Der Brief

Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und ließen sich einfach nicht verscheuchen. Unruhig wälzte sich Marie hin und her, wollte endlich in den ersehnten Schlaf finden, aber es gelang ihr nicht. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass der neue Tag bereits angebrochen war.

Herr Dr. Joachim Berger war es, der diese Unruhe in ihr ausgelöst hatte. Wer war dieser Mensch und was hatte er ihr Wichtiges mitzuteilen?

Am Vortag hatte Marie einen Brief von ihm erhalten. Seine Zeilen hatten längst vergangene Zeiten wiederaufleben lassen und alte Fragen aufgeworfen, die sie aufgrund ausbleibender Antworten bislang erfolgreich in irgendeiner Ecke ihrer verletzten Seele eingeschlossen hatte. Nun war mit diesem Schreiben die schreckliche Vergangenheit mit den vielen, quälenden Fragen aus der Versenkung aufgetaucht und mit ihr auch der innere Aufruhr, der sie so viele Jahre lang gequält hatte.

Was hatte dieser Mann mit ihrer Mutter zu tun?

Sein Schreiben ließ erkennen, dass er ihre Mutter sehr gut gekannt und auch über eine längere Zeit begleitet haben musste, denn zu Maries Überraschung waren ihm erstaunlich viele Details aus ihrer Jugend bekannt. Aus Erzählungen und späteren eigenen Erfahrungen wusste sie, dass es ihre Mutter in ihrem Leben nicht leicht gehabt hatte, dass sie unglücklich gewesen war und Zuflucht in ihrem Glauben gesucht hatte. Marie erinnerte sich, dass ihre Mutter immer wieder beim zuständigen Seelsorger der Gemeinde Hilfe gesucht hatte, denn ihre ausweglose Situation hatte sie häufig an die Grenzen ihrer Kraft gebracht.

Dr. Joachim Berger schrieb, dass er einundneunzig Jahre alt und katholischer Priester im Ruhestand sei und dass er ihr, Marie, unbedingt etwas über ihre Mutter erzählen müsse. Etwas, das ihn sein ganzes Leben lang beschäftigt habe und das er vor seinem Ableben unbedingt mit Marie teilen wolle.

Was wusste dieser Priester über ihre Mutter? Was ist so wichtig für diesen hochbetagten Mann, dass er mich so dringend um ein persönliches Gespräch bittet?, überlegte Marie. Sie konnte ihre aufkommende Neugierde kaum zügeln. Im Laufe des Vormittags würde sie diesen Dr. Joachim Berger anrufen, nahm sie sich vor.

An Schlaf war nun sowieso nicht mehr zu denken. Marie stand leise auf, ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf das gemütliche Sofa. Sie legte eine Decke über die Beine und las zum wiederholten Male die sorgfältig gewählten Worte dieses unbekannten Mannes. „Bald werde ich selbst nicht mehr hier sein“, hatte er geschrieben. Was hatte das alles nur zu bedeuten?

Es war ruhig im Haus. René, Maries Ehemann, hatte in seinem tiefen Schlaf die nächtliche Bettflucht seiner Frau gar nicht mitbekommen. Je länger Marie so still dasaß und über alles nachdachte, umso weiter wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück. Zurück in ihre Kindheit, die sie eigentlich hatte vergessen wollen. Natürlich wusste sie, dass ihr das niemals ganz gelingen würde, aber immerhin hatte sie es geschafft, ihren Alltag nicht mehr von den Ereignissen dieser Jahre bestimmen zu lassen.

Nun aber dieser Brief! Und schon erstand die Vergangenheit vor ihren Augen auf. Entschlossen schälte sich Marie aus der Decke und stieg die Stufen zum Speicher empor. Mit schlafwandlerischer Sicherheit ging sie auf die hölzerne Truhe zu, drehte den Schlüssel und hob den Deckel an. Sie wusste genau, wo sie das verschnürte Bündel finden würde: an der linken Seite, ganz oben. Seit sie das Manuskript in diese Truhe verbannt hatte, hatte es an ein und derselben Stelle gelegen. Seither hatte sie es nie wieder in die Hand genommen.

Als junge Frau – sie war damals dreißig Jahre alt gewesen – hatte sie sich auf Anraten einer Freundin dazu durchgerungen, ihr bisheriges Leben aufzuschreiben, ja, es eigentlich von sich wegzuschreiben und dann für immer wegzulegen. Das lag nun auch schon wieder dreißig Jahre zurück.

Alles was sie bedrückt und gequält hatte, stand schwarz auf weiß auf diesen Blättern. Das Wissen um die Geschehnisse ihrer ersten Lebensjahre hatte sie nach und nach zusammengetragen, aus Erzählungen ihrer Mutter und deren Cousine, Tante Anni. Das Schreiben hatte sie damals unendlich viel Kraft gekostet, ihr aber zugleich neuen Lebensmut gegeben. Anders hätte sie es nicht geschafft, mit den Erinnerungen weiterzuleben, wusste sie heute. Sie wäre sonst daran zerbrochen. Das Schreiben war eine Therapie gewesen, auch wenn sie dadurch alles nochmal hatte durchleben müssen. Aber genau das war wichtig gewesen. Sie musste und wollte damals ganz offen und ehrlich mit sich sein, wollte genau hineinschauen in ihre Vergangenheit, um sich endlich selbst spüren zu können. Außerdem hatte sie damals ein festes Ziel vor Augen gehabt: Sie wollte leben! Verantwortung übernehmen! Nicht mehr Opfer sein!

Die selbstverordnete Therapie hatte geholfen. Irgendwann musste sie nicht mehr ständig über das Erlebte nachgrübeln – sie hatte es ja aufgeschrieben. So war das Schreiben gleichermaßen die Rettung und ein Neubeginn gewesen. Es lehrte sie, auf ihre Gefühle zu achten, sie entdeckte ihren Lebenswillen und erkannte dabei ihre Stärken: Es quälten sie – trotz ihrer traumatischen Kindheitserlebnisse – keine selbstzerstörerischen Verhaltensweisen, sie war weder tablettenabhängig noch egozentrisch und sie stand der Welt auch nicht verbittert gegenüber, konnte sich für vieles begeistern und bewunderte und respektierte die Menschen. Sie liebte das Leben!

Mit dem Wissen, dass sie jetzt alles Schreckliche noch einmal durchleben und dass sie daran aber nicht zerbrechen würde, ging Marie nach unten ins Wohnzimmer, setzte sich wieder auf das Sofa und begann das Manuskript zu lesen ...

Bestialischer geht’s nicht

Eigentlich sollte ich gar nicht zur Welt kommen. Meine Mutter lebte in großer Sorge und Armut. Sie wusste jetzt schon nicht mehr, wie sie ihre Töchter, die siebenjährige Marianne und die dreijährige Cornelia, durchbringen sollte. Und nun war sie erneut schwanger geworden! Noch ein Kind? Noch mehr Sorgen? Sie war eine streng katholische Frau mit einer eigenen Lebensphilosophie. Sie lebte nach der Bibel und den Vorgaben ihrer Mutter, die einen großen Einfluss auf ihre Tochter ausübte. „Irgendwie wird es schon weitergehen“ und „Gibt der Herr das Häschen, gibt er auch das Gräschen“ waren die Leitsätze meiner Großmutter gewesen. Meine Mutter beschloss also, das Kind zur Welt zu bringen.

