Gewidmet meinen Mann, meinem Team und
den besten Freunden der Welt.
Impressum
Lektorat: Theresia de Jong
Korrekturat: Regina Briese
Layout, Satz: Susanne Krause
Covergestaltung: Andreas Reiberg
Einklang Verlag
ISBN: 978-3-946315-24-7
„WENN ICH DIE
GUTE FEE BEEINFLUSSEN KÖNNTE,
WÜRDE ICH SIE BITTEN,
JEDEM KIND DER WELT BEI
DER GEBURT
EIN SO TIEFES GEFÜHL FÜR
WUNDER ZU SCHENKEN, DASS ES
DAS GANZE
LEBEN LANG ANHÄLT!“
RACHEL CARSON
Seit Jahrzehnten zwinge ich mich zu Geduld und Verständnis mit mir selbst und auch mit anderen Menschen. Ich versuche, offensichtliche Manipulationen, Ungerechtigkeiten und Missstände zu dulden. Dulden ist ja bereits in dem Wort Geduld enthalten.
Statt meine Ungeduld endlich dazu einzusetzen, mich zu bewegen und mich zu trauen, versuche ich sie ständig zu kanalisieren. Das sieht dann so aus, dass ich zu ungeduldig mit mir selbst geworden bin, die mitgebrachten Überseekoffer voller Potential auszupacken, die Inhalte zu sortieren, zuzuordnen und in mein Leben zu integrieren. Nein, ich wollte sie stets alle auf einmal, unsortiert, durch ein Nadelöhr pressen.
Es hat sich herausgestellt, dass es ein ziemlich kräftezehrendes Unterfangen ist, permanent an der Ausweitung des Nadelöhrs zu arbeiten. Zahllose Ausbildungen, Fachfortbildungen, Seminare von Selbsterfahrung bis Selbstzerstörung, ewig auf der Suche nach einer Abkürzung, die diesen Prozess beschleunigen könnte, haben nur bedingt zum Erfolg geführt. Zu ungeduldig, das Gelernte wirklich anzuwenden, neige ich noch immer dazu, irgendetwas aus dem Koffer herauszuziehen und einfach erst mal damit loszurasen.
Auf der Überholspur ist es halt am schönsten. Nachdem ich mich nun schon ein paar Mal beinahe selbst überholt habe, um möglichst schnell an irgendein Ziel zu kommen und auch die blöden Sprüche der ewigen Wattebäusche werfenden, Geduld und Ruhe predigenden Warmduscher nicht mehr hören kann („Du musst Geduld haben! Du musst zur Ruhe kommen!“), habe ich beschlossen, dass ich lieber Klarheit haben möchte. Und zwar ganz schnell!
„ALLES WAS SICH ZU LANGE
HINSCHLEPPT,
EHE ES ZU
ETWAS NUR IRGEND
SICHTBAREM WIRD,
VERLIERT AN INTERESSE.“
WILHELM VON HUMBOLD
Ganz im Sinne meiner Ungeduld. Keineswegs bin ich bereit, weiterhin zu versuchen, Ungeduld zu unterdrücken und gegen Geduld einzutauschen. Was sollte das auch bringen? Geduld nutzt schließlich nur demjenigen etwas, der sie von mir verlangt, damit er nicht von mir gestört wird und mich weiter dazu benutzen kann, mich für die Erreichung seiner eigenen Ziele einzusetzen. Ganz in Ruhe! Wie man jetzt unschwer am Zustand unserer Gesellschaft sehen kann, ist das Ausmaß dessen, wohin das führt, erschreckend! Geduldig scheint die halbe Welt gerade zu ertragen, unter dem Vorwand der angeblichen Sorge um unsere Gesundheit mal eben, so ganz nebenbei, aller Menschenrechte beraubt zu werden! Ganz in Ruhe! Ganz in Ruhe nimmt uns die Regierung vielleicht gerade die Menschenrechte? Und wir schauen geduldig ganz in Ruhe zu? Wieso eigentlich? Nein, das kann doch nicht sein! Das machen die doch nicht! Und wenn doch? Na, und wenn schon. Lassen wir uns halt impfen, dann haben wir unsere Ruhe. Na klar! Wir wollen schließlich unsere Ruhe haben.
Und was soll das überhaupt heißen „Ruhe“? Ruhe wovor? Ruhe vor dem Leben? Ruhe als Ziel? Was kommt danach? Die Ewige Ruhe? Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Mag sein. Zurzeit interessiert es mich aber mehr, ob es auch eines vorher gibt und wie - nicht nur ich selbst, sondern alle Menschen - dieses Leben mit freudiger Gelassenheit, selbstbestimmt und kreativ und vor allem in Freiheit gestalten können.
Weder bin ich noch länger bereit, mich geduldig ausbremsen zu lassen, noch anderen, auf der Überholspur zu ihrer Macht, zu erlauben, die Leichen am Straßenrand zu stapeln. Verzeihung, da war ich wohl zu voreilig. Das macht natürlich niemand. Obwohl...?
Na, wie auch immer. Ungeduld ist jedenfalls nicht umsonst die (mehr oder weniger) “heimliche“ salonfähige Plage der Titanen. Kein Mensch sollte geduldig irgendeine Art von Mangel oder Unzulänglichkeit ertragen, wenn er etwas daran ändern kann.
Daher, meine Damen und Herren, möchte ich, zu unser aller Wohl, die Gelegenheit nutzen und Sie vielleicht ein bisschen ‚anstupsen‘, Ihre Ungeduld wecken, ganz besonders in dieser „merk“-würdigen Zeit, um diesen Titanen unter den Emotionen als Motor und Schubkraft zu nutzen. Und ein Signal für unsere Menschenrechte zu setzen, mit dem Ziel, in freudiger Gelassenheit und in Freiheit miteinander leben zu dürfen.
