Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
ISBN: 978-3-7534-9419-7
Autor und Herausgeber:
© 2021 Dr. phil. Wolfgang Boochs wolfgang-boochs@t-online.de
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Alle Photos public domain CC0
Gestaltung und Satz: Karl King fotonaut@gmx.net www.karlking.de
Im Jahre 1898 pachtete das Deutsche Reich vom Kaiserreich China Kiautschou, ein Gebiet im Süden der Schantung- Halbinsel an der chinesischen Ostküste. Hauptstadt des Kiautschougebietes war Tsingtau, heute Quingdao geschrieben, was auf Deutsch grüne Insel bedeutet. Bevor Tsingtau deutsches Pachtgebiet wurde, wurde es noch ohne g, also Tsintau ausgesprochen und war ein Fischerdorf mit 300 Hütten. Von dem alten Tsintau blieb nach dem Neubau der Stadt nur noch die der Schutzgöttin Tien- hou geweihte alte taoistische Tempelanlage sowie das Yamen, das vormalige Amtsgebäude des vorherigen für Tsintau zuständigen Generals als Gebäude von historischem Denkmalswert über.
Im Yamen wurden nach Abschluss des Pachtvertrages der deutsche Befehlshaber sowie das deutsche Postamt untergebracht, bevor diese 1901 in ein mehrgeschossiges Geschäfts- und Wohnhaus umzogen. Mit der Anpachtung dieses Gebietes bezweckte das Deutsche Reich sich für die Kaiserliche Marine einen strategisch wichtigen Flottenstützpunkt in Ostasien zu beschaffen.
Maßgebend für die Wahl des Kiautschougebietes als deutschen Stützpunkt war in erster Linie der Umstand, dass es sich sowohl als Flottenstation eignete als auch als Handelsstützpunkt mit Steinkohlenvorräten und Eisen in der Nähe. Als vorteilhaft wurde auch das Klima mit seinen trockenen, kalten, aber oft sonnigen Wintern und feuchtheißen Sommern empfunden, dass aufgrund der ständigen Meeresbrise gut erträglich war. Das gepachtete Gebiet umfasste eine Fläche von insgesamt 552 Quadratkilometer und entsprach damit ungefähr der Fläche des Stadtstaates Hamburg 1. Es umfasste die Wasserfläche der Bucht von Kiautschou bis zum höchsten Wasserstand sowie die zwei Landzungen- Halbinseln an beiden Seiten des Einganges zur Bucht. Nicht mitgepachtet war die Stadt Kiautschou, die im Nordwesten der nach ihr genannten Bucht lag.
Um das Pachtgebiet herum wurde durch den Pachtvertrag eine neutrale Zone von 50 Kilometern geschaffen, in der sich deutsche Truppen frei bewegen und in der die chinesische Verwaltung nur mit deutscher Zustimmung tätig werden durfte. Das Gebiet wurde durch den Marinehafenbaudirektor von Kiel Georg Franzius erkundet und anschließend am 14. November 1897 von der deutschen Marine unter dem Oberbefehl von Otto von Diederichs besetzt. Durch den über einen Zeitraum von 99 Jahren abgeschlossenen Pachtvertrag übertrug das Kaiserreich alle Hoheitsrechte über das Kiautschougebiet auf das Deutsche Reich. Es gab ihm vor allem das Recht auf dem Gebiet eine Stadt mit allen Baulichkeiten und öffentlichen Einrichtungen und Anlagen zu errichten sowie das Recht für den Schutz des gepachteten Gebietes zu sorgen. Darüber hinaus verpflichtete der Pachtvertrag das Kaiserreich innerhalb einer weiteren Schutzzone von 50 Kilometern landeinwärts Maßnahmen oder Anordnungen nur mit Zustimmung des Deutschen Reiches zu treffen. Innerhalb dieser neutralen Zone durften sich deutsche Truppen frei bewegen.
Der Neubau von Tsingtau folgte dem Plan, ein Europäer- Viertel im wilhelminischen Baustil sowie ein chinesisches Stadtviertel im lokalen chinesischen Stil zu erbauen. Zum Europäer Viertel gehörten ein Hafen mit einer Werft, ein Bahnhof, eine Universität und Fabriken, Kasernen mit einem Lazarett, ein Gericht, mehrere Schulen, eine evangelische Kirche, eine Post, ein Elektrizitätswerk, eine Filiale der Deutsch- Asiatischen Bank sowie ein Gouvernementsgebäude. Für alle Europäer galt das deutsche Recht, die Chinesen betreffend wurde im Juli 1900 eine besondere Chinesenverordnung für das Stadtgebiet Tsingtau erlassen.