Meine Mutter hielt sich streng an die Regeln der Kirche, ganz gleich, ob sie nun gut oder schlecht für sie waren, und ertrug stillschweigend ihr lebensunwürdiges Dasein. Ihre Lebenssituation sah alles andere als rosig aus, denn mein Vater hielt sich gerne an der Bierflasche fest. Dafür gab er auch noch den letzten Groschen, den er in seiner Tasche hatte, während meine Mutter nicht wusste, wie sie die Familie sattkriegen sollte. Zudem war sie keine Kämpferin, sondern eher eine Dulderin.

Die Familie lebte, wie mir meine Mutter später erzählt hat, mit meiner Großmutter mütterlicherseits und deren Sohn Rudi in einer kleinen Wohnung in Neueck, einem kleinen Ort irgendwo in Oberbayern. Und sie hatten ein großes Problem: Vater und Onkel Rudi konnten einander nicht leiden. Onkel Rudi war ein strebsamer junger Mann und bereits im Alter von zwanzig Jahren ein konsequenter Alkoholgegner. Interessenskonflikte mit dem trinkenden Schwager waren somit vorprogrammiert, aber Rudi wollte seine Zelte in Oberbayern sowieso abbrechen. Ihn zog es nach Baden-Württemberg. Dort wollte er sich in einem Dorf nahe einer größeren Stadt ein Haus bauen und sesshaft werden.

Vater war als Maurer auf dem Bau beschäftigt. Anfang der fünfziger Jahre ließen – was Arbeit und Wohlstand betraf – die Zukunftsaussichten der deutschen Bürger noch zu wünschen übrig. Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen viele Städte in Schutt und Asche, allerdings lief im Schwäbischen der Wiederaufbau schon seit Jahren auf vollen Touren. In Baden-Württemberg gab es Arbeit! Anfang 1954 siedelte Vater ebenfalls von Bayern nach Baden-Württemberg um – ohne seine Familie. Durch die Anstellung Vaters bei einer Baufirma änderte sich leider nichts an der finanziellen Notlage seiner Familie. Er kam selten nach Hause, nur an wenigen Wochenenden. Geld brachte er nicht mit. Jede Mark, die er verdient hatte, wurde sofort in die Gastwirtschaft getragen, und wenn er an den Wochenenden abends nach Hause kam, war er betrunken.

In diese Hoffnungslosigkeit hinein wurde ich im Juni 1955 geboren.

Es war ein schöner Sommertag, hat mir meine Mutter später erzählt. Wie es der Zufall so wollte, besuchte Vater gerade an diesem Tag seine Familie außerplanmäßig mitten in der Woche. Meine Mutter hatte jedenfalls nicht mit ihm gerechnet.

Er kam am frühen Nachmittag mit dem Zug in Neueck an und rutschte – betrunken, wie er schon wieder war – beim Aussteigen so unglücklich aus, dass er unter den stehenden Zug stürzte. Verletzt und blutverschmiert kam er nach Hause, als seine Frau bereits in den Wehen lag. Die Hebamme, die meiner Mutter bei der Geburt Beistand leisten wollte, war schon anwesend und erklärte dem Vater, dass sich die Geburt noch etwas hinziehen würde. Diese Information veranlasste ihn, sich nochmals auf den Weg in eine Kneipe zu machen – ohne vorher seine Frau aufgesucht oder seine beiden Mädchen begrüßt zu haben.

Stunden vergingen, und dann kam ich zur Welt.

Meine Mutter und meine Schwestern bewunderten das kleine Mädchen. Erst am späten Abend, kaum in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen, stolperte der Vater wieder ins Haus. Von seinen Saufbrüdern wusste er, dass seine Frau inzwischen ein Mädchen geboren hatte. Aggressiv und völlig unkontrolliert schlug er um sich. „Nochmal so eine Büchse!“, schimpfte er. Nicht mehr Herr seiner Sinne stürmte er ins Schlafzimmer und riss in mörderischer Absicht das Neugeborene – mich! – aus der Wiege. Er hob mich hoch, holte aus und brüllte: „Ich schmeiß dich an die Wand wie eine Katze!“

Meine Mutter kreischte auf. Geistesgegenwärtig riss ihm meine Großmutter das Baby aus den Händen, rannte davon und schloss sich mit dem Kind in ihrer Kammer ein. Damit rettete sie mir das Leben – und so begann mein Dasein.

Er wollte mich nicht haben.

 

Am nächsten Tag fuhr der Vater wieder nach Baden-Württemberg zurück, ohne für meine Mutter auch nur einen Pfennig Geld zurückgelassen zu haben. Jetzt war sie am Ende ihre Kraft. Sie hatte schon oft an Scheidung gedacht – nun wollte sie endlich dieses Ehedrama beenden und vereinbarte einen Termin bei einem Rechtsanwalt. Zusätzlich zu ihrer katastrophalen emotionalen Lage blieb meiner Mutter nichts anderes übrig, als sich mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an das Jugendamt zu wenden. Ich war gerade fünfzehn Tage alt, als Vater ein amtliches Schreiben vom Jugendamt der Stadt Neueck erhielt, mit der Aufforderung, der Behörde ab sofort wöchentlich einen Betrag von fünfzig Mark für seine Kinder zukommen zu lassen. Durch den Umweg über das Amt, so hoffte meine Mutter, würde sie das Geld regelmäßig erhalten.

 

Marie hielt im Lesen inne und entfaltete den zusammengelegten Brief, der den Manuskriptseiten beilag. Es war das Originalschreiben des Jugendamtes aus dem Jahr 1955. Gedankenverloren strich sie ihn glatt und überflog die Zeilen. Dann widmete sie sich wieder ihren eigenen Aufzeichnungen.

 

Mutters Termin beim Anwalt rückte näher und natürlich wollte sie ihn wahrnehmen. Sie wusste, sie würde Hilfe benötigen, um sich aus dieser ausweglosen Lage zu befreien. Diesen Beistand wollte sie sich nun holen. Aber es war kein Segen, dass Großmutter darauf bestanden hatte, ihre Tochter auf diesem Weg zu begleiten, denn sie nutzte diese Gelegenheit, meine Mutter zu beeinflussen. Mit dem Argument „Man muss verzeihen können, Jesus hat auch allen Sündern verziehen“ versuchte sie, meine Mutter weichzuklopfen. „Schon in der Bibel steht geschrieben: ‚Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch deine linke hin’. Und außerdem sagt die Kirche: ‚Was Gott bindet, soll der Mensch nicht trennen’.“

Diese Bibelsprüche waren meiner Mutter als gläubige Christin mit Sicherheit selbst schon oft durch den Kopf gegangen. Bislang hatte sie sich auch daran gehalten, aber in ihrem speziellen Fall hatte ihr das mehr geschadet als geholfen. Nein, eine Scheidung kam für meine Großmutter überhaupt nicht in Frage! Und meine Mutter? Psychisch und physisch ein Wrack, gab sie in ihrem labilen Zustand jeden Widerstand auf. Ihr guter Plan, kaum gefasst, fand auf dem Weg zum Anwalt sein Ende. Die beiden Frauen kehrten um und sagten den Termin ab.

