Unteilbar
Bündnisse gegen Rassimus
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Jule Bönkost (Hg.)
Unteilbar
1. Auflage, März 2019
eBook UNRAST Verlag, März 2021
ISBN 978-3-95405-081-9
© UNRAST-Verlag, Münster
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Gefördert durch die Rosa Luxemburg Stiftung.
Umschlag: Janina Rott, Münster
Satz: Andreas Hollender, Köln
Jule Bönkost
Rassismuskritische Bündnisse. Einleitende Bemerkungen
Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy, Nadine Golly
Wechselnde Allianzen – rassismuskritische Bildungsarbeit in einem Schwarzen Bündnis
Amma Yeboah und Karim Fereidooni
Sexismuskritik: eine Schwarze Perspektive
Josephine Apraku
Liebe – rassismuskritische Bündnispraxis für radikale Menschlichkeit
Jule Bönkost
Im eigenen Interesse: weiße Bündnisarbeit in rassistischen Verhältnissen
Heidi R. Lewis
Hidden Spaces, Hidden Narratives – Intersectionality Studies in Berlin: A Case Study in Critical Feminist Alliance Work
Josephine Apraku und Jule Bönkost
Rassismuskritische Bündnisarbeit im Schwarz-weißen Team
Jacqueline Mayen
Zur Formation Schwarzer Identitätspolitik als Bündnisarbeit am Beispiel der Zeitschrift afro look
Adetoun Küppers-Adebisi
Black Womanhood reLOADED – The 10 Commandments of AfroFuturism
glokal e. V.
Partnerschaft und Solidarität – eine postkoloniale Annäherung an Theorie und Praxis
Hinweise zu den Autor*innen
Anmerkungen
Jule Bönkost
»Change is needed. None of us can make that change alone.« (Tatum 2007: 100)
Bündnisse werden geschlossen und beendet, gestärkt oder geschwächt. Ein häufig geschlossenes Bündnis ist z.B. die früher als ›Bund für’s Leben‹ bezeichnete Eheschließung. Neben der Partner*innenschaft lassen sich Bündnisse in vielen weiteren Lebensbereichen finden. Der Begriff ›Bündnis‹ beschreibt einen Zusammenschluss zwischen mehreren Akteur*innen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die verschiedensten Akteur*innen, wie z. B. Personen, Parteien oder Staaten, können Bündnispolitiken betreiben. Außerdem kann potentiell jeder angestrebte zukünftige Zustand das Ziel der Bündnisarbeit darstellen. Folglich können Bündnisse die unterschiedlichsten Formen annehmen und für unterschiedlich lange Zeiträume geschlossen werden.
Die Vielfalt möglicher Bündnisse bleibt auch bestehen, wenn als Ziel der Bündnisarbeit die Überwindung von Rassismus festgelegt wird. Bündnisse gegen rassistische Diskriminierung sind auf vielfältige Weise denkbar. Die unterschiedlichsten Arten von Akteur*innen können sich verbünden und gemeinsam am Abbau von Rassismus arbeiten. Neben Staaten und zivilgesellschaftlichen Initiativen und Gruppen können auch Einzelpersonen, z.B. in zwischenmenschlichen (Liebes)Beziehungen, ein Bündnis gegen Rassismus formen. Die Vielfalt an möglichen Bündnissen, die sich gegen Rassismus richten, ergibt sich nicht zuletzt aus dem umfassenden Wirkungsbereich des Rassismus. Sowohl auf synchroner als auch auf diachroner Ebene ist Rassismus weitreichend wirkmächtig. Als strukturelles Macht- und Ungleichheitsverhältnis beeinflusst er nicht nur das individuelle Denken, Handeln und Fühlen sowie die zwischenmenschliche Interaktion, er prägt auch das Handeln von gesellschaftlichen Institutionen, nationale Diskurse und globale Verhältnisse. Schließlich ist Rassismus mit anderen Unterdrückungssystemen verwoben. Für Bündnisarbeit gegen Rassismus sind all diese Wirkungszusammenhänge des Rassismus relevant. Denn überall dort, wo Rassismus wirkt, ist auch Widerstand und Veränderung nötig und möglich.
Der vorliegende Band bündelt Beiträge zum Themenfeld Bündnisarbeit in rassistischen Verhältnissen. Eine postkoloniale Perspektive einnehmend zielt er darauf ab, gegenwärtigen Rassismus in Deutschland zu thematisieren und Möglichkeiten des Widerstandes im Rahmen von Bündnisarbeit aufzuzeigen. Die Beiträge beschäftigen sich damit, wie Bündnisse entstehen und stattfinden können und diskutieren die sich dabei abzeichnenden Herausforderungen. Sie vereint eine rassismuskritische Perspektive, aus der sich, als oberstes Ziel des Zusammenschlusses, der Abbau von Rassismus als strukturelles Herrschafts- und Unterdrückungssystem – und der mit ihm verknüpften Unterdrückungsverhältnisse – ergibt. »Die rassismuskritische Perspektive tritt mit dem Anspruch auf, einen Beitrag zu alternativen, ›gerechteren‹ Verhältnissen leisten zu wollen.« (Broden/Mecheril 2014: 13; vgl. auch Mecheril 2004) Entsprechend wird Rassismus ausdrücklich als gesamtgesellschaftliches Phänomen verstanden und Bündnisarbeit als machtkritisches (selbst)reflexives Anliegen behandelt.
Für Überlegungen zur Bündnisarbeit gegen Rassismus ist das zugrundeliegende Rassismusverständnis in vielfacher Hinsicht maßgebend. Welche Möglichkeiten für Bündnisse gegen Rassismus angenommen werden, hängt davon ab, wie die Wirk- und Funktionsweise von Rassismus verstanden wird. Denn je nachdem, wie diese Wirk- und Funktionsweise gedacht wird, bedeutet die Zielvorstellung des Abbaus von Rassismus Unterschiedliches. Fällt diese Zielvorstellung verschieden aus, kommt es wiederum zu unterschiedlichen Annahmen über die Möglichkeiten für Bündnisarbeit.
