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Alles ist gut,
solange du wild bist!



Vollständige E-Book-Ausgabe

des im 360 Grad Verlag GmbH erschienenen Werkes


360 Grad Verlag GmbH

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© 2021 * 360 Grad Verlag

Text: © Joachim Masannek

Illustrationen und Cover: © Jan Birck

Umschlag und Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Datenkonvertierung eBook: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.


Alle Rechte vorbehalten.


ISBN-print 978-3-96185-984-9

ISBN-epub 978-3-96185-985-6


Inhalt

Impressum

Titel

Inhalt

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Wilde Zeit

Wieder zu Hause

Ich weiß, ich hab es geschworen

Keine Geheimnisse

Alles unter Kontrolle

Der Plan des Fetten Vetters

Wo ist Nadeschda? Wer ist Nadeschda?

Schlechtes Gewissen. Gutes Gewissen

Meditations-Billardschuss-Training

Die Welt ist nur halb

Der vegetarische Wolf

Juli, bleib hier

5 ¾

Der geheime Joker, Teil 1

Nat, der Tänzer

Verrat! Verrat!

Der geheime Joker, Teil 2

Maxi, der Richter

Das Spiel gegen die Bayern

Der geheime Joker, Teil 3

Das Märchen ist aus

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Autor und Illustrator

DIE WILDEN KERLE – weitere Bände

Wilde Zeit

 

 

Endlich war es Nacht. Ich meine die Nacht, in der alles schläft. Kreuzkack und Kümmelhuhn! Ich meine alles, was gut ist. Denn das Böse, das wusste ich, wachte jetzt erst auf.

Ich lag in meinem Schlafsack und sah die Tautropfen außen auf der Zeltplane im Mondlicht funkeln. Es war, als wären die Sterne zu mir heruntergestiegen. Und so fühlte ich mich: glücklich, erschöpft und gleichzeitig absolut wild und elektrisiert. Ich spürte die Energie und das Glücksgefühl bis in meine Fingerspitzen. Es war, als ob zwischen ihnen meine Glücksmark tanzte. Die rostige Münze, von der ich so hoffte, dass sie mir irgendwann zeigen würde, wohin ich gehörte.

Ja, ich bin’s wieder, Juli »Huckleberry« Fort Knox, die Vierer­kette in einer Person. Ihr kennt mich. Ich weiß, ich bin eigentlich jetzt gar nicht dran. Meine Geschichte war die in Band 4, genau, »Juli, die Viererkette« hieß sie. Doch bevor Raban, der Held in Band 6, seine Geschichte vom Silvester­fußballorakel erzählen wird, muss ich mich leider noch mal dazwischen drängeln.

Warum, wollt ihr wissen?

Weil meine Geschichte noch nicht vorbei ist. Sie ist noch nicht zu Ende erzählt. Ich bin noch nicht wirklich wieder zurück. Ein Teil von mir lebt noch immer im Dicke-Michi-Land. Kümmelkreuz Hühnerkack!

Dabei vertrauen mir, dem Verräter, meine Freunde, die Wilden Kerle, inzwischen wieder total, und wir leben und atmen doch gerade die wildeste Zeit unseres Lebens.

Deniz, die Lokomotive hat es euch am Ende seiner Geschichte im Band 5 ja bereits erzählt. Die Herbstferien hatten begon­nen und Willi hatte den Teufelstopf gleich am zweiten Ferien­tag zum Trainingslager erklärt. Das heißt, wir trainierten dort jetzt nicht mehr nur von früh morgens bis spät in die Nacht, nein, wir lebten, wir kochten und aßen und wir schliefen sogar in unserem Stadion. Es wurde zu unserem Zuhause. Es gab nur noch eins: uns, die Wilden Kerle. Wir lernten uns in- und auswendig kennen. Und wir hatten alle ein gemeinsames Ziel: die Herbstmeisterschaft. Das hieß, ein Sieg gegen den Turnerkreis und davor ein Sieg im Testspiel gegen die Bayern. Ja, genau, ich spreche vom FC Bayern und ich hoffe, ihr wisst, was das heißt. Wenn wir dieses Testspiel gewinnen, hat der Turnerkreis nicht mehr den Hauch einer Chance. Dann sind wir nach dem Ende der Hinrunde Tabellenführer in der Dimen­sion 8, der Liga, in der alle Spieler der anderen Mannschaften mindestens ein, wenn nicht sogar zwei Jahre älter sind als wir.

