Thale Lind
Das dirceische Martyrium Donatas und ihrer Gefährtinnen
Historische Erzählung eines Martyriums aus Rom während des 1. Jh. n. Chr.
Rediroma-Verlag
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Inhalt:
Historie
1. Teil: Begegnung der Gefährtinnen
Aus der Chronik jener Zeit
2. Teil – Das Sakrament des abwägenden Verstehens
Aus der Chronik jener Zeit
3. Teil – Senkrechte Wege
Aus der Chronik jener Zeit
4. Teil – Flammen
Aus der Chronik jener Zeit
5. Teil – Martyrien
Quellenverzeichnis
Historie
Die antike römische Zeit begann nach historischem Verständnis in dem Jahr 64 v. Chr. und ging bis weit in das dritte Jahrhundert n. Chr. Die Stadt Rom, der Schauplatz der Erzählung, hatte damals schon eine viel längere Geschichte, sie war einst, laut römischer Mythen, aus dem alten Alba Longa entstanden.
Die „Römer“ waren kein Volk im ethnischen Sinne, sondern mehr ein Gemisch vielfältiger Ethnien. Ausgeprägt zur Zeitenwende waren die hellenistischen, heidnischen, orientalischen und jüdischen Lebensweisen und Glaubensströmungen, die die Menschen in dieser Stadt und im Imperium Romanum beeinflussten.
Ab dem Jahr 33 n. Chr. aber nahm während eines nur geringen Zeitabschnittes römischer Geschichte, gleich einer zunächst noch undeutlichen, dann aber immer deutlicher werdenden Silhouette, das Christliche – gegenüber dem jüdischen, hellenistischen und römischen Glaubensverständnis – bei Donata und ihrer Gefährtinnen Gestalt an. Sie wirkten an der Entstehung der ersten urchristlichen Gemeinde Roms mit, bis sie im Jahr 65 n. Chr. für ihren Glauben das Martyrium erlitten.
Aus der Chronik jener Zeit und auf dem Hintergrund des Beginns der Zeitwende, wie es biblische Quellen berichten, im Jahr 33 n. Chr.
Gestalten mit historischem Hintergrund:
Tiberius, Kaiser von Rom 14–37 n. Chr. (Im Jahr 17 n. Chr. fand während seiner Kaiserschaft die erste Judenverfolgung statt).
Aus der Chronik der Zeit und auf dem Hintergrund des Beginns der Zeitenwende, wie es biblische Quellen berichten, durch die Ereignisse von Golgatha in Judäa im April des Jahres 33 n. Chr.
Josef Kajaphas, Hohepriester in Jerusalem.
Jonatan, angelehnt an den Hohepriester Jonathan in Rom.
Aquila Pudens Pudentius – Senator in Rom.
Seine Gemahlin Priscilla Pudentius.
Saulus, wirkte etwa 33./34 n. Chr in der Region zwischen Damaskus/Jerusalem; er ist der spätere Apostel Paulus (Paulus aus Tarsus in der römischen Provinz Kilikien (heutige Türkei).
Philippus, erster Missionsapostel in der Region zwischen Damaskus und Jerusalem.
Claudius, Kaiser von Rom in den Jahren 41–54.
Josef von Arimathäa, Mitglied des Sanhedrins (altjüdisches Gericht).
Maria Magdalena (Maria die Namenlose), lebte in Rom im Jahr 42 n. Chr.
Aeneas der Trojaner – griechische Sagengestalt und Ahnherr der Elymer.
Orte, Ethnien, Schriften, Kulte
Ausonia – alte Bezeichnung für das südliche Italien; hier war der Ursprung der italienischen Sprache.
Aurunker – Ethnie/Stamm, Siedlungsgebiet im südöstlichen Ausiona.
Oskischer Stamm – Ethnie. Deren Siedlungsgebiet war das östliche Süditalien.
Oskische Sprache – war bis in das 1. Jh. n. Chr. in Rom geläufig
Tabula Bantia – erhaltene, doppelseitige Schrifttafel in oskischer und lateinischer Sprache.
Elymer – Ethnie/Stamm. Deren Siedlungsgebiet war der äußersten Nordwesten Siziliens.
Nach dem römischen Dichter Vergil und dem sechsten Buch des Aeneis-Mythos gründete Aeneas Sohn Iulus die „Mutterstadt“ Roms „Alba Longa“. Im gleichen Mythos, wird zuvor Aeneas durch ein Orakel von Karthago (Nordafrika) aus der Weg zur „alten Mutter“, das bedeutete Italien gewiesen.
Magna Mater – im 1. Jh. in Rom verbreiteter Kult, ursprünglich aus der Isis-Sophia-Mysterienströmung Aegytens kommend.
Aquitanien – bezeichnete die Iberische Halbinsel und Südwestgallien (Normandie/Bretagne).
