Wolfram Lotz
Heilige Schrift I
FISCHER E-Books
Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg. Aufgewachsen im Schwarzwald. Bislang sind von ihm die Bücher »Monologe«, »Drei Stücke« und »Die Politiker« erschienen.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Und plötzlich dachte ich: Es wäre einmal tatsächlich über ALLES zu schreiben, genau an diesem Ort, an dem für mich erstmal so wenig ist.
Der erste Teil der Mitschrift eines Jahres in einem kleinen Dorf in Frankreich, jeden Tag, von morgens bis nachts.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2022 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Studio Pandan
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491559-3
und also ging ich umher
ACHTER AUGUST
ZWEITAUSENDSIEBZEHN
so
jetzt
mal hingeschrieben
–
Vor mir hier Fichten Fichten Fichten
der Wald, beim Blick aus – ja – meinem KINDERZIMMER
Die letzten Tage, als ich mich plötzlich entschieden hatte, hier für diese Form jetzt, für das Jahr, das wir in Frankreich sein werden, auf diesem Dorf, da war sofort klar, dass ich hier also im Schwarzwald schon damit beginnen werde, bei meinen Eltern, in diesen zwei Wochen, vorher
Weil es eher wahrscheinlich und vor allem darum geht: Von L jetzt fort zu sein, von dieser Finsternis dort im letzten Dreivierteljahr
Und schreibend hier jetzt etwas Anderes zu suchen, das Feld zu öffnen
nochmal neu
Nicht für irgendjemanden, sondern jetzt eben nur für mich
aber mit der Möglichkeit der Kommunikation, des Gehörtwerdens, das schon
Für mich, aber dadurch zu den anderen hin
So wie Schreiben ja immer sein soll, für mich jedenfalls
SELBSTGESPRÄCH BEI OFFENEM FENSTER
dieses merkwürdige Sowohlalsauch
Und deshalb auch die Idee, das hier eventuell doch auch ins Internet zu dingsen
irgendwo, wo es vielleicht nicht aufzufinden ist, aber potentiell doch
Oder dass es später die Freunde lesen können, damit sie wissen: Der sitzt da auf dem Dorf, aber der ist noch da
Heute hat er Brokkoli gegessen
Also: Als Lebenszeichen
Aber natürlich habe ich von diesem technischen Kram HOMEPAGE SERVER DOMAIN gar keine Ahnung, und alles liegt wieder angefangen da, bis wann –
Jetzt wird erstmal hier geschrieben, alles andere, wenn überhaupt, später
jetzt
SCHREIBEN
–
Immer, wenn möglich, vormittags hieran schreiben, neben dem FRANKFURT- und dem HAMBURG-Vortrag vor allem, so hatte ich es gedacht
Und abends, nachts vielleicht noch, neben dem Politiker-Stück, vielleicht, wenn das Stück das überhaupt zulässt
Und natürlich spüre ich sofort ein Bedauern, dass das hier keine EXZESS-Form sein kann, und zugleich denke ich auch: nein, ist genau richtig
Es soll eben keine Anti-Sozial-Form werden, sondern für mich und für die, die um mich herum sind, absolut gut erträglich
Weil O und E das auch nicht zulassen, die brauchen ihre Zeit, GEGEN das Schreiben, und das ist einerseits immer bedauerlich, weil sie den für’s Schreiben ja so wichtigen inneren Ständig-Durchlauf jedes Mal unterbrechen, andererseits aber eben halt aufbrechen zum Leben hin, was ja genau richtig ist –
–
Tobias vom Schauspielhaus will wissen per SMS, wann wir telefonieren können wegen – ach ach ach
Heute nicht, morgen, heute habe ich doch jetzt gerade hier begonnen, Tobias, du verstehst –
Ein bisschen festlich ist das schon auch
–
Für mich ist klar, dass das hier – im Gegensatz zu meinem Schreiben sonst – eine Form sein soll, die es total gut verkraftet, wenn O oder E zur Tür hereinkommen, mit ihrem Kram, ihren Lego-Autos, was auch immer
Das zerreißt mir ja sonst immer den Fluss
Aber hier soll das eben gerade der Modus sein! Nicht das wahnmäßige Reinbegeben in die eigene was, innere, vielleicht: Höhle?
Sondern schreibend noch immer und besonders: wach nach außen – Weitung, Leichtigkeit
Auch und gerade jetzt, wo ja die Gefahr der Verkniestelung in mir so stark ist, nach dem Finster-Wahnsinn in Leipzig mit der Jena-Bewerbung, der ganzen traurigen Zerstörung der Freundschaften
Seltsam, aber es ist klar, dass das jetzt einer Technik bedarf auch, dieses Schreibens, damit ich nicht noch mehr zu einem
–
Das soll auch ein Text sein, der immer mitläuft, damit ich an ihm sehen kann, wo ich zu Eisen werde, wo ich kalt werde, damit ich es merke, bevor es zu spät ist
Ich merke die Gefahr gerade, das war jetzt einfach alles zu viel, da ist in mir was kaputt gegangen, wenn ich das nicht alles bedenke und behandle und besehe, dann geht da wirklich was von mir verloren
–
Tobias: Ja, das geht gut. Bin bis morgen 14 Uhr erreichbar
Gut, also, dann bis morgen!
