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Stephan Teuber ist Gründer und seit über 30 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der Loquenz Unternehmensberatung GmbH für Personal- und Organisationsentwicklung sowie der Flowcon Holding GmbH. Er ist Diplom-Theologe und Diplom-Sportpädagoge. Zudem Certified Management Consultant (CMC/BDU) und Lehrbeauftragter an der ISM Hochschule für Coaching und Konfliktmanagement und als Investor und Unternehmer im Fitness- und Gesundheitsmarkt aktiv.

Prof. Dr. phil. Michael Nagel, MBA ist Professor in der Fakultät Wirtschaft an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart und Leiter des Studiengangs BWL-International Business. Er studierte in Tübingen und Berlin und promovierte an der Universität Potsdam. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er seit vielen Jahren in der Unternehmensberatung aktiv. Zuletzt war er in einer der führenden Gesellschaften als Senior Manager in zahlreichen nationalen und internationalen Projekten tätig.

Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Mieke ist Inhaber der Professur ABWL, insbesondere Innovationsmanagement im Fachbereich Wirtschaft der Technischen Hochschule Brandenburg. Er studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Ilmenau und an der TU Kreta, Chania (GR). Promotion und Habilitation erfolgten an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus.

Stephan Teuber

Michael Nagel

Christian Mieke

Personal und Organisation

Die wichtigsten Methoden

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Umschlagmotiv: © iStockphoto · baona

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.dnb.de> abrufbar.

1. Auflage 2021

© UVK Verlag 2021

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.de

eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-7398-3127-5 (Print)

ISBN 978-3-7398-8127-0 (ePDF)

ISBN 978-3-7398-0149-0 (ePub)

Für Elke (S.T.)

Für Nele und Niklas (M.N.)

Für Katharina und Johann (C.M.)

Vorwort

Unternehmen zeichnen sich – neben Produkten und Prozessen – vor allem durch die in ihnen handelnden Personen aus. Mitarbeiter und Führungskräfte eines Betriebes entscheiden in ihrer Zusammenarbeit über den Erfolg des Unternehmens. Dieses Miteinander gilt es zu „orchestrieren“. Sei es im direkten Miteinander zwischen Mitarbeiter und Führungskräften unter dem Stichwort Personal, sei es im strukturellen Miteinander unter dem Stichwort Organisation. Die Fülle von Anregungen zu Personal- und Organisationsfragen ist schier unerschöpflich. Vieles davon scheint Trends zu unterliegen oder von Marketingabteilungen der Lösungsanbieter forciert zu werden. Offensichtlich ist, dass für Neues in diesem Bereich immer ein Markt vorhanden zu sein scheint.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, wesentliche Methoden zur Personalarbeit und zu Organisationsfragen, die wissenschaftlich abgesichert und in der betrieblichen Praxis erprobt sind, einem breiten Leserkreis zugänglich zu machen. Damit wollen wir Orientierung für Mitglieder der Geschäftsführung, Leiter von Geschäftsbereichen und Führungskräften bis hin zu Teamleitern bieten. Diese erhalten ein kompaktes Nachschlagewerk im Westentaschenformat. In ihm werden zentrale und für die Praxis relevante Methoden kurz und knapp vorgestellt, ihre Zielsetzungen beschrieben, die Anwendungsmöglichkeiten verdeutlicht und die umsetzungsbezogenen Grenzen aufgezeigt. In kurzen Interviews mit Verantwortungsträgern aus verschiedenen Unternehmen werden die jeweiligen Methoden schließlich einem Praxischeck unterzogen. Die berücksichtigten Ansätze werden dabei nicht als Werkzeuge, Instrumente oder Tools, sondern als betriebswirtschaftliche Methoden bezeichnet, da diesen die Idee der Planmäßigkeit und der Problem- und Ergebnisorientierung zugrunde liegt.

Dabei definieren wir betriebswirtschaftliche Methoden als theoretisch fundierte und praktisch erprobte Hilfsmittel, die zur Lösung eines in der unternehmerischen Praxis auftretenden leistungswirtschaftlichen Problems beitragen.

