Bernd Stöver
GESCHICHTE
BERLINS
C.H.Beck
Bernd Stöver erzählt anschaulich die rund 800-jährige Geschichte Berlins von der Gründung eines Handelspostens an der Spree bis zum Aufstieg zur preußischen und deutschen Hauptstadt; von den «Goldenen Zwanzigern» über die Entwicklung zur Machtzentrale des «Dritten Reichs» und die Teilung der Stadt im Kalten Krieg bis hin zur Hauptstadt der Berliner Republik. Sein besonderes Augenmerk gilt der Entwicklung der Metropole im 19. und 20. Jahrhundert, die gerade wegen der vielen historischen Brüche Aussteiger, Kreative und Querdenker aus aller Welt magisch anzieht.
Bernd Stöver, geb. 1961, lehrt nach Stationen in Bielefeld und Washington D. C. als Professor Neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Internationale Geschichte an der Universität Potsdam. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u.a. «Geschichte der USA» (2. Aufl. 2019), «Der Kalte Krieg» (5. Aufl. 2017), «Geschichte des Koreakriegs» (4. Aufl. 2021) und «Berlin. A Short History» (2013).
1. Von Cölln nach Berlin: Mittelalterliche Stadtgründung und Aufstieg
Eine Doppelstadt
Berlin wird Berlin
2. Von der Königs- zur Kaiserstadt 1688–1871
Die Königsstadt
Das «Spree-Athen»: Schinkel und die anderen
Multikulti: Berlin und die Zuwanderung
Die 1848er Revolution und die soziale Frage
3. Der Aufstieg zur Weltstadt im Kaiserreich 1871–1918
Die Kaiserstadt: Berlin wird Reichshauptstadt
Elektropolis und Rüstungsschmiede
Regierungszentrum Berlin: Weltpolitik und Skandale
4. Das Weimarer Berlin 1919–1933
Die «Goldenen Zwanziger»
«Sinfonie einer Großstadt»: Asphaltdschungel und Experimentierfeld
Das «Schlangenei»? Zwischen Demokratie und Diktatur
5. Zerstörung 1933–1945
Hitler und die Eroberung des «roten Berlin»
Germania und Zerstörung
Nachkriegszeit: Überleben und der Beginn des Kalten Krieges
6. Wieder eine Doppelstadt: Berlin-West – Berlin-Ost 1946–1961
Krisengebiet und Leistungsschau der Systeme
Eine halbe Hauptstadt für die DDR: Ostberlin
Hauptstadt im Wartestand: Bundesland Westberlin
Der Umbau der Stadt
7. Die Mauerstadt 1961–1989
Mauerbau und Entspannungspolitik
Die Alliierten in Berlin
Berlin bleibt doch Berlin? Zuwanderung und Abwanderung
Ein Raum für Alternativen
8. Der Mauerfall und die «Berliner Republik»
«Die Mauer fällt»
Hauptstadt Deutschlands und Bundesland
Das neue Berlin und die Last der Vergangenheit
Zeittafel
Die Bürgermeister von Groß-Berlin
Abkürzungen
Literaturhinweise
Bildnachweis
Personenregister
Berlin hat im Vergleich zu anderen deutschen Städten und erst recht zu anderen europäischen Metropolen eine kurze Geschichte. Zwar reichen die Spuren dauerhafterer menschlicher Besiedlung an den Flüssen Spree und Havel bis ins 4.Jahrtausend v.Chr. zurück, wie Funde im heutigen Berliner Stadtteil Schmöckwitz im Bezirk Treptow-Köpenick zeigen. Bis ins Hochmittelalter standen hier aber nur verstreute germanische und dann vor allem slawische Siedlungen. Seit dem 10. nachchristlichen Jahrhundert dehnte das Deutsche Reich seine Territorialherrschaft hierher aus.
