Udo Weinbörner
Außer der Reihe 60
Udo Weinbörner
BEI SONNENAUFGANG SIND WIR ZURÜCK
Storys
Außer der Reihe 60
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Juli 2021
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Resus Robert, »Sunset Beach« (Shutterstock)
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 251 5
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 846 3
Für Anne
Allein der Liebe wegen
reiche ich dir die Hand,
nur um dich anzusehn
und stelle keine Fragen …
Bei Sonnenaufgang sind wir zurück!
»Ich war geboren, um zu dichten und die Unglücklichen zu verteidigen.«
Georg Büchner, Dantons Tod
»Ein Lesebuch mit einer Auswahl aus über vierzig Jahren mit frühen und späten Geschichten, über dessen Zustandekommen ich mich nach so vielen Jahren Schreibarbeit besonders freue, denn für mich sind Kurzgeschichten und Erzählungen eine Herausforderung und gerade in ihrer Schlichtheit große Literatur. In einer Geschichte wird jeder Satz wichtig, jede Handlung bekommt ihre Bedeutung. Da die Kurzgeschichte nicht abwägt, sondern darstellt, ist sie besonders dort erfolgreich, wo sie soziale Missstände anprangert und sich engagiert. In der erzählenden Literatur ist sie sicherlich das dichteste und kunstvollste Wortgebilde, das jeden Schriftsteller irgendwann herausfordert. Ihrer engagierten Ausrichtung wegen liebe ich sie sehr.«
Udo Weinbörner
Gegen diese gedämpfte Atmosphäre abgestandener Luft und stetig flimmernder Videomattscheiben im U-Bahn-Schacht des Bonner Lochs1 habe ich ohnehin eine Abneigung. An diesem Tag kam hinzu, dass ich fast allein auf dem Bahnsteig wartete, obwohl es früher Nachmittag war. Meine Finger spielten nervös mit der Fahrkarte, und mein Blick versicherte sich zum sechsten Mal, dass die Bahn gleich kommen müsse. Schließlich setzte ich mich in einen der orangegelben Plastiksitze.
Seine schweren Motorradstiefel nahm ich bereits wahr, als ich ihn noch nicht sehen konnte. Neugierig blickte ich den Schacht hinauf, aus dem er gleich hervortreten musste. Er ging direkt auf mich zu, warf mit einer verächtlichen Geste einen Zigarettenstummel vor mir auf den Boden. Eine leichte Drehung der schweren Stiefel und übrig blieben nur einige Funken auf dem Beton, die rasch verglühten. Er setzte sich neben mich. Seine Ellenbogen verlangten nach Freiheit. Er machte einen auf Punk. In der Erwartung, jeden Moment angepöbelt zu werden, rückte ich unwillkürlich ein Stück nach links. Warum war dieser Bahnsteig zu dieser Tageszeit so leer? Sein Kopf war auf der rechten Seite halb kahl geschoren. Auf der linken Kopfhälfte sträubte sich schwarz gefärbtes Igelhaar und in der Mitte eine rot-lila Bürste. Er streckte seine Stiefel weit vorwärts und trommelte mit seinen klobigen Händen auf seinen Oberschenkeln einen wilden Rhythmus. Am Unterarm wurde eine Tätowierung sichtbar. Irgendwie hatte ich das Gefühl zu ersticken in dieser abgestandenen Luft. Dann hallte ein Stimmengewirr den Schacht hinunter. Ich atmete auf; der Bahnsteig würde sich gleich füllen. Ich hörte Schritte. Der Punk griff nach einer Zigarettenschachtel in seiner Lederjacke. Das Metall der Ketten, die an angenieteten Haken der Jacke befestigt waren, klang bedrohlich. Er rutschte noch weiter vorwärts, lag jetzt fast auf dem Sitz und steckte sich mit einem Streichholz die Zigarette an. Mit einem ängstlichen Seitenblick nahm ich während des Aufflammens des Streichholzes wahr, dass er unterhalb des Ohrläppchens eine kleine Narbe hatte.
Der Bahnsteig füllte sich mit einer Touristengruppe, die von einer Fremdenführerin mit einem auffallend farbigen Halstuch angeführt wurde. Lauter alte Leute, die wirr durcheinanderredeten. Der Punk blickte vor sich hin, wollte sie offensichtlich nicht sehen. Das abgebrannte Streichholz warf er hinter sich, die Zigarette lässig im Mundwinkel, stand er etwas steif auf, als die U-Bahn einlief. Er bewegte sich links von der Touristengruppe auf eine der sich automatisch öffnenden Türen zu. Ich hielt Entfernung.
Plötzlich ertönte der Schlachtruf: »Da drüben links ist noch ein ganzes Abteil frei!«, und die alten Leute stürmten vorwärts. Während die Ersten noch am Punk vorbeischossen, rempelten ihn die nachfolgenden Alten in völlig übertriebener Hast an, und er fand sich plötzlich in einem sich vorwärtsdrängenden und schiebenden Pulk, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als sich an der rechten Türhälfte festzuhalten. Sein tätowierter Arm suchte nach einem Halt. Ich hielt den Atem an, erwartete, dass er gleich um sich schlagen – oder gar ein Messer zücken – würde. Nichts von alledem geschah. Er trat schließlich sogar noch einen Schritt zurück, aber sein Blick funkelte böse, als die Letzten an ihm vorbeieilten. Auch ich hatte beabsichtigt, in das leere Abteil zu steigen, hielt mich aber jetzt in gebührender Entfernung vom Geschehen, das ich, dies muss ich zugeben, nicht ohne Interesse beobachtete.
Völlig unerwartet schlossen sich die Türen; die Bahn rollte an und kam auf Geschwindigkeit. Der Punk lief wütend ein paar Schritte nebenher, schlug mit der Faust auf die Scheibe; die Fremdenführerin konnte nur noch wild gestikulieren und wurde von keinem der Gruppe richtig wahrgenommen und ich fürchtete nun die Wut des Punks, blickte verunsichert von einem zum anderen. Der Bahnsteig war leer. Wir drei waren allein. Ich orientierte mich Richtung Ausgang in gewisser Erwartung der Unannehmlichkeiten. Die Fremdenführerin blickte hilflos und verstört und schüttelte unentwegt den Kopf. Der Punk ging schweren Schrittes zurück zu den Sitzen und streckte die Beine wieder von sich. Keiner stellt sich vor, wie lang die Zeit bis zur nächsten Bahnankunft werden kann. Es knisterte eine Spannung zwischen uns dreien, die nur von den elektronischen Geräuschen der Videomattscheibe übertönt wurde. Dann lief sie ein, die nächste Bahn. Wir drei waren die Einzigen, die zusteigen würden. Ich ging auf die Fremdenführerin zu, wollte ihr für den Fall, dass der Punk aufdringlich oder handgreiflich werden würde, beistehen. Als wir auf die Automatiktüren zu eilten, kam der Punk direkt auf uns zugelaufen. Seine Stiefel knallten auf dem Betonboden und quietschten auf den Gummibelag des Bahnsteigs. Entsetzt drehten wir uns um, als er uns erreichte. Ein breites Lächeln huschte über sein Gesicht, als er uns zurief: »Da drüben links ist noch ein ganzes Abteil frei!«
1 – Das »Bonner Loch« nennen die Bonner umgangssprachlich jenen Bereich, der vor dem Hauptbahnhof über die Treppen in die Gänge, die unter der Straße vor dem Bahnhof hindurch, an Geschäften vorbei, weiter bis zu den Kartenautomaten, Schließfächern und Gleisaufgängen sowie den U-Bahn-Schächten führen. Der Bereich ist 2019/2020 umgebaut und neu gestaltet worden. Die Geschichte spielt in den Achtzigerjahren.