Die im Folgenden diskutierten Führungs-, Organisations- und Veränderungsmethoden wurden primär durch die Wissenschaft und durch Unternehmensberatungen entwickelt und in Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen getestet. Sie erfuhren Weiterentwicklungen und dürfen als bewährt gelten. Insofern empfehlen wir sie zur Anwendung. Alle in diesem Band aufgeführten Ansätze entstammen unserem Methodenhandbuch der Betriebswirtschaft, das in 2. Auflage im UTB-Verlag erschienen ist. In dieser umfangreichen Publikation haben wir etablierte Methoden aus allen betriebswirtschaftlichen Bereichen gebündelt. Mit der Bereitstellung einer selektiven Methodenauswahl in diesem Band verfolgen wir das Ziel, Fach- und Führungskräften mit einem klar abgegrenzten Spektrum an Aufgaben und speziellem Interesse an Personal- und Organisationsfragen eine pragmatische Möglichkeit des Zugriffs auf bewährte Methoden zu ermöglichen. Interviews zu Erfahrung, Nutzen, Chancen und Grenzen der einzelnen Methoden mit Verantwortlichen aus der betrieblichen Praxis runden die Darstellung ab.

Wir hoffen, dass unsere Darstellung der betriebswirtschaftlichen Methoden verständlich und nachvollziehbar ausfällt, dadurch eine Anwendung schnell möglich ist und der erhoffte Nutzen zeitnah eintritt. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern viel Erfolg beim Gebrauch. Herrn Dr. Jürgen Schechler vom UVK-Verlag danken wir herzlich für die Unterstützung dieses Vorhabens und für die gewohnt freundschaftliche und zielorientierte Begleitung.

Tübingen / Stuttgart / Brandenburg a.d.H., im Juni 2021

Stephan Teuber, Michael Nagel & Christian Mieke

Stephan Teuber

Loquenz Unternehmensberatung GmbH

E-Mail: stephan.teuber@loquenz.de

Prof. Dr. phil. Michael Nagel, MBA

Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart, Fakultät Wirtschaft

E-Mail: michael.nagel@dhbw-stuttgart.de

Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Mieke

Technische Hochschule Brandenburg, Fachbereich Wirtschaft

E-Mail: christian.mieke@th-brandenburg.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1Organisation

1.1Prozessmanagement

1.2Changemanagement

1.3Change-Kommunikation

1.4Lean Administration

2Personal

2.1Feedback- und Feedforward-Gespräche

2.2Onboarding

2.3Arbeitssituationsanalyse

2.4Rückkehrgespräche

2.5Betriebliches Eingliederungsmanagement

2.6Coaching

2.7Kollegiale Beratung

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

1Organisation

Organisationen sind allgegenwärtig. Wir bewegen uns täglich in ihnen oder sind aktiver Bestandteil von ihnen. Sie dienen der Lösung von Problemen und vermögen Komplexität zu reduzieren, auch wenn sie uns manchmal undurchsichtig und chaotisch erscheinen. Im sozialwissenschaftlichen beziehungsweise betriebswirtschaftlichen Sinne stellen Organisationen Gebilde dar, in die man auf freiwilliger Basis und typischerweise aufgrund von Verträgen ein- und austreten kann, die eine Person nur teilweise vereinnahmen,1 deren Mitglieder prinzipiell austauschbar sind und die über eine Hierarchie verfügen. Insofern unterscheiden sich Organisationen von Familien, Gruppen, Netzwerken oder Märkten. Organisationen schaffen Ordnung, indem sie Strukturen und Abläufe festlegen und solcherart ein System zweckrationalen Handelns bilden. Je nach Perspektive kann man Organisationen institutionell, instrumentell oder prozessorientiert betrachten. Im ersten Fall geht man davon aus, dass Unternehmen Organisationen sind, im zweiten Fall, dass Unternehmen Organisationen – wie ein Instrument oder Werkzeug – nutzen, während im Mittelpunkt einer prozessorientierten Betrachtungsweise die Überzeugung steht, dass in Unternehmen Organisation stattfindet.2 Unabhängig von der jeweils eingenommenen theoretischen Perspektive gilt, dass die Bildung, die Entwicklung und der Erhalt von Organisationen auf Ziele ausgerichtet sind, die in ihrer allgemeinsten Form mit Effektivität und Effizienz umschrieben werden können. Um eine effektive und effiziente Organisation zu etablieren und aufrecht zu erhalten, bedarf es jedoch nicht nur der fortlaufenden Festlegung überprüfbarer Ziele, sondern auch der Analyse bestehender Rahmenbedingungen, der Umsetzung erforderlicher Maßnahmen und der Überprüfung des Zielerreichungsgrades, um gegebenenfalls nachsteuern zu können.