Die Doppelstadt Cölln-Berlin, rechts und links der Spree, aus der das heutige Berlin hervorging, war eine deutsche Kaufmannsgründung im lange Zeit slawisch dominierten Osten. In ihrer Bedeutung blieb sie zunächst weit hinter Brandenburg an der Havel, der Hauptstadt der 1157 durch Albrecht den Bären etablierten Mark Brandenburg, zurück. Beide Teile des späteren Berlins waren wohl Marktplätze, die man auf einer Flussinsel (Cölln) und am östlichen Ufer (Berlin) gegründet hatte. Vermutlich geht der Ortsname Berlin auf den slawischen Begriff für einen trockenen Bereich innerhalb eines Sumpfgebietes zurück (brlo). Den Namen für die zunächst bedeutendere Schwesterstadt Cölln lieh man sich dagegen wohl von dem am Rhein liegenden Vorbild. Vielleicht war es aber auch nur die unspezifische Bezeichnung für eine geplante Ansiedlung (colonia). Dass weder für Cölln, noch für Berlin Gründungsurkunden gefunden worden sind, zeigt vor allem, wie unbedeutend diese Flecken zunächst waren. Nachbarorte hatten Gründungsurkunden. Für das westlich vor den Toren Berlins gelegene, bis 1920 selbstständige Spandau datiert sie auf das Jahr 1232. Bereits im 8. Jahrhundert stand hier eine slawische Burg. Auch das ebenfalls 1920 eingemeindete Köpenick war älter. Hier stand bereits Mitte des 12. Jahrhunderts – einhundert Jahre vor der ersten urkundlichen Erwähnung 1210 – die Hauptburg der slawischen Spreewanen.
Die erste urkundliche Erwähnung Cöllns datiert auf das Jahr 1237 und kam nur deshalb zustande, weil der dortige Pfarrer Symeon als Zeuge für einen Steuerstreit zwischen dem Markgrafen und dem Bischof von Brandenburg auftrat. Sieben Jahre später erschien dann auch Berlin in den Akten, allerdings ebenso beiläufig. Besagter Cöllner Pfarrer war dort nun Propst geworden. Noch einmal sieben Jahre später wurde Berlin endlich auch juristisch als Stadt (civitas) genannt. Wie ungerecht Überlieferungen sind, zeigt sich daran, dass das ältere und bedeutendere Cölln sogar erst 1261 als Stadt erwähnt wurde.
Der Ausbau zu einem nennenswerten Handelsplatz hatte um das Jahr 1240 unter den gemeinsam das Land regierenden askanischen Markgrafenbrüdern Johann I. (1220–1266) und Otto III. (1220–1267) begonnen. Die Stadtkerne bildeten sich um die Kirchen St.Petri an der heutigen Gertraudenstraße in Cölln, deren Reste 1964 abgetragen wurden, und St.Nikolai in Berlin, im heutigen Nikolaiviertel. Jüngste Ausgrabungen zeigen, dass die ältesten erhaltenen Überreste der mittelalterlichen Doppelstadt allerdings fast fünfzig Jahre älter sind. Ihre Bewohner kamen vornehmlich aus den anderen Herrschaftsgebieten der Askanier nordöstlich des Harzes. Sie stammten aber auch vom Niederrhein und aus Flandern, von wo sie zum Teil angeworben, zum Teil aus eigenem Entschluss nach Berlin oder Cölln gezogen waren.
Die Doppelstadt stieg aufgrund ihrer günstigen Lage und der gezielten Förderung durch die askanischen Markgrafen rasch auf. Dass man an Berlin nicht vorbeikam, lag weniger an den Wasserwegen als an den Fernstraßen, die sowohl von Nord nach Süd, von Stettin in Richtung Leipzig, als auch von West nach Ost, von Magdeburg nach Frankfurt an der Oder führten. Die Spree erlaubte vor allem den Weitertransport in Richtung Hamburg. Der lukrative Handel mit der Hanse, die den Ostseeraum beherrschte, brachte auch der Doppelstadt gute Gewinne. Die Berliner Kaufleute wurden durch den Fernhandel reich. Weitere verkehrstechnische Vorteile stellten sich ein, als im 13. Jahrhundert der Mühlendamm gebaut wurde, denn mit der nun aufgestauten Spree waren die Schiffer gezwungen, in Berlin ihre Waren von der Unter- auf die Oberspree und umgekehrt umzuladen. Das sogenannte Niederlagerecht in Cölln-Berlin zwang die einfahrenden Händler, ihre Waren in der Stadt anzubieten oder aber sich durch eine Gebühr davon freizukaufen.