Die Stadt Tsingtau entwickelte sich schnell aufgrund einer sachbezogenen Planung und zielstrebiger Orientierung auf die Zukunft durch die Bauämter des deutschen Marine- Gouvernements. Während im Jahre 1902 etwa 15.600 Personen in der Stadt lebten, stieg die Einwohnerzahl bis 1905 auf 29.000 und 1914 sogar auf 70.000. Entsprechend stieg die Gesamteinwohnerzahl im Pachtgebiet mit seinen 275 Dörfern von 83.000 im Jahre 1897 auf ca. 200.000 Einwohner im Jahre 1913, 1902 lebten in der im Aufbau befindlichen Stadt Tsingtau bereits 686 Europäer und 15.000 Chinesen, 1903 928 Weiße und 26.000 Chinesen, 1907 1184 Weiße sowie 31.500 Chinesen und 200 Japaner, im Jahre 1913 lebten ca. 4.812 Europäer sowie 187.000 Chinesen in der Stadt Tsingtau.
Das Klima im Pachtgebiet, das auf dem Breitengrad mit Sizilien liegt, war auch für Europäer erträglich. Die Winter sind nicht so kalt wie teilweise die Winter in Mitteleuropa, Schnee fällt selten und wenn so bleibt er nicht lange liegen. Der Hafen blieb aufgrund der milden Temperaturen auch im Winter eisfrei 2. Die Sommer sind dagegen heiß und feucht. Unangenehm ist, dass die Regenzeit in den Sommer fällt, von Mitte Juli bis Ende August, wenn es täglich teilweise heftig regnet. Der Regen ist jedoch kein dauerhafter Landregen, sondern es handelt um heftige, schnell vorübergehende Regengüsse. Da die Durchschnitttemperaturen im Sommer um 25 Grad Celsius oder darüber betragen, herrscht zumeist eine feuchtwarme Luft wie in einem Treibhaus.
In der deutschen Öffentlichkeit führte das Bestehen des Pachtgebietes in China zu einem verstärkten Interesse an dem Land, seiner Bevölkerung und seiner Geschichte. Dies zeigte sich zum Beispiel in der Berichterstattung der deutschen Medien, aber auch in der Literatur, vornehmlich in der Jugend-, Abenteuer- und Reiseliteratur, welche China als Sujet entdeckten. Aber auch die Wissenschaft, insbesondere der Fachbereich Sinologie wandte sich China und chinesischen Themen zu. Es wurden Gesellschaften gegründet, die sich dem Kulturaustausch zwischen Deutschland und China widmeten, wie z.B. die Konfuziusgesellschaft. Zugleich stieg die Spendenbereitschaft der Deutschen, z.B. bei der Unterstützung deutsch- chinesischer Schul- und Ausbildungsprojekten.
Die Entstehung des Pachtgebietes Kiautschou und der Stadt Tsingtau fiel in eine Zeit des Umbruches in China nach den beiden Opiumkriegen und dem Boxeraufstand. Nach ihren Niederlagen gegen eine europäische Allianz aus Engländern, Franzosen und Russen sowie Amerika hatte das Kaiserreich China seine Souveränität und Eigenständigkeit weitgehend verloren.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts richtete sich die imperialistische Außenpolitik der europäischen Großmächte England, Frankreich und Russland sowie von USA und Japan immer mehr auf Ziele in Afrika oder Asien, um sich dort wirtschaftliche, politische und kulturelle Einflusszonen zu sichern. Insbesondere China war wegen seiner Größe und des Bevölkerungsreichtums, aber auch wegen seiner politischen und militärischen Schwäche für alle imperialistischen Staaten von besonderem Interesse. In diesen Staaten herrschte die Ansicht, dass die Errichtung von Kolonien die beste Methode sei, die Wirtschaft im Mutterland zu unterstützen. In diesem Sinne forderten bedeutende Wissenschaftler wie z.B. Max Weber die Politik zu einer aktiven Kolonialpolitik auf. Eine derartige expansive Kolonialpolitik war ohne Unterstützung des Militärs, also einer Hochseeflotte in Übersee undenkbar. Diese Flotte diente in Friedenszeiten dazu im Sinne einer Kanonenbootdiplomatie den kolonialen Forderungen der Staaten entsprechenden Nachdruck zu verleihen, im Kriegsfall war es Aufgabe der Flotte entsprechend des Kreuzerkriegskonzeptes die eigenen Handelswege zu schützen und Angriffe des Gegners entsprechend abzuwehren. Diese Strategie erforderte den Aufbau weltweiter Flottenstützpunkte.