John’s House stand auf der schmiedeeisernen Toreinfahrt zu lesen und auf der Holztafel, die in Deckenhöhe unter dem mächtigen Balken über dem Esstisch im Wohnzimmer angenagelt war. Der Reisende fand das Haus verlassen; vor über einem Monat waren die letzten Gäste abgezogen. Fast unberührt schien John schon vor Jahren seine grauen Bruchsteinspuren an den Wänden, auf dem Boden und am Torfhaus hinterlassen zu haben. Ein verlassenes Haus, das man an einem Abend betritt, ist kalt, trotz seiner steinernen Haut feucht vom nahen Atlantik und ohne den Pulsschlag warmer Vertrautheit.
Wie gern hätte der Reisende John am Torffeuer begrüßt, ihm den Weg zum Torfhaus mit dem roten zerbeulten Blecheimer abgenommen, die langen braunschwarzen Torfstücke zum Trocknen neben dem Kamin aufgeschichtet, um damit am Morgen vor dem Frühstück wieder anheizen zu können. Wie gern hätte er es ihm abgenommen, spät nachts bei einem Glas Guinness, einem Schluck Paddys neue Torfbrocken ins Feuer zu werfen, ein paar Holzstücke für die Nacht dazuzulegen, die er tags zuvor beim Spaziergang am Strand aufgelesen und zum Trocknen geschichtet hätte. Der malzige Geschmack auf dem Gaumen würde die Worte in der fremden ungeübten Sprache wie von selbst in tiefen, kehligen Lauten von den Lippen sprudeln lassen. Gemeinsam hätten sie neben dem ungeöffneten Rucksack gesessen, hätten den züngelnden Flammen zugeschaut, wie sie die Zeit zwischen sechs Uhr nachmittags und Mitternacht verzehrten und miteinander gesprochen, so wie zu Hause nur Menschen sprechen, die eng befreundet oder zumindest einander sehr vertraut sind. Draußen hätte noch der letzte helle Schein über der Bucht gelegen, der den Blick auf die fernnahen grüngrauen zerklüfteten Hügel jenseits der Bucht von Caherdaniel geleitet hätte. Und ein blaufloriger Tag, der regenschwer in Dublin begann, wäre mit dem Gefühl zu Ende gegangen, angekommen zu sein.
Doch so sehr auch allen im Ort Johns Name geläufig schien, blieb das Bruchsteinhaus mit dem schmiedeeisernen Tor und Johns Tafel im Wohnzimmer verlassen, kalt und feucht, wie zu viele schöne Häuser, zu viele schöne Felder in diesem Land between two showers.
Torfrauch breitete sich von den schlecht ziehenden Kaminen zu beiden Seiten des Hauses in den Räumen aus und zog nur zögernd durch die schwarzen Höhlungen nach oben ab. Der Reisende schlang die Regenjacke fester um seinen Körper, fuhr mit den Fingern an den Buchrücken auf dem Regal entlang, blätterte im Gästebuch. Seine Gedanken wanderten zu John, über dessen Leben hier er nichts wusste. Endlich leckten die Flammen am Torf hoch, und er fand ein paar Münzen für den elektrischen Strom. Der tägliche Regen kam erst spät und nur behutsam fächelte der Wind feine Tropfen vor die Scheiben. Die klammen Finger über der Flamme, die helle, federleichte Asche hinterließ. Asche, die die schwere Arbeit des Torfstechens fast unglaubhaft machte.
Stille ringsum im sanduhrförmigen Gleichschritt, das nächste Haus eine Viertelstunde Fußweg entfernt, blieben die Gedanken bei John haften, der diese Steine aufgeschichtet, die Bäume ringsum gepflanzt, hier ganz sicher Schafe geschoren und Kühe gemolken hatte. Vielleicht lagen unten am Strand noch die Reste seines kleinen Bootes, rot oder blau gestrichen, mit dem er auf Fischfang gegangen war. Doch keine falsche Hoffnung auf den Fund am nächsten Tag, der raue, salzige Meerwind verwischte Spuren schneller als anderswo.
Die Nacht breitete sich aus, und fröstelnd kauerte der Reisende in zwei etwas steifen karierten irischen Wolldecken. Zum Heulen des Windes, der mit Macht durch die Bucht jagte, kamen die Bilder einer vergangenen Zeit.
Der kleine Junge im Donnegal-Tweed, seinem einzigen Jackett, stand ehrfürchtig neben dem Kiefernsarg. Mit den Fingern seiner rechten Hand berührte er behutsam die Lippen des aufgebahrten Mannes. Er kniete nieder neben dem Tisch für die Nachtwache, bekreuzigte sich und strich dann über das struppige, graue Haar des Toten. Vor der wachsbleichen, kalten Wange schreckten die Finger zögernd zurück und falteten sich wieder in stummer Verzweiflung zum Gebet.
»Warum musstest du sterben?«
Das Torffeuer war heruntergebrannt, der Wasserkessel über der Feuerstelle leer.
»Du darfst nicht tot sein, Vater. Allein schaffe ich es nicht …«, flüsterte er. »Was soll ich ohne dich machen?«
Der Wind, der ums Haus heulte, und der Regen, der gegen die Scheiben prasselte, malten immer neue Schreckensbilder in seinen Gedanken. Resigniert und ängstlich rieb er seine Schulter am rauen Holz des Sarges. Mit einem tief ergebenen Seufzer begann der Junge seine einsame Nachtwache. Dünne Wachskerzen warfen ein flackerndes, unwirkliches Licht auf die grauen Bruchsteinmauern und zeichneten bewegte Schattenwesen auf die niedrige Holzdecke. Der Blick des Jungen folgte ihnen in stummer Verzweiflung. Er stellte sich vor, dass dies die Seelen seiner Großeltern und seiner Mutter wären, die seinen Vater auf diesen schweren Gang aus dem Haus begleiten würden. Der Wind rüttelte jetzt an den Schornsteinaufsätzen auf dem Dach.
»Gestern Nacht hallte der Ruf der Todesfee über die Bucht«, flüsterte der Junge dem Toten zu, »die Banshee kam ganz nah vor unser Haus, du kennst ja ihre Art, ihr schneeweißes Gewand in tiefschwarzen Nächten. Sie kreischte und heulte, und ich verkroch mich unter meinen Decken. Aber warum musstest du sterben? Du warst so stark, deine Hand hielt meine noch wie im Schraubstock, als der Arzt sagte, du seiest tot. Du warst so groß und stark, Vater.« Der Junge griff nach der Hand des Vaters.
