Dr. med. Carsten Lekutat
Das Leben ist zu kurz, um sich mit nutzlosen Diäten zu quälen
Knaur eBooks
Dr. med. Carsten Lekutat ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportarzt, Buchautor und TV-Arzt. Er ist Leiter des Berliner ›HIT Hausarztzentrum in Tegel‹. Als Fernseharzt moderierte Lekutat von 2006 bis 2007 die wöchentliche Kolumne ›Der Gesundmacher‹ im ›Sat.1 am Mittag‹-Magazin. 2011 bis 2014 moderierte er im WDR Fernsehen die wöchentliche Prime-Time-Sendung ›Der Gesundmacher‹ und ›Raus aus dem Stress‹. Bereits 2012 übernahm Lekutat die Moderation der wöchentlichen Gesundheitssendung ›Fit und gesund‹. Zusätzlich führt er seit Sepztember 2015 wöchentlich durch die Sendung ›Hauptsache Gesund‹ im MDR Fernsehen. Dr. Carsten Lekutat ist Autor mehrerer Bücher sowie als Kabarettist mit eigener Bühnenshow deutschlandweit unterwegs. Außerdem betreibt er den erfolgreichen Gesundheits-Podcast »Gute Fette, schlechte Fette«. Dr. Lekutat lebt in Berlin. Mit »Gesundheit für Faule« landete er einen Bestseller.
Die in diesem Buch vorgestellten Empfehlungen wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig geprüft und haben sich in der Praxis bewährt. Da jeder Mensch für sich besonders ist, können wir allerdings Ergebnisse nicht garantieren. Der Verlag und der Autor schließen jegliche Haftung für Gesundheits- und Personenschäden aus.
Originalausgabe 2021
© 2021 Knaur Verlag
© 2021 der E-Book-Ausgabe Knaur eBook
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Anke Schenker
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Thomas Duffé
Abbildungen im Innenteil: Fotos Carsten Lekutat: Thomas Duffé außer Seite 8: Archiv Carsten Lekutat; Tabelle Klassifikation der Adipositas: le-tex publishing services GmbH, Leipzig, nach »Deutsche Adipositas-Gesellschaft; https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/050-001p_S3_Adipositas_Pr%C3%A4vention_Therapie_2019-01.pdf, Seite 20; abgerufen am 11. August 2021«; Grafik Abnehmkurve: le-tex publishing services GmbH, Leipzig, nach Archiv Carsten Lekutat; alle anderen Fotos von Shutterstock.com
ISBN 978-3-426-46416-8
Sie
sind nicht
schuld!
Alles war bis in das letzte Detail liebevoll geplant. Das kleine Café in der Altstadt war gemietet, die Einladungsschreiben waren verschickt. Etwas aufgeregt rückte ich die letzten Gläser und Teller zurecht, mit denen die Tische bereits gedeckt waren. Ich nestelte etwas an meinem Hemd herum, das im Brustbereich ein wenig auftrug. Für Guido, den Besitzer des Cafés, war es ein Abend wie viele andere, für mich allerdings sollte es etwas ganz Besonderes werden.
Es war ein Montagabend, die frische Januarluft schaffte nicht den Weg in die hinterste Ecke des Cafés, in der ich saß und auf den großen Fernsehbildschirm an der Wand schaute. Gleich würde ich als Fernseharzt meinen großen Auftritt bekommen, das erste Mal im Westdeutschen Rundfunk als »GESUNDMACHER« zu sehen sein. Nachdem ich über viele Jahre im Deutschen Privatfernsehen eher ein Schattendasein gefristet hatte und eher die lustige medizinische Randfigur im Frühstücksfernsehen von Sat.1 war, könnte das mein großer Durchbruch werden. Hatten Harald Schmidt und Eckart von Hirschhausen nicht auch so angefangen? Ich lehnte mich selbstgefällig zurück und zuppelte an meinem Hemd.
Langsam füllte sich das Café mit meinen Freunden, Kollegen und Geschäftspartnern, die ich eigens für die Fernsehpremiere eingeladen hatte. Wir wollten ein »Public Viewing« veranstalten, noch ehe das Wort »Public Viewing« in Deutschland überhaupt bekannt war. Wir begrüßten uns weltmännisch mit Küsschen links und Küsschen rechts, wie man das im Fernsehen so macht, und starrten bei Limonade, Wein und Bier auf den Fernseher.
Um 20:15 Uhr ging es los. Primetime! DER GESUNDMACHER. Ein sympathischer Arzt (ich) sollte gesundes Verhalten (das, was ich so über das Leben denke) nach Deutschland (also eigentlich Nordrhein-Westfalen) bringen, indem er (also ich) durch die Städte und Dörfer geht, in Kühlschränke schaut (»Da ist aber zu wenig Brokkoli drin«) oder in die Schlafzimmer der Nation (»Die Matratze ist zu weich, davon bekommen Sie Rückenschmerzen«).
Um 20:15 Uhr startete die Titelmusik der Sendung. Bilder von gesunden Menschen, gepflegten Häusern, zauberhaften Landschaften und mir, dem GESUNDMACHER, der sich lächelnd in die Kamera dreht und Zuversicht, Fitness und – ja – Gesundheit verkörpern soll.
Um 20:16 Uhr sah ich es zum ersten Mal: Ach du Scheiße, Carsten, du bist fett!
Es war mir wirklich vorher nicht aufgefallen, aber scheinbar hatte ich über die Jahre hinweg einige Kilos zugelegt. Ich schaute mich vorsichtig um, was meine Gäste zu dem dicken GESUNDMACHER sagen würden. Aber alle schauten nur voller Stolz auf den Fernseher und verfolgten den dicklichen Fernseharzt auf seiner Runde durch NRW.
Wie konnte das sein? Waren die anderen alle blind? Oder besoffen? Oder wussten es alle anderen schon vor der Ausstrahlung der Sendung, hatten es mir aber nie gesagt? Okay, ich gehe ja auch nicht durch die Welt und sage zu dicken Mitmenschen: »Hallo, du bist aber ganz schön moppelig.« Das macht man nicht, auch wenn man sich das im Geheimen denkt. Aber das waren meine Freunde, meine Kollegen.
Ich sah mich im Café um. Einige meiner Freunde hatten auch das ein oder andere Kilo zu viel auf der Hüfte, und auch ihnen hatte ich das nie gesagt. Es störte mich auch nicht, es passte zu ihrer Persönlichkeit.
Als Kind der 80er – so sehe ich mich zumindest, auch wenn ich 1971 geboren bin – bin ich quasi groß geworden mit den Daytime-Talkshows der 1990er-Jahre. Es war eine Zeit, in der zum ersten Mal Menschen, die keine Stars waren, im Fernsehen Gehör fanden, wenn sie nur schrill und laut genug waren. Jeder, der eine »Message« hatte, konnte auf die Bühne. Und eine der wiederkehrenden Meinungen war: »Ich bin dick. Das ist aber egal, Hauptsache, ich finde mich großartig dabei.«
Am Anfang glaubte ich das den Menschen bei Türck und Ilona Christen auch. Adipöse in illustrer Runde tanzten regelmäßig im Nachmittagsprogramm über die Bühnen der Flimmerkisten, in entweder zu enger Kleidung oder in weite Tücher gehüllt, und riefen: »Ich fühle mich wohl, also lasst mich so sein, wie ich will.« Und was konnte man schon dagegen sagen? Wohlfühlen ist wichtig. Zu sich selbst stehen ebenfalls. Ein kleiner Zweifel an diesem Wohlfühlen und daran, dass Dicksein gut für die Menschen sein soll, kam mir als Arzt damals allerdings schon in den Hinterkopf. Aber der Zweifel war leise und die tanzenden Menschen laut und so stimmte ich ein in den Kanon, der da hieß: »An all ihr Intoleranten da draußen: Lasst uns doch einfach so sein, wie wir sind!«
Vielleicht hatten mich das Fernsehen der 1990er und mein tiefer Wunsch, ein toleranter Gutmensch zu sein, so geprägt, dass ich es nicht einmal meinen Freunden sagen konnte, wenn sie langsam an Gewicht zunahmen. Und auch meine Freunde konnten oder wollten es mir anscheinend nicht sagen. Sie wollten mich so sein lassen, wie ich war, in der Annahme, dass ich es gut fand, so zu sein. Dass ich aber nicht einmal bemerkt hatte, wie es um meine Fettpölsterchen stand, konnten sie sich wahrscheinlich nicht vorstellen. Wie auch? Ich wusste es ja selbst nicht einmal.
Gut, im Nachhinein erinnerte ich mich schon daran, dass ich eines Morgens unter der Dusche stand, zu meinen Füßen herunterblickte und meine Zehen nicht mehr sehen konnte. Sie waren weg, verdeckt von meinem Bauch. Aber dieses Problem war einfach zu lösen: Ich beugte mich ein wenig ins Hohlkreuz und zog meinen Bauch ein, und da waren sie wieder, meine Füße in ihrer gesamten Länge. Wie ein spanischer Torero stand ich unter der Dusche, den Bauch eingezogen, die Brust herausgestreckt, und ignorierte stolz die einfache Information, die mir dieser Morgen eigentlich so eindeutig präsentierte: Du bist fett!
Als sich mein Gürtel eines Tages etwas enger anfühlte als früher, suchte ich nicht etwa das nächste Loch, um ihn weiter zu stellen. Nein! Für uns Männer gibt es eine verblüffend einfache Lösung des Gürtelproblems: Man zieht ihn einfach etwas herunter, bis er sich unterhalb des Bauch-Äquators befindet. Und schon passt er wieder wie angegossen. Das hält über Jahre, denn unterhalb des Bauches nehmen nur Frauen zu, dachte ich mir, nicht wir Männer. Und wenn der Gürtel noch passt, dann kann ich doch nicht dick sein!
In einer Zeitschrift las ich einmal von dem sogenannten Schwabbeltest. Man sollte vor einem Spiegel nackt in die Luft springen und sich selbst nach der Landung beobachten. Was nach einigen Sekunden noch schwabbelt und nicht ein primäres oder sekundäres Geschlechtsorgan ist, gehört nicht an den schlanken Körper. Glücklicherweise sind wir Menschen in der Lage, abstrakt zu denken und in einem gewissen Rahmen auch unsere eigene Zukunft zu antizipieren. Ich entschied mich daher damals, nicht nackt zu hüpfen. Schon gar nicht vor einem Spiegel. Auch nicht allein. Auch nicht im Dunklen. Wahrscheinlich war mir klar, dass es bei mir sehr lange schwabbeln würde.
All diese kleinen Dinge hätten mir schon früher die Augen öffnen sollen, wie es um meine Fettdepots und meinen ehemaligen Adoniskörper bestellt war. Er war nicht mehr da, der Adonis.
Die Wahrnehmung unseres eigenen Körpers ist keinesfalls immer so einfach, wie wir glauben. Gerade was unser Körpergewicht angeht, verschätzen wir uns häufig. Wir Ärzte nennen dieses Phänomen »Körperschemastörung«. Diese tritt bei Patienten mit Essstörungen sehr häufig auf, nicht nur bei Menschen mit Übergewicht, sondern auch bei Magersucht oder Bulimie.
Aber meine Augen wurden mir erst an diesem Montagabend im Café geöffnet, als ich mich selbst schonungslos im 16:9-HD-Format im Fernsehen sah. HD ist was für Tierfilme! Wenn man Backenhörnchen sehen möchte. Und selbst Nilpferde sehen in HD super aus. Aber nicht der GESUNDMACHER! Doch der Blick von außen hatte auch etwas Erhellendes. Ich musste etwas tun. In dieser Form würde ich die erste Staffel des GESUNDMACHERS nicht überstehen. Peter Zwegat ist auch nicht hoch verschuldet und Martin Rütter läuft auch nicht laut rufend »Platz! Platz! Manno! Platz, sag ich!« durch die Straßen hinter seinem Hund her. Mir war klar: Der GESUNDMACHER durfte nicht kränker aussehen als seine Patienten.
An diesem Abend im Januar traf ich also eine Entscheidung: Das Fett muss weg – ich will wieder schlank sein!
Aber wenn das bloß so einfach wäre.
Am Anfang steht immer eins: die Entscheidung. Es muss nicht unbedingt die Entscheidung sein, schlank sein zu wollen. Die Entscheidung, etwas im Leben ändern zu wollen, ist völlig ausreichend. Das bedeutet aber auch, dass es ab jetzt etwas unbequem werden kann. Wir werden jetzt gemeinsam unsere Komfortzone verlassen. Und wir werden viel Spaß dabei haben.
Keine Diagnose durch die Hose«, sagen wir Ärzte und erinnern uns dadurch selbst daran, dass man Krankheiten nur erkennen kann, wenn man ganz genau hinschaut – auch unter die verdeckende Hülle. Für mich hieß es also: Hose runter und genau hinsehen. Also natürlich im übertragenen Sinne, denn die Dinge, die von meinen Beinkleidern verdeckt wurden, hatten bei meiner geplanten Abnehmreise nur eine untergeordnete Bedeutung. Mir fiel aber auf, dass ich ein wesentliches Instrument zur Gewichtsregulation nicht besaß: eine Waage. Irgendwann hatte meine Frau nämlich entschieden, dass die Waage im Badezimmer doof sei, und sie kurzerhand weggeschmissen. Mir war das zunächst egal gewesen, aber nun vermisste ich sie. Also die Waage.
Wenn man nicht weiß, wo man hinmöchte, muss man sich nicht wundern, wenn man nicht ankommt.
Und wenn man nicht weiß, wo man ist, muss man sich nicht wundern, wenn man nicht weiß, wo man hinmöchte.
Und im Falle der Gewichtsregulation: Um zu wissen, wo man ist, braucht man eine Waage.
Als Kind der 80er wollte ich aber nicht irgendeine Waage aus einem Kurzwarengeschäft (ja, dieses Wort verwenden wir Kinder der 80er noch). Es sollte etwas Modernes sein, am besten irgendwas mit Internet. Und in der Tat fand ich eine Waage, die mein Gewicht auf eine persönliche Seite ins Internet stellte, im Jahre 2012 noch etwas Revolutionäres. Per WLAN verband sich das formschöne Stück Technik aus meinem Badezimmer direkt mit der weiten Welt des World Wide Web und präsentierte mir dann eine weniger formschöne Kurve meines damaligen Gewichtsverlaufs. Es sah nicht gut aus für mich. Wenn meine Gewichtskurve den Aktienwert eines innovativen Unternehmens widergespiegelt hätte, wäre meine Rente gesichert.
89,5 Kilogramm! Okay, wenn ich 1,95 groß wäre, hätte ich die Waage wieder wegstellen und zur nächsten Eisdiele gehen können. Aber ich bin nicht 1,95 groß, ich bin eher leicht untergroß. Schon als Kind hatte ich nie das Problem, mir irgendwo den Kopf zu stoßen. Und irgendwann mit 14 Jahren hörte ich dann bei 1,71 m mit dem Wachsen auf. 89,5 Kilogramm bei 1,71 m – das war wirklich zu viel. Ich brauchte keinen Schwabbeltest, keinen subäquatorialen Gürtel und keinen verbauten Blick auf meine Füße, um zu verstehen, dass es so nicht weitergehen konnte. Aber mit einem Mal verstand ich den Schweiß auf meiner Stirn, wenn ich die 500 Meter vom Auto in meine Praxis ging. Ich konnte nachvollziehen, dass ich mich für das Zubinden meiner Schnürsenkel lieber hinsetzte, anstatt graziös auf einem Bein zu balancieren. Ich hatte sogar mit der Anschaffung von Slippern geliebäugelt, so ganz ohne Schnürsenkel, fühlte mich dann aber doch noch etwas zu jung dafür.
89,5 Kilogramm bei 1,71 m, das entspricht einem Body-Mass-Index von 31. Das war nicht mehr dick, pummelig, gut im Futter, gepolstert, gut genährt, korpulent, kugelig, drall, vollschlank, vollleibig – das war wirklich richtig fett! Mein Gewicht war kein Kavaliersdelikt mehr, es war schon eine Krankheit. Und die Krankheit hatte einen Namen: Adipositas Grad 1.
Zur Erinnerung: So berechnen Sie Ihren BMI
Körpergewicht: Körpergröße in Metern × Körpergröße in Metern
Beispiel:
Größe: 1,71 m; Gewicht: 89,5 kg
1,71 m × 1,71 m = 2,92 m2
89,5 kg : 2,92 m2 = 30,65 kg/m2
BMI = 31
So berechnen Sie Ihr Zielgewicht anhand des BMI:
gewünschter BMI (zum Beispiel 24)
Körpergröße in Metern × Körpergröße in Metern × Wunsch-BMI
1,71 × 1,71 × 24 = 70,2
»Labeling makes ill«, sagen wir Mediziner, also: Gib der Sache einen Namen und du hast eine Krankheit. Und in der Tat fühlte sich der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich eine Krankheit hatte, nicht gut für mich an. Aber der Blick auf meinen Taschenrechner öffnete mir zusätzlich die Augen. Meine Moppeligkeit war nicht nur ein unschöner Anblick bei einem eventuellen Schwabbeltest, sie war nicht nur unnützer Ballast, den ich mit mir herumschleppte, sie war nicht nur ein Risikofaktor für eventuelle gesundheitliche Probleme meiner ungewissen Zukunft – nein, sie war selbst und unabhängig von allem anderen eine eigenständige Krankheit. Und als solche sollte ich sie auch behandeln, sagte ich mir. Denn als Arzt war mir klar, dass es nicht nur um eine Polsterung meines Körpers ging, die wie eine Wärmedämmung an einer Hausfassade ihr Dasein fristet und vielleicht sogar Gutes bewirken könnte. Wenn ich stürzte, würde ich weicher fallen als hagere Menschen. Und wenn es draußen kalt war, brauchte ich einen nicht ganz so dicken Wollpullover, um meine Körperkerntemperatur zu halten. Ich würde sogar Muskelkraft sparen, da ich nicht zittern müsste. Nein, meine Speckrollen waren keine Dämmung, das war mir klar.
Wir Mediziner wissen, dass Fettgewebe keine passive Struktur an unserem Körper ist, was da »einfach nur rumhängt«. Das Fett in und an unserem Körper ist alles andere als passiv: Es nimmt nämlich rege am Stoffwechsel teil und schüttet Unmengen an Substanzen aus, die uns auf lange Sicht gesehen richtig krank machen. Wir Ärzte beginnen gerade erst zu verstehen, dass Übergewicht nicht nur Auswirkungen auf unseren Cholesterinspiegel hat und dadurch das Risiko erhöht, unsere Gefäße zu verkalken. Fettgewebe führt auch zu Entzündungen und Immunreaktionen, die kaskadenartig verschiedene Stoffwechselprozesse unseres Körpers beeinflussen und uns am Ende krank werden lassen und – wenn wir richtig Pech haben – uns sogar umbringen.
In meiner Sprechstunde werde ich von meinen Patienten häufig gefragt, welche Ernährungsform die gesündeste ist. Und wir schreiben nicht das Jahr 1980, als Vegetarier noch verrückte Außenseiter mit Salatblättern zwischen den Zähnen waren. Allein die Gruppe der Vegetarier unterteilt sich heutzutage in Lacto-Vegetarier, Ovo-Lakto-Vegetarier, Flexitarier, Pescetarier, Frutarier, Veganer und – mein absoluter Liebling der Wortschöpfung – in Puddingvegetarier. Demgegenüber, auf der anderen Seite des Ernährungsformen-Spielfeldes, steht säuberlich aufgereiht die Paleo-Fraktion der Carnivoren, die sich dem Paleo-Lifestyle immerhin als strikte oder moderate Anhänger zuschreiben.
Aber ich möchte der Paleo-Diät nicht zynisch gegenübertreten. Immerhin hatten die Vegetarier einige Jahre linguistischen Vorsprung, um ihre Ernährungsform in Worte zu fassen und ihre Kostform zu klassifizieren, auch wenn die Paleo-Anhänger anführen, ihre Steinzeitkost sei schließlich die älteste Ernährungsform des Menschen überhaupt und dadurch die natürlichste und dementsprechend auch die gesündeste. Dass der Begriff »Stein«-zeit nicht daher kommt, weil die Menschen damals »stein«-alt wurden, interessiert nur am Rande.
Bei der Frage, welche Ernährungsform nun die gesündeste für uns Menschen ist, sollten wir aber religiös anmutende Verteilungskämpfe der einzelnen Lager außen vor lassen und nüchtern – welch schönes Wortspiel – die Fakten betrachten. Ernährungswissenschaftliche Studien haben nämlich in den letzten Jahren zeigen können, dass eine unumstößliche Tatsache existiert, an der kein ernst zu nehmender Wissenschaftler mehr zweifelt. Es besteht ein weltweit breiter Konsens an der universellen wissenschaftlichen Erkenntnis: Übergewicht ist Mist! Egal für welche Ernährungsform Sie sich entscheiden, achten Sie bitte auf Ihre schlanke Silhouette, Ihren grazilen Gang, Ihre ranke und zarte Art, den Alltag zu meistern. Entscheiden Sie sich für die Gazelle und nicht für das Nilpferd – beim Essen und beim Blick in den Spiegel.
Leichter gesagt als getan, werden Sie nun sagen, denn sonst würden Sie nicht dieses Buch lesen. Und auch ich empfand mich damals nicht als Gazelle, wenn ich auch die Bezeichnung »Nilpferd« für mich energisch abgelehnt hätte. Aber die Erkenntnis, dass ich an einer Krankheit litt und nicht nur an einer ausgeprägten Fettwärmedämmung, war ein Wendepunkt in meinem Leben. Denn diese Erkenntnis hatte weitreichende Folgen für mich und für meine übergewichtigen Patienten.
Sie behandeln keinen Schönheitsfehler. Sie behandeln eine Krankheit.