Es gibt ja dieses wundervolle Buch von Richard David Precht: „Wer bin ich? Und wenn ja – wie viele?“ Es ist eine der gelungensten Einführungen in die Welt der Philosophie und der Fragen nach dem Sinn des Lebens. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Therapieansätze in der Psychologie, die mit den unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen arbeiten. Je besser wir all unsere Unterpersönlichkeiten kennen lernen, verstehen und vor allem auch integrieren können, umso angenehmer und sinnvoller wird unser Leben verlaufen.
Petra Saenger nimmt uns mit auf eine Reise in ihre innere Wohngemeinschaft. Da wird heftig diskutiert, geblockt, geträumt und mit Worten gesponnen. Sie lädt ihre innere Schauspielertruppe morgens zum Appell und muss Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr feststellen, dass es offenbar innere Brandstifter gibt, die erfolgreich verhindern, dass Projekte angegangen und fertiggestellt werden können. Wobei schon die Frage: Wer ist hier eigentlich der Regisseur und Produzent in diesem inneren Theaterstück, gar nicht so einfach zu beantworten ist.
Und so treffen sie sich jeden Morgen: Die Prinzessin und die Diva, der Forscher und der Finanzberater, die Unternehmerin und die Richterin und all die anderen, die uns Leserinnen und Lesern den Spiegel hinhalten. Es ist ein großartiges Experiment, die eigenen Persönlichkeitsanteile tatsächlich mit Leben zu füllen und sich dabei immer weiter selbst auf die Sprünge zu kommen. Wer weiß, vielleicht mögen Sie eines Tages Ihre eigenen Frühstücksrunden mit der eigenen Schauspieltruppe aufführen. Doch Vorsicht: Es könnte Spaß machen und womöglich sogar zu dem einen oder anderen Aha-Effekt führen. Und vielleicht verändert sich dadurch sogar etwas in Ihrem eigenen Leben. Aber wer weiß das alles schon so genau.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit diesem Buch. Und legen Sie bitte nicht jedes Wort der Schauspieltruppe auf die berühmte Goldwaage. Es ist ein Spiel. Das Spiel des Lebens. Bühne frei!
Theresia M. de Jong,
Verlegerin
Heute lade ich Sie ein, mich auf eine Reise zu begleiten. Eine Reise in die Freuden, die Abenteuer und Frustrationen der Abgründe der Ungeduld. Sie sind zu Gast auf der Bühne des Lebens. Beginnend mit der Beschreibung einer meiner morgendlichen Teilekonferenzen, reisen wir nun los:
Ego States on Stage, please!!
Wie jeden Morgen, schon kurz bevor ein Auge aufgeht, beginnt die Diskussion, wer denn nun heute Morgen aufsteht und wer als erster die Bühne betritt.
Die Prinzessin? Kommt überhaupt nicht in Frage! Keineswegs wird sie auch nur den kleinen Zeh bewegen, bevor nicht der Kaffee serviert wurde.
Genauso wenig wird die Diva das tun, die gerade, angesichts dieser unverschämten Frage, irritiert eine Augenbraue hochzieht. Wieso sollte sie sich aus dem Bett bewegen? Was ist denn das für eine Aufforderung, mitten in der Nacht? Es ist ja schließlich erst 6:00 Uhr! Es kann ja wohl nicht sein, dass man sie überhaupt angesprochen hat. Das muss sie wohl geträumt haben!
Während die Unordentliche noch überlegt, wo sie gestern die Goldsandaletten der Prinzessin verbummelt hat, haben sich der Faulpelz, der Genießer, der elegante Schöngeist und die Trödeltante bereits verbündet und sich den ersten beiden angeschlossen. Im Verbund mit Prinzessin und Diva sehen sie die größten Chancen der Vertretung ihrer Interessen.
Zu diesem Zeitpunkt geben die Gnadenlose und die Ungeduldige, deren Prinzip: “Alles oder Nichts! Und zwar SOFORT!“ heißt, meistens frustriert auf und drehen sich wieder um. Es ist ja am frühen Morgen bereits zu sehen, dass das auch heute wieder NICHTS wird.
Wie immer, wenn Alles und Nichts miteinander kämpfen, gewinnt das Nichts! Nun ist die Bühne frei für den Philosophen, der das Ganze erst mal von einer übergeordneten Warte betrachtet und sich mit dem Träumer und der Esoterikerin auf “ONE DAY ILE (I‘LL)“ begibt. Die Insel der ewigen Ruhe: Eines Tages werde ich! Dort wird erst einmal alles in Ruhe besprochen. Meistens gesellt sich der Idealist dazu, und spätestens jetzt geben die Unternehmerin, der Forscher und die Kreative auf.
Unterstützt werden sie vom Seminar-Junkie, der ihnen freudig zustimmt, man weiß ja schließlich noch nicht genug, um wirklich etwas damit anfangen zu können! Die Gelassene hat die Bühne schon vor Jahren verlassen und hat die Klare und die Entschlossene mitgenommen, was wiederum die Großzügige so sehr bedauert, dass sie die meiste Zeit schmollend in der Ecke sitzt, weil sie viel zu selten mitspielen darf - und in diesen seltenen Fällen vom Neider und vom Finanzberater gleichermaßen belächelt wird.
Während der Heiler noch meckert: „Das tut doch alles nicht gut. Ihr wisst doch alle, dass das ungesund ist!“, mault der Sportmuffel: „Haltet alle die Klappe! Es regnet, es ist zu kalt (oder zu warm) und überhaupt, ich bin zu müde. Lasst uns morgen darüber sprechen.“
Der Kritiker mischt sich schließlich ein und sagt zum Regisseur:
„Ich hab‘ dir gleich gesagt, dass das nichts wird. Nur irgendeiner sollte jetzt langsam mal auf die Bühne!“
„DER VOLLKOMMENE WELTMANN
WÄRE DER, WELCHER
NIE IN UNSCHLÜSSIGKEIT STOCKTE
UND NIE IN
ÜBEREILUNG GERIETE.“
ARTHUR SCHOPENHAUER
Woraufhin die Praktische vorschlägt: „Am besten, du sagst dem Bühnenbildner gleich Bescheid. Es muss schließlich umgebaut werden für den ewigen Selbstzweifler und die Unsichere, damit der Vorhang heute überhaupt noch aufgeht!“
Ja, meine Damen und Herren, so geht das jeden Morgen. Seit Jahren. Ach, was sage ich, seit Jahren? Seit Jahrzehnten geht das so.