Danke
–
Heute in der NZZ
FATAL
Interview mit Daniel Kehlmann
er sagt zum Beispiel direkt am Anfang über einen gerade gemachten Schweiz-Urlaub:
Einfach das Gefühl
in den Bergen zu sein
und dieses gute alte Abendland
um sich zu haben
Als Anti-Trump-Beruhigungsgefühl meint er, aber sowas, als Reaktion, sich hier jetzt halt total wohlzufühlen, als Antwort
oh my, bitte nicht
–
Aber in London und New York habe ich lebendiges, originelles Gegenwartstheater erlebt
Was verstehen Sie darunter?
Stücke, die echte Geschichten erzählen und von Menschen handeln
Danke, Herr Kehlmann, ich danke Ihnen für das Gespräch
Tschüss
–
Hier rauscht der Fluss so laut
–
Weiter an der Notizensammlung für den Hamburg-Vortrag
Weniger schreiben, mehr Ordnung machen, ohne es kleinzuordnen, offen lassen
Das ist die Gefahr, jedes Mal, die Notizen erzählen ja vielmehr in ihrer Wirrheit, und dann müssen sie doch etwas geordnet werden, und das gibt jedes Mal auch diesen Verlust, der mich so deprimiert
Letztlich ist das der Realitätsverlust durch das Erzählen
Behutsam behutsam behutsam, da ist ja eine innere Logik drin, die ganz flirrend ist
Und deshalb hier, in diesem Ding, jetzt ja gerade auch diese Form: alles so, wie es hinkommt, nichts bearbeiten, keine Peinlichkeiten raus, keine nachträglichen Irgendwas rein
TEXT
VERTRAUEN
–
Muss hier jetzt auch rein, dass es regnet?
UNBEDINGT
–
In der Küche gerade
halbe Pflaume stiebitzt
Mein Vater liest den Schwarzwälder Boten
Headline heute:
Miau!
Der 8. August ist der internationale Tag der Katze
So, jetzt aber weiter an HAMBURG
–
O oder E oder beide hauen unten grad auf dem Klavier meiner Mutter rum
ganz wirr und mit größter Freude
Die verstehen was von den Dingen
Genauso will ich es doch hier auch machen, auf diese Art
Ich geh jetzt doch nochmal zu ihnen runter
–
O und E haben das Zimmer unten legomäßig schon KOMPLETTVERWÜSTET
–
E: Wo ist mein Superritter?
Wer?
Mein Superritter
Hier vielleicht, der?
Nein
Der hier?
Nein
–
Als Mathias hörte, dass wir für ein Jahr in dieses Dorf nach Frankreich ins Elsass gehen, hat er gesagt: Oh toll, dann wanderst du bestimmt da so durch die Wälder wie Peter Handke und schaust dir alle Pilze an
Und wie mich da sofort das Grauen überkam, natürlich vor allem vor mir selbst, weil die Gefahr dieser bestimmten Form der – ja, halt eben doch: Verblödung in mir massiv vorliegt
Und das weiß ich ja
Ich habe ja als Naturlyriker angefangen!
So, jetzt steht’s hier, aber bitte: Das muss trotzdem unter uns bleiben
Und jetzt schon hier, die Bäume im Schwarzwald, vor dem Fenster
Und klar habe ich Lust sie zu beschreiben, den Ort
trotz bzw. gerade wegen Verblödungsgefahr
Vielleicht morgen, übermorgen
–
Wie ich vor einigen Tagen glücklicherweise noch in die kleine Kiste mit den wenigen Büchern, die ich mitnehme nach Frankreich, hineingeworfen habe: M.L. Kaschnitz – Beschreibung eines Dorfes
Das war mir plötzlich noch eingefallen
Ein Buch, das zwar unter zahllosen Gesichtspunkten total mufft inzwischen
Das aber trotzdem SO TOLL ist, ein SUPERBUCH
–
Und jetzt, in diesem Moment, Tür auf, Mutter rein, Wolfi, hier, Post, gerade gekommen
Huch, schon da
Hatte ich mir bestellt, vor wenigen Tagen: Handke – Das Gewicht der Welt
(und gerade noch von Handke hier gesprochen ähm geschrieben)
Natürlich in Vorbereitung dieser Sache hier. Gedacht, ohne das geht’s nicht
Bei Handke muss ich zumindest reingucken
Der ist doch immer Referenz und Bezugspunkt, und klar: in all seiner Schrecklichkeit oft
Handke ist ja in den Texten immer so anwesend und zugleich als Person für mich eben nicht auszuhalten, was das Lesen so ambivalent macht, aber diese Anwesenheit des Schreibenden in den Texten, das ist so unangenehm, und andererseits: So unerlässlich, weil nur so erzählt das ja was
So, bin jetzt kurz mal beim Handke-Rein-Lektüren, vor dem Mittagessen
Das Gewicht der Welt – EIN JOURNAL
Muarmuarmuar, Ein Journal, aaaauh, so geht’s gleich los
–
Für dieses Schreiben hier einfach alles nehmen, klauen
jedes Mittel, jeden Sound, alles was brauchbar ist, Brinkmann, Chr. Wolf, Goetz, Handke, die Warhol-Tagebücher, Aichinger, Frisch, EGAL
–
Was für ein Schwachsinn wäre es, das ALLES nur mit der bisherigen sogenannten EIGENEN SPRACHE berühren zu wollen
DAS EIGENE ist wahrscheinlich eh die gewaltsamste Behauptung
–
Frikassee Reis Gurkensalat
–
Kurzes Nickerchen, E neben mir, schläft noch, total süß
Ich lese ein bisschen Handke
Natürlich schrecklich, natürlich UNFASSBAR TOLL
Auf den ersten Seiten eher Aufzählungen bzw. Beschreibungen von Gesten, wahrscheinlich gar nicht beobachtet, sondern ausgedacht
Erinnert mich an mein absolutes Handke-Lieblingsstück Ritt über den Bodensee
Aber dieses Buch ist eben auch SPRACHGEWALT
Handke will die Dinge zu packen kriegen, klar
und deshalb: KNEIFT er mit jeder Notiz die Wirklichkeit ganz fest
Da weiß ich auch, dass ich das zwar einerseits toll finde, das hat was Gedichtartiges
Aber so will ich es hier z.B. eben nicht haben
Der Sound soll leichter sein, nicht DICHT hier, lieber verhuschter, optionaler
–
20 Seiten, und schon ist’s mir zu viel
Aber trotzdem toll
Die Sätze wollen halt nur so unbedingt was festhalten bzw. irgendein Extrakt hervorbringen
konzentriert sein
Jetzt ist E aufgewacht
Kann ich spielen gehen?
