Cover

LINDA CHAPMAN

STERNENFREUNDE

DAS MAGISCHE ABENTEUER BEGINNT

aus dem Englischen von Sabine Rahn

mit Illustrationen von Lucy Fleming

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© 2018 für die deutschsprachigen Ausgaben bei

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Erstmals erschienen 2018 bei cbj als Einzelbände unter den Titeln

»Maja und der Zauberfuchs« und »Leonie und die Wildkatze«

Die englischen Originalausgaben erschienen 2017

unter den Titeln StarFriends – Mirror Magic und StarFriends – Wish Trap

bei Stripes Publishing, einem Imprint der Little Tiger Group,

1 The Coda Centre, 189 Munster Road,

London SW6 6AW, Großbritannien.

Copyright Text © Linda Chapman, 2017

Copyright Illustrationen © Lucy Fleming, 2017

Aus dem Englischen von Sabine Rahn

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie

Umschlag- und Innenillustrationen: Lucy Fleming

MK • Herstellung: EM

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-28944-7
V001

www.cbj-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Maja und der Zauberfuchs

Leonie und die Wildkatze

Für all die unter meinen Leserinnen und Lesern, die genau wie ich an das Magische und Zauberhafte glauben …

Linda Chapman

Für Kim

Lucy Fleming

LINDA CHAPMAN

STERNENFREUNDE

MAJA UND DER ZAUBERFUCHS

In der Sternenwelt

Der Himmel war samtig schwarz, und auf allem glitzerte Sternenstaub: auf den Tieren, den Bäumen, den Wiesen, im Fluss und auf den Bergen. Alles strahlte. Es war eine ganz besondere Nacht, in der sich eine große Menge Tiere an dem Wasserfall versammelt hatte, in dem Sterne in ein tiefes Becken purzelten. Die Luft war erfüllt von Stimmen und Geplapper, während sie darauf warteten, dass es endlich losging. Acht junge Tiere standen vorne vor der Menge: ein Fuchs, ein Otter, ein Dachs, eine Wildkatze, ein Reh, ein Eichhörnchen, ein Sperber und ein Siebenschläfer.

Das Eichhörnchen flitzte hinüber zum Fuchs und stellte sich auf die Hinterbeine, wobei sein schimmernder Schwanz sich hocherhoben hinter dem Rücken bog. »Jetzt ist es fast so weit, dass wir in die Menschenwelt reisen, Jazinto!«

»Ich kann es kaum erwarten!«, erwiderte der Fuchs mit den indigoblauen Augen und drehte sich aufgeregt im Kreis. »Das wird bestimmt ein echtes Abenteuer!«

Das Reh zuckte ängstlich mit den Ohren. »Seid ihr beide denn gar nicht nervös? Ich schon!«

Die Wildkatze verdrehte die Augen. »Was für eine Überraschung! Du hast doch immer vor allem Angst, Rosa. Wieso bleibst du nicht einfach zu Hause?«

Jazinto warf ihr einen finsteren Blick zu und stupste mit seiner Nase an die des Rehs. »Hör gar nicht auf sie. Du bist mutig, Rosa, das weiß ich! Außerdem sind wir ja zusammen – am Anfang zumindest. Dir wird nichts geschehen!«

Rosa, das Reh, rieb dankbar seine Nase an der des Fuchses.

Eine riesige Eule mit silbrigen Schwingen glitt lautlos auf die Lichtung. Sobald sie auf einem Ast direkt neben dem Wasserfall gelandet war, verstummten die Tiere. Auf genau diesen Moment hatten sie gewartet.

»Seid willkommen, meine Freunde!«, rief Jago, die Eule. »Erneut ist es Zeit für uns, eine Gruppe junger Sternentiere zu den Menschen zu schicken. Die erste Aufgabe eines jeden Tieres wird es sein, einen Sternenfreund zu finden – ein Kind, das an Magie glaubt.«

Jago musterte die Tiere um sich herum und fuhr fort: »Diese neuen Sternenfreunde werden wir lehren, wie sie die Magie, die zwischen unserer und der Menschenwelt fließt, für gute Taten nutzen können, um Glück, Freude und Frieden in die Welt zu bringen. Wie ihr wisst, reisen für gewöhnlich immer nur zwei oder drei Sternentiere in die Menschenwelt. Aber heute schicken wir acht auf die Reise.«

Aufgeregtes Gemurmel kam aus der Menge. Die Eule hob eine ihrer Schwingen.