»Wenn du nicht so kalt wärest. Alles ist so kalt und fremd ohne dich.« Der Junge zog sein Jackett aus und breitete es vorsichtig über den Oberkörper seines Vaters. Er kauerte sich zusammen, blickte stumpf vor sich auf den Boden und bemerkte schließlich noch nicht einmal, dass die letzten Kerzenreste herunterbrannten.
Am nächsten Tag trugen sie Johns Sarg bei strahlendem Sonnenschein nach Abbey Island zu Grabe. Die kleine Schar der Dorfbewohner stand dicht gedrängt im Schutz der Klosterruine. Die Stimme des Pfarrers hatte Mühe, das Aufbrausen der Brandung vor der hereinbrechenden Flut zu übertönen.
»Du weißt, dass du die Farm nicht allein bewirtschaften kannst?« Er nickte stumm und fügte sich in das Unvermeidliche. »Du solltest zu deinem Onkel O’Leary nach Glasgow, wo du eine Lehre machen kannst.«
»It should be worse. Es hätte schlimmer kommen können«, murmelte der Vierzehnjährige gedankenverloren und wischte mit dem Hemdrücken den Rotz von der Nase. Essen wollte er nichts, und die Erinnerung an das Bruchsteinhaus seiner Jugend, in dem er sein Jackett an der Stuhllehne gelassen hatte, begann angesichts einer ungewissen Zukunft schon zu verblassen. Dumpf klang es in ihm: Natürlich kann ich den Hof nicht bewirtschaften, er hat sich doch schon vorher nicht mehr getragen …
»Wenn du nichts essen willst, trink wenigstens einen Tee. Du weißt doch, jeder Ire, der in die Fremde zieht, muss weinen, damit er wieder zurückkommt. Da brauchst du Flüssigkeit. Du willst doch zurückkommen?«
Der Junge nickte, wärmte seine Finger an der bauchigen Tasse und nahm ein paar große Schlucke.
»Du versprichst mir, dass das Haus nicht vor die Hunde geht?«
»Mistress Watson wird es als Ferienhaus herrichten.« Sie schaute dem Jungen nachdenklich zu, wie er seine Schlägermütze vom Haken nahm, seinen Pappkarton mit den wenigen Habseligkeiten unter den Arm klemmte.
Dann flossen die Tränen wirklich, als er sich vor dem wartenden Bus von seiner Tante und seinen Freunden verabschiedete. Schließlich hupte der Busfahrer, der schon viele junge Leute auf diesem ersten Stück eines ungewissen Weges gefahren hatte. Der Zug würde auf den Jungen nicht warten, ebenso wie in der Fremde kein Bus mehr auf ihn warten würde. Damit müsste der Junge zurechtkommen. Lange noch winkte der Junge in die felsige Einöde, die seine Heimat war, und Bäche von Tränen flossen ihm übers Gesicht. Ganz sicher würde er wiederkommen!
Die Bahnhöfe sammelten sie, all die jungen Auswanderer mit Pappkartons und billigen Rucksäcken, die ihr Land verlassen mussten. Der Junge sah schon in Gedanken, wie das Dach über dem verlassenen Steinhaus einstürzen würde, wie Vögel in den Zimmern nisten und kreischende Möwen vom Hafen her ihre Muschel- und Kotspuren über die Diele tragen würden. Und immer wieder sah er Johns Leichnam, wie er aufgebahrt im blassen Schein der Wachskerzen nachts dort an seiner Seite gelegen hatte. Der Zug fuhr ihn nach Dublin, und er schaute kaum aus dem Fenster, obwohl er noch nie so weit gereist war.
Am nächsten Morgen schien die Sonne warm durch die kleinen Scheiben des Schlafzimmers. Der Reisende blinzelte überrascht nach so finsteren Träumen in den neuen Tag. Am Fenster fand er zwei Blätter, die wie schwarz verwelkt wirkten. Als sein Schatten darauf fiel, öffneten sich die Flügel und erstaunt betrachtete er die frischen rötlichen Farben des Fuchsschwanzes. Dann bemerkte er auch das unruhige Flattern von Schmetterlingsflügeln vor dem anderen Fenster. Außer den gelben Ginsterblüten gestern unten am Wegrand waren dies die stärksten Farben seit langer Zeit. Eine verschwenderische Pracht …, Schmetterlinge in dieser felsigen Gegend, zu dieser unwirtlichen Jahreszeit, in den ersten Sonnenstrahlen des hereinbrechenden Frühlings. Dieser letzte, höchste, festlichste und zugleich lebenswichtigste Zustand dieser Geschöpfe schien ihm ein Sinnbild für die eigene Vergänglichkeit.
Die Fenster in diesem Zimmer waren nicht zu öffnen. Die Schmetterlinge mussten in der warmen Sonne aus den Bruchsteinen geschlüpft sein. Vorsichtig fing er sie in einem Glas und setzte sie in der Sonne auf der Pferdekoppel aus. Er sah ihnen nach und nahm ihr Erscheinen als gutes Zeichen.
Seine Tagesration packte er in den ledernen Rucksack. Entschlossen zu neuen Begegnungen machte er sich auf den Weg, die Bucht, Anne’s Bay, entlang, zum Ort Caherdaniel.
Das waren die Ereignisse im Schmetterlingshaus vom 14. auf den 15. April 1992.
Später dann, kurz vor seiner Abreise, lernte er John tatsächlich kennen. Aber das ist eine andere Geschichte, die damit begann, dass eine Frau den streng riechenden Schafhirten im einzigen Laden am Ort um Arbeit für ihren Mann bat, der seit Wochen ohne Job betrunken in der Küche sitzen würde. Zwei Kinder sprangen um sie herum, als der Schäfer ihr zusagte, wegen eines Jobs vorbeizuschauen und sie sich mit »I’m so happy, thank you, you can’t believe«, von ihm verabschiedete und an der Theke anschreiben ließ …
»Ein Mensch wie Sie hat es gut, wissen Sie das?« In seiner Stimme schwang ein Vorwurf mit. »Jeden Tag auf den Weg zur Arbeit, des Morgens in der Dunkelheit in überfüllten Vorortzügen, abends mit der Last der unerledigten Aufgaben müde zurückkehren. Sie schreiben? Ist das Arbeit? Wann schreiben Sie denn tatsächlich?«
Er hasste es, sich rechtfertigen zu müssen. Doch nichts fürchtete er mehr, als die Stille, wenn er allein vor seinem Schreibtisch hockte und die Nachbarn zur Arbeit gefahren waren. Er stellte sich den Wecker, um noch am frühen Morgen ein paar tröstliche Worte zu wechseln. Und jetzt das! Schon bereute er es, derart zeitig vor die Tür getreten zu sein. Er versuchte, freundlich zu antworten. »Neulich«, sagte sein Gegenüber, neulich habe er ihn schon am frühen Morgen im Garten flanieren und träumen gesehen.
»Auch das gehört zum Schreiben«, antwortete er kleinlaut und schämte sich für den Eindruck, den dies erwecken würde. Noch mordete er nicht, noch rann kein Blut über seine Manuskriptseiten. Entschlossen, seiner Antwort Nachdruck zu verleihen, ging er wieder ins Haus, sein langes, scharfes Küchenmesser zu holen. Sein Blick auf die Wanduhr, er notierte im Kalender: Arbeitsbeginn 6:30 Uhr.