Eine allgemeingültige Rassismusdefinition gibt es nicht. Deshalb existiert auch kein allen bekanntes Verständnis davon, was es heißt, Rassismus entgegenzutreten. Auch wenn als oberstes Ziel der Bündnisarbeit gegen Rassismus der Abbau von Rassismus beschrieben werden kann, kann nicht vorausgesetzt werden, dass unter ›Gegener*innen des Rassismus‹ ein geteiltes Verständnis darüber existiert, was mit diesem Ziel genau gemeint ist. Unter anderem ist hierfür das vorherrschende Rassismusverständnis verantwortlich. Nach dem dominanten Verständnis von Rassismus stellt dieser eine gesellschaftliche Rand- und Ausnahmeerscheinung dar, für die vor allem Rechtsextremist*innen verantwortlich seien. In dieser problematischen Sichtweise wird rassistisches Handeln an eine rassistische Einstellung geknüpft und auf ein absichtsvolles individuelles Handeln reduziert. Neben dem bestehenden strukturellen Macht- und Ungleichheitsverhältnis, das Rassismus bewirkt, bleibt hier das Zusammenspiel von Rassismus mit anderen Diskriminierungsformen, wie Gender, Sexualität, Klasse oder Alter, unberücksichtigt. Bereits 1851 verwies die Schwarze US-amerikanische Frauenrechtlerin Sojourner Truth auf einem Frauenkongress in Ohio mit ihrer viel zitierten Frage »Ain‘t I a Woman?« auf die spezifische Diskriminierungserfahrung, die Schwarze Frauen machen (vgl. Brezina 2004). In den siebziger und achtziger Jahren wurde das Zusammenspiel verschiedener Diskriminierungsformen von der Schwarzen Frauenbewegung in den USA (Black Feminism) erneut zum politischen Gegenstand gemacht. Es rückt in den Fokus, sobald eine intersektionale Perspektive auf Rassismus eingenommen wird (vgl. Crenshaw 1989; Walgenbach 2012). Was es heißt, gegen Rassismus vorzugehen, ist in dieser Sichtweise etwas völlig anderes, als wenn Rassismus z.B. auf extremistische Gewalt gegen Menschen mit Rassismuserfahrung reduziert wird, wie es im Rahmen des herkömmlichen Sprechens über Rassismus, unter anderem in den Massenmedien und in politischen Diskursen, immer wieder passiert. Entsprechend fallen auch die Vorstellungen von Bündnisarbeit gegen Rassismus dieser zwei Perspektiven weit auseinander.
Aus rassismuskritischer und intersektionaler Perspektive stellt das dominante verkürzte Rassismusverständnis eine Herausforderung für produktive Koalitionen gegen Rassismus dar. Denn mit diesem Verständnis wird verschwiegen, dass und inwiefern Rassismus alle Menschen betrifft, auch wenn die Auswirkungen des Rassismus, in Abhängigkeit der jeweiligen Positionierung in Macht- und Ungleichheitsverhältnissen, unterschiedlich ausfallen. Der (unterschiedliche) Einfluss, den Rassismus auf Menschen hat, bestimmt die Möglichkeiten und Schwierigkeiten unseres Handelns gegen Rassismus maßgeblich mit. Er ist dafür verantwortlich, dass gute Absichten nicht mit Bündnisbereitschaft gleichzusetzen sind und nicht genügen, um ein tragfähiges Bündnis einzugehen und Veränderungen zu bewirken. Vielmehr ergeben sich für Bündnisarbeit in rassistischen Verhältnissen Herausforderungen und zentrale Fragestellungen, die mit Bendler, Digoh-Ersoy und Golly folgendermaßen beschreibbar sind: »Gegen Rassismus zu sein reicht nicht aus, um arbeitsfähige Bündnisse zu etablieren. Die zentrale Frage muss sein, wie die einzelnen beteiligten Akteur*innen intersektional positioniert sind. Von welchem Standpunkt aus sprechen sie? Sind wirklich ›alle‹ für die gleiche ›Sache‹ oder gehen sie nur deshalb davon aus, weil nie in aller Deutlichkeit darüber gesprochen wurde?« (Bendler/Digoh-Ersoy/Golly in diesem Band, 19) Weil Rassismus Menschen unterschiedlich beeinflusst und durch andere Diskriminierungsformen, die ebenso differenziert erfahren werden, stabilisiert wird, umfassen Überlegungen zur Bündnisarbeit immer auch ein (selbst)reflexives Nachdenken über politische Gemeinschaft, über das ›Wir‹ und dessen Grundlagen. Die Frage danach, wer sich mit wem und zu welchen Bedingungen verbünden kann, hängt deshalb immer auch mit Fragen nach Subjektivität, Identität, Kollektivität, Handlungsfähigkeit und Differenz in einer von Macht- und Ungleichheitsverhältnissen strukturierten Gesellschaft zusammen (vgl. Jähnert [u. a.] 2013).