1. Teil: Begegnung der Gefährtinnen
1. Abschnitt
Von ihnen, Donata und ihren Gefährtinnen, weiß man nur dies: ihre Namen, ihre Grabstätte und ihr Gedenken. Aus ihrem Leben ist nichts bekannt, nur dass sie in der ersten Frühzeit des Christentums in Rom während des ersten Jahrhunderts lebten.
Erst später, ab dem 2./3. Jh. n. Chr., begann man aufzuzeichnen, was nicht zuvor in den Wirren, Verwüstungen, Bränden und Angriffen auf die Stadt während der ersten zwei Jahrhunderte verloren gegangen oder vernichtet worden war.
In jenen Zeiten war etwas anderes damit verbunden, Gefährtin zu sein. Es war nicht unbedingt die Zugehörigkeit zu den altrömischen Sippen, damals in Rom hießen sie Gens. Donata selbst gehörte zu einer von ihnen, und zwar zu einer der nicht unbedeutendsten der Stadt.
Gefährtinnen aber waren nur jene, die sich in existenziellen Notlagen befanden und sie gemeinsam bestanden. Gefährtin zu sein, war wie ein Titel, der von oben verliehen und ganz unabhängig von der Herkunft war.
Es gab namenlose Sklaven und jene, die sich ihrer bedienten, aber Gefährtin zu sein, hob jeden Unterschied auf. Gefährtinnen waren keine Leibeigenen.
Sie waren jene, die damals schon ihr Verhältnis zueinander anders verstanden, denn jeder Weg, gemeinsam oder alleine, konnte ihr letzter sein. Es waren schicksalsbejahende Verwebungen, die die Gefährtinnen verband, gleich Landschaften, die unabhängig von äußeren Wertungen sind. Eins war ihnen allen gemein: Ihr Opfer hatte einfach und schlicht darin bestanden, dass sie tief gefallenen Menschen halfen, sich wieder aufzurichten, während sie selbst still und demütig ihren Weg zu Ende gingen und alles hatten verlieren müssen. Nie aber ihre Quelle, aus der sie die Stimme des Lichts hörten, das damals begann. Allem flüchtigen entzogen, ihnen aber nicht.
Ohne seine Worte – er war ihr Gefährte, hieß Jonatan – wüsste niemand von ihnen, von ihrem Leben und Wirken.
Seine Worte, seine geistig seelische Offenheit für das was sie anging, Andere und die Lehre die ihn selbst zutiefst betraf, bargen aber auch die Gefahr der Verwirrung und des Verlustes des eigenen Verstehens. Immer wenn er begann, von ihnen zu sprechen, begann er mit diesem Ereignis.
2. Abschnitt
Das auf dem Messingring mit acht hölzernen Speichen versehene, schwere, fast einen Meter durchmessende, runde Schiffssteuerrad hatte er links und rechts so fest mit seinen Fäusten umschlossen, als wollte er das tiefbraune, harte Holz zerdrücken, der Seemann der steuerte. Nur ein geringes Abweichen vom Kurs würde unweigerlich das Schiff gegen das sich weit ins Meer hineinziehende, felshoch aufragende, schroffe Klippengestein treiben.
Breitbeinig stand er auf Deck, sein Körper schweißnass, die Kleidung völlig durchnässt. Ausgesetzt dem tobenden Lärm des orkanartigen stürmischen Seeganges, dem peitschenden Wind in den Ohren, der mit gnadenlos weißbrodelnder Gischt das Deck wieder und wieder überschüttete.
Das Kreischen der Passagiere, das Blöken und Brüllen der Tiere, das Rumpeln der Körbe, Kästen und Kisten, die auf dem völlig überladenen Deck vor- und zurückgeschoben, losgerissen gegen die Reling knallten, verhinderten zeitweilig, den Bug des Küstenschiffes zu sehen und die sonst so durchdringende Stimme des Kapitäns zu hören. Aber er wollte nicht versagen, den Kurs halten.
Unvermittelt wuchtig traf eine vom Sturm losgerissene Takelage ihn, schleuderte ihn vom Steuerrad und löschte sein Bewusstsein. Einen Augenblick lang war es still, das Schiff stand. Dann zerbarst und zersplitterte längsseits an scharfkantigem, auftürmenden Klippengestein der hölzerner Rumpf des Schiffskörpers, brodelnde Wassermassen kippten ihn, alles sank.
Strandgut, etwa zwei Seemeilen vor Felice Circeo, jener Landspitze zwischen Neapel und Rom, viel später angeschwemmtes, erinnerte daran, dass da etwas war, an diesem sturmgrauen Tag.
Nur drei Überlebende kamen zu sich, als sie völlig entkräftet, inmitten der weithin brodelnden Wassergichten und stürmischen Windes, Kiesel und Sand unter ihren Füßen spürten. Später, am Ufer, sahen sie, dass sie sich nicht kannten, und doch halfen sie der einen, deren Fuß schwer verletzt war und die am langsamsten den Strand hinauf kroch.
