmierlappen hatte angedeihen lassen, für die Katz gewesen waren. Einen eigenen Drang zur Sauberkeit hatten sie bei Muddy jedenfalls nicht hervorgebracht. Einige aus der Wikinger-Crew unkten bereits, dieses Ferkel lege es darauf an, von der Mannschaft abgeschrubbt zu werden, weil er selbst zu faul sei, diese Prozedur vorzunehmen.
Sei dem, wie es wolle – an diesem sonnigen Morgen entriegelte der Boston-Mann das Schott zur Vorpiek, um Muddy zu verkünden, daß die zwei Wochen Arrest abgesessen seien. Der Boston-Mann – er stammte aus Boston in England, und sein richtiger Name war nicht bekannt – redete nie viel und war eher als schweigsam zu bezeichnen.
Arrestanten pflegten in der Regel die Stunde ihrer Entlassung voller Ungeduld zu erwarten und schon bereitzustehen, um so schnell wie möglich ihren tristen Gewahrsam hinter sich zu lassen.
Nicht so Muddy. Der schnarchte weiter, obwohl ihn das Entriegeln und Knarren des Schotts hätte hochscheuchen müssen.
Ein Ausdruck des Grimms huschte über das scharfgeschnittene, kühne Gesicht des Boston-Mannes. Der Kerl pennte also noch, dabei war die neunte Morgenstunde längst vorüber, ebenso das Backen und Banken der Mannschaft. Im übrigen roch es in der Vorpiek wie in einem Schweinekoben, und der Boston-Mann rümpfte angewidert die Nase.
Entgegen der Ansicht seines Kapitäns glaubte der Boston-Mann sowieso, daß zwei Wochen Arrest bei Wasser und Brot kaum das geeignete Mittel waren, eine Wildsau in ein appetitliches Borstenvieh zu verwandeln. Im stillen – und da wußte sich der Boston-Mann mit der Mehrheit der Crew einig – war er davon überzeugt, daß sich Muddy niemals verändern würde – ganz im Gegenteil, allmählich wurde er zu einer Belastung, möglicherweise zu einer Gefahr für den Bund der Korsaren.
Er stieß den Kerl mit dem Fuß an und knurrte: „Raus mit dir!“
Muddy gab einen Grunzlaut von sich, wälzte sich auf die andere Seite und schien weiterpennen zu wollen. Der Boston-Mann verhinderte es – dieses Mal kräftiger mit einem Fußtritt.
Muddy fuhr hoch, erkannte den Boston-Mann, und sein Blick wurde tückisch.
Der Boston-Mann deutete mit dem linken Daumen über die Schulter und sagte kurz und knapp. „Raus! Deine Zeit ist um.“
„Was für ’ne Zeit?“ erkundigte sich Muddy in ziemlich pampigem Ton.
„Dein Arrest.“
„Ach so.“ Muddy gähnte, kratzte sich im Nacken und schien unschlüssig, ob er aufstehen solle.
In dem Boston-Mann stieg die Wut hoch, und er fauchte: „Wenn du deinen Arrest verlängern willst – bitte sehr. Von mir aus bleib hier, bis du in deinem eigenen Dreck erstickt bist.“ Er wollte das Schott wieder zuschlagen, aber Muddy schnellte hoch und flitzte an ihm vorbei und zu dem Niedergang, der zur Kuhl hochführte.
Der Boston-Mann fluchte und folgte ihm, allerdings gemächlich, so daß er nicht mitkriegte, was sich jetzt auf der Kuhl abspielte.
Dort hatte sich der größte Teil der Crew versammelt. Der Wikinger saß ausnahmsweise nicht auf seinem „Sesselchen“, dem Holzthron, der fest auf dem Achterdeck verschraubt war, sondern lehnte an der vorderen Querbalustrade, die das Achterdeck abschloß, die Ellenbogen gemütlich auf dem Handlauf abgestützt. Sein Gesicht zeigte ein wohlwollendes Grinsen. Er wirkte wie Gottvater am Himmelsfenster, der hinunter auf die Erde schaut, wo seiner Meinung nach alles seine Ordnung hat.
Direkt unter ihm stand die Waschbalje, gefüllt bis zum Rand mit klarem Süßwasser aus der Inselquelle. Seine Kerle hatten sich am Backbord- und Steuerbordschanzkleid auf der Kuhl aufgebaut und linsten wie er zu dem Niedergang am achteren Abschluß der Back, der in die Räume des Vorschiffs hinunterführte.
Dort tauchte der Schmuddelmann Muddy auf, verharrte kurz und blinzelte in das helle Sonnenlicht, das ihn zunächst blendete. Dann entdeckte er die Waschbalje sowie den danebenstehenden Schemel, auf dem sich eine Schale mit Schmierseife, die Wurzelbürsten und sogar ein Handtuch befanden.