Die Beiträge dieses Bandes setzen hier an. Neben intersektionalen Sichtweisen machen sie transnationale Perspektiven sichtbar und beschäftigen sich, anknüpfend an den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand der Rassismusforschung, damit, welche Voraussetzungen, Aufgaben, Möglichkeiten und Herausforderungen sich für politische Bündnisse gegen Rassismus in einer global vernetzten, postkolonialen deutschen Gesellschaft, durchzogen von komplexen verschränkten Herrschaftsverhältnissen, ergeben. Die Auseinandersetzung erfolgt sowohl theoretisch als auch praxisbezogen. Neben verschiedenen Konzepten des Verbündet-Seins und damit verbundener Standpunkte werden exemplarisch ausgewählte Praxisfelder bzw. Beispiele für praktische Bündnisarbeit in Deutschland diskutiert. Dabei wird Bündnisarbeit sowohl als Gemeinschaftlichkeit und Differenzen überschreitendes Handeln als auch als community-basierte Praxis untersucht. Ein inhaltlicher Schwerpunkt ist die diskriminierungskritische Bildungsarbeit, mit der sich auch Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy und Nadine Golly beschäftigen. Sie beziehen sich auf die (Bildungs-)Arbeit in dem Schwarzen Bündnis KARFI[1], welches sie selbst gegründet haben. Sie reflektieren Erfahrungen, die sie in ihrer politischen (Bildungs-)Arbeit als Schwarze Frauen beim Eingehen wechselnder Allianzen machten und beschreiben mit diesen Bündnisarbeiten verbundene Herausforderungen. Die Autorinnen legen dar, was es ihrer Meinung nach zum Bestehen von Bündnissen mit überwiegend weißen, links(-radikal) positionierten Zusammenschlüssen, zum Bestehen Schwarz-weißer feministischer Bündnisse und zum Bestehen von PoC[2]-Bündnissen braucht.
Amma Yeboah und Karim Fereidooni beschäftigen sich mit Bündnisarbeit vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von Rassismus und Sexismus. Die Autor*innen fokussieren Sexismus und patriarchales Agieren, indem sie auf die Erfahrungen Schwarzer Frauen und Männer in zwischenmenschlichen Beziehungen eingehen. Hierfür unterziehen sie eigens durchgeführte Interviews einer Analyse. Als Ressource für Bündnisarbeit in Beziehungen identifizieren sie, unter anderem unter Rekurs auf bell hooks, eine kritische Schwarze feministische Perspektive.
Josephine Apraku greift in ihrem Beitrag ebenfalls den Zusammenhang von Bündnisarbeit und zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Aus rassismus- und sexismuskritischer Perspektive geht sie der Frage nach, was ein Vorgehen im Bündnis gegen strukturelle Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in Liebesbeziehungen ausmacht. Die Autorin konzeptualisiert Liebe als intersektionale feministische Praxis, die sich nicht auf spezifische zwischenmenschliche Verbindungen reduziert. Mit Fokus auf rassistische Diskriminierung arbeitet sie heraus, dass Liebe Grundlage diskriminierungskritischer Bündnisarbeit darstellt, die sich gegen die Entmenschlichung aller einsetzt.
Rassismus existiert zwecks weißer Vorherrschaft. In meinem Beitrag zu diesem Band Im eigenen Interesse: weiße Bündnisarbeit in rassistischen Verhältnissen diskutiere ich, dass weiße Menschen Subjekte des Rassismus darstellen und im Kontext von Rassismus privilegiert sind. Dennoch haben sie ein Selbstinteresse am Abbau von Rassismus. Die Auseinandersetzung mit diesem Interesse weißer Menschen an der Überwindung von Rassismus ist für rassismuskritische Bildungsarbeit und die Entwicklung einer rassismuskritischen Strategie, die weiße Menschen als Bündnispartner*innen einbezieht, bedeutungsvoll. Mit dieser Argumentation schließe ich an die englischsprachige Diskussion um die Nachteile des Rassismus für Weiße an und setze die thematisierten Interessen weißer Menschen an der Überwindung des Rassismus unter Rückgriff auf feministische Theoriebildung in Bezug zu Interessen anderer sozialer Gruppen.
Heidi R. Lewis konkretisiert Bündnisarbeit am Beispiel pädagogischer Arbeit an der Hochschule, die einem intersektionalen und transnationalen feministischen Ansatz folgt. Sie befasst sich mit ihrer 2016 durchgeführten Lehrveranstaltung Hidden Spaces, Hidden Narratives: Intersectionality Studies in Berlin am Feminist & Gender Studies Departments des Colorado College. Im Rahmen des Auslandsseminars besuchten Studierende der US-amerikanischen Hochschule Berlin, um sich vor Ort mit dem Thema marginalisierte Gruppen in Deutschland auseinanderzusetzen und Einblicke in transnationale Bündnisarbeit zu erhalten.
Ein konkretes Beispiel für Bündnisarbeit auf der zwischenmenschlichen Ebene liefert der Beitrag, den ich mit Josephine Apraku zu rassismuskritischer Bildungsarbeit verfasst habe. Im Gespräch reflektieren wir kritisch unsere gemeinsame Arbeit im Schwarz-weißen Team hinsichtlich der sich aus diesem Zusammenschluss ergebenden Möglichkeiten und Schwierigkeiten für eine rassismuskritische Bildungsarbeit sowie für die individuelle und gemeinsame Bündnisarbeit. Dabei berufen wir uns auf Erfahrungen, die sie bei gemeinsam durchgeführten Vorhaben wie Hochschullehrveranstaltungen, Vorträgen, Fortbildungen, Workshops oder Materialerstellungen für verschiedene Zielgruppen gesammelt haben.
Jacqueline Mayen beschäftigt sich mit Schwarzer Bündnisarbeit und widmet sich dabei der Zeit vor der digitalen Revolution. Mit Überlegungen zur Krise der Identität in rassistischen Gesellschaftsstrukturen, dem Konzept ›afrikanische Diaspora‹ und dem Printmedium wird der theoretische Rahmen für ihre Untersuchung der Formationen Schwarzer Identitätspolititk in den achtziger und neunziger Jahren am Beispiel der Zeitschrift afro look abgesteckt. Mayen zufolge trug die Zeitschrift in ihrer Funktion als ›Diasporamedium‹ mittels Schwarzer Identitätspolitik, Interessenartikulation und angeregter Kollektivierung in Deutschland zur Wegbereitung Schwarzer Bündnisse bei.
