Für Michel Petrucciani – von uns gegangen,
ohne das 21. Jahrhundert erlebt zu haben.
Eugenia, meine Eugenia. Um dich wiederzusehen,
Reiste ich all diese Zeit allein. Heute ist das Ende gekommen
Auch der Tage des Zitterns in der fernen Morgendämmerung.
Wir werden zusammen sein, ab jetzt und für immer.
Das Lied, das von meinen Lippen aufsteigt,
Die Insekten, im morgendlichen Wald von meinen Schuhen zertreten,
Und mein unermüdlich Blut pumpendes, kleines Herz,
All das bringe ich dir dar.
Kannst du dich an irgendetwas erinnern?
Wie ich vor einem kalten, dunklen blauen Raum stand.
Und wo war dieser Raum? Bei jemandem zu Hause?
Ich weiß es nicht.
Weißt du, warum du vor diesem Raum gestanden hast?
Nein. Nur, dass da ein Erwachsener war und meine Hand gehalten hat. Der muss mich auch zu diesem Raum gebracht haben, glaube ich.
Wer war dieser Erwachsene?
Ich weiß nicht.
Erzähl mal was über den blauen Raum. Was darin war blau?
Die Wände waren blau. Ein tiefes, kaltes Blau. Der Raum war klein und sauber, japanisch eingerichtet, mit Tatami-Matten. Ich glaube, er war ungewöhnlich aufgebaut – zwei Wände zum Gang. Manches war auch rötlich lila. Ich erinnere mich noch, dass ich gedacht habe, wie unangenehm es wäre, wenn das meine Wohnung wäre und ich dort essen müsste.
Und dann bist du hineingegangen?
Nein. Wir haben nur von außen reingeguckt. Zumindest erinnere ich mich nicht daran, reingegangen zu sein.
Was ist dann passiert?
Ich erinnere mich nicht.
Kannst du dich noch an irgendetwas erinnern? Egal was, egal wie unwichtig es dir erscheint.
An Kräuselmyrte.
Ein Kräuselmyrtenbaum, meinst du? Mit so einem glatten Stamm?
Nein, eine Blüte. Eine weiße Kräuselmyrtenblüte.
Weiß? Nicht rot?
Ja. Ich erinnere mich an eine schneeweiße Kräuselmyrtenblüte, voll aufgeblüht.
Versuch dich ganz in Ruhe zu erinnern. Woran hast du gedacht, als du diese weiße Blüte angesehen hast? Wie hast du dich gefühlt?
Sie war so schön. Voll aufgeblüht, ohne jeden Fleck. Sie war so schön, dass ich Angst hatte.
Du hattest Angst? Wovor?
Ich weiß nicht. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich vor der Blüte große Angst.
Vom Meer her
Eine neue Jahreszeit bringt immer Regen mit sich.
Nein, das stimmt nicht, »neu« ist nicht das richtige Wort. Die nächste. Die nächste Jahreszeit bringt immer Regen. So fühlt sich das in dieser Stadt an.
Der Wechsel ist hier auch nie dramatisch, mehr als würde jedes Mal, wenn es regnet, nach und nach eine Grenze verwischt werden und die alte Jahreszeit Stück für Stück übermalt. Sie wechseln zögerlich, als würden sie nicht loslassen können.
Der Regen kommt in diesem Teil des Landes vom Meer her.
Das habe ich als Kind immer gespürt.
Jetzt stehen Gebäude im Weg, aber früher konnte man fast überall in der Stadt, auf jeder leichten Erhöhung, das Meer sehen. Die beunruhigenden Regenwolken, die immer muffige Hitze mit sich brachten, kamen vom Meer herangekrochen, wellenförmig die Straßen herauf.
Als ich in die Kantō-Region gezogen bin, war ich überrascht zu merken, dass der Wind da vom Land zum Meer hin bläst.
Dort an der Küste wirkt das Meer nicht so erdrückend, und selbst wenn man näher rangeht, spürt man es kaum. Die Hitze und Gerüche des Landes fliehen raus aufs Meer. Die Städte sind zum Meer hin offen. Und der Horizont ist in weiter Ferne, wie ein gerahmtes Bild.
Aber das Meer hier ist überhaupt nicht erfrischend. Wenn man es betrachtet, fühlt man sich weder frei noch erleichtert. Und der Horizont ist immer nah, als würde er nach einer Gelegenheit suchen, sich dem Land aufzuzwingen. Es fühlt sich an, als würde man beobachtet und als würde das Meer sich über einem ergießen, wenn man es wagte, nur einen Moment lang wegzublicken. Verstehen Sie?
Heiß hier, oder?
Die Hitze ist so schwer. Als wäre die Stadt in einem Dampfgarer eingeschlossen. Solch eine Hitze ist grausam, raubt einem mehr Energie, als man erwarten würde.
Als Kind fand ich den Sommer unerträglich. Ich habe jeden Appetit verloren und konnte kaum etwas essen. Am Ende des Sommers habe ich nur noch kalte Sōmen-Nudeln und kalten Gerstentee zu mir genommen, das war alles. Auf Fotos sehe ich dünn aus, mit hervorstehenden Augen. Haben Sie gemerkt, wie zittrig die Beine werden, wenn man über diesen heißen Asphalt läuft? Heute haben alle Klimaanlagen, da ist es nicht so sehr die Sommerhitze als vielmehr der Schock durch den Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen, der einem zu schaffen macht. Es wird jedes Jahr heißer, finden Sie nicht? Das ist wohl der Klimawandel.
Ich war wirklich lang nicht mehr hier.
Wissen Sie, dass wir hier nur vier Jahre gelebt haben, als ich in der Grundschule war? Wir sind, als ich sieben war und in die zweite Klasse ging, im Frühling hergekommen und, als ich in die sechste Klasse ging, im Frühling nach Nagano gezogen.
Ja, währenddessen bin ich ein Jahr von Tokio hergependelt.
Haben Sie einen Schirm dabei? Wird im Reiseführer ja immer empfohlen. Der Himmel? Jetzt ist er blau, aber man weiß nie, für wie lange.
Diese Schwüle! Solch eine blutrünstige Hitze entzieht einem jede Lebensenergie. Die Wolken hängen so tief, als könnte man sie berühren, und um sie herum leuchtet es stumpf, das Himmelsblau ist trüb. An solchen Tagen kommen nachmittags schwere Regengüsse. Eh man sich versieht, bedecken die tiefen Wolken den Himmel und gießen ihren Regen über die Stadt. Ein Regenschirm hilft da kaum, Knöchel und Schultern werden trotzdem nass, und bald hat man genug und fühlt sich nur noch elend.
Heute trägt keiner mehr Gummistiefel, oder? Als Kind habe ich die geliebt an Regentagen. Sind Sie auch manchmal über Pfützen gesprungen oder absichtlich mit beiden Füßen hineingehüpft, um ordentlich rumzuspritzen?
Schneien tut’s hier eigentlich kaum. Wir haben eine Weile in Toyama gelebt, bevor wir hergezogen sind, das ist gar nicht weit weg, und dort gab’s jede Menge Schnee. Schweren, nassen Schnee. Von der Art, dass Schneebälle wehtaten und die Papierschiebetüren im Haus klemmten. Solchen Schnee gibt es hier nicht.