Er fluchte lästerlich, warf sich herum und verschwand wieder im Niedergang.
„Hiergeblieben, Robinson!“ donnerte der Wikinger. Sein wohlwollendes Grinsen war sozusagen vereist, seine These von der Läuterung des Schweinehirten wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Zornesröte flammte über sein Gesicht.
Dafür grinsten jetzt seine Kerle, insbesondere jene, die diesen Ablauf vorausgesagt hatten und somit klüger gewesen waren als ihr Kapitän.
Bei Muddy selbst standen die Ohren wieder mal auf Durchzug, das heißt, er ignorierte den Befehl seines Kapitäns. Er polterte bereits den Niedergang hinunter, auf dem inzwischen der Boston-Mann nach oben stieg.
Eine Ramming war unvermeidlich, und die schlechteren Karten hatte der Boston-Mann. Wer bergan steigt, hat in der Regel das Nachsehen, wenn von oben etwas wie eine Lawine auf ihn niederbricht.
Muddy nahm auch keine Rücksichten. Er überrannte den Boston-Mann einfach und stürzte mit ihm gemeinsam den Niedergang hinunter. Geschickterweise hielt er sich an ihm fest und benutzte ihn als Landekissen, während der Boston-Mann beim Rücklingssturz mit dem Kreuz unsanft auf die Planken schlug und sich gleichzeitig auch noch den Hinterkopf an dem eisenharten Holz stieß.
Der Boston-Mann konnte einiges wegstecken. Trotzdem schwanden ihm für einige Minuten die Sinne. Muddy lachte höhnisch, wälzte sich von dem Boston-Mann, sprang auf und flitzte in die Segelkammer. Zwischen Segeltuchballen versteckte er sich.
Oben an der Querbalustrade dröhnte der Wikinger: „Holt den Kerl wieder an Deck – und dann ab mit ihm in die Waschbalje!“
Eike, der sich in der Nähe der Waschbalje befunden hatte, drehte sich zu dem Wikinger um. Er, Olig, Arne und der Stör bildeten eine Art Garde in der Crew und waren die unmittelbaren Gefolgsleute Thorfin Njals. Wie er waren sie in Felle gekleidet und trugen um die Waden geschnürte Riemensandalen, allerdings keinen Helm wie der Wikinger. Sie waren ausgezeichnete Seeleute und harte, verwegene Kämpfer.
Eike blickte furchtlos zu seinem Kapitän hoch und sagte: „Davon rate ich ab. Wenn wir den Kerl suchen, wird mal wieder die ganze Mannschaft in Trab gebracht – nur wegen dieses Ferkels. Ich schlage vor, alle sechs Ausgänge an Deck werden von je einem Mann besetzt. Irgendwann zeigt sich Muddy, denn vermutlich wird er als erstes die ‚Rutsche‘ ansteuern wollen, um nachzuholen, was er zwei Wochen lang versäumen mußte. Sobald er sich zeigt, wird er vereinnahmt und in die Balje gestopft.“
„In Ordnung“, sagte der Wikinger. „Hast recht, Eike. Bitte schau nach, wo der Boston-Mann steckt. Der müßte längst wieder an Deck sein.“
Die sechs Ausgänge wurden besetzt, Eike stieg den Niedergang hinunter.
Am Fuß des Niedergangs lag der Boston-Mann. Ein eisiger Schreck durchfuhr Eike – und gleich darauf Wut. Wenn der Schweinebastard den Boston-Mann umgebracht hatte, dann war er fällig für die Hochzeit mit des Seilers Tochter.
Eike hatte einen unbestechlichen Blick für schräge Typen und schon oft prophezeit, daß es mit Muddy ein schlimmes Ende nehmen werde. Insofern gehörte er auch zu den kompromißlosen Gegnern des Mannes namens Robinson. Er traute ihm nicht über den Weg und betonte immer wieder, der Kerl habe in der Crew des Schwarzen Seglers nichts zu suchen.
Jetzt beugte er sich hastig über den Boston-Mann, fühlte nach dem Puls der linken Hand und atmete auf, als er das Klopfen spürte. Eine flüchtige Untersuchung ergab, daß der Boston-Mann eine Beule und Platzwunde am Hinterkopf hatte.
Eike brauchte nur zwei und zwei zusammenzuzählen, und der Hergang war klar. Der Boston-Mann hatte den Halt verloren und war den Niedergang hinuntergestürzt, als Muddy die Flucht zurück angetreten hatte. Der Mistkerl hatte den Boston-Mann einfach über den Haufen gerannt, ihn bedenkenlos liegenlassen und war in einem Versteck verschwunden.
