Inhaltsverzeichnis
1 Vorwort
2 Definition des Flüchtlingsbegriffs
2.1 Wer sind „Geflüchtete“?
2.2 Wer sind „unbegleitete minderjährige Geflüchtete“?
3 Unbegleitete minderjährige Geflüchtete – Hintergründe
3.1 Herkunft, Alter und Geschlecht – Daten und Fakten
3.2 Fluchtgründe
3.3 Gesundheitliche Situation und medizinische Versorgung
4 Rechtlicher und struktureller Rahmen
4.1 Der rechtliche Rahmen
4.2 Die Kinder- und Jugendhilfe
5 Gesellschaftliche Teilhabe von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten – Anforderungen und Möglichkeiten für eine gelingende Integration
5.1 Anforderungen an die Soziale Arbeit
5.2 Gesellschaftliche Teilhabe von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten
6 Schluss
6.1 Zusammenfassung
6.2 Empfehlungen an die Soziale Arbeit
7 Literaturverzeichnis
7.1 Fachbücher und Fachzeitschriften
7.2 Internetquellen
Jährlich flüchten Tausende Menschen aus ihren Heimatländern für eine hoffnungsvollere Zukunft. Unter ihnen befinden sich viele Kinder und Jugendliche, die häufig alleine fliehen und ihre Familien im Heimatland zurücklassen. Laut der United Nations High Commissioner for Refugees (fortfolgend UNHCR genannt) sind sogar die Hälfte aller Geflüchteten minderjährig. Die meisten von ihnen fliehen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia, Sudan, dem Irak und Iran.[1] Die Gründe für eine Flucht sind vielfältig: materielle Not, Verfolgung, Vertreibung, Terror, Kriege, Tötungen, Entführungen, Folter, Misshandlungen sowie Diskriminierungen aufgrund Religion, Ethnizität und Geschlecht. Hinzu kommen schwerwiegende Eingriffe in die Menschenrechte, wie u.a. fehlende Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit.[2] Häufiges Ziel von geflüchteten Menschen sind Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, da diese dazu verpflichtet sind, Schutz zu gewähren. Somit ist auch die Bundesrepublik Deutschland ein Land, in das Menschen fliehen, um ein Leben führen zu können, welches Ihnen im Heimatland verwehrt bleibt. De facto ist Deutschland damit seit vielen Jahren ein Einwanderungsland, auch wenn diese Tatsache erst mit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 als offiziell gilt. Dadurch gibt es zwar einerseits einen rechtlichen Abschluss, die Brisanz dieses Themas hat in den vergangenen Jahren jedoch mit Sicherheit nicht abgenommen. Seit der letzten Flüchtlingswelle im Jahr 2015 kann davon ausgegangen werden, dass die „Flüchtlingsdebatte“ erneut Fahrt aufgenommen hat und in der Gesellschaft erneut allgegenwärtig ist.
Während unser Leben meist sehr geregelt und sicher abläuft und wir voller Privilegien zunächst eine Schule besuchen, dann eine Ausbildung machen oder an einer Universität studieren um daraufhin erleichtert zu sein, eine passende Arbeit gefunden zu haben, verläuft das Leben vieler Kinder und Jugendlicher in Krisengebieten entgegengesetzt. Wie müssen sich Kinder und Jugendliche fühlen, denen all jene Möglichkeiten verwehrt bleiben und sie aufgrund verschiedenster Faktoren alleine und ohne ihre Familien in ein fremdes Land fliehen müssen, um in Frieden und Sicherheit leben zu können? Viele der geflüchteten Kinder und Jugendliche verbringen ihre gesamte Kindheit fernab ihrer Heimat und befinden sich über einen langen Zeitraum auf einer gefährlichen Flucht. Eine stetig steigende Zahl von Ihnen flüchtet zudem alleine und ist dabei dauerhaft von den Eltern getrennt. Während sich im Jahr 2015 noch rund 65.000 Kinder und Jugendliche in der Zuständigkeit der Jugendhilfe befanden, sind es derzeit immer noch ca. 30.000.[3] Aufgrund ihres Alters und der Erlebnisse in den Heimatländern und während der Flucht benötigen die Kinder und Jugendlichen nach der Ankunft in Deutschland besonderen Schutz, passende Betreuungsangebote, Unterstützung im alltäglichen Leben sowie eine geeignete Förderung, um zukünftig eine sichere Lebensperspektive entwickeln zu können.
Geflüchteten Minderjährigen stehen verschiedene Schutz- und Fördermaßnahmen zu, die ihrer besondere Lebenssituation gerecht werden sollen. Wie aber sieht die Realität der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in Deutschland aus und was wird unternommen, um eine gelingende Integration realisieren zu können? Wie genau sieht der Verlauf nach der Ankunft aus und können sich die Jugendlichen Hoffnungen machen, in Deutschland bleiben zu dürfen oder sieht die Realität ganz anders und viele von Ihnen haben lediglich eine begrenzte Aufenthaltsdauer in Deutschland und müssen damit rechnen, nach Ablauf der Jugendhilfe in das Herkunftsland abgeschoben zu werden? Vorab muss erwähnt werden, dass viele Fragen im weiteren Verlauf offen bleiben und nicht abschließend beantwortet werden können. Außerdem entwickeln sich aus dem Kontext heraus oftmals neue Fragestellungen, die dazu dienen sollen, die ausgehende Fragestellung bestmöglich beantworten zu können.