Und genau das, das müsst ihr mir glauben, das wollte ich auch. Ich wollte es so sehr wie jeder andere Wilde Kerl. Und deshalb hatte ich dieses Mal auch kein schlechtes Gewissen. Dieses Mal verheimlichte ich nichts. Dieses Mal hatte ich nur … verflixt noch mal, ein großes Geheimnis. Ja, das hatte ich. Das schwöre ich euch und wenn ihr denkt, es hilft, könnt ihr es genauso schwören.

Also: Klappt das Buch zu, legt die Hand auf das Wilde Kerle-Logo, schließt die Augen und sprecht mir nach:

Juli »Huckleberry« Fort Knox, die Viererkette in einer Person, ist und bleibt für alle Zeit ein Wilder Kerl und er wird mit den Wilden Kerlen in sieben Tagen gegen den FC Bayern spielen.

Trotzdem krabbelte ich über meinen neben mir vor sich hin schnarchenden kleinen Bruder. Nein, er schnarchte nicht nur. Mindestens alle zwölf Atemzüge ließ Joschka einen fahren, ganz leise und lang. Puh, ich sage euch, das schnürte mir die Kehle zu und ließ die Luft im Zelt zum Schneiden dick werden. Ganz ehrlich, dann war es mir egal, dass Joschka die siebte Kavallerie war, die wir unbedingt brauchten. Dann rollte ich ihn einfach wie eine Kugel nach draußen ins Gras, wo er weiter schnarchte und pupste.

Aber dadurch wurde es auch nicht viel besser. Die feuchte Luft verdoppelte den Geruch des Methans, das mit jedem Pups seinem Popo entfleuchte. Kreuzkack! Das weiß doch jeder von euch, der schon mal in der Badewanne – verflixt und zugenäht! Ihr wisst, was ich meine …

Ich schlüpfte also aus dem Zelt, schlich zum Holzzaun des Teufelstopfs, löste ein Brett, kroch durch die Lücke und verließ meine Wilde-Kerle-Welt. Ich Iief durch den Finsterwald, sprang über den Brennnesselgraben und durchquerte die milchige Steppe. Ich ließ selbst die Graffiti-Burgen, die Heimat des Dicken Michis, die böseste aller bösen Welten, die wir bis vor Kurzem noch kannten, hinter mir und stoppte erst, als ich das Räubernest vor mir sah.

Wohnwagen, Busse, Autowracks und Wellblechhütten duck­ten sich unter mir zwischen den Hügeln auf dem lehmigen Boden. Doch über ihnen schwebte eine flackernde Kuppel aus Licht. Ich habe euch gewarnt. Das Böse war längst erwacht. Eine Windböe, ein Vorbote des Winters, ließ die Glühbirnen­girlanden zwischen den Hütten wie Eisblumen klirren. Es war so gruselig, dass mir Kälteschauer wie eiskalte Rattenfüße den Rücken hinabliefen. Und ich wünschte mich zurück in mein Zelt: zurück zu meinen Freunden.

Warum bin ich hier?, schoss es mir durch den Kopf. Der Teufelstopf war das Paradies. Besonders an diesem Abend. Ich erinnerte mich an ihn, als sähe ich einen fantastischen Film. Hoch über unseren Köpfen leuchteten, nein brannten die Baustrahlerflutlichttrauben wie sechs galaktische Sonnen. Wir hatten bis viertel nach neun trainiert. Die Nudeln kochten, und während Marlon, die Intuition, und Rocce, der Zauberer, dazu die beste karibische Soße der Welt in einem Wok erfanden, der die Größe einer Badewanne hatte, lief ich lachend zwischen meinen Freunden herum und verteilte Teller, Gabeln und Becher.