Klar!
–
O und E spielen gerade folgendes Spiel: Sie kreischen PORTUGAL, und rennen dann weg
durchs Haus
Aha
warum Portugal?
Vermutlich, weil es für sie einfach ein cooles Gekling ist
–
Deutschlandfunkbeitrag, wieder der totale Wahnsinn
Irgendein Frankfurter Institut des totalen Wahnsinns
hat untersucht LYRIK UND HIRN
Und erstmals richtete er auch eine Kamera auf die Haut am Unterarm
Wenn Gänsehaut auftritt
– und das sehen wir in der GÄNSEHAUTKAMERA –
dann wissen wir, dass die Person gerade ein Höchstmaß an
Bewegtsein erlebt
Spitzenreiter auf der GÄNSEHAUTSKALA:
Schillers Gedicht die Bürgschaft
Wawawawa
Gefühl und Rhythmus sind im Hirn
eng verbunden
Jeder kann Gedichte genießen
Bla bla bla
Total irre
Sendezeitvernichtung
Aber wenn fünf Sekunden Stille ist in irgendeinem Hörspiel, dann drehen die Radioleute total am Rad
Aus aus aus jetzt
–
Der Abend hier über dem schwarz bewaldeten Berg: eingerötet
Obwohl hier nichts ist außer Wald Wald Wald, ist hier niemals Stille
Der Bach kracht ja das Tal hinab
Ich bin jetzt sehr froh, hier zu sein, gerade
Wenn es ganz dunkel ist, dann geh ich ans Politiker-Stück
gleich
Wie wenig das Politiker-Stück diesen Text hier verträgt
das habe ich sofort gemerkt gestern Abend
Weil das Politiker-Stück unmittelbar nach dem ganz fröhlichen Schreibbeginn im letzten Oktober durch die Jena-Sache, die damit verbundenen Schuldfragen und die plötzlich gefühlte – ja: Einsamkeit
ins Dunkle gerissen wurde
Was bedauerlich war und ist
Und zugleich auch richtig, so ist ja das Schreiben, dass es immer auf die Gegenwart reagieren muss, und das Stück also auch mit Einsetzen dieser inneren Finsternis von der Finsternis handeln musste, wie wäre das anders gegangen
Und das Stück dadurch wirklich ganz zu einem NACHT-TEXT wurde, in der Nacht geschrieben, ganz konkret, aber auch in sonstiger Hinsicht
Und wie das Stück in diesem Sinn plötzlich sofort nach dem Beginn des Schreibens nicht mehr ausgewogen sein konnte, eben nicht von Tag und Nacht und sowohl als auch handeln konnte, sondern nur von dem einen Zustand erzählt, denn in dieser Zeit war ja ausschließlich Nacht
Und sich für mich meine Grundannahme, dass ein Text immer von allem erzählen soll, nie nur von einem, deshalb plötzlich so seltsam verdrehte
Die Zukunft war ja wirklich einfach verschwunden, nur noch Vergangenheit und Gegenwart
Dunkelheit, oder nein, nicht reine Dunkelheit
Eine Art WALDBRAND IN DER NACHT, Delirium, so hat es sich angefühlt
Und davon erzählt der Text jetzt
Nur spüre ich jetzt, dass diese Art der Nacht langsam endet, glücklicherweise, enden muss
Und gerade auch durch diesen Text hier soll sie ja ganz vertrieben werden, dieser Text soll eben in besonderem Maße ein TAGTEXT sein, Zukunftsdings, Öffnung
Und das Politiker-Stück ist aber noch nicht fertig, und was macht es nun mit dem am Ende der Dunkelheit einfallenden Licht
Es scheut sich davor, aber das will ich aufnehmen, so soll in diesem Nacht-Text eben der Tag enthalten sein, als Ahnung des Morgens
Und vielleicht zerstört es mir das Stück jetzt, das kann sein, aber ich kann es nicht rauslassen, kann es nicht durchziehen, gegen das, was ist, das fände ich ganz falsch
Es ist ja immer der Realität zu folgen, niemals der Logik des Erzählens
Tag, komm
jetzt
–
Tobias vom Schauspielhaus angerufen
Ich habe ja vor Kurzem für diese Dramatik Workshop Sache da
nachdem ich Tobias dafür schon mal abgesagt hatte
nachdem ich Tobias schon für so einiges abgesagt hatte
diesmal ganz einfach sofort spontan: Zugesagt
Und sofort gemerkt, dass ich mir dabei selbst auf den Leim gegangen bin, auch
weil die spontane Zusage vor allem aus der unmittelbaren Lust kam, Tobias einfach damit zu überrumpeln (was auch total gut funktioniert hat), einerseits
Andererseits auch der unmittelbar reinknisternde Gedanke: Wenn ich da jetzt auf dem Dorf sitze, ist es vielleicht gerade der Zeitpunkt, sowas zu machen, mal für zwei Wochenenden raus nach Wien, Menschen, Kaiserschmarrn, Theater, Gespräch, ist doch schön
Und das ist es ja auch
Aber natürlich bringt diese Nachwuchsautorinnenfördersache so dermaßen viel Klebrigkeit mit sich, dass dieses Telefonat hier jetzt dringend notwendig war, ein paar Dinge mussten geklärt werden:
Wie sind die Bedingungen für die Teilnehmenden? Werden ihnen die Dinge bezahlt vom Theater etc.?