»Wir schicken diesmal mehr Tiere, weil die Menschenwelt in Schwierigkeiten steckt. Immer weniger Menschen glauben an Magie. Das bedeutet, immer weniger Leute nutzen die Sternenmagie, um Gutes zu tun, sodass der magische Strom zwischen unserer Welt und der Menschenwelt schwächer wird. Aber es gibt noch etwas, das wesentlich beunruhigender ist.« Die Eule sah ernst aus. »Wir vermuten, dass irgendjemand in der Menschenwelt dunkle Magie benutzt, um Menschen zu verletzen und Unglück zu bringen. Falls das zutrifft, müssen wir etwas unternehmen!«

Sie wandte sich an die jungen Tiere, die ganz vorne standen. »Euch acht schicken wir an den Ort, von dem wir glauben, dass dort dunkle Magie benutzt wird, dorthin, wo die Sternenmagie am schwächsten ist. Ihr müsst herausfinden, was vor sich geht, und dem ein Ende setzen. Doch zuallererst muss jeder von euch ein Menschenkind finden, das euer Sternenfreund sein kann. Ein Kind mit einem guten Herzen, das unsere Magie nutzen wird, um Gutes zu tun, und das gleichzeitig mutig genug ist, um jedem die Stirn zu bieten, der dunkle Magie gebraucht. Wenn ihr ein Kind trefft, von dem ihr glaubt, dass es ein Sternenfreund werden könnte, sprecht in euren Gedanken mit ihm. Wenn es empfänglich für Magie ist, wird es euch verstehen.«

»Was wird mit uns geschehen, wenn wir in der Menschenwelt sind, Jago?«, fragte das Eichhörnchen und sprang auf Jazintos Rücken. »Werden wir dort genauso glitzern und schimmern wie hier?« Es wedelte mit seinem buschigen Schwanz, sodass jedes einzelne Haar glitzerte.

Die Eule schüttelte den Kopf. »Nein, Larix. Ihr werdet aussehen wie ganz gewöhnliche Tiere – bis auf eure indigofarbenen Augen. Doch anders als normale Tiere könnt ihr nach Belieben auftauchen und verschwinden.«

»Werden wir alle unsere Sternenfreunde am gleichen Ort finden?«, fragte der Otter.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Jago. »Heutzutage findet man nicht viele Kinder, die tatsächlich noch an Magie glauben. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass es acht dieser Kinder am gleichen Ort gibt. Falls ihr dort, wo ihr ankommt, keinen Sternenfreund findet, müsst ihr weiterziehen. Wählt weise. Denn wenn ihr einen Sternenfreund gefunden habt, werdet ihr ihm das ganze Leben lang verbunden sein: Ihr werdet ihn leiten und dabei helfen, jede Form dunkler Magie zu bekämpfen.«

Die Wildkatze stand auf. »Wann brechen wir auf?«

»Wann immer ihr wünscht, Saruma«, antwortete die Eule. »Tritt einfach unter den Sternenstrom im Wasserfall.«

»Ich gehe zuerst!«, rief Jazinto. »Auf Wiedersehen, ihr alle!« Er schoss an Saruma vorbei, die verärgert fauchte. Aufgeregt japsend sprang er in den Wasserfall und verschwand in einer Wolke aus Funken.

»Rüpelhaftes Tier!«, schimpfte die Wildkatze. Mit einer hochmütigen Bewegung ihrer Schwanzspitze schritt sie zum Wasserfall, sprang elegant in den Sternenstrom und war weg. Die aufgeregten Stimmen der Tiere schwollen an.

Eins der jungen Tiere nach dem anderen folgte, bis als Letztes der Siebenschläfer in den Wasserfall sprang und verschwand.

Die Eule wandte sich an die Menge: »Hoffen wir, dass unsere jungen Freunde erfolgreich ihre Sternenfreunde finden und jene bekämpfen können, die Magie zu teuflischen Zwecken benutzen! Ich fürchte, dass die Menschenwelt die Sternentiere mehr denn je braucht!«

Die Eule schlug mit den Flügeln und flog davon in den dunklen Himmel.

Kapitel eins

Berggorilla, Orang-Utan, Galapagos-Pinguin …

Maja Greene pustete ihren blonden Pony aus den Augen und blätterte in dem Buch über vom Aussterben bedrohte Tiere. Es fiel ihr schwer, ein einziges auszuwählen.