Aber Menschen sind schon eigenartig. Aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn das Wetter so schwül ist, können wir uns kaum vorstellen, dass die Stadt nur ein paar Monate zuvor von Schnee bedeckt war.
Meine Güte, ist das heiß.
Finden Sie den Aufbau dieser Stadt nicht auch eigenartig?
Ach nein? Na ja, die meisten Städte haben eine Art Einkaufsmeile in der Nähe des Bahnhofs. Also, anders ist das natürlich, wenn die Station später erst erbaut wurde, für einen neuen Shinkansen oder als Anschluss an einen Flughafen, aber normalerweise ist bei alten Städten auf dem Land der Bahnhof doch das Zentrum. Aber hier nicht. Um den Bahnhof gibt es nur ein paar Hotels, das Herz der Stadt und die Geschäftsgegend sind weiter weg.
Ich habe schon einige Präfekturhauptstädte gesehen, die sind alle ähnlich. Vor dem Bahnhof gibt es einen Kreisverkehr, umgeben von Kaufhäusern und Hotels. Vom Bahnhof geht eine Hauptstraße aus, die mit Läden gesäumt ist, und dann gibt es einen Vergnügungsbezirk in einer Gegend, parallel – nicht ineinander übergehend, aber auch nicht wirklich getrennt – zum Büro- und Regierungsviertel. Und auf der anderen Seite des Bahnhofs ist meistens eine Art Neubauviertel mit reihenweise gesichtslosen neuen Gebäuden.
Aber hier habe ich als Kind schon den Aufbau nicht verstanden. Ich wusste, wo die einzelnen Bushaltestellen waren, und kannte die Gegend drum herum, aber ich hatte kein Gesamtbild.
Wollen wir etwas spazieren gehen?
Bei anderen Städten weiß man genau, wo sie aufhören. Man sieht sofort, dass hinter einer bestimmten Grenzlinie entweder eine Wohngegend oder Landwirtschaft beginnt.
Aber hier weiß man nicht, wo die Stadt aufhört. Man läuft ein Stück und ist plötzlich im Teehaus-Viertel. Oder im Tempel-Bezirk. Dann wieder alte Samurai-Häuser, danach die Präfektur-Büros, dann der Vergnügungsbezirk. Egal wohin man geht, alles ist in kleine Siedlungen aufgeteilt. Wenn man so durch die Stadt läuft, ist das wie bei Synapsen, finde ich. Es gibt kein Zentrum, nur verstreute kleine, lose verbundene Gemeinschaften. Man könnte die ganze Zeit laufen und bekäme nie das Gefühl, am Ende angekommen zu sein. Als würde man Spielsteine beim Sternhalma bewegen.
Ich geh gerne durch alte Städte. Einfach irgendwo hinlaufen und ein bisschen vom Leben anderer erhaschen. Es macht mir Spaß, eine Milchkanne vor einem alten Haus zu sehen oder ein antikes Emailleschild, das an die Wand eines kleinen Ladens geschlagen wurde. Wenn man durch alte Städte geht, kann man vergangene Zeiten besuchen.
Ich mag die Stadt hier, weil man sich hindurchwinden kann. In großen Städten wie Kyoto sind die Straßen alle systematisch wie in einem Computerspiel angeordnet; wenn man da langgeht, fühlt man sich von Machtlosigkeit überwältigt. Vielleicht auch, weil die Altstadt von Kyoto so flach ist. Es kann überraschend anstrengend sein, über ebene Gegenden zu laufen, wenn sich nie die Geschwindigkeit oder die Atmung verändert. Man spürt überall die Geschichte der alten Hauptstadt.
O ja, ich bin sicher, dass militärische und historische Umstände die Entwicklung dieser Stadt beeinflusst haben.
Hier, auf der Karte können Sie es sehen; der kleine Berg ist das Zentrum der Stadt, und um ihn herum fließen die zwei Flüsse. An drei Seiten von Hügeln umgeben, und zur vierten liegt das Meer. Eine natürliche Festung. Sie soll schwer zu erobern sein, mit der Burg auf der Spitze des Berges und der Stadt im Hang darunter, und dann dieses Netzwerk von engen Straßen und Hügeln. Die Stadt ist nie abgebrannt, sodass viel von der alten Struktur erhalten ist.
Das Wort »abgebrannt« weckt Erinnerungen. Als Kind habe ich oft gehört, dass Erwachsene das benutzt haben. »Ist etwas abgebrannt?«, habe ich sie fragen hören, oder: »Dort ist nichts abgebrannt.« Damals habe ich es nicht verstanden, aber was sie wirklich gefragt haben, war, ob irgendwo eine Bombe im Zweiten Weltkrieg eingeschlagen hat. Ist das nicht furchtbar, wenn man bedenkt, dass das so oft passiert ist, dass diese Redewendung zu den alltäglichen Gesprächen gehörte?
Hier war ich echt schon lange nicht mehr. Seit einem Wandertag in der Grundschule. Wenn man in der Nähe einer berühmten Sehenswürdigkeit wohnt, geht man da kaum hin. Jetzt nach dem Hochsommer, wo es so schwül ist, sind nicht mal Touristengruppen da. Aber umso besser für uns, dann können wir in Ruhe alles ansehen. Im Winter, wenn die Bäume und Sträucher gegen die Schneelast hochgebunden werden, wird das sogar in den Nachrichten gezeigt, und dann kommen einige Touristen zusammen.
Aber schon einleuchtend, dass der Garten einer der drei berühmtesten in Japan ist. Allein die Größe und Weite, die vielen verschiedenen Landschaftsformen, und wie gut gepflegt er ist. Das Laub hier ist so dicht, fast wild, finde ich.
Macht ist ein erstaunliches Phänomen, oder? So etwas Erstaunliches kann heute niemand mehr hervorbringen. Natürlich ist das wundervoll. Es ist schön, ein Stück Kulturerbe, auf das man stolz sein kann, und ein Grundpfeiler des japanischen Geistes. Aber letztlich auch einfach ein Garten. Kein Bauernhof, keine Schule und kein Bewässerungssystem. Die Macht derer, die diesen Garten geschaffen haben, und die Zähigkeit, ihn für Hunderte von Jahren zu erhalten, übersteigen das Verständnis von Leuten wie uns, glaube ich.
Stimmt. Manchmal finden wir uns in Umständen wieder, die unser Verständnis übersteigen, als wären die aus einer anderen Dimension gekommen. Überraschungsangriffe, unter dem Deckmantel des Zufalls. Wenn so etwas passiert, kann niemand erklären, was wirklich vor sich geht. Natürlich nicht.
Was, denken Sie, sollte jemand tun, der auf etwas stößt, das er nicht versteht, das seinen Verstand übersteigt?
Es leugnen? So tun, als hätte man es nie bemerkt? Wütend sein? Sich ärgern? Trauern, oder einfach verwirrt sein? Das wären wahrscheinlich die natürlichen Reaktionen.
Bei mir war es so, dass ich kurze Zeit später nach Nagano gezogen bin, aber das war offenbar genug, um darüber hinwegzukommen, schließlich war ich ein Kind. Ich habe die ganze Sache recht schnell vergessen.