Und damit nicht genug. Wenn mein Chemiewerk es dann schließlich geschafft hat, irgendeinen ins Labor zu treiben und danach der Kettenraucher dafür gesorgt hat, im Wachzustand zu bleiben, zumindest halbwegs, wiederholt sich die gleiche Diskussion im Badezimmer.
Die Prinzessin will sich sofort wieder hinlegen, die Diva natürlich auch... und so weiter und so fort. Meistens gewinnt der Kettenraucher und setzt sich erst mal gemütlich hin, mit dem Kaffee, der der Prinzessin, ganz im Sinne des Sportmuffels, viel zu früh serviert wurde. Da weder die entschlossene Unternehmerin noch sonst irgendjemand im Haus zu sein scheint, überredet er den Genießer und die Trödeltante, einfach sitzen zu bleiben, bis die anderen sich bequemt haben, die Augen zu öffnen und mal in ihr Skript zu schauen... Und dann? Ja, dann geht die ganze Diskussion natürlich von vorne los.
Der eine will in Ruhe baden, die andere wartet darauf, dass jemand das Wasser einlässt und vorgewärmte Handtücher bereitlegt, der nächste will rasch duschen und so weiter. Wer gewinnt? Erraten! Der Kettenraucher, der nun, bei einem weiteren Kaffee, mit dem Esoteriker darüber verhandelt, ob es nicht besser sei, erst mal eine Meditation zu machen, danach das Augentraining, bevor man überhaupt in Erwägung ziehen könnte, ins Bad zu gehen.
Sollte dies tatsächlich zeitnah geklärt werden können, stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Wenn die von ewiger Aufschieberitis befallene Perfektionistin sich nicht bereits zu diesem Zeitpunkt in Bewegung setzt, wobei sie von der Gastgeberin, in Zusammenarbeit mit der Ungeduldigen, auch ein wenig gezwungen wurde, geht die ganze Diskussion natürlich vor dem Kleiderschrank erneut los. Da die Gastgeberin hier bereits schon unter enormem Zeitdruck steht, damit wenigstens die wichtigsten, existenzsichernden Termine eingehalten werden können, müssen sich jetzt alle beeilen, was natürlich nicht gerade zur Erheiterung der ganzen Gesellschaft beiträgt.
Steht allerdings nichts Existenzbedrohliches an, gewinnt auch hier wieder der Kettenraucher und so geht es den ganzen Tag, Kaffee trinkend und rauchend, weiter. Der Kaffee wird dann am Abend durch andere Getränke ersetzt. Auch dieses Jahr werden schließlich wieder die Milliarden- Einnahmen der Tabaksteuer gebraucht! Uli Stein bemerkte hierzu einst sehr treffend: „Ein schlichtes Danke würde mir schon reichen.“
Tja, meine Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser,
die Gastgeberin, die ja das ganze Theater leiten musste, war mit sehr, sehr vielen Inszenierungen beschäftigt, ziemlich gestresst und manchmal auch sehr müde. Es wurde immer schwieriger, noch irgendeinen Bewohner von ONE DAY ILE dazu zu bringen, überhaupt aufzustehen und sich anzukleiden, um auf die Bühne zu gehen. So fragte sie sich eines Tages: „Wer ist denn hier eigentlich der Produzent?“ Und vor allem: „Wo? Wo ist er eigentlich? Wo ist denn hier der Auftraggeber, der die Autoren, die Intendanten und Regisseure beauftragt? Wo ist der, der die Kosten übernimmt für dieses Theater?“
War er etwa auch auf ONE DAY ILE? Hatte er etwa resigniert? Und sich, mit der Ungeduldigen und der Perfektionistin gemeinsam, gemütlich dort niedergelassen? Wartete er auf den Untergang des ganzen Theaters? Sie hatte ihn schon länger nicht gesehen. Wenn er zwischendurch tatsächlich mal auftauchte, meckerte er bloß an allen herum, mischte sich in alles ein und stellte Forderungen, die unmöglich zu erfüllen waren, und die auch niemanden, außer ihn selbst, wirklich zu interessieren schienen.
Wo steckte er bloß? Wieso half er ihr nicht und setzte sich durch? Es musste ihr irgendwie gelingen, die Ungeduldige so zu zähmen, dass er ihr helfen würde, die anderen wieder in Bewegung zu setzen. Denn Ungeduld war das Einzige, was all die, die sie jetzt brauchte, gemeinsam hatten.
Man musste es nur schaffen, die Ungeduldige davon zu überzeugen, ihre unbändige Kraft zu beherrschen, ihr Prinzip von Alles oder Nichts zu bändigen und zielgerichtet einzusetzen. Dann könnten sie alle ein schönes, erfülltes Leben führen und in diesem Theater endlich die Stücke aufführen, für die es gebaut worden war.
Sie beschloss, das Lektorat des Wesentlichen damit zu beauftragen, diese verfahrene Situation so zu klären, dass alle Bewohner von ONE DAY ILE gerne zurückkehren würden, um - statt eines fernen Tages in der Zukunft - JETZT das Stück ihres Lebens zu spielen.
Liebe Gastgeberin, vielen Dank für Ihren Auftrag.
Um unsere Arbeit zu Ihrer Zufriedenheit erledigen zu können, brauchen wir zuallererst eine Entscheidung von Ihnen. Es geht um Verantwortung. Um die Fähigkeit, auf das Leben zu antworten.