Adetoun Küppers-Adebisi thematisiert in ihrem Beitrag die spezifische kollektive Rassismuserfahrung Schwarzer Frauen als Ausgangspunkt Community-basierter Bündnisarbeit. Sie stellt ihr Ausstellungsprojekt Black Womanhood reLOADED – the 10 commandments of afrofuturism vor und verortet ihr Anliegen innerhalb des Bestrebens der Bewegungen Schwarzer Frauen und Schwarzer Menschen in Deutschland. Als Diskursaufnahme aus der Perspektive Schwarzer afrikanischer Frauen setzte das Projekt für Bündnisarbeiten neue Potentiale in die Welt.
glokal e. V. beschäftigt sich mit dem Eintreten für Gerechtigkeit und gegen Gewalt, Ausbeutung und Herrschaft im Kontext der globalen Nord-Süd-Beziehungen. Sie gehen der Frage nach, wie trotz gesellschaftlicher Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und Süden neue, herrschaftsfreie Räume und Bündnisse geschaffen werden können. Hintergrundinformationen zu den historisch-politischen Rahmenbedingungen, zu Kolonialismus, dem Konzept ›Entwicklung‹ und der ›Entwicklungspolitik‹, folgt eine Auseinandersetzung mit den Aspekten Partnerschaft und Solidarität. Sie erfolgt theoretisch und unter Rückgriff auf praktische Erfahrungen des Vereins mit Organisationen, die im Nord-Süd-Kontext und im Themenfeld Flucht und Migration arbeiten. glokal plädiert für eine postkoloniale, machtkritische Bündnisarbeit zwischen Globalem Norden und Süden, die die Veränderung gesellschaftlicher Zusammenhänge zum Ziel hat.
Bündnisarbeit in rassistischen Gesellschaftsverhältnissen stellt grundsätzlich ein widerständiges Projekt dar. Aufgrund des weitreichenden Wirkungsbereichs des Rassismus kann die Art des Zusammenschlusses die unterschiedlichsten Formen annehmen. Die Beiträge zeigen zusammen auf, dass rassismuskritische Bündnisse mit den verschiedensten Handlungszusammenhängen, Arbeitsschwerpunkten, Möglichkeitsräumen, Herausforderungen und Handlungsstrategien einhergehen können. Sie demonstrieren, dass unterschiedliche Ansätze und Perspektiven ganz verschiedene Dimensionen von Bündnisarbeit gegen Rassismus zur Diskussion stellen können und zeugen zusammen von der Vielfalt an Möglichkeiten für Widerstandsformen durch politisches Verbündet-Sein und Bündnisarbeit gegen Rassismus.
Brezina, Corona (2004): Sojourner Truth’s »Ain’t I a Woman?« Speech: A Primary Source Investigation. New York: The Rosen Publishing Group.
Broden, Anne/Paul Mecheril (2014): Solidarität in der Migrationsgesellschaft. Einleitende Bemerkungen. In: Dies. (Hg.): Solidarität in der Migrationsgesellschaft. Befragung einer normativen Grundlage. Bielefeld: transcript, S. 7-20.
Crenshaw, Kimberlé (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. In: University of Chicaco Legal Forum 1, S. 139-167.
Jähnert, Gabriele/Karin Aleksander/Marianne Kriszio (Hg.) (2013): Kollektivität nach der Subjektkritik: Geschlechtertheoretische Positionierungen. GenderCodes Bd. 16. Bielefeld: transcript.
Mecheril, Paul (2004): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim: Beltz.
Tatum, Beverly Daniel (2007): Can We Talk about Race? And Other Conversations in an Era of School Resegregation. Boston: Beacon Press.
Walgenbach, Katharina (2012): Intersektionalität – eine Einführung. www.portal-intersektionalität.de (06.01.2017).
Ilinda Bendler, Laura Digoh-Ersoy, Nadine Golly
»waffenbrüder und schwertschwestern
herrschaftskriege
werden meistens von weißen männern
begonnen
wahre befreiungskämpfe
werden vor allem von schwarzen frauen
gewonnen«
(May Ayim 2016: 179)
Ein Workshop an einer Bildungseinrichtung, irgendwo im Westen Deutschlands. Es geht um rassismuskritische Perspektiven für die Bildungsarbeit und pädagogische Praxis – so steht es auf der Agenda für die kommenden Stunden. Die Referentin hat sich gerade vorgestellt. Ein Teilnehmer meldet sich: »Der Name Ihres Bildungskollektivs … ist das eine Abkürzung oder sowas?«
Tatsächlich legt die Großschreibung unseres Namens diesen Schluss nahe: KARFI. Doch KARFI steht nicht für eine klangvolle Aneinanderreihung von Anfangsbuchstaben. KARFI heißt ›Stärke‹ auf Hausa, einer Sprache, die in mehreren Ländern Westafrikas gesprochen wird. KARFI ist der Name, den wir unserem Arbeitsbündnis gegeben haben.
Wir sind drei Frauen, die rassismuskritische Sensibilisierungs- und Empowermentarbeit machen. Unsere Berührungspunkte sind vielfältig: als sozialwissenschaftlich (und pädagogisch) ausgebildete, überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland sozialisierte, in transnationalen Familien lebende Bildungsarbeitende und von rassistischen Missständen immer wieder angetriebene Menschen teilen wir vieles. Zentral für unseren Zusammenschluss war jedoch, dass wir als Schwarze[3] Frauen in Deutschland leben und arbeiten. KARFI als ausschließlich Schwarzen Zusammenschluss zu gründen, war eine bewusste Entscheidung. Im Vordergrund stand die Idee, sich einen Arbeitszusammenhang zu schaffen, der professionellen Austausch und konzeptionelles Arbeiten in einem geschützteren Raum, einem safer space, möglich macht. Ein Ort, an dem wir unsere Erfahrungen in einer rassistisch geordneten Gesellschaft unwidersprochen teilen können (vgl. Golly/Digoh/Bendler 2016).