Dachte ich zumindest, aber tatsächlich habe ich sie noch in mir getragen, wie Sediment, das sich tief unten abgesetzt hatte.
Es war mir nicht besonders unangenehm, mich an die Ereignisse zu erinnern. Ich war ja nicht direkt beteiligt. Aber als ich älter wurde, fühlte ich jedes Mal, wenn ich Zeugin einer Ungerechtigkeit oder einer Sache, die ich nicht verstehen konnte, wurde, sich heimlich etwas tief in mir regen, als würde jemand sacht in mir umrühren und irgendetwas in mir heraufbefördern. Und mit der Zeit hat sich diese schwere Stimmung in meinem Körper angereichert.
Den Anlass weiß ich nicht mehr, aber eines Tages wurde mir klar, dass ich etwas gegen diese Ansammlung in meinem Körper tun musste. Ich wusste, dass ich ersticken würde, wenn ich das nicht aus meinem Körper kratzte.
Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich tun könnte. Um das alles an die Oberfläche zu bringen.
Ich habe nachgedacht, obwohl ich es nicht begreifen konnte.
Und dann habe ich mich informiert und wollte das tun, was mir möglich war, so gut ich es konnte.
So bin ich damit umgegangen. Die einzige Wahl, die mir blieb.
Das Ergebnis davon war Das vergessene Fest.
Erst hier hört man endlich den Verkehr nicht mehr.
Autos, Autos, wohin man auch geht. Warum gibt es so viele Autos auf den Straßen? Wohin wollen die Leute? Das finde ich manchmal seltsam. Es gibt so viel Verkehr, aber wie schon gesagt, sind die Straßen alter Städte wie dieser eng. Es gibt ständig riesige Staus bei den Regierungsbüros.
Diese Zedern sind wunderschön. Und die Kiefern. So intensive Farben. Fast mehr Schwarz als Grün, schon. Ein Grün, das an Dunkelheit grenzt.
Sogar das Teichwasser sieht schwer und still aus in dieser Hitze.
Sehen Sie, wie hoch über dem Meeresspiegel wir sind. Es war früher schrecklich schwer, Wasser hier hochzupumpen. Die Methode, die das Wasser durch eine Düker-Technik vom Fluss den Berg hochgepumpt hat, ist bekannt, aber ich muss mich jedes Mal, wenn ich diesen Teich sehe, an die Legende erinnern, dass die Handwerker getötet wurden, um die Technologie geheim zu halten. Ich weiß nicht, ob das wirklich wahr ist, aber der Punkt ist ja, dass es wahr sein könnte.
Angst ist ein Gewürz, das Glaubwürdigkeit spendet. Die richtige Menge davon macht jede Geschichte plausibel.
An solche Sachen erinnere ich mich.
Zur Zeit des Vorfalls damals gab es eine seltsame Mode unter den Mädchen meiner Klasse. Können Sie raten, was es war?
Blumen pressen! Ja, alle haben damals Tagblumen gepresst.
An jenem Tag wurde ein Brief mit einem Glas beschwert, in dem Tagblumen standen. Die am Tatort zurückgelassenen Tagblumen wurden für die Mädchen zum Talisman. Man hat sich gesagt, dass eine gepresste Tagblume als Lesezeichen dagegen schützen würde, von einem Amokläufer als Ziel ausgewählt zu werden. Also haben sich alle nach den Blumen umgesehen, um sie zu pressen. Dafür gab es keinen logischen Grund. Aber damals sind viele seltsame Gerüchte umgegangen. Dass die Blumen in einem Telefonbuch gepresst werden müssten oder bei jemandem in einer gefalteten Zeitung unter den Futon geschoben werden müssten, und wenn der das nicht bemerkte, brachte es Glück, oder dass man zum Pressen nur Lehrbücher für Naturwissenschaften benutzen dürfe – solche Dinge. Ein Mädchen, mit dem ich befreundet war, hat mir damals so ein Lesezeichen gegeben und mir gesagt, dass ich sicher wäre, solange ich es immer bei mir trüge.
Ja, die Mädchen haben sich damit bei Laune gehalten. Aber nicht nur sie, auch die Erwachsenen.
Natürlich waren die alle traumatisiert. Ich meine, es war unfassbar, dass so etwas Schreckliches in der Stadt passiert sein sollte, in der wir wohnten! Das Leben aller war enorm erschüttert. Angst verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und wir waren alle mit den Nerven am Ende und erschraken bei jedem bisschen. Aber anders betrachtet, herrschte eine Aufregung, wie sie sonst nur durch Fieber hervorgerufen wird. Wir befanden uns in einem Dauerzustand der Hochspannung, wie man ihn im Alltag nie hat. Wenn ich an die Atmosphäre zurückdenke, die ich damals körperlich spüren konnte, war es, als ob wir alle an einem großen Event teilgenommen hätten.
Deswegen wählte ich das Wort »Fest«; so fühlte es sich für mich an.
Natürlich weiß ich, dass es manche Leute verärgert hat, dass ich den Titel Das vergessene Fest benutzt habe. Aber am Ende ist es eben Fiktion, auch wenn sie auf Fakten und Recherche basiert. Für mich war es eine Art Fest.
Tatsachenroman? Das Wort gefällt mir nicht. Egal wie sehr man sich an die Wahrheit halten will, da schreiben immer noch Menschen, also kann es keine »Tatsachenromane« geben. Das Einzige, was es gibt, ist eine Fiktion dessen, was man sehen kann. Aber was wir sehen, trügt. Dasselbe gilt für das, was wir hören und fühlen. Reale Fiktion und irreale Fiktion – nur das kann man, meiner Meinung nach, unterscheiden.
Ah, diese Hitze!
Mir läuft der Schweiß in die Augen. Mein Hemd hat schon Salzränder – wie unschön.
Der Teil des Gartens hier ist für die Kirschbäume, aber in dieser Jahreszeit merkt man das kaum.
Das ist das Komische bei Kirschbäumen. Bei anderen Bäumen weiß man das ganze Jahr über, was für welche es sind. Ein Ginkgo, eine Kamelie, ein Ahorn oder eine Weide … Nur Kirschbäume werden, wenn sie nicht gerade blühen, einfach namenlose Bäume, deren Existenz man vergisst. Man erinnert sich nur an sie, wenn die Kirschblütensaison da ist. Normalerweise werden sie vergessen. Zumindest scheint es mir so.
Jeder Bereich dieses Gartens hat ein anderes Thema. Früher war er das, was heute Disneyland ist; ein Vergnügungspark.
In einem Abschnitt hat jemand anscheinend entschieden, lauter ungewöhnliche Dinge anzusammeln, weil so viel Platz war.
Viele ungewöhnliche Bäume und Steine an einem Ort zusammenbringen – das war da die Idee. Wenn ich dorthin gehe, kommt mir das Schriftzeichen für »Seltsamkeit« in den Sinn. Ja, das Zeichen, das auch im Wort »Zauberkunst« und in »Illusion« steckt.