Bis zu diesem Zeitpunkt musste in meiner Mutter wohl noch ein kleiner Hoffnungsschimmer auf ein leichteres, auf ein etwas besseres Leben geschlummert haben, doch der war seit diesem Tag durch die Gehirnwäsche meiner Großmutter für immer erloschen. Meine Mutter verlor jegliches Interesse an sich und an allem um sich herum. Sie verlor sich selbst.

Immerhin: Unter Androhung einer Anzeige wegen Unterhaltspflichtverletzung und aus Angst vor den daraus entstehenden Konsequenzen bezahlte Vater nun jede Woche den geforderten Betrag. Dieses Geld und die kleine Rente meiner Großmutter halfen uns zu überleben.

Die Wochenenden, an denen der Vater nach Hause kam, verliefen alle nach dem gleichen Schema. Er wollte nicht einsehen, wieso er für die Mädchen, die er ja gar nicht haben wollte, Geld abgeben sollte. Und dann auch noch für das neugeborene Kind! Das alles war für ihn Grund genug, um zu schimpfen, zu toben und anschließend voller Ärger in einer Kneipe zu verschwinden. Spätabends kam er dann betrunken nach Hause, um wie ein Wahnsinniger weiterzuwüten.

Für die Familie war es trotzdem noch die ruhigste Zeit überhaupt, denn immerhin war er unter der Woche meist abwesend. Diese Zeit endete, als im Oktober 1955 das Haus meines Onkels bezugsfertig war. Onkel Rudi hatte es komplett in Eigenleistung gebaut, unterstützt von Onkel Toni, dem älteren Bruder meiner Mutter – und dem Vater. Aus purer Eigennützigkeit und mit dem Ziel vor Augen, dass seine Familie hier einziehen und er sich den Auflagen des Jugendamts in Neueck entziehen konnte, hatte auch er kräftig mit angepackt – und konnte tatsächlich zur schnelleren Fertigstellung des Hauses beitragen. Wie ein Besessener hatte er gearbeitet, um zwei Räume im unteren Stockwerk des Neubaus für seine Familie bezugsfertig zu machen. Selbstverständlich vermied er den Arbeits- und vor allem den Geldaufwand, die Räume behaglich oder optisch ansprechend herzurichten: Vier Wände, Fenster und Türen – das musste für uns reichen. Wahrscheinlich hatte er sich dabei auch schon ausgerechnet, wie viele Gläser Bier er sich für die auf diese Weise eingesparten fünfzig Mark würde genehmigen können.

Im Oktober 1955 wurden dann die wenigen Habseligkeiten, die wir besaßen, in einen alten Lastwagen geladen und in das neue Heim gebracht. Die Not in Neueck war groß gewesen, aber wir hatten wenigstens unsere Ruhe vor dem ewig betrunkenen und tobenden Vater gehabt. Diese Zeiten waren nun vorbei.

Wie befürchtet, geriet Vaters Trunksucht zunehmend außer Kontrolle. Ohne jegliches Verantwortungsgefühl seiner Familie gegenüber versoff er jeden Pfennig, den er verdiente, in der Kneipe – zusammen mit einigen seiner Arbeitskollegen, bei denen er sich seiner Meinung nach in bester Gesellschaft befand. Mutter wusste oft nicht, wovon sie uns ein nahrhaftes Essen auf den Tisch stellen sollte. Damals wurde den Arbeitnehmern der Verdienst immer am Freitag kurz vor Feierabend in Lohntüten ausgehändigt. Was für uns bedeutete, dass Vater an den Wochenenden kaum noch ein Mensch war. Sein Leben bestand aus einem steten Wechsel von Arbeit und Kneipe. Die damals sechsjährige Marianne wurde manchmal spät am Abend von der Mutter losgeschickt, um in den umliegenden Gaststätten nach Vater zu suchen, weil Mutter immer die bange Hoffnung hegte, dass von seinem Lohn doch noch etwas übriggeblieben war – immer vorausgesetzt, dass Marianne ihn finden konnte und er sich von seiner Tochter zum Mitkommen bewegen ließ. Eine schreckliche Aufgabe, die dem kleinen Mädchen zugemutet wurde! Marianne schämte sich entsetzlich für ihren Vater, denn nicht selten kam es vor, dass er auf dem Heimweg die Kontrolle über seine Blase verlor und mit angepinkelten Hosen durch die Straßen torkelte.

Mutter hatte keine Wahl. Sie musste sich eine Arbeit suchen, wenn sie die finanzielle Notlage entschärfen wollte. Sie fand eine Tätigkeit in einer Fabrik, etwa drei Kilometer von unserem Wohnort entfernt. Täglich fuhr sie frühmorgens mit der Bahn in die Stadt zur Arbeit und kam erst spätabends wieder heim. Eine Achtunddreißig-Stunden-Woche gab es in dieser Zeit noch nicht und Haushaltserleichterungen wie zum Beispiel eine Waschmaschine auch nicht. Und selbst wenn es die gegeben hätte, so wäre eine Anschaffung für uns aus finanziellen Gründen unmöglich gewesen. Durch die Arbeit in der Fabrik wurde Mutters Leben noch schwerer – eine Tatsache, die ihr Körper mit gesundheitlichen Problemen quittierte. Selbstverständlich musste sie auch aufhören, mich zu stillen. Marianne und Cornelia hatten in ihrer frühesten Kindheit wenigstens noch das Glück gehabt, die Mutter den ganzen Tag um sich zu haben – meine Betreuung hörte auf, als ich gerade einmal vier Monate alt war. Meine Schwestern hatten außerdem noch eine Großmutter gehabt, die sich um sie gekümmert hatte – zu meiner Zeit hatte die Großmutter physisch schon sehr abgebaut. Dem Tode näher als dem Leben fehlte ihr die nötige Kraft, um mir tagsüber die Mutter zu ersetzen oder uns auch nur ansatzweise zu betreuen. Einige der Aufgaben waren Marianne übertragen worden, aber sie musste zur Schule gehen. Cornelia ging in den Kindergarten. An den Vormittagen war ich daher mir selbst überlassen. Ob im Kinderbett, bei der Großmutter im Bett, im Kinderwagen? Ich weiß es nicht. Es war für uns alle eine Zeit der Entbehrungen und für mich eine Zeit ohne Zuwendung und ohne Liebe. Kamen die Geschwister heim, waren sie mit ihren Verpflichtungen total überfordert, kam die Mutter abends nach Hause, war sie abgekämpft und gereizt, kam der Vater heim, war er betrunken. An den Wochenenden, wenn es die Lohntüten gab, trank er extrem. Seine Wutausbrüche machten mich zu einem verängstigten und traurigen Kind. So vergingen für uns trostlose Jahre.