Managementansätze wie Projektmanagement, Qualitätsmanagement oder Lean Management helfen dabei, diesen Managementregelkreis mit unterschiedlicher Fokussierung umfassend zu steuern. Der Konzeption des vorliegenden Personal- und Organisationsmethodenbuches folgend, beschränken sich die nachstehenden Ausführungen auf die Beschreibung des Prozessmanagements, des Changemanagements und der Change-Kommunikation sowie auf die Methode Lean Administration, die hinsichtlich der Optimierung von Verwaltungsprozessen in den letzten Jahren bedeutsamer geworden ist.

Geht man davon aus, dass Organisationen zur kundenorientierten Leistungserstellung beitragen sollen, dann ist der Blick zunächst auf die Abläufe zu richten, mit deren Hilfe ein Produkt erstellt und dem Kunden angeboten wird. Prozessmanagement überwindet dabei die zu eng ausgerichtete und isolierte Betrachtung einzelner Funktionen, indem das integrative Zusammenspiel wertschöpfender Aktivitäten analysiert und optimiert wird. Dieses Zusammenspiel ändert sich im Zeitablauf aufgrund unternehmensinterner und unternehmensexterner Einflussfaktoren. Insofern müssen Strukturen und Prozesse und die damit verknüpften Informations- und Kommunikationssysteme angepasst werden. Wie ein entsprechender Veränderungsprozess konzipiert, gesteuert und kontrolliert werden kann, wird anhand der Methode des Changemanagements verdeutlicht. Der Frage guter Change-Kommunikation ist ein zusätzliches Kapitel gewidmet. Mit Hilfe von Lean Administration kann die fortlaufende Optimierung von administrativen Abläufen durch eine breite Beteiligung der Mitarbeiter vorangetrieben werden.

1.1Prozessmanagement

imageProblemstellung: Analyse, Planung, Dokumentation, Gestaltung und Steuerung wertschöpfender Aktivitäten im Unternehmen mit Blick auf die Zielgrößen Kosten, Zeit, Qualität und Kundenorientierung

imageZielgruppe: Projektleiter, Prozessverantwortliche

imageVoraussetzungen: Zugang zu erforderlichen Ressourcen und Projektdokumentationen sowie eindeutig definierter Projektauftrag mit präzisen Zielvorgaben für das Projektteam