Natürlich ist das nur meine Meinung, aber das Konzept des Seltsamen ist ein wichtiger Faktor in der japanischen Kultur. Es bedeutet, einen Schritt zurückzutreten, um etwas zu bewundern, das vielleicht ein wenig abweichend oder in irgendeiner Weise beunruhigend ist. Von etwas Abstoßendem den Blick nicht abzuwenden, sondern es kühl zu betrachten und als eine Art von Schönheit zu bewundern, sich daran zu erfreuen. Ich finde die Psychologie dahinter faszinierend. Das Schriftzeichen kann zugleich »verdächtig« und »ungewöhnlich« bedeuten. Darin steckt für mich ein grotesker Humor. Ein selbstironischer Scherz, ein böses Erwachen, etwas wie ein stechender Blick.
Aus so einer »seltsamen« Perspektive wollte ich das Buch schreiben. Aber ich bin immer noch nicht sicher, ob mir das gelungen ist.
Das stimmt, ich will kein zweites schreiben. Die Leute haben mich ein One-Hit-Wonder genannt, aber ich wollte von vornherein nur dieses eine Buch schreiben. Ich war komplett überrascht davon, welchen Aufruhr es bei der Veröffentlichung ausgelöst hat. Aber ich wusste, wenn ich mich zurückziehe und schweige, würde das bald vergessen sein. Damals gab es noch kein Internet, und es war schwieriger, an persönliche Informationen zu kommen, als heute. Die Medien waren auch gemäßigter. Ich hatte mehrere Strategien, die mir durch diese Phase geholfen haben.
Mir reicht es, dieses Buch geschrieben zu haben. Niemand weiß, wie es wirklich war. Und ich habe mich nie gefragt, ob das, was ich geschrieben habe, die Wahrheit ist.
Heute? Nichts Besonderes. Ich bin Hausfrau und habe eine Tochter. Dieses Jahr ist sie in die Grundschule gekommen. Ich würde gerne langsam wieder arbeiten, aber ich habe kein besonderes Talent, das macht es heutzutage schwierig, einen Job zu finden. Mein Mann liest überhaupt keine Bücher, wenn, dann nur die Zeitung. Als wir uns kennengelernt haben, war der Wirbel um das Buch schon eine Weile abgeklungen, und er weiß nicht mal, dass ich es geschrieben habe. Das ist mir lieber. Ich glaube, er hat es noch nicht mal in meinem Bücherregal entdeckt.
Man merkt gleich, dass wir jetzt am höchsten Punkt des kleinen Bergs angelangt sind. Der Garten hier war ursprünglich Teil der Burganlage. Da drüben ist der Utatsu-Berg und an seinem Fuß das Teehaus-Viertel.
Mein Lebensziel? Hm, ich glaube, meine Tochter großziehen.
Ich habe keine großen Ambitionen. Mir reicht es, wenn wir drei ein sicheres, gesundes Leben führen können. Ein friedliches Leben ist das Wichtigste. Aber selbst so ein bescheidenes Ziel ist heute schwierig zu erreichen. Man versucht, ein ruhiges, zurückgezogenes Leben zu führen, aber dann passieren Dinge. Man wird in ein Verbrechen verwickelt oder von Lebensmittelzusätzen krank. Wie eine Gesellschaft funktioniert und die Wirtschaft agiert, kann sich blitzschnell ändern, und selbst wenn man will, dass alles beim Alten bleibt, wird man von einer riesigen Welle überrollt. Tragisch ist es, wenn die Leute denken, dass die Welle nicht bis zu ihnen vordringen wird, und sie dann doch fortgespült werden. Die Welle reißt alles mit sich, dir tut alles weh, und am Ende stehst du mit leeren Händen da.
Ich wurde nicht von der Welle fortgespült. Sie hat nur meine Füße nass gemacht. Das war es schon, aber trotzdem habe ich, bis ich Das vergessene Fest geschrieben habe, ihre Gischt in den Tiefen der Nacht gesehen und sie anhaltend dröhnen hören.
Als das Buch rausgekommen ist, habe ich viele Briefe bekommen.
Natürlich gab es einige kritische, und manche waren sogar bedrohlich. Aber die meisten waren verständnisvoll und mitfühlend mit denen, die von den Wellen umgerissen wurden. Beim Lesen konnte ich zwischen den Zeilen die Verwirrung und die Zweifel der Leserinnen und Leser spüren darüber, wie mit so einer Welle umzugehen ist. Die Briefe haben mich noch einmal darin bestärkt, dass meine Arbeit mit diesem einen Buch getan war.
Nein, das meine ich nicht. Es war überhaupt nicht vorbei, aber die Last dieser Briefe war mehr als genug zu tragen für ein ganzes Leben.
Das ist die berühmte zweibeinige Kotoji-Steinlaterne. Sie erinnert an die Form der Stege auf einer Koto.
Diese Aussicht hier findet man oft in Reiseführern oder auf Postkarten.
Im Winter werden die Kiefern durch Yukitsuri vor dem Schnee geschützt; die strahlenförmigen Linien zeigen dann eine geradezu geometrische Schönheit. Hier gibt es viele beeindruckende Kiefern und ungewöhnliche Bäume; richtig toll.
Der Garten erinnert eher an ein Sugoroku-Spiel als an einen Vergnügungspark. Feld eins ist der Spindelbaumhang. Es gibt den Kirschbaumgarten, den geschwungenen Fluss und die Brücke. Wie man dann wohl seine Spielfigur ziehen muss?
Sie sind aber neugierig. Was wollen Sie wissen?
Alles, was ich bei meinen Recherchen herausgefunden habe, steht im Buch. Ehrlich gesagt muss jeder, der sich für Das vergessene Fest interessiert, ziemlich viel Freizeit haben. Das muss ich selbst als Autorin sagen.
Es ist jetzt alles so gut wie vorbei. Der Verdächtige, obwohl tot, wurde angeklagt. Vieles wurde nie geklärt, aber der Fall gehört der Vergangenheit an. Die Ermittlungen sind schon lange abgeschlossen.
Ich habe zwar das Wort »Recherche« benutzt, aber eigentlich habe ich nur zugehört, was Leute, die mit dem Fall zu tun hatten, aus der Erinnerung erzählt haben. Das war die einzige Herangehensweise, die mir einfiel, und viel mehr konnte ich auch gar nicht tun.
Jetzt im Nachhinein merke ich, wie unüberlegt, unsensibel und rücksichtslos ich war.
Der einzige Grund, aus dem ich das tun konnte, war, dass ich als Studentin einfach alle Zeit der Welt hatte. Die Leute erinnerten sich noch an meine älteren Brüder und mich, und ich schätze, dass meine Aufrichtigkeit und meine Unbeholfenheit da am Ende von Vorteil waren.
Zehn Jahre waren seit dem Vorfall ja schon vergangen, und die Leute hatten vielleicht genug Zeit, etwas Abstand zwischen sich und die Ereignisse zu bringen. Genug sogar, dass manche sich mit Nostalgie zurückerinnerten.
Viele der Menschen, die ich interviewt habe, haben erzählt, dass sie damals nur in Ruhe gelassen werden wollten, aber sich von den Medien und den neugierigen Nachfragen extrem unter Druck gesetzt fühlten. Doch mit der Zeit waren sie immer besser in der Lage, zurückzublicken und über alles, was passiert war, nachzudenken. Einige erzählten mir, dass sie irgendwann das Bedürfnis verspürten, noch einmal über die Dinge zu sprechen und ihre Meinung zu äußern. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Affäre schon Schnee von gestern. Andere wünschten sich, sie könnten die Sache vergessen, hatten aber zu viel Angst.