Allein und vergessen

Onkel Rudi hatte ein solides Haus gebaut, aber, wie damals üblich, war der größte Raum gerade einmal sechzehn Quadratmeter groß. Jedes Stockwerk hatte drei Zimmer. Gebadet wurde in der Waschküche. Im Wohnzimmer und in der Küche standen Holzöfen, die übrigen Zimmer waren unbeheizt. Das Haus war damals groß genug für zwei kleine Familien, aus heutiger Sicht wäre so ein beengtes Leben kaum vorstellbar. In unserem – dem unteren – Stockwerk lebten sieben Menschen: unsere Eltern, Großmutter und Onkel Rudi sowie wir drei Mädchen – und Mutter erwartete das vierte Kind. Onkel Toni war inzwischen verheiratet und bewohnte mit seiner Frau Katharina und deren Mutter das obere Stockwerk. Im Januar 1957 wurde mein Cousin Anton geboren. So lebten insgesamt elf Menschen auf engstem Raum.

Viele Leute lebten damals unter solchen Bedingungen – unsere Wohnsituation war auch nicht das Schlimmste. Die Wohnungsnot war groß und wir konnten dankbar sein, dass wir wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten. Wenn nur der Vater nicht so gewesen wäre, wie er war! Er nahm keine Rücksicht. Auf niemanden. Er brüllte durchs Haus, wann immer ihm danach war. Nachts, wenn er betrunken heimkam, knallte er mit den Türen, fluchte, schimpfte und schrie herum, bis alle im Haus wach waren. Dabei hätten wir doch alle friedlich zusammenleben können!

Einmal trommelte mein Vater mitten in der Nacht mit lauten Schlägen gegen die Haustür. Mir machte es Angst. Die Mutter knipste das Licht an und stand eilends auf, um die Tür zu öffnen, bevor er mit seinem Gebrüll das ganze Haus weckte. Wir Kinder krabbelten ebenfalls aus unseren Betten und rannten hinter ihr her. In dem Augenblick, als sie die Haustür aufmachte, kippte der Vater volltrunken vornüber und fiel mit seinem ganzen Gewicht gegen meine hochschwangere Mutter. Sie konnte sich nicht halten, stolperte und schlug rückwärts auf dem Boden auf, Vater, mit einem Sack auf dem Rücken, stürzte auf sie drauf und so lag sie mit ihrem dicken Bauch hilflos unter ihm begraben. Und dann entstand ein riesiges Tohuwabohu: Die Mutter schrie aus Leibeskräften, aus Schmerz oder aus Angst um das Ungeborene, in dem Sack befand sich ein lebender Hahn, der in seiner Gefangenschaft panisch herumflatterte und dabei schreckliche Geräusche von sich gab, wir Mädchen standen mit nackten Füßen auf dem kalten Steinboden, sahen das Durcheinander und kreischten ebenfalls – aus Angst um unsere Mutter und vor Schreck wegen des sich gespenstisch bewegenden Kartoffelsacks und den unheimlichen Geräuschen, die daraus zu hören waren und die wir nicht zuordnen konnten. Und es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Situation wieder aufgelöst hatte, denn Vater war wegen seiner Trunkenheit kaum fähig, allein aufzustehen.

 

Ende Januar 1958 erblickte meine jüngere Schwester Sybille das Licht dieser Welt. Nun waren wir zu viert. Meine Mutter erholte sich nur langsam von der schweren Entbindung. Nachdem sich dann auch noch Großmutters Gesundheitszustand rapide verschlechterte, kamen extrem beanspruchende Zeiten auf meine Mutter zu. Zu wenig Geld, vier Kinder, eine bettlägerige Mutter – und das alles nach einem langen Tag in der Fabrik. Das wurde ihr in ihrem elenden Zustand zu viel. Sie musste ihre Arbeit aufgeben. Was hätte sie sonst tun sollen? Tageseinrichtungen für Kinder gab es damals noch nicht, und außerdem galten für eine Frau mit vier Kindern andere gesellschaftliche Vorgaben. Nun fehlte unserer Familie Mutters Einkommen. Ich empfand diese Zeit trotzdem als schön, denn jetzt war Mutter wenigstens zu Hause – auch wenn sie sich extrem wenig um mich kümmerte. Aber manchmal brachte uns ein junger Diakon ein Päckchen mit den wichtigsten Lebensmitteln. Die Not war trotzdem allgegenwärtig und schrie aus allen Ecken. Eine Scheidung von ihrem trunksüchtigen Mann kam für Mutter nicht mehr in Frage, denn den Mut, ein eigenes Leben zu führen, hatte sie zu diesem Zeitpunkt längst verloren. In dieser Aussichtslosigkeit blieb ihr nur die Flucht in ein absolut passives Erdulden.

Die Apathie meiner Mutter begleitete mich schon als Kleinkind. Um ihr Leben ohne jegliche Gegenwehr ertragen zu können, suchte sie mehr und mehr Halt in ihrem Glauben. Der tägliche Kirchgang wurde zu ihrem Ritual. Mich hingegen vergaß sie hin und wieder einfach – im wahrsten Sinne des Wortes. Es kam öfter vor, dass sie nach dem Abendbrot aufstand, das Licht löschte und die Küchentür hinter sich zuzog. Mich ließ sie einfach auf meinem Stuhl sitzen. In der Dunkelheit und diesem unmenschlichen Alleingelassensein überfiel mich die Angst. Ich weinte laut oder schrie. Entweder kam die Mutter daraufhin zurück oder meine große Schwester Marianne holte mich aus der Küche. Wenn Mutter einen guten Tag hatte, sagte sie: „Sei still, sonst gibt es einen Klaps auf den Hintern!“ Hatte sie keinen guten Tag, wie meistens, dann schimpfte sie mich fürchterlich aus, weil ich geschrien hatte.

 

Ich war noch so klein, aber Angst war damals schon das vorherrschende Gefühl, das mein gesamtes kindliches Dasein durchdrang. Doch am meisten fürchtete ich die harten Hände meines Vaters. Wenn er mich nur ansah, zitterte ich bereits wie Espenlaub.

Die Dinge, die ich bisher erzählt habe, sind mir von meinen Verwandten – meiner Mutter, meinen Schwestern, der Großmutter oder den Onkeln und Tanten – berichtet worden. Ab dem Alter von drei Jahren aber konnte ich mich an das Erlebte erinnern und kann jetzt beim Schreiben auf diese Erinnerungen zurückgreifen. An Tage, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben.

Wie dieser Tag …

Sonntags ging Mutter mit uns Kindern zum Gottesdienst. Immer. Es gab keine Ausnahme. Nur wenn eine von uns krank war, durfte sie zu Hause bleiben.