›Stärke‹ ist somit etwas, was wir in der gemeinsamen Arbeit entwickeln. ›Stärke‹ erwächst für uns auch aus der schwesterlichen Unterstützung und Begleitung. KARFI ist nicht nur unser Arbeitsbündnis – es ist ein Empowerment-Raum. Selbstverständlich haben auch wir organisatorische Fragen zu erörtern, Termine zu finden, Grundlegendes zu diskutieren. Nicht immer ist es uns vergönnt, mit Muße an Konzepten zu feilen und gemeinsam inspirierende theoretische Ansätze zu durchdenken. Aber gerade im Widerstreit unserer vielschichtigen Aufgaben ist es uns wichtig, den expliziten Anspruch unseres Kollektivs immer wieder zu betonen: Wir wollen unsere gemeinsame Arbeit so gestalten, dass sie uns auf der Langstrecke bestärkt. Dafür brauchen wir Sensibilität für unsere persönlichen und kollektiven Grenzen.
Wenn wir unseren Blick nach außen richten, so ist ›Stärke‹ auch etwas, was wir uns für die Teilnehmenden unserer Workshops und Fortbildungen wünschen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit Erscheinungsformen und ›Logiken‹ von Diskriminierungsverhältnissen entwickeln die Teilnehmenden im Rahmen der Veranstaltungen oft selbst ganz unterschiedliche Ideen für Strategien des Widerstandes. Mit diesen Anregungen im Gepäck, sollen die Teilnehmenden den Seminarraum gestärkt verlassen – auch wenn meist noch viele Fragen offenbleiben.
Unser Arbeitsbündnis bewegt sich im Spannungsfeld von praktischer Bildungsarbeit, politischem Aktivismus und (akademischer) Wissensproduktion. Dabei ist für uns keiner dieser Arbeitsbereiche ohne die beiden anderen denkbar. So speisen sich die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Workshops aus den Denkansätzen und Theorien von Schwarzen Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen of Color. Wir möchten den Teilnehmenden unserer Veranstaltungen Zugänge zu theoretischen Auseinandersetzungen ermöglichen, die in den Diskussionen um Rassismus in Deutschland selten zur Kenntnis genommen und aufgegriffen werden. So wird in der Debatte um die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen (Intersektionalität) in Deutschland nur selten auf die Analysen und Berichte Schwarzer Aktivist*innen wie bspw. Sojourner Truth[4] (in ihren zahlreichen bekannten Reden zwischen 1850 und 1867) oder dem Combahee River Collective[5] (vgl. das Statement des Schwarzen feministischen Kollektivs aus dem Jahr 1977) verwiesen. Dabei zeigt sich gerade dort, dass die Lebensrealität ›Mehrfachdiskriminierung‹ von Schwarzen Frauen* in politischen Kämpfen um Gleichstellung diverse, punktuelle Bündnisse notwendig macht.
Mit Blick auf Rassismus- und postkoloniale Kritik ist es uns wichtig, politischen Aktivismus und Wissenschaft nicht als zwei voneinander getrennte Arbeitsfelder zu begreifen. Denn widerständiges Wissen wird nicht allein in als akademisch markierten Räumen und Köpfen produziert. Es bildet sich vielmehr dort heraus, wo Menschen dominante Ordnungen unterlaufen und ihre Analysen und Strategien mit anderen teilen. Dies möchten wir in unseren Workshops deutlich machen.
Als Mitglieder der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Bund e. V.)[6] sehen wir uns selbst als Teil der jüngeren Schwarzen Bewegung hierzulande (vgl. Wiedenroth-Coulibaly 2017; Oguntoye 2015; Digoh-Ersoy/Thompson 2016). Wenn wir mit KARFI bilateral oder öffentlich gegen Rassismus intervenieren, positionieren wir uns mit unseren professionellen und aktivistischen Bezügen. Diese Erfahrungen fließen wiederum in unsere Bildungsarbeit ein, in der es häufig auch um konkrete Möglichkeiten des Widerstandes gegen Rassismus in den Arbeitszusammenhängen der Teilnehmenden geht. Zentral ist dabei die Frage nach potentiellen Verbündeten. Denn gerade in robusten Strukturen, z.B. von Institutionen, sind strategische Allianzen unabdingbar[7].
Auch wir bei KARFI befinden uns also in der stetigen Auseinandersetzung über Bündnisse in einer rassistisch geordneten Gesellschaft. Die Anlässe sind vielgestaltig: einzelne Interventionen, professioneller Austausch bezüglich rassismuskritischer Bildungsarbeit, Teilnahme an und Mitgestaltung konkreter Veranstaltungen usw. Dabei holt uns immer wieder die Frage ein, wie wir das Wissen um unterschiedliche Positionen in unsere Entscheidungen einfließen lassen.
»Ich definiere mein Wesen andauernd, denn wie wir alle bin ich aus vielen verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt. […] Ich weiß auch, dass es Schwarze Frauen gibt, die meine Arbeit nicht in ihren Kursen verwenden, weil ich Lesbe bin. Es gibt Lesben, die weder mir noch meinem Wirken Beachtung schenken können, weil ich zwei Kinder habe […]. Es gibt Frauen, […] die sich weder mit mir noch mit meinem Traum von der Zukunft beschäftigen können, weil ich Schwarz bin, ihr Rassismus wird zum Nebel, der uns trennt. Und mit uns meine ich all jene, die wirklich glauben, dass wir an einer Welt arbeiten können, in der wir alle selbstbestimmt leben können.« (Lorde 2015: 50)
Als Schwarze Frauen finden wir uns mitten auf der Kreuzung mehrerer Dominanzverhältnisse (vgl. Crenshaw 1991) wieder. Dieses Bewusstsein durchdringt nicht nur unsere (Lohn-)Arbeitsverhältnisse, sondern ist auch maßgeblich für unsere politischen Arbeitsbündnisse.
