„In der Katastrophe nimmt sich das Unheil nur selten die Zeit, um für unser Gesicht die rechte Maske zu liefern.“

Jean Giraudoux

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

herausgegeben durch das Literaturpodium, Dorante Edition

Berlin 2021, www.literaturpodium.de

ISBN: 9783753494104

Fotos auf dem Buchcover: Thomas Schiffer

Alle Nachdrucke sowie Verwertung in Film, Funk und Fernsehen und auf jeder Art von Bild-, Wort-, und Tonträgern sind honorar- und genehmigungspflichtig. Alle Rechte vorbehalten. Das Urheberrecht liegt bei den Autorinnen und Autoren.

Druck, Verlag und Vertrieb: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Peter Frank

Vor der Insel

Nach Rio die Fahrt.

Genever die Fracht.

Fremd die Küste,

die Kennung,

der Prismenkorb,

regenschwarz

umrauscht.

Keine Wiederkehr.

Ein letztes Quartier

in der Bake der Nacht.

Manchmal,

im Mahlsand der Zeit,

schimmert die Salzglasur,

der Knochenzug eines

Steinzeugkrugs.

Gedenkstein in Husum

Stein,

die Schrift tragend

durch Jahrhunderte.

Bruder der Moose,

der Flechten,

gelehnt

in die

rote Dämmerung des

alten Gymnasiums,

versunken

zwischen den schwarzen

Adern der Wurzeln.

Stieleiche,

in den Wind gedreht,

Ringe,

Menschen überdauernd,

felsige Furchen,

arid.

Äste,

armgleich ausgestreckt,

sturmgewohnte Finger,

tastend,

als suchten sie einen

Griffel

in der

Lade der Luft,

zu schreiben eine

weitere Stunde

in die Chronik der

Schatten.

Friedenslinien

Im Souvenirshop von

Sinn Féin

blickt

Bobby Sands

aus Postern & Tassen.

Im Geschichtsmuseum

hängen Gewehre,

die Gaddafi

einst lieferte.

Mauern,

versteinerte Echos,

überwältigt von

Gemälden,

Graffiti,

windumtost.

Die Stadt,

noch immer nackt,

gleich den Gitterkäfigen

hinter den Häusern der

Bombay Street.

An der

meistbombardierten Bar

der Welt

trinken sie

Guinness,

schwarz

wie die Erde des

City Cemetery,

wo eine

unterirdische Wand

die Toten trennt,

weiß

wie die Wolken über

Belfast.

Östlicher Ort

Hier,

unter den großen Sternen,

wo Namen

für immer bleiben,

die Linde

tausendjährig rauscht.

Die hier

in ihren Tagen leben,

der Langsamkeit verwandt,

sprechen nur,

wenn sie etwas zu sagen haben,

lauschen

den Geschichten des Windes.

Wer schrieb sie

in die Weite der Felder?

Vielleicht

wusste es die Melkerin,

die vor langer Zeit über

die Hügel davon ging,

an ihren Händen

den Duft der Frühe.

Mutmachende Moritat vom Scheitern

Am

31. Mai 1811

standen Tausende am

Ufer der Donau.

Sogar

der König von Württemberg

wartete auf die Sensation.

In einem

selbst gebauten Hängegleiter

wollte

Albrecht Ludwig Berblinger

von der Adlerbastei

über den Fluss fliegen.

Lebend

zogen sie den Schneidermeister

aus dem Wasser.

Spott und Alkohol

stürzten ihn ins

Armengrab.

1891

glitt Otto Lilienthal

schwerelos dahin.

1952,

in einem Fachaufsatz über Thermik,

schrieb jemand,

dass es an der Stadtbefestigung von Ulm

keinen Aufwind gibt.

Galater

Begraben

Hals & Armring,

Schwert & Schild.

Unerbittlich der

Sandwind.

Zerschlagen

der Tempel,

die Drehmühle.

Das Mehl,

fortgetragen im

Fell der Ratten.

Versunken

im Grabhügel

der Streitwagen.

Rostbrüchig

der Eisenpflug.

Argwöhnisch die

Krähen.

Gehöft.

Die Hunde

verhungert.