Ihre Ungeduld, keine Antworten parat zu haben, gründet sich darauf, dass Sie zu ungeduldig sind, vorher herauszufinden, wie die für Sie wichtigen Fragen überhaupt lauten.
Sich permanent mit den Fragen anderer zu beschäftigen, führt offenbar zu keiner befriedigenden Antwort. Keine Zeit zu haben für das Wesentliche, ist die Folge. Die Frage nach dem Wesentlichen zu stellen, bedarf einer Entscheidung. Diese Entscheidung müssen Sie heute treffen!
Die Frage lautet: Wollen Sie sich selbst Königin sein?
Wenn ja, kennen wir das Ziel und arbeiten gern für Sie weiter. Lesen Sie das Protokoll der ersten Konferenz, deren Zeuge wir werden durften, und beachten Sie bitte:
Jeder wird dort wahrgenommen, wo er sich selbst hinstellt.
“…ICH SITZE AM STRASSENRAND.
DER FAHRER WECHSELT DAS
RAD.
ICH BIN NICHT GERN, WO ICH
HERKOMME.
ICH BIN NICHT GERN, WO ICH
HINFAHRE.
WARUM SEHE ICH DEN
RADWECHSEL MIT UNGEDULD?“
BERTOLDT BRECHT
Gastgeberin: „Warum ich mich mit zehntausenden Fragen des gesamten Theaters herumschlage? Mich nicht darauf konzentrieren kann, was wirklich von Belang ist? Mich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann? Was ist denn das Wesentliche? Und für wen? Der Gast ist schließlich König und muss zufrieden sein!“
Es meldet sich jemand: „Was soll denn dieses ganze Geschwafel? Fang doch endlich einmal irgendwo an! Ein geparktes Auto lässt sich nicht lenken!“
Verdutzt fragt die Gastgeberin: „Wer war das?“
Der Realist lächelt die Ungeduldige an, die sich gerade für seine Unterstützung bedankt, und sagt: „Zunächst solltest Du vielleicht einfach mal den Motor starten und den ersten Gang einlegen.“
„Was soll das heißen: den Motor starten? Ich hetze den ganzen Tag herum und versuche, alle in Bewegung zu halten und du sagst, ich soll den Motor starten?“
„Ja, ganz genau das sage ich! Du tust den ganzen Tag nichts anderes als herumzuhetzen! Mit welchem Ziel eigentlich?“
“Ha, ha, ha“, hört man den Kritiker: „Kennt hier überhaupt irgendeiner das Ziel?“
„Na, na, na, nun sei doch nicht so streng! Schließlich gibt sie sich Mühe, alle zufriedenzustellen!“, sagt Mutter Theresa der Königsallee.
Worauf der Realist antwortet: „Und? Wem bringt das was?“
„Verschönerung des Elends“, ruft die Kreative, „schließlich kann man aus allem etwas machen!“ Darauf der Realist: „Na, ganz toll! Jetzt streichen wir die Müllkippe in Regenbogenfarben an, damit es alle besser aushalten?“
„Genau!“, sagt die Kreative und der Kritiker fragt süffisant: „Was machen wir mit dem Gestank?“ Worauf der Kreativen auch nichts mehr einfällt.
Die gerade erwachte Prinzessin meldet sich zu Wort: „Das wüsste ich auch gerne. Irgendwas stinkt hier immer!“ Worauf die Diva mault: „Kann sich denn auch endlich mal jemand um den dauernden Lärm kümmern?“
Der Genießer, die Trödeltante, der elegante Schöngeist und der Faulpelz nicken zustimmend, sagen aber lieber nichts.
„An welchem Projekt arbeiten wir denn hier eigentlich heute?“, schaltet sich die Unternehmerin ein.
Nachdem sie von der Gastgeberin nur ein resigniertes Schulterzucken und keine Antwort bekommen hat, verlässt sie mit der Perfektionistin, beide angestachelt von der Ungeduldigen, kopfschüttelnd die Konferenz.
„Keine Ahnung, was ihr alle von mir wollt.“
Die Unordentliche, die zusammen mit der Zofe die Sandaletten der Prinzessin gesucht hatte, zuckt zusammen: „Was wird denn nun schon wieder gesucht?“
„Ach, gar nichts“, antwortet die Gastgeberin. „Macht einfach weiter und lasst mich alle in Ruhe! Irgendwie werde ich es schon schaffen, den Intendanten, den Produzenten, die Regisseure und den gesamten Rest des Ensembles bei Laune zu halten, damit wir wenigstens weiterhin ein Dach über dem Kopf haben und nicht verhungern müssen.“ Sie brabbelt weiter vor sich hin: „Und das Ganze auch noch, obwohl die meisten sich offenbar im Dauerurlaub befinden.“
Ja, liebe Gastgeberin, soweit, so gut. Nun steht die Entscheidung an! Sind Sie bereit für die Rolle der Königin in Ihrem Reich? Sind Sie bereit, sich zu entscheiden? Denn das müssen Sie, wenn wir wirklich etwas verändern wollen. Sie haben recht, wenn Sie sagen, der Gast ist König. Stimmt! Allerdings nur für sein eigenes Königreich.
Solange er bei Ihnen zu Gast ist, hat er sich fürstlich zu benehmen, wenn er Ihr Gast bleiben möchte. In Ihrem Reich sind Sie die Gastgeberin und das gilt sowohl für Ihre Familie und Ihre Freunde als auch für Ihre Mitarbeiter, fremde Besucher, durchreisende Touristen, zuarbeitende Unternehmen, Schauspieler, Regisseure, Intendanten, Produzenten, Journalisten, Autoren und den gesamten Rest Ihres Ensembles.
Sie entscheiden, wer bei Ihnen zu Gast sein darf. Achten Sie auf gute Gesellschaft! Auch dann, wenn Sie alleine sind! Ganz besonders, wenn Sie alleine sind.