Im ersten Kapitel der vorliegenden Masterthesis sollen zunächst Geflüchtete bzw. unbegleitete minderjährige Geflüchtete näher definiert werden, um die Personengruppe eingrenzen zu können. Wer ist eigentlich ein Geflüchteter und wann ist von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten die Rede? Im weiteren Verlauf sollen die Hintergründe sowie Zahlen und Fakten zu unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten genannt werden: Woher stammen die in Deutschland lebenden jungen Geflüchteten, wie alt sind sie und welches Geschlecht haben sie? Außerdem sollen im Folgenden die Fluchtgründe erläutert werden, während die Veranschaulichung der gesundheitlichen Situation sowie der medizinischen Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten das zweite Kapitel abschließt. Um sich einen allgemeinen Überblick über die Situation der jungen Menschen machen zu können, sollen darauffolgend sowohl der rechtliche, als auch der strukturelle Rahmen beschrieben werden, in dem sich die meisten Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland aufhalten bzw. aufhalten müssen. Zum rechtlichen Aspekt gehören hierzu der Ablauf des Asylverfahrens, das Dublin-Verfahren und das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Beim strukturellen Rahmen sollen die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe näher betrachtet werden: Was passiert mit den Jugendlichen nach Ihrer Ankunft? Welche Aufgaben hat hier das Jugendamt und wie wird über den weiteren Hilfeverlauf entschieden? Dazu soll die Inobhutnahme des Staates, das Clearingverfahren sowie die Hilfeplanung und die Anschlussmaßnahmen thematisiert werden. Im weiteren Verlauf soll die Ausgangsfrage dieser Masterarbeit näher untersucht werden. Wie und mithilfe welcher Akteur*innen bzw. Institutionen kann es gelingen, dass unbegleitete minderjährige Personen sich eine neue und vor allem sichere Lebensperspektive aufbauen können. Oder ist dieses Ziel bloßes Wunschdenken der Jugendlichen und in den meisten Fällen schlicht unmöglich zu erreichen? Hierzu sollen die Anforderungen an die Soziale Arbeit, aber auch an die Jugendlichen untersucht werden. Zum Abschluss an das fünfte und letzte Hauptkapitel soll die gesellschaftliche Teilhabe und die dadurch resultierende Integration in die deutsche Gesellschaft durch die Kinder- und Jugendhilfe, durch Bildung und den Spracherwerb sowie durch die Ausbildung und den Beruf beleuchtet werden. Abgerundet wird die Masterarbeit mit einem Resümee und einigen Empfehlungen an die Arbeit mit jungen Geflüchteten im Kontext der professionellen Sozialen Arbeit.
Vorab soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass in einigen Abschnitten der Masterarbeit eigene Erfahrungswerte aus der Praxis miteinfließen. Diese sind durch Fußnoten gekennzeichnet und befinden sich ausschließlich in der Fußnotenzeile. Das Ziel dabei soll sein, einen Vergleich zu der hier erläuterten Theorie herzustellen und die teils zu beobachtende Diskrepanz deutlich zu machen.
Im ersten Kapitel der Arbeit soll auf die beiden Begriffe „Geflüchteter“ sowie „unbegleitete minderjährige Geflüchtete“ näher eingegangen werden. Ziel ist es, die betroffenen Personengruppen zu definieren und die Unterschiede darzustellen.
Bevor ich mich der eigentlichen Zielgruppe, den „unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten“ widme, ist es wichtig zu erfahren, wer laut Definition ein Flüchtling bzw. Geflüchteter ist. Vorab möchte ich an dieser Stelle kurz erwähnen, dass ich bewusst den Begriff „Geflüchteter“ verwende, da dieser noch ohne historische Bedeutung ist und der Wortsinn sowie die Wortstruktur unproblematischer erscheint.[4] Gleichzeitig möchte ich dennoch darauf hinweisen, dass die Begriffe „Geflüchteter“ und „Flüchtling“ im Folgenden als Synonyme verwendet werden, wenn es sich um direkte oder indirekte Zitate handelt.