Erloschen

die Herdfeuer,

die Halbmonde der

Sensen.

Hart die Grannen.

Geronnen das Blut

abgeschlagener

Hände.

Verwaist

der Markt.

Vereist

der Kessel.

Leer hängt die Waage.

Die Münzen

Fabel der Moore.

Umgehungsstraße

Der alte Asphalt

wurde brüchig.

Delirien der Disteln.

Leere Bierkästen,

Speisekarten,

ein Ford Transit,

aufgebockt

auf grauen Mauersteinen,

an denen grüne Flammen lecken.

Manchmal

hält ein älteres Paar,

von Erinnerung gelenkt,

blickt in die Fenster des

Gasthofs,

schmale Schattenhand,

braune Stille der Stuhlbeine.

Eine Weile stehen sie noch

in der Umarmung des Windes,

der vom Meer kommt & die

Ähren schwenkt.

Dürre

Sieben Jahre

brannte Durst in den

Mäulern,

die alte Zunge der

Sonne,

versandet

die Schlachtbank,

die Schreie versiegt.

Damals

schlitterten sie in Zinkwannen

über blanke Wiesen,

jetzt blicken die Fischer

auf silberne Flossen in

algiger Brühe.

Was noch lebt,

werfen sie in den Fluss,

stapeln Karpfen, Brassen,

den Gestank der Hechte

ins Kreischen der Kormorane.

Sieben Jahre

lastete die Glut auf

Ästen, Zweigen, Blättern,

Totholz wie Knochen,

bleiche, rissige Trift,

leer der Himmel,

der Messtopf.

Leuchtturmwärter

Die Petroleumkanister

schleppte er 315 Stufen

hinauf.

Wenn die Asche des Tages

über der weißen Dünung wehte,

nahm er die Leinenlaken

von den Laternen &

zündete die Lampe an.

Er lebte hier oben

wie in einer Uhr,

putzte Linsen, Prismen,

das Räderwerk der Sterne,

las Barometer, Gedichte,

zog Schiffe in Flaschen groß,

legte sich in kalte Mauerrund.

Manchmal im Herbst

fielen Krammetsvögel,

die von Kristall nichts wussten,

lichtsüchtig, nebelschwer,

ins Kuppelgrab.

In der Eisenpfanne,

buttergebräunt,

schmeckten sie ihm gut.

Evros

Nur

der Fluss,

Forensiker,

kennt

die Namen der

Toten,

die

er täglich ins

Schilf legt,

blau, gedunsen,

Blätter, Larven

in den Kehlen,

eine

letzte Anschrift,

denen er lässt,

was

der Schlamm

verschmäht,

eine Uhr,

ein Amulett,

eine Gebetskette,

eine

achtstellige Nummer

in einem Kühlfach.

Niemand

sucht die Gräber

unter den Dornen.

Blicke, Münder,

die Dörfer,

still wie Tabak.

Regina Jarisch

sprachreise

worte wandeln sich

mischen im zeitraum

sprachgespinste

geistgebilde

ins jenseits

verschoben verrauscht

sprachräume

verlieren sich

aus der zeittiefe

tauchen kopien auf

verkürzt die zeit

knappst

wir kopieren weiter

kipppunkt

schlaflos wandern schwer müde

fällt die zeit aus den himmeln

wasser steigen der atem geht flach

das leben pausiert im tunnel

niemand hört das gern am tisch der

geselligkeit zählt nur die lächelnde

zuversicht erzählt in geschichten

die wie fettaugen über dem tag

schwimmen wir mit halber lunge

zum roten sonnenuntergang

fahren ins dunkel ins ahnen

die masken fallen

zerschlissen die haut gefangen

im welken tasten wir nach baldrian

vergessen das fallen das steigen

in verschwiegener angst am rand

stirbt die täuschung

ohne zielangabe

hochgestapelte versprechen

verstolperte verheißungen

züge ohne zielangabe

verpassen den bahnhof

ich suche den fahrplan

finde das schwarzbuch deutsch:

schlamassel und seelenkunde

neben sonntagsfahrverbot

im sessel plüschgedanken

ohne stoff und grund

gedanken und visionen

fallen aus der linken hand

die rechte umkrampft den löffel

das chaos dampft im kopf

der klare überblick

lässt sich nicht halten

verspielter morgen

über sofakissen gefallen

aus erwartungen

den strick gedreht

knie knicken

das kissen fängt

schmerzen bleiben aus

im spiegelblind

tage ticken

wünscheverstrickt

die weisheit verspielt

in kissen schlachten

federn nebeln

nur das theater

erlaubt helden

die utopie

auf der richtigen seite

nicht kurzfristig zu klären

wer die worte und sätze

errichtet und schichtet

ich verantworte meine deutung

laufe das koordinatensystem ab

in alle möglichen richtungen

lese verlese verliere mich in der

halbwertzeit kurzbeiniger werte

decke ich die zwiefalt der worte auf

im gerede schieben sie den sätzen

die schuld zu die taten fressen

die sprache auf

mir schwindelt

herztasche

unterm kirschbaum schaukelt das kind

im hofviereck

hält ein birnbaum das indianerzelt

eine reife birne auf der wiese

daneben ein becher malzkaffee

kinderwelt unterm federschmuck

die weite

im erwachsensein verlassen

im umzäunten land

gehören die indiander ins kino

in begrenzter sicht verwelken träume

vor dem blühen fallen blätter

unbeschrieben auf den tisch

gedeckt mit brot äpfel und butter

vergessen die gelbe birne

in der dämmerung flüstert der mond

ins kleine fenster und

unterm bett spuken gespenster

ins nachtschwarz

ruft der ferne kirschbaum

über alle zäune hinweg unsichtbar

kitzeln die federn im bunten traumland

packt das herz aus

fehlgriffe

hände halten auf abstand

abgewehrt die fremde erwartung

nur die eigene

wuchert weiter in den vier wänden

aus der tür tritt

unerfülltes verlangen

züngelt mit worten

zündelt mit satzschlingen bis

die haut an den händen

brennt

im dickicht der irrtümer

steigt rauch auf

mögliche empörung

zukunft

bleib mir ewige

gegenwart greif uns

was zu greifen ist saug auf

was wir nicht loslassen

wollen ist eine frage

in auflösung

zahlen und räume

verlieren sich und

vergänglich liegt

die zukunft

Hanna Fleiss

Leben spüren

Leben immer nur Traum,

hin zu den Meeren, den Bergen

im Schnee, zum stillen See

in verschwiegener Landschaft,

in die Ebenen weit.

Hier das Häusergrau,

die Hektik des Straßenverkehrs,

das Pseudodasein im Großraumbüro,

die ehernen Marktgesetze,

seltsam fremd fühlst du dich.

Du trittst neben dich,

begreifst das Irrationale des Heute,

dein ungelebtes Leben, bohrend

der Verdacht, dass die Welt

dir etwas vorenthält.

Du vergräbst dich in die Suche,

ahnst etwas von der Größe und der

Kleinheit des Lebens, grübelst

und kommst zu keinem

Ergebnis.

Erst der Schatten

eines herbstlichen Ahornwalds

belehrt dich, und schmerzhaft

erinnerst du dich der Abendsonne, rot

wie deine Sehnsucht ins Freie.

Verse, warum sie

Lasst die Wörter fliehen

aus den Gedichten, zu müde die Welt,

zu traurig, Verse ertragen zu können,

wir wollen nicht Glanz noch

Licht auf allen Dingen.

In großem Dunkel

betreten wir die großen Winter,

wir sind Realisten, wohlwollende

Statisten, unerklärlich die Welt, und wir

als Beipack mittendrin.

Wir sind unser eigenes

Stillleben in marmornen Särgen,

wenn die Zeit kommt, kommt Rat

für Erkennen und Klagen -

so man uns lässt.

Das Ungeschriebene

Ein Durst oftmals,

das Gedicht zu schreiben, das dem

Wesen der Welt ins Innere blickt.

Mich von Schmerzen befreien,

die mir den Leib umgraben

wie der Pflug die Erde.

Ja, ich weiß, der Hunger

nach Wahrheit ist variabel verteilt.