Ja, werden sie
Gut, danke, Tobias
Wer gibt da wieder welches Unsinns-Thema vor, und ich steh da namentlich dabei
Naja, geklärt, nein, noch unklar, Tobias schickt einen Vorschlag
Da gibt’s bestimmt noch Gerumpel
Schlagwort ist schon gefallen: Durchlässigkeit, da wird mir tendenziell schon schlecht
Aber vor allem der Wahnsinn der bisherigen Konstruktion, dass ich da mit den Schreibenden zwei Wochenenden sitze und spreche, und dann soll ich in der Jury sein, die dann ein GEWINNER-Dings auswählt
Wie sick ist das denn
Nein, sicher nicht, das wird ja arschkriechmäßig die Hölle, scheußlich
Also Bedingung: Raus aus der Jury, nur im Gespräch mit den Schreibenden, dass die auch drauf scheißen können, was ich sage, das ist doch wichtig
Diese Autonomie-Sache wird von den Theaterleuten in Bezug auf das Schreiben immer völlig unterschätzt
Warum
Weil die Theaterleute das so schwer verstehen können, weil ihre Arbeit im Theater ja auf so schöne Weise aber eben auch so übergroß: von Gemeinschaft handelt
Jedenfalls mag ich nicht ÜBER die Schreibenden entscheiden
Hat Tobias dann auch sofort verstanden
Aber trotz allem ist mir der ganze Vorgang, diese ganze Sache UNANGENEHM
Es ist und bleibt ein Tümpel, und da habe ich mich jetzt reingesetzt
Für die Zukunft muss ich nochmal neu entscheiden, wie ich mit so einer Anfrage DANN umgehen werde, und mir ist beim Schreiben dieses Satzes sofort klar, wohin die Entscheidung sich jetzt im Moment wohl eher neigen würde
Bin mir nicht sicher, ob Tobias jetzt in allen Einzelheiten verstanden hat, was da in meinem kleinen Schreiber-Herzen herumwühlt
Aber verstanden hat er auf jeden Fall, dass ich da jede Menge Probleme habe
und darauf nimmt er jetzt doch sehr Rücksicht, bisher
So, jetzt aber an den Hamburg-Text, flux
–
Aber jetzt, aus den Hamburg-Notizen, nochmal zurück:
Wie es einen schon kaputtet, schreibmäßig, wenn man z.B. ein Textchen für ein Programmheft schreibt, das man eigentlich nicht schreiben wollte
Das geht ja am Schreiben nicht vorüber, jede eigentlich nicht gewollte Kleinigkeit, jedes hier nochmal kurz für’s Geld Radioessay zu Diesunddas oder Verwurstung Gedanke Auftrag Süddeutsche Zeitung oder Blabla zu Katalog von befreundetem Künstler Quatsch was weiß ich –
Das alles geht ja am eigenen Schreiben nicht vorüber, sondern verformt und verbeult es gegebenenfalls ganz unmittelbar
Ich verstehe immer gar nicht, wie man denken kann, dass das gehen könnte: spurlos, schadlos
Gerade diese kleinen, eher heimlichen Sachen fucken einen doch ab
Und so ist es auch mit dieser Schauspielhaussache, klar
Und das ist eben so eine so schwierige, aber trotz allem irgendwie auch äußerst freudige Aufgabe für mich:
Sich den Dingen nicht aus Angst vor der eigenen Zerstörung zu verschließen, sich dem immer wieder auszusetzen, aber vor allem NACH UND NACH zu lernen, was geht, was gut ist und was nicht, und sich immer besser entscheiden zu können, auch von mir aus mal extra falsch, wegen Bock auf das Falsche
Aber eben nicht gedankenlos, aus Routine
Und das Schöne daran ist doch: Das ist doch wirklich ein Bereich des Lebens – der konkrete Umgang mit solchen Dingen – in denen man durch die Beschäftigung damit auf jeden Fall WEITERKOMMT, ein wirklich selbst gestaltbarer Bereich, im Gegensatz zu anderen Bereichen, wo das vielleicht nicht immer so klar ist
AUFTRAG FÜRS LEBEN, das
Eine Arbeit, die aber auch so wahnsinnig Spaß macht: DAS LERNEN
–
E singt im Flur herum, aber was? Ich kann es nicht verstehen
–
Lecker die Schote
sagt E
über die Schote in der asiatischen Nudelpfanne aus der Tiefkühltruhe meines Vaters
Schote
Erbsschote
Erbschen
Und welches davon wird jetzt das Wort des Tages?