Gegen Rassismus zu sein reicht nicht aus, um arbeitsfähige Bündnisse zu etablieren. Die zentrale Frage muss sein, wie die einzelnen beteiligten Akteur*innen intersektional positioniert sind. Von welchem Standpunkt aus sprechen sie? Sind wirklich ›alle‹ für die gleiche ›Sache‹ oder gehen sie nur deshalb davon aus, weil nie in aller Deutlichkeit darüber gesprochen wurde? (vgl. Gardi 2017)
»Ich finde es wichtig, daß sich Schwarze und Weiße je nach Bedürfnis in eigenen Zusammenhängen treffen, um dann wieder in Kommunikation miteinander zu treten. Ich bin allerdings nicht bereit, mich auf jedes Gespräch einzulassen.« (Ayim 1997: 109)
May Ayim formuliert hier auf den ersten Blick schonungslos: Zwar stellt sie fest, dass es wichtig ist, miteinander in Kontakt zu bleiben – auch wenn die Erfahrungen in einer rassistischen Gesellschaft trennend wirken. Gleichzeitig zieht sie aber auch eine rigorose Grenze, um sich selbst zu schützen. Vor immer wiederkehrenden Diskussionen, Erklärungen, davor, mit der eigenen Position in Frage gestellt zu werden. Es bedarf konkreter Bewusstseinsarbeit, um in Bündnissen arbeiten zu können: Menschen mit Rassismuserfahrungen sollten wissen, was für sie eine stärkende Zusammenarbeit ausmacht und an welchem Punkt der Bildungsprozess weißer Alliierter auf ihre Kosten geht und sie (zu viel) Kraft kostet. Menschen, die in rassistischen Ordnungen privilegiert werden, sollten sich fragen, ob und wie sie sich mit der Frage von ungleichen Verhältnissen in rassistischen Strukturen auseinandersetzen. Was braucht es, um den eigenen Standpunkt, die eigene Verortung darin anzuerkennen und als Alliierte*r zu handeln?
Die Zusammenarbeit mit überwiegend weißen, links(radikal) positionierten Zusammenschlüssen stellt für uns eine besondere Herausforderung dar. Nicht selten ging der Anfrage an uns ein Konflikt zwischen weißen Aktivist*innen und Aktivist*innen of Color voraus. Oft sind es einzelne oder wenige Personen aus dem Zusammenschluss, die die Situation rassismuskritisch bearbeiten wollen. Sie wünschen sich, dass daraus eine neue, rassismuskritische Praxis hervorgeht.
Aus unserer eigenen politischen Sozialisation und Biographie heraus ist uns die Annahme nicht fremd, dass Antirassismus einen soliden, gemeinsamen Rahmen für politisches Arbeiten darstellt. Damit verbunden sind bestimmte historische Analysen, theoretische Konzepte, gesellschaftskritische Perspektiven und die Bejahung widerständiger Praxen.
Politische Sozialisation und Meinungsbildung lässt sich von biographischen Erfahrungen nicht trennen. Dennoch: Wenn wir uns als Schwarze, in Deutschland aufgewachsene Frauen intensiv mit Rassismuskritik beschäftigen, handelt es sich nicht um ›reines Interesse‹, das auch wieder nachlassen kann, wenn die erste Lohnarbeitsstelle in Vollzeit angetreten wird oder die Versorgung von Kindern in den Mittelpunkt rückt. Es gibt keinen Rückzug, keine Möglichkeit des Ausblendens – und sei es nur für eine gewisse Zeit. Sich dies bewusst zu machen, ist eine wesentliche Grundlage für eine reflektierte Bündnisarbeit zwischen Antirassist*innen of Color und weißen Antirassist*innen.
Nach unserer Beobachtung haben nur jene Bündnisse eine dauerhafte Perspektive, bei denen interne Konflikte ausgebrochen sind – dann aber auch rassismuskritisch bearbeitet wurden. Die Ergebnisse können unterschiedlich sein: Entweder, es kam zum Bruch, weil Schwarze oder PoC-Akteur*innen eigene Räume selbstbestimmt erstritten und ihre Stimme erhoben haben. Aus der neu entstandenen Konstellation konnten dann auch wieder neue Bündnisoptionen erwachsen – allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Oder aber die gemeinsamen Arbeits- und Wohnräume konnten wirklich selbst- und rassismuskritisch analysiert werden. Die daraus abgeleiteten Konsequenzen ermöglichten, dass weiße Menschen und Menschen of Color gemeinsam antirassistisch leben und arbeiten können.