Und wer gäbe sich nicht lieber mit den

kleinen oder großen Lügen zufrieden,

wenn‘s ans Bezahlen ginge, sobald er

sie kenntlich machte?

Ich, wissend darum,

schaue dem Wolkenmeer nach,

das geruhsam hinterm Dächergrau

verschwindet.

Die Mutter

Ich kam aus ihr, ungelegen,

die geerbten Gesten verraten mich,

was ich meinen Verstand nenne,

das halbe Glück im Unglück.

Woher der Gedanke an sie,

so anlasslos, fern vom Grab.

Ich höre ihre Stimme noch,

sehe sie sitzen, breit, mich musternd

mit schwachen Augen, als käme ich

fremd in ihre Welt, als stelle

sie mir ungern die Frage

nach dem Woher.

Ohne Zutun die Zeit vergangen,

versteint die Lust an Welt, an Leben,

ich sah die tauben alten Hände.

Wortlos ging sie, wie selbstverständlich,

es gehörte sich so, ein Seufzer.

Da war nichts mehr offen.

Die Großmutter

Als sie dem Alten, deinem Otto,

endlich Arbeit gaben nach

sieben Hungerjahren, zog kleines Glück ein

in die Arme-Leute-Stube.

Da gab es wieder einen Happen im Magen,

sonntags auch Kuchen mit Sahne, mal rausfahren

an den Wannsee, Damenwahl beim Ball verkehrt,

das neue Nadelstrichkostüm, die Bluse

mit Rüschen.

Durch die Arbeiterstraßen marschierten

Proleten in braunen Uniformen.

Dir taten sie nichts zuleide, du

warst keine wie die Goldsteins von nebenan,

du warst ja eine von ihnen, von

deutscher Rasse, von deutschem Blut.

Im neuen Radio bellte der Führer.

Du fragtest dich nichts,

deine Welt war in Ordnung.

Und der Alte, immer noch

mit seiner Drückebergerstelle bei Borsig,

brachte Geld ins Haus.

Es hätte so schön sein können.

Wäre da nur nicht

der Krieg, der verfluchte Krieg! gewesen.

Und als sie euch den Brief schickten,

der Sohn gefallen an der Ostfront,

weintest du nicht, du warst

eine stolze Mutter.

Manchmal fragte die Enkelin

nach dem Vater. Das ging vorüber.

Sein Foto mit Stahlhelm und Hakenkreuz

stand auf dem Vertiko – der Held

der Familie.

Und während der Alte schlief,

wühltest du dich aus dem Bett, fielst auf die Knie,

rangst die Hände: Der Junge, mein Gott!

Womit hattest du DAS verdient?

Wohin, Cecilia

Brot und Rosen,

Arbeit und Brot. Wohin, Cecilia,

zogen die Wolken? Wie flog

dein Haar.

Kalt wehte es in den Straßen.

Es kam die Nacht, die alles verschlang,

den Mann, die Kinder, das Brot

und die Rosen. Kalt blitzten

die Bajonette.

Sie legten

die Rose dir aufs Grab, die eine,

die blutige Rose. Wohin, Cecilia,

zogen die Wolken?

Eline Menke

Gut gerüstet

Lautstark puste ich

einen freien Streifen

in meine Gedanken.

Der Laubbläser des Nachbarn

liegt gut in der Hand.

Wo nichts wächst

bringe ich Luft zwischen

die Worte. Das Lektorat hat

mir spontan einen

Vertikutierer geliehen.

Den Wildwuchs

der Verse halte ich mit

einem Kantenschneider

in Schach. Eine Anschaffung

aus dem letzten Jahr.

Abwägung

Am Kirschbaum

Blüten wie Schlagrahm

aber die Tage sind nicht süß

sie krähen wie Hähne.

Mit scharfem Schnitt

trenne ich Hühnerhälse

klimpere mit Messern

auf dem Küchenklavier.

Abends grase ich

in der Ferne

stelle Milchkannen

auf die Waage der Zeit.

