Über das Buch

Pori, Finnland. An einem stürmischen Herbsttag wird ein sturzbetrunkener Mann mit mehreren Messerstichen in einem Holzhaus ermordet. Ein typisch finnischer Mord – so der lakonische Kommentar der hinzugerufenen Kommissare. Der Fall scheint zunächst schnell gelöst: Im nahe gelegenen Wald wird noch am gleichen Abend ein verdächtiger Mann festgenommen.

Doch für den Ermittler Jari Paloviita entpuppt sich der Mord als schwierigster Fall seines Lebens. Der Verdächtigte war in der Jugend sein allerbester Freund. Und Jari Paloviita verdankt ihm sein Leben …

Ausgezeichnet als »Bester Kriminalroman Finnlands 2020«

Über den Autor

Arttu Tuominen, geboren 1981, wurde für seinen Kriminalroman WAS WIR VERSCHWEIGEN in Finnland vielfach ausgezeichnet. Kritiker und Leser waren begeistert von den geschickt in die Story verwobenen Rückblenden in die Kindheit der Protagonisten sowie der sensiblen Zeichnung der komplexen Charaktere.

Arrtu Tuominen lebt mit seiner Familie in der Küstenstadt Pori, in Mittelfinnland, dem Schauplatz des vorliegenden Krimis. Neben dem Schreiben hervorragender Kriminalromane arbeitet der Autor auch als Ingenieur für Umwelttechnik.

ARTTU

TUOMINEN

WAS WIR
VERSCHWEIGEN

KRIMINALROMAN

Übersetzung aus dem Finnischen
von Anke Michler-Janhunen

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Für Susanne,

meine beste Freundin

 

Woran ich mich erinnere:

An den langsam fließenden Kokemäki

An meinen Vater im Wohnzimmer, über das Zeichenbrett gebeugt

An frische Blumen in der Vase

An den Geruch der aufsteigenden Blasen im Brunnen

An den Mittsommerabend 1991, als ein Johannisfeuer nach dem anderen rings um den See aufflammte

An dich.

PROLOG

»Und was, wenn hier Häuser gebaut werden?«, fragt der schmächtigere der beiden Jungen, klettert auf einen Findling und setzt sich. Moosfetzen lösen sich und rollen herab.

»Hier? Mitten im Wald? Warum sollte man hier bauen? Hier führt doch nicht einmal ein Weg her«, antwortet der Stämmigere der beiden und sticht den Spaten in den Boden. Das spitz zulaufende Spatenblatt gleitet durch die weiche Moosschicht und trifft auf harten Moränengrund.

»Siebenundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit, und der Platz ist schön. Wenn ich ein Erwachsener wäre, würde ich mir hier auf der Anhöhe ein Haus bauen.«

»Na, dann bau dir doch eins«, stöhnt der Stämmigere, wuchtet einen Torfballen zur Seite und sticht einer Heidekrautpflanze die Wurzeln ab. »Wie tief graben wir?«

»Mindestens einen halben Meter, damit es vom Bodenfrost nicht wieder nach oben gedrückt wird.«

»Jetzt bist du aber mal dran mit Graben. Verdammt steinig hier.«

»Mein Grips und deine Muckis«, grinst der schmächtigere Junge, springt aber vom Felsen herunter und greift nach dem Spaten. Sie graben abwechselnd und schichten die ausgehobene Erde zu Haufen auf. Als sie finden, das Loch wäre tief genug, legen sie eine orangefarbene, zylinderförmige Kapsel hinein. Feuchter, leicht säuerlicher Geruch steigt ihnen in die Nase. Die Jungen betrachten kurz ihr Werk und das Ding in der Kuhle, bevor sie alles wieder zuschaufeln. Sie sind nassgeschwitzt und atmen schwer.

Als das Loch wieder mit Erde gefüllt ist, sagt der Schmächtigere der beiden:

»Ich wette um einen Tausender, dass es hier liegen wird, bis in tausend Jahren irgendein Archäologe darauf stößt.«

»Nein, lass uns schwören«, schlägt der Stämmigere vor. »Dann müssen wir es tun.«

»Okay, worauf schwören wir?«

»Auf X.«

Sie fassen sich mit gekreuzten Unterarmen an den Händen und schauen einander fest in die Augen. Der Stämmigere fängt an: »Ich verspreche und schwöre, dass wir, egal was passiert, selbst wenn ein Krieg ausbricht oder die Pest, dass wir das, was wir heute vergraben haben, in siebenundzwanzig Jahren gemeinsam wieder ausgraben werden.«

Der Schmächtigere fährt fort: »Ich verspreche und schwöre, dass ich über dieses Versteck mit keinem Menschen sprechen werde. Sollte einer von uns sterben, dann wird der andere hierherkommen und es allein wieder ausgraben.«

Über dem Wald hängt nach dem Regen ein frischer Duft, eine Mischung aus Harz, Kiefernnadeln und Erde. Die Sonne schimmert zwischen den Bäumen hindurch und bescheint ihre Gesichter. Sie halten kurz inne, fassen sich noch immer mit überkreuzten Unterarmen an den Händen und lauschen, wie der Wind durch die Kiefernwipfel fährt. Sie wollen dem Moment etwas Feierlichkeit verleihen.

»Hast du das gespürt?«, fragt der Schmächtigere.

»Was?«

»Das Rauschen.«

Der Stämmigere nickt.

Bevor sie gehen, drehen sie sich noch einmal um und werfen einen Blick auf den Felsen und den hellen Fleck, der sich davor im Unterholz abzeichnet.

I

TOTSCHLAG