Sonst machen Sie sich zum Spielball. Sie allein entscheiden, wer bei Ihnen zu Gast sein darf. Alle, die nicht zum Erfolg des ganzen Theaters beitragen wollen, sollten sich entweder ruhig verhalten oder Ihr Reich verlassen und sich eine andere Beschäftigung suchen.
Ein Team funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten und jeder das macht, was er gerne tut, weil er das am besten kann. Als Königin ist Ihre einzige Aufgabe, darauf zu achten, dass alle Freude haben, während Sie in Ihrem Sinne planen, arbeiten, Erfolge und Feste feiern oder auch Ihre Freizeit genießen.
Sind allerdings Gäste dabei, die nur als Störenfriede auftreten möchten, entfernen Sie sie sofort. Bitten Sie sie höflich, zu gehen und lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein oder dazu hinreißen, für diese Gäste den passenden Platz zu suchen. Sie passen nicht in Ihre Gesellschaft?
Nicht schlimm, verabschieden Sie sich rasch, bevor diese Gäste alle anderen Gäste vergiften. Sind Sie bereit?
Sind Sie bereit, die Gastgeberin Ihres Tempels, Ihres Königreiches, zu sein?
Die Königin?
Okay! Dann machen wir weiter. Lassen Sie uns die Fragen finden.
Die Fragen des Theaters, dessen Bühne Ihr Leben ist. Die Fähigkeit zu antworten, hat jede Königin. Die Fähigkeit, dem Leben zu antworten, liegt in Ihnen. Die Ungeduld, keine Antworten parat zu haben, weil Sie keine Zeit haben, sich mit den Fragen zu beschäftigen, ist nur ein Symptom der Ungeduld, die Sie übrigens unbedingt als Gast behalten sollten. Als einen der Titanen der Emotionen brauchen wir sie dringend, wenn wir etwas bewegen wollen. Viele Dinge, die die Welt verändert haben, sind erst möglich geworden, weil es diese starke, wenn auch meist sehr ungestüme, Kraft gibt. Verabschieden Sie sich von dem Gedanken: „Herr, gib mir Geduld! Aber ganz schnell!“
Geduld ist nicht unser Ziel! Ganz im Gegenteil.
“GEDULD HAT IHRE GRENZEN.
WENN SIE ZU WEIT GEHT,
IST ES FEIGHEIT.“
GEORGE JACKSON
Erwachsene Ungeduld ist das Ziel, und die sieht ganz sicher nicht aus wie erzwungene Geduld, sondern wie freudige Gelassenheit.
Geduld ist eine Erfindung von Eltern, Unternehmern, Personalchefs und Lehrern, die ihre Ruhe haben wollen. Nicht für Könige.
Denken Sie einfach immer daran:
Sie werden dort wahrgenommen, wo Sie sich selbst hinstellen!
Seien Sie sich also zuerst selbst Königin, und zwar ab SOFORT!
“DU BIST SEHR EILIG, MEINER
TREU!
DU SUCHST DIE TÜR UND
LÄUFST VORBEI..“
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE.
Gastgeberin: „Entscheiden soll ich mich? Wieso denn entscheiden? Hier gibt‘s doch nichts zu entscheiden!“
„Ja, ja, Entscheidungen sind ja deine ganz große Stärke!“, spöttelt die Unternehmerin. „Du musst ja erst noch Hinz und Kunz und jede Putzperle fragen, was sie davon halten! Und überhaupt, es sind ja noch gar nicht alle da!“
„Der war gut“, meldet sich der Realist. „Als Nächstes kommt: dazu hab‘ ich jetzt keine Zeit“, worauf der Kritiker bemerkt: „Da würde ich ihr aber ausnahmsweise sogar mal recht geben! Für Entscheidungen braucht man Ruhe!“
„Ruhe? Ich hör immer Ruhe? Was soll denn dieser Blödsinn? Man braucht nicht länger als sieben Atemzüge, um eine Entscheidung zu treffen, so viel Zeit wird sie doch wohl noch haben? Oder hat sie zum Atmen auch schon keine Zeit mehr?“
„Wer war das?“, fragt die Gastgeberin. „Wer soll das schon gewesen sein?“,
nörgelt der Kritiker, „die Esoteriker und Philosophen wollen heute morgen mal wieder besonders klug erscheinen.“
„Ja“, sagt der Realist und fügt gelassen hinzu: „Du solltest es auch einmal versuchen!“ Er zwinkert dem Zyniker zu, der grinsend in der Ecke sitzt.
„Was soll ich versuchen? Klug zu erscheinen? Wie redest Du denn mit mir, spinnst Du?“, blafft der Kritiker zurück. “Entscheidungen in sieben Atemzügen? Dass ich nicht lache!“
Die Trödeltante und die Unordentliche mischen sich ein: „Puschen, Sandaletten, Socken, Stiefel, Turnschuhe oder Highheels? Wer steht denn heute eigentlich auf?“
„Das ist noch nicht entschieden“, leiert die Gastgeberin, während die Unternehmerin mit den Augen rollt: „Da ist sie wieder, die ewig gleiche Diskussion, wie jeden Morgen. Die nächste Frage folgt sofort: Wer geht zuerst ins Bad?“
„Wobei wir wieder bei den sieben Atemzügen wären!“, lacht der Kritiker.
„Ha, ha, ha! Und sie soll sich entscheiden, ob sie Königin sein will? Ha, ha, ha!“
„Jetzt reißt mir aber gleich der Geduldsfaden!“, braust die Gastgeberin auf.