Das entscheidet die Akademie für Sprache und Dichtung
nach einem kurzen Nickerchen
–
E hat nicht geschlafen, er hat sich nur
herumgewälzt
–
Nachmittags kommt TRUDE zu Besuch, die Freundin meiner Mutter aus dem Dorf, die sich von meinen Eltern einfach nicht vertreiben lässt, eine sehr freundliche Person
Sie will O und E sehen
Und so spielen O und E
Und Trude und Mutter und Vater und die Akademie für Sprache und Dichtung sitzen dabei und essen Kuchen
Leider ist die Akademie für Sprache und Dichtung sehr müde, eine große Erschöpfung plötzlich, noch von den letzten Wochen, die jetzt hereinbricht, dass es zu keinem vernünftigen Gespräch kommt zwischen Trude und der Akademie
Schade, das nächste Mal
–
Später fährt die Akademie für Sprache und Dichtung Trude noch nach Hause, es ist ja alles so weit entfernt hier, Trude wohnt mit ihrem Mann Franz oben am Wald (wer wohnt hier nicht am Wald)
–
Draußen alles dunkel, keine Kraft mehr richtig
für das Stück
Totale Erschöpfung, die kommt mich aus den letzten Wochen also jetzt hier doch besuchen
Gut, dann leg ich mich hin
Bier
Seltsam warme Dunkelheit
Beim Gottesdienst zum Bergfest am Sonntag
im Festzelt neben der evangelischen Kirche
predigt auch
Oberbürgermeister Julian Osswald
Beginn ist um 10 Uhr
Feuer, Wut und Macht
Kleine Vierbeiner kommen in Musbach ganz groß
raus
Was was was was
Toast
mit
Marmelade
–
Und ich habe natürlich auch kurz daran gedacht, in diesem Jahr, in dem ich da jetzt irgendwo ganz abseits lebe, dieses WALDDING, das also mit so einer Fröhlichkeit auch dahingehend durchzuexerzieren, einfach auch zu verwahrlosen, haar- und bartmäßig, ein Jahr lang eben einfach so zuzuwachsen und dann eben einfach so auszusehen, wie ich dann eben aussehe
Und das hier noch durch ein Davor-Foto und ein Danach-Foto zu kommentieren
Aber dann ist mir sofort klar geworden, dass ich dann ja auch nur aussähe wie ein HIPSTER, am Ende
Und also nein, bitte nicht, dumme Idee
Ich erinnere mich, dass Harald Schmidt mal nach einem Jahr (oder mehr oder weniger) Fernsehabstinenz zurückkam, auf genau diese Art zugewachsen
(da ist wirklich kurz alles aufgeleuchtet)
Da ging das aber noch, da waren derartige Vollbärte noch offiziell als herrliche maßlose Scheußlichkeit anerkannt, aber jetzt geht das nicht mehr, gerade
Schade
–
Entschuldigung, nochmal kurz zu der Harald-Schmidt-Bart-Sache:
Das Tolle daran war, als er da eben plötzlich mit diesem Bart wieder in so ein Fernsehstudio gelatscht kam – dass SOFORT klar war: genau für diesen Augenblick hat er ihn jetzt wachsen lassen
Sicherlich für ihn über gefühlte EWIGKEITEN in seinem Leben, und dann ist der Augenblick vorbei, alles auf einmal verbraucht, totale VERSCHWENDUNG, na und, ist ja gerade deshalb so toll
Der hat sich ja bestimmt DAS GANZE JAHR ganz aufgeregt auf diesen Augenblick GEFREUT
–
Judith
Dorothee
Roman
ich freue mich so, dass ihr jetzt in der Nähe seid
Dass ich jetzt in eurer Nähe bin, meine ich
Vielleicht komm ich wegen der Theatersache eh schon nächste Woche
nach Zürich
Judith ist nicht da, hat sie schon geschrieben, sie ist in Belgrad
Und Dorothee ist nur zeitweise da, das wäre aber schön, wenn sich das doch überschneiden würde
Und Roman, dich komme ich natürlich auch ganz bald besuchen, in Basel in deinem seltsamen Stipendien-Haus, ich freu mich drauf
–
Mir ist diese Zürich-Theater-Sache in den letzten Tagen durch den Umzug jetzt doch ganz schön weggerutscht
Aber jetzt muss ich darüber nachdenken
Diese seltsame Überschneidung, nach dem Theaterhaus-Jena-Desaster, dass plötzlich diese Anfrage kam von Heike (das ist jetzt ja gerade erst drei Wochen her), ob ich vielleicht Lust hätte, ein Theater mit zu machen
Und natürlich ist das Theater genau die richtige Größe, der Ort, der Zeitpunkt, der ganze Zufall, dass ich mich fast dazu verflucht fühle, wie so ein SCHICKSALSAUFTRAG
plötzlich
–
Aber trotzdem: Wie abgeschnitten mir die Zukunft doch vorkommt durch das Theaterhaus-Fiasko im Winter in Bezug auf eine eigene Arbeit an einem Theater. Da ist ja erstmal niemand mehr, mit dem es eine Art Grundübereinstimmung gibt – und damit meine ich nicht eine Übereinstimmung auf rein inhaltlicher Ebene, sondern eine Art gemeinsame Geschichte in der Hervorbringung der Inhalte. Und die ist für mich so wichtig, für das Vertrauen, dass man doch insgesamt tatsächlich von der gleichen Sache spricht, mit allen Abweichungen auch im Detail