Als er mit dem Messer in der Faust wieder vor die Haustür trat, waren die Nachbarn längst flüchtig. So würde das nie etwas mit dem Genrewechsel ins blutige Fach. Er eilte in sein Arbeitszimmer, las Hemingway und dachte dabei an überfüllte Vorortzüge. Das wenigstens würde seinen Stil schulen und ihn beruhigen.
Sein Mitbewohner, der pockennarbige Koslowski, die Hauptperson in seinem historischen Räuberroman, stand verlottert und verlaust im Türrahmen des Arbeitszimmers und grinste breit: »Na, Herr Schriftsteller, bei der Arbeit? Letzte Nacht, ein wildes Gelage und der Brand auf einem Hof. Dass er mir nicht zu blutleer wird, der Herr Stubenhocker mit den tintigen Fingern!« Dieser Mensch hob drohend den Zeigefinger und lud ihn ein, das frische Diebesgut im Keller zu besichtigen.
»Warte nur, mein Lieber, bis es Abend wird!«, drohte ihm der Schriftsteller zurück. »Spätestens zwischen 19:00 und 22:00 Uhr jage ich dich mit dem Blau meiner Tinte über das Weiß des Papiers und mache dir die Räuberbraut mit ihrem tiefen Dekolleté und der schrillen Stimme abspenstig. Dann lebe ich gern wild und gefährlich, du kennst das ja!« Der Schrecken stand Koslowski nach dieser Drohung ins Gesicht geschrieben. Er versteckte sich einstweilen auf dem Dachboden.
Es wurde wieder grabesstill, der Kopf des Schriftstellers leer, und er füllte ihn mit den Buchstaben einer Morgenzeitung. Vielleicht sollte er verreisen. Eine Recherche. Diesen Teil der Arbeit liebte er, fand sich gewichtig dabei und wurde auf den verschlungenen Pfaden seiner Neugierde ernst genommen. Seufzend dachte er an die leere Geldbörse in seiner Jacke. Nein, zuerst musste er Rechnungen schreiben, sich um Termine für Lesungen bemühen. Geld musste her.
Vorwurfsvoll blickte ihn der Stapel weißer Seiten an, die es noch zu füllen galt. Blockade? Womit sollte er nur anfangen? Das Telefon klingelte. Ein Freund: »Schreibst du gerade? Sitzt du im Arbeitszimmer? Wo habe ich dich erwischt?« Der Schriftsteller erzählte von dem Nachbarn und dem Küchenmesser. Schon hörte er den wohlmeinenden Rat: »Geh mal raus. Unter Menschen, schreib in freier Wildbahn! Verkriech dich nicht an deinen Lieblingsplätzen in Haus und Garten und mache es dir nicht zu bequem. Du weißt, das bekommt deiner Sprache nicht. Raus mit dir, du faule Sau!«
Schöne Freunde hatte er! Die Faust geballt, bedankte er sich artig für diese guten Ratschläge. Wild entschlossen, bestieg er den überfüllten Vorortzug, fand keinen Sitzplatz und kritzelte fast unlesbar, halb im Stehen, halb gequetscht, zugemüllt von leeren Gesprächen und Handygeklingel, Worte, ja, sogar ganze Sätze auf das Papier seines Notizblocks. Tauchte ab, wollte sich nicht gemeinmachen mit diesen sich aufdrängenden Selbstdarstellern der Arbeit. Was ging ihn die Beziehungskrise der kleinen Dicklichen an? Warum glotzte er auf das Display, das einen nackten Unterleib der Wochenenderoberung feilbot? Wie auf einem Hexenbesen raste sein Füller durch eine ferne Gegend und wärmte sich an einer wahren Liebe. Na, geht doch! Wäre doch gelacht, wenn nicht noch eine überlaute Gaststätte irgendwo? Seine Konzentration rebellierte, er schwitzte und kämpfte, die Seiten füllten sich. Am Abend hockte er vor dem Computer, verzweifelt bemüht, aus der unleserlichen Schrift und den ungeschliffenen Formulierungen, den Zusammenhang zu erschaffen, der ihm eines Tages zu Reichtum verhelfen könnte.
»Wie kannst du nur den Überblick behalten? Dieses Chaos, du verzettelt dich!« Neulich hatte ihm seine Frau einen Ratgeber geschenkt: »Simplify your life«. Er hatte ihn gelesen und sogar damit begonnen, aufzuräumen, einen riesigen Stapel von Büchern auszusortieren und sich von einer Unzahl von Projekten zu verabschieden. Sie meinte es wirklich gut mit ihm!
Doch kaum kehrte sie ihm den schönen Rücken, tauchte dieser pockennarbige Koslowski mit seiner ganzen Karbousche, diesem ganzen verlotterten und lärmenden Gesindel auf und scherte sich einen Teufel um jede göttliche Ordnung. Wie sollte der Schriftsteller da nur den Überblick bewahren? Aus purer Verzweiflung erwuchs ihm die Kraft, dem Chaos zu widerstehen, einen Schlusspunkt unter die Erzählung zu setzen und sich von diesen lästigen Mitbewohnern zu trennen.
Doch schon am nächsten Morgen saß irgendein neuer zwielichtiger Geselle mit am Frühstückstisch, und seine Frau wollte nicht glauben, dass er diesen Burschen wieder in seinem Arbeitszimmer schlafen ließe.
Der Schriftsteller beeilte sich. Hastig holte er Straßen- und Landschaftskarten aus den entlegensten Winkeln seines Arbeitszimmers hervor, breitete diese auf diversen Tischen aus und beugte sich mit seinem neuen Gast darüber, um mehr von dessen Herkunft und dessen Schicksal zu erfahren. Im Internet fand er alte Bilder, und der neue, ungebetene Gast begann zu erzählen, von Hungerzeiten und Kindertagen, Kriegsnächten, wilden Liebschaften und langen Wegen über das Eis der Berge und durch die sandigen Ebenen des Nordens und Südens. Ja, das wäre eine Geschichte! Überglücklich hing der Schriftsteller dem Fremden an den Lippen. Auf großen Blättern versuchte er, mit wenigen Strichen die Zeitabläufe, Ereignisse, Wege und flüchtige Gedanken festzuhalten. Wie ein Ertrinkender bei Sturm auf hoher See entstanden seine Skizzen.
Der Nachbar klingelte und hinterließ eine Nachricht, als der Schriftsteller nicht öffnete. Er müsse eine Rede halten und ihm fehlten die Worte, stand auf einem Zettel. Schriftsteller kritzelte verärgert auf das Papier, er möge in den Garten gehen und träumen, faltete dieses zu einem Papierflugzeug und warf es aus dem Fenster seines Arbeitszimmers im ersten Stock Richtung Nachbargrundstück, wo es sanft bis zur Terrasse segelte.
Ob er bitte heute Abend den Müll …? »Die gelbe Tonne, diese Woche!«, rief ihm seine Frau zu, als sie das Haus verließ, nicht ohne den Fremden erneut misstrauisch anzuschauen.