Eines Sonntags lag ich fiebernd im Bett. Mutter ließ mich schlafen, brachte das Baby zur Großmutter ins Zimmer und ging mit den zwei Großen in die Kirche. Als ich erwachte, war niemand da und mir war bitterkalt. Schnell wollte ich ins Schlafzimmer zu meiner Mutter huschen, doch dort saß nur der Vater auf der Bettkante und stierte mich an. Ängstlich fragte ich ihn, wo denn die Mutter sei, und in mir stieg ein beklemmendes Gefühl auf, als er mir sehr schroff antwortete, dass sie in die Kirche gegangen sei. Ich war also mit dem Vater allein und hätte vor Schmerz weinen können, weil ich mich so derart verlassen fühlte, doch meine Angst vor dem Alleinsein war größer. Also hielt ich meine Tränen zurück, denn ich wollte nicht auch noch seine groben Hände spüren. So weit wie möglich von ihm entfernt setzte ich mich auf einen Stuhl. Er sprach nicht mit mir und sah mich auch nicht an, aber seine Gesichtszüge waren hart und aggressiv. Warum nur? Plötzlich überfiel mich eine entsetzliche Angst, die Angst, dass meine Mutter nie wieder zurückkommen würde. Jetzt konnte ich meine Tränen nur noch schwer zurückhalten. Der Vater saß, nur mit einer Unterhose bekleidet, seelenruhig rauchend auf dem Bett. Ich traute mich kaum zu atmen. Er starrte vor sich hin und ich saß regungslos auf dem Stuhl und beobachtete ihn. Vielleicht, so überlegte ich, würde er mich übersehen, wenn ich mich nicht rührte. Ich betrachtete sein Gesicht, seine zerzausten Haare, seine schmutzigen und ungepflegten Fingernägel, die vom Nikotin ganz gelb verfärbt waren, ich sah seine Beine, die er über die Bettkante baumeln ließ und seine ungepflegten Zehennägel. Und dann erstarrte ich. Die Unterhose meines Vaters war verrutscht. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, dass es nicht nur Menschen gibt, die so aussahen wie meine Schwestern und ich. Meine eben erst erwachte Neugier verwandelte sich in ein Ekelgefühl, dazu kam, dass der Zigarettenqualm, den der Vater beständig ausstieß, entsetzlich stank. In der Hoffnung, für meine Blicke und Entdeckung nicht bestraft zu werden, ergriff ich die Flucht aus diesem Raum und rannte zurück in unser Zimmer. Mit der Bettdecke über dem Kopf wartete ich sehnsüchtig auf Mutter – obwohl ich auch schon in meinem jungen Alter deutlich wahrnahm, dass auch sie mich nicht haben wollte. Denn wenn ich mich in Liebe oder aus Verzweiflung an sie klammerte, schob sie mich – beinahe grob – beiseite, oder sie wandte sich abrupt von mir ab, wenn ich freudig auf sie zugelaufen kam. Mein Hunger nach ihrer Liebe und Anerkennung wuchs daher beinahe stündlich.

 

Wegen der häufigen Exzesse meines Vaters kam es mit Tante Katharina ständig zu Streitigkeiten. Sie wollte verständlicherweise mit ihrer Familie in Ruhe in diesem Haus leben, aber wie sollte ein Mann wie mein Vater so etwas verstehen? Er beschimpfte sie aufs Übelste und nannte sie eine rothaarige Hexe. Dennoch war Tante Katharina die Einzige in diesem Haus, die sich mir gegenüber freundlich verhielt, mich anlächelte und ansprach und hin und wieder auch zärtlich über meinen Kopf streichelte. Am liebsten wäre ich bei ihr eingezogen, aber sie hatte ihre eigene Familie, mit ihrem Baby und ihrer alten Mutter. Deshalb kam sie auch selten zu uns in die Wohnung.

In unseren Räumen gab es keine freundlichen Umgangsformen, und wenn jemand welche besessen hätte, dann hätte er sie – übermüdet nach einem arbeitsreichen Tag – gar nicht pflegen können. Ansonsten sah es in unserem Haus so aus: Der Vater randalierte, die übrigen Erwachsenen versuchten vergeblich, ihn zu beruhigen, oder sie schimpften genervt auf ihn ein. Die Kinder weinten vor Entsetzen, vor Angst, vor Verlassenheit oder vor Hunger. Nein, es gab keinen Frieden. Meine leidende Mutter war überfordert: die chronischen Geldsorgen, die Krankheit meiner alten Großmutter – und immer wieder der störende Anblick eines unerwünschten Kindes. Ich war und blieb meinem Vater ein Dorn im Auge, und für meine Mutter war ich nur eine unnütze Last – so zumindest war mein Empfinden.

Mein größter Kummer war, dass ich meine Umwelt immer bewusster erlebte, und schöne Ereignisse kamen darin nicht vor. Bei uns wurde nicht gelacht. Passierte es doch einmal, dann erteilte uns Mutter sofort eine Rüge mit den Worten: „Kinder, hört auf zu lachen, denn nach dem Lachen kommt das Weinen.“ Aber Weinen war auch nicht erlaubt.

Leere Versprechungen

Herr und Frau Stein, ein älteres, wohlhabendes Ehepaar im Ort, hatten es sich zur Aufgabe gemacht, jedes Jahr ein Kind aus finanziell schlechter gestellten Verhältnissen für die Erste Heilige Kommunion auszustatten. Durch den jungen Diakon in unserer Gemeinde erfuhren sie von unserer Existenz – und unserer Bedürftigkeit. Marianne war diejenige, die in diesem Jahr dieses Fest feiern durfte. Herr und Frau Stein besuchten uns und boten Mutter an, mit Marianne einkaufen zu gehen. Meine Mutter betrachtete diese selbstlose Geste als ein Geschenk des Himmels und nahm das Angebot überaus dankbar an.

Sie konnte nicht ahnen, dass die Begegnung mit den Steins wegweisend für uns alle sein sollte, besonders aber für Marianne und für mich. Herr Stein war Direktor einer Bank und hatte ab jetzt großen Einfluss auf unser Leben. Anfangs brachte der finanzielle Beistand von Herrn Stein unbestritten nur positive Veränderungen für uns alle. Zuerst veranlasste er, dass Vaters Lohn am Monatsende auf ein Konto bei seiner Bank überwiesen wurde. Von nun an gab es für meinen Vater keine Lohntüte mehr, die er nach der Arbeit in die nächste Gastwirtschaft hätte tragen können. Das war für Mutter zu diesem Zeitpunkt wirklich eine große Erleichterung, aber die bargeldlose Lohnauszahlung über ein Girokonto wurde dann sowieso eingeführt und Mutter hätte früher oder später auch ohne die Hilfe von Herrn Stein das Haushaltsgeld zur Verfügung gehabt. Denn so edel, wie Familie Stein uns im ersten Moment erschien, waren die Leute dann doch nicht: Als Gegenleistung für das weiße Kleidchen vereinbarten die Steins mit Mutter, dass Marianne nach der Schule manchmal die drei Enkelkinder betreuen sollte. Aus „manchmal“ wurde recht schnell „täglich“ und zu der regelmäßigen Kinderbetreuung kam rasch eine ganze Menge Hausarbeit hinzu. Vater nahm es gar nicht wahr, dass seine Älteste nachmittags nicht mehr zu Hause war, und Mutter betrachtete in ihrer selbstgewählten Teilnahmslosigkeit die Tatsache durch die rosa Brille ihres Glaubens: Alles was Gott lenkt, kann nur gut sein.