Zielsetzung des Prozessmanagements

In der Managementforschung sind in den letzten Jahren immer wieder neue Trends und Grundhaltungen entstanden. Einige haben sich als schnelllebige Modeerscheinungen, andere als langfristig gültige Basiskonzepte erwiesen. Ein erfolgversprechender Trend ist die so genannte Prozessorientierung, die erstens zur Kostensenkung, zweitens zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen und drittens zur Verzahnung aller wertschöpfenden Aktivitäten im Unternehmen beitragen soll, um Kunden bestmöglich mit Produkten und Dienstleistungen zu versorgen. Vor allem die Kundenorientierung und die Erfüllung entsprechender Kundenanforderungen stehen im Mittelpunkt prozessorientierter Ansätze. Dabei können Kunden sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Leistungsempfänger sein. Diese internen oder externen Leistungsempfänger erwarten, dass die nachgefragte Leistung in der gewünschten Qualität und Zeit erbracht und zu angemessenen Preisen angeboten wird. Mit Hilfe effizienter Prozesse kann man Kundenanforderungen erfüllen, die Kundenzufriedenheit steigern und die betriebliche Wertschöpfung optimieren. Das sind die wesentlichen Ziele des prozessorientierten Managements, wobei man unter einem Prozess eine Menge von Tätigkeiten versteht, die in einer vorgegebenen Reihenfolge erledigt und teilweise durch Informationssysteme unterstützt werden. Prozesse stiften auf diese Weise Kundennutzen. Durch die zunehmende Arbeitsteilung in Unternehmen und das Zergliedern von Organisationen in Geschäftseinheiten, Funktionen, Abteilungen und Unterabteilungen werden eigentlich zusammengehörende Einzelaktivitäten auseinandergerissen, neu strukturiert und Schnittstellen geschaffen. An diesen Schnittstellen kommt es in der Regel zu Problemen: Missverständnisse bei der Übergabe, Zeitverzögerungen und Doppelarbeiten sowie Kompetenz- und Verantwortlichkeitsstreitigkeiten sind in der Praxis auftretende Phänomene arbeitsteiliger Organisationen. An diesem Punkt setzt das Prozessmanagement an. Es verfolgt das Ziel, interdependente Aktivitäten zu identifizieren, zu koordinieren und zu verbessern, um eine effiziente und kundenorientierte Leistungserstellung zu gewährleisten.3

Beschreibung des Prozessmanagements

Kundenanforderungen können nur erfüllt werden, wenn diese bekannt sind und mit Hilfe geeigneter Prozesse bearbeitet werden. Zur Ermittlung der Kundenanforderungen kann man auf zahlreiche betriebswirtschaftliche Methoden zurückgreifen, die unter anderem im Methodenhandbuch der Betriebswirtschaft ausführlich diskutiert werden.4 Zur Bestimmung einer geeigneten, kundenorientierten Folge von Aktivitäten kann man die Erkenntnisse des Prozessmanagements nutzen. Diese Erkenntnisse bestehen unter anderem darin, dass man die betriebliche Leistungserstellung durch Prozessinnovationen, Prozessverlängerungen oder Prozessverkürzungen und durch den gezielten Abbau redundanter, fehlerhafter oder ineffizienter Prozesse verbessern kann.

Rationalisierungsbemühungen setzen allerdings Transparenz darüber voraus, wo welche Leistung von wem mit welchem Aufwand und für welchen Kunden erstellt wird. Insofern ist zunächst zu bestimmen, was benötigt wird, um einen Prozess auszuführen. In diesem Zusammenhang spricht man vom so genannten Input, also von Leistungen vorgelagerter Prozesse. Dann ist die Sequenz von Arbeitsschritten zu betrachten, also der Prozess selbst, bevor man schließlich das Ergebnis des ausgeführten Prozesses, den so genannten Output, analysieren kann. Für gewöhnlich ist der Empfänger des Outputs ein anderer Prozess innerhalb oder außerhalb des Unternehmens. Diese Input-Prozess-Output-Sequenz ist dann effektiv und effizient, wenn die Kriterien Kosten, Zeit und Qualität in einem optimalen Verhältnis zueinanderstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Prozesse die gleiche Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Die Wahl des Detaillierungsgrades im Rahmen eines Prozessmanagementprojektes ist vielmehr davon abhängig, wie wichtig ein Prozess ist und wie umfangreich die gewünschte Optimierung ausfallen soll. Grundsätzlich können Prozesse in Organisationen in drei Hauptkategorien unterteilt werden:

imageManagement- beziehungsweise Führungsprozesse steuern Kernprozesse in Unternehmen, um übergeordnete Ziele zu erreichen, wobei man in personenbezogene und sachbezogene Führungsprozesse unterscheidet.

imageOperative beziehungsweise Kern- oder Geschäftsprozesse umfassen alle Aktivitäten, die mit der direkten Leistungserstellung für den Kunden verbunden sind. Sie sind in der Regel nicht imitier- und substituierbar und bilden somit die Grundlage für Wettbewerbsvorteile des Unternehmens.

imageUnterstützungsprozesse stiften keinen unmittelbaren Nutzen für den Kunden, gewährleisten jedoch den reibungslosen Ablauf der Kernprozesse, indem sie im Hintergrund definierte Leistungen zur Verfügung stellen.