»Beeilt euch, Kinder«, rief Miss Harris. »Nur noch fünf Minuten bis zur Pause. Ich möchte, dass ihr euch bis dahin alle für ein Thema entschieden habt.«

Maja blätterte schneller.

Vielleicht der Pinguin? Der watschelnde Gang brachte sie immer zum Kichern. Oder der Afrikanische Wildhund? Maja mochte Hunde. Oder der Wolf? Sie betrachtete das Foto eines grauen Wolfes. Ihre Oma Anne hatte Wölfe geliebt und sie hatte viele Figuren und Bilder von Wölfen in ihrem Häuschen gehabt. Majas Herz krampfte sich zusammen. Letzten Monat war Oma Anne gestorben und Maja vermisste sie sehr. Nein, bei Wölfen würden sie zu traurig werden.

»Ich kann es nicht fassen, dass du dich immer noch nicht entschieden hast!«, sagte Leonie, die neben ihr saß. »Ich habe schon eine ganze Seite voller Notizen über mein Tier.« Sie warf sich ihren rotblonden Pferdeschwanz über die Schulter und zeigte Maja eine ordentlich geschriebene Seite, auf der die Überschriften mit Lineal unterstrichen waren.

»Klar habe ich mich entschieden«, widersprach Maja. »Ich mache mein Referat über … über … Orang-Utans.« Sie hatte willkürlich irgendein Tier genannt, nur damit Leonie den Mund hielt. Seitdem die beiden nebeneinander gesetzt worden waren, hatte Leonie sie schier in den Wahnsinn getrieben! Es war schon schlimm genug, dass ihre besten Freundinnen Sita und Lottie in der anderen vierten Klasse waren – obendrein noch neben Leonie sitzen zu müssen, war richtig ungerecht! Leonie war klug und nichts schien ihr mehr Freude zu bereiten, als Maja auf jeden Fehler, den sie machte, hinzuweisen.

»Orang-Utans? Im Ernst?« Leonie seufzte. »Etwas Originelleres ist dir nicht eingefallen? Es gibt mindestens noch vier andere, die über Orang-Utans schreiben!«

»Ach, und über welches grandiose und ungewöhnliche Tier machst du dein Referat?«, fragte Maja.

»Ein Gabelhorntier«, erwiderte Leonie. »Weißt du überhaupt, was ein Gabelhorntier ist?«

Maja hatte noch nie im Leben von einem Gabelhorntier gehört, aber das wollte sie Leonie gegenüber keinesfalls zugeben, deshalb beschloss sie zu raten: »Ist das nicht so was wie eine Antilope?«

Sie sah, wie Leonie ganz leicht das Gesicht verzog, und wusste, dass sie richtig geraten hatte.

»So was in der Art«, gab Leonie zu. »Es hat was von einem Reh und von einer Ziege und von einer Antilope – obwohl es natürlich ein total einzigartiges Tier ist. Wie auch immer, ich suche dir etwas Interessanteres raus als Orang-Utans.« Sie nahm sich das Buch und schlug es auf. »Du könntest dein Referat über Saolas machen oder über Ohrenschuppentiere – das waren meine beiden Ersatztiere …«

»Okay, Kinder, ab in die Pause!«, rief Miss Harris.

Maja sprang auf, ehe sie vor Leonie zugeben musste, dass sie keine Ahnung hatte, was für Tiere das sein könnten. Sie räumte ihre Bücher auf und stürzte nach draußen.

Lottie und Sita warteten schon bei den Garderobenhaken auf sie. Lottie war klein und dünn. Ihre lockigen schwarzen Haare hatte sie mit pinkfarbenen Schmetterlingsklämmerchen zurückgesteckt. Sita war groß und anmutig, die glänzenden dunkelbraunen Haare trug sie zu einem dicken Zopf geflochten.

»Endlich raus!«, sagte Maja, die sich beim Anblick der beiden sofort besser fühlte.

»War dein Unterricht eben so schlimm?«, fragte Sita mitfühlend.

»Jeder Unterricht ist schlimm, wenn man neben Leonie sitzen muss!«, antwortete Maja.

Sita riss warnend die Augen auf. Als Maja sich umblickte, sah sie, dass Leonie ihr mit dem aufgeschlagenen Buch über bedrohte Tiere zur Klassenzimmertür gefolgt war.

