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Liebe ohne Hiebe

Der Weg zu harmonischen Familienbeziehungen

Annette Böhm und Ekkehard von Braunmühl

Vor dem Anfang

Ein Interview als Vorwort

Ihr habt euch die Aufgabe gestellt, in diesem Buch auf ein paar alte Fragen neue Antworten zu geben. Was sind das für Fragen?

Es sind die alltäglichen Fragen der Lebenskunst: Wie schaffe ich es, in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren, den Überblick zu behalten, nichts zu tun, was ich später bereue? Oder: Wie kann ich sicher sein, als Mutter oder Vater für meine Kinder wirklich das Beste zu tun, ohne mich aufzuopfern und ausbeuten zu lassen? Oder: Wie kann ich aus meinen Beziehungen, besonders den engen, wichtigen, jede Art von Grobheit und Gewalt zuverlässig fernhalten?

Beantwortet ihr auch die Frage, wie das bei Eltern-Kind-Beziehungen geht? Gerade hier sind ja seelische und körperliche Gewaltakte nicht selten an der Tagesordnung.

Wir wissen natürlich, daß es viele gewaltbereite Eltern gibt. Wir wollen sie aber nicht verurteilen oder auch nur beschuldigen und anklagen. Diejenigen, die mit voller Überzeugung ihre Kinder unterdrücken, kleinhalten oder kleinkriegen wollen, lassen wir links liegen. Stattdessen …

Die lesen euer Buch ohnehin nicht!

Ist das so sicher? Wir halten sie jedenfalls nicht für böswillig. Wir vermeiden bloß, mit ihnen zu argumentieren, weil wir einen besseren Weg gefunden haben, dieses Thema anzugehen. Der Ausgangspunkt ist eine Frage, die viele Eltern heute bewegt. Sie möchten gern auch in der Erziehung auf körperliche Gewalt und seelisch verletzende Maßnahmen verzichten, stellen aber fest, daß ihnen das nicht immer gelingt. In bestimmten Situationen reißt ihnen der Geduldsfaden, gehen ihnen die Nerven durch, rutscht ihnen die Hand aus.

Dagegen ist kein Kraut gewachsen!

Kein Kraut, das stimmt. Wir haben aber ein paar Ideen gefunden, mit deren Hilfe man gar nicht erst in solche Situationen kommt. Und diese Ideen sind auch dann nützlich, wenn man bereits eingefahrene Machtbeziehungen wieder in Liebesbeziehungen zurückverwandeln will. Es ist nämlich nie zu spät.

Wenn man weiß, wie das geht!

Natürlich. Deshalb haben wir das Buch geschrieben. Und deshalb laden wir auch Menschen zur Lektüre ein, die jetzt noch fest überzeugt sind, daß »es« nicht ohne Gewalt und Grobheiten geht. Denn diese Menschen machen sich das Leben unnötig schwer. Wir greifen sie nicht an und wollen sie nicht bekehren, aber wenn sie neugierig genug sind, bekommen sie durch unser Buch vielleicht Lust, zusätzlich zu ihrer Denkweise auch einmal mit neuen Gedanken und Möglichkeiten zu spielen. Das Leben kann viel schöner sein, als die gewaltbereiten Menschen es zu träumen wagen.

Behandelt ihr nur die Frage nach einem schönen Privatleben oder denkt ihr auch in größeren Zusammenhängen? Wir leben ja in einer kritischen Zeit.

Es sind die gleichen Prinzipien, mit denen ich dafür sorgen kann, daß ich im seelischen Gleichgewicht bleibe, in guten, stabilen, liebevollen Beziehungen leben kann und außerdem noch vernünftig an die großen Menschheitsfragen herangehe. Die Ideen unseres Buches sind also für alle Menschen interessant, denen der eigene Seelenfrieden, der Frieden zwischen Menschen und der Frieden zwischen Mensch und Natur sympathischer ist als der Kampf aller gegen alle, sei es im Privatleben, in der Politik, in der Wirtschaft, im Umgang mit der Umwelt, in allen Bereichen des Lebens.

Zeigt ihr auch einen Weg, wie man gesellschaftlichen Problemen wie Jugendgewalt, Drogenmißbrauch, Kriminalität, Parteienzank, Orientierungsverlust und so weiter wirksamer als bisher Vorbeugen und begegnen kann?

Ja. Die Ideen dieses Buches sind in allen Bereichen des menschlichen Lebens von Nutzen, wenn man sie nutzt.

Warum hat euer Buch als Einleitung ein »Vorspiel«?