»Welcher Müll?«
»Unrat, Pestilenz«, antwortete der Fremde, »Ratten, riesenhafte Viecher, die dir den letzten Bissen Brot streitig machen und dir die Ohren abbeißen, sobald du dich zum Schlafen legst.« Das Grausen ließ ihn frösteln. Er griff zum Äußersten, zum Füller, richtete die Spitze, entschlossen, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, auf die riesige Fläche des ungelebten Lebensblattes …, nicht jedoch, ohne zuvor doch …, einen Blick auf den Computerbildschirm …
Eine Kollegin versendet per E-Mail einen Fragebogen zur Arbeit und zum Leben des Schriftstellers. Die Fragen erreichen ihn noch, bevor er dem Fremden in sein finsteres Verlies folgt und an den Ketten der Autorenknechtschaft zerrt und rasselt. Wer kann in solch verzweifelter Lage am Computer hängen und Fragen beantworten? Warum und wozu? Die Freiheit will ans Licht und der Schriftsteller in die freie Wildbahn!
Ist der Fragebogen wirklich für ihn bestimmt gewesen, ein Licht in grausamer Finsternis? Die Kollegin fragt nach der schreibenden Einsamkeit. Den Schriftsteller dürstet, sein Hungerwolf, der kollert und schreit. Einsamkeit … schreit … Wieder ein Reim! Angewidert trollt sich der Fremde in eine Ecke und rollt sich in eine Decke, um am helllichten Tag gottserbärmlich zu schnarchen.
»Schreibe ich, arbeite ich, bin ich Schriftsteller?«, fragt der Schriftsteller ängstlich seinen Agenten, der ganz gut von der Hoffnung lebt, dass der Schriftsteller in freier Wildbahn, sich wild und gefährlich seinem frühen Dahinscheiden zu widersetzen versteht. Lebt … versteht … Schon wieder ein Reim …
Das mit dem Fragebogen zum Schriftstellerleben lässt er wohl besser sein, denkt er sich still und grinst gemein. Also schreibt er ihr: Frei bin ich nur auf dem Papier! Daher schreibe ich von aller Herrgottsfrüh bis nachts um vier, mehr sag ich nicht und hoffe, du verzeihst auch mir.
2 – Eine Fragebogengeschichte für die Schriftstellerkollegin Petra Reategui, Köln.
Landgericht Hagen, Raum 168, eine Strafgerichtssache. Zuletzt betritt Peter Ebeling den Gerichtssaal. Ein Mann, Ende fünfzig, beleibt, sein Pullover ist zu bunt. Wie ein rechtschaffener Mensch setzt er sich neben seinen Verteidiger. Doch seine Augen unruhig, wie die einer Maus, die die Katze in der Nähe weiß. Die Angaben zur Person bergen keine Überraschungen. Ebeling organisiert Handwerker, hilft bei Arztbesuchen. Kinder und Haustiere der Nachbarschaft umsorgt er, als gehörten sie zu seiner Familie. Er ist geschieden, lebt allein. Er ist die Mensch gewordene Unauffälligkeit.
Und doch: Am 10. Dezember 1998 spricht er auf den Anrufbeantworter von Charlotte Fuchs. »Die Ratte ist in die Falle gegangen!« Diese Ratte war Heinrich Fuchs, und die Falle ist einmal Ebelings Haus in Gera gewesen.
Er sagt, man könne ruhig mit seinem Geständnis beginnen.
Ebeling schläft schlecht, seit er auf Fuchs getroffen ist. Fuchs, mit Charlotte verheiratet … Ebeling legt sich ins Bett, sackt weg. Dann schlägt er die Augen auf. Die Welt ist still. Die Welt sollte sich empören. Ebeling ist munter und stellt Fragen. Er durchsucht das Dunkel nach Antworten. Findet keine. Das regt ihn auf. Er läuft umher, bis es hell wird.
Er hätte mehr aus sich machen können, kennt den Schmutz seiner Kunden. Er ist beliebt. Manche schämen sich, dass sie ihn den Dreck wegmachen lassen. Vor allem, weil er ein Mann ist.
Auf Schicksalsschläge kann man sich verlassen. Eine Arztpraxis in Hagen bestellt einen Reinigungsdienst. Man hat in den großzügigen Räumen der Praxis und im Garten das dreißigjährige Praxisjubiläum gefeiert. Die Praxis läuft gut, die Feier ging bis in die Nachtstunden. Es war viel Dreck angefallen. »Klinisch sauber und binnen Tagesfrist«, fordert die Vorzimmerdame des Jubilars und stellt eine Prämie in Aussicht.
Ebeling steht wie vom Donner gerührt vor der Fotografie, die Fuchs mit seiner Familie auf Korsika zeigt. Er ist ein Profi, der eine Dienstleistung erbringt. Fuchs wartet am nächsten Tag nach der Sprechstunde. Der Jubilar protzt und spielt alte Jazzplatten. »Weißt du noch, damals?«, sagt Fuchs zu ihm. »Und?«, will der Richter wissen. »Ich habe ihm geantwortet: Ich liebe Jazz. Besonders wegen der Kuhglocken und der Autohupen.« Fuchs steckt ihm die Prämie in Form von Geldscheinen in die Jackentasche. Ebeling soll auch weiterhin die Praxis reinigen.
Die Sache mit der Schlaflosigkeit wird schlimmer. Das liegt an dem Schmutz. Nicht am Schmutz in der Praxis oder in der Wohnung von Fuchs, die tabu ist. Auch sorgt Fuchs dafür, dass er keinen Kontakt zu Charlotte bekommt. Aber Ebeling hört, dass Fuchs gewalttätig sein soll. Er macht sich Gedanken.
Gern wäre Ebeling Arzt geworden. Fuchs hat eine gut gehende Praxis. Er nimmt sich Zeit. Zwanzig Minuten für jeden Patienten. Fuchs lacht über seine Patienten: »Ich höre selten länger als drei Minuten zu. Die meisten sterben gesund.« Sein Zauberstab ist das Stethoskop. »Tief einatmen«, sagt er, »langsam ausatmen.« Er hört nicht richtig hin. »Das Herz, der Maschinenraum des Menschen, pumpt. Was soll es auch sonst tun? Der Kurs wird woanders gesetzt. Im Kopf, zumeist. Dafür bin ich nicht zuständig. Oder im Bauch. Da gibt es Organe, die verursachen Geräusche. Ein Bauch, der bläht und blubbert, eine Leber, die um einen Ruhetag fleht.« Fuchs steht am Fenster, schaut einem Patienten nach und räsoniert über dessen zu harte Leber, die einem fest aufgepumpten Reifen gleiche. »Ein kleiner Druck, das Ding platzt. Das kann so einer schön zu Hause machen, so mitten in der Nacht, im eigenen Bett.«
Fuchs verspürt keine Lust, Körperteile in Augenschein zu nehmen, die nie das Licht der Sonne zu sehen bekämen. Zwischen Hautfalten herumzustochern, die zu warm und zu feucht Bakterien ein leichtes Spiel bieten würden … Er denkt lieber daran, wie sein Segelboot hohe Wellen zerschneidet.