»Hey Leon!«, neckte ich den um ein Jahr jüngeren Bruder von Marlon. »Ich hab einen neuen Namen für dich. Du bist nicht nur der Slalomdribbler, der Torjäger und Blitzpasstor­vorbereiter. Du bist jetzt auch der Meister des Abwaschs. Ach ja, und du, Fabi, du bist dabei seine unverzichtbare rechte Hand.« Ich grinste die beiden blonden, unzertrennlichen Freunde an: »Ihr beide seid die, die gleich spülen werden. So hat das Fußballorakel entschieden.«

Leon war baff. Das heißt, er schnappte nach Luft, und Fabi, der schnellste Rechtsaußen der Welt, zischte drohend durch die Zähne. Eine Riesenanakonda hätte das nicht eindrucks­voller gekonnt. Sie mussten nichts anderes sagen. Ich verstand sie auch so. Es hieß: Wir denken nicht dran. Wir spülen nicht ab. Und weißt du warum: Wir spülen nie ab!

Ich zögerte kurz. Ich räusperte mich, und als nähme ich alles wieder zurück, sagte ich: »Okay, ich war vielleicht etwas zu schnell. Das Fußballorakel hat noch gar nicht entschieden.« Nervös trat ich auf der Stelle. Ich machte es spannend. Ich nahm die Mütze vom Kopf, was ich nur tat, wenn ich wirklich verlegen war. »Aber ich glaube, es wird so entscheiden. Ob ihr wollt oder nicht.«

Ich zog fünf Streichhölzer aus dem Saum meiner Mütze und hielt sie den anderen hin: »Diejenigen, die die beiden kürzesten ziehen, machen den Abwasch.«

Ich grinste ein ganz breites Lächeln.

Leon und Fabi schauten sich an. Dann sahen sie mich an. Du wirst dich nicht trauen, uns zu bescheißen, verrieten mir ihre Blicke, und ich antwortete deshalb: »Nee, Kreuzkümmelhuhn, das würde ich mich niemals wagen.«

Ich zog selbst das erste Streichholz aus meiner Hand. Ich zog es ganz langsam, und es war wirklich das längste Streichholz der Welt. Er war dreimal so lang wie ein richtiges Streichholz. »Seht ihr. Absolut fair.«

Fabis und Leons Augen verengten sich zu ganz schmalen Schlitzen. Sie glaubten mir nicht. Sie glaubten mir kein Wort. Aber sie wollten mich auch nicht als Lügner bezeichnen. So etwas war unter Wilden Kerlen nicht erlaubt. Also griffen sie gleichzeitig nach zwei Streichhölzern und zogen sie schnell aus meiner Hand.

»Oh.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sah, was ich sah. Leon und Fabi starrten auf ihre höchstens drei Millimeter langen Streichholzstummel.

»Ich glaube, viel kürzer geht nicht«, sagte ich. »Aber ihr könnt ja mal rumfragen, ob euch jemand beim Abtrocknen hilft.« Mit diesen Worten hüpfte ich weiter. Ich ignorierte die wütenden Blicke meiner beiden Freunde in meinem Rücken und reichte Vanessa, der Unerschrockenen, die das alles amüsiert beobachtet hatte, ihr Essgeschirr.

»Einen Moment!«, riefen Leon und Fabi. Sie hatten mich bei den Schultern gepackt, rissen mich zu sich herum und forderten: »Zeig uns die anderen Hölzer!«

Ich schluckte verlegen. »Das geht leider nicht.«

»Ach ja, und warum nicht?«, zischte Leon mich an.

»Hast du sie etwa gezinkt? Sind alle gleichlang? Ich meine gleich kurz? So kurz wie unsere?« Auf Fabis Gesicht entstand sein unwiderstehliches und jetzt wieder siegessicheres Lächeln.