Also kurz gesagt, mein Timing war gut – ich denke, darauf kam es am Ende an, deshalb konnte ich das Buch schreiben.
Ich hatte damals Glück. Wenn es so etwas wie Schicksal gibt, dann war es mir im Sommer während meines vierten Studienjahres wohlgesinnt.
Ja, das stimmt. Eigentlich war es ein Ersatz für meine Abschlussarbeit. Ich habe Marketing studiert und kam auf die Idee, verschiedene Interview- und Befragungstechniken zu erforschen, um zu sehen, welchen Unterschied sie in Bezug auf die Menge an Informationen, die man erhalten kann, und deren Qualität machen.
Warum dann dieses Ereignis aus meiner Kindheit? Ich weiß nicht mal mehr, was mich darauf gebracht hat. Auf jeden Fall hatte es überhaupt nichts mit Marketing zu tun.
Aber als ich mich einmal dazu entschlossen hatte, ließ ich nicht mehr locker. Ich bat einen Freund, mir zu helfen, telefonierte herum und schrieb Briefe an Menschen, die damit zu tun hatten, und von Mai bis September kam ich viermal hierher, um Leute zu interviewen. Einige traf ich bei jedem Besuch und andere nur einmal.
Es war erstaunlich effektiv, ihnen regelmäßig, aber mit Pausen dazwischen Besuche abzustatten. Manchmal waren meine Interviewpartner zu nervös, um in meiner Gegenwart die richtigen Worte zu finden. Aber oft erinnerten sie sich an Dinge, nachdem ich gegangen war. Und mit meinen Besuchen begannen ihre Erinnerungen zurückzukehren. Manche Leute sagten mir fast nichts, wenn ich bei ihnen war, schickten mir aber hinterher immer einen Brief.
Das war ein besonderer Sommer.
Der Sommer, in dem es passierte, und der Sommer, in dem ich in diese Stadt kam, um Menschen zu interviewen, die damit zu tun hatten, sind in meiner Erinnerung miteinander verbunden.
Beide waren weiße Sommer. Die Tage weiß. Ich bin sicher, dass ich in beiden in einem geradezu fiebrigen Zustand war.
Als ich allen zugehört hatte, war ich ganz erfüllt von ihren Worten. Ich konnte nicht einmal mehr ansatzweise an eine Abschlussarbeit denken. Ich fühlte mich beim Schreiben wie besessen. Ich achtete nicht darauf, ob ich einen Roman schrieb oder was das eigentlich war.
Aber noch komplizierter wurde es, nachdem ich fertig war. Leider hatte ich etwas verfasst, das nicht einmal im Entferntesten an das herankam, was man eine Abschlussarbeit nennen konnte. Ich hatte den ganzen Sommer gebraucht und all meine Energie hineingesteckt. Also war ich entsetzt, als ich plötzlich meine Lage erfasste. Aber ich hatte weder die Zeit noch die Kraft, eine weitere Abschlussarbeit zu schreiben.
Irgendwann erfuhr jedoch meine Seminargruppe von diesem seltsamen Dokument, das ich wie besessen erstellt hatte, und da wollte mein Professor es lesen und bot mir danach an, es als Abschlussarbeit anzunehmen. Dann las es zu meiner Überraschung auch jemand bei einem Verlag – ein ehemaliger Student meines Professors. Und dann ging es ganz schnell, und es wurde ein Buch daraus.
Das erscheint mir heute wie ein Traum. Wenn das nicht passiert wäre, wären wir beide jetzt nicht hier. Es war wohl doch Schicksal.
Was mir damals am meisten aufgefallen ist, war, dass alle Erwachsenen sagten, es erinnere sie an den Teigin-Zwischenfall.
Den kannte ich als Kind nicht. Erst als ich in der Oberschule japanische Geschichte hatte, habe ich das verstanden. Die Lehrer haben ja schon alle Mühe, die Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg in den Lehrplan einzubauen, deshalb kommt die Nachkriegsgeschichte oft zu kurz; wie ein blinder Fleck, meinen Sie nicht auch? Ich hatte mich aber selbst für Nachkriegsgeschichte interessiert und einige Bücher darüber gelesen.
Es gibt ein paar Ähnlichkeiten zum Teigin-Zwischenfall, aber nichts von Bedeutung, meiner Meinung nach.
Eigentlich nur der eine Punkt, nämlich, dass eines Tages ein Mann daherkam und einer großen Gruppe von Menschen Gift zu trinken gab.
Der Teigin-Zwischenfall ereignete sich mehr als zwanzig Jahre vorher, kurz nach Kriegsende, während der alliierten Besatzung.
Ein Mann, der sich als Arzt ausgab, kam in eine Bankfiliale und sagte, dass er von den Besatzungstruppen beauftragt worden sei, wegen eines Ausbruchs von Ruhr Impfungen durchzuführen. Dann verteilte er etwas, das er als oralen Impfstoff ausgab, und forderte alle Anwesenden auf, ihn zu trinken.
Ruhr gibt es heute kaum noch, aber damals war es häufig. Der sogenannte Impfstoff war in Wirklichkeit tödliches Gift, und während sich die Opfer krümmten, machte sich der Mann mit dem Geld aus der Bank davon. Zwölf der sechzehn Menschen, die das Gift getrunken hatten, sind gestorben.
Eine große Gruppe von Menschen, die alle auf einmal vergiftet wurden – darin sahen die Menschen wohl eine Ähnlichkeit. Die Nachkriegszeit war in meiner Kindheit noch frisch in der Erinnerung der Erwachsenen.
Dieser Vorfall spielte sich auf ähnliche Weise ab. An jenem Tag fielen drei Geburtstage in dieser Familie zusammen, der sechzigste des Familienoberhauptes – des Arztes –, der achtundachtzigste der Großmutter und der Geburtstag eines Enkels. Jeder in der Nachbarschaft wusste, dass aus drei Generationen jemand in dieser Familie am gleichen Tag Geburtstag hatte. Deshalb war auch niemand misstrauisch, als der Sake als Geschenk geliefert wurde.
Als Absender war ein Freund des Hausherrn angegeben, der weiter entfernt lebte, und bei der Lieferung war sogar an alkoholfreie Getränke für die Kinder gedacht worden. So viel Rücksichtnahme machte Eindruck, und natürlich kam niemand im Traum darauf, dass es vergiftet sein könnte. Der Sake und die Erfrischungsgetränke wurden an alle im Haus verteilt, um anzustoßen.
Das Ergebnis war grauenhaft. Auch Nachbarn und ein Handwerker, der sich zufällig zu dieser Zeit dort aufhielt, waren unter den Opfern. Insgesamt starben siebzehn Menschen, darunter sechs Kinder. Es gab drei in der Familie, aber deren Freunde aus der Nachbarschaft waren zum Spielen ins Haus gekommen.