Prozesse lassen sich jedoch nicht nur in unterschiedliche Kategorien einteilen, sondern auch hierarchisch ordnen. Wie in Abbildung 1 dargestellt, kann man folgende Hierarchieebenen unterscheiden:

imageHauptprozesse,

imageTeilprozesse,

imageAktivitäten.

Prozesse auf der obersten Ebene der Betrachtung von Unternehmensprozessen bezeichnet man als Hauptprozesse. Die Kundenakquise oder die Auftragsabwicklung stellen beispielsweise Hauptprozesse dar, die in Teilprozesse, also in seriell und parallel ablaufende Arbeitsschritte, Verzweigungen und Entscheidungen, zerlegt werden können. Ein Teilprozess im Rahmen der Kundenakquise wäre zum Beispiel die Angebotserstellung, während man die Warenauslieferung als einen Teilprozess der Auftragsabwicklung betrachten könnte. Auf der Ebene von Teilprozessen werden üblicherweise Prozessschritte sowie Rollen und Verantwortlichkeiten beschrieben. Mehrere Arbeitsschritte können zu Aktivitäten zusammengefasst werden, die im Beschreibungsgrad detaillierter sind als Teilprozesse, da man neben Prozessschritten sowie Rollen und Verantwortlichkeiten auch die Unterstützung durch IT-Systeme oder Schnittstellen in den Blick nimmt. Die Detailbetrachtung auf Aktivitätenebene gestattet fundierte Analysen und entsprechende Optimierungen, da Zeiten und Kosten mit den Aktivitäten aller Prozessbeteiligten verknüpft und solcherart Schwachstellen und Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden können.

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Abbildung 1: Hauptprozesse, Teilprozesse und Aktivitäten

Prozesse können weiter klassifiziert werden, je nachdem, ob sie durch einen internen oder einen externen Kunden angestoßen werden, ob sie für die Kundenzufriedenheit wichtig oder unwichtig sind und ob es viele oder wenige Prozessbeteiligte gibt. Insbesondere die komplexen und kundenzufriedenheitsrelevanten Prozesse sollten im Mittelpunkt des Prozessmanagements stehen, da sie aufgrund der Vielzahl an Schnittstellen fehleranfällig, aber zugleich auch erfolgskritisch für Unternehmen sind.5

Anwendungsbereich und Anwendungsprozess

Prozesse werden üblicherweise im Rahmen von Projekten aufgenommen, analysiert, bewertet, erneuert, angepasst und eingeführt. Projekte unterscheiden sich von Routinetätigkeiten durch einen definierbaren Anfang und ein definierbares Ende sowie durch die Einmaligkeit der Bedingungen, die zum Beispiel in speziellen Zielvorgaben, zeitlichen, finanziellen und personellen Begrenzungen oder in spezifischen Organisationsformen bestehen. Der Auslöser von Prozessmanagementprojekten sind entweder interne oder externe Faktoren: Interne Faktoren wären beispielsweise ein Auftrag der Geschäftsleitung, Ideen von Mitarbeitern, die Notwendigkeit zur Kosteneinsparung oder zur Effizienzsteigerung sowie Defizite im Branchenvergleich. Externe Auslöser könnten Ausschreibungen von Kunden oder konkrete Kundenaufträge zur Durchführung von Prozessanalysen sein.6 Unabhängig von den jeweils projektauslösenden Faktoren laufen Prozessmanagementinitiativen typischerweise in den in Abbildung 2 dargestellten vier Phasen ab:

In der Phase der Projektinitiierung geht es primär um die Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen für das geplante Vorhaben. Insofern wird zunächst das Projektdesign detailliert, indem man die zu betrachtenden Prozesse identifiziert und alle vorhandenen Prozessbeschreibungen und Prozessdokumentationen sichtet und archiviert. In diesem Zusammenhang wird auch bestimmt, welche Mitarbeiter in der Ist-Aufnahme befragt werden sollen, um Prozesse gegebenenfalls bis auf Aktivitätenebene verstehen und modellieren zu können. Die Entwicklung einer Projektstruktur umfasst sowohl die Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten im Projekt, als auch die Erstellung eines Prozesshandbuches und die Auswahl der Analysemethoden.