Marianne wurde mit ihren damals nur neun Jahren zu einer billigen Arbeitskraft für Familie Stein. In den Wintermonaten kam sie erst in der Dunkelheit nach Hause. Zu Fuß. Ungefähr drei Kilometer musste sie bei Wind und Wetter zurücklegen. Den wohlhabenden Leuten fiel es nicht im Traum ein, das Kind, das ihren Enkeln angenehme Nachmittage bereitete und zusätzlich noch die Stelle einer billigen Putzfrau innehatte, mit dem Wagen nach Hause zu bringen, wenn es mal wieder sehr spät geworden war. Abgeholt wurde sie allerdings grundsätzlich mit dem Auto – denn so war sie schneller und pünktlicher am Arbeitsplatz. Einen treuen Begleiter hatte Marianne auf dem Heimweg trotzdem: den braven, anhänglichen Schäferhund der Herrschaften.

 

In der Zwischenzeit hatte mein Cousin Anton sein Brüderchen Bernhard bekommen und das Haus von Onkel Rudi platzte aus allen Nähten. Der Vater war provokanter denn je. Die angespannte Atmosphäre im Haus meines Onkels hatte sich rasch auch bis zu den Steins herumgesprochen, und diese Situation machte der feine Herr sich zunutze. Mit „gutgemeinten“ Argumenten und unübersehbaren Absichten drängte er sich noch weiter in unser Leben, indem er sich schon wieder als der rettende Engel in bitterer Not ausgab. Ohne große Überredungskünste konnte er meine Eltern davon überzeugen, dass all ihre Sorgen wie von Geisterhand verschwänden, wenn sie sich ein eigenes Haus bauen würden – ohne jegliches Eigenkapital. Eigentlich hätte ein Mann in seiner Position wissen müssen, dass meine Eltern nicht in der Lage sein würden, einen großen Kredit abzubezahlen. Vielleicht wusste er es auch. Doch der Vater, unfähig für seine Familie zu sorgen, hatte in Sachen Finanzen überhaupt keinen Überblick, und Mutter sah in Herrn Steins Plänen eine reelle Möglichkeit, den immer größer werdenden Problemen mit ihrer Schwägerin Katharina und der Enge dieses Hauses zu entkommen. Meine Eltern hegten überhaupt keine Zweifel an diesen unrealistischen Plänen. Warum auch? Familie Stein war doch katholisch! Sie gingen jeden Sonntag in die Kirche, außerdem war Herr Stein ein Bankdirektor, das war schon etwas! Er musste doch schließlich wissen, was durchführbar war, oder etwa nicht? Ich glaube kaum, dass meine Eltern auch nur im Ansatz durchblickten, worauf sie sich einließen, als Herr Stein die Bürgschaft in Sachen Hausfinanzierung für sie übernahm. Vielleicht meinte es Herr Stein auch wirklich gut – die Frage war nur, für wen.

 

Im Frühjahr 1959 begann der Bau unseres Hauses, etwa fünf Kilometer von unserem bisherigen Wohnort entfernt. Dem Vater blieb nun nichts anderes übrig, als selbst mit anzupacken, was er – nach seinen Möglichkeiten – auch tat. Finanzielle Freiheit blieb ihm keine mehr, trotzdem war für Bier und Zigaretten immer noch genug Geld da. Zur gleichen Zeit baute auch das Ehepaar Stein ein Haus, und immer, wenn Not am Mann war, wurde Vater wie selbstverständlich zur Mithilfe herbeigeholt. Obwohl er täglich betrunken und unausstehlich war – gearbeitet hat mein Vater immer. Er war auch nie krank oder gar faul. Seine Achillesferse war der Alkohol.

Den ganzen Sommer über ging meine Mutter täglich zur Baustelle, um dem Vater zur Hand zu gehen. Marianne und Cornelia durften sie begleiten. Mich nahm sie selten mit, ich wurde bei Großmutter zurückgelassen. Die Tage waren für mich entsetzlich lang und ohne die Schwestern langweilig, und der mütterlichen Nähe beraubt wuchs meine Sehnsucht nach meiner Mutter ins Endlose.

Die Großmutter hatte schwere Herzprobleme, außerdem litt sie an Asthma und verbrachte die meiste Zeit in ihrem Bett.

Spielsachen besaß ich keine, so vertrieb ich mir die Zeit mit hölzernen Wäscheklammern, mit verschiedenen Grasarten und mit Steinen. Meistens baute ich mir einen wunderschönen Bauernhof und stellte mir vor, dass ich dort mit liebevollen Eltern in Harmonie lebte. Meine Fantasie kannte dabei keine Grenzen. Umso enttäuschter war ich, wenn Mutter dann am Abend nach Hause kam und mich vor Erschöpfung kaum wahrnahm – dabei hatte ich mich doch so auf sie gefreut!

Die Abende waren dennoch schöner als die anderen Stunden des Tages. Meine Mutter war zu Hause. Sie war in meiner Nähe.

Täglich bettelte ich darum, mit zur Baustelle genommen zu werden, nur damit ich in ihrer Nähe sein konnte. Sie versprach es mir – und ging am nächsten Tag doch wieder ohne mich los.

 

Im Herbst 1959 war es dann so weit: Das untere Stockwerk war fertig und die Familie zog in das neue Haus ein!

Ohne mich.

Der Vater hatte entschieden, dass er mich endgültig nicht mehr um sich haben wollte, und ich wurde bei Großmutter zurückgelassen …

 

Im Haus meines Onkels war nun endlich Frieden eingekehrt und es war mehr Platz – eine positive Veränderung. Onkel Rudi hatte nun in seinem Haus ein eigenes Zimmer und mein Bett stand ab jetzt im Zimmer meiner Großmutter. Ich war inzwischen vier Jahre alt. Meistens war ich mir selbst überlassen, denn Großmutter war nicht fähig, sich um mich zu kümmern, geschweige denn für mich zu sorgen. Aber von der Angst vor Vater und seinen groben Händen war ich zumindest erlöst. Zu den vielen blauen Flecken, die sich später grün und gelb verfärbten, kamen keine weiteren hinzu und seine bösen Blicke verfolgten mich nicht mehr – das gehörte eindeutig zu den positiven Folgen dieser Veränderung. Aber jetzt war meine Mutter weit weg. Ich war nun viel alleine und ich hatte ständig Hunger.

Manchmal, wenn der Hunger unerträglich wurde, schlich ich, immer in der Furcht, etwas Verbotenes zu tun und letztendlich dafür büßen zu müssen, die Treppe hoch zu meiner Tante Katharina. Bei ihr gab es immer etwas zu essen und die Wohnung war warm und gemütlich. Die vielen negativen Äußerungen meines Vaters über Tante Katharina hatten aber dazu geführt, dass ich ihr gegenüber anfangs voller Misstrauen war. Ungläubig und staunend beobachtete ich dann, wie liebevoll sie mit ihrem Baby umging und wie der zweijährige Anton von ihr behütet und geliebt wurde. Auch zu mir war sie gleichbleibend freundlich. Aber nur selten konnte ich mit Anton in der Wohnung oder im Garten spielen, da er einem geregelten Tagesablauf folgen musste und nach dem Mittagessen immer schlafen gelegt wurde.