»Das war das letzte Mal, dass ich versucht habe, dir bei irgendetwas zu helfen, Maja Greene!«, fauchte sie und marschierte zurück in die Klasse.

Maja bekam ein schlechtes Gewissen. Sie hatte niemanden kränken wollen – nicht einmal jemanden, der ihr so auf die Nerven ging wie Leonie.

»Upps!«, murmelte Lottie.

»Wartet mal.« Maja lief zurück ins Klassenzimmer. Leonie stand neben ihrem Tisch. »Leonie, es tut mir leid …«

»Vergiss es!«, unterbrach Leonie sie und nahm sich ein Buch. »Als ob es mich kümmert, was du oder deine bescheuerte kleine Bande denkt!«

Maja biss sich auf die Unterlippe und wusste nicht, was sie sagen sollte.

Leonie drehte ihr den Rücken zu. »Ich will jetzt lesen!«, sagte sie. »Geh weg!«

Maja seufzte und ging wieder zurück zur Garderobe. »Das war jetzt aber peinlich!«, sagte sie zu ihren Freundinnen.

»Ist doch ihre eigene Schuld«, tröstete Lottie sie. »Was muss sie auch so nervig sein! Es muss schrecklich sein, neben ihr sitzen zu müssen!« Sie knuffte Maja in die Seite. »Komm, nimm deinen Mantel und lasst uns rausgehen.«

»Und, was habt ihr heute Morgen gemacht?«, fragte Sita Maja, während sie in Richtung Schulhof gingen. Die Oktobersonne schien, aber ein kühler Wind trieb die Blätter über den Hof.

»Miss Harris hat uns alles über bedrohte Tiere erzählt«, berichtete Maja, zog ihren Reißverschluss hoch und grub ihre Hände tiefer in die Manteltaschen. »Sie hat uns erzählt, wie viele Arten aussterben und dass die Menschen viel mehr tun müssten, um zu helfen …« Auf einmal hatte sie eine Idee. »Ihr wisst doch, dass nächstes Wochenende die Erntedank-Ausstellung in der Stadthalle stattfindet? Wir könnten doch fragen, ob wir dort einen Kuchenstand machen dürfen, um Geld für bedrohte Tiere zu sammeln. Bis dahin haben wir noch eine Menge Zeit, um uns vorzubereiten und Rezepte auszuprobieren.«

»Oh ja, das lass uns machen!«, sagte Sita.

»Super Idee! Wir könnten jede Menge verschiedene Kuchen backen«, sagte Lottie. »Mein Vater hilft, die Ausstellung zu organisieren. Ich werde ihn fragen, ob er uns einen kleinen Stand besorgen kann.«

Maja strahlte. »Perfekt. Ihr könntet morgen zu mir kommen, damit wir aussuchen, welche Kuchen wir machen, und schon mal backen üben.«

»Okay, aber dann müssen wir uns vor meiner Turnstunde um elf Uhr dreißig treffen«, sagte Lottie. »Das ist eine echt coole Idee, Maja!«

Maja grinste, ja, das war es wirklich!

Majas Mutter wartete nach der Schule im Auto auf sie. Timmi, Majas achtzehn Monate alter Bruder, saß angegurtet in seinem Kindersitz und reichte Maja sein Spielzeug, als sie die hintere Autotür aufmachte.

»Guck! Audo«, sagte er stolz.

Maja grinste. »Ja, Auto«, wiederholte sie und war froh, ins warme Auto zu steigen.

»Herbstferien!«, sagte ihre Mutter lächelnd und ließ den Motor an. »Eine ganze Woche schulfrei. Das klingt doch super, oder?«

»Auf jeden Fall!«, erwiderte Maja. »Vor allem keine Leonie mehr!«

Leonie hatte die eine Hälfte des Nachmittages damit verbracht, sie zu ignorieren, die übrige Zeit hatte sie Maja auf ihre Rechtschreibfehler in ihrer Zusammenfassung eines Biologie-Experimentes über Kresse hingewiesen. Dabei waren Majas Schuldgefühle, weil sie Leonie vormittags gekränkt hatte, ganz schnell wieder verflogen!

Ihre Mom sagte tadelnd: »Oh, Maja, das ist aber wirklich nicht besonders nett von dir! Ihr wart doch mal gute Freunde!«

»Bei der Einschulung und im ersten Schuljahr, ehe sie so nervig wurde!«, antwortete Maja.