Aber auch die Umgebung Cölln-Berlins, zu der damals 32 Dörfer des brandenburgischen Umlands gehörten, war ein wichtiges Absatzgebiet und der Versorgungsraum für die schnell wachsende Doppelstadt. Die Bauern kamen regelmäßig auf die Märkte, von denen Berlin zwei und Cölln einen besaß. Die ländliche Bevölkerung, die hier ihre Waren anbot, wurde ebenfalls abgabepflichtig. Neben dem Marktzoll entrichtete sie unter anderem für das verordnete Mahlen des Korns eine Gebühr in der Stadt. Und hier lag vielleicht das Erfolgsgeheimnis: Cölln-Berlin brachte den Markgrafen mehr Geld ein als die anderen märkischen Städte.
Das Geld, das in die Doppelstadt strömte, war im 13. Jahrhundert auch die Grundlage für den ersten großen Stadtausbau. Berlin und Cölln wurden nun wie andere mittelalterliche Städte mit Ringmauern und Stadttoren ausgestattet. Das schützte vor Angreifern, aber auch gegen Steuerflüchtlinge. Ein letztes Stück der mittelalterlichen Befestigung aus Feldsteinen hat sich bis heute an der Waisenstraße im Bezirk Mitte erhalten. Langfristig allerdings behinderten die immer wieder erneuerten und ausgebauten Mauern das Wachstum, doch erst 1869 konnten sie weitgehend beseitigt werden. Der Reichtum der Stadt kam den Stadtkirchen zugute, aber auch die in der Stadt ansässigen Franziskaner und Dominikaner errichteten eigene Sakralbauten. Die Markgrafen standen nicht zurück und schufen sich in Berlin eine eigene Repräsentanz, das sogenannte Hohe Haus. Urkundlich 1261 zum ersten Mal erwähnt, blieb es allerdings in der Regel verwaist, weil die Markgrafen noch lange Zeit Spandau bevorzugten. Erst 1931 wurde das Hohe Haus abgebrochen – damals nicht zuletzt auch ein Opfer des fehlenden Denkmalschutzes.
Der Erfolg als Handelsplatz, an dem natürlich nicht nur die Kaufleute beteiligt waren, sondern auch die Zünfte, ließ auch in Cölln-Berlin rasch die Grenzen der mittelalterlichen Stadtverfassung deutlich werden. Regulär gab es zwei Schultheißen, die als Rechtsvertreter der Markgrafen von Brandenburg auftraten und zudem die niedere Stadtgerichtsbarkeit sowie den Stadtrat leiteten. Die beiden Ratsversammlungen wählten eine gemeinsame Vertretung sowie den Bürgermeister der Doppelstadt. Zum Problem in den Augen der Handwerkszünfte wurde, dass im Rat die wohlhabend gewordenen Kaufleute dominierten, die vor allem ihre eigenen Interessen schützten. Die auf politische Teilhabe drängenden Zünfte setzten sich erst 1346 und nur zum Teil durch, als sie auf Veranlassung des Markgrafen aus Berlin vier und aus Cölln zwei Vertreter in den Rat entsenden konnten. Damit gehörte immerhin ein Drittel der Sitze ihnen.
1307 beurkundete der brandenburgische Markgraf Hermann der Lange rechtsverbindlich die Union von Cölln und Berlin. Auf der Langen Brücke (heute Rathausbrücke) zwischen den Städten wurde ein gemeinsames Rathaus errichtet. Im gemeinsamen Magistrat der Doppelstadt hatte nun bereits die Berliner Seite mehr Stimmen. Obwohl weiterhin finanziell getrennt, organisierte man jetzt auch die Verteidigung beider Städte sowie die Außenbeziehungen gemeinsam. Ein Jahr später wurde dazu ein erstes Bündnis mit anderen märkischen Städten geschlossen, das allmählich weiter ausgebaut wurde und auch den Wohlstand zu garantieren schien.