Dass zwischen ihr und Ebeling sei lange her. Charlotte Fuchs erzählt ihre Geschichte ohne Gefühl in der Stimme und blickt ihn auf der Anklagebank nicht an. Ebeling rechnet: Vor fünfunddreißig Jahren wurden sie ein Liebespaar, seit zehn Jahren ist er im Westen, vor fünf Jahren die Selbstständigkeit mit seinem Reinigungsunternehmen – lauter Jubiläen, lauter Anlässe zu feiern! Aber Ebeling feiert keine Jubiläen, er schweigt.
Sie bestätigt die Gewalttätigkeit von Fuchs. Ein Psychiater bezeichnet sie später als eine geschundene Kreatur, zeichnet das Bild einer traumatisierten, über Jahre gequälten Frau.
Viele Menschen schlafen schlecht. Doch seit Ebeling nicht nur mit dem Schmutz aus der Praxis, sondern auch mit dem Schmutz aus Fuchs’ Leben fertig werden muss, ist die nächtliche Welt zu einer dröhnenden Stille geworden. Er weiß, er kann nicht länger so tun, als ob diese, seine Lebensreise ewig so weiterginge. Die Jahre und Gedenktage holen ihn ein. Irgendjemand muss den Schmutz nach diesen Jubiläen doch beseitigen …
Das leer stehende Haus der Großeltern erkennt Ebeling mühelos wieder. Die Fenster nur leere Augenhöhlen, weiter oben, Lücken im Dach. Er schleicht zum Kellereingang, der mit Brettern vernagelt ist. Mit wilder Entschlossenheit tritt er gegen das Bretterkreuz vor der Tür, das krachend zerbricht und zu Boden fällt. Ein Schlüssel – nach all den Jahren! Der passt tatsächlich! Ebeling lacht. Aber er muss gegen das Eisen der Tür drücken. Ein modriger Gestank verschlägt ihm fast den Atem. Der gelbbraune Putz von Feuchtigkeit verblichen, die Wände mit Schimmelpilz überzogen. Im ersten Stock geht er in der Wohnung umher. Dort hat der Herd gestanden. Da der Esstisch mit der roten Lampe darüber, hier das Kräuterteeregal. Im Wohnzimmerboden ein Loch, das bis ins Erdgeschoss reicht. Ebeling wagt sich auf den Balkon zur Gartenseite, kauert sich an die Wand, packt Brote aus.
Sie hatten ihn damals in der Mangel gehabt, als er nachts aus der Kneipe gekommen war. Hatten richtig Druck gemacht. Er hatte sich gewünscht, wenigstens nüchtern zu sein, um sich seine Worte besser zurechtlegen zu können. Außerdem hätte ihn nüchtern das Licht, das ihm so grell ins Gesicht schien, nicht so sehr in den Augen geschmerzt. Ihre Art machte ihm klar, dass er ihnen ausgeliefert war.
Gegen Morgen brannten seine Augen immer noch, als er ihre Schulter berührte. Neben dem Bett hatte er gestanden, mit dem Rücken zu dem kleinen Balkon, auf dem er jetzt sitzt. »Charlotte«, sagte er leise, »ich habe Mist gebaut.« Erschreckt setzte sich Charlotte im Bett auf. »Da muss so ein Schwein am Tresen gehockt haben. Die haben schon vor der Kneipe auf mich gewartet.« Er zitterte am ganzen Körper. Sie brachte ihn dazu, ein heißes Bad zu nehmen, saß am Wannenrand, blickte in sein blasses Gesicht.
»Am besten gehst du heute noch zum Heinrich. Der ist in der Partei.« Vor dem Haus wurde er von zwei Herren in Zivil erwartet. Man breitete ihm sein Privatleben, seine lockeren Redensarten und seine Fluchtgedanken aus. Er wurde bleich vor Schreck und wusste jetzt, was Fuchs trieb. Das Vernehmungsprotokoll unterschrieb er nicht. Man sperrte ihn weg; Charlotte erhielt keine Nachricht. Später erfuhr er, dass Fuchs ihr den Westen nahegelegt hatte.
Ebeling sieht ihn vom Fenster im ersten Stock, rauchend auf der Straße stehen. Eine schwarze Lederjacke, wie damals. Absurd! Hätte nicht zu kommen brauchen. Ebeling steht ganz still. Fuchs schaut auf die Uhr, sucht mit seinen Blicken die Stockwerke des Hauses ab. Fuchs mit seinen Habichtaugen, Fuchs, der Spion – sein einziger Jubiläumsgast!
Ein Ziegelstein vom morschen Dach und er wäre hin gewesen. Für einen Moment lässt er sich ablenken. Plötzlich ist Fuchs wie vom Erdboden verschluckt. Ebeling hört, wie die Kellertür bewegt wird. Seine Mundhöhle, wie ausgetrocknet.
Geräusche …, Fuchs tastet die morsche Treppe herauf. Ebeling versteckt sich hinter der Tür.
»Mach kein Quatsch! Lass uns reden!« Fuchs sucht zielstrebig die Wohnung auf. Siehe da, denkt Ebeling, er hat nichts vergessen. Und: Ich werde ihn wohl umbringen, wenn er hier reinkommt. Der Gedanke drängt sich ihm eher beiläufig auf. Dann steht er mitten im Zimmer, mit dem Rücken zu ihm. Genau in dem Moment, wo Fuchs das Brotpapier auf dem Balkon entdeckt, springt Ebeling ihn von hinten an und beginnt, ihn zu würgen. Fuchs gibt dem Druck seines Angreifers überraschend nach, rast rückwärts gegen die Wand, die durchbricht. Ihm gelingt es, sich zu befreien. Keuchend stehen beide in gegenüberliegenden Ecken des Zimmers. Zwischen ihnen das große Loch im Boden.
Dann die Angst! Ebeling flüchtet aus dem Zimmer, die Treppe rauf. Ein, zwei Stufen krachen durch, der linke Fußknöchel schmerzt. Als ehemaliger Soldat erkennt er das Geräusch sofort. Fuchs entsichert seine Pistole.
Sie stehen sich wieder gegenüber. Ebeling mit dem herausgerissenen Teil eines Dielenbrettes in den Fäusten. Zehn Stufen weiter unten Fuchs mit seiner Makarov. Fuchs droht ihm, kommt die Stufen herauf, die Pistole im Anschlag. Einen Schritt noch, denkt Ebeling, dann schlägt er zu. Die Kugel splittert in den Holzbalken. Fuchs verliert den Halt und seine Waffe fällt die Stufen herunter. Ebeling hastet hinterher, schlägt ihn ins Gesicht. Wieder ringen die Männer miteinander, bis Fuchs die Treppe hinunter flüchtet. Ebeling greift zu der Waffe, zögert kurz, zielt und drückt ab, als er Fuchs durch die Lücke in dem Boden ins Visier bekommt. Der Schuss trifft den verhassten ›Freund‹ in die Brust. ›Maschinenschaden‹, denkt Ebeling.
Er tritt ans Fenster. Unten auf der Straße erkennt er seinen Sohn, der bei seiner Geschiedenen lebt. Mit ihm hat er nicht gerechnet! Nicht mit ihm! An seiner Seite eine junge Frau. Ebeling rennt die Treppe hinunter. Der Junge soll verschwinden!