Das war, nachdem das Küstenschiff im mediterranen Meer gesunken war, im Jahr 33, am 4.April.
Sie wussten nichts voneinander und doch sehr genau, … wir überlebten!
So war der Anfang ihrer Beziehung zueinander und gleichsam das Ende dessen, was für sie vorher gewesen war.
3. Abschnitt
Donata war auf der Rückreise, hatte tags zuvor am offenen Grab ihrer Mutter gestanden; Hilaria war auf der Hinreise zu ihrer kranken Schwester in Rom; Saturnina, die am Bein verletzte, war die Verzweifelte, ihr Kind, ihr Mann, alles Hab und Gut ward ihr genommen.
Einen stillen Mann, einen Fischer, der eben noch vor den wuchtigen Wellen sein Boot an das Land gezogen hatte, trafen sie am Strand.
Er hörte Donata ruhig zu, bei dem was sie erzählte, entschloss sich, den dreien zu helfen, und teilte seine knappe Nahrung mit ihnen. Ihrer schweren Verletzung wegen behielt er Saturnina bei sich.
Hilaria und Donata machten sich auf den Weg, um später, wären sie in Rom, schnellstens Hilfe zu schicken. Drei Stunden auf ruhiger See mit günstigem Wind sei die Entfernung bis zum Hafen Roms, drei Stunden auf See, es würden neun Stunden auf dem Küstenweg sein, sagte er ihnen. Bevor sie aber losgingen, fragte er Donata: „Deine Mutter?“
„Sie ist im Dunkel der unteren Welt“, antwortete sie.
„Es leuchte auf in dir die Erinnerung an ihren Namen“, sagte er und segnete sie.
Hilaria und Saturnina zugewandt, sprach er: „Ihr ahnt, was der Ursprung dieser Wellen im ganzen Meeresraum ist?“
Hilaria nickte zustimmend, sie ahnte es. Saturnina war es deutlich, nicht nur wegen ihres Schmerzes, es hatte mit Anfang und Ende zu tun.
Scheinbar grundlos, einer Eingebung folgend hier jemanden zu finden der zur Hilfe bereit wäre, suchten die beiden Frauen das Haus am Esquillin-Hügel Roms auf.
Dessen hölzerne, schwere Tür wurde von Jonatan geöffnet. Donata zeigte ihm ihren Ring und fragte, ob er bereit wäre, sie anzuhören. Er war es.
Gleichentags schickte er einen Eseltreiber mit einem ausgepolsterten Karren, um darin die Verletzte in der Nähe von Felice Circoe abzuholen. Die beiden Frauen gingen auf dem Weg zurück, dem Mann und dem Tier voran.
Als sie aufbrachen an jenem Tag, sah ihnen Jonatan mit ernstem, blassen Angesicht nach. Aus seinem Verständnis als Rabbiner fragte er sich: War, was die beiden Frauen ihm berichtet hatten, gleichsam die Folie für das Geheimnis, von dem schon seine Lehrer und die Schriften sprachen, das einst kommen wird „... ein Tag“?
Es lag Melancholie seit einiger Zeit über ihm, er tat damit, was auch in anderer Weise die Frauen taten, er führte es allein auf sich selbst, auf seine Vergangenheit zurück, in Judäa.
Als wäre das Geheimnis, das sich unabänderlich einprägte in die Zeit, noch nicht möglich, gewahr zu werden; noch war Ahnung nicht in Gewissheit umgeschlagen. So blieben es Glaubenserwartung und Hoffnung, die ganz im Widerspruch standen zu dem, was in dieser Stadt und in den Provinzen des Imperium Romanum Tag um Tag geschah. Römer sein, Kosmopolit, Bürger des Imperium Romanum, Latein zu sprechen, war letztlich eine Frage des Lebensstiles. Wie auch das Jahr 33 im Zentrum alles Römertums scheinbar ein weiteres Jahr war, in dem die Stadt ein Schmelztiegel vieler Menschen unterschiedlicher Herkunft und religiöser Traditionen darstellte.
Jonatan hatte alle römischen Eigenschaften und lebte schon eine Zeit lang hier.
Er legte seine Hand auf die Thora, war nachdenklich; in ihr gab es Stellen, da ging es um das Erwarten, das Warten. Ich warte, dachte er, ... ich erwarte auch sie bald zurück. In einem Geheimnis stehend und allein mit seiner Bilder Flut: ... was, … wenn es dieser Tag gewesen war.
Nur die höchsten der Priester, in den ersten Tagen des April des Jahres 33, in dem unter römischer Herrschaft stehenden Jerusalem in Judäa ahnten davon, es stand später in dem kleinsten Buch zur hebräischen Thora, dem Buch der Schöpfung, auch Sefer Yetzirah genannt, dass der Mensch ein Gott im Körper sei. Das ausgerechnet der römische Statthalter denn ihm war, so waren sie sich gewiss dieser Art mystischen Wissens nicht eigen, diesen einen, als „...siehe den Mensch...“, bezeichnete, ließ sie immer unruhiger werden.