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Abbildung 2: Ablauf von Prozessmanagementprojekten

Das Prozesshandbuch beinhaltet eine Beschreibung des relevanten Projektvokabulars und der Projektmethodologie sowie eine Übersicht über Umfang, Qualität und Form dokumentierter und zu dokumentierender Prozesse. Schließlich definiert man in dieser ersten Phase noch die Soll-Designkriterien und legt fest, mit welchen Softwarelösungen die Prozesse modelliert werden sollen. Diese Maßnahmen dienen der klaren Abgrenzung des Projektumfangs, der Schaffung von Transparenz über das Projektvorgehen und der Bereitstellung aller erforderlichen Materialien, Informationen und Werkzeuge zur Analyse bestehender und zum Design neuer Prozesse.

Die Phase der Ist-Prozessanalyse beginnt mit der Auswahl der zu untersuchenden Hauptprozesse und der Festlegung, ob diese mit ihren jeweiligen Unterstützungsprozessen bis auf Teilprozessebene oder sogar bis auf Aktivitätenebene betrachtet werden sollen. Bei einer Detailbetrachtung auf Aktivitätenebene berücksichtigt man sowohl Rollen, Verantwortlichkeiten und die Systemunterstützung als auch den tatsächlich erbrachten beziehungsweise den gewünschten Output und alle relevanten Leistungsempfänger. Zur Aufnahme der Prozesse werden alle verfügbaren Informationen herangezogen und Dokumentationslücken im Rahmen von Interviews mit Bereichs- und Abteilungsleitern sowie Prozessverantwortlichen geschlossen. Zur Aufnahme und Dokumentation der Prozesse werden die in der ersten Phase beschriebenen Methoden und Vorlagen verwendet.

Die aufgenommenen Prozesse werden insbesondere auf Basis der folgenden Aspekte bewertet: Komplexität, Effektivität, Effizienz und Prozessverantwortung. Das heißt, man prüft, ob Prozesse doppelt vorhanden, unnötig komplex oder zu teuer sind, ob der Output den Wünschen der Leistungsempfänger entspricht und ob die Verantwortung klar geregelt ist. Auf Basis der Bewertung können Verbesserungs-, Komplexitätsreduktions- und Kosteneinsparpotenziale aufgezeigt und Maßnahmen mit kurz-, mittel- und langfristiger Wirkung identifiziert werden.

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Abbildung 3: 7R-Methode7

Zur Ableitung von Optimierungspotenzialen kann man auf die in Abbildung 3 dargestellte 7R-Methode zurückgreifen. Mit Hilfe dieser Methode lassen sich Prozesse unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten: (1) Reassign rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob die jeweilige Aktivität an andere Stellen delegiert oder ausgelagert werden kann. (2) Reduce verweist auf die Möglichkeit, die Durchführungshäufigkeit oder erforderliche Ressourcen zu reduzieren. (3) Relocate beinhaltet die Überlegung, inwiefern eine Aktivität näher an den Kunden gerückt und damit effektiver durchgeführt werden kann. (4) Resequence befasst sich mit dem „Wann“ beziehungsweise mit der zeitlichen Abfolge von Aktivitäten. (5) Retool fragt nach dem „Wie“ der Ausführung und insofern nach Optionen der Systemunterstützung oder der Automatisierung von Aktivitäten. (6) Reconfigure betrachtet Aktivitäten unter dem Gesichtspunkt der vollständigen Eliminierung oder der Konsolidierung, während (7) Rethink zum einen nach den Gründen fragt, warum Aktivitäten in der aktuellen Form durchgeführt werden, und zum anderen die Plausibilität dieser Gründe kritisch reflektiert.

