KASHI
Stadt der Liebe und des Lichts
Daniela Jodorf
Text
© Daniela Jodorf 2018
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlag
© Daniela Jodorf
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Daniela Jodorf
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Lektorat
Monika Winterstein
Verlag
Daniela Jodorf
Leonhard-Kraus-Str. 23
53604 Bad Honnef
www.daniela.jodorf.de
veröffentlicht bei
epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Der Geist verschleiert das Bewusstsein
und Begierden färben den Geist.
◊◊◊
Es besteht keine Gefahr des Vergessens.
Der Schmerz ist in uns noch immer lebendig.
Er ruft beständig nach unserer Anerkennung,
wird aber nur selten gehört.
Erster Teil
Das Streben nach Glück
Varanasi
Die Feuchtigkeit des kalten Novembernebels berührte sanft ihr Gesicht und kühlte die Spitze ihrer Nase. Die Feuer der Verbrennungsghats brannten seit ewigen Zeiten und sandten ihren eigenartig süßlichen Geruch mit der Morgenluft durch die gesamte Stadt. Sie hörte das Klingeln unzähliger Glöckchen der Morgen-Aartis in den Häusern und Tempeln an den Ufern des Ganges; kristallklare Klänge, die ihr Herz stärker berührten, als alle anderen Sinneseindrücke dieser frühen Stunde. Sie erlaubte den feinen Vibrationen, ihr Herz zu durchdringen und es in ihrer eigenen, subtilen und geheimen Frequenz zum Schwingen zu bringen. Grundlose Freude regte sich in ihr, die Glückseligkeit des reinen Seins. Sie gab sich der Welle dieser Energie hin, die über ihr Bewusstsein hinweg brandete, beobachtete ihren Anstieg und ihr Versiegen, als sich die Tür zu einer tieferen Ebene der Existenz öffnete, der Stille der universellen Seele. Reines Bewusstsein und reine Energie offenbarten sich als eins in diesem vibrierenden Nichts, das leer von jeglicher Identität, von jeglicher Erfahrung der Zeit und des Raumes war. Kein Objekt konnte sich in dieser Dimension, die vor jeder Existenz lag, manifestieren, kein Ich, kein Du und kein Das. Und doch wusste sie, dass sie dort völlig lebendig war an diesem inneren Ort, der eigentlich kein Ort war. Jenseits jeglicher Identifikation erlebte sie einen Zustand des reinen Seins, der reinen Subjektivität; einen Zustand jenseits des Geistes und der Sinneserfahrung, jenseits von Wahrnehmung und Kognition. Göttliches Bewusstsein umarmte sie und ihr Herz füllte sich mit Liebe, mit der unendlichen Liebe für das Leben. Auch nach so vielen Jahren, die sie schon in der Gegenwart des Göttlichen lebte, huschte ein Anflug von Dankbarkeit durch ihren Geist und zog ihr Bewusstsein zurück in die Welt der Erscheinungen. Zuerst sah sie ihren Körper auf der Terrasse sitzend, eingehüllt in einen dicken Kashmir-Schal. Der Körper saß in meditativer Haltung, das Gesicht war dem Fluss, der ruhig und unbewegt wie ein kristallklarer Spiegel wirkte, zugewandt. Doch dieser Spiegel reflektierte nicht sie, kein Bild ihres eigenen meditierenden Körpers, den sie noch immer mit dem inneren Auge bezeugte. Nein, der Spiegel des ruhig dahinfließenden Ganges zeigte das Bild eines blassen Mannes, der sie mit leeren Augen ansah. Der Mann war ihr so nah, dass sie fast die Hand ausgestreckt hätte, um ihn zu berühren und zu trösten. Sie fühlte seinen tiefen Schmerz, als wäre es ihr eigener. Der Ausdruck seiner Augen sprach zu ihr in der schweigenden Sprache der unausgedrückten Emotionen. Er war verwirrt. Er wusste nicht, wohin er gehen, was er tun sollte. Er war vom Weg abgekommen und hatte die Verbindung zum Göttlichen verloren. Warum nur, fragte sie sich. Was war geschehen? Doch die aufkeimenden Gedanken störten das klare innere Bild. Unvermittelt löste es sich auf und hinterließ die Erinnerung an das Gesicht und den Ausdruck dieser Augen.
In der Hitze des Nachmittags lief sie durch die vollen Gassen der Altstadt. Es war nicht weit zum Haus ihres Lehrers, nur einige Blöcke. Die Leute sahen sie mit einem erkennenden Lächeln an und grüßten mit einem freundlichen “Hello”. Sie passierte das Verbrennungsghat und es überraschte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie immer denselben Gedanken dachte und dasselbe Gefühl fühlte, wenn sie an diese Stelle kam. „Dieser Ort ist surreal“, dachte sie. „Er scheint weder Himmel noch Hölle zu sein und doch beides zugleich; er ist so schrecklich und doch so friedlich.”
Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, als sie den Schmerz des letzten Abschieds spürte, den die Toten hier in den Lebenden hinterließen, während sie die rituellen Mantras sangen und in die Flammen starrten, die ihr transformierendes Werk taten und zu Asche verbrannten, was einst ein lebendes, sich bewegendes, fühlendes Wesen gewesen war. Die Tür zum Haus ihres Lehrers stand offen und sie trat leise ein. Er saß auf dem Boden seiner Veranda und erwartete sie mit einem gütigen Lächeln. Sie setzte sich in den Schatten auf ihren Asana, einen kleinen viereckigen Teppich, ihm gegenüber und begann, ihre Sitar auszupacken. Er hielt sein Instrument auf dem Schoß und stimmte es. Die ersten Klänge waren disharmonisch und spiegelten perfekt ihre emotionale Verfassung. Seit der Vision von heute Morgen war sie eigenartig verstört. Und ihr Lehrer wusste das. Er hielt inne und sah sie mit ernstem Blick an.
„Du musst dir um ihn keine Sorgen machen, das weißt du. Er ist sicher und er wird geführt!”
New York
Bevor der Applaus begann, gab es diesen winzigen Moment der Stille. Er war schwer zu erfassen, und doch hatte Paul ihn in seiner gesamten Karriere nicht ein einziges Mal verpasst. Dann erst begannen ein oder zwei Leute zu klatschen und nur eine Sekunde später fiel der Rest mit ein. Er war sehr müde heute Abend. Es hatte ihn Mühe gekostet, sich zu konzentrieren. Er betrachtete die Leute in der ausverkauften Carnegie Hall überkritisch. Ja, sie schienen begeistert zu sein. Der Applaus verstärkte sich sogar noch. Er verbeugte sich, spielte seine Rolle perfekt. Als seine Augen eine weitere Runde durch das Publikum wanderten, dachte er für einen Moment, dass er endlich begriff, was ihn seit langem so verstörte. Die Leute waren gekommen, um Paul Madden zu sehen, den Komponisten, den Dirigenten, den Cellisten. Sie waren hier, um einen Namen zu sehen, aber nicht, um seine Musik zu hören, seine Sprache zu verstehen. Niemand war hier, um der subtilen Geschichte zu folgen, die er mit seinem Orchester zu erzählen versucht hatte. Er fühlte sich leer, fast tot. Ein guter Freund, mit dem er schon viele Jahre auf der Bühne stand, umarmte ihn. Der Applaus brandete ein weiteres Mal auf, aber er beruhigte und tröstete ihn nicht.
Er floh beinahe, als es endlich vorüber war, griff nach seinem Cello und dem Mantel und rannte blindlings davon. Er wohnte Downtown, weit von der Carnegie Hall entfernt, aber heute winkte er kein Taxi heran. Er brauchte dringend Bewegung, musste den Broadway schnellen Schrittes hinunterlaufen, wollte unbedingt die angenehme Kälte dieser Novembernacht in seinem Gesicht und seinen Atemwegen spüren. „Warum tue ich das nur“, fragte er sich mit einem starken Bedürfnis sich für seine Wahrnehmungen, Gedanken und unerwünschten Gefühle zu verurteilen. In diesem Moment hasste er sich. Paul glaubte, versagt zu haben. Wenn die Menschen seine Musik nicht fühlten, dann war sie nicht gut, nicht eindringlich genug. Vielleicht fehlte ihr Tiefe, vielleicht war sie nicht wahrhaftig, nicht universell genug, um die Menschen zu bewegen. Er zog den grauen Schal enger um seinen Hals, um sich vor dem eisigen Nordwind zu schützen und lief schneller in Richtung Süden ohne rechts oder links zu schauen. Sein Telefon klingelte. Es war Phil, derselbe Freund, der ihn vorhin auf der Bühne umarmt hatte. Aber Paul nahm nicht ab. Unzählige Gedanken kaperten seinen Geist und er musste sich bemühen, nicht in ihrer Negativität zu ertrinken. Niemals zuvor hatte er sein Talent und seine Passion dermaßen radikal in Frage gestellt. Musik war immer der Motor seines Lebens gewesen. Sie gab ihm Energie und Inspiration auch in schwierigen Zeiten. Doch jetzt war keine schwierige Zeit. Im Gegenteil - die schwierigen Zeiten lagen gerade hinter ihm. Jetzt war eigentlich alles leicht. Und ausgerechnet da wendete sich die Quelle seiner kreativen Energie gegen ihn. Er lief an seinem Apartment vorbei weiter und weiter. Die beißende Kälte machte seine Hände kalt und unbeweglich. Er musste sich irgendwo aufwärmen. Da fiel sein Blick auf eine Bar auf der anderen Straßenseite. Blind für alles Äußere öffnete er die Tür und setzte sich an den erstbesten Tisch. Mechanisch bestellte er einen Espresso. Der Kaffee kam schnell und er versuchte, seine Hände an der kleinen Tasse zu wärmen, als sich jemand seinem Tisch sehr zielstrebig und ruhig näherte. Neugierig sah er auf und erwartete einen Freund oder Kollegen zu sehen. Die große Frau, die ihn freundlich ansah, kannte er nicht. Sie wirkte ernst und dringlich.
„Kann ich Ihnen helfen?” fragte Paul. Die Frau lächelte und setzte sich unaufgefordert neben ihn.
„Ich muss mit Ihnen sprechen!” sagte sie mit selbstbewusster Stimme.
„Haben Sie das Konzert gehört?”
„Das Konzert?” Sie lächelte leicht amüsiert. “Nein!”
Er war erstaunt und unfähig sich zu erklären, warum diese Fremde hier an diesem Ort zu dieser nachtschlafenen Zeit mit ihm reden wollte und worüber. Und doch war es nicht vollkommen ungewöhnlich, dass ihn Fremde erkannten und ansprachen.
„Sie müssen keine Angst haben”, sagte sie beschwichtigend.
„Angst?! Vor Ihnen? Warum sollte ich.” Die Situation missfiel ihm und er wollte aufstehen.
Sie griff nach seiner Hand und hielt ihn zurück. „Nicht vor mir, vor Ihren Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen!”
Er verstand nicht. „Meinen Erfahrungen?”
„Den Erfahrungen, vor denen Sie hierher geflüchtet sind.”
„Wovon zum Teufel sprechen Sie?” Wieder wollte er aufstehen, doch er war wie gelähmt, unfähig sich zu bewegen. Die Frau drückte noch immer seine Hand auf den Tisch und sah ihn mit einem Ausdruck an, der ihm den Eindruck vermittelte, dass sie ihm etwas sehr Wichtiges zu sagen hatte.
„Sie stellen Ihre Arbeit und ihr Leben in Frage.”
Das war wahr. Aber er hatte mit niemandem darüber gesprochen. Woher wusste sie das?
„Wer sind Sie?”, wollte er wissen.
„Das spielt keine Rolle! Sie müssen herausfinden, wer Sie sind und was Sie brauchen. Sie müssen mir jetzt gut zuhören.“ Der Druck ihrer Hand erhöhte sich so sehr, dass es wehtat. „Sie werden bald nach Berlin fliegen.“
„Nein. Unmöglich. Ich habe zwar im nächsten Monat einige Engagements in Europa, aber keines in Berlin. Mein Terminkalender ist voll!”
„Das wird sich ändern. Sie müssen mir glauben.”
„Das ist lächerlich. Wer sind Sie? Irgendeine Wahrsagerin? Ich werde ihnen keinen Cent geben.”
Sie wirkte nun zum ersten Mal verärgert. „Ich bin überrascht, dass Sie so ein Idiot sind.“ Sie holte tief Luft und sah ihn dann wieder sehr eindringlich an. „Wie auch immer. Sie werden nach Berlin reisen und Sie müssen dort sehr achtsam sein.”
„Achtsam? Wofür?”
„Ihre Gedanken und Gefühle. Für alles, was Ihnen zufällig begegnet.”
Diese Frau war verrückt, dachte er und doch gab er endlich nach. Er wollte sie nicht noch mehr in Rage bringen. “Okay. Ich verspreche Ihnen, dass ich achtsam sein werde, wenn ich nach Berlin fahre, obwohl mein Terminplan keine Änderung zulässt.”
„Sie müssen auf Ihre innere Stimme hören. Und bitte, beurteilen Sie Ihre Erfahrungen nicht. Sie sind absolut sicher und Sie werden geführt!”
Plötzlich ließ sie seine Hand los, stand auf und verließ die Bar schnellen Schrittes, ohne sich umzusehen. Paul war noch immer bewegungsunfähig und begann plötzlich zu zittern. Er winkte die Kellnerin heran, um zu zahlen.
„Haben Sie die Frau gesehen, die gerade bei mir gesessen hat?”
Die Kellnerin sah ihn eigenartig an. “Welche Frau?! Da war niemand, Sir.”
„Sie meinen, Sie waren zu beschäftigt, um jemanden an meinem Tisch zu sehen?”
„Nein, Sir. Hier ist um diese Zeit nicht viel los – nur Sie und drei andere Gäste dort drüben.”
„Sie haben keine braunhaarige, große Frau gesehen, die eine hellbraune Wildlederjacke und Jeans anhatte?”
„Nein, Sir.”
Paul war geschockt. Angst kroch in sein Herz. Wurde er jetzt langsam verrückt?
Als er zehn Minuten später die Tür zu seinem Apartment aufschloss, entspannte er zum ersten Mal an diesem Abend. Und doch vermied er den gewohnten Blick in sein Gesicht im Spiegel gegenüber der Eingangstür. Stattdessen sah er auf das Foto auf dem Regal darunter, das seinen Sohn und seine Frau zeigte. Würde dies auch geschehen, wenn sie noch bei mir wären, fragte er sich mit einem starken Gefühl des schmerzhaften Verlustes. Er wusste es nicht, musste er sich eingestehen. Paul wusste nicht, was mit ihm los war, und er hatte keine Ahnung, was diese Krise ausgelöst haben könnte. Er zog seinen Mantel aus und ging direkt ins Bad. Nach einer langen heißen Dusche fühlte er sich besser. Die dunklen Gedanken waren fort, hatten sich, ohne die kleinste Spur zu hinterlassen, aufgelöst. Aber er wusste, dass sie wiederkehren würden. Es war noch lange nicht vorbei.
Das Telefon weckte Paul am nächsten Morgen. „Ja!“
„Paul, Emerson hier.”
„Emerson, weißt du eigentlich wie spät es ist?!”
„Ich würde dich nicht wecken, wenn es nicht wichtig wäre, Paul.”
Paul schnaufte verächtlich. “Okay. Was ist es?”
„Ich hab Deutschland am Telefon. Hamburg hat abgesagt. Der Himmel weiß warum. Die haben Probleme mit ihrer neuen Philharmonie. Aber Berlin fragt dich für denselben Tag an, Paul. Das ist perfekt. Phantastisch. Berlin! Im Dezember!”
Berlin! Paul wurde eiskalt, als er sich an die Begegnung der letzten Nacht erinnerte; das Gesicht der Fremden, ihr selbstbewusstes Auftreten, die Dringlichkeit, die sie in ihre Worte gelegt hatte. Er zitterte wieder.
„Paul!?”
„Ja, Emerson. Berlin. Hast du mit irgendjemandem darüber geredet, bevor du mich angerufen hast?“
„Nein. Ich hab dir doch gesagt, ich hab Berlin in der anderen Leitung.”
Paul bekam kein Wort heraus.
„Paul! Bist du noch dran? Ich brauche deine Zustimmung.”
Paul zwang sich zu antworten. „Ja, Emerson.”
„Großartig! Das wird die beste Weihnachtssaison, die Ihr je hattet!”
Paul konnte Emersons Enthusiasmus nicht teilen. Die Angst der letzten Nacht war plötzlich wieder da; die furchtbare Angst davor, die Kontrolle zu verlieren.
Es war erst sechs, doch Paul stand immer früh auf. Noch im Schlafanzug nahm er einen starken schwarzen Tee mit in das Arbeitszimmer, seine persönliche Einsiedelei, zu der niemand Zutritt hatte, weder seine Ex-Frau, noch sein Sohn und erst recht kein Anrufer. Hier fühlte er sich lebendig und wirklich, immer ruhig und konzentriert. Paul hatte nie auch nur eine Stunde hier verbracht, ohne ein neues Werk in sich entstehen zu sehen. Er saß auf seinem Bürostuhl, die nackten Füße berührten das kühle Holz des Bodens. Wenn er den weichen grünen Bleistift in die Hand nahm, musste er nicht lange darauf warten, dass Inspiration und Kreativität auf das leere Notenblatt vor ihm flossen. Mit dem inneren Ohr hörte er die Streicher, die Harmonien; das Zusammenspiel der Instrumente, die ein Netz unterschiedlichster Melodien zu einem homogenen Stück verwoben; das Steigen und Fallen der Melodie, die zu einem dramatischen Moment intensiver Dichte anschwoll. Diese Komposition hatte eine Dringlichkeit, die ihn überraschte. Sie war der Entwurf eines Soundtracks zu einem fiktiven englischen Film über Shakespeare, und schon als Paul sich das erste Mal an das Thema setzte, hatte er das drängende Bedürfnis des Dichters sich auszudrücken, als ihr Hauptthema gespürt. Der berühmte Autor hatte seinen intensiven – zugleich persönlichen und universellen - Gefühlen in starken Worten Ausdruck verliehen. Und Paul musste nichts anderes tun, als diese Empfindungen in seine eigene Sprache zu übersetzen, die Sprache des Klanges. Paul liebte seine Arbeit noch immer. Seine Krise war keine Ideenblockade oder stressbedingte Antriebslosigkeit. Er arbeitete viel, aber nicht zu viel. Die Krise, die sich erst langsam und leise, und dann immer deutlicher und schneller in sein Leben geschlichen hatte, betraf eher die Resonanz, die er für seine Arbeit erhielt. Sie betraf weniger ihn selbst, als vielmehr sein Publikum und die Art und Weise, wie es sein Werk auf- und wahrnahm. Doch das machte alles nur noch schlimmer. Er hätte seine Einstellung oder seine Arbeitsweise verändern können, aber er konnte unmöglich sein Publikum ändern. Tatsächlich fand er seine Reaktion schrecklich. Paul fühlte sich arrogant und überheblich, völlig ohne Verbindung zu den Leuten für die er schrieb und spielte, die Leute, die für seine Konzerte und CDs bezahlten, die er mitreißen und bewegen wollte. Was sollte er bloß tun, fragte er sich voller Scham und Verzweiflung.
Bevor er zur Schule fuhr, rief er seinen Sohn in L.A. an, doch erreichte nur den Anrufbeantworter und erfuhr, dass Sean und Kaya über das Wochenende verreist waren. Kaya hatte einen neuen Mann in San Diego und Sean schien ihn zu mögen. Paul war nicht eifersüchtig. Es war schwer für ihn gewesen, Kaya und seinen Sohn gehen zu lassen. Aber das war fünf Jahre her. Sie wollten in L.A. bleiben, als er an die Julliard School nach New York berufen worden war. Natürlich hatte er deshalb bis aufs Blut mit Kaya gestritten. Sie hatte ihm vorgeworfen, seine Arbeit mehr zu lieben als seine Familie. Für Kaya hatte er seinen Sohn seiner Karriere geopfert. Wie konnte eine Mutter nur so denken?! Paul hatte versucht, Kaya davon zu überzeugen, dass sie sich täuschte. Für ihn war es keine Wahl zwischen Karriere und Familie, sondern eine Wahl zwischen Verleugnung der Tatsache, dass sie sich nicht mehr liebten und dem schmerzhaften Eingestehen der Wahrheit; eine Wahl zwischen Unehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Ein ganzes Jahr hatte sie sich nach diesem Gespräch geweigert, mit ihm zu sprechen. Aber sie hatte ihm nie den Kontakt zu seinem Sohn verweigert. Heute wusste er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, obwohl er sie mit Einsamkeit bezahlt hatte. Sean besuchte ihn häufig und regelmäßig, aber das war nicht genug, um die Wunde der Trennung zu heilen. Er war Seans Vater und als Vater hatte er versagt, weil er gegangen war. Es gab keine Entschuldigung für seine Abwesenheit, nicht einmal eine Rechtfertigung. Kaya und er hatten als Eltern versagt. Wenn Paul eines sicher wusste, dann dass ein Kind fühlen musste, dass seine Eltern sich liebten. Plötzlich erinnerte Paul sich an die Frau, die ihn letzte Nacht angesprochen hatte. „Sie müssen auf Ihre innere Stimme hören“, hatte sie zu ihm gesagt. Er hatte diese Stimme noch nie so klar gehört, seine eigenen Gefühle noch nie so klar wahrgenommen wie heute, und er war sich seiner Fehler und seiner Schuld nie zuvor derart bewusst gewesen.
Paul war zum Lunch mit Phil in einem Deli in der Nähe der Julliard School verabredet. Phil saß schon an ihrem Stammtisch und las die Tageszeitung, als Paul eintraf.
„Hey, du siehst besser aus als gestern Abend.” Phil schien besorgt.
„Mir ist etwas Merkwürdiges passiert, Phil. Ich bin gestern Abend zu Fuß nach Hause gelaufen und habe in einer Bar in SoHo noch einen Kaffee getrunken. Da hat sich eine fremde Frau einfach zu mir an den Tisch gesetzt.”
„Uh, das ist unheimlich!” Phil lachte. Paul sah ihn irritiert, fast wütend, an.
„Ich kannte sie nicht! Sie sagte, ich würde bald nach Berlin fahren und dort auftreten.”
„Emerson hat mich heute Morgen sehr früh angerufen.”
„Ja, Phil. Verstehst du jetzt? Sie sprach von unserem Engagement, bevor es überhaupt existierte!”
„Das ist tatsächlich ungewöhnlich, Paul!”
„Sie sagte viele kryptische Dinge, so als wisse sie alles über mich. Zum Beispiel, ich solle auf meine innere Stimme hören und die kommenden Erfahrungen nicht bewerten oder beurteilen.”
„Wie zum Teufel soll man eine solche Erfahrung nicht beurteilen?”
„Es kommt noch verrückter. Als ich die Kellnerin fragen wollte, ob sie die Frau kannte, sagte sie, sie hätte niemanden an meinem Tisch gesehen.”
„Wow! Du hast dir das alles nur eingebildet?”
„Nein! Die Frau war da, ganz sicher. Sie hat meine Hand gehalten und auf den Tisch gedrückt, damit ich ihr zuhöre. Ich habe sie gefühlt. Ich weiß wie sie riecht. Ich würde sie überall erkennen. Ich weiß nicht, warum die Kellnerin sie nicht gesehen haben will. Sie war sehr präsent und charismatisch. Ihre Worte waren wahr für mich. Ich fühle mich irgendwie unter Druck. Ich habe das Gefühl, dass etwas Entscheidendes in meinem Leben falsch läuft und kämpfe verzweifelt gegen dieses Gefühl an, aber es kriecht immer wieder aus dem Unterbewusstsein hervor. Es reicht nicht, wenn ich mir sage, dass dieses Gefühl nur vorübergehend ist, dass eigentlich alles in Ordnung ist. Ich muss irgendetwas dagegen tun, aber ich weiß einfach nicht was.”
Phil wirkte beunruhigt. „Warum? Weißt du warum, Paul?”
„Es hat etwas mit den Leuten zu tun, mit unserem Publikum. Ich fühle mich missverstanden, falsch interpretiert; als spräche ich eine völlig fremde Sprache, die niemand versteht.”
Phil lächelte endlich wieder. „Das ist Musik, Paul, eine Fremdsprache und wir haben Glück, wenn einige wenige unsere Sprache verstehen oder sie sogar auch sprechen können.”
Paul war entschieden anderer Meinung. „Nein, Phil. Das ist nicht wahr. Es ist eine viel zu defensive Sicht unseres Berufes. Ich hatte Momente vollständiger Einheit. Das Publikum, die Musiker und die Musik wurden dann zu einem einzigen bewussten Wesen und die Zuhörer verstanden die Musik auch ohne unsere Sprache kennen zu müssen. Es gab keine Notwendigkeit für irgendwelche Erklärungen oder Übersetzungen. In diesen Momenten fand eine Vermittlung von Herz zu Herz statt, nicht von Verstand zu Verstand. Und das war reine Glückseligkeit, mehr als Glück und bloße Freude. Reine Seligkeit, Phil. Aber das habe ich sehr lange nicht mehr erlebt.”
Phil schwieg nachdenklich. “Diese Momente sind selten und wertvoll, ich weiß. Wann hast du so etwas zuletzt erlebt?“
“Vor zwei oder drei Jahren vielleicht.”
Phil nickte und sah aus dem Fenster, um Paul nicht ansehen zu müssen. „Du bist ein sehr glücklicher Mann, Paul. Ich hab dir das noch nie gesagt, aber… Ich habe dich immer bewundert. Für dein Talent, deinen Erfolg, die Liebe in deinem Leben, deine Freundschaften und Chancen. Dein Leben war schon immer so voller Chancen, Paul. Und ich glaube, du nimmst das noch nicht einmal wahr!“
Auch Paul blickte aus dem Fenster, als er sehr leise antwortete. „Du hältst mich für undankbar?“
Phil nickte kaum sichtbar, ohne den Freund noch einmal anzusehen.
Paul nahm die Metro am Lincoln Center. Der Zug war überraschend leer für einen Samstagnachmittag im November. Die Weihnachtsverkaufssaison hatte schon vor einigen Wochen begonnen, und Paul war daran gewöhnt, in überfüllten Zügen mit Einheimischen und Touristen zu stehen, die schwere Tüten schleppten. Heute fand er sogar einen Sitzplatz und ließ seinen Gedanken freien Lauf, als der Zug sich ruckartig in Bewegung setzte. Phils überraschende Beichte hatte ihn verstört. Er hatte sich nie in irgendeiner Weise als privilegiert empfunden. Natürlich waren viele Dinge in seinem Leben gut gelaufen. Doch es hatte auch Frustrationen gegeben, Schmerz und Leid, Verluste und Fehlentscheidungen. Verlangte er wirklich etwas so Abwegiges, wenn er das tiefe Bedürfnis artikulierte, gehört und verstanden zu werden? Es gab etwas Höheres in der Musik, etwas Heiliges, Tiefes und Bedeutungsvolles. Für ihn war das die Essenz und auch der Zweck seiner Arbeit. Und was immer er in seinem Leben erreicht oder nicht erreicht hatte, konnte selbst in der Summe diese Seele der Musik nicht erreichen. Tatsächlich zählte es nicht einmal im Angesicht dieser unbeschreiblichen, numinosen Qualität von Schwingung und Klang.
Als er um sieben vor seinem Haus in ein Taxi zum Lincoln Center stieg, wo er mit seinem Streichquartett ein Kammerkonzert spielen sollte, breiteten sich Angst und Anspannung in ihm aus. Das war kein Lampenfieber. Er war nie nervös vor einem Auftritt. Paul hatte plötzlich Angst vor dem Ende des Konzerts und der Publikumsreaktion, der er nicht ausweichen konnte.
Er kam fehlerlos durch das Programm. Die anderen Streicher, zwei Violinen und ein Kontrabass, spielten hochprofessionell. Paul war vollständig im Fluss und Rhythmus der Musik, war absolut konzentriert. Sein Herz war weit geöffnet und er erlebte jede einzelne Emotion, die die Saiteninstrumente malten – einen vollständigen Kreislauf der Erfahrungen des Lebens, von Glück und Schmerz, Gewinn und Verlust, Liebe und Hass. Und dann, wieder am Ende, den magischen Moment der absoluten Stille, in dem das Luminose fühlbar werden konnte. Konnte... Für ihn war es spürbar. Und auch seine Kollegen nahmen es wahr, sah er. Aber als er dann ängstlich in die Gesichter des Publikums sah, fand er nicht das Aufblitzen des Erkennens, das er so sehr ersehnte. Leere Augen blickten ihn wieder einmal verständnislos an. Er fand keinen Funken von Liebe oder Erstaunen in ihnen. Und auch heute erntete er mit seinem Orchester einen lauten, fast endlosen Applaus, der ihm nichts bedeutete. Die Stille war wichtiger, wusste er, aber ihre Magie war wieder einmal überhört worden.
◊◊◊
Der November verging wie im Flug und Paul schien sich besser zu fühlen. Die meiste Zeit war sein Geist sehr ruhig und still. Nur die Konzerte erinnerten ihn an den latenten Schmerz, den er so gut es ging zu unterdrücken versuchte. Nach fast jedem Auftritt musste er allein sein, um den Schmerz niederzukämpfen, der seine Brust einengte und ihn schwindelig machte. Was war nur mit ihm los? Woher kam dieser Schmerz? Was konnte er dagegen tun? Jeder Gedanke zündete einen Gegengedanken, genährt von dem Schmerz, den er nicht anerkennen wollte, der Niedergeschlagenheit, die er unbedingt abschütteln wollte. Aber sein Geist fand einfach keine Lösung. Er steckte fest und war sich dessen absolut bewusst. In diesen Momenten erinnerte er sich jedes Mal an die Frau, die er in der kalten Novembernacht in SoHo getroffen hatte. Manchmal hasste er sie, weil sie ihn so erschreckt hatte. Manchmal dachte er, sie sei Teil eines Albtraumes, der bald enden würde. Dann wieder wünschte er sich, ihr wieder zu begegnen, noch einmal ohne Abwehr und frei von Angst. In ihrem Auftauchen hatte irgendein Versprechen gelegen, fühlte er, aber er war unfähig seine Bedeutung zu erfassen.
Als er für den vierwöchigen Trip nach Europa packte, ergriff ihn endlich wieder ein Gefühl der Hoffnung. Er reiste mit einem extrem talentierten Orchester, das in den renommiertesten Konzerthäusern des Kontinents spielen würde. In vielen vorausgegangenen Konzertreisen in die alten Länder hatte er das europäische Publikum als versiert und sehr sensibel in der Wahrnehmung klassischer Musik erlebt. Es schien die alten Meister weit besser zu verstehen als die Amerikaner, näherte sich modernen Komponisten wie ihm aber weitaus skeptischer und mit größeren Vorurteilen. Die Kritiker dagegen liebten seine Kompositionen und verglichen ihn mit Idolen wie Philip Glass und Terry Riley. Aber er hatte nie viel auf die Meinung der Kritiker gegeben. Das Publikum war Pauls einziges Maß für die Qualität seiner Arbeit.
Der Koffer war gepackt und Paul tat, was er immer tat, bevor er verreiste: er rief seine Mutter in Boston an.
„Hallo Mutter. Ich fliege morgen!“
„Toi, toi, toi”, sagte sie, um ihm Glück zu wünschen. „Grüß mir Berlin!“
„Du kannst mitkommen. Ich habe dich mehr als einmal eingeladen.“
„Nein Paul.“ Sie lachte. „Du bist der Vagabund. Ich bleibe in der Weihnachtszeit lieber zu Hause!“
„Ich besuche Dich im Januar“, versprach Paul. „Ich habe zwei Monate frei zum Schreiben und für die Studioarbeit für den Shakespeare-Film. Keine Konzerte!“
Keine Konzerte. Was für eine Erleichterung, dachte er.
„Bis dann, Paul”
„Bis dann.“
New York
Der Konzertplan war eng und Paul fand kaum Zeit durchzuatmen oder zu entspannen. Sie spielten in London, Mailand, Wien, Zürich und zuletzt in Berlin. Die deutsche Hauptstadt war mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, als das Flugzeug in Tegel aufsetzte. Paul versuchte Berlin wie jedes andere Ziel zuvor zu sehen, aber er konnte die Tatsache nicht ignorieren, dass der Ort für ihn eine andere Bedeutung hatte. Er sah das Gesicht der Frau vor sich, die ihm vor nicht mehr als einem Monat in SoHo seinen Besuch vorausgesagt hatte. Er schüttelte seinen Kopf, um die Vision loszuwerden, aber je stärker sein Widerstand, desto lebendiger wurde sie. Ihre Augen glühten wissend. Sie sprachen von einer Einsichtsfähigkeit, die er noch nie in einem Menschen gesehen hatte. Ohne dass sie es in Worten ausgedrückt hätte, schien ihre ganze Erscheinung zu vermitteln, dass sie wusste. Aber was? Was kannte diese Frau? Seine Zukunft? Es musste mehr sein als das, fühlte Paul, ohne genau zu wissen, warum. Ihre Einsicht ging tiefer, sie war elementarer, universeller. Sie kannte ein verborgenes Geheimnis. Und genauso, wie er vergeblich herauszufinden versuchte, was ihre eigenartige Begegnung in dieser Nacht in SoHo für ihn bedeutet hatte, konnte er die Ängste niederkämpfen, die sie in ihm ausgelöst hatte. Ja, er hatte die Frau und ihre Selbstsicherheit gefürchtet. Und obwohl sie sehr viel über ihn gewusst und sogar seine Zukunft gekannt hatte, misstraute er ihr.
Er fröstelte und löste den Sicherheitsgurt, als das Flugzeug seine Parkposition endlich erreicht hatte. Phil sah ihn an und Paul lächelte.
„Bereit für einen eiskalten Ostwind?“
„Absolut!“ Phil sah ihn trotzig an.
Nach seinem eigenartigen Bekenntnis war Phil Paul gegenüber reservierter als jemals zuvor. Paul hatte versucht, den Riss in ihrer inneren Verbindung mit übertriebener Freundlichkeit zu kitten. Doch wenn er ehrlich zu sich war, dann musste er zugeben, dass er nicht einfach so zu reparieren war. Paul wollte die Gefühle seines Freundes weder verurteilen noch verletzen, und doch ließ ihn seitdem etwas vor Phil zurückschrecken, weil er nicht gelernt hatte, mit offen neidvoller Bewunderung umzugehen. Er war stets davon ausgegangen, dass sie sich auf Augenhöhe begegneten. Doch jetzt musste er erkennen, dass Phil über viele Jahre ein Gefühl der Unterlegenheit vor ihm verborgen hatte. Paul vermied es, mit Phil allein zu sein, doch jeder Akt der Vermeidung löste einen kalten stechenden Schmerz aus.
Der Bus, den Emerson für ihren gesamten Aufenthalt in Berlin gemietet hatte, brauchte über zwei Stunden durch den starken Schneefall zum Hotel in der Nähe des Kurfürstendammes. Paul starrte aus dem Fenster und stellte sich pausenlos dieselben Fragen. Warum Berlin? Was ist so wichtig an dieser Stadt?
Er war müde und fiel auf das Bett, sobald er die Tür seines Hotelzimmers verschlossen hatte. Als Phil anrief, um ihn zu fragen, ob sie gemeinsam zu Abend essen, lehnte er die Einladung ab.
„Ich bin so müde, Phil. Ich muss schlafen. Ich will morgen fit für die Probe sein.“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ja. Ich bin nur müde. Wir sehen uns beim Frühstück“, log er, als er den Schmerz der Vermeidung fühlte.
Paul starrte nachdenklich in die Dunkelheit. Er spürte, dass hier in Berlin etwas auf ihn wartete, irgendeine Erfahrung oder Einsicht. Doch was für eine Erfahrung? Welche Erkenntnis? Er war doch nicht das erste Mal in Berlin. Warum jetzt?
Er glitt in einen tiefen, unbewussten Schlaf, in dem Träume keinen Raum hatten. Erst, als die Stadt langsam erwachte, wurde sein Schlaf leichter und erlaubte unterbewussten Bildern Form anzunehmen. Pauls Träume waren für gewöhnlich intensiv, doch der Traum dieses Morgens war anders als alle, die er bisher erlebt hatte. Er sah sich wieder in der Bar in SoHo der hellsichtigen Frau gegenüber. Er erlebte dieselbe Situation im Traumzustand, die er tatsächlich vor ein paar Wochen im Wachbewusstsein erlebt hatte. Doch jetzt im Traum war Paul wesentlich ruhiger, klarer, achtsamer; er konnte viele Details sehr genau erkennen, die er während der tatsächlichen Begegnung nicht wahrgenommen hatte. Er sah das Gesicht der Frau, ihre leicht getönte Haut und ihre grünen Augen, die Sommersprossen auf Nase und Wangen. Erst jetzt wurde er sich ihrer Schönheit bewusst und sah, dass ihre Haut eigenartig golden schimmerte. Paul sah ihre zarten Finger und fühlte ihre Berührung auf seiner Haut wie ein brennendes Feuer der Energie, das er kaum ertragen konnte. Er erlebte erneut ihre dringende Ansprache und während sie sprach, wurde ihm ein leichter Akzent bewusst. Heute war sie ihm vertrauter als jeder Mensch, der ihm bisher im Wachbewusstsein begegnet war. Nicht nur sie kannte ihn, bemerkte er plötzlich, er kannte sie auch besser als jeden in seiner unmittelbaren Umgebung. Ihre Augen ließen nicht von seinen ab, als sie bestimmt sagte: „Du bist nicht der Mann, für den du dich hältst! Wach auf!“ Sein Herz begann schnell zu schlagen, er schwitzte und ein starker energetischer Schmerz lief durch sein Kreuz und die Beine, als er aufwachte, weil er sich hin und her warf und seinen Kopf am Nachttisch stieß. Eine Minute später fror er schrecklich und zwang sich aufzustehen und zu duschen, um mit warmem Wasser die Schatten des Traumes zu verscheuchen. Aber das Wasser konnte das Echo der faszinierenden Stimme der Frau nicht aus seinem inneren Ohr spülen. „Wach auf!“, befahl sie und er wusste, dass sie ihn nicht aus dem Schlaf dieser Nacht wecken wollte.
Als er den Frühstücksraum betrat, waren die meisten Orchestermitglieder schon versammelt. Phil stand auf und winkte. Paul begrüßte jeden, an dem er auf seinem Weg zu Phil vorbeikam. Manche der jüngeren Musiker mussten eine lange Nacht gehabt haben. Sie sahen sehr müde aus.
„Seid ihr in zwanzig Minuten bereit für die Probe?“, fragte er mit einem breiten Grinsen und die meisten nickten überambitioniert.
„Du siehst ausgeruht aus“, öffnete Phil die Konversation.
Paul zeigte seine Überraschung nicht. „Ja, ich habe sehr tief geschlafen, und du?“
„Prima. Ich habe nur ein Sandwich gegessen und bin dann noch in den Schnee hinaus. Diese Stadt hat etwas, das ich wirklich mag.“
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Berlin ist wirklich besonders.“
Paul nahm nur ein französisches Frühstück, Kaffee und Croissant, und verließ den Frühstücksraum als erster wieder. Am Eingang blieb er stehen und klatschte in die Hände.
„Die Probe beginnt in 10 Minuten im Senator Saal. Seid bitte pünktlich!“
Er ging direkt in den größten Konferenzsaal des Hotels, den Emerson für zwei zusätzliche Proben vor der eigentlichen Generalprobe im Konzerthaus am Gendarmenmarkt gebucht hatte. Natürlich kannte das Orchester sein Programm. Doch Paul hatte gelernt, dass es auf einer Konzertreise wichtig war, ein Konzert an jedem neuen Ort mehr als ein Mal zu proben. Die Musiker mussten sich an Klima, Atmosphäre, Jetlag und viele andere Reisephänomene anpassen. Und je mehr Zeit sie hatten, die Musik und die Qualität der individuellen Umgebung im Spiel zu verschmelzen, desto besser spielten sie. Außerdem war es auf Reisen wichtig für alle, eine tägliche Routine beizubehalten, die die Musiker wach und mit der Musik und dem Dirigenten verbunden hielt.
Die Instrumente waren schon hereingebracht worden. Doch als Paul den riesigen Raum betrat, war er allein. Er sah sich um, um die besondere Atmosphäre zu erfassen und nahm einen tiefen, ruhigen Atemzug. Das Hotel war in den goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts errichtet worden, ein historisches Gebäude mit hohen Decken und vielen architektonischen Besonderheiten dieser Zeit. Es erinnerte ihn an sein Apartmenthaus in New York. Paul ging hinüber zum Dirigentenpult und öffnete die Partitur. Jede Note erschien in Form eines Klanges in seinem inneren Ohr, sobald er sie betrachtete. Er erinnerte sich an die Nacht, als er diese Suite geschrieben hatte. Er war früh zu Bett gegangen, aufgerieben von seiner Trennung von Kaya. Sie hatte ihn emotional sehr verletzt. Die Suite spielte in seinem Geist und beruhigte ihn, doch zur gleichen Zeit wühlte sie seine Gefühle - Schmerz und Schuld – heftig auf. Sie wurden stärker und wilder, unbezähmbarer. Kaya hatte recht gehabt. Er hatte sie und Sean zuerst verletzt, vielleicht unheilbar. Es war nur gerecht, dass auch er durch ihre Reaktion und die Konsequenzen seiner Entscheidung verletzt worden war. Als er L.A. verlassen hatte, um nach New York zu ziehen, hatte er nicht gewusst, dass er mit der grausamen Währung der Einsamkeit bezahlen würde.
Das Ensemble betrat in kleinen plaudernden Gruppen den Saal und Paul erwachte aus den untrennbar mit seiner Komposition verwobenen Erinnerungen. „Willst du, dass das Publikum deinen Schmerz fühlt?“, fragte ihn eine innere Stimme eine Sekunde zu spät. Seine Aufmerksamkeit war bereits auf die intensive Probe gerichtet, die vor ihnen lag. Bevor seine Wahrnehmung jedoch vollkommen von seiner Arbeit vereinnahmt wurde, bemerkte er undeutlich seine Rationalisierung: es gibt keine Liebe ohne Verletzung!
Gleich darauf gab es für Paul nur noch seine Arbeit, das Dirigieren, das Zuhören. Für ihn war der Dirigent der einzige im ganzen Orchester, der den Weg, den die Partitur zeichnete, persönlich gegangen war. Er kannte jede Gefahr, jede Klippe, jedes Loch. Er kannte die Sackgassen und auch die schönen Stellen, die Höhepunkte der Reise. Und es war jedes Mal wieder seine Aufgabe das Orchester durch unbekanntes Terrain zu führen, obwohl alle Musiker das Stück schon unzählige Male gespielt hatten. Sie vertrauten darauf, dass er fähig war, sie durch das ganze Stück hindurchzuführen und er war absolut sicher, dass sie fähig und bereit waren ihren Weg zu finden und das Beste aus ihm zu machen. Die Streicher spielten gerade und füllten den gesamten Saal mit einem so reichen und für Paul so bedeutsamen Klang, dass er tief in sich fühlte und sich ganz und gar ergeben musste. Das war reine Schönheit für ihn, Schönheit jenseits von Worten und jenseits von Beschreibungen; die Schönheit des Lebens selbst, die versteckt in allen Dingen und allen Wesen lag. Paul kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder. Er war plötzlich völlig überwältigt von dem Wunsch, diese Schönheit in seinem eigenen Leben zu finden, nicht nur in der Musik, sondern im Leben selbst. Er schluckte einige Male stark und hätte fast seine Konzentration verloren, doch dann warfen andere Instrumente das Echo der Streicher zurück und seine Gefühle ließen ihn frei.
Als er aufsah, sah er einen älteren Mann am Eingang stehen. Ihre Augen begegneten sich für einen Augenblick, obwohl mehr als zwanzig Meter zwischen ihnen lagen. Paul sah, dass der Mann – genau wie er - zu Tränen gerührt war. Doch als er das nächste Mal von der Partitur aufblickte, war der Mann verschwunden.
Diesmal wagte Paul nicht, Phils Einladung zum Mittagessen erneut auszuschlagen. Sie liefen gemeinsam durch den Schnee. Warm eingepackt in dicke Jacken, Mützen und Lammfell-Handschuhe sahen sie den weißen Wolken ihres Atems nach, der schimärische Gestalten formten.
„Willst du darüber reden?“ wagte Phil zu fragen, als sie wenig später in einer italienischen Bar in einer kleinen Seitenstraße saßen.
„Reden? Worüber?“ Paul reagierte kalt und defensiv und gab vor, sich auf die Speisekarte zu konzentrieren.
„Etwas belastet dich! Ich befürchte, es könnte mein Eingeständnis sein, dass ich dich bewundere!“
Paul sah aus dem Fenster. Er war nicht bereit, Phil ins Gesicht zu lügen, wollte aber auch nicht zugeben, dass der Freund recht hatte.
„Das ist es nicht. Ich habe dir doch erzählt, dass ich allgemein eine schwere Zeit habe.“
„Wegen der Wahrsagerin?“
„Sie war keine Wahrsagerin!“ Paul schrie beinahe. Seine heftige emotionale Reaktion erschreckte ihn selbst. Der Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen und Paul wollte das Gespräch hier beenden, doch Phil ließ ihn nicht vom Haken.
„Entschuldigung. Ich dachte, sie hätte dir gesagt, dass du nach Berlin reisen wirst, noch bevor du es selbst wusstest.“
„Ja, hat sie, aber sie ist keine Wahrsagerin.“ Paul versuchte in Worte zu fassen, was sie für ihn war. „Sie war eher eine Botin, jemand der mich kennt und mich wissen lassen wollte, dass ich vor großen Veränderungen in meinem Leben stehe.“ Überraschung erfüllte ihn, als er seine eigenen Worte hörte.
„Es ist noch immer wegen des Publikums!?“
Paul atmete tief ein. „Nein, Phil. Und genau deshalb möchte ich auch nicht darüber sprechen. Weil ich einfach niemandem erklären kann, was ich im Moment erlebe und fühle. Ich weiß es ja selbst nicht.“
„Warum versuchst du es nicht. Manchmal hilft das.“ Phil sah ihn unschuldig an und Paul wusste, dass er ihm vertrauen konnte. Er machte sich Sorgen und wollte ehrlich helfen. Paul konnte sein Mitgefühl unmöglich zurückweisen.
„Es ist nicht wegen des Publikums. Ich meine,... Das Publikum ist nicht der Grund für mein mentales und emotionales Durcheinander.“
Phil nickte verständnisvoll. Paul fühlte sich ermutigt, nach Worten und Erklärungen zu suchen.
„Die Zuhörer sind eher wie ein Spiegel, der mir zeigt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich will mehr oder etwas ganz anderes, als ich kriegen kann, und ich weiß einfach nicht warum!“
„Liegt das an Kaya?“
„Kaya? Nein. Das ist lange vorbei. Ich habe sehr gelitten bevor, während und nachdem wir uns getrennt haben. Aber ich glaube, dass das Schlimmste jetzt ausgestanden ist. Das ist jedoch ein weiterer seltsamer Punkt der ganzen Geschichte. Warum jetzt? Beruflich bin ich so erfolgreich wie nie zuvor und auch privat haben sich die Wogen geglättet.“
„Könnte das eine Depression oder eine Art Burnout sein?“
„Ja, vielleicht. Ich weiß es nicht. Es fühlt sich nicht wie eine Krankheit an. Eher wie eine bevorstehende Veränderung.“
„Was für eine Veränderung?“
„Ich wollte, ich könnte es erfassen, Phil. Ich habe letzte Nacht von der Frau geträumt. Sie hat mich gedrängt aufzuwachen.“
Phil fröstelte und sah Paul ernst an. „Du bist ein sehr glücklicher Mann. Aber ich glaube, du solltest dich auf einige Dinge vorbereiten, die dir nicht gefallen werden!“
„Ich will keine Veränderung. Ich mag mein Leben.“
Phil lachte. „Lass los, Paul. Lerne von deiner Musik. Sie fließt mit jeder Veränderung und am Ende ist es genau das, was ihre Ganzheit und Vollständigkeit ausmacht: ihre Bereitschaft alles zu sein – Freude und Leid, Verlust und Gewinn!“
Sie trennten sich vor dem Restaurant, weil Phil noch ein paar Dinge besorgen wollte. Paul wanderte zunächst ziellos durch die Stadt, deren Atmosphäre ihn noch immer faszinierte. Etwas zog ihn durch den Park in Richtung Reichstagsgebäude. Während des längeren Spaziergangs ließ Paul seinen Gedanken freien Lauf. Sein Blick glitt über Landschaft, Architektur, Autos und Menschen, als er plötzlich den metallischen Klang einer Militär-Kapelle mit seinem inneren Ohr hörte. Paul war geübt darin, beides – innere und äußere Welt – zu unterscheiden und zugleich wahrzunehmen. Er fröstelte, als der innere Klang der Militär-Kapelle lauter wurde und er gleichzeitig hörte, wie Soldaten im Gleichschritt marschierten. In den Klängen lag ein dunkles, alarmierendes Gefühl, das sich noch verstärkte, als korrespondierende Bilder vor seinem inneren Auge auftauchten. Die Soldaten waren in braun-grüne Uniformen gekleidet. Als er im inneren Raum aufsah, erblickte er rote Flaggen mit Hakenkreuzen, dem Zeichen des Naziregimes, die vom Reichstagsgebäude herabhingen. Sein Herz begann so schnell zu schlagen wie am Morgen. Panik stieg erneut in ihm auf. Das innere Bild suggerierte so sehr Gefahr, dass er sich tatsächlich bedroht fühlte. Er blieb abrupt stehen und wendete den Blick nach außen, um sich mit der aktuellen Zeit und dem gegenwärtigen Ort zu verbinden. Er folgte den Autos mit seinem Blick, um sich zu vergewissern, dass dies nicht 1930, sondern 2016 war. Er sah die jungen Leute an, die liefen, Fahrrad fuhren, geschäftig hierhin und dorthin gingen. Sie waren modern gekleidet, benutzen ihre Handys und tranken Kaffee. Paul machte einen Schritt an den Straßenrand und winkte nach einem Taxi. Zum Glück hielt schon wenige Minuten später ein beigefarbener Mercedes neben ihm. Erst, als er das kalte schwarze Leder der Sitze unter sich fühlte, konnte er ein wenig entspannen. Aber die inneren Bilder hielten ihn weiter gefangen.
In der Lobby stieß er mit Phil zusammen.
„Oh, Gott. Du bist total blass. Bist du okay?“
„Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ich muss allein sein!“
Phil wusste nicht, was er tun sollte, um Paul zu beruhigen. Besorgt ließ er ihn in den Fahrstuhl laufen und sah ihm hilflos nach, als Paul hinter den schließenden Türen verschwand.
Paul fiel in einen Sessel, ohne seinen Mantel auszuziehen. Sein Herz schlug noch immer heftig, und er konnte die Bilder nicht kontrollieren, die im Schutze des Hotelzimmers über seinen Geist hinweg schwappten, Visionen von Berlin, die über siebzig Jahre alt waren. Er sah viele Orte, an denen er nie gewesen war und wusste doch, dass sie zu jener Zeit existiert hatten. Soldaten und junge Mädchen in Uniform übten Stechschritt. Die ganze Stadt war in eine dunkle, einschüchternde Atmosphäre gehüllt, die jedes positive Gefühl schluckte, sogar jede positive Handlung. Es war ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab. Erst nach einiger Zeit erinnerte er sich an den Rat, den ihm die Frau in SoHo gegeben hatte: „Sie werden nach Berlin reisen und Sie müssen dort sehr achtsam sein. Für Ihre Gedanken und Gefühle; für alles, was Ihnen zufällig begegnet. Sie müssen auf Ihre innere Stimme hören. Und bitte, beurteilen Sie Ihre Erfahrungen nicht. Sie sind absolut sicher und Sie werden geführt!”
Paul fühlte sich nicht sicher und auch nicht geführt, aber die Stimme der Frau und ihre Worte beruhigten ihn. Sie hatte ihn gewarnt. Vielleicht hatte Phil doch recht und er war ein glücklicher Mann. „Was sagt diese innere Stimme mir in diesen Bildern“, fragte er sich. Sofort gewann er Distanz zu den erschreckenden Szenen und den nötigen Mut, sich ihnen zu stellen. Sie zwingt mich, zurück zu sehen, Berlin so zu sehen, wie es vor mehr als einem halben Jahrhundert gewesen ist. Gleichzeitig zeigt sie mir das heutige Berlin, die lebendige, kreative Stadt, einen Ort der Einheit, wo Ost und West wiedervereinigt worden sind, eine moderne, kosmopolitische Stadt. Er wagte es, sich auf die Bilder der Vergangenheit zu konzentrieren. Die Atmosphäre der Jahre vor Ausbruch des Krieges, die Manipulation der Deutschen durch das Nazi-Regime und seine Propaganda, die Vorbereitung auf und das Training für den Krieg und die Morde an Millionen. Paul sah, wie eine unmenschliche Ideologie den gesunden Menschenverstand einer ganzen Nation verdrängte und geißelte, und er konnte nur einen Gedanken denken: „Gott sei Dank war ich nicht Teil davon!“ Und mit diesem Gedanken endete der Albtraum. Abrupt. Plötzlich war er vorbei und entließ Pauls Wahrnehmung zurück in das Hier und Jetzt.
Bis zum nächsten Morgen versteckte Paul sich in seinem Hotelzimmer. Er ging nicht einmal zum Frühstück, sondern bestellte sehr früh den Zimmerservice. Dann verließ er das Hotel für einen weiteren langen Spaziergang durch die Stadt. Er war fest entschlossen, die Angst nicht sein Verhalten regieren zu lassen und sich den Bildern seines Unterbewusstseins zu stellen. Aber heute schwieg es. Keine Bilder. Keine Visionen. Er lief durch die Straßen und versuchte herauszufinden, was die Sequenz der inneren Bilder gestern ausgelöst haben könnte. Er ging an denselben Plätzen vorbei. Doch sein Geist blieb ruhig.
Zurück am Hotel hatte er noch Zeit für einen starken, heißen Espresso in einer kleinen Bar gegenüber. Sie erinnerte ihn an die Bar in SoHo, obwohl sie viel europäischer wirkte. Er setzte sich an den Tresen und bestellte einen Macchiato. Beim zufälligen Blick in den Spiegel hinter der Theke, erkannte er überrascht das Gesicht des alten Mannes, der gestern der Probe zugehört hatte. Paul stand auf und näherte sich neugierig seinem Tisch.
„Good morning, Sir. Did you listen to our concert rehearsal at the Hotel vis-à-vis yesterday?“ Er zeigte auf den Hoteleingang auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Der alte Mann sah ihn an, schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „No English!“
Paul sah den Kellner hilflos an. „Could you translate for me? I do not speak any German.“
„Ich kann es versuchen“, willigte der Kellner unsicher ein und wandte sich direkt an seinen älteren Gast. „Haben Sie gestern die Probe im Hotel gegenüber gehört, hat der Herr gefragt.“
Der Mann sah Paul mit großen Augen an und nickte.
„May I invite you for tomorrow’s concert at Gendarmenmarkt?“
„Der Herr möchte Sie zu seinem Konzert morgen ins Konzerthaus einladen.”
„Das ist sehr freundlich von ihm. Ich werde gerne kommen. Aber ich habe nämlich schon eine Karte.“ Der Alte lachte.
“He already has a ticket, Sir.”
Auch Paul lachte nun. „May I invite you for a coffee, then?“
„Der Herr möchte Ihnen dann wenigstens einen Kaffee ausgeben.”
„Sehr gern. Aber er muss sich zu mir setzen. Ich würde ihn gerne etwas Wichtiges fragen.“