Mein Bruder Junji ist nur knapp entkommen. Er war immer so unruhig, jemand, der nie stillhalten konnte, und an diesem Tag war das sein Glück. Er bekam von dem Erfrischungsgetränk, ging aber nach Hause, ohne etwas getrunken zu haben, weil er so aufgeregt von den Feierlichkeiten war, dass er mich und meinen ältesten Bruder holen wollte, um mit ihm zurückzugehen und auch etwas zu trinken.
Als wir drei am Haus ankamen, wurden wir Zeugen einer Szene aus der Hölle; überall im Haus krümmten sich Menschen im Todeskampf. Zuerst erkannten wir nicht, dass sie Schmerzen hatten, weil wir nicht begreifen konnten, was wir da sahen. Es wirkte, als ob sie irgendeinen Tanz aufführen würden. Aber da war auch überall Erbrochenes und ein kränklicher, saurer Geruch, der den Vordereingang ausfüllte.
Es dauerte lange, bis wir den Gestank aus unseren Nasen bekamen. Allein der Anblick von Softdrinks reichte aus, um den Geruch für meinen Bruder zurückzubringen, und er konnte danach lange Zeit keine mehr trinken.
Mein ältester Bruder war der Erste, der merkte, dass etwas nicht stimmte, und er ging sofort zur Polizei. Junji und ich waren entsetzt und rannten nach Hause, um unserer Mutter Bescheid zu sagen.
In kürzester Zeit begann ein riesiger Aufruhr.
Die enge Straße vor dem Haus war mit Krankenwagen und Polizeiautos blockiert, und eine große Zahl Schaulustiger hatte sich versammelt. Das allein war schon wie eine Menge bei einem Fest. Als wir uns zu Hause an unsere Mutter klammerten, dröhnte die ganze Stadt wie eine Flutwelle, und ich hatte den Eindruck, unser Haus sei wie ein Schiff. Ich fühlte mich, als würde ich inmitten des Trubels treiben, kurz davor, weggespült zu werden.
Wissen Sie, dass die Luft unter außergewöhnlichen Umständen ihre Farbe ändert? Also an diesem Tag schien sich die Luft in zwei Schichten zu teilen. Eine trübe Schicht, die über dem Boden hing, und eine andere Schicht näher an der Decke, die glitzerte, hart und klar. Und während die Luft um unsere Füße herum sich schwer und träge anfühlte, war es weiter oben, als ob sie von jemandem hochgesaugt werden würde. Ich kann es nicht wirklich beschreiben.
Es war ein Tag wie heute, gegen Ende des Sommers. Schwül, ohne Wind.
Aber nach diesem Tag dauerte der Sommer noch lange an. Er schien für uns und für alle in der Stadt nicht enden zu wollen.
Oh, vorsichtig. Schauen Sie, da ist Angelschnur, die gitterförmig aufgespannt ist wie ein Go-Brett.
Damit wird das Moos geschützt. Das ist Schmuckmoos, kein Gras. Die Angelschnur soll bestimmt auch Vögel fernhalten.
Na ja, größere Vögel wird sie schon davon abhalten, auf dem Moos zu landen.
Das hohe Holzgebäude dort drüben ist die Seisonkaku-Villa. Die ist als wichtiges Kulturgut gelistet. Ein Feudalherr hat sie als Ruhesitz für seine Mutter erbaut. Sollen wir hineingehen? Die ist ziemlich interessant.
Traditionelle Häuser sind immer so dunkel, oder? Die Häuser in meiner Kindheit waren innen immer finster. Ich erinnere mich noch an das düstere, geheimnisvolle Innere des Hauses meiner Großmutter bei Tag. Es gab immer einen kränklichen, süß-sauren Geruch, der mich ohne besonderen Grund deprimierte; eine Mischung aus Weihrauch, medizinischen Umschlägen und dem Essen, das auf dem Herd köchelte.
Ganz schön kühl hier drin, was? Mein Schweiß ist schon getrocknet. Eine Wohltat. Aber im Winter wäre es hier kalt. Die Kälte kriecht von den Füßen nach oben. Die Menschen früher müssen gefroren haben.
Also es waren über hundert Polizisten mit der Mordermittlung beschäftigt. Ist ja auch logisch; die ganze Stadt war in Panik. Die Leute in der Nachbarschaft wurden so oft befragt, dass sie danach völlig fertig waren. Meine Mutter war auch zeitweise mit den Nerven am Ende. Sie erlaubte uns nicht, draußen Snacks oder kalte Getränke zu kaufen. Alles, was wir trinken durften, war grüner Tee, der zu Hause zubereitet wurde. Ich nehme an, das war in allen Haushalten mit Kindern ähnlich.
Ich war damals in der fünften Klasse der Grundschule, also muss ich zehn oder elf gewesen sein. Meine Brüder liegen altersmäßig sehr nah beieinander; die waren dreizehn und vierzehn und im zweiten und dritten Jahr der Mittelschule.
Die Polizei hat auch uns mehrfach befragt. Ein Ermittler und eine Polizistin kamen ins Haus, und wir mussten immer wieder über dieselbe Sache reden. Vor allem Junji haben sie oft befragt, weil er beim Vorfall im Haus war. Er war von Natur aus ein geselliger Junge, aber selbst er hatte irgendwann genug. Andererseits verstehe ich, warum die Polizei das getan hat. Fast alle, die in dem Haus waren, sind gestorben, und die Ärzte ließen es eine ganze Weile nicht zu, dass die Überlebenden befragt wurden.
Da nichts gestohlen wurde, ging die Polizei zunächst davon aus, dass es ein Verbrechen aus Rache war. Aber die Aosawas waren seit Generationen eine Familie von Ärzten, ehrliche Menschen und in der Gemeinde hoch angesehen, sodass es schwer war, sich jemanden vorzustellen, der einen Groll gegen sie hegen könnte. Die Ermittlungen gerieten bald ins Stocken.
Dieses Stocken führte zu einer angespannten Atmosphäre.
Trotz der vielen eingesetzten Ermittler und der vielen Verhöre bis zu dem Punkt, an dem alle die Nase voll davon hatten, hatte sich kein Bild des Verdächtigen ergeben. Die Polizei war genauso gestresst wie die Anwohner.
Wir waren alle nervös. Ein Massenmörder war unter uns, und wir wussten nicht, wer. Nur, dass es jemand aus der näheren Umgebung sein musste.
Und natürlich gab es diesen Mörder.
Der Mann mit der schwarzen Baseballkappe und dem gelben Regenmantel.
Obwohl alle von ihm sprachen, hatte niemand sein Gesicht gesehen. Die Polizei erstellte mit den Aussagen der Nachbarn ein Phantombild, aber es war nicht sehr hilfreich.
Der Mann war auf einem Liefermotorrad gefahren, beladen mit einer Kiste Sake.
Es war nicht der übliche Herr aus dem Spirituosengeschäft, aber er hatte den Eindruck erweckt, als wäre er dafür angestellt worden, die Getränke vorbeizubringen. Wie gesagt war der Name, den er als Absender angab, der eines Studienfreundes von Dr. Aosawa, Leiter eines Krankenhauses in der Präfektur Yamagata. Dem Doktor kam das also nicht verdächtig vor.
Ja, weil es geregnet hat. Ein Tiefdruckgebiet war im Anmarsch, und es zog ein Sturm auf, der Wind und Regen brachte. Deshalb fand es niemand seltsam, dass das Gesicht des Mannes von seiner Regenkleidung verdeckt war.
Der gelbe Regenmantel wurde am nächsten Tag stromabwärts im Fluss gefunden. Der Mann muss ihn sofort nach dem Ausliefern des Sake weggeworfen haben. Abgesehen von dem seltsamen Brief ist das alles, was der Täter an physischen Beweisen zurückgelassen hat.
Ein weißer Sommer in der Schwebe. Auf den Straßen liefen Polizisten durch die spätsommerliche Hitze.
Je länger die Ermittlungen dauerten, desto erschöpfter und deprimierter wurden alle.
Praktisch die ganze Familie Aosawa war auf einen Schlag ausgelöscht worden, und ihr Haus sah aus, als würde es langsam zerbröckeln.
Ich lief zigmal an dem Haus vorbei, aber es war immer totenstill. Man hatte nie den Eindruck, dass da jemand drin war, obwohl Verwandte aus Fukui und Osaka gekommen waren und sich um die Hinterlassenschaften kümmerten.
Nach den Morden behandelten alle den Ort wie ein Spukhaus – niemand ging in seine Nähe.
Aber natürlich war es nicht unbewohnt.
Sie wohnte immer noch dort. Und die Leute, die sich um sie kümmerten.
Ich habe sie oft im Fenster gesehen. Aber sie wusste natürlich nicht, dass ich da bin. Ich habe mich immer leise weggeschlichen.
Vor dem Haus gab es einen großen Kräuselmyrtenbaum. Im Sommer stand der immer in spektakulärer weißer Blüte. Normalerweise denkt man bei Kräuselmyrte an rote Blüten, wie die Papierblumen, die bei Sportfesten zur Deko verwendet werden, aber die Blüten an diesem Baum waren schneeweiß.
Ich erinnere mich, wie ich an dem Haus vorbeiging und die Kräuselmyrte betrachtet habe.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich den Sommer als weißen Sommer in Erinnerung habe.
Ich glaube, es war ungefähr Ende Oktober, als die Ermittlungen Fahrt aufnahmen.
Der Auslöser war der Selbstmord eines Mannes.
Erhängt in seiner Wohnung.
Der Vermieter fand ihn und einen Abschiedsbrief und rief die Polizei.
In seinem Brief gestand der Mann, an der Massenvergiftung im Aosawa-Haus schuld zu sein. Er litt seit vielen Jahren an Kopfschmerzen mit unbekannter Ursache und unter Schlaflosigkeit und Wahnvorstellungen und war auch schon in psychiatrischer Behandlung. Der Mann schrieb, dass er das Gift geliefert hatte, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass er die Familie Aosawa töten müsse.
Verständlicherweise nahm die Polizei den Fall zunächst nicht ernst. Schon mehrere andere Personen hatten bis dahin ähnliche Behauptungen aufgestellt. Aber sie sah die Dinge anders, als in einem Schrank in der Wohnung eine schwarze Baseballkappe, die Schlüssel zu einem Motorrad und die Reste eines Pestizids gefunden wurden, das genau dem Gift entsprach, das bei dem Verbrechen verwendet worden war.
Entscheidend war aber die Entdeckung, dass seine Fingerabdrücke mit denen auf einem Glas übereinstimmten, das auf dem am Tatort hinterlassenen Brief stand. Auf einmal waren Polizei und Medien wieder in heller Aufregung. Die Leute sprachen nur noch darüber, dass der Täter gefunden worden sei. Aber die Aufregung hielt nicht lange an, denn er war ja bereits tot.
Nach so langen Ermittlungen war das eine Antiklimax.
Die Leute hatten gemischte Gefühle; Erleichterung, aber auch Enttäuschung.
Und sie spürten eine überwältigende Leere.
Sie waren froh, dass es sich bei dem Täter nicht um einen Nachbarn oder Bekannten handelte, und beruhigt, dass es wirklich keinen Grund gab, Groll gegen die Familie Aosawa zu hegen. Aber sie konnten sich immer noch nicht erklären, warum all diese Menschen gestorben waren. Es war absurd, dass so viele unschuldige Personen ihr Leben wegen der Wahnvorstellungen eines einzelnen Mannes lassen mussten. Erstaunlicherweise wurden viele Leute erst depressiv, als das Verbrechen aufgeklärt worden war. Es schien so sinnlos. Einige erwähnten sogar, dass es ihnen lieber gewesen wäre, wenn der Täter wenigstens ein starkes Motiv gehabt hätte.
Als alles vorbei war, hatten die Leute das Gefühl, noch immer in der Schwebe zu sein.
Ja, viele Menschen zweifelten daran, dass der Mann, der sich umgebracht hatte, der wirkliche Täter war.
Die wichtigste Frage blieb sein Verhältnis zur Aosawa-Familie – was war seine Verbindung zu ihnen? Er wohnte nicht in der Nähe der Aosawas, und letztlich war nicht klar, woher er sie überhaupt kannte. Man ist dann von einer indirekten Verbindung durch die Aosawa-Klinik ausgegangen. Es war eine große Einrichtung, und es bestand schließlich die Möglichkeit, dass er irgendwo Reklame dafür gesehen hatte.
Außerdem wusste man nicht, woher er den Namen von Dr. Aosawas Freund in Yamagata kannte. Es war erwiesen, dass keine Verbindung zwischen diesem Freund und dem Verbrechen bestand, aber es bestand auch keine zwischen ihm und dem Täter. Das war ein weiteres ungelöstes Rätsel.
Die allgemeine Meinung war, dass der Mann wirklich den Sake geliefert hatte, aber einige vermuteten, dass jemand anderes das Gift in die Getränke getan hatte.
Seine Bekannten haben seine lange Krankengeschichte bezeugt; sein mangelndes Selbstvertrauen und eine Tendenz, sich manisch mit Dingen zu beschäftigen und leicht beeinflussbar zu sein. Manche spekulierten, dass er von jemandem überredet worden sein könnte, zu glauben, er sei verantwortlich, und dass dieser Jemand das Gift und die Baseballkappe in seinem Zimmer deponiert hatte.
Es war jedoch nur eine Spekulation – es gab nie irgendwelche Beweise, die diese Theorie stützten. Am Ende wurde der Mann, der sich umgebracht hatte, schuldig gesprochen.
Beeindruckend, nicht wahr? Für ein Haus dieser Art ist die Decke ziemlich hoch, und die Treppen sind richtig breit.
Der Garten ist auch wunderschön.
Sehen Sie mal, das Vordach der Veranda ist eine freitragende Konstruktion. Auf so einer kühlen Veranda möcht ich glatt ein Nickerchen machen.
Was ich davon halte? Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob der Mann, der Selbstmord begangen hat, der Schuldige ist. Obwohl er irgendwie mit dem Fall verbunden zu sein scheint.
Das vergessene Fest hat kein schlüssiges Ende. Ich wurde dafür kritisiert, das Ende offengelassen zu haben, aber ich konnte zu keinem Schluss kommen. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich zum Ende kommen würde.
Wenn ich offen sprechen darf – und bitte verstehen Sie mich nicht falsch –, dann frage ich mich, ob solche Verbrechen, die wir nicht begreifen können, nicht eher so etwas wie Zufälle sind.
Aus irgendeinem Anlass gewinnt der Zufall an Geschwindigkeit, wie ein Schneeball, der einen Hang hinunterrollt, größer und größer wird, bis alles am Fuße des Hangs von ihm niedergewalzt wird. Natürlich sind in der Mitte dieses Schneeballs menschliches Handeln und Denken, und wahrscheinlich haben auch verdrängte Emotionen damit zu tun, aber ich glaube, es gibt Zeiten, in denen eine Reihe von Auslösern und Zufällen ineinandergreifen, um etwas so Schreckliches zu erschaffen, dass es alles übertrifft, was Menschen sich ausdenken können. Solche Ereignisse präsentieren sich uns dann in Form eines großen Unglücks, als ob sie unseren mickrigen menschlichen Verstand verhöhnen wollten.
Mein Gefühl sagt mir, dass dieses Verbrechen so etwas war.
Sehen Sie sich dieses Zimmer mal an. Kunstvoll für so einen kleinen Raum, oder?
Das ist das ultramarinblaue Zimmer. Die Wände sind hellblau angemalt – mit Lapislazuli, einer Farbe, die wohl im alten Ägypten viel benutzt wurde. Man muss dafür Mineralien zermahlen. Also wirklich etwas sehr Wertvolles.
Sogar Kenichi Yoshida hat diesen Raum in seinen Schriften über die Stadt erwähnt. Er hat geschrieben, dass der Raum wahrscheinlich so ausgerichtet wurde, damit, wenn man die Treppen hochgeht, den Korridor entlang und nach den Tatami-Räumen diese Ecke erreicht, der Blick auf die hellblauen Wände gelenkt wird, deren Farbe durch das Licht von außen noch verstärkt wird.
Ich weiß nicht, ob es ein kalkulierter Effekt ist oder nicht, aber in dieser Stadt sind die Wände der alten Häuser normalerweise in einem tiefen Rot gestrichen, sodass diese blauen Wände schon überraschen.
Im Winter trifft das Licht auf die Wände. Ein ungewöhnlicher Raum, aber auch irgendwie beunruhigend.
Als sie – also Hisako – befragt wurde, war sie noch ganz verstört und fing offenbar plötzlich an, von diesem Raum zu sprechen. Auch als die Polizistin mit ihr geredet hat, hat sie nur von Dingen aus ihrer Kindheit gesprochen.
Ich kann mir das schon vorstellen. Sie musste ganz allein mit anhören, wie ihre Familie um sie herum starb.
Von all den Menschen, die in diesem Haus wohnten, hat nur sie überlebt. Das muss schrecklich gewesen sein.
Hisako Aosawa. Sie war damals im ersten Jahr der Mittelschule, also etwa zwölf.
Ein wirklich schönes Mädchen. Sie hatte immer langes, glattes Haar, und in der Mittelschule ließ sie es sich zu einem Bob schneiden. Das stand ihr – sie sah aus wie eine dieser traditionellen Puppen. Es betonte auch den Kontrast zwischen ihrem pechschwarzen Haar und ihrer blassen, zarten Haut.
Sie war klug und ausgeglichen. Alle Kinder in der Nachbarschaft bewunderten sie.
Auch meine Brüder. Sie vergötterten sie.
Aber sie litt an Autointoxikation. Oft wurde sie blass und musste sich hinlegen. Sie fehlte häufig in der Schule, aber die Lehrer waren da nicht so streng, weil sie eine gute Schülerin war.
Autointoxikation. Das gibt es wohl öfter bei Kindern mit sensiblem vegetativem Nervensystem. Der Körper produziert Giftstoffe, genau wie bei einer Schwangerschaftsvergiftung. Sie hat gesagt, dass sie an dem Tag in ihrem Stuhl mit den Armlehnen gesessen hatte, weil sie sich erschöpft fühlte. Schon seltsam, welche Dinge über das eigene Schicksal entscheiden können, oder? Wegen dieser Autointoxikation hat sie an dem Tag nichts zu sich genommen, was normalerweise ein Problem war, sich aber als ihre Rettung herausstellte.
Ich muss sagen, das war typisch für sie. Mir ist klar, dass sie gelitten haben muss, aber diese schwache, zarte Ausstrahlung passte perfekt zu ihr. Es machte sie noch geheimnisvoller. Eine junge Dame, allein in einer prächtigen Villa. Das war sie.
Ich weiß, wie unsensibel das klingt, aber ich hatte den Eindruck, dass selbst die Nachwirkungen einer so schrecklichen Tragödie zu ihrem Image passten. Die Überlebende einer Tragödie – eine Rolle, für die sie wie geschaffen war. Niemand hat es je laut gesagt, aber ich glaube, die anderen Kinder dachten das auch. Sie war in unseren Augen eine tragische Heldin. Das Verbrechen sorgte nur noch dafür, dass sie sich für immer so in unser Gedächtnis einprägte.
Ich habe nur ein einziges Mal mit Hisako gesprochen, als ich an Das vergessene Fest geschrieben habe.
Sie hat noch lange in diesem Haus gewohnt, aber als ich sie traf, hat sie gerade ihre Sachen gepackt, um es zu verlassen.
Sie war kurz davor zu heiraten. Ihr Verlobter war ein Deutscher, den sie auf der Graduiertenschule kennengelernt hatte, und sie wollten in Amerika leben, wo er eine Stelle gefunden hatte. Offenbar hatte er auch vor, ihre Augen in Amerika noch einmal von Ärzten untersuchen zu lassen.
Sie freute sich, mich wiederzutreffen, und wir verbrachten einen ganzen Tag zusammen.
Dieses Gespräch mit ihr war zentral für Das vergessene Fest.
Hisakos Erinnerungsvermögen war hervorragend. Sie hatte nichts von dem vergessen, was sie an diesem Tag berührt und gehört hatte. Auch zehn Jahre nach dem Ereignis war ihr Gedächtnis noch erstaunlich scharf. So scharf, dass ich mich in der Lage fühlte, ihre Erlebnisse in meinem eigenen Kopf nachzustellen.
Wäre sie nicht blind gewesen, wären die Dinge anders verlaufen, denke ich. Ich bin sicher, der Fall wäre viel schneller gelöst worden, wenn sie den Täter hätte sehen können. Sie hatte gehört, wie jemand in die Küche gegangen ist. Sie hatte auch gehört, wie jemand einen Brief auf den Tisch gelegt und ein Glas daraufgestellt hatte. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie sicher das Gesicht der Person betrachten können.
Aber dazu hätte sie sehen können müssen.
Hisakos Gedanken gingen in dieselbe Richtung wie meine.
Sie hätte das wahrscheinlich gar nicht ausgehalten. Sie sagte mir, wenn sie das Leid der anderen, während sie starben, hätte sehen müssen, wäre sie nicht mehr am Leben.
Sie hat auch gesagt, dass sie immer die Last von zwei widersprüchlichen Emotionen gleichermaßen spüre: Frustration, dass der Täter vielleicht früher gefasst worden wäre, wenn sie hätte sehen können, und die Gewissheit, dass sie nicht überlebt hätte.