»Ihr ha-habt schon gezogen. J-jetzt sind die anderen d-dran«, stotterte ich und tat so, als wollte ich Zeit gewinnen.

»Das ist egal. Los, zeig sie uns!«, verlangte Leon. »Und wenn wir recht haben, spülst du ab heute jeden Tag. Bis zum Ende der Ferien.«

Jetzt schauten alle Wilden Kerle zu mir. Selbst Willi kam neugierig aus seinem Kiosk heraus.

»Okay.« Ich schluckte. »Aber wenn ihr euch irrt, ist das euer Job. Dann wirst du der Meister des Abwaschs sein, Leon, und du, Fabi, bist und bleibst seine unverzichtbare rechte Hand.«

Ich hielt Vanessa die beiden Streichhölzer hin. »Zieh eines von ihnen. Aber pass auf, wenn deines noch kürzer ist, dann …«

»Ich hab es kapiert«, grinste die Unerschrockene und zog das ganz rechts zwischen meinem Daumen und dem Zeigefinger eingeklemmte Hölzchen heraus. Ein Raunen ging durch den Teufelstopf. Das Streichholz war mindestens fünf Zentimeter lang.

»Und das letzte zieh ich«, rief Markus, der Unbezwingbare, und präsentierte erschrocken den Streichholzstummel zwischen seinen Torwarthandschuhfingern. Leon und Fabi sprangen herbei. »Deins ist noch kürzer«, triumphierten sie und hielten ihre Streichhölzer daneben. Doch so sehr sie sie auch verrückten, verdrehten oder verschoben, Markus’ Streichholz war eindeutig einen Millimeter länger als ihrs.

Fabi und Leon starrten mich an. Sie sahen aus wie zwei begossene Pudel. Wie Zuckerwatte im Sintflutregen. Ihre Wut ließ ihnen Hörner wachsen. Die schossen aus ihren Schläfen hervor und zeigten in meine Richtung.

»Wie machst du das?«, zischte Leon drohend.

»Wir kriegen das raus!«, prophezeite Fabi schon lauter.

»Und dann zahlen wir es dir doppelt heim!« Leons Stimme klang fest, auch wenn sie noch etwas bebte.

»Nein, nicht doppelt«, korrigierte Fabi. »Mindestens dreifach. Und wenn das vorbei ist …«

»… fangen wir wieder von vorne an.« Leon grinste mich an, und so wütend und siegessicher dieses Grinsen auch war, mich ließ es kalt. Ich musste lachen. Genau wie die anderen Kerle und Willi. Wir lachten laut los, und schließlich blieb selbst Fabi und Leon nichts anderes übrig. Auch wenn sie sich noch so dagegen wehrten, sie konnten nicht anders. Unser Lachen steckte sie an. Es vertrieb alle Wut auf mich aus ihren Gesichtern und …

… ich musste selbst jetzt noch lachen. Doch dann hörte ich wieder das Glühbirnengirlanden-Eisklirren und mit ihm kehrten die Ratten-Eisfüße auf meinem Rücken zurück. Ich hatte beides vergessen gehabt und wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar vergessen, wo ich jetzt war: hinter den Graffiti-Burgen vorm Räubernest des Fetten Vetters, im Vergleich zu dem sein Cousin, der Dicke Michi, eine abgemagerte Bohnenstange war. Ich dachte wirklich für einen Moment, ich läge noch immer im Teufelstopf im Zelt neben meinem kleinen Bruder Joschka und wartete sehnsüchtig darauf, dass er endlich wieder pupste. Bitte Brüderchen, lass einen fahren und zeig mir, dass ich nicht hier bin, sondern bei dir! Aber Pustekuchen.

Mich packten zwei kräftige Hände. Sie rissen mich herum. Sie pressten mich mit dem Rücken auf den lehmigen Boden und ich starrte in ein so gruseliges Gesicht, von dem ich nicht wollte, dass es meinem schlimmsten Feind auch nur in seinem dunkelsten Alptraum erscheinen würde.