Die ruhigen Zeiten waren allerdings bald vorbei. 1320 starb mit dem noch minderjährigen Heinrich II. (1319–1320) der letzte Askanier, worauf Kaiser Ludwig IV. (der Bayer) die Mark Brandenburg 1323 als Lehen zurücknahm, um sie seinem ebenfalls unmündigen Sohn Ludwig V. (1323–1351) zu übergeben. Über die nächsten knapp neunzig Jahre wurde die Mark zunächst von Markgrafen aus den verfeindeten Geschlechtern der Wittelsbacher (1323–1373) und der Luxemburger (1373–1411) verwaltet, die gleichzeitig ihre Konkurrenz um die deutsche Königskrone ausfochten. Zeitweilig bekriegten sie sich sogar ernsthaft, so in der berühmt-berüchtigten Auseinandersetzung um den «falschen Woldemar». Er war 1348 aufgetaucht und von den Luxemburgern als wieder auferstandener askanischer Markgraf gegen die Wittelsbacher präsentiert worden. Mit diesem Taschenspielertrick erreichte man immerhin, dass die Mark geteilt wurde. Auch Cölln-Berlin lief mit dem Großteil der märkischen Städte zum vermeintlich echten askanischen Markgrafen über. Die Sache war erst sieben Jahre später wirklich ausgestanden, als die Luxemburger die Mark Brandenburg den Wittelsbachern schlicht abkauften. Trotz des peinlichen Geschiebes wurden die brandenburgischen Markgrafen politisch mächtiger. Seit 1356 gehörten sie zum elitären Kreis der sieben deutschen Kurfürsten, die das Wahlgremium für den deutschen König bildeten.
Im selben Jahr, als man mit der Entscheidung für den vermeintlich echten Askanier bereits selbst für genügend Probleme gesorgt hatte, erreichte der Schwarze Tod den Berliner Raum. Wie man heute weiß, war es in dieser ersten Welle wahrscheinlich nicht die durch Bakterien ausgelöste Pest, sondern ein durch Viren verursachtes hämorrhagisches Fieber, das auch im märkischen Raum zahlreiche Opfer innerlich verbluten ließ. Die hilflosen Cölln-Berliner reagierten auf das Unerklärliche mit einem antijüdischen Pogrom. Obwohl wenige Jahre später bereits wieder einige jüdische Familien einwanderten, dauerte es noch lange, bis sich das jüdische Leben unter dem ohnehin verbreiteten Antisemitismus wieder erholte. Neben Schwarzem Tod und Pogromen waren es die beiden großen Brände 1376 und 1380, die das Stadtleben für einige Zeit erheblich beeinträchtigten. Trotzdem lebten innerhalb der Union Cölln-Berlin am Ende des 14. Jahrhunderts noch etwa 8000 Menschen. Im Vergleich mit den großen Metropolen war das ausgesprochen wenig. In Köln am Rhein, der im Spätmittelalter größten Stadt Deutschlands, lebten damals bereits fünf Mal so viele Menschen.
Die Lage Cölln-Berlins verschlechterte sich weiter, als am Ende des Jahrhunderts durch den Wandel der Kriegstechnik erhebliche Teile des Ritteradels im Osten Deutschlands verarmten. Eine Folge davon war auch in Brandenburg das Raubrittertum, das eine Zeitlang die Handelsverbindungen nachhaltig störte. Im Märkischen waren es vor allem die Quitzows, unter denen die Cölln-Berliner litten. Ihre mit großen Hoffnungen begonnene Außen- und Verteidigungspolitik war gegen Raubritter schlicht machtlos. Die Bürgerwehr erwies sich als den Berufskriegern hoffnungslos unterlegen. In dieser scheinbar ausweglosen Situation erhielt die Doppelstadt Hilfe von einem Fachmann, der eine neue Ära einleitete, die erst fünfhundert Jahre später, im November 1918, endete: Der deutsche König, der damals gleichzeitig als brandenburgischer Kurfürst Sigismund von Luxemburg amtierte (1378–1388 und 1411–1415), schickte seinen Nürnberger Burggrafen Friedrich VI. von Hohenzollern als «Verweser und Hauptmann» ins Brandenburgische, um aufzuräumen. Unter seiner sachkundigen Leitung entledigten sich die märkischen Städte 1414 unter anderem der Quitzows und konnten auch die in die Mark eingefallenen Pommern abwehren. Am 18. Oktober 1415 wurde ihm auf dem Konzil in Konstanz offiziell vom König der erbliche Titel eines Markgrafen und Kurfürsten verliehen. Zwei Jahre später erhielt er als Friedrich I. die Kurmark zum Leben und den damit verbundenen Titel des Erzkämmerers des Deutschen Reiches.