Sein Versuch, sich zu beherrschen, als sich die junge Frau als die Tochter von Fuchs vorstellt, gelingt ihm nur schwer. Sie fragt, ob ihr Vater im Haus sei.
»Will er sich das Haus unter den Nagel reißen?«
»Mein Vater?«, die junge Frau lacht. »Der würde das kaum verstehen, was ich an dem Haus finde.«
»Wir ziehen im Garten Gemüse«, ergänzt sein Sohn.
»Gemüse, verstehe. Ich fahre mit deinem Vater wieder zurück. Er hat morgen Sprechstunde.«
Die Art, wie sich die beiden anschauen, erinnert Ebeling an Charlotte. Aber er verbietet es sich, darüber nachzudenken. Er schafft die Leiche von Fuchs in dessen Praxis, wo sie am nächsten Morgen zur Sprechstunde im Arztkittel am Schreibtisch vorgefunden wird. In der Post findet man auf einer Karte: »Dr. Fuchs – der Arzt Ihres Vertrauens, Einladung zum Jubiläum« die Absage Ebelings: »Wegen Trauerfall verhindert.« Die Praxisräume sollen so sauber gewesen sein, dass man vom Fußboden hätte essen können, bestätigt die Spurensicherung. Ein Journalist befindet, der Tod des Hausarztes Doktor Heinrich Fuchs sei eine saubere Sache gewesen.
Endlich Feierabend, endlich zu Hause. Die schwere Einkaufstüte landet mit Schwung auf dem Küchentisch. Zu viel Schwung. Zwei Äpfel, ein Becher Joghurt und eine Salami fallen heraus. Das Handy klingelt – typisch! – gerade jetzt. Aha, ein anonymer Anrufer. Kurze Zeit später eine SMS. Auf dem Display steht: »Ich bedaure, dass ich es Ihnen nicht persönlich, wenigstens am Telefon mitteilen konnte. Ihre Tante Elsa Schmitz ist heute Nacht verstorben.« Dann noch eine Kontakttelefonnummer und die Auskunft, dass man sie bis zum Nachmittag in einem Sterbezimmer aufgebahrt habe. Ich denke nur, dass es so Tage gibt, an denen man einfach im Bett liegen bleiben sollte …
Elsa war am Montag nach dem ersten Advent wegen einer Gallen-OP eingeliefert worden und bis dahin eine fidele alte Dame gewesen. Ich wähle die Kontaktnummer, in der schwachen Hoffnung, dass es sich um eine Verwechselung handeln könnte, denn der OP-Termin stand erst für heute Nachmittag an. Doch man versichert mir mit gedämpfter Stimmlage, dass der Herzinfarkt wirklich nicht vorhersehbar gewesen sei. Nicht das geringste Anzeichen …
Und hast du nicht gesehen, schon gibt man über Nacht eine schöne Leiche mit einer diätisch gepflegten, altersgemäß gereiften Gallenblase und ein paar Steinchen als stumme Zeugen besserer Tage und üppigeren Lebens ab. Ich hatte Elsa am Tag zuvor noch durch die Aufnahmeprozedur bis ins Krankenzimmer begleitet und mich anschließend rasch verdrückt, denn ihr Redefluss trat verlässlich über die Ufer, und ich wollte nicht ertrinken. Beim Abschied hatte sie wissend geblickt, wie dies so alte Damen mit Hang zu Dramen manchmal zu tun pflegen. Ich sei ein guter Junge, bekäme mal alles, hatte sie gesagt. Und jetzt sitze ich da, das Telefon noch in der Hand: Jahresabschluss, shoppen, feiern, schreiben und Elsas Hinterlassenschaft.
Ich bin nicht gut in solchen Sachen, will sagen, eigentlich gab es immer jemand anderen, der so etwas erledigte, und ich hatte Wichtigeres zu tun. Schreiben zum Beispiel und das Telefon hüten, denn ich erwarte den Nobelpreis stündlich.
Ich lasse die üblichen Unannehmlichkeiten, die bei solchen Anlässen anfallen, einmal beiseite und komme zum Kern der Geschichte. Elsa hatte für das Jenseits Vorkehrungen getroffen. Papiere geordnet, Geld war vorhanden und sogar letzte Wünsche schriftlich vermerkt. Trotzdem muss ich betroffen ausgesehen haben, denn Sabine, die aushilfsweise in meiner Lieblingsteestube am Bonner Marktplatz kellnert, bietet mir besorgt ihre Hilfe an. Überrascht registriere ich, dass sie wirklich gut aussieht, und akzeptiere erleichtert, das schwere Schicksal nicht mehr allein stemmen zu müssen. Wir wollen uns treffen, sobald klar ist, wann die Beerdigung ansteht und was mit Elsas Wohnung und Sachen wird. Irgendwann halte ich tatsächlich ein Schriftstück in den Händen, das mich zum Alleinerben einsetzt. Bedingung: »… wenn ich ihre Sammlungen in Ehren halte.« Für den Fall eines Verstoßes hat Elsa den Bonner Tierschutzverein als Alleinerbe benannt.
Elsas Wohnung, kein Cottage in einer malerischen Bucht in Cornwall, sondern drei Zimmer, Küche, Diele, Bad, zweiter Stock, ohne Aufzug, mit unverbaubarem Blick auf die Bahngleise, zirka achthundert Meter vor dem Bonner Hauptbahnhof. Bemüht versuche ich, locker zu scherzen, denn auch ohne einen Blick in ihr Gesicht weiß ich, dass sich Sabine etwas anderes unter einer Erbschaft vorgestellt hat. Unsere Neugierde, die sprichwörtliche Triebfeder menschlichen Entdeckungsdrangs, ist schnell befriedigt. Deprimierend die Wohnung, aber erwartungsgemäß gepflegt. Ein Hirsch eines Kunstmalers aus der Eifel und eine zuverlässige Schwarzwälder Kuckucksuhr sind als dominierender Wohnzimmerwandschmuck zu benennen. Die hilfreiche App eines Schwerter Bestattungsunternehmers für das Management in Todesfällen empfiehlt die Entrümpelung durch ein soziales Kaufhaus. Eine Terminvereinbarung bleibt danach ein Kinderspiel.
Aber die Krönung des Erbfalls steht mir noch bevor: das Andenkenzimmer! Als wir schließlich diese letzte Tür öffnen, suche ich instinktiv Halt an einem abgewetzten Ohrensessel, der im Raum inmitten der abenteuerlichsten Abscheulichkeiten steht. Sabine wundert sich lautstark, was die alte Dame alles quer durch die Welt bis in unser Bonner Bundesdorf geschleppt hat. Freundlich versichert mir meine Begleiterin, dass sich die gute alte Dame angesichts ihrer bescheidenen Verhältnisse sicherlich enorm bemüht hätte, die allerbesten Andenken zusammenzutragen. Mir bleibt nur ehrfurchtsvolle Verwunderung, angesichts der über Jahre und Jahrzehnte sinnlos gekauften Dinge, die aufgehäuft vor mir stehen. Wie hätte Tante Elsa in dem auf einer Afrikareise erstandenen Pygmäenlendenschurz wohl ausgesehen oder wie hätte sie sich mit der original brasilianischen Federboa gemacht? Leider würde uns dieser Anblick nun nicht mehr vergönnt sein.