„Hört, hört“, der Forscher grinst die Neugierige an: „Jetzt wird’s spannend!“
„Du solltest ja wohl mal besser ganz die Klappe halten“, schnauzt die Perfektionistin den Forscher an. „Statt ewig mit dem Seminar-Junkie und dem Philosophen rumzuhängen, solltest Du lieber mal mit dem Seminar-Junkie und der Unternehmerin zusammen Deine Ergebnisse auswerten! Damit wir das Stück endlich fertig machen können!“
„Genau“, sagt die Diva und versetzt alle in Erstaunen. Lässt sie sich tatsächlich herab, auch mal etwas zu sagen? „Ganz genau! Damit ich in diesem Leben endlich mal eine gescheite Rolle angeboten bekomme!“
Der Forscher, nun etwas kleinlaut: „Wir haben noch nicht alle Fakten und Daten beisammen.“
„So ist es“, der Seminar-Junkie und der Philosoph nicken eifrig: „Wir brauchen unbedingt noch...“
„Jetzt ist aber Schluss hier!“, faucht die Gastgeberin. „Lasst uns jetzt endlich anfangen!“
„Womit denn?“, fragt der Realist. „Keine Ahnung“, sagt die Gastgeberin, „ich such‘ jetzt erst einmal den Regisseur...“
„So viel zu Entscheidungen in sieben Atemzügen“, spöttelt der Kritiker, aber die Gastgeberin ist schon weg.
„Was will sie denn nun wieder mit dem Regisseur? Der hat doch auch keine Ahnung“, mault die Perfektionistin. „Womit wollen wir anfangen?“, fragt die Kreative.
„Ich will eine Wasserburg mit Graben“, meldet sich die Prinzessin „und zwar SOFORT!“
„Du schon wieder!“, schimpft der Realist. „Hat dir noch keiner gesagt, dass so eine Burg zunächst mal ein Fundament braucht, sonst steht sie nämlich in Atlantis und braucht gar keinen Graben! Aber wahrscheinlich wärst du in Atlantis sowieso besser aufgehoben. Werd‘ doch endlich mal erwachsen!“
„Fangt doch einfach mal an zu bauen, wir finden schon noch einen, der uns das Fundament liefert“, quengelt die Prinzessin.
„Wer will schon eine Wasserburg? Was sollen wir denn mit so einem dunklen Kasten? Ich will lieber eine Villa in den Hamptons!“, meldet sich die Diva nun schon zum zweiten Male an diesem Morgen.
Zwischenzeitlich ist die Gastgeberin mit dem Regisseur wieder aufgetaucht, der gleich in die Diskussion einsteigt: „Villa in den Hamptons? Gute Idee, hier muss noch irgendwo ein Drehbuch rumfliegen, das könnten wir ja mal überarbeiten lassen.“
„Au ja!“ Die Autorin, der Seminar-Junkie und der Träumer sind begeistert.
„Okay“, sagt die Prinzessin trotzig „aber nur, wenn auch genug Platz für Chauffeur, Gärtner und alle restlichen Helfer eingeplant wird!“
„Was soll denn dieser Blödsinn jetzt!?“, schimpft der Realist und unterbricht damit die Überlegungen der Gastgeberin, wie sie das nun auch noch alles bewerkstelligen soll.
„Hat denn irgendeiner von euch Schnarchzapfen auch schon eine Idee, wovon wir das bezahlen sollen und selbst wenn wir es geschenkt bekämen, wovon würden wir dann leben?“
Der Bildungs-Seminar-Junkie ist voll in seinem Element: „Das schaffen wir schon, wir müssten natürlich erst noch mal ein Erfolgsseminar besuchen!
Irgendeiner kennt bestimmt einen Weg, wie wir das ganz schnell hinkriegen.“
“DIE UNGEDULD VERLANGT DAS
UNMÖGLICHE, NÄMLICH
DIE ERREICHUNG DES ZIELS OHNE
DIE MITTEL.“
GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL
„Hatten wir das nicht schon?“, fragt die Gastgeberin. „Ja“, sagt der Realist.
„Das hatten wir allerdings schon zigtausend Mal. Tausend und eine Idee, hunderte davon schon angefangen, unzählige Ausbildungen und wozu?“
„Das dauert mir hier alles viel zu lange. Ich recherchiere das später. Wir müssen jetzt los!“
„Sei doch nicht so ungeduldig“, maulen die Trödeltante, der Genießer und der Kettenraucher. Woraufhin der Kritiker sich wieder einmischt: „Hättest ja früher aufstehen können, wenn wir früher losmüssen. Wann gewöhnst du dir endlich das Denken in Luftlinie ab? Wir sind schließlich kein Hubschrauber, der senkrecht starten kann und mal eben ohne Hindernisse zum Ziel fliegt. Selbst wenn wir einer wären, müssten wir uns an die Regeln des Luftverkehrs halten, ansonsten wären wir ganz schnell auf Kollisionskurs mit den zahllosen Learjets, die du da oben sonst noch so rumfliegen hast!“
Schulterzuckend und kopfschüttelnd erwidert die Gastgeberin: „Ja, ja. Außer blöden Kommentaren ist von dir mal wieder nichts zu erwarten.“
Die Trödeltante, der Kettenraucher und der Genießer lehnen sich entspannt zurück. Es würde eh noch dauern, bis sich hier was bewegt. „Und was nun?“, fragt die Gastgeberin.
„Du meine Güte, du hast es doch gehört, du sollst eine Entscheidung treffen!“, sagt die Unternehmerin.
„Na, wie soll ich denn in diesem Chaos etwas entscheiden?“
„OK, als erstes schmeißen wir mal alle raus, die hier nichts zum Erfolg beitragen! Danach sehen wir weiter!“, sagt die Unternehmerin.