Den Preis für die Hilfe zahlten die Cölln-Berliner, als Friedrich I. seinen Sohn Johann 1426 zum Statthalter ernannte und dieser seine Herrschaft nun auf Kosten der Doppelstadt ausdehnte. Zur gemeinsamen Verteidigung gegen diesen Angriff schloss sich die Doppelstadt 1432 endgültig zusammen. Zum Eklat mit den Berlinern kam es, als Johanns jüngerer Bruder Friedrich II. («Eisenzahn»), der 1440 das Amt des brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten übernahm, sich entschloss, eine Burg in ihrer Stadt zu errichten. Die Cölln-Berliner waren so erbost, dass sie 1448 nicht nur den Bauplatz für die kurfürstliche Residenz und die Kanzlei des Landesherrn verwüsteten, sondern auch den von ihm eingesetzten Richter gefangen nahmen. Der Aufstand scheiterte am Ende, wie so vieles, was die Berliner in dieser Zeit in Angriff nahmen. Die Ikonographie des neuen Stadtsiegels ließ dann auch keinen Zweifel daran, wer die Oberhand behalten hatte: Der markgräfliche Adler stand breitbeinig und mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Rücken eines traurig dreinblickenden Berliner Bären mit heraushängender Zunge.
Die Folgen der Niederlage waren trotz des Verlusts stadtherrlicher Rechte nicht ganz so dramatisch wie zunächst befürchtet und entwickelten sich langfristig sogar zum Vorteil: Berlin wurde zur markgräflichen Residenzstadt. Das neue Schloss im Berliner Teil der Doppelstadt, dessen Bauplatz man zuvor noch kurz und klein geschlagen hatte, wurde nun Regierungssitz, und die Hohenzollern brachten nach und nach alle Zentralbehörden einschließlich der märkischen Stände in die Stadt. Der Rat allerdings sank damit auf das Niveau eines Befehlsempfängers kurfürstlicher Order herab. Damit die Cölln-Berliner nun auch wussten, wo sie standen, wurde 1514 ihr gemeinsames Rathaus auf der Langen Brücke abgerissen. Zwei Jahre später endete auch ihre Mitgliedschaft in der Hanse.
Innenpolitisch unfreier, aber außenpolitisch aufgewertet, hob Berlin, wie man die Doppelstadt nun gewöhnlich nannte, zu einem neuen Höhenflug an. In der Metropole der Mark entstanden jetzt zahlreiche Repräsentationsbauten. Die Gestaltung folgte den kurfürstlichen Vorlieben. Zum außerhalb gelegenen, neuen Jagdschloss Grunewald ließ Joachim II. Hector (1535–1571) wenige Jahre nach seinem Amtsantritt mit dem Kurfürstendamm einen Weg anlegen, der vor allem seit dem 19. Jahrhundert zur Magistrale Berlins wurde.
Weitgehend erlöst von den unproduktiven Auseinandersetzungen erlebte Berlin nun auch einen enormen Bevölkerungszuwachs. Die Zuzügler kamen aus der näheren Umgebung, aber auch aus Thüringen und Sachsen sowie aus Franken, dem Stammland der brandenburgisch-preußischen Linie der Hohenzollern. Auch der Zuzug blieb nicht ohne soziale, kulturelle, politische, wirtschaftliche und städtebauliche Folgen. Sozial und kulturell wirkte sich vor allem aus, dass zunächst die aus dem Fränkischen stammenden Neubürger die Hofämter einnahmen und ihnen großzügig weitere Privilegien eingeräumt wurden. Zum ernsten Problem entwickelte sich auch die verstärkte Zuwanderung von Armen, denen die Berliner Stadtverwaltung vor allem mit Bettelordnungen begegnete. Die sozialen Spannungen, die aus der neuen Situation entstanden, entluden sich Anfang des 16. Jahrhunderts erneut in antijüdischen Pogromen, die diesmal so heftig waren, dass erst 150 Jahre später wieder eine nennenswerte jüdische Gemeinde in Berlin ansässig wurde. Großes Aufsehen erregte der Fall einer angeblichen Hostienschändung im Februar 1510. Vierzig brandenburgische Juden wurden damals vor den Toren Berlins hingerichtet. 1573 wurde in einem ähnlichen Prozess auch der jüdische Finanzier des verstorbenen Kurfürsten Joachim II., der nicht zuletzt wegen seiner unkonventionellen Geldbeschaffung bekannt war, zum Tode verurteilt.