Es stimmte, dass Leonie und sie sich bei der Einschulung richtig gut verstanden hatten. Leonie war sechs Monate älter als Maja und sie hatte immer gute Ideen für Spiele gehabt, die echt Spaß gemacht hatten: nicht nur Fangen oder Verstecken, sondern Delfin-Tummeln oder Einhorn-Hüten. Aber irgendwann fing Leonie an, Maja herumzukommandieren – da hatte sie sich stattdessen mit Lottie und Sita angefreundet.

»Könnt ihr nicht wieder Freunde werden?«, fragte ihre Mom. »Neulich habe ich mich mit Leonies Mutter unterhalten und sie sagt, Leonie ist ziemlich einsam.«

Das konnte Maja nicht glauben. »Sie verhält sich aber nicht so, als ob sie einsam ist oder sich mit irgendjemandem anfreunden will. Statt sich mit uns zu unterhalten, geht sie weg, um in einem Buch zu lesen. Und wenn sie irgendwo mitmachen muss, dann erzählt sie jedem, wie blödsinnig dessen Ideen sind und dass sie sowieso immer die besten hat!«

»Vielleicht ist das so, weil sie ein Einzelkind ist«, vermutete Mrs Greene. »Ich war auch eins, ich weiß, was das bedeutet. Manchmal weiß man einfach nicht, wie man sich einfügen soll. Vielleicht will sie ja eigentlich sehr gerne mit euch allen befreundet sein?«

»Hmm«, machte Maja ungläubig und wechselte das Thema. »Fahren wir jetzt direkt nach Hause?«

»Nein, wir fahren erst noch mal bei Oma Annes Haus vorbei und holen ein paar Sachen, die wir spenden wollen. Dad kommt auch hin, ehe er weiterfährt, um Kleo vom Korbball-Training abzuholen.«

»Daktor!«, rief Timmi und zeigte aus dem Fenster auf einen Traktor.

»Ja, Traktor. Und schau hier, da ist auch noch ein Bagger!«, sagte Maja und zeigte ihrem kleinen Bruder dieses und jenes, während ihre Mom den Wagen über die kurvigen Straßen Westcombes steuerte.

Maja hatte ihr gesamtes Leben in Westcombe verbracht, einem großen Dorf an der Nordküste der englischen Grafschaft Devon. Sie lebte gerne dort. An sonnigen Tagen gingen ihre Eltern, Timmi, Kleo und sie oft an den Kieselstrand zum Picknicken. An stürmischen Wintertagen packten sie sich gut ein in Regenmäntel und unternahmen windige Spaziergänge, bei denen sie immer auf eine heiße Schokolade im Kupferkessel-Café einkehrten.

Ihre Mom bog von der Hauptstraße auf eine schmale, mit Schlaglöchern übersäte Straße ein, die zum Strand führte. Es gab nur wenige Häuser am Ende der Straße und auf halber Strecke lag Oma Annes weißes Steinhäuschen mit seinem Reetdach und den kleinen Fenstern.

Das Auto hielt vor dem Haus und Maja lief ein Schauder über den Rücken. Seitdem Oma Anne gestorben war, waren die Vorhänge an den Fenstern zugezogen. Es sah aus, als ob das Haus die Augen zugemacht hätte. Ihre Mom nahm Timmi aus seinem Autositz und trug ihn zur Haustür, sie drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf. Maja ging mit hinein. Das Haus war dunkel und kalt. Große Umzugskisten standen im Flur.

Maja dachte daran, wie es früher hier gewesen war – hell, der Geruch von frisch gebackenen Keksen zog durch die Räume und Oma Anne stand in der Küche und bereitete Tee mit ihrem besonderen roten Kessel, der pfiff, wenn das Wasser kochte. Und wenn sie Maja sah, hatte sie immer ein Lächeln auf den Lippen …

Maja lief wieder aus dem Haus. Hier drin zu sein machte sie zu traurig.

Ihre Mom musterte sie: »Alles in Ordnung, Maja?«

»Kann ich ein Stück spazieren gehen?«, fragte Maja. »Ich geh nur bis zum Wasserfall.«

»Das ist in Ordnung«, sagte ihre Mom. »Aber geh nicht weiter als bis dorthin. Hast du dein Handy einstecken?«

Maja nickte und floh.