Ja, es gelang dann dieses Menschen Körper zu kreuzigen, so in den Tod zu treiben, in den ersten, dabei gab es merkwürdige Zeichen. So zerriss der Vorhang vor ihrem Allerheiligsten, dann bebte die Erde nicht nur unter ihren Füßen.
Gänzlich entging ihnen aber, dass Gott dem ersten Tod und überhaupt auch dem Sterben der Erde anders gegenüberstand, als sie es gemein hin vermutet hatten, aber deshalb geschah es trotzdem, in dem was später das Mysterium von Golgatha, auch als Ostermysterium, im Jahr 33 n. Chr. bezeichnet wurde. Denn das mit der Erde hatten die Hohepriester nicht bedacht.
Der Einsame der schon vorbereitete durch alle Schichten der Erde und baute mit seinen Händen, die nicht irren, während dem was später auch seine Höllenfahrt genannt war. Bis zum nicht mehr Stirb, zum nicht mehr Werde, und sie still ansah: die Vollendung.
Damit dadurch möglich blieb, einfach, ernst und geduldig das schwere Geschlecht als Mensch, das allen auferlegt blieb, gemeinsam weiterzutragen.
Dass dies Geschehen eine Zeitwende einleitete durch die, die diesem Menschen und dessen Licht begegneten und denen er begegnete, nicht nur in Judäa, sondern weit darüber hinaus, galt als jenes zu tief Wahre, höchste Gute und wirklich Schöne, in einem unvergänglich bleibenden göttlichen Gewand.
Es war wie, wenn etwas Neues anfing, das die mit Namen Maria als erste wahrnahm, am Hain seiner letzten Stätte. Sie war durch Leid hellsichtig geworden, erahnte Ihn im frühen Sonnenlicht und das durch ihn etwas, nicht nur für sie Unumkehrbares begann.
An des Fischers Hütte angekommen, trafen die beiden Frauen Saturnina wieder. Sie fanden sie unweit des Strandes, gebannt von dem geheimnisvollen Zauber, dort, wo das Meer mit seinen Horizonten alles Sichtbare umfasste und sich verlor in jene unbestimmte Ferne.
Notdürftig waren ihr, durch die Frau des Fischers, Verband und Stütze um den verletzten Fuß angelegt und ihr Ruhe gegeben.
Als Donata und Hilaria rechts und links neben Saturnina standen, stellte sich zwischen ihnen eine Vertrautheit ein, gleich der ihrer ersten gemeinsamen Schritte nach ihrem Überleben.
Diese Vertrautheit verschmolz auf einzigartige Weise mit der Stimmung, die dieses überwältigende Überleben als ein Ereignis einer verständlichen Welt erschienen ließen – was es auch war, aber gleichermaßen auch nicht, so wie auch ihr Rückweg nach Rom.
Erwähnenswert fand Donata – so sprach sie es Jonatan gegenüber aus, als sie alle zurück waren – jene merkwürdige Frage, die die Frau des Fischers gestellt hatte, bevor sie aufbrachen von Felice Circeo. Das zunächst so alltägliche Gesicht dieser so einfach erscheinenden Frau hatte, als sie ihr diese Frage stellte, den ebenmäßigen schönen Ausdruck in ihren Augen gehabt, der tiefstem Verständnis entsprach.
„Deine Mutter, sie war auch aus Ausonia. Wie du sagtest, ist sie in dem Dunkel der unteren Welt. Leuchtet wirklich die Erinnerung in dir auf, an ihren Namen?“
4. Abschnitt
Jonatan sah Donata an und fragte: „Was löste sie aus, diese Frage an dich?“
„Ich sah etwas innerlich wieder, was ich einst erblickte, als ich neun Jahre alt war und meine Eltern es mir zeigten; es war in einer Schrift gehalten, derer ich mächtig bin, und es stand im Palast der Schreiber.“
„Sahst du die doppelgesichtige Tabula Bantia eurer Ahnen, des oskischen Stammes, Donata?“
„Ja, du nennst es bei Namen. Meine Sippe kam aus Neapel, in einem der ersten Jahre, als Tiberius Kaiser von Rom wurde, nach der Judenverfolgung.“
„Dass du die Gabe des Doppelgesichtes bewahrtest, zeigte mir dein Ring, als du Einlass begehrtest in dieses Haus,“ setzte Jonatan ihre Ausführungen fort.
„So ist es,“ antwortete Donata.
Verletzung, Verlust und die in unstetem Erinnern sich verlierenden, inneren Bilder hatten Saturnina zugesetzt. So hatten die Stimmungen, die sie durchlebte, und in dem, was sie innewurde, für sie zugenommen, jenes Licht, in dem Geheimnisse erschienen. Gleichsam aber öffnete sie sich der Fremdheit, den anderen Fremden.