Der Einschnitt durch die Reformation war in Berlin weniger gravierend als in den anderen Territorien des Deutschen Reiches. 1539 hatte Joachim II. dem Drängen der Stände nachgegeben und auch in Berlin-Cölln das Abendmahl nach lutherischem Ritus genehmigt. Einen Konflikt mit dem Calvinismus 1613, der sogar zu Tumulten führte, regelte man in Berlin und Brandenburg schließlich höchst pragmatisch: Man verzichtete auf die seit dem Augsburger Religionsfrieden übliche Praxis, dass der Landesherr das Bekenntnis vorgab. Hier durfte, wie es Friedrich der Große über einhundert Jahre später auf die Formel brachte, «jeder nach seiner Façon selig werden». Gerade diese Toleranz wurde nun zum großen Pluspunkt.
Berlin kam trotzdem nicht ungeschoren durch den Dreißigjährigen Krieg. Das lag nicht zuletzt daran, dass sich selbst die eigenen Truppen so benahmen, als wäre die Stadt zur Plünderung freigegeben. Erneut schlug zudem die Pest zu, die zwischen 1626 und 1638 fünf Mal Berlin erreichte und den amtierenden Kurfürsten Georg Wilhelm (1619–1640) zwang, ins entfernte Königsberg auszuweichen. Am Ende des Krieges hatte sich die Einwohnerzahl auf 6000 halbiert. Als der Kurfürst 1640 starb, folgte ihm der knapp zwanzigjährige Friedrich Wilhelm, der «Große Kurfürst» (1640–1688), wie er seit seinem Sieg über die Schweden 1675 genannt wurde. Politisch ambitioniert gelang es ihm, das chaotische Kriegsende 1648 zu weiteren Gebietsgewinnen zu nutzen. Mit den Neuerwerbungen an der Ostseeküste und den vorangegangenen Erweiterungen unter Johann Sigismund (1608–1619), der weit im Westen des Deutschen Reiches Teile des Herzogtums Kleve, der Grafschaften Ravensberg und Mark sowie 1618 das weit im Osten ohne Erben verwaiste Herzogtum Preußen erworben hatte, hatte Brandenburg seine bisher größte Ausdehnung erreicht. Brandenburg und Preußen wurden nun in Personalunion verwaltet. Eine kleine Seeflotte und der in vielem nach holländischem Vorbild gestaltete Umbau Berlins vervollständigten Friedrich Wilhelms Pläne.
In Berlin wurde jetzt nicht nur die Mauer nach Cölln abgerissen, wo am Kupfergraben nun nach niederländischem Muster gebaute Ziehbrücken entstanden, sondern auch der Neubau von Stadtteilen vorangetrieben. So entstanden im 17. Jahrhundert die Dorotheenstadt und die Spandauer Vorstadt. Die noch kurz vor dem Tod des Großen Kurfürsten begonnene Friedrichstadt konnte erst sein Nachfolger, Kurfürst Friedrich III., der sich dann zum ersten preußischen König krönte, beenden. Friedrich Wilhelm sorgte auch dafür, dass mit der Allee «Unter den Linden» und dem Lustgarten zentrale Bezugspunkte innerhalb der Stadt entstanden. Zwischen 1669 und 1671 wurde der Ausbau der Wasserwege mit dem Oder-Spree-Kanal vorangetrieben. Dadurch entwickelte sich die Stadt zu einem Drehkreuz zwischen Schlesien und der Nordsee. Unter Friedrich dem Großen kamen in den 1740er Jahren noch der Plaue-Parey- sowie der Finow-Kanal hinzu. Seit 1685 war Berlin zudem der Knotenpunkt eines Postkutschennetzes.