Mein Vertrauen dahinein ist nicht weg, seltsamerweise, das ist schon richtig für die Zukunft, nur ist alle jahrelange Vorarbeit diesbezüglich natürlich wie gelöscht, in diesem Fiasko AUFGEBRAUCHT VERBRANNT worden
Jetzt muss alles neu begonnen werden, braucht alles vielleicht Jahre, mit wem, noch keine Ahnung, aber das beginnt jetzt eben
Es geht nur eben nicht schnell, aber Geduld
wird
kommt
Das Theatermachen müsste für mich ja eigentlich eben immer ganz von vorne beginnen, nicht einfach irgendwo einsteigen, das geht nicht
Egal welcher Laden, der muss ja ganz umgefaltet werden, denkend, erstmal, in Möglichkeiten hinein
Und jetzt denke ich natürlich doch kurz: Vielleicht geht das eben doch nicht mehr, weil das GEMEINSAME BEGINNEN mit der Sache eben so wichtig ist, das ist mir noch gar nicht klar, was das heißt
Jetzt wäre ich ja schon in einem WEITERMACHEN mit der Sache an sich, damit geht natürlich ein gigantischer Kraftverlust einher, das kann ich auch nicht leugnen
Aber da muss ich jetzt eben drüber hinweg, den muss ich vielleicht tatsächlich AKZEPTIEREN, kraftmäßig, nicht inhaltlich, hat aber beides natürlich miteinander zu tun
Auch wenn das irgendwie nicht geht, muss es halt doch gehen
Aus diesem Paradox ist ja auch Freude zu gewinnen, da kommt ja für mich glücklicherweise immer auch ein Antrieb raus
–
Ich muss jetzt nächste Woche einfach durch dieses kleine Züricher Theater laufen, und dann wird dieser Ort etwas machen, vielleicht einen Schlitz in die Zukunft aufreißen
–
Und jetzt hier, gerade die Post
mit einem winzigen Päckchen von Hansi
mit der ersten Urbanitätslieferung
für mich
Ich werd verrückt, das ist so schön
Vielen vielen Dank, Hansi
–
Balkontür offen, der Wald rauscht herein
–
Folgende Erzählung
gestern wieder eingefallen
Die ich nicht aufschreiben konnte, bisher, weil es eben keine richtige Erzählung ergibt, sie total formlos bleibt
Und hier kann sie vielleicht ihren Platz finden, weil hier nichts FERTIG werden muss, die Realität ganz unfertig stehenbleiben kann
Der Titel der Erzählung jedenfalls lautet
DIE TRUDE UND DER PAPST
Sie spielt noch im 20. Jahrhundert, ich weiß nicht mehr, wann genau
Der Gesangsverein der katholischen Kirchengemeinde Bad Rippoldsau
fährt zum Jahresausflug nach
Rom
Und also auch der Franz, Trudes Mann, und also auch Trude, denn die Partnerinnen fahren alle mit
in einem großen Bus
Weinproben, Besichtigungen, ich weiß nicht, was alles, und ein Besuch auch im Petersdom
Unfassbar viele Menschen dort, und der Papst, Johannes Paul der Zweite
hält einen Gottesdienst
geht umher und schüttelt auch einigen
Gläubigen
die Hand
Und zufällig auch an einer Absperrung
der Trude
Es ist ein Zufall
Die Trude und der Papst haben eine winzige, sehr freundliche Konversation
Ein Fotograf des Vatikans macht ein Foto davon, ich sehe es als Jugendlicher oder noch als Kind, ich weiß nicht mehr
im Wohnzimmer der Trude
Und da ist ein kleines, aber sehr schönes Leuchten zwischen der Trude und dem Papst in dem Moment
Es ist ein wirklich schönes Foto
aber dann verschwindet es aus dem Wohnzimmer, kurze Zeit danach
Wie ich später erfahre: Weil es zu Missgunst führt, bei allen anderen
weil die Trude nur als ANHÄNGSEL mit dabei war in Rom, gar nicht zum eigentlich ausflugmachenden Gesangsverein gehört
und der Papst schüttelt aber ihr die Hand
Und all das Licht dieses kleinen Wunders verwandelt sich hier im Dorf in eine Dunkelheit
Offenbar auch direkt danach schon, auf der ganzen restlichen Reise schon
und dann darüber hinaus, bis hier in den Wald hinein, über Jahre
Geschichte zu Ende
beschissene traurige Geschichte
Klar kann man diese Un-Geschichte nicht erzählen
aber jetzt steht sie hier wenigstens
Nur als was
–
O erzählt mir:
Da springt ein schwarzes Eichhörnchen ums Haus
da
hinten
war es
–
E sagt:
Leberflecken werden aus Leberwurst gemacht
–
Die feindlichen Panzer haben angehalten
Wieso?