Sie staunte und entdeckte jene einmalige Stimmung, wie die Erscheinung einer Ferne, so nah sie ihr auch waren, jeder in seiner Art, Donata, Hilaria und Jonatan.
Nah, wie man jemandem ist, an den Schwellen zwischen Hellem und Dunklem, Kälte und Wärme. Saturnina fieberte heftig und das immer wieder.
Als Jonatan und Hilaria sie an einem stillen Abend auf ihre Träume ansprachen, sagte sie, sie sehe Bilder ganz widersprüchlicher Art, sie seien verwirrend. Es sei ihr schwer.
Noch anderes sei in den Träumen, nicht nur der Moment, als der Seesturm sie ins Meer schleuderte, ihr Fuß sich an der Reling verhakte und sie letztmals den Ruf ihres Kindes hörte, das neben dem blutgetränkten Vater stand, der auf dem Deck lag.
Ganz ohne Worte blieben die beiden noch eine Weile, wobei Hilaria ihren verletzten Fuß einsalbte.
Tage später, als in der frühesten Stunde ein Duft von Bergamotte und Mandarine durch das Haus am Esquillin-Hügel wehte, konnte sich Saturnina vom Krankenlager wieder erheben.
Ihr rundliches Antlitz glich einer sanften Landschaft mit kleinen Erhebungen und Senkungen. Die Haut hell, aber nicht blass, stets von lichter Wärme berührt, spannte sich elastisch über die hohe Stirn, ihre Wangen, bis zu dem schlanken Hals.
Ihr Augen wirkten wie hellbraunfarbene Glaskugeln, zwar bereit, alles aufzunehmen, aber auch etwas erloschen und beide nicht ganz gerade nach vorne gerichtet, als sähe sie mehr nach innen.
Die Lippen ihres Mundes breiteten sich wie in welligem, mattem Karminrot gemalt in ihrem Gesicht. Ihre haselnussfarbenen, langen Haare waren mittig gescheitelt und nach hinten gebunden, so dass alles in sich beherrscht wirkte.
Saturnina ging in sicherer, stiller Art, aber eingeschränkt durch die Verletzung. Sie hielt ihr Haupt leicht geneigt, wie nach innen horchend.
Sie hörte gut, manchmal Unausgesprochenes. Der Ton ihrer Stimme war wie von einem feinen, luftigen Stoff überzogen, die Sprache langsam, melodisch.
Wie Lichtschemen huschten Gefühlsempfindungen über ihr Antlitz, wenn ihr das, was sie sagte, wichtig war. So begegnete sie ihren Gefährtinnen und Jonatan, begegnete ihnen wieder, und es galt, die noch offene Gestaltung dieser Begegnung anzunehmen.
5. Abschnitt
Jonatan, durch das, was er von den Frauen hörte, verband das Gehörte mit seinem Erwarten und Warten über das, was in seiner Thora stand. So bekam die Begegnung eine unbestimmte Ferne, er bezog sich ein, mehr noch, er weitete sich über sie hinaus, er schrieb; schrieb an Josef, den Richter des altjüdischen Gerichtes in Judäa.
Das Schreiben, das er diktierte, ging an Josef Kajaphas in Jerusalem, den Hohepriester, seinem Lehrer, der ihn nach Rom geschickt hatte.
An beide hatte er eigentlich nur eine Frage: Ist es wahr?
Gewiss, das Schreiben, das dem Hohepriester über das römische Prokurat in Judäa zugestellt wurde, enthielt noch anderes über die Entwicklung der Gemeinde in Rom.
Jenes andere an Josef, den Richter, schien allerdings für jenes Geheimnis zu gelten, das ihn einerseits fesselte, auf der anderen Seite aber, wenn es ihm keinen Schlüssel zu seiner Auflösung bot, über sich hinauswies, nämlich die Begegnung mit dem Schicksal der drei Frauen und das andere, das sich ereignete.
Dieses Schreiben gab er Donata, damit sie es einem vertrauenswürdigen Seemann ihrer Sippe übergab, der damit in See stach auf dem Weg nach Judäa, von der Hoffnung begleitet, dass es eine Antwort gäbe von Josef. Das war im Mai des Jahres 33.
6. Abschnitt
Wenn Jonatan über sie sprach, war es, als wäre er selbst dabei, es nach und nach erst zu verstehen.
Sie war im äußersten Nordwesten Siziliens geboren worden, auf der dem Atlantik zugewandten Seite. Sie hatte gehört, wie ihre Sippe noch in griechischer Sprache zu ihr sprach; längst vergangene Bilder erschienen: Jene wie von Aeneas, dem Trojaner, dem von Apoll dem Göttlichen durch ein Orakel befohlen worden war, endlich die alte Mutter aufzusuchen. Er tat es mit allen seinen Flüchtenden, die ihn begleiteten; so erreichten sie den äußersten Nordwesten Siziliens. Sie nannten sich Elymer. Später war es Aeneas’ Sohn, der Alba Longa, die alte Mutterstadt Roms gründete.