In China, das für die europäischen Kolonialmächte als wichtigstes außereuropäisches Handelsgebiet galt, ergab sich folgende politische Lage, die ihnen in die Karten spielte: Nachdem der Kaiser Kangxi (1661 bis 1722) in seiner langen Regierungszeit durch viele siegreich geführten Kriege das Staatsgebiet Chinas erweitert und zu einer Blütezeit geführt hatte, kapselte sich China danach immer mehr ab und wandte sich zu nicht mehr zeitgemäßen Traditionen hin. China verschlief in dieser Zeit den Aufschwung Europas auf dem Gebiet von Technik und Wissenschaften. Im 19. Jahrhundert befand sich China in einem Zustand der völligen Machtlosigkeit und der politischen Inkompetenz. Es wurde damit leicht zu einem Spielball und Opfer der Interessen der imperialistischen Staaten.
Anlass für den ersten Opiumkrieg von 1839 bis 1842 war der Versuch der Chinesen die Einfuhr fremden Opiums nach China abzuwehren. Im Jahr 1729 hatte die kaiserliche Regierung, um die Chinesen vor den verhängnisvollen Folgen eines Opiumkonsums zu schützen, den Opiumimport verboten. Dieses Verbot wurde in den Folgejahren jedoch von der von den Engländern beherrschten East India Company, der Britisch- Ostindien- Kompanie von Indien aus ständig unterlaufen. 1773 nahm die Gesellschaft das Hauptmonopol für den Opiumschmuggel nach China an sich und baute es zu einer der Haupteinnahmequellen der Kolonie Britisch- Indien aus.
1839 ließ Li Tse- Hsü, ein von der chinesischen Regierung nach Kanton (Guangzhou) entsandter Beamter unter Berufung auf das Verbot des Opiumhandels in Kanton 19.179 Kisten und 2119 Säcke Opium, das von der Ostindischen Kompanie aus Indien eingeführt worden war, beschlagnahmen und vernichten, indem er es ins den Hafen schütten ließ. Daraufhin erklärte die England, das seine wirtschaftlichen Interessen in Ostasien massiv gefährdet sah, China den Krieg und überfiel das Delta des Perlflusses (Zha Jisang), eroberte dort mehrere Militärfestungen und ließ die Küstenstädte Amoy, Ningpo und Ting- hai von Kanonenbooten aus beschießen. Danach bedrohte es Hangschou und marschierte weiter den Jangtse Fluss flussaufwärts. Im August 1842 belagerten 80 britische Schiffe Nangking.
Nach der Niederlage im ersten Opiumkrieg verpflichtete sich China im Friedensvertrag von Nanking am 29. August 1842 zur Zahlung einer Kriegsentschädigung in Höhe von 21 Millionen Silberdollar, zur Öffnung von sieben chinesischen Hafenstädten unter Einräumung von Vorrechten an England (Vertragshäfen), zur Zulassung von Fremdhandel durch ausländische Kaufleute, zur Abschaffung des Handelsmonopols der chinesischen Kaufleute, zur Anerkennung eines fremden Zollsystems sowie zur Abtretung Hongkongs für ewige Zeiten. Entsprechende Verträge schloss China mit Amerika, Frankreich und Russland, denen China ähnliche Handelsvorteile einräumen musste. In den Hafenstädten die für ausländische Händler geöffnet waren, schlossen sich die Ausländer zu einem settlement mit eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit zusammen.
Im Zweiten Opiumkrieg von 1856 bis 1860 setzten England und Frankreich weitere Handelsinteressen gegenüber China durch, nachdem Truppen beider Länder erneut gegen chinesische Hafenstädte vorgegangen waren. Als China nicht alle Forderungen Englands und Frankreichs erfüllen wollte, drangen deren Truppen in Peking ein und zerstörten dort den kaiserlichen Sommerpalast. Andere Mächte wie Russland und die USA stimmten dem Vorgehen nachträglich zu.