Carsten Rathgeber

Tausch

Im zedernartigen Kahn

Liegen grünliche Taschen

Mit Brot, Wein, Metallen

Nah zur dunklen Nacht

Löst ein Mann den Kahn vom Steg

Treibt zur See

Rudert durch dunkle Wälder

Hört Vögel zur ersten Sicht

Kehrt zurück mit Frau und Kind

Und Fischen in den Taschen

Erschöpfter Tag

Den erschöpften Tag

Ausgestreckt auf dem Sofa

Tröstet die Nacht

Bedeckt ihn mit Wörtern

Silbrigen Adjektiven

Atem

Spät sah ich dich kommen

Allein zum gelben Haus

Keiner wird uns kennen

Hinter den alten Türen

Entlang der weißen Wände

Bedenke ich hier dein Sein

Stumm bleiben meine Fragen

Du kennst das Verborgene

Könnt ich doch hörn dein Wort

Verstehn die Geschichten

Es brechen in der Stille

Im Flur meine Sätze

Begegnung

Ein Fenster flattert

Im Takt der Musik

Du öffnest die Tür

Lächelst verlegen

Zu Bildern der See

Vom Meer erzählen

Bei Kaffee und Tee

Knarrende Möbel

Ein zärtlicher Blick

Die Tür, sie klappert

Ewig gleich

Durch die Tür kommt die Katze

Schaut in alle Richtungen

Schnuppert in Flur und Küche

Leckt ihr Fell, auch die Pfoten

Und geht stolz zurück zur Welt

Ich wähle das grüne Rad

Überprüfe den Luftdruck

Lege Decken in den Korb

Auch Handtücher, Obst und Brot

Fahre durch Wiesen zum Meer

Ein Drachen steigt zum Himmel

Ewig möchte er fliegen

Am Horizont eine Jacht

Mücken tanzen mit dem Licht

Zeitlos dösen die Tage

Stille Wut

Leichte Luft strömt im Licht

Am Meer entlang durch Dünen

Auch die Gräser wissen

Dänemark ist ein Gedicht

Nachts träume ich helles Blut

Es tropft in meiner Angst

Wird dunkel, kalt und fest

Begehrt auf in seiner Wut

Tags darauf stürmt das Meer

Bricht laut in die stille Schlei

Schaumbedeckt das Leben

Ermattet voller Schuld

Schweigsam, so demütig

In sich schuldlos verkehrt

Klare Kante

An einem Sonntag beim Regen

Sortiere ich mein Dienen und Meinen

Trenne Plausibles vom Wahren

Das Laute vom Bewusstsein

Urplötzlich dieses Sehnen

Dieser Stolz auf mein Leben

Argumente renoviert

Alte Akten geschlossen

Die Legenden demontiert

Ansichtskarten geschrieben

Mir bleibt ein weißer Mantel

Dazu schwarze lange Stiefel

Harte Kante gezogen

Unbekannt verzogen

träume in unsrem alten raum

am wegesrand

tropfen später blüten

erzählen vergangenes

herbstliche düfte

opfern sich dem leben

regenbögen streifen wolken

sie umtanzen einander, miteinander

blitze schlagen quer zur erde (laut mit krach)