In ihren Fieberträumen wurde vor Tagen alles so gegenwärtig, durch die heftige Erschütterung ihres Verlustes, dass auch ihrer Sippe Worte nicht bewandtnislos waren.
Rom war Saturninas Ziel, sie hatte es mit ihrem Mann und ihrem Kind erreichen wollen, aber erreichte es ohne sie. Wenn jemand Jonatan fragte, wohin Saturnina wollte, antwortete er immer gleich: „Sie ist da, wo sie hin wollte und sollte.“
Anders war es bei Hilaria.
Hilaria, so erzählte Jonatan weiter, war die, die mitten im Erleben des schaurigen Schiffsunterganges hell erkannt hatte, dass auch in einem nicht ganz fernen Land etwas geschah, als jenes Unglück sie ereilte.
Gehüllt in ein einfaches, verschwommen-getöntes Gewand, umgürtet von einem geflochtenen, ledernen Band, stand sie oft allein auf der Balustrade, sang leise ein Lied merkwürdigen Klanges und blickte versonnen auf den vom Wind bewegten Tiber herab, um dabei von der fruchtigen Frische der Feigenblätter zu riechen, die sie mit ihren schlanken Fingern fortwährend zerrieb.
Jonatan nannte sie die Muttergeschickte.
Damit meinte er nicht nur das südöstliche Siedlungsgebiet ihrer Sippe, der Aurunker, auch nicht ihre Sprache, die sie beherrschte, sondern mehr noch, dass ihre Mutter ehemals als Priesterin dem Magna-Mater-Kultus gedient hatte, der auch in Rom verbreitet war.
Nach der Geburt von Hilaria hatte ihre Mutter sich wieder in dieses Siedlungsgebiet zurückgezogen. Sie hatte Hilaria als Erwachsene wieder nach Rom geschickt, um dort deren alte, kranke Schwester zu besuchen und sich ihrer anzunehmen.
Doch die letzten Worte der Mutter an Hilaria waren diese gewesen: „Der Engel Mutter wird auch dich schützen, bist du im Kreise des Seins.“
Dann hatte sie mit solcher Gewalt diese Weiheformel durchfahren, dass sie erst dort wieder erwachte, wo man sie anschließend hingebracht hatte: an den Hafen, wo das Schiff wartete. Ihre eigene Mutter aber sah sie nie wieder.
Hilaria pflegte die alte Frau, legte ihr die Hände auf, wie ihre Mutter es ihr gesagt hatte. Auch für andere, die darum baten, tat sie das in den Vierteln von Rom, die nur wenige kannten.
Wurde der Rabbi darauf angesprochen, was die Aurunkerin tat, sagte er nur: „Was in Rom ihre Mutter ihr gewiesen hat.“
Gemeinsam mit Hilaria suchte er einen Ort Roms gerne auf, weil sie es war, die die Sprache, die man dort sprach, besser beherrschte als er: den Hafen am Tiber. Für sie war es nicht ohne Bewandtnis, weil dort in den frühesten Stunden einige Fischer anlegten, um ihren Fang aus der Nacht zu verkaufen. Als beide an einem Sommertag des Jahres 33 bis zum letzten Fischerboot gingen, fanden sie, was sie suchten.
Der stille Fischer zögerte, als er den Fisch in ihren Korb legte.
„Was ist dir?“, fragte Jonatan den Mann und legte ihm seine Münzen in die Hand.
Der Fischer schaute mit seinen dunklen Augen auf Hilaria. Sie nickte ihm freundlich zu. Dann sagte er: „Jetzt ist es gewiss, Frau, ihr ahntet es einst, was der Ursprung dieser Wellen im ganzen Meeresraum war.“
Hilaria nickte zustimmend. „Ja, so ist es und werde ...“ antwortete sie.
7. Abschnitt
Der Herbst dieses Jahres hatte begonnen. An einem Spätnachmittag stand Jonatan allein am Uferende des Hafens, sah und hörte die Brandung des Tibers, die in immer gleichem Takt an das felsige Ufer schlug wie eine Melodie, vor- und zurückeilte und dennoch immer blieb. Es wurde dämmrig. Da floss Erinnerung in das Schauspiel der Wiederholungen ein, dem er zusah.
Ja, so ist es und werde ..., erinnerte er sich an Hilarias Worte, aber was bedeuteten die Worte des Fischers? Jetzt ist es gewiss, Frau …, und was war gemeint mit dem Ursprung dieser Wellen? Was bedeutete es ihnen?
Bin ich nur der, der ohne jegliche Spur der Entwicklung schaue nur immer wieder in die poetisch still schlichte Schönheit eines Gesichtes? Kostbar … durch das, was sie verbindet, ihr Überleben, Hilaria, die Sehende und Muttergeschickte, Donata, die Doppelgesichtige und Mutterverlassene, Saturnina, die Hörende, der soviel verlustig ging.