Nach der erneuten Niederlage im zweiten Opiumkrieg wurde China genötigt weitere Häfen sowie die chinesischen Binnengewässer für ausländische Schiffe zu öffnen, westlichen Kaufleuten, Diplomaten und Missionaren Freizügigkeit in China zu gewähren sowie den Opiumhandel zu legalisieren. Darüber hinaus erzwang England von China an Orten wie Shanghai, Amoy, Futschou und Ningpo Konzessionsgebiete für fremde Mächte einzurichten. In diesen Enklaven sollten Chinesen kein Wohnrecht mehr haben, dagegen sollte es Ausländern erlaubt sein nach Belieben Grundstücke zu erwerben und Handelsniederlassungen zu gründen.
Den christlichen Missionaren aus Amerika, England und Frankreich wurde das Recht eingeräumt, sich in ganz China zu bewegen und ihre Religion auszuüben, Kirchen, Schulen und Hospitäler sowie christliche Friedhöfe zu errichten. Diese Rechte wurden von Amerika und England durch Soldaten und Kanonenboote gesichert. Die Franzosen, die sich als Schutzmacht aller katholischen Missionare und der katholischen Chinesen verstanden, gewährten allen Katholiken Schutz unter dem sogenannten Katholikenprotektorat, welches den Missionaren in erster Linie diplomatischen Schutz, in Einzelfällen aber auch militärischen Schutz garantierte.
Die Niederlagen Chinas in den beiden Opiumkriegen lösten in Europa und Japan einen Run auf China und den riesigen chinesischen Absatzmarkt mit seinen 600 Millionen Menschen als mögliche Konsumenten europäischer Produkte aus. Konkurrenten Deutschlands waren neben den europäischen Großmächten wie England, Frankreich und Russland auch Amerika und Japan. England schloss 1842, die USA 1844 und Frankreich 1845 Handelsverträge mit China ab, ausschließlich mit der Zielsetzung sich China als Absatzmarkt zu sichern. Dasselbe machten Siam (Thailand) und Japan. Deutschland spielte vor der Reichsgründung im Jahre 1871 macht- und wirtschaftspolitisch keine Rolle, einzelne Länder nur eine Nebenrolle. In Preußen befürchtete man nach dem zweiten Opiumkrieg den Anschluss an China auf der Suche nach neuen Absatzmärkten zu verpassen. Friedrich List, der geistige Vater des Zollvereins vertrat die Ansicht, dass der Frieden von Nanking im Jahre 1842 ein großes Ereignis für den Welthandel war und wies diesem Ereignis eine größere handelspolitische Bedeutung zu als der Entdeckung Amerikas 3. Preußen hatte im Zuge seiner kolonialpolitischen Ambitionen bereits 1860 ein Auge auf China, als wichtigstes außereuropäisches Handelsgebiet mit seinem Absatzmarkt von 350 Millionen Einwohnern, geworfen und wollte unbedingt in Ostasien und insbesondere in China einen Fuß in die Tür bekommen.
Dabei handelte es sich um einen Prozess, der sich langsam und uneinheitlich entwickelte. Im Vordergrund stand weniger die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China als vielmehr privates Engagement von Kaufleuten und Missionaren, die China als wichtiges Gebiet für ihre Interessen und Aktivitäten ausgemacht hatten 4. Einzelne deutsche Handelsfirmen hatten die Zeichen der Zeit durchaus erkannt. So gründeten das Hamburger Handelshaus Wm. Pustau & Co 1845, das sächsische Unternehmen Carlowitz, Harkort & Co 1846 in Kanton sowie 1847 die Hamburger Firma Siemssen & Co in Honkong feste Handelsniederlassungen in China. Dabei hatte bereits Richard von Carlowitz die Problematik Deutschlands erkannt und wie folgt beschrieben 5:
Als Nation gelten wir gar nichts. Die Chinesen erkennen bloß jene Staaten nominell an, die mit ihnen Verträge geschlossen haben.