Keinen geregelten, aber einen gleichmäßigen Tagesablauf gab es auch für mich. Alle endlos langen Tage waren ausgefüllt mit der Sehnsucht nach meiner Mutter. Damals konnte ich das Gefühl noch nicht in Worte kleiden. Heute kann ich es: In mir entstand eine unsagbare Leere.

 

Leise und mit größter Anstrengung gab mir die Großmutter Anweisungen, wenn sie etwas benötigte. Ansonsten lag sie blass und zuweilen laut röchelnd in ihrem abgedunkelten Zimmer im Bett. Der Raum war mir unheimlich und vor dem Geruch dort ekelte ich mich. Großmutter vegetierte regelrecht vor sich hin, dabei kam sie inzwischen nur noch schwerlich selbständig bis zur Toilette.

An manchen Abenden sah ich meinen Onkel Rudi. Meistens kam er aber so spät von der Arbeit, dass ich schon schlief. Meine Mutter sah ich äußerst selten. Sie kam, sah sich kurz dieses ganze Elend mit der Großmutter an und war schnell wieder verschwunden.

Rückblickend frage ich mich, wie sie es mit ihrem Gewissen hat vereinbaren können, mich dort zu sehen und so zu tun, als nähme sie mich gar nicht wahr. Wie sie es schaffte, so hartherzig zu sein, zu ihrer kleinen Tochter und zu ihrer Mutter.

Meine Eltern überließen ohne Zögern ein vierjähriges Kind sich selbst. Ich war zurückgelassen worden und meist völlig allein. Über ein ganzes Jahr lang. Dreizehn lange Monate. Ich war noch viel zu klein, als dass ich das Wort „Einsamkeit“ hätte definieren oder gar verstehen können, aber ich war gezwungen, in ihr zu leben. Sicher gibt es Menschen, die anzweifeln, dass sich ein kleines Kind so gut erinnern kann. Aber meine Situation war so extrem, dass manche Erinnerungen eben deshalb so klar und deutlich bei mir hängen geblieben sind. Was in dieser Zeit passierte, ist mir auch nicht erzählt worden, wie denn auch? Ich war doch alleine in dieser Einsamkeit. Natürlich war mir damals nicht bewusst, was man mir damit antat. Heute weiß ich, dass es für mich ums Überleben ging, körperlich wie seelisch. Ich war ein vollkommen vernachlässigtes Kind, ein verwahrlostes Kind, dessen elenden Zustand die Eltern billigend in Kauf nahmen.

Umso mehr freute ich mich, wenn Gisela, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, am Nachmittag zu mir kam. Sie war ein rundliches kleines Wesen mit einem lieben Gesicht und lockigen braunen Haaren. Ich mochte sie sehr. Sie und die Puppe, die bei jedem ihrer Besuche in ihren Armen lag. Mit Gisela verbrachte ich die langen Nachmittage liebend gern. Wenn sie mich fragte, ob ich zu ihrer Oma mitkommen wollte, die nur ein paar Häuser weiter wohnte, stand ich wahrscheinlich schneller auf den Beinen als sie. Zu ihrer Oma zu gehen bedeutete für mich, eine große Scheibe Brot mit viel Butter und mit noch mehr selbstgekochter Marmelade zu bekommen. Ein Hochgenuss. Das waren die Lichtblicke in meinem jungen Leben.

In den Sommermonaten konnte ich, wenn das Wetter schön war, draußen die kleinen Krabbeltiere und Schmetterlinge beobachten, was mich von dem drückenden Einsamkeitsgefühl ablenkte. Wenn es draußen und auch drinnen kalt war, mich meine Kleider nicht genug wärmten und ich mich fragte, warum sich niemand um mich kümmerte, erklärte ich mir das damit, dass mich der Klapperstorch versehentlich auf dem Weg verloren und nicht dort abgeliefert hatte, wo er mich eigentlich hätte hinbringen sollen. Bei Tante Katharina hatte ich nämlich eine Karte mit einem Klapperstorch gesehen, der ein Baby in einem Körbchen durch die Lüfte trug. Ich hatte sicherlich auch in so einem kleinen Körbchen gelegen und der dumme Vogel hatte mich ausgerechnet hier fallen gelassen, so dachte ich damals. Im Sommer strolchte ich durch die Wiesen, immer in der Hoffnung, den Storch anzutreffen, um ihn fragen zu können, wo er mich eigentlich hätte abliefern sollen.

Die Einsamkeit, der permanente Hunger und das andauernde Warten auf die Mutter prägten dieses Jahr. Es war schlimm. Aber rückblickend muss ich sagen: Wenn doch diese Lebenssituation so geblieben wäre!

Im Spätherbst wurde Großmutter ins Krankenhaus gebracht. Meine Mutter kam, packte meine Sachen in eine Tasche und nahm mich an die Hand. Sie ahnte wohl, dass ihre Mutter nie wieder zurückkommen würde. Ich spürte ihre Trauer. Und ich spürte vor allem diese bittere Kälte, mir taten in meinen leichten Sommerschuhen vor lauter Kälte die Füße weh. Es war zwar erst Herbst, doch das Wetter richtete sich nicht nach dem Kalender und leider auch nicht nach meiner Bekleidung und der Winter hatte bereits mit dem ersten Frost eingesetzt. Wir legten den Weg zu meinem neuen Heim zu Fuß zurück.

Die Hand meiner Mutter führte mich geradewegs in die Hölle hinein …

Hure

Das neue Haus meiner Eltern wirkte ziemlich unfertig. Gerade das Nötigste war gemacht worden, um es bewohnbar zu machen, ansonsten gab es noch viel zu tun. Als ich zur Haustür hineinging, war mir, als besuchte ich wildfremde Menschen. Nichts war mir vertraut, selbst Mutter blieb mir unendlich fern. Die Umstellung – ich hatte nach über einem Jahr plötzlich wieder Eltern und Geschwister – war so gewaltig für mich, dass ich mich nicht getraute, etwas zu sagen. Ich lauschte nur dem Geplapper meiner kleinen Schwester Sybille, die in der Wohnküche auf dem Fußboden hockte und in einem Katalog blätterte. Vater saß am Küchentisch und hielt eine Flasche Bier in der Hand. Er sagte nichts, aber sein Gesichtsausdruck war bedrohlich. Mutter versuchte vergeblich, mit ihm ein Gespräch zu beginnen. Er reagierte nicht, bis sie ihn fragte, ob es möglich wäre, im Kinderzimmer noch ein Bett aufzustellen.

Vater zeigte nicht das geringste Interesse daran, ihrer Bitte nachzukommen, und brachte dies mit einem mürrischen „Ist mir doch wurscht“ zum Ausdruck.

Mutter beschloss daraufhin, dass ich vorerst mit Marianne, meiner ältesten Schwester, in einem Bett schlafen sollte.

Noch an diesem Abend starb meine Großmutter. Onkel Rudi überbrachte uns die Nachricht um Mitternacht. Daraufhin holte Mutter uns Kinder ins Wohnzimmer, zündete zwei Kerzen an, kniete sich nieder und befahl uns, es ihr gleichzutun. Das Kerzenlicht warf gespenstische Schatten an die Wand und die mit monotoner Stimme gesprochenen Gebete meiner Mutter hatten etwas Furchterregendes.