Mit dem Großen Kurfürsten, der der Nachwelt vor allem durch sein Toleranzedikt von 1685 im Gedächtnis blieb, wurde die Stadt zum ersten Mal auch systematisch technisch modernisiert. Mit dem sogenannten Scheunenviertel, das nicht weit vom kurfürstlichen Schloss entfernt errichtet wurde, entstand ein besonderer Bereich für gefährliche Güter. Dächer aus Stroh wurden ebenso wie Kamine aus Lehm verboten. Unter Friedrich Wilhelm I. wurde mit der Entwicklung des öffentlichen Verkehrs nebst einer Verkehrsordnung, die etwa schnelles Fahren in der Stadt verhindern sollte, begonnen, eine Straßenbeleuchtung installiert, und die hygienischen Zustände in der Stadt wurden verbessert. Die Abwässer flossen nun in unterirdischen Kanälen, die Straßen wurden gepflastert, Schweineställe in der Stadt verboten.
Sein Sohn Friedrich III. (1688–1713) wertete die Residenzstadt Berlin dadurch wesentlich auf, dass er sich entschied, nicht mehr nur Kurfürst, sondern König zu werden. Sein den Habsburgern gegebenes Versprechen, sich am Spanischen Erbfolgekrieg auf der Seite Wiens zu beteiligen, brachte ihm die Zustimmung des Kaisers zu seiner Königswürde ein. 1701 erfüllte sich der Traum Friedrichs III., den die Berliner wegen seiner Behinderung auch den «Schiefen Fritz» nannten, König zu werden. Zwei Wermutstropfen blieben: Er wurde nur König in Preußen und musste sich außerdem im Königsberger Dom die Krone selbst aufsetzen. Erst sein Enkel Friedrich II. (1740–1786), den bereits seine Zeitgenossen den Großen nannten, konnte sich nach der Teilung Polens, mit der Westpreußen gewonnen wurde, 1772 König von Preußen nennen.
Für Berlin bedeutete die Herrschaft Friedrichs I. den Aufstieg zur Königsstadt. Per Edikt ordnete er im Januar 1709 nicht nur die faktisch bereits vorhandene Zusammenlegung von Berlin und Cölln an, sondern auch die Eingemeindung von Friedrichswerder sowie der Dorotheen- und der Friedrichstadt. So entstand die «Haupt- und Residenzstadt Berlin», wenngleich der Magistrat immer noch hinhaltenden Widerstand leistete. Zum Verwaltungszentrum wurde das Rathaus in Cölln bestimmt.
Dem absolutistischen Anspruch Friedrichs I. entsprechend wurde 1710 auch die Berliner Verfassung umgestaltet und damit die Eigenständigkeit der Stadt weiter eingeschränkt. Der neue zentralisierte Verwaltungsaufbau Preußens bescherte der Residenzstadt unter anderem einen verbeamteten Stadtrat, der allein dem König verpflichtet war, sowie die Einsetzung von Berufsrichtern. Von der Stadtverfassung waren unter anderem der Hof, die Berliner Garnison, aber auch einige Zuwanderergruppen, so die vom Großen Kurfürsten ins Land geholten französischen Hugenotten, ausgenommen, was ebenfalls zu Missstimmungen führte. Das erneut veränderte Wappen der Stadt zeigte diese politischen Realitäten: Der Berliner Bär stand zwar aufrecht, hatte allerdings nun ein Halsband und stand unter der Krone sowie dem preußischen und dem brandenburgischen Adler. Souverän sah auch das nicht aus.