Warum kostbare Panzer opfern, wenn sie uns von oben wie Fische im Netz erwischen können
Es sind vierhunderttausend Mann an diesem Strand
Er kommt wieder zurück
Er kommt wieder zurück
Wo fahren wir hin?
Dünkirchen
Ich geh nicht mehr zurück
Es lässt sich nicht vermeiden, Junge
Wir haben einen Auftrag zu erledigen
Dann sterben wir dort
Man kann sie von hier aus fast sehen
Was?
Die Heimat
–
Die irgendwie spastischen Bewegungen der Sängerin Lorde, bei einem Auftritt, gerade gesehen auf Youtube
Wie schön das ist
Diese Bewegungen, die eben aus etwas ganz eigenem kommen, NÄMLICH DEM EIGENEN KÖRPER
Und die deshalb ganz neu sind, egal wie ÄHNLICH sie strukturell anderen schon gesehenen Tanzbewegungen sind, was sie da tanzt, ist ja keine Neuerfindung von nichts
Das ist eben ihr Körper, der das nochmal tanzt, und alles nochmal fremd werden lässt
WEIL SIE SICH DA OFFENSICHTLICH UM IRGENDWAS NICHT SCHERT
(um anderes schon, aber das stört nicht)
So wäre mit der Sprache auch umzugehen, erneut
But I hear sounds in my mind
Brand new sounds in my mind
–
Am Politiker-Stück, ich komme hier jetzt langsam wieder rein, nach der Unterbrechung die letzte Woche
Aber es muss noch so viel Anderes kommen
Und ich weiß nicht, ob es für eine Bühne geht
immer noch nicht
Es rauscht es rauscht
–
Auch der Fluss rauscht in der Nacht
Der Fluss ra usch t in der Nacht
–
Ich lösch jetzt
die Lupinen
Guten Morgen guten Morgen
Wolfram
Hose hoch Hose hoch
hoch hoch
hoch
Kaffee Kaffee
los los los
Und was ist das hier
Frischeiwaffel
rein rein rein
Los los los
Der Tag beginnt
der Autor spinnt
–
Hier, jetzt, also unbedingt
nach dem Aufblitzen des Namens Jan Fleischhauer auf Spiegel Online
der heute auch noch unter der Rubrik FUNDAMENTALISMUS schreibt
kurz zum TROTZ
Der ja für mich schon so wichtig ist
Als Antrieb, um sich aus der Konvention, in der man ja steckt, immer erneut
herauszuschießen
Und dafür ist er ganz unerlässlich
Aber zu was für einer Verblödung er führt, wenn durch ihn schon
eine Position eingenommen wird, ganz falsch falsch falsch
Der Trotz darf eben nur ein BEWEGUNGSGENERATOR sein, aber kein POSITIONSGENERATOR, nur raus erstmal
aber eben gerade nicht dahin, wo einen das dann einfach so hinpfeifen würde
schon alleine, weil diese Position sich ja ganz dämlich auf die vorherige Position als Antiposition bezieht
sondern im Rausfahren sofort gleich direkt abbiegen aufs Feld, nach sonst wohin, erstmal möglichst wirr und widersprüchlich
Und dann:
Suchen, von Neuem, nach der eigenen Position, ganz untrotzig
IN ALLER RUHE
–
O sagt, mit einer der Legotüren an der von uns gestern gemeinsam gebauten Tankstelle stimmt was nicht, da soll ich jetzt mal nachsehen
–
Mein Wunsch wäre natürlich gewesen, dass der Text hier von Anfang an von einer Offenheit handelt, aber nach dem letzten halben Jahr ist es klar, dass ich hier in relativer Verknitterung anfange
Und diesen Text schreibe ich ja auch, um mich zu beobachten, ob jetzt nicht eine Verbiesterung in mir einsetzt, ein kleiner Alters-Bitterkeit-Schub durch das Geschehene
Und der Text lügt diesbezüglich ja nicht, das ist klar, nur so, schreibend, kann ich mir wirklich zusehen und das eventuell verhindern
Die Sprache offenbart das ja auf jeden Fall, WAHRHEITSMEDIUM
–
Es wäre schön, wenn ich am Ende feststellen würde, dass die Dramaturgie des Textes wäre: Hinaus ins Offene, Helle
Aber das wird eben vielleicht auch nicht so ganz so sein, sehr wahrscheinlich, und das ist dann so, der Text wird dann eben auch teilweise ein Scheitern erzählen, diesbezüglich
LEBEN
–
Ich freue mich hier schreibend eigentlich auch besonders auf das eventuelle Entstehen kleiner FORMATE
ja ja: Formate
kleine rituelle Formen, die plötzlich entstehen und mit denen dann gespielt werden kann für eine Zeit
Wie schön das wäre, denen zuzusehen, wie sie aus dem Schreiben im ganz direkten Umgang mit dem Leben ENTSTEHEN
Und dann auch verbraucht werden
–
Wie schön ich das fand – das muss ich hier nochmal erwähnen – als mir, nach dem der Lehrauftrag im Frühjahr an der Hochschule für Musik und Theater Mendelssohn Bartleby Leipzig zu Ende war
(ich hatte da noch irgendeine postorganisatorische Mail an alle geschickt wegen irgendwas)
eine der Studierenden, die sehr stille sympathische Frederieke, einfach so nochmal zurückschrieb, wie sehr es Spaß gemacht hätte, meine Mails zu bekommen, weil man in ihnen immer gespürt hätte, wie das Schreiben Freude machen kann
Das war so schön, das EINFACH SO geschrieben zu bekommen
