Autor und Herausgeber danken:
Axel Böcker, Carsten Diez, Heiko Lukas, Jens Meyer, Markus Ott, Jens Stahnke, Katrin Voermanek, dem Landesdenkmalamt des Saarlandes und den geduldigen wie nachsichtigen Frauen Mao Meyer und Ruth Arenz
Inhalt
Grußwort von Ulrich Commerçon, Minister für Bildung und Kultur
Grußwort von Prof. Wolfgang Lorch, Stiftung Baukultur Saar
Vorwort von Katrin Voermanek: Neu gesehen, neu bewertet
Einleitung: Gebäude 1900–1945
Kapitel 1: Saarbrücken
Kapitel 2: Regionalverband Saarbrücken
Kapitel 3: Landkreis Saarlouis
Kapitel 4: Landkreis Merzig
Kapitel 5: Landkreis St. Wendel
Kapitel 6: Landkreis Neunkirchen
Kapitel 7: Saarpfalz-Kreis
Kapitel 8: Karten
Saarbrücken
Saarlouis
Übersichtskarte Saarland
Index Architekten
Index Gebäudetypen
Team
Impressum
Ulrich Commerçon
Minister für Bildung und Kultur
des Saarlandes
»Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit.« So hielt es der berühmte Berliner Baumeister Karl Friedrich Schinkel bereits im frühen 19. Jahrhundert fest. Die konstruktive Tätigkeit der Architektur mit all ihren Veränderungen, Erneuerungen und Metamorphosen im Saarland darzustellen, ist der nicht geringe Anspruch des vorliegenden Architekturführers für das Saarland. Und diesem Anspruch werden die Autoren gerecht! Selbst im kleinsten Flächenland Deutschlands bleibt die Absicht, einen Wegweiser zu den architektonischen Sehenswürdigkeiten des Landes herauszugeben, ein ambitioniertes Unterfangen. Wer offenen Auges durch die Städte und Dörfer des Saarlandes reist, wird erstaunt feststellen, wie vielseitig, innovativ und oft auch unkonventionell sich die Architektur im Saarland darstellt. Prachtvolle Barockarchitektur wechselt sich ab mit den Bautraditionen der Industrialisierung, wie sie sich in den noch erhaltenen Siedlungen der Industrie- und Bergarbeiterschaft wiederfindet. Bemerkenswerte Bauwerke zeitgenössischer Architektur treffen vielerorts auf Elemente der Gründerzeit oder des Jugendstils.
Es darf dabei auch nicht außer Acht gelassen werden, welchen Einfluss die wechselvolle Historie unserer Grenzregion ausgeübt, wie sie immer wieder unterschiedlichen Baustilen und Bauphilosophien Raum zur Entfaltung gegeben oder verweigert hat. Mit den jeweiligen historischen Kontexten veränderten sich naturgemäß gerade die Philosophien des Bauens. Ich erinnere beispielsweise an die zahlreichen Baumaßnahmen der Nachkriegszeit, als besonders in Saarbrücken die architektonischen Visionen der französischen Urbanisten vor Ort in Georges-Henri Pingusson ihren kongenialen Baumeister fanden.
Ob von reiner funktionaler Zweckmäßigkeit geprägt, wie sie vielen modernen Bürogebäuden eigen ist, oder durchdrungen von der Absicht einer umfangreichen Stadtgestaltung, wie man sie in den historischen Plänen und Bauten des nassau-saarbrückischen Baumeisters Friedrich Joachim Stengel wiederfindet – überall im Saarland lassen sich über die Jahrhunderte bis in unsere Zeit stets neue, auch wegweisende Variationen architektonischer Gestaltung finden.
Komplettiert werden sie durch die Planung und Realisierung moderner Wohn- und Siedlungsprojekte, die in Stadt und Land neue planerische Entwicklungsperspektiven ermöglichten und damit erheblich zur Steigerung der Lebensqualität beitragen.
Den Autoren des vorliegenden Bandes gilt abschließend ein besonderer Dank. Nach über zwanzig Jahren liegt mit dem aktuellen Band – endlich, möchte man sagen - wieder ein Architekturführer Saarland vor. Annähernd zweihundert Bauten dokumentieren die Kultur des Bauens. Interessante fotografische Perspektiven werden durch anschauliches Planmaterial ergänzt und textlich erläutert. Damit steht dieser Architekturführer in einer Reihe mit anderen Publikationen zum Saarland, die alle eines zeigen: Großes findet sich immer auch im Kleinen!
Ulrich Commerçon 2014 in seinem Büro im »Pingusson-Bau« (Nr. 026)
© MK
Foyer der Mensa der Universität des Saarlandes (Nr. 108)
Prof. Wolfgang Lorch
Vorsitzender der Stiftung Baukultur Saar
»Nach über 20 Jahren: Ein neuer Architekturführer für das Saarland«: So lautet der Ankündigungstitel der Publikation im Regionalteil des Deutschen Architektenblatts. 20 Jahre! Wenn die Initiative zu diesem Buch nicht vom Herausgeber Marco Kany gekommen wäre – man hätte sie erfinden müssen.
Der Architekturführer porträtiert beinahe 200 saarländische Gebäude von 1945 bis heute. Er zeigt eine Bestandsaufnahme der saarländischen Baukultur, endlich auch der letzten zwei Dekaden.
Dabei ist er gleichermaßen Vor- und Rückschau. Die Publikation der Gebäude ist auch ein Mittel der Qualitätssicherung. Sie macht deren architektonische Qualitäten sichtbar und trägt sie in die breite Öffentlichkeit.
Die Stiftung Baukultur Saar hat es sich zur Kernaufgabe gemacht, Baukultur zu fördern. Städtebauliche und hochbauliche Themen und der zivilgesellschaftliche Diskurs darüber sind eine öffentliche Sache (res publica). Mit diesen Themen befasst sich die Stiftung Baukultur Saar. Sie organisiert regelmäßig Veranstaltungen (Vorträge, Podiumsdiskussionen, Vernissagen etc.), die sich ausdrücklich an alle interessierten und neugierigen Bürgerinnen und Bürger richten, nicht nur an Fachleute. Damit soll eine inhaltliche Debatte, die saarländische Baukultur betreffend, angestoßen und verstetigt werden.
Die Zukunft des Bauens wird auch bei uns weniger im Neubau denn im Um- und Weiterbau liegen. Das bedeutet: Neben dem Erhalt historischer Strukturen sind vor allem behutsame Ergänzungen mit zeitgemäßen, gestalterisch anspruchsvollen Gebäuden, gelungene An- und Umbauten sowie sensible Eingriffe in den Ortszentren wichtig.
Die Stiftung regt dazu an, sich mit dem baulichen Umfeld, den bestehenden Häusern, den Zentren und Stadtteilen im Saarland zu befassen, genau hinzuschauen, von spannenden Diskussionen und Anregungen »von außen« zu profitieren. Die Veranstaltungen sollen dazu beitragen, die regionale Baukultur im Saarland zu stärken und weiterzuentwickeln.
Neben den Veranstaltungen sieht die Stiftung auch in der vorliegenden Dokumentation eine Stärkung und Kultivierung der Baukultur. Aus diesem Grund fördert die Stiftung Baukultur Saar den Architekturführer Saarland und eröffnet den Diskurs mit Ihnen allen!
Vorwort von Dipl.-Ing. Katrin Voermanek
Das Saarland mag derzeit kein wohlhabendes Bundesland sein – umso reicher ist es an architektonischen Schätzen, insbesondere aus den Jahren nach 1945. Höchste Zeit, den jüngeren baukulturellen Bestand der Region über einen aktuellen Architekturführer zu erschließen, mit hohem Gebrauchswert, guten Fotos, originalen Planzeichnungen und hilfreichen Indizes. Geographisch sortiert und mit vollständigen Adressangaben versehen, leitet dieses Buch den Weg jedes Architekturinteressierten auch zu versteckten Preziosen. In mal kürzeren, mal ausführlichen, stets kenntnisreichen Texten informiert es über die wichtigsten kommerziellen, kulturellen und institutionellen Bauwerke des Landes sowie einige private Wohngebäude. Dabei umspannen die Projekte eine große zeitliche und typologische Bandbreite. Sie reicht von einer Dachaufstockung in Merzig bis zur Pfarrkirche in St. Ingbert, von einer ehemaligen Omnibuswartehalle in St. Wendel bis zum Saarbrücker Schloss.
Wie überall sonst hat sich auch im Saarland in den vergangenen Jahren ein Wechsel vollzogen, mit dem eine neue Wahrnehmung und vor allem Bewertung der Bauten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einherging. Nachdem die Begriffe »Nachkriegsarchitektur« oder »Brutalismus« lange Zeit negativ konnotiert waren, erfahren Bauten, die sich so einordnen lassen, heute eine ganz andere Wertschätzung und sogar Unterschutzstellung. Galten vor nicht allzu langer Zeit viele Bauten der 1950er und 1960er Jahre pauschal als wenig repräsentativ und spießig, die der späten 1960er und 1970er Jahre oftmals als grobschlächtig und roh, hat sich die Sicht auf die Architektur dieser Zeit inzwischen gewandelt und die Urteile fallen differenzierter aus. Die unaufgeregte Leichtigkeit und Eleganz der einen wird heute geschätzt, das räumliche und skulpturale Selbstbewusstsein der anderen bewundert. Längst steht nicht mehr nur Schmerz über das Verlorene, Zerbombte, das nicht Rekonstruierte, das »nur« Ersetzte im Vordergrund. Die Architektur der neuen Zeit wird nicht mehr ausschließlich daran gemessen, was zuvor Historisches an ihrer Stelle stand, daran, »wie schön es vorher einmal war«. Sie steht für sich selbst, entfaltet ihre ganz eigene Identität, und so werden auch viele Gebäude im Saarland zu Recht völlig neu bewertet.
Dieses Buch lädt dazu ein, die Qualität und Vielfalt des Baubestands der vergangenen 70 Jahre (und einige wenige ältere »Klassiker«) ganz neu zu entdecken. Mit jeweils unterschiedlichem Fokus betrachtet, ergibt der reichhaltige Fundus an Bauten ein immer wieder anderes und aufschlussreiches Bild. So ist er zum Beispiel von Lebenslinien einzelner Architektenpersönlichkeiten durchzogen. Er stellt aber auch heraus, welche Gebäudetypen in den Jahren des Wiederaufbaus vorrangig gebraucht wurden. Im Falle des Saarlandes mit seiner wechselvollen deutsch-französischen Geschichte werden in diesem Architekturführer auch grenzüberschreitende Einflüsse sichtbar. Und nicht zuletzt kann er verschiedene Zeitschichten in architektonischen »Mikrokosmen« freilegen.
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Gästehaus des Leibniz-Instituts auf Schloss Dagstuhl (Nr. 163)
ARCHITEKTONISCHE LEBENSLÄUFE
Im Saarland haben einige prominente Architekten gebaut: Peter Behrens die Villa Obenauer am Saarbrücker Triller schon 1907 (Nr. 002), der große Kirchenbauer Rudolf Schwarz 1959 »Maria Königin« auf dem Rotenbühl in Saarbrücken (Nr. 067), der Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm ebenfalls mehrfach in der Landeshauptstadt, aber auch in Saarlouis und Sulzbach (Nr. 134, Nr. 117). Richard Döcker, Erbauer der Saarländischen Universitätsbibliothek (Nr. 097), war auch über Stuttgart hinaus als Bauleiter der Weißenhofsiedlung und Architekt qualitätvoller Wohnbauten bekannt. Dieter Oesterlen, Architekt der »Congresshalle« am Saarbrücker Saarufer (Nr. 050), hat als Hochschullehrer die so genannte »Braunschweiger Schule« entscheidend mitgeprägt und seiner Heimatstadt Hannover bedeutende Bauten wie die umgestaltete Marktkirche, den Landtag im Leineschloss oder das Historische Museum geschenkt. Mies-Schüler Peter C. von Seidlein aus München steuerte 1966 die (heute zum Wohnhaus umgebaute) Siemens-Niederlassung an der Martin-Luther-Straße in Saarbrücken bei (Nr. 061). Neben diesen überregional glanzvollen Namen sind aus saarländischer Sicht aber vor allem »lokale Helden« interessant, deren Schaffen in den Kapiteln des Architekturführers immer wieder aufscheint: zuallererst Stadtbaudirektor Peter Paul Seeberger mit seinen wunderbaren Schulen (Nr. 056, 060, 062, 075, 084, 091) und der Neuen Halle auf dem Hauptfriedhof (Nr. 086) in Saarbrücken; dann die »Architektendynastie« Krüger, die in erster Generation eine nachkriegsmoderne Perle wie das Kreiskulturhaus am Saarbrücker Schlossplatz verantwortete (Rudolf Krüger, Nr. 022), in zweiter Generation das Stadtbild mit dem Diskonto-Hochhaus prägte (Klaus Krüger mit Lutz Rieger, Nr. 028) und in dritter Generation vor allem mit Meilensteinen des Umbaus und der Sanierung von sich reden machte. So führte Stefan Krüger gemeinsam mit seinem Bruder Daniel zum Beispiel die 2006 erfolgte Freilegung der Kasematten unter dem Schlossplatz als Erweiterung des Historischen Museums Saar durch und zusammen mit seiner Ehefrau Karin Dalbert-Krüger unter anderem die Sanierung der Staatskanzlei am Ludwigsplatz, Nr. 023).
Hanns Schönecker darf in dieser Aufzählung keinesfalls fehlen. Auch seine Architektenbiographie ist eine bedeutende saarländische Erzählung, die in diesem Buch anhand von fünf Projekten nachvollzogen werden kann und deren Höhepunkt zweifelsohne die heute durch Kuehn Malvezzi und Michael Riedel erweiterte Moderne Galerie in Saarbrücken (Nr. 032) ist. Walter Schrempf ist mit vier Bauten vertreten: einer Schule, der dringend zu rettenden Autobahnraststätte Goldene Bremm, der überragenden Mensa der Universität des Saarlandes (Nr. 108) und, zusammen mit Konrad Schmitz, dem Anatomischen Institut der Universitätsklinik. In jüngerer Zeit haben sich Büros wie Alt & Britz, Miroslav Volf und vor allem Wandel Hoefer Lorch mit gleich mehreren sehenswerten Beiträgen in die Architekturgeschichte des Landes eingeschrieben.
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Bruder-Konrad-Haus (Nr. 058)
ARCHITEKTUREN DES NEUANFANGS
Eine typologische Reise durch diesen Architekturführer würde wohl am ehesten entlang der Stationen »Öffentliche Bauten / Schulen / Kirchen / Wohnbau« verlaufen – den bestimmenden Themen des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Nicht nur in Saarbrücken, sondern auch in anderen saarländischen Städten schlossen Neubauten Wunden, schufen Ersatz, markierten einen Neuanfang. So bekam Saarlouis 1954 ein neues Rathaus von Peter Focht (Nr. 135) und 1960 das »Theater am Ring« von Hanns Rüttgers (Nr. 140), Dillingen erhielt 1962 eine neue Stadthalle (Architekten Baldauf, Hoffmann, Klein, Nr. 155), St. Ingbert 1971 ein neues Rathaus von Hanns Schönecker mit Norbert Köhl und Erich Kreischer (Nr. 190) – Bauaufgaben, die in den Werkverzeichnissen heutiger Architekten so gut wie nicht mehr vorkommen. Bemerkenswerte Schulbauten gehen vor allem auf den bereits erwähnten Architekten und Stadtbaudirektor Seeberger in Saarbrücken zurück – sie allein rechtfertigen einen ausgiebigen Stadtspaziergang. Der Schatz an modernen Kirchenbauten ist landauf, landab besonders umfangreich. Rudolf Schwarz und die Böhms gehören zum Pflichtprogramm, aber es gibt noch so viel weniger Bekannteres aufzuspüren. Wo beginnen, wo aufhören? Bei Hanns Schönecker in Losheim am See (Nr. 166)? Bei Karl Peter Böhr in Neunkirchen (Nr. 173) oder Alois Artzberger in Gersheim (Nr. 185)? Bei Konrad Schmitz in Klarenthal? (Nr. 112)? Bei Latz und Laub oder Hans Schick in Dudweiler? Die Reise lohnt sich.
Besonders interessante Wohnbauten entstanden in den 1950er Jahren unter anderem mit dem ehemaligen Frauenwohnheim in Saarbrücken-St. Arnual (Nr. 014) des Architekten Hans Hirner, dem ehemaligen Beamtenwohnhaus »Habitat am Stockenbruch« von Jean Schoffit (Nr. 015) oder den »Professoren-Wohnhäusern« von Marcel Roux an der Bruchwiese (Nr. 063). Letztere sind als Teil der Wiederaufbaupläne unter französischer Leitung zu verstehen, die als eigene verfolgenswerte Spur durch die neuere saarländische Architektur verlaufen.
GRENZÜBERSCHREITENDE EINFLÜSSE
Es ist kein Zufall, dass zwei Bauten in diesem Buch viel Platz eingeräumt wurde: der ehemaligen Französischen Botschaft in Saarbrücken (Nr. 026) und der ehemaligen Sendehalle des Senders »Europe 1« in Überherrn (Nr. 152). Diese beiden Projekte sind architektonisch herausragend. Sie stehen stellvertretend für eine Zeit, in der das Saarland als autonomes Protektorat Frankreichs unter dem Einfluss grenzüberschreitender architektonischer Strömungen stand – und durch die besondere staatspolitische Konstellation vor ungewöhnlichen Bauaufgaben. Die Sendehalle von Jean-François Guédy und Eugène Freyssinet diente einer privaten Rundfunkgesellschaft, die aus dem Saarland ein französischsprachiges Programm nach Frankreich ausstrahlte, um das dortige Verbot kommerziellen Rundfunks zu umgehen. Das Botschaftsgebäude war ab 1954 offizieller Sitz der Vertretung Frankreichs im Saarland. 1960, drei Jahre nach dem Beitritt zur BRD, wurde der schlanke Büroriegel zum Sitz des Kultusministeriums umgewidmet. Sein Erbauer, der französische Architekt und Stadtplaner Georges-Henri Pingusson, war von der französischen Besatzungsmacht mit der Entwicklung eines Wiederaufbauplans für Saarbrücken beauftragt worden. Vergleichbare Initiativen gab es für Saarlouis und Neunkirchen unter Federführung von Edouard Menkès und Pierre Lefèvre. Umgesetzt wurden die modernen Stadtvisionen, die sich mit strenger Funktionstrennung und teilweise radikalen Verkehrskonzepten an den Idealen der Charta von Athen orientierten, in nur sehr kleinen Fragmenten. Das Botschaftsgebäude ist eines davon in Saarbrücken, weitere sind Einzelobjekte wie die erwähnten Wohngebäude, das Ministerium für Finanzen am Stadtgraben (Nr. 029) oder ganz alltägliche Stadtmotive wie die Kolonnaden in der Bahnhof-, Kaiser- oder Eisenbahnstraße.
ARCHITEKTONISCHE MIKROKOSMEN
Nicht zuletzt ist es Aufgabe eines Architekturführers, seine Leser vom Sofa zu locken und Anreize zur Erkundung architektonischer Mikrokosmen zu bieten. Solche zeichnen sich durch intensives Baugeschehen auf engem Raum mit Projekten vieler verschiedener Architekten aus. Dazu gehören zum Beispiel neue Wohngebiete wie »Bellevue 2.0« (Nr. 090) oder das Büroquartier »Eurobahnhof« in Saarbrücken (Nr. 070). Zahlreiche Einträge in diesem Buch verzeichnen zu Recht die Bauten der Universität des Saarlandes auf dem Campus im Saarbrücker Stadtwald und für das Universitätsklinikum in Homburg. Hier stehen in direkter Nachbarschaft Bauten aus nahezu allen Jahrzehnten seit den 1950er Jahren repräsentativ für den Geist ihrer jeweiligen Dekade und machen einen Besuch zur architektonischen Zeitreise. Insbesondere im Stadtwald lassen angekündigte Investitionen in Forschungseinrichtungen eine große Dynamik erwarten, was außer der Wissenschaft als Inhalt ja auch immer die Architektur des Lehrens, Lernens und Forschens betrifft. Die besten der zu erwartenden Neubauten werden ganz sicher Aufnahme in die nächste Auflage des Architekturführers Saarland finden.
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Katholische Kirche St. Hildegard (Nr. 117)
001
Ehemalige Bergwerksdirektion
Trierer Straße 1, Saarbrücken
Martin Gropius und Heino Schmieden, 1880
Mit der Ausweitung der Kohlenförderung an der Saar nach dem Deutsch-Französischen Krieg wuchs auch der Verwaltungsaufwand der Bergwerke. Das Neorenaissance-Gebäude der Königlich-preußischen Bergwerksdirektion, auf einem prominenten Grundstück in der Innenstadt gelegen und von den Berliner Architekten Martin Gropius und Heino Schmieden entworfen, beherbergte von 1880 bis in die 2000er Jahre die zentrale Verwaltung. Das spitzwinklige Grundstück bedingte eine zweiflüglige Anlage. Die Gebäude-Ecke bildet den Endpunkt der Blickachse der Bahnhofstraße und ihren point de vue. Der Flügel an der Trierer Straße hat die doppelte Länge des Flügels an der Reichsstraße. Ein zweites Portal liegt an der Trierer Straße. Steinerne Wappenschilde mit den Namen der Bergwerke, Porträtmedaillons und Skulpturen schmücken die Fassade. Der Balkon an der Ecke trägt die Inschrift »Glück auf«. Die Sandsteinfassaden sind dreigeteilt: gelber Sandstein für die Flächen, Ornamente aus rotem Sandstein, die Figuren und Medaillons aus weißem. Im zweiten Weltkrieg wurde der Flügel in der Trierer Straße von Bomben getroffen und 1949 in vereinfachter Form wiederaufgebaut. Die Zerstörungen in Friedenszeiten waren jedoch gravierender als die Kriegszerstörungen: Das gusseiserne Treppenhaus und der Hof mit farbigen Glasfenstern wurden beim Umbau des Gebäudes zu einem Einkaufszentrum zu einem Innenraum. Das Gebäude sollte 1971 abgerissen und durch ein Kaufhaus ersetzt werden. Nach Protesten wurden diese Pläne aufgegeben und es erfolgte eine Sanierung. Im Jahr 2006 wurde das Gebäude an einen Investor veräußert, der nur die Fassade zum Bestandteil seiner Mall machen wollte. Erneute Proteste führten dazu, dass wenigstens Haupttreppe, Fliesen, Festsaal und Fenster erhalten blieben. Um einen barrierefreien Zugang zum Haupteingang zu schaffen, wurde die Freitreppe entfernt. Im Jahr 2010 wurde die entkernte ehemalige Bergwerksdirektion zur Eingangsfassade der »Europa-Galerie« (siehe Nr. 041).
002
Villa Obenauer
Trillerweg 58, Saarbrücken
Peter Behrens, 1907
Alle Fotos auf dieser Doppelseite: © MK
Die Villa Obenauer liegt im Wohngebiet Triller an einem Südosthang. Die Hanglage prägt die Architektur. Die kubische, zweigeschossige Villa hat ein Zeltdach und ein hohes Sockelgeschoss. Die Fassade ist in rechteckige Putzfelder gegliedert. Eine Terrasse mit Pergola rahmt die Villa. Behrens‘ Entwurf nimmt Elemente der Moderne vorweg. Peter Behrens, der berühmteste deutsche Architekt der Frühmoderne, entwarf auch die Ausstattung des Herrenzimmers, des Speisezimmers und der Halle. Im Jahr 1940 veräußerte die Familie des Saarbrücker Lebensmittelhändlers Gustav Obenauer ihre Villa an die Reichsautobahnverwaltung. Das im Krieg nur leicht beschädigte Haus wurde nach 1945 als Jugendheim genutzt, bis 1962 die Bundesvermögensverwaltung einzog. Wegen der wechselnden Nutzungen wurde die Villa mehrmals umgebaut, die Fenster verkleinert und Türen vermauert. Seitdem die Bundesvermögensverwaltung im Jahr 2000 auszog. ist das Haus wieder in Privatbesitz und wurde saniert; dabei wurden Veränderungen rückgängig gemacht.
003
Katholische Kirche St. Elisabeth
Beethovenstraße 4,
Saarbrücken-Altenkessel
Ludwig Becker und Anton Falkowski, 1929
Die Kirche St. Elisabeth ist ein gutes Beispiel für die gemäßigt moderne Sakralarchitektur der späten 1920er Jahre und wurde von Becker und Falkowski entworfen, die 1909 ihr gemeinsames Architekturbüro gegründet hatten. Ludwig Becker war einer der produktivsten katholischen Kirchen-Bauer Deutschlands. Das Langhaus der Kirche in Altenkessel wird durch Säulen in ein Mittelschiff und zwei Seitenschiffe gegliedert. Nördlich schließt der Chorraum mit Apsis an. Ein Tonnengewölbe überspannt das Mittelschiff. Der im Grundriss quadratische Turm der Kirche ist an das Kirchenschiff angebaut und hat einen runden Aufsatz. Die Portalfassade ist durch Gesimse und Blendbögen gegliedert.
004
Stadtsparkasse
Rathausplatz 9, Saarbrücken
Walter Kruspe, 1928
Die Platzwände am Rathausplatz wurden mit Walter Kruspes Neubau der Stadtsparkasse auf der Ostseite geschlossen. Zur Nassauer Straße hin hat die Bank einen Arkadengang. Für den Bau kamen nach Ansicht des Architekten mit Rücksicht auf den nahen Rathausturm und die Johanneskirche nur einfache, »im Gegensatz zum gotischen Rathaus möglichst ruhige« Formen in Frage. Der kubische, moderne Bau ist aber wie die Nachbargebäude mit rotem Sandstein verblendet. Der Hauptbau markiert mit seiner zurückgesetzten, turmartigen Gebäudeecke den Haupteingang in Richtung Rathaus. Der Bau wird ergänzt durch ein Penthouse-artiges Staffelgeschoss, das seit 1962 das ursprüngliche Walmdach ergänzt.
005
Rathauserweiterung
Rathausplatz 1, Saarbrücken
Julius Ammer, 1926
Als sich die drei Städte Alt-Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach 1909 zusammenschlossen, wurde das Rathaus von St. Johann zum Rathaus einer Großstadt mit 105.000 Einwohnern. Der bestehende Hauberrisser-Bau erwies sich bald als zu klein. Schon 1913 plante Stadtbaurat Julius Ammer deshalb einen Erweiterungsbau in der Kaltenbachstraße. Durch den Ersten Weltkrieg blieben seine Pläne jedoch zunächst Papier. Erst zu Beginn der 1920er Jahre wurde Ammer mit der Umsetzung seiner Entwürfe für die Erweiterung beauftragt. Die Fassade sollte eine »reiche Ausgestaltung« erhalten und sein Gebäude zwei Sitzungssäle und einen Ratssaal enthalten. Anders als der dreigeschossige Altbau hat der ebenfalls aus rotem Sandstein erbaute symmetrische Gebäudetrakt vier Stockwerke. Der alte Ratssaal diente nach Fertigstellung des Neubaus nur noch Repräsentationszwecken. Ammers Neubau hat einen Erker und interpretiert die Neogotik des Altbaus im Stil des Expressionismus. Der fünfachsige Mittelrisalit ist im Giebel mit zwei Frauenstatuen geschmückt. Die Erkertürme sind von den beiden aus dem 13. Jahrhundert stammenden Heidentürmen des Wiener Stephansdomes inspiriert. Auch die Interieurs haben neogotische Formen, die Hauberrissers Stil auf expressive Art weiterentwickeln.
006
Saarländisches Staatstheater
Schillerplatz 1, Saarbrücken
Paul Otto August Baumgarten, 1938
Umbau Gottfried Böhm, 1987
Alle Fotos auf dieser Doppelseite: © MK
Theatersaal mit Deckengemälde von Gottfried Böhm
Das Staatstheater in Saarbrücken (ehemaliges »Gautheater Saarpfalz«) wurde dem Saarland als Dank für das Abstimmungsergebnis 1935, mit dem die Saarländer sich für eine Angliederung an das Deutsche Reich entschieden hatten, von der nationalsozialistischen Regierung »geschenkt«. Ein Großteil der Baukosten musste dennoch von der Stadt Saarbrücken finanziert werden. Das Theater sollte nach Willen der Machthaber an der Grenze des Deutschen Reiches als kulturelles »Bollwerk« gegen Frankreich dienen. Der Entwurf von Paul Otto August Baumgarten, dem prominentesten NS-Architekten für Theater, ist ein typisches Beispiel für die neoklassizistische Architekturauffassung der Nationalsozialisten. Das Theater brannte im Zweiten Weltkrieg aus, wurde aber in den 1950er Jahren restauriert. Das Staatstheater verfügt über 875 Plätze. Eine zweite Renovierung des Saals und Foyers von Gottfried Böhm aus Köln von 1987 gibt den Interieurs eine postmoderne Note.
007
Ehemalige Hauptpost/Oberpostdirektion momentan Bildungs- und Kulturministerium des Saarlandes
Trierer Straße 33, Saarbrücken
Ludwig Nobis, 1928, Umbau Peter Alt, 2015
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