spiele in transzendierten welten

dir lege ich blütenzweige zur tür

die kastanien berichten meinen namen

die blicke sehen uns

spät zu käsekuchen, wein und bier

sprechen wir ewig unter laternen und lachen

denken an den sommer und tanzen

Entbindungen

Silbrig schimmert helles Herbstlicht

Auf den Wegen mir ins Auge

Sehe unverhofft dein Gesicht

Spüre erneut unsre Nähe

Ich atme deine Fröhlichkeit

Blinzeln öffnet neue Welten

Zwischen Klarheit und Ewigkeit

Bleibt unsre Trauer verborgen

Schlagartig blick ich auf Hände

Ein braunes Blatt liegt vor der Tür

Werde fallen, seh die Erde

Gebe mein Leben als Gebühr

Nun siezen wir uns und nicken

Meiden verworrene Kräfte

Verhindern Zufälligkeiten

Bedenken kühl unsre Sätze

Doch es gibt bleibende Mächte

Gar weltumspannendes Wollen

Einen Duft, vielleicht die Triebe

Schwangerschaften für ein Wesen

Sind die Gefühle der Liebe

Hüllen für ein neues Werden

Transzendiert in Blut und Seele

Etwas aus dem Wir fürs Leben

Liebe bindet zu einem Wir

Die Menschen über Momente

Entbindet uns vom Jetzt, vom Hier

Fügt die Herzen ins Ewige

Danach

Nach deiner Abreise

Sortiere ich Handtücher

Auch bunte Gummibänder

Und Gefühle leise

Im Bad noch eine Socke

Beharrlich dein Blick

Ein Schimmer von Glück

Verloren eine Locke

Im Traum dein Gesicht

Was könnte uns verleiten

Wir sollten uns mal streiten

Ein Lächeln im Licht

Alfred J. Signer

Es war einfach da

Hingefallen aus der Welt

der Maschinen

unscheinbar klein

Macht mich ratlos

auch ärgerlich.

Es war einfach da

Kleine Dinge können

wichtig sein

Ohne die winzige Schraube

läuft im Grossen nichts.

Es war einfach da

Lässt dich im Ungewissen

Läuft die Chose ohne,

wird das Übergeordnete

bald entsorgt.

Es war einfach da

Verlust bedeutet Wachstum

Schadenersatz freut

die Leidenden

Mehr wissen wollen

ziemt sich nicht.

Es war einfach da

Geliebt von grossen Gärtnern

Nützling mehr denn Schützling

Gedeihen, dienen und fallen

Der Lauf der kleinen Dinge.

Es war einfach da

Herbstliche Gedanken in der Krise

#sangundklanglos

I

Unter grauem Himmel

leeren sich die Bäume.

Herbstlich treibt die Brise

Blätter vor die Türe.

II

Schwach nur noch

leuchtet die Sonne

im herbstlichen

Novemberdunst.

III

Geladen der Äther,

aufgekratzt die Stimmung.

Düstere Momente

im Schachtel-November.

Befreit

Die Landschaft lädt dich freundlich ein.

Wettergötter meinen’s gut mit dir.

Märzensonnen scheinen ungebremst.

Unbegrenzt die staubig trock’nen Wege.

Zu die Türen! Schliessen lautet die Parole.

Vertröstet auf später, wann denn nur?

Der Natura-Laden steht immer offen,

lässt sich keinesfalls verschliessen.

Du saugst dich voll. Spektakel pur.

Spürst dich ganz und friedvoll gross.

Prall das Angebot. Erlaubte Völlerei.

Schwer die Beine, leicht die Seele.

Dirk Tilsner

Vorstellung

spürsinn steint - au! - frisches sinnbild / hängt sinnverdreht

frohsinn erliegt / vor dir, dein tag … sinnlos!

Du glaubst, es hat sich rar gemacht. Dabei trage Ich

es in der hohlen Hand mit mir herum. Sieh! Es tritt sogar

aus grautristen Mauern heraus. Doch ehe es versickert, im

treibenden Sand der Tage, fang ich es auf. Tropfenweise.

Ich schlürfe stets nur das Mindeste, denn dem Nächsten

reichend, hat es länger Bestand. Vermischt mit deinem

Blut, wird es sprudelndes Quell. Mit dem des Anderen,

ein Strom. Mäandernd, mit stillen Seen und Katarakten.

Gib acht! Willst du ihm auf den Grund sehen, narrt es dich

mit Spiegelungen. Betrachtest du dich in ihm, trübt es sich ein.

Es verabscheut Deutungen und Bedeutung. Suche Nie(!) nach

seinem Sinn, sonst verdunstet es im Nu. Wird Totes Meer:

spürst, ein taufrisches bild hängt verdreht froh

er liegt vor dir, DEIN tag … Los!

Lauf ihm nicht hinterher. Es gleicht einem scheuen Tier.

Warte ab. Irgendwann wird es auch dich holen.

Woher ich das alles weiß? – Sag einfach

Hans zu mir.

und du?

Wenn wir uns wirklich wandeln, im sieben-jährigen

Pendelschwung, bin ich vom Umkehrpunkt bis dato

weit entfernt. Da liegen Jahre vor mir voller Fragen;

wie: ob du noch immer einem bunten Falter gleichst.