»Du wusstest überhaupt nichts davon, dass deine Tante so reiselustig war?«
»Sie besaß kein Auto und dachte nicht daran, ein Taxi zu benutzen. Ihre Radtouren, eine Demonstration für die Tempo-Zehn-Zonen in der Innenstadt. Was mach ich nur?« Spontan schlägt Sabine autogenes Training vor. Ich gebe zu bedenken, das brächte die Sachen doch nicht aus dem Zimmer. Tränen stehen mir in den Augen, denn mir wird bewusst, dass ich angesichts der noch verbliebenen zehntausend Euro Barschaft nicht ein einziges dieser Andenken auf den Müll werfen kann. Ich will dieses Geld, ich brauche dieses Geld. Als Sabine schon die Fahrten zur Mülldeponie plant und die Anzahl der Fahrten berechnet, erkläre ich kühl: »Ich werde ihre Sachen in Ehren halten.«
Verrückten widerspricht man nicht! Sabine skeptisch: »Meinst du, das Haus der Geschichte interessiert sich dafür?« »Dafür war sie wohl nicht bedeutend genug«, stelle ich sachkundig fest und halte einen alten, mottenzerfressenen Mokassin hoch, um ihn im nächsten Moment wütend in eine Ecke zu schleudern. Mir fehlt eine Erbschaftsstrategie. Vielleicht auch nur der Wille, dem ideellen Wert, der sich zumeist geschickt hinter den hässlichsten Dingen versteckt, den ihm gebührenden Platz einzuräumen. Sabine betrachtet soeben einen norwegischen Kaffeewärmer und behauptet: »Also ich für meinen Teil könnte mich zum Beispiel schon hierfür erwärmen. Ich bekäme von meinen Freunden zumindest einen Preis für Originalität.«
Gäbe es nur mehr solch gutmütiger Freunde.
Mich durchfährt ein Gedankenblitz: »Denk doch mal nach! Wodurch gewinnt man Freunde? Na? Kleine Geschenke erhalten …«
»… die Freundschaft. Und du meinst, so kurz vor Weihnachten?«
Die nächsten zwei Tage verbringen wir damit, einen Großteil der Sachen mit Adressschildchen und Echtheitszertifikaten zu versehen. Die ersten, kleineren Geschenke finden so ihre überrumpelten Abnehmer am Friedhofsausgang und beim Leichenschmaus. Dann rollt unsere »Nachbarschaftshilfe« an. Es ist schon bewundernswert, welch geheime Verkaufskanone da in Sabine schlummert. Ein Talent, das bislang im Teehaus verkümmerte! Was bleibt einem in unrasiertem Zustand, notdürftig in einen Morgenmantel gehüllten Nachbarn angesichts eines Überfalls einer jungen Frau anderes übrig, als sich rasch zu fügen, um so möglichst umgehend und schamhaft die Tür wieder schließen zu können. Genau auf diese Weise bringt sie das schwierigste Stück der Sammlung, eine einen Meter fünfzig hohe geschnitzte Figur aus China an den Mann, der garantiert keine Ahnung hatte, wo er das Ding nur hinstellen wird. Eine Nachbarin Parterre beschwichtigt sie mit der generösen ›Ist schon gut‹-Geste und dreht ihr den röhrenden Hirsch und die Schwarzwalduhr an, deren Kuckuck auch zu jeder Viertelstunde mit permanenter Bosheit laut schreiend sein Gehäuse verlässt. Der halbherzige Abwehrversuch: »Schon morgen werden Sie es bereuen, diese wertvollen Andenken Ihrer Tante hergegeben zu haben«, kontere ich kurz und bündig: »Man weiß doch, was man den Nachbarn schuldig ist.«
Als uns am folgenden Tag die Türen verschlossen bleiben und der Absatz von Einzelstücken ins Stocken gerät, entwickelt Sabine Formschreiben, in denen ich meiner tiefen Dankbarkeit und Wertschätzung Ausdruck verleihe und die wir zusammen mit Kleinigkeiten, wie eben jenem von Motten zerfressenen Mokassin oder der präparierten Kobra, mit dem Faden in Augenhöhe direkt vor der Haustür aufhängen. Das Finale erledigen wir unter Erfolgszwang dergestalt, dass wir kleinere Teile durch die Post in die fernere Nachbarschaft zustellen lassen. Ich stelle inzwischen fest, dass ich es in jenem Stadtteil Bonns zu einer gewissen Berühmtheit gebracht habe.
Noch am letzten Tag unserer Aktion machen uns in Tantchens Wohnung zwei Polizeibeamte die Aufwartung. Sie eröffnen uns, die alte Frau Meier habe einen Schock erlitten, als sie auf dem Weg zum täglichen Spaziergang die Haustür aufgeschlossen und sich in direktem Blickkontakt mit einer Kobra befunden hätte. Sabine nimmt alle Schuld auf sich und wird für ein Protokoll vorgeladen. Lachend erklärt mir meine Helferin: »Die Kobra sehen wir jedenfalls nicht wieder, die ruht in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft.«
Vorsichtshalber beschließen wir, unverzüglich die Wohnung zu verlassen. Doch die Nachbarn haben inzwischen meine Adresse ausfindig gemacht und früh um sechs finden der chinesische Angler und die Steinsammlung aus Ägypten den Weg zu mir zurück. Anbei eine Erklärung, man habe diese Kostbarkeiten schätzen lassen. Wertgegenstände von mehr als fünftausend Euro könne man als Nachbarn bei aller Freundschaft einfach nicht annehmen. Ich bin beeindruckt. So viel Entschlusskraft habe ich denen nicht zugetraut. Auch der Wandteppich findet sich ein, mit der Behauptung, als Stauballergikerin könne sie keine Antiquitäten in der Wohnung aufhängen. Fräulein Helenrieder bedauert, sie könne die Versicherungsprämien für ein solch wertvolles Bild wie den röhrenden Hirschen nicht aufbringen und ihre Goldfische würden auf die Kuckucksuhr allergisch reagieren. Ich weiß um die Sensibilität dieser Tierchen und füge mich in mein Schicksal. Die Federboa und der Holzsplitter von Napoleons Sarg haben einen Milbentest nicht bestanden und kleinere indische Holzfiguren werden mit dem barschen Bemerken in einer Plastiktüte zurückgegeben, man wolle sich nicht mit Cholera infizieren. Bis zum Nachmittag legt man weitere Präsente im Vorbeet ab und gegen Abend stapeln sich zum Teil Elsas Kuriositäten verkehrsbehindernd auf dem Bürgersteig. Ich erhalte eine Ordnungsverfügung.
In einem letzten Versuch folge ich Sabines Ratschlag, den ganzen Kram vor der Tür eines Trödlers in der Innenstadt abzulegen, wo wir prompt auf die uns bereits ins Sachen »Kobra« bekannten Polizisten treffen.
»Gibt es denn einen Paragrafen, der es verbietet, absolute Raritäten zu verschenken?«
»Es gibt für alles Paragrafen«, die Antwort der Staatsmacht.