„Ihr könnt doch nicht einfach alle rausschmeißen!“, meldet sich Mutter Theresa der Königsallee. „Doch, das können wir. Gerade du solltest inzwischen bemerkt haben, dass die Königsallee ganz gut ohne die ewig Verständnisvolle der Versager und Pleitegeier auskommt. Oder hast du schon vergessen, wie viel uns dein ewiges Verständnis allein auf dieser Straße gekostet hat? „So einfach könnt ihr euch das aber auch nicht machen“, meldet sich der Gerechtigkeitsfanatiker, ausnahmsweise mal einer Meinung mit der Richterin. „Man muss schließlich alle Aspekte berücksichtigen, um jedem gerecht werden zu können. Ihr könnt ja alles machen, was ihr wollt. Ihr dürft aber niemandem schaden!“
„Tun wir nicht! Wir hören lediglich endlich damit auf, uns selbst zu schaden. Es ist doch sehr einfach: Wenn jemand nicht innerhalb von drei Minuten sagen kann, was er in unserem Unternehmen macht, darf er sofort gehen!“
„Wie bitte?“, fragt die Gastgeberin, „das ist brutal! Das kann man doch nicht machen.“ „Das kann man nicht machen? Natürlich kann man das machen, das muss man sogar machen, wenn man nicht untergehen will!“, sagt die Unternehmerin und fährt fort: „Welcher Unternehmer braucht Mitarbeiter, die nicht wissen, was sie in seinem Unternehmen zu suchen haben? Wozu sie da sind? Was sie beitragen wollen und warum? Wenn sie das nicht wissen, was haben sie dann davon, dass sie überhaupt da sind? Es kann ihnen doch nicht gut gehen damit! Und wenn es ihnen nicht gut geht damit, vergiften sie die Atmosphäre für alle anderen, die wissen, warum sie da sind.
Das wäre brutal, so einfach ist das!“
„Ja, ja, schon gut, aber drei Minuten? Man sollte doch wenigstens so viel Geduld aufbringen, ihnen Zeit zu lassen, bis sie es sich überlegt haben.“
„Wer war das? Will mir hier jetzt irgendeiner mit Geduld kommen?“, blafft die Unternehmerin. „Wozu bitte soll das gut sein? Wenn einem nichts einfällt, warum er sich in diesem Unternehmen, Etablissement, Theater oder wie auch immer ihr das hier nennen wollt, aufhält, was will er denn dann hier? Warum ist er dann überhaupt hier aufgekreuzt?“
„Wir müssen ihm dann doch dabei helfen, das herauszufinden“, sagt Mutter Theresa der Königsallee.
„Ganz genau!“, rufen der Kettenraucher, die Trödeltante und der Faulpelz im Chor.
Die Perfektionistin wittert die Chance, wieder etwas aufzuschieben und ist ausnahmsweise mal mit der Kreativen einer Meinung, die nun sagt: „Wer weiß? Vielleicht kann man denjenigen ja auch noch für irgendetwas brauchen?“
„Für etwas brauchen? Wieviel Müll willst du denn eigentlich noch einlagern?“ Der Adrenalin-Spiegel der Unternehmerin ist merklich gestiegen und vermischt sich gerade mit erhöhtem Cortisol. Kurz bevor sie ausflippt, spöttelt der Kritiker auch noch:
„Du weißt doch, man kann aus allem etwas machen! Hahaha! Wenn wir in den neuen Palast ziehen, will sie bestimmt auch noch Omas Pudding mitnehmen, der schon drei Wochen im Kühlschrank vor sich hingammelt.
Hahaha!“
„Natürlich nicht!“, empört sich die Kreative, „und das weißt du auch ganz genau!“ Der elegante, intellektuelle Schöngeist nickt daraufhin zustimmend und fragt: „Wieso greifst du sie so an?“
„Weil sie von uns verlangt, dass wir stattdessen den ganzen vergammelten Müll in unserem Kopf rumtragen!“, fährt die Unternehmerin ihn an, die jetzt kurz davor ist, jemanden zu schlagen.
„So kommen wir nicht weiter!“, greift die Gastgeberin nun ein.
„Natürlich nicht. Das will ja hier auch keiner! Wir warten jetzt alle mal geduldig ab, bis Hinz und Kunz und jeder Depp herausgefunden hat, warum er eigentlich hier ist!“
„Genau!“, meldet sich der Esoteriker, „es wird schon alles irgendwie einen Sinn haben.“
„Sinn haben? Sinn kann gar nichts haben! Sinn ergibt sich, den hat man nicht. Und der einzige Sinn, der sich ergibt, wenn man geduldig darauf wartet, endlich zu bemerken, dass jemand nur aus zerstörerischen Gründen hier ist, ist der Untergang. Der Sinn von Erfolg kann sich jedenfalls hierdurch nicht ergeben!“, sagt der Kritiker.
„Elender Besserwisser“, hört man jemanden von ganz hinten maulen.
„Ja, er mag ein bisschen ungerecht sein, hat aber nicht ganz Unrecht“, wirft die Richterin ein.
„Wo ist die denn jetzt auf einmal hergekommen?“, wundert sich die Gastgeberin. “Für langwierige Verhandlungen haben wir nun wirklich keine Zeit heute!“
„Heute?“, grinst der Realist.
„Richtig! Heute haben wir ja genauso wenig Zeit wie die ganzen letzten Jahre. Wieso sollten wir dann ausgerechnet heute eine Entscheidung treffen können?“, spöttelt der Kritiker.
Der Finanzverwalter nickt zustimmend: „Wir müssen uns endlich mal um die Außenstände, die offenen Rechnungen und die Absicherung kümmern, bevor wir hier gravierende Entscheidungen treffen!“
„Genau!“ Der Realist wird jetzt etwas ungehalten: „Wenn wir mit den wichtigsten Entscheidungen nur lange genug warten, brauchen wir sie wahrscheinlich gar nicht mehr zu treffen. Kümmere du dich ruhig weiter nur um deine Ängste, solange du noch kannst. Wenn sich unsere liebe Gastgeberin nicht bald entscheidet, brauchen wir dich dann sowieso nicht mehr! Wenn das Theater in die ewigen Jagdgründe der Ruhe eingegangen ist, gibt es hier nichts mehr zu verwalten.“
„Jetzt bist du aber ungerecht! Er macht schließlich nur seine Arbeit und wir brauchen ihn“, sagt die Gastgeberin.