Bei der Beerdigung ein paar Tage später schob mich meine Mutter vor sich her und plötzlich standen wir in der Leichenhalle vor dem offenen Sarg der Großmutter. Panische Angst erfasste mich! Ich wollte schreien, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Kein Laut kam über meine Lippen. Als mich in der darauffolgenden Nacht Albträume heimsuchten, schlich ich mich leise ins Schlafzimmer meiner Eltern, um mich zum Schlafen in Mutters Bett zu legen. Doch wie eine Mauer stand plötzlich mein Vater in der Dunkelheit vor mir, als hätte er auf mich gewartet. Bedrohlich ruhig sagte er: „Verschwinde, du Hure.“ Dann packte er mich am Oberarm, schleuderte mich auf den Flur hinaus und schlug die Schlafzimmertür zu.

Wochenlang konnte ich abends nicht einschlafen. Kaum lag ich im Bett und schloss die Augen, sah ich das Bild meiner toten Großmutter vor mir. Ich versuchte noch einige Male zu meiner Mutter ins Bett zu kriechen, aber der Vater warf mich jedes Mal, wenn er es bemerkte, wie einen lästigen Gegenstand wieder hinaus. Trotzdem trieb mich die Angst immer wieder in Mutters Bett. Gelang es mir – in Ausnahmefällen – Schutz bei ihr zu finden, klammerte ich mich mit der tröstenden Gewissheit, dass sie mich im Schlaf nicht von sich wegdrücken würde, fest an sie und fand Ruhe. Bis mir am frühen Morgen mit Vaters lautem Gebrüll der Rausschmiss blühte. Noch schlaftrunken taumelte ich dann aus dem Zimmer und stieß dabei entweder mit dem Kopf gegen das Eck des Schuhschrankes oder prallte mit dem Rücken an einen Türrahmen. Einmal konnte ich vor Schmerz kaum noch atmen. Ich schrie halb erstickt auf, aber damit zog ich erst recht den Zorn des Vaters auf mich. Ab sofort wurde mir der Zugang ins elterliche Schlafzimmer und vor allem in Mutters Bett endgültig untersagt. Um sicherzustellen, dass ich mich auch an das Verbot hielt, schloss Vater die Schlafzimmertür von nun an von innen ab.

Die Tatsache, dass ich immer noch kein eigenes Bett hatte, kam mir jedoch jetzt zugute. Die Körperwärme meiner Schwester Marianne tat mir gut. Die Nähe der Mutter wäre mir aber lieber gewesen.

 

Vor meiner Einschulung im Frühjahr 1962 sollte ich noch ein gutes halbes Jahr den örtlichen Kindergarten besuchen. Er wurde von zwei katholischen Ordensschwestern geleitet. Die ältere der beiden, die Schwester Oberin, war eine sehr robuste Frau. Ihr Gesichtsausdruck war ernst und zwischen ihren Augenbrauen stand eine steile, tiefe Falte. Vor ihr hatte ich augenblicklich Angst. Aber die andere, Schwester Veronika, mochte ich sofort. Sie hatte ein freundliches Gesicht und als sie mich ansah, lächelte sie. Dennoch versteckte ich mich schamvoll hinter meiner Mutter, denn den Umgang mit Menschen war ich bis dahin nicht gewohnt. Außer mit der Großmutter, Tante Katharina und ihrer Familie, Onkel Rudi und Gisela, dem Nachbarmädchen, hatte ich noch nie mit jemandem gesprochen.

Die beiden Ordensschwestern unterhielten sich mit meiner Mutter, während meine Augen voller Scheu und doch neugierig immer wieder das lächelnde Gesicht von Schwester Veronika suchten.

„Du brauchst doch keine Angst zu haben“, sagte sie und beugte sich zu mir herab. „Hier passiert dir nichts.“ Sie löste sanft meine Finger, die sich in Mutters Mantel verkrallt hatten, drehte mich zu sich um und streichelte liebevoll über meinen Kopf. So eine zärtliche Geste hatte ich nur bei Tante Katharina schon einmal erlebt.

Auf dem Heimweg rügte mich Mutter für mein Verhalten. „Kannst du dich nicht benehmen?“, fragte sie mich wütend. „Warum hast du dich hinter mir versteckt? So etwas tut man doch nicht!“

Heulend lief ich neben ihr her. Sie schimpfte, bis wir zu Hause waren.

 

Den Kindergarten besuchte ich sehr gern. Schwester Veronika war, neben Tante Katharina, der erste Mensch in meinem Leben, der mir nicht das Gefühl gab, lästig zu sein. Sie redete ruhig und freundlich mit mir, zeigte mir den Umgang mit Häkel- und Stricknadel und beantwortete meine Kinderfragen, ohne gleich die Geduld zu verlieren. Die Stunden im Kindergarten waren für mich wie das Eintauchen in eine wundervolle, warme Welt. Dort gab es Spielzeug, Puppen, Malstifte, Bücher – und es gab sie: Schwester Veronika. Sie sang mit uns Kindern fröhliche Lieder, bastelte mit geschickten Fingern hübsche Dinge und las uns aus einem großen Buch spannende Geschichten vor. Immer, wenn ich am Morgen den schmalen Weg zum Kindergarten hochstieg, war ich überglücklich!

Wie in jedem Jahr wurde zur Weihnachtszeit im Kindergarten ein Theaterstück aufgeführt. Schwester Veronika wählte mich für eine der Hauptrollen aus. Ich durfte beim Krippenspiel die Maria spielen. Ich war mächtig stolz und gab mir alle Mühe, gut zu sein. Nicht nur für Schwester Veronika, nein, hauptsächlich wollte ich mit meiner Darbietung meine Mutter beeindrucken. Ich lernte fleißig meinen Text und übte zu Hause vor dem Spiegel. Natürlich nur, wenn mich keiner sehen konnte, denn ich wollte nicht ausgelacht werden.

„Du hast deine Sache wirklich gut gemacht“, lobte mich Schwester Veronika nach der Weihnachtsvorführung. Meine Mutter schimpfte, weil ich so leise gesprochen hatte und mich deshalb im Publikum angeblich niemand hatte hören können.

Ich weinte und konnte meine Mutter nicht verstehen.

 

Zu Hause war das Leben nur dann einigermaßen erträglich, wenn Vater nicht da war. Aber auch Mutter hatte eigenartige Methoden, mit ihren Kindern umzugehen, insbesondere mit mir. Mit den Geschwistern ging sie irgendwie anders um, liebevoller, weniger fremd, weniger distanziert. Mich schien sie wie eine Außenseiterin zu betrachten, denn zuweilen schaute sie mich gedankenversunken oder auch prüfend an, wie mir schien. Zudem dachte sie nie über meine nächtlichen Angstzustände nach, sie fragte mich auch niemals, vor was ich denn Angst hätte. Im Gegenteil, sie sorgte noch aktiv dafür, dass ich das Bild meiner toten Großmutter nicht loswurde. Überhaupt redete sie täglich vom Sterben, als wäre ihr der Tod näher als das Leben.