Es war zum Auf-die-Toppen-Klettern mit diesem Schmierlappen!
Eike unterfing den Boston-Mann unter den Knien und Achseln, wuchtete ihn hoch und trug ihn den Niedergang nach oben auf die Kuhl.
Die Männer starrten zu ihm – Entsetzen in den Augen.
„Ist er …?“ stieß der Wikinger hervor.
„Nein!“ unterbrach ihn Eike hart. „Er ist ohne Bewußtsein. Holt eine Decke, verdammt noch mal!“
Die war schnell herbeigeschafft. Eike bettete den Boston-Mann bei der Waschbalje, schob ihm das zusammengeknüllte Handtuch unter den Kopf, nahm einen Waschlappen, der ebenfalls auf dem Schemel gelegen hatte, und säuberte die Platzwunde am Hinterkopf. Dann legte er den nassen Waschlappen dem Boston-Mann über die Stirn.
Die Männer, auch der Wikinger, versammelten sich um ihn.
„Was ist los?“ knurrte der Wikinger.
Eike schaute zu ihm hoch und sagte erbittert: „Was schon? Er hat den Boston-Mann auf dem Niedergang umgerannt und ist in irgendein Versteck getürmt. Die zwei Wochen Arrest, Kapitän, hast du in den Sand gesetzt, damit das klar ist. Demnächst wird sich der Kerl auch einen Mord leisten – und dann sage keiner, er habe diesen Mister Robinson immer für einen Ehrenmann gehalten. Der Kerl taugt nichts, begreif das endlich!“
Der Wikinger runzelte die Stirn und wollte etwas erwidern, aber da kam der Boston-Mann zu sich – und wie! Er schnellte hoch, blickte sich wild um und knurrte: „Wo steckt der Kerl? Dem schlag ich die Klüsen dicht …“ Dann taumelte er etwas, straffte sich aber sofort, spreizte die Beine und stand wie ein Baum.
Er tastete nach seinem Hinterkopf und murmelte: „Hat mich auf dem Niedergang erwischt, der Hundesohn. Bin nach hinten gekracht und mit dem Kopf aufgeschlagen – aus. Wo ist er?“
„Verschwunden“, sagte Eike lakonisch.
„Der Kerl pennte noch, als ich ihn rauslassen wollte“, erinnerte sich der Boston-Mann. „Das muß man sich mal vorstellen! Ich purrte ihn hoch und bot ihm an, in der Vorpiek zu bleiben, bis er an seinem eigenen Dreck erstickt. Da flitzte er raus.“ Er blickte Eike an. „Verschwunden, sagst du? Er könnte in der Segelkammer stecken. Die liegt dem Niedergang am nächsten.“
Er hatte kaum ausgesprochen, da war Eike schon auf dem Weg zum Niedergang und Sekunden später verschwunden.
Er stieg leise hinunter, schlich zum Schott der Segelkammer und legte das Ohr an den soliden Zugang zu der Kammer, in der alles aufbewahrt wurde, was mit den Segeln zusammenhing: Segeltuch verschiedener Stärken, Lieken zum Einfassen der Segelkanten, Gattchen zur Umkleidung von Löchern, Takelgarn, Segelnadeln aller Größen und Stärken, Wachs, um Takelgarn geschmeidig zu machen, diverse Segelhandschuhe und so fort.
Tatsächlich hörte er ein Rumoren in der Kammer. Dann tappten Schritte zu dem Schott und verhielten dort. Einige Minuten verstrichen.
Der Kerl überlegt, ob er sein Versteck wechseln soll, dachte Eike. Oder er will die Lage peilen, um sich möglichst bald an Land zu verholen, natürlich zur „Rutsche“ zwecks Befeuchtung seiner Kehle. Muddy war häufig betrunken. Nur einer aus der Crew war dem Suff noch mehr verfallen als er: Mißjöh Buveur, der Obersaufbold der Wikinger-Mannschaft. Mit dem nimmt das auch kein gutes Ende, dachte Eike in diesem Moment.
Hinter dem Schott war ein unterdrücktes Husten zu vernehmen – letzter Beweis dafür, daß Muddy dort stand. Das Husten und Räuspern gehörte zu ihm wie der Miefgeruch. Der Kutscher der Arwenacks hatte mal gesagt, der Kerl habe es auf der Lunge. Tatsächlich war das Husten in den letzten Jahren eher stärker als schwächer geworden. Tagsüber konnte man es überhören, aber nachts war es mehr als lästig, weil es den Schlaf der anderen störte …
Langsam und vorsichtig wurde das Schott aufgedrückt. Eike spannte sich und trat etwas zurück.