„Ungerecht? Er macht seine Arbeit? Welche Arbeit? Warum ist er wirklich hier? Blödes Unken über die schwierige, unsichere Lage? Um alle in Angst zu versetzen und zu lähmen? Um alles zu kontrollieren? Ist das seine Arbeit? Etwas Konstruktives ist von ihm noch nie zu hören gewesen! Ungerecht! Papperlapapp, dass ich nicht lache. Es ist doch wohl kaum gerecht, von uns allen zu verlangen, mit ihm auszukommen, nur damit er sich wohl fühlen darf, während er seine Arbeit so schlecht macht und trotzdem angeblich gebraucht wird. Wir sind doch hier schließlich nicht in der Politik!“
„Nur weil du wichtige Entscheidungen nicht treffen willst und ihn als Ausrede benutzt? Ungeheuerlich ist das!“
“UNGEDULD UND STOLZ GEHÖREN
ZU DEN HAUPTHINDERNISSEN
AUF DEM PFAD.“
„GEDULD BEDEUTET NICHT,SICH
ALLES GEFALLEN ZU LASSEN.“ ...
“VERSTÄNDNIS BEDEUTET
NICHT, ALLES ZU BILLIGEN.“
DALAI LAMA
Der Realist ist heute offenbar richtig sauer“, flüstert die Perfektionistin der Gastgeberin zu.
„Ja, zu Recht“, sagt die Richterin, die es gehört hat. „Das ist nämlich wirklich sehr ungerecht!“
„Ach was“, sagt die Gnadenlose. „Dem Untergang ist die Gerechtigkeit herzlich egal, das wird sie schon noch merken, wenn das letzte Fünkchen Energie erloschen ist!“
„Genau“, meint der Realist, „dann braucht sich auch keiner mehr zu beklagen und wir haben endlich unsere Ruhe vor dem ewigen Gejammer der Unverstandenen und vor deinen blöden Sprüchen!“
Zu genervt, um hierauf nun auch noch zu antworten, stürmt die Gastgeberin ungeduldig davon. Alle anderen hatten sich eh schon in ihre eigenen Welten verabschiedet. Heute würde es sowieso keine interessante Entscheidung mehr geben.
„Ja, liebe Gastgeberin“, meldet sich der Beobachter, „so sieht es aus und offenbar soll es so bleiben! Immer auf der Suche nach einer Abkürzung, rennst du im Kreis um die Entscheidung herum.“
Die Gastgeberin bleibt verdutzt stehen, sieht sich verstohlen um, verwundert, woher nun diese Bemerkung kam. Vor sich hinmurmelnd geht sie weiter: „Was soll das denn heißen? Ich renne doch nicht um die Entscheidung herum! Ihr seht doch, wie das hier zugeht! Dauernd will irgendeiner etwas von mir! Immer muss ich erst mal recherchieren, wie ich das alles umsetzen kann!“
„Ja, ja“, sagt der Realist, der sehr gute Ohren hat, „du rennst so lange herum, bis du eine Abkürzung zur Umsetzung von XYZ gefunden hast. Bis dahin hat sich das anstehende Projekt meist schon wieder erledigt und du hast keine Entscheidung mehr treffen müssen.“
„Oder irgendwer hat eine bessere Idee“, sekundiert die Perfektionistin, „man darf ja schließlich auch nichts überstürzen, sonst blamiert man sich!“
„Na klar!“, spöttelt der Kritiker, „damit wir danach die Wiederholung des Ganzen drehen und eine Wiederholungspirouette nach der anderen aufführen können!“
„Vielleicht solltest du zuerst mal ein Seminar besuchen?“, meldet sich der Weiterbildungs-Junkie, „es gibt ganz interessante Angebote zur Entscheidungsfindung.“
“EIN KLUGER MANN MACHT
NICHT ALLE FEHLER SELBST.
ER GIBT AUCH ANDEREN
EINE CHANCE“
WINSTON CHURCHILL
„Ja klar, das könnte dir so passen! Mal wieder so ein Seminar der halb Erleuchteten!“, schimpft der Realist, „am besten eines bei dieser über alles erhabenen Wattebäuschchen-Gesellschaft, die man ja leider nicht nur bei Seminaren über Erfolg in der Liebe trifft.“
„Wie kannst du denn sowas sagen?“, mault der Esoteriker, „Liebe und Dankbarkeit sind wichtig für die spirituelle Entwicklung!“
„Ach ja? Richtig!“, antwortet der Kritiker „das hat mit diesen Seminaren aber nichts zu tun.“
„Wie meinst Du das?“
„Ganz einfach, Scheinheiligkeit hat mit spiritueller Entwicklung nichts zu tun!“
„Scheinheiligkeit? Wieso Scheinheiligkeit?“
„Wie willst du das denn sonst bezeichnen, wenn ein ach so geduldiger halb Erleuchteter uns, die er sowieso für üble Geschäftemacher hält, von denen er sich am liebsten kopfschüttelnd und angewidert abwenden würde, stattdessen mit einem ach so verständnisvollen Blick beschenkt, der heißen soll: Ach ja, so ging es mir auch einmal... Ihr werdet es schon auch noch schaffen… bla, bla,bla... und eure Ungeduld loswerden (Wer hat ihm gesagt, dass wir das wollen?) auf eurem Weg zu Dankbarkeit und Demut. Ihr braucht Geduld (und vor allem viel Geld für die Folgeseminare!), um ein besserer Mensch zu werden.
Ihr müsst euch nur für diesen Weg entscheiden... bla, bla, bla. Erleuchtung braucht Zeit...“ Der Kritiker hat sich richtig in Rage geredet und wird nun jäh unterbrochen.