Nein, nicht die Bluse meine ich. Dein Wesen war‘s,

ein Lachen jeder Flügelschlag; es brauchte keinen Witz

dafür, der Frühling und die Wiese waren Grund genug.

Und außerdem: ob heute noch das Reh aus deinen Augen

springt; das scheue Tier, das sich befangen und beherzt

zugleich vom Unterholz befreit und auf die Lichtung wagt.

Schon holt das Pendel wieder aus; bereits zum fünften

Mal Kokon zerrissen, neu entpuppt, ausgeflogen und in

Eisnächten erfroren. Und dito: beim Äsen schnell zum Aas

geworden; mitunter rechtzeitig ein paar Haken geschlagen

und zurück ins Dickicht; am besten für immer verstecken.

Ich jedenfalls bin nach wie vor der Lustigste am Tisch.

Allein, es fehlen mir die Gäste; und weiß sehr wohl

von einem oder anderen:

die Flügel längst verdorrt, kaum mehr als Rudiment; dem

Zweck geweiht, als Accessoire für falsche Freunde und

die Chefetage. Ansonsten viel zu schwer für einen Flug.

Wozu denn auch? Man überblickt den Acker ohnedem;

das Reh vor langer Zeit erlegt; die Furchen sind von uns.

Blickwinkel

im Dunkeln erkenne ich dich sofort:

jeden Winkel, jeden Bogen, jede Mündung der

so oft erforschten Küste, tausend Male automatisch

eingescannt, verarbeitet, gespeichert und dann

mancherorten abgerufen bis aufs

Wiedersehen

bei Licht besehen kenne ich dich kaum:

ich tauche plaudernd in dich ein, tief in dein seelisches

Geschlinge über unsichtbarem Grund wo irgendwo

ein Fuder Truhen ohne Schlüssel meinen

Namen ruft

schließlich sagst du mir, du glaubst – an Amor:

Phos(ph)en – gerächte Spiegelungen (blendend!)

kippeln Kuppeln oder kuppeln Sinn und quer-

Gekipptes im täglichen Wandel deiner

Jahreszeiten

natürlich sage ich: natürlich, ich verstehe dich

und habe mich verloren längst im Wirrwarr deiner

Gänge ohne Wände hinter denen du beharrlich

auf mich lauerst bis du endlich wieder

nach mir greifst

die Saite

ich glaub, sie schwang zum ersten Mal halb zehn

in einer Pause zwischen Schinkenbrot

und Milch wurde mir flau für einen Augen-

blick, mehr war es nicht, da spannte sie sich

auf, vom Hosenbund den Leib und Hals hinauf

bis in die Wirbel meines Kopfes, den verdrehte

sie von innen hin zur Wurzel in der Grube

meines Magens und versetzte mich in Trance

später brachte sie mich oft von Fuß bis

Schopf in Resonanz auf jener Welle, deren

Sinus links im Brustkorb bricht, dort schnitt sie

meinen Atem und mitunter tiefe Wunden

dann kam der Tag, an dem sie unverhofft

verstummte, nicht das leiseste piano!

einfach so ließ sie uns hängen, sich und

mich, in einem Corpus ohne jede Vibration

nichts stimmte sie, kein Zupfen half, kein

Küssen und kein Flehen, alle Notenbücher

taugten nichts, sie wollte nicht, sie wollte

Zeit, die schönste Zeit … die nahm sie sich

ich weiß, sie schwang das letzte Mal halb zehn

in einer Pause zwischen Portwein und Zart-

bitter sah ich noch einmal den Augen-Blick ...

erst gestern war‘s, da kam mir die Erinnerung

an dich

Frühling

Als Gott, der laue Winde nordwärts trägt,

ist er am Morgen übers Land gekommen.

Der Spross, der sich seitdem im Innern regt,

hat seinen Ruf, noch halb betäubt, vernommen.

Schon wird er ungeduldig, keimt und drängt,

meint ICH sei‘s, der ihn in den Kerker sperrte.

Er ahnt, das Weiß, das in den Bäumen hängt,

ist nur der Auftakt roter Festkonzerte.

Ich halte ihn … umsonst, er bricht hervor

und bleibt sogleich an allen Düften kleben.