Wortlos sich so fragend, gewahrte er hochblickend einen Stern, als er zurückging. Schon in dem alten Alba Longa angelegt waren einige Straßen und Wege. Die, die hinaufführten zu den welligen Hügeln und palastähnlichen Villen, wurden ergänzt durch die breiter werdenden Straßen zu den kaiserlichen Palästen und Gärten, dazwischen waren schmale schattige Durchgänge und staubige Gassen.
Wie oft war er diese Wege schon hinauf zu dem Anwesen am Esquillin gegangen.
Eines der verbundenen Häuser, das kleinste, war kultischen Zwecken vorbehalten und hatte nur einige Wohnräume. In einem von ihnen lebte Jonatan, in einem anderen Saturnina, geheilt, aber gezwungen zu hinken. Sie half so gut es ihr möglich war.
Hilaria lebte an der Kultstätte der Magna Mater. Die alte Frau, die zu pflegen ihr ihre Mutter einst angetragen hatte, hatte sich verabschiedet, sie war gestorben.
Donata lebte im römischen Haus ihrer Sippe. Doch es gab kein Sich-verschließen zwischen ihnen, eher eine Art Eröffnung für Zukünftiges.
8. Abschnitt
An einem grauen Vormittag klopfte Donata beharrlich gegen die Tür des Esquillin-Hauses. Jonatan öffnete. Drängend, erwartend war ihr Appell: „Jonatan, Bruder, komm, komm sofort!“
Sie hasteten aufgeregt, hoffend, freudig erwartend, nahmen den kürzesten Weg durch verschlungene Gassen, doch dann fühlte sich plötzlich die Erde unter ihren Füßen falsch an; stockten, blieben stehen, sahen auf den vor ihnen liegenden Hafen. Das Schiff war da, aber nicht jenes Handelsschiff aus Judäa, das sie erwarteten. Es war eine riesige Kriegsgaleere.
Flankiert von Soldaten, bei martialischem Gebrüll peitschenschwingender Treiber, setzte sich aus den unteren Decks ein zunächst unübersehbarer Zug Sklaven in Bewegung, Männer, Frauen und Kinder. Langsam zogen sie über jene Straße in Richtung der kaiserlichen Paläste, die auch die der Tränen genannt wurde.
Entsetzt erblickten sie, wie zwei in Lumpen gekleidete Frauen aneinander geklammert wankten, fast zusammenbrachen. Dann sahen sie wütend geschlagene Peitschenhiebe auf sie einprasselten, solange bis sie endgültig im staubigen Dreck der Straße lagen. Zwei muskelbepackte ausdruckslos leer grinsende Treiber hoben sie dann auf und schleuderten sie wuchtig in die Gosse.
Unablässig weiter zog der Menschenzug, gezeichnet von äußerster Anstrengung, nur aufrecht zu bleiben, nicht zurückzubleiben und nur den nächsten Schritt zu setzen; das Dröhnen der weithin brüllenden Gewalt hallte nach. Mit zusammengepresste Händen vor dem Mund fragte Donata: „Was ist mit ihnen?“
„Sie sind vergessen“, reagierte Jonatan. Totähnlich am Straßenrand lagen die beiden Gestalten.
Sie gingen zu ihnen, sahen auf ihre blutverschmierten Gesichter und ihre Körper, auf denen nur zerfetzte Lumpen ein Weniges der Peitschenhiebspuren überdeckten.
Ihre ängstlichen flackernden Blicke, fast gebrochen, hefteten sich an die Gesichter der beiden. Die breite Straße, inzwischen an dieser Stelle menschenleer, veranlasste Donata, eilig zum Hafen zu laufen, um einen Mauleseltreiber mit Karren anzusprechen und nach dem eigentlich erwarteten Schiff zu schauen. Sie sah aber keines und kam mit einem alten Mann, der Esel und Karren führte, zurück. Nun hoben sie die beiden Geschundenen in den Karren und gingen so zurück.
Donata und Saturnina nahmen sich hingebungsvoll den beiden Sklavinnen an. Ihre geschundenen Körper, ihre Gesichter heilten. Noch wussten sie nicht, wer sie waren und wie sie hießen, aber sie erkannten an ihrer braunen Haut und dem lockigen, krausen Haaren, dass sie von jenseits des Meeres kamen.
Sie spürten, dass sie keine Feindschaft gegen sie hatten und, sie fanden sich auch mit der einfachen römischen Kleidung zurecht. Behutsam fand Jonatan über seine hebräische Sprache Zugang zu ihnen, und so erfuhr er:
Die beiden waren Schwestern, lebten mit ihren Eltern weit vor Damaskus. Hier wirkte Philippus; von der Gottesbotschaft kündete er in der Siedlung, in der sie lebten. Auch lebte dort ein Feldherr, bei dem diese Botschaft Gottes ärgste Wut und Rachsucht auslöste, da er sich aufs Äußerste bedroht fühlte durch sie. So hatte er geschworen: mit Fesseln, Gefangennahme, Versklavung und Zerstörung für alle, die dieser Botschaft anhingen. An Gott Irrende nannte er sie. Seine Soldaten zogen von Siedlung zu Siedlung, nahmen Gefangene, rissen Kinder den Müttern und Männer den Frauen weg und verfolgten die, die sich wehrten, so auch ihre Eltern. Sie lebten in der zweiten Siedlung, wo diese Truppe durchzog, und verloren alles.