Aus dieser Erkenntnis heraus entstand in Preußen als größtem und stärkstem deutschen Einzelstaat der Entschluss eine Expedition nach Ostasien durchzuführen mit dem Ziel politische und wirtschaftliche Beziehungen zu ostasiatischen Staaten wie China, Japan und Siam zu knüpfen. Preußen sollte dabei nicht nur für sich, sondern im Namen des deutschen Zollvereins, Mecklenburg und Vorpommern sowie der deutschen Hansestädte auftreten. Zunächst wurde von 1860 bis 1862 eine Expeditionsflotte mit den preußischen Kriegsschiffen Arcona, Preußens erstem Kriegsschiff mit Dampfmaschine und Schraubenantrieb, der Segelfregatte Thetis und dem zweimastigen Kriegsschoner Frauenlob, der weitgehend aus den Spenden preußischer Frauen finanziert worden ist zusammengestellt. Die Expedition war nach ihrem Leiter, dem Grafen Friedrich Friedrich Eulenburg Eulenburgexpedition benannt und nach Japan, Siam und China geschickt. Eulenburg war vorheriger Generalkonsul in Warschau und später Innenminister des Königsreichs Preußen gewesen. Zu seinem Gefolge gehörten unter anderem sein Neffe Graf August zu Eulenburg, Theodor von Bunsen und Max Brandt, der später deutscher Gesandter in Tokio und Peking wurde sowie der deutsche
Geograf und Geologe Ferdinand Freiherr von Richthofen. Sie sollten als eine Art Handelsmissionen nach Stützpunkten und Gelegenheiten suchen, an welchen sich mit Aussicht auf Erfolg Handelsverträge mit ostasiatischen Staaten schließen und preußische Handelsstützpunkte gründen ließen. Die Expedition machte die Kiautschou Bucht als geeigneten Stützpunkt für eine Niederlassung aus und hatte als Ergebnis, dass 1865 eine preußische Gesandtschaft in Peking eingerichtet wurde. Zum ersten Gesandten wurde Guido von Rehfues ernannt 6.
Auf der Rückreise ging der hölzerne Segelschoner Frauenlob am 2.9.1860 im Taifun vor Yokohama verloren. Der Kommandant, Leutnant zur See, I. Klasse und alle 46 Mann der Besatzung fanden den Seemannstod.
Am 24. Januar 1861 schloss die Kommission für Preußen einen Handelsvertrag mit Japan. Am 2. September 1861 wurde in Tientsin an der Peiho Mündung mit China ein Freundschafts- Handels- und Schiffahrtsvertrag abgeschlossen, in welchem China den Preußen die gleichen Rechte zusicherte wie den anderen europäischen Kolonialmächten, außerdem das Recht auf Errichtung einer diplomatischen Vertretung in Peking. Dieser Vertrag galt, anders als der mit Japan geschlossene Handelsvertrag, nicht nur für Preußen, sondern für alle übrigen deutschen Länder, die dem Grafen Eilenburg die Vollmacht zum Abschluss eines derartigen Vertrages erteilt hatten. Ein gleicher Vertrag wurde am 7. Februar 1862 mit Siam abgeschlossen. Im Frühjahr 1863 wurden die Verträge im Preußischen Landtag fast einstimmig genehmigt und gingen 1866 auf die Staaten des Norddeutschen Bundes sowie 1871 auf das Deutsche Reich als dessen Rechtsnachfolger über.
1850 gingen die Unruhen in China weiter. In diesem Jahr erhob sich die sogenannte Taiping Bewegung unter Führung des Kantonesen Hong Xiu-Quan, der sich als jüngerer Bruder Jesus und als Sohn Gottes ausgab, gegen den schwachen Mandschu- Kaiser Hsi- En- Feng 7. Hong Xiu- Quan hatte ein Reich des großen Friedens gegründet und vertrat radikal- sozialrevolutionäre Thesen. Die Aufständischen plünderten Peking und setzten den Sommerpalast in Peking in Brand. Daraufhin floh der Kaiser in die Mandschurei. Erst als England, Russland und Frankreich dem Kaiser zu Hilfe kamen, konnte der Aufstand niedergeschlagen werden. Russland ließ sich seine Unterstützung durch die Abtretung der Herrschaft über die Amur- und Essurigebiete in den Jahren 1858- 1860 von den Chinesen entlohnen. Damit begann der endgültige Zerfall des chinesischen Kaiserreiches. Während der Reichskanzler Otto von Bismarck Aktivitäten deutscher Interessensgruppen in Richtung China nur punktuell unterstützte, trat mit dessen Rücktritt im Jahre 1890 durch die Politik des Neuen Kurses eine Änderung der deutschen Politik in Richtung einer aktiven Förderung deutscher Interessen in China ein. Diese Pläne wurden von Kaiser Wilhelm II. nachdrücklich unterstützt. Dabei spielten vor allem wirtschaftliche Gründe eine Rolle. Die in Deutschland herrschende große Deflation zwang Deutschland wie die anderen europäischen Mächte dazu, um die wirtschaftliche und politische Stabilität zu erhalten, sich nach Absatzmärkten in Übersee umzusehen. Dabei spielte China allein schon wegen seines Bevölkerungsreichtums als wichtigster Absatzmarkt in Ostasien eine wesentliche Rolle. Die Suche nach überseeischen Absatzmärkten, vor allem in China stellte damit einen Versuch dar, die Wirtschaftskrise in Deutschland wirksam zu bekämpfen.