Dieses Zusammenleben machtkritisch zu gestalten, fällt oft schwer. Nicht wenige linke Wohn- oder Politprojekte in Deutschland sind auch heute noch überwiegend weiß. Die eigene antirassistische Haltung wird zuweilen damit übersetzt, dass Schwarze und Menschen of Color die Möglichkeit bekommen, mitzumachen und sich ebenfalls in dem Kontext zu bewegen. Sobald aber ein selbstbewusstes Subjekt deutlich macht, dass auch Schwarze und Menschen of Color politisiert sind, Standpunkte haben, Forderungen stellen können, Bedarfe formulieren, Entscheidungen einfordern, sich nicht an weiße (manchmal nicht ausgesprochene aber dennoch existente) linke ›Codes‹ halten, werden nicht wenige linke Räume dagegen ›verteidigt‹. Interessant ist, dass dabei Strategien mit genau denselben Mechanismen angewandt werden, wie es bei politischen Gegenspieler*innen kritisiert wird. Was wir beobachten ist, dass in diesen Bündnissen die Schwarzen und Mitstreiter*innen of Color oftmals nicht als Gesprächspartner*innen, als Persönlichkeiten, als politisch Handelnde ernst genommen werden, sondern dass sie lediglich als legitimierende Objekte betrachtet werden, die von den Erfahrungen der weißen Linken lernen können. Was es zum Bestehen solcher Bündnisse bräuchte, wären unserer Ansicht nach mindestens drei Dinge:
Unser Anliegen sind gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Wir halten es für unerlässlich, uns mit den eigenen Positionen innerhalb sozialer Machtverhältnisse auseinanderzusetzen und diese auch offenzulegen. Dies sehen wir als unsere Verantwortung an. Es braucht zunächst eine fundierte Analyse rassistischer Dynamiken und Handlungspraxen, in die wir alle hineinsozialisiert worden sind und die einer aktiven Verabschiedung bedürfen, um Bündnisse des Widerstandes und der Solidarität zu schaffen. Menschen, die diskriminierten Gruppen angehören, brauchen Orte der Sicherheit und des Empowerments, auch innerhalb linker Kontexte. Sicherheit sollte sich nicht nur auf Angriffe von Neonazis, gewaltbereiten Faschist*innen und Geheimdiensten fokussieren, sondern sich auch auf die Ignoranz, das Unwissen und den Rassismus innerhalb solcher Bündnisse beziehen.
»Die Wut der Schwarzen Frauen sollte auch die Empörung von weißen Frauen sein, denn wir alle werden mit Lügen, Halbwahrheiten und Mythen verdummt und manipuliert.« (Ayim 1997: 108)
Mit Frauen* in (mehrheitlich) weißen feministischen Bündnissen haben wir einige wichtige Anknüpfungspunkte. Gleichzeitig werden wir in diesen Bündnissen immer wieder mit ausschließenden Mechanismen eines weißen Feminismus konfrontiert, der uns als Schwarze Frauen außer Acht lässt. In diesen Räumen wird Rassismus nicht selten unreflektiert reproduziert. Während wir voller Bewunderung die Errungenschaften weißer feministischer Kämpfe betrachten, die sowohl institutionell als auch strukturell mittlerweile in vielen gesellschaftlichen Bereichen verankert sind, stellen wir mal wütend mal schmerzlich fest, wie wenig diese Strukturen und diese Institutionen Schwarze Frauen oder Frauen of Color als feministische Mitstreiter*innen mitdenken – und das obwohl Schwarze Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Autor*innen, Musiker*innen und Feminist*innen über Jahrzehnte Wissen produziert und zugänglich gemacht haben. Wir werden nicht mitgedacht, obwohl es eine sichtbare, hör- und lesbare Schwarze feministische Bewegung in Deutschland gibt. Diesen Positionen Beachtung zu schenken, wäre ein großer Schritt hin zu einem intersektionalen Verständnis von Machtverhältnissen und würde Schwarze Frauen in den deutschen Genderdiskursen nicht länger ›unsichtbar‹ bleiben lassen.
Weiße feministische Bündnisse konzentrieren sich zumeist auf bestimmte Themen, wie beispielsweise die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, die Vereinbarkeit von Familien- und Lohnarbeit, das Aufbrechen normativer Rollenvorstellungen oder die politische Teilhabe und Mitbestimmung von (weißen) Frauen. Im Blickfeld steht, was bereits erreicht wurde und welche Kämpfe weiterhin zu führen sind.
Als Schwarze Frauen sind wir aber nicht allein Frau, sondern auch Schwarz und jung oder alt, entsprechen einer körperlichen Norm – oder eben nicht, haben uns auf die eine oder mehrere Weisen zu lieben und zu leben entschieden, wir fühlen uns einer Community oder mehreren Gemeinschaften zugehörig, sind verschieden beruflich verortet, mit unterschiedlichen Pässen, an unterschiedlichen Orten geboren, in unterschiedlichen Familienkonstellationen aufgewachsen und vieles, vieles mehr.
Die politische Arbeit einer weißen Feministin, einer weißen Frauen- und oder Gleichstellungsbeauftragten erreicht uns oft nicht, weil sie in der Regel nicht an uns gerichtet ist oder überhaupt daran denkt, uns erreichen zu wollen. Für Frauen zuständig zu sein ist nicht umfassend genug gedacht. Gemeint und mitgedacht sollten alle Frauen* sein. Davon sind wir derzeit jedoch noch weit entfernt. Das resultiert daraus, dass weiße feministische Bewegungen keine genuine Tradition antirassistischer oder rassismuskritischer Haltungen haben – gleichzeitig aber erlauben die Kämpfe Parallelen zu ziehen und vielfältige Berührungspunkte herauszustellen. Hier geht es nicht darum zu hierarchisieren. Ein Kampf soll nicht wichtiger sein als der andere. Aber für uns als KARFI ist keine Singularität möglich. Wir befinden uns immer gleichzeitig in verschiedenen Positionen und deswegen stellen wir fest: Sich dies zu vergegenwärtigen lässt erst eine fundierte Gesellschaftskritik zu. Und während in weißen feministischen Bündnissen die Aushandlung zuweilen bei binären Identitäten stehen bleibt, versuchen wir innerhalb unserer eigenen Community darüber hinauszugehen, indem wir Anerkennung und Orte beispielsweise für Lesbische, Schwule, Bi-, Trans*- oder Inter*sexuelle und Queere Menschen (bzw. im Englischen Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex und Queer) zu schaffen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Auseinandersetzungen, Konflikte oder Kämpfe um diese Anerkennung gibt.[8]
Was es zum Bestehen Schwarz-weißer feministischer Bündnisse braucht, sind unserer Ansicht nach mindestens drei Dinge:
»Insbesondere weiße Frauen sind dazu aufgerufen, die Wut der Schwarzen Frauen ernst zu nehmen und auszuhalten. Es ist unfair, von uns stets zu erwarten, daß wir konstruktiv und gesprächsbereit sind, nachdem wir die meiste Zeit keinen Platz in euren Reihen haben, nicht zu Wort kommen und unsichtbar gemacht werden.« (Ayim 1997: 108)
Eine Ausnahme bilden unsere Erfahrungen in Strukturen, in denen überwiegend weiße Menschen organisiert sind, die aufgrund ihrer körperlichen Konstitution in ihrer Lebensgestaltung eingeschränkt und diskriminiert werden. Menschen, die sich in diesen (politischen) Kontexten bewegen, konnten sich oft viel eher auf unsere Forderungen und auf das von uns eingebrachte Wissen einlassen, daran anknüpfen und gemeinsame Positionen aufstellen. Unsere Erklärung dafür ist, dass die Akteur*innen aufgrund vielfältiger Diskriminierungserfahrungen eher veranlasst sind, klar und konsequent Stellung zu beziehen. Sie sind sich mehrheitlich des Umstandes bewusst, dass sie sich in mehr als nur einer Position befinden. Das heißt nicht, dass diese Strukturen in einer Tradition rassismuskritischer Haltungen stehen. Dennoch gibt es oft eine Bereitschaft, eigene Konstruktionen zu hinterfragen, diese auch als veränderbar zu sehen sowie die eigene Handlungsmächtigkeit anzuerkennen. Dies lässt einerseits hoffen, zeigt aber auch deutlicher, wie sehr die zuvor genannten Gruppen und Akteur*innen bemüht sind, ihre eigenen Privilegien zu bewahren.