Als es zu viele der Gefangenen geworden waren, der Hass auf die Irregeleiteten seine Entschlüsse mehr und mehr bestimmte, ließ der Feldherr einen Teil von ihnen zu den in Tyrus ankernden Kriegsgaleeren bringen, damit sie als Sklaven nach Rom geschickt wurden. Die anderen wollte er nach Jerusalem bringen, nach jüdischem Recht anklagen und sie dort töten. Dieser Feldherr hieß Saulus, was mit ihm weiter geschah wussten sie nicht.
Donata nannte die ältere der Schwestern Rustica und die jüngere Paulina, gab ihnen diese römischen Namen. Hilaria fand ihre helle Ahnung durch deren Erleben bestätigt.
Saturnina bat Jonatan bei der adeligen Priscella, der Frau Senator Pudens, vorzusprechen, um den beiden Frauen das Joch als Sklavinnen abzunehmen, denn Sklavinnen konnten ihnen keine Gefährtinnen sein.
9. Abschnitt
So heftig war die erste Enttäuschung Jonatans, dass er sich ohne Worte an Gott wandte. Er war enttäuscht, keine Botschaft erhalten zu haben aus Judäa. Für dieses Freiwerden von Täuschung zu danken hatte er gelernt, und so verschwieg er sie ab da, so wurde sie Teil seiner rituellen Wirklichkeit. Kein Ritual, so sagte er später, war das, was die Gefährtinnen zusammengeführt hatte, es war wie ein Versprechen für Größeres.
Still, im Umkreis der vertrauten Dinge im Raum, die schon immer gegenwärtig waren, saß er da. Er achtete ihrer nicht, sie blieben ihm deshalb verborgen. Er bewohnte diesen vertrauten Raum, doch deren Schönheit hatte er noch nicht bemerkt. Plötzlich aber wurde er ihr inne: Licht, glutrot vom Sonnenuntergang, das alles im Raum mit seinem goldrötlichem Glanz übergoss. Er sprach selten davon, dass dies für ihn wie ein inwendiger Anstoß war, plötzlich und unversehens.
Da lag es wieder vor ihm, sein Buch, die Thora, Ausdruck seiner jüdischen Lebenspraxis und allem, was er lernte und lehrte.
Textkultur nannten es seine Lehrer in der Synagoge Jerusalems. Väter lehrten sie ihren Söhnen, die göttlichen Gebote, das heißt die heilige Sprache zu sprechen und in den Schulen die Thora zu unterrichten. Das alles bezog sich auf die Söhne, aber was war mit den Mädchen, den Frauen?
Einst hatte er seinen Lehrer danach gefragt. Dieser hatte ihm die Antwort im babylonischen Talmud gezeigt und gesagt: „Sieh, was hier steht, und lies!“
Jonatan las: „Wenn jemand seiner Tochter die Thora lehrt, ist es, als ob er sie Ausschweifung lehre.“
Das war gewesen, bevor man ihn als Rabbi nach Rom geschickt hatte.
Er fragte sich: Und jetzt? – Wie wirklich ist die vergangene Lehre, wenn sie nicht mit dem Leben übereinstimmt, und wie wirklich ist Leben, dem er inne wurde, das nicht mit der Lehre übereinstimmt?
Jetzt, wo ihm alles erst auf den zweiten Blick sichtbar wurde, gleich einer tieferliegenden Folie, die sein Verhältnis zu den drei Frauen ausmachte, haderte er. Konnte er sie wirklich belehren? War er dann noch ihr Gefährte, ihrer Schicksale würdig, und wollte er es sein?
Und was hieß es eigentlich, was die beiden Sklavinnen gesagt hatten? Wir lebten wo Philippus wirkte.
Da wurde ihm inne, was er noch mehr aus dem Kreis des Gewohnten hervorhob, durch das, was sich ihm erschloss wie ein ferner Horizont, und dass er nun vor einem weiteren Geheimnis stand.
So blieb er noch eine Weile in diesem Raum träumerisch versunken, die Thora in der Hand, wie entrückt. Noch aber war es ihm, als stünde zwischen ihm und der lösenden Sichtbarkeit für die Geheimnisse eine unüberbrückbare Mauer.
Es klopfe, die Tür öffnete sich, an der Schwelle blieb Donata stehen.
„Jonatan“, sagte sie: „Viel Unausgesprochenes ist in diesem Raum. Ich wünsche dir Antworten! – Uns ward gesagt, vom letzten Meddix unserer Sippe, der ein hellsichtiger Priester war: er“