Eine Chance für die Verwirklichung dieser Pläne ergab sich im Gefolge des chinesisch- japanischen Krieges 1894 bis 1895, bei dem Deutschland zunächst eine neutrale Haltung einnahm. In diesem Krieg zeigte sich erneut die militärische Unterlegenheit Chinas. China verlor nach seiner Niederlage seinen Einfluss auf Korea, das zehn Jahre später japanische Kolonie wurde. Die zunächst neutrale Haltung Deutschlands, aber auch Frankreichs und Russlands änderte sich nach dem militärischen Erfolg Japans. Wilhelm II. verkündete am 17.11.1894, falls es in China zu Gebietserwerbungen anderer Mächte käme, müsse auch Deutschland entsprechend beteiligt werden
Bei den Überlegungen war auch das Verhalten Russlands ein wichtiger Faktor. Die deutsche Regierung wollte auf alle Fälle eine Konfrontation mit Russland vermeiden, von dem es hieß es habe bereits Anrechte auf die Kiautschoubucht erworben. Bei einem Moskaubesuch sprach daraufhin Kaiser Wilhelm II. den Zar Nikolaus auf die Problematik und den Wunsch Deutschlands nach einem Erwerb der Kiautschoubucht an. Nachdem Zar Nikolaus versichert hatte, Russland habe keinerlei Absichten und Interessen an der Bucht, war das letzte außenpolitische Hindernis für eine Besetzung der Bucht aus dem Wege geräumt 8.
Am Abschluss des Friedensvertrages von Shimonoseki war Deutschland zusammen mit Russland und Frankreich im sogenannten Ostasiatischen Dreibund wesentlich beteiligt, durch einen gemeinsamen Einspruch gegen den Vertragsentwurf Japans die Einflusssphäre Japans als Siegermacht in China einzuschränken. In diesem Einspruch wurde Japan vor allem zur Rückgabe der Halbinsel Liandong und der strategisch bedeutsamen Hafenstadt Port Arthur aufgefordert. Am 5. Mai 1895 teilte Japan seinen Verzicht auf Liandong und Port Arthur mit. Damit konnte ein machtpolitisches Übergewicht Japans in China verhindert werden. In Zusammenhang mit dieser politischen Einflussnahme Deutschlands auf die Verhältnisse in China verstärkte sich dessen Wunsch nach einem Flotten- und Handelsstützpunkt in China, um auch in Zukunft die deutschen Interessen im ostasiatischen Raum wahren zu können. In die gleiche Richtung gingen die Interessen des Flottenvereins und der Marine, die auf der Suche nach geeigneten außereuropäischen Stützpunkten für ihre Handels- und Kriegsschiffe waren. Der Flotte sollte dadurch ermöglicht werden, im Kriegsfall die Handels- und Güterlieferungen des Gegners über See durch Versenken der gegnerischen Schiffe zu unterbinden 9. Außerdem spielten wirtschaftliche Gründe eine Rolle. Durch die hohen Entschädigungszahlungen, die China durch den Vertrag von Shimonoseki zu zahlen hatte, blieben den Chinesen kaum noch finanzielle Mittel für den Kauf von Rüstungsgütern in Deutschland.
Damit stand das Dass für den Erwerb eines Stützpunktes in China fest. Nun begann die Suche nach dem Wo und Wie eines geeigneten Stützpunktes. Freiherr Ferdinand von Richthofen (1833 bis 1905), der als Geograph und Geologe auf sieben großen Reisen China erforschte und die Gegend um Kiautschou im Auftrag des preußischen Marine 1868 und 1871 inspizierte, empfahl bereits die Kiautschou Bucht als geeigneten Marinestützpunkt.
10Kiautschou, Deutschlands Erwerbung in Ostasien11