»ich trage meinen traum
hinter
erhobener faust
in pfefferfarben
und fange ganz klein an
fange endlich an
mit meiner schwester
und meiner freundin an der hand mit
meinen brüdern und
wenn es sein soll
auch allein
– damit es endlich anders werden
muss!
(May Ayim 2016: 58, die zeit danach)
Einer unserer Schwerpunkte ist die Stärkung Schwarzer Menschen und Personen of Color in zuweilen exklusiven Zusammenschlüssen von Menschen mit Rassismuserfahrungen in Deutschland. Das bedeutet: mit unseren Brüdern und Schwestern, Cousins und Cousinen Hand in Hand Räume einnehmen, diese gemeinsam definieren und dadurch Platz für Wissen, Austausch, Strategieentwicklung und Mut schaffen. Das Wort, welches all das für uns umfasst, lautet Empowerment. »Empowerment bedeutet als People of Color auf unsere eigenen Bedürfnisse in rassistischen Alltagssituationen zu achten. Empowerment bedeutet, ohne Kategorisierung existieren zu können. Empowerment bedeutet, ich kann ich sein – egal, was du von mir denkst. Empowerment bedeutet Befreiung.« (Nassir-Shahnian 2013)
Diese Räume für Empowerment können an ganz verschiedenen Orten sein. Es können Orte in akademischen Kontexten sein, in denen wir meist getrennt mit Studierenden oder Lehrenden of Color deren Ressourcen und Potentiale offenlegen. Wir gehen auch der durch Rassismuserfahrungen verspürten Machtlosigkeit und Wut nach, ordnen diese ein und suchen Wege, sie zu ›nutzen‹. Die Schwarze Feministin Audre Lorde hat darauf verwiesen, Wut als Quelle für Empowerment zu nutzen. Wut kann uns Energie für weitere Auseinandersetzungen geben, die ihrerseits befreiend statt zerstörerisch sein können. Wut bedeutet auch, sich nicht zu fügen in eine rassistische Ordnung, sondern widerständig zu sein (vgl. ebd.: 20 f.).
In Empowerment-Workshops loten wir gemeinsam mit den Teilnehmenden aus, welche Strategien es gibt, um sich alltägliche Arbeits- und Studienbedingungen nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten und auf gewaltvolle Situationen zu reagieren. Es geht dabei um mehr als einen Umgang mit Alltagsrassismus zu finden, es geht um Forderungen auf institutioneller und struktureller Ebene. Wir überlegen, wie wir Posten, Positionen, Schaltstellen und Räume besetzen, politische Entscheidungsprozesse mitgestalten und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen können.
Diese Bündnisse finden nicht nur auf akademischer Ebene statt. Wir schaffen diese Empowerment-Räume mit und für migrantische und PoC-Akteur*innen unterschiedlicher sozialer Milieus und formaler Bildungsgrade. Wichtig bei der Gestaltung aller Räume ist uns die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie, die Sichtbarmachung der Geschichte/n der eigenen Community/Communities. Einen hohen Stellenwert hat auch die Wertschätzung der Errungenschaften der eigenen Community, z.B. durch den Black History Month, der jedes Jahr im Februar in einigen Städten Deutschlands, besonders aber in den USA begangen wird. Diese Tradition geht auf das Jahr 1926 zurück, als der Historiker Carter G. Woodson eine Veranstaltungsreihe initiierte, um die breite Öffentlichkeit in den USA über Schwarze Geschichte und die kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leistungen der afro-amerikanischen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Der erste Black History Month in Deutschland fand in den achtziger Jahren in Berlin statt. Zunächst folgte 1996 Hamburg, später auch weitere Städte. Der Black History Month würdigt seither mit zahlreichen Veranstaltungen die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland (vgl. Asher 2015).
Das Erschließen und Teilen neuen Wissens über Kämpfe und Positionen von People of Color ist für uns ein wichtiger Moment von Bündnisarbeit. Wissen ist Macht, und wenn wir dieses Wissen besitzen, kann man uns keine Halbwahrheiten mehr erzählen. Wissen ist ein Werkzeug, das uns hilft, gesellschaftliche Verhältnisse zu beschreiben und zu analysieren. Das ermöglicht uns, Situationen, in denen wir Rassismus erfahren, als solche einzuordnen und in ihrem strukturellen Kontext zu begreifen.