Die Genfer Flüchtlingskonvention, welche das wichtigste Abkommen zum internationalen Flüchtlingsrecht stellt, definiert einen Geflüchteten als eine „Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann […].[5] Dennoch wird eindeutig nach den Gründen einer Flucht definiert. So zieht das Völkerrecht eine klare Linie zwischen Flüchtlinge bzw. Geflüchtete, die durch bestimmte und definierte äußere Einflüsse fliehen und sogenannte Migranten, die aus eigenem Antrieb auf der Suche nach einer besseren Perspektive ihre Heimat verlassen.[6] Ein Geflüchteter ist also jemand, dem es nicht möglich ist, in seinem Land zu bleiben bzw. zurückzukehren, da ihm dort Gefahr für Leib und Leben droht und er aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder seiner politischen Meinung verfolgt wird.[7] Das nach dem zweiten Weltkrieg stets weiterentwickelte Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention beinhaltet außerdem das Non-Refoulement-Prinzip. Dieses definiert das Verbot einer Zurückweisung eines Menschen in ein Land, in dem einem Geflüchteten Verfolgung droht. Ähnlich sieht es bei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) aus. In Artikel 3 der EMRK wird festgehalten, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Das zunächst nur auf Europa geltende Recht für Geflüchtete verlor ab 1967 die zeitliche und geographische Limitierung und ist somit weltweit gültig.[8] Das UNHCR bietet internationalen Schutz und stellt sicher, dass Menschrechte für Geflüchtete respektiert werden. Geflüchtete sollen jederzeit das Recht haben, einen Asylantrag zu stellen, auch wenn sie nicht direkt und namentlich von staatlichen Stellen bedroht und verfolgt werden. Einige, zumeist westeuropäische Staaten, besitzen jedoch eine andere Auffassung: Nicht jeder Mensch, der sich auf der Flucht befindet, soll automatisch einen Flüchtlingsstatus erhalten. Hierbei werden Diskrepanzen der verschiedenen Definitionen für Geflüchtete deutlich und führen häufig dazu, dass sie sich auch in der Praxis verfestigen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert zudem die Rechte aller Geflüchteten: Recht auf Religions- und Bewegungsfreiheit, Recht auf Zugang zu Bildung sowie das Recht auf Arbeit. Gleichzeitig werden auch Pflichten für Geflüchtete genannt: Ein Geflüchteter hat die Gesetze und Bestimmungen des Aufnahmelandes zu respektieren und muss nachweisen können, dass seine Flucht vor Verfolgung begründet ist.[9]
Nachdem im vorherigen Abschnitt dargestellt wurde, wer laut Definition allgemein als Geflüchteter gilt, wird in diesem Absatz genauer der Begriff „unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter“ charakterisiert. Da der Begriff des unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in dieser Arbeit eine zentrale Rolle einnimmt, ist es von Bedeutung, eine klare Definition herauszuarbeiten und gleichzeitig eine Abgrenzung zu anderen Personengruppen herzustellen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz BAMF) sieht einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, im Sprachgebrauch auch unbegleiteter minderjähriger Flüchtling bzw. Asylsuchender genannt, als eine Person an, die unter 18 Jahre alt ist, sich in einem Asylverfahren befindet und somit keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Zudem muss diese Person ohne Eltern bzw. Erziehungsberechtigte aus einem Drittstaat in die Europäische Union eingereist sein. Wenn all jene Aspekte gegeben sind, so kann offiziell von einem unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten die Rede sein.[10] Die UNHCR definiert ein „unbegleitetes Kind“ oder einen „unbegleiteten Minderjährigen“ als eine „Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendende Recht nicht früher eintritt, und die von beiden Elternteilen getrennt ist und nicht von einem Erwachsenen betreut wird, dem die Betreuung des Kinder durch Gesetz oder Gewohnheit obliegt.“[11]
Um jedoch eine klare Definition zu entwickeln und ein besseres Verständnis erlangen zu können, müssen die drei Begriffe unabhängig voneinander definiert werden. Was bedeuten die Begriffe „unbegleitet“, „minderjährig“ und „Geflüchtet“ also? Wer ohne seine Eltern bzw. Sorgeberechtigten in die Bundesrepublik einreist oder von ihnen über einen längeren Zeitraum alleine zurückgelassen wird, gilt als unbegleitet. Minderjährig ist jede Person unter 18 Jahren. Bis zum Erreichen des 18. Lebensjahres vertreten die Erziehungsberechtigen, in dem Fall häufig ein*e Vormund*in, die Interessen des*der Minderjährigen. Stammt ein Kind aus einem Land, in dem die Volljährigkeit erst mit einem späteren Alter erreicht wird, so richtet sich die Minderjährigkeit theoretisch nach den Festlegungen im Heimatland. In der Praxis wird diesen rechtlichen Regelungen jedoch nicht immer nachgekommen und nur einige Bundesländer, hierzu gehört u.a. Bremen, erkennen eine spätere Volljährigkeit an. Der Begriff „Geflüchteter“ ist nach Definition einer Studie des Europäischen Migrationsnetzwerks nicht im rechtlichen Sinne zu verstehen, wodurch eine Person diesen Status nach dem Durchlaufen des Anerkennungsverfahrens erhält, sondern als Geflüchteter wird hier jede Person gemeint, die diesen Status oder eine ähnliche Form eines legalen Aufenthaltes in Deutschland anstrebt.[12]