Die besonderen Herausforderungen in der zweiten Phase bestehen in schwer zugänglichen oder bewusst zurückgehaltenen Ist-Dokumentationen, in der ungenauen Ermittlung von Prozesszeiten und daraus resultierenden fehlerhaften Kosten durch Verdeckung der wahren Nettoarbeitszeiten und in der zum Teil mangelnden Bereitschaft zur raschen Umsetzung identifizierter Verbesserungen. Insofern ist es erforderlich, alle relevanten Prozessbeteiligten in das Projekt zu integrieren, um die wesentlichen Informationen verfügbar zu machen. Der Aufbau eines systematischen Controllingsystems und die Festschreibung der Optimierungen in den individuellen Zielvereinbarungen der Prozessverantwortlichen erhöhen zudem die Veränderungsbereitschaft und die Motivation, erforderliche Verbesserungen nicht nur auf dem Papier zu skizzieren, sondern tatsächlich in der Praxis anzustoßen.

Im Mittelpunkt der Soll-Prozessdesignphase steht die Neugestaltung der ausgewählten und im Detail analysierten Prozesse. Die Soll-Prozessstruktur und die entsprechenden Rollen und Verantwortlichkeiten werden definiert und dokumentiert. Dabei ist es denkbar, nicht nur einen Soll-Prozess, sondern Soll-Prozessszenarien zu entwickeln und diese hinsichtlich der Kriterien Nutzen, Schnelligkeit und Implementierungskosten zu evaluieren und zu gewichten. Das Erstellen von Soll-Prozessszenarien ist vor allem im Rahmen internationaler Prozessmanagementprojekte erforderlich, da hier nicht nur personen- und systembezogene Aspekte, sondern auch rechtliche und kulturelle Besonderheiten in den einzelnen Ländergesellschaften in Erwägung gezogen werden müssen. Die wesentlichen Herausforderungen in dieser Phase bestehen in der Überwindung von Veränderungsresistenzen, in der systematischen Berücksichtigung parallel verlaufender Initiativen und Projekte und in der Befähigung der Mitarbeiter zur Soll-Prozessumsetzung. Meistern kann man diese Herausforderungen durch eine frühzeitige Einbindung der Stakeholder in das Projekt, um Erwartungen zu erkennen, die bei der Definition der Soll-Struktur berücksichtigt werden sollten. Zudem ist es sinnvoll, ein Integrationsmanagement zu etablieren, dessen Aufgabe darin besteht, Initiativen und Projekte abteilungs-, bereichs- und funktionsübergreifend zu betrachten. Schließlich sollte man Trainings- und Coaching-Maßnahmen für alle betroffenen Mitarbeiter anbieten – nicht zuletzt, um zu vermeiden, dass Leistungsträger aus Sorge vor Veränderungen in der Organisation das Unternehmen verlassen.

Die Phase der Umsetzungsplanung besteht im Wesentlichen aus der Priorisierung der Veränderungsmaßnahmen und der Ableitung von Detailaktivitäten sowie aus der Entwicklung eines Implementierungsplans. Mit Blick auf die Implementierung sind die benötigten Ressourcen, die erforderlichen Aktivitäten und die Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren. Zudem sollten mögliche Risiken identifiziert und mögliche Gegenmaßnahmen bestimmt und ein Changemanagement-Konzept entwickelt werden.

Weiterführende Hinweise

Prozessorientierung bedeutet, dass man alle unternehmensinternen Abläufe aus der Sicht des Kunden sowie funktions- beziehungsweise abteilungsübergreifend betrachtet. Damit diese Idee Wirklichkeit werden kann, benötigen Unternehmen auch eine prozessorientierte Organisation, die im Rahmen eines Veränderungsprozesses aufgebaut werden kann. Wie solche Veränderungsmaßnahmen entwickelt, gesteuert und umgesetzt werden können, illustriert Kapitel 1.2, das sich mit dem Thema Changemanagement befasst.

Gedanken aus der Unternehmenspraxis

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Interview mit Dr. Robert Freidinger, Leiter Projekt- und Auftragssteuerung Alcatel