Wir denken, das könnte nützlich sein, um erst einmal Abstand vom Alltag zu gewinnen. Wir geben ja keine flink konsumierbaren, oberflächlichen Tips. Das Vorspiel soll dazu beitragen, daß sich eine entspannte Atmosphäre einstellen kann, daß die spielerische Phantasie aktiviert wird. Es nimmt den Bierernst, mit dem wichtige Themen sonst oft besprochen werden, ein bißchen auf die Schippe. So wie wir beide miteinander reden und manchmal sogar herumalbern, wird – hoffentlich – von Anfang an glaubhaft, daß wir niemandem zu nahe treten und keine unangenehmen Wahrheiten verkünden, sondern daß wir nur gute Nachrichten im Angebot haben, eben zusätzliche Möglichkeiten, mit denen gedanklich zu spielen sich lohnt. Deshalb haben wir in Form und Stil versucht, Lockerheit und Abwechslung in das Buch zu bringen. Das Lesen soll auch Spaß machen.

Glaubt ihr, daß euch das gelungen ist?

So eine beknackte Frage! Wie sollen wir das wissen? Sicher ist nur, daß wir selbst die gute Laune nicht verloren haben. Aber wir versprechen euch: Wenn wir etwas zustande gebracht haben, an dem nichts mehr verbessert werden könnte, sagen wir euch als ersten Bescheid.

Die Firma dankt.

Das Interview führten: A. B. & EvB.

Vorspiel: Ein Individuum

Märchen mit Happy-End

Es war einmal ein Individuum, das hatte drei Kinder. Aber eines Tages, da war’n es nur noch zwei. Das älteste Kind war an einem Blutgerinnsel gestorben. Die Ärztinnen und Ärzte erklärten dem Individuum, das Kind habe ihnen auf Befragen von einer kraftvollen Ohrfeige erzählt, die es sich redlich verdient habe. Das Kind war nicht nur ungehorsam gewesen, sondern hatte das erziehungsberechtigte Individuum obendrein mit einem unflätigen Schimpfwort belegt. Eine kleine, pummelige Krankenschwesternschülerin mit blondem Haar murmelte zwar schüchtern etwas von »Todesstrafe«, aber die ausgewachsenen, altgedienten Ärztinnen und Ärzte sprachen von einem »tragischen Unglücksfall« und zeigten dem Individuum ihr Mitgefühl angesichts seines schmerzlichen Verlustes.

Das Individuum aber war untröstlich. Es hatte seine drei Kinder gar inniglich geliebt, zumal das ersteund älteste, das es Jahr für Jahr und Tag für Tag aufopferungsvoll umhegt und umsorgt hatte, auf daß es ein guter Charakter und brauchbarer Bürger und nützliches Mitglied der Gesellschaft werde. Nun aber hatte das Schicksal zugeschlagen und dem Individuum die Frucht seiner Mühsal entrissen ins eisige Grab. Groß war die Trauer des Individuums und stark seine Reue; denn wirklich und wahrhaftig bedauerte es aus tiefstem Herzen, daß es aus geringem Anlaß seine Hand geliehen hatte der Gewalt des Schicksals. Fortsetzung folgt.

Schweißgebadet erwachte das Individuum aus diesem gar schröcklichen Alptraum. Es lauschte in die Nacht mit wolfsgroßen Ohren, damit es besser hören konnte, und wirklich war die karge Stube durchwirkt vom leisen Atmen nicht eines oder zweier, sondern, hurra, dreier Mini-Individuen in unbeschädigter Schläfrigkeit. Keinerlei Grabesstille drang an die Ohren des Individuums, das dankbaren Herzens wieder sanft entschlummerte mit dem festen Vorsatz, fürderhin seine Sprößlinge noch unverbrüchlicher in Milde und Güte zu regieren, stets gelassen zu bleiben und weise zu handeln und die Kleinen fürwahr nicht totzuschlagen. Nicht einmal in gerechtem Zorne; denn ihr müßt wissen, das Individuum hatte sich tags zuvor zu ziemlicher Erregung hinreißen lassen und gewißlich darob diesen Alptraum erlitten, als nämlich das Älteste im Ungestüm kindlichen Trotzes ein Wort in den Mund nahm, genauer gezählt zwei Worte, und von dort hinausbeförderte in den Luftraum der kargen Stube, unerhörte Worte, gleichwohl dem Individuum hörbar und beiden Geschwistern zum schändlichen Vorbild, täuschend ähnlich klingend wie »Altes Arschloch!«

Gemeinsame Erklärung. Hiermit geben wir bekannt und zu wissen, daß wir uns entschieden haben, der Leserschaft unnötige Mühe zu ersparen. Wir nehmen an, daß niemand, der bis hierher gelesen hat, noch an einer ordentlichen Zusammenfassung interessiert ist. Es wäre also phantasielos und albern, diesen Streit fortzusetzen. Friede!

(Und wenn das Vorspiel kein Happy-End haben müßte, harmonierten sie heute noch.)