König Friedrich I. blieb der Nachwelt vor allem als Verschwender in Erinnerung, nicht zuletzt deshalb, weil sein Sohn, der pietistische und in vielen Dingen genügsamere «Soldatenkönig» Friedrich Wilhelm I. (1713–1740), ihn der Nachwelt so darstellte. Grundsätzlich aber blieben trotz der enormen Schulden von rund 20 Millionen Talern die Finanzen in Ordnung. Als Friedrich Wilhelm I. nach dem Tod des Vaters 1713 erhebliche Teile der luxuriösen Sammlungen verkaufte, die Verwaltung verschlankte und die ausufernde Hofhaltung einschränkte, konnte er relativ rasch seine eigenen Vorlieben finanzieren. Er gab nun Unsummen für Militärisches aus.
Der Soldatenkönig, der seit 1725 öffentlich nur noch in Uniform auftrat und unter dessen Ägide Preußen zu jenem Militär- und Untertanenstaat wurde, den man nach dem Zweiten Weltkrieg für nahezu alle Fehlentwicklungen in Deutschland verantwortlich machte und deshalb 1947 auflöste, richtete seinen Machtbereich vor allem nach den Bedürfnissen seiner Armee ein. Sie umfasste schließlich rund ein Fünftel der Bevölkerung Preußens, was auch Berlin nachhaltig prägte. Weil Soldaten eingekleidet und bewaffnet werden mussten, förderte Friedrich Wilhelm Manufakturen, und weil diese wiederum Arbeiter brauchten und zudem seine Armee mit Soldaten ergänzt werden musste, sorgte er für hohe Einwanderungsquoten. Für die Neubürger Berlins war attraktiv, dass er die Stadt von der Wehrpflicht ausnahm und zudem den Eintritt in die Zünfte vereinfachte. Kein Wunder, dass sich in seiner Amtszeit nicht nur die Fläche Berlins verdoppelte, sondern die Stadt auch rund 90.000 Menschen dazugewann.
Auch der weitere Aus- und Umbau Berlins als Königsstadt richtete sich nach den militärischen Vorlieben des Soldatenkönigs. Im Lustgarten vor dem Schloss, im Tiergarten an der Stelle des heutigen Platzes der Republik vor dem Reichstagsgebäude sowie auf dem Gelände des heute schon wieder ehemaligen Flughafens Tempelhof entstanden Exerzierplätze für seine auf rund 83.000 Soldaten angewachsene Armee. Auch wichtige Hauptstraßen endeten in Berlin nun auf Exerzierplätzen: Heute heißen sie Pariser Platz (damals: «Quarré»), Leipziger Platz (damals: «Octogon») und Mehringplatz (damals: «Rondell»). Da die in großen Teilen durch Zwang angeworbenen Soldaten bei erster Gelegenheit versuchten, aus Preußen zu entkommen (allein in den ersten beiden Regierungsjahren floh etwa jeder Hundertste, darunter die Hälfte Handwerker), gehörte die Fluchtverhinderung zum Alltag. Die drei Meter hohe steinerne «Akzisemauer» rechts und ihre hölzerne Fortsetzung, die «Linie» links der Spree, deren Bau Friedrich Wilhelm 1738 anordnete, diente dazu, einerseits die Steuern einzutreiben, andererseits die Soldaten an der Desertion zu hindern.
So, wie viele politische Entscheidungen des Soldatenkönigs als Rebellion gegen seinen verschwendungssüchtigen Vater verstanden werden können, waren zahlreiche Handlungen seines Sohnes, Friedrichs II., eine gegen ihn gerichtete Opposition. Friedrich der Große, wie man ihn nach dem Abschluss der von ihm ausgelösten Schlesischen Kriege und des Siebenjährigen Krieges nannte, blieb ungeachtet seiner schöngeistigen Interessen als Roi Philosophe ein typischer Machtpolitiker des 18. Jahrhunderts, dem es mit einigem Glück gelang, Preußen vor allem auf Kosten Österreichs zu erweitern. Die Eroberung Schlesiens in drei Kriegen führte Preußen in den Kreis der europäischen Großmächte, was schließlich zur Grundlage für die Reichsgründung von 1871 wurde. Friedrichs Interesse für die Aufklärung hinterließ in der intellektuellen und architektonischen Landschaft Berlins und seiner Umgebung bis heute sichtbare Spuren.
Gerade das verband den «Großen Friedrich» mit seinem von ihm wenig geschätzten Neffen und Nachfolger Friedrich Wilhelm IIIII