und irre wichtig, für mich, aus diesen Dingen kommt so wahnsinnig viel neue
Dankeschön nochmal, Frederieke
Und ja ja ja, darum geht es, dass die Spaß-Geste in den Text – egal was für einen – dass die da reingeht
Das ist in den Mails für mich viel einfacher, als in den Texten, die so sehr etwas sollen
Und vielleicht kann das Schreiben hier auch etwas davon haben, möglichst viel, von diesem Nicht-Sollen
–
Bei schweren Unwettern über Norditalien
sind mehrere
Menschen
verletzt worden
Zu den Opfern
gehört auch Brandenburgs
Sozialministerin
Golze
Sie war im Campingurlaub, nun liegt sie im Krankenhaus
–
Vorhin kurz bei Instagram geschaut
und wenn ich mich da durchklicke, über die Profile von so vielen tollen Leuten, die ich aus Leipzig kenne
Wie schnell ich da die Krise kriege, weil diese Bilder dort für mich so oft nur irgendwas absichern sollen, die eigene Existenz, und zwar durch GESCHMACK
Wirklich, nein, GESCHMACK ist das Langweiligste, es heißt doch nur: Ästhetische Hoheit über die Dinge
Sicherheit
Eben kein Risiko, aber die Kunst, alles, das ist ohne Risiko irgendwie
nichts
–
Deshalb auch meine von allen immer wieder völlig zu Recht verlachte Begeisterung für Miley Cyrus
Weil ich es einfach so toll finde, ihr zuzusehen, als Popstar
Der Verwirrtheit, der Aufgekratztheit, der bedingungslosen Emotionalität, der totalen Unkontrolle
die natürlich ununterbrochen auch Peinlichstes hervorbringt
Auch und besonders musikmäßig, na gut
Aber ich finde Miley trotzdem gerade deshalb sympathisch
Wie viel lieber mir das am Ende doch ist, als Beyoncé, die ja toll ist, jaja, sehe ich ja auch so
Aber halt doch so, wie ein Leder-Designersofa in irgendeiner Kuratorenwohnung toll und beneidenswert und ästhetisch ist
Und zugleich so deprimierend endgültig und langweilig, nein
Miley
Und zugleich muss ich mir natürlich eingestehen, dass ich das alles ja nicht aus der Musik-Perspektive sehe, wahrscheinlich war das leider nie meine Perspektive am Ende, sondern ich sehe es halt doch aus der THEATER-Perspektive, klar
ich Depp
Aber so ganz falsch ist das ja auch nicht beim POP
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Jetzt völlig verspätet geantwortet einer Redakteurin der Theater-Kritik-Plattform Nachtkritik, die mich über den Verlag eingeladen hat zur 10-Jahres-Feier der ganzen Sache
Und nein, da kann ich doch unmöglich hingehen, unmöglich
Das würde mir wie der totale Wahnsinn vorkommen, da wäre man ja wirklich im Herzen des Betriebs, und es ist völlig klar, dass dort das Sprechen auch auf einen übergeht
So wie auch die zu ausgiebige Beschäftigung mit Nachtkritik für einen Theaterautor wirklich vernichtend sein kann, da bin ich mir sicher
Das ist eine gute Sache, ja, aber für einen Schreibenden ist es auf Dauer – davon bin ich überzeugt – völlig aushöhlend
Weil der Schreibende ja letztlich im Theater für das Außen des Theaters zuständig ist, das holt er doch hinein, und er sich deshalb nur begrenzt mit dem Innen des Theaterbetriebs beschäftigen kann
Ich kann auch nicht auf die Buchmesseparty meines Verlags
ich kann ja schon nicht auf die Buchmesse, wenn’s nicht unbedingt
nein, das halte ich so schwer aus
warum sollte ich auch
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Das war so eine tolle Sache für mich, damals aus der Lyrik schreibend in den Theaterbereich zu hüpfen, eine totale Befreiung
Obwohl es natürlich nur ein Transit aus einem partiellen Wahn-Bereich in einen anderen ist
Die Lyrikszene ist ja auf bestimmte Weise hyperneurotisch totalverblödet, in ihrer Sprachverfitzelung, die eben auch total toll ist, dieses Superfixierte, aber eben auch ein Wahn und ein Stumpfsinn
Und der Theaterbereich, mit dem ganzen Politikquatsch, dem ganzen Gesellschaftsaufrissgetöse immer, dem Unbedingt-Mitquatschen-Wollen bei Zeitung und so usw. und deshalb auch immer wieder die Kunst so verleugnend, dafür natürlich doch auch anders der Gesellschaft zugewandt
Aber wie diese Bereiche einfach ihre Blindheiten erzeugen
(wie es jede Praxis gegenüber der Realität irgendwann tut)
die man in den Bereichen gar nicht mehr bemerkt, bemerken kann
Wie gut es deshalb ist, diese Bereiche zu wechseln, sie sind nicht besser oder schlechter, darum geht’s nicht, aber um den Übergang geht’s, der einem davon Autonomie geben kann
Ja: Springen
Und über diese Prosa-Roman-Feuilleton-Kultur
darüber ist hier noch gar nichts gesagt, das erscheint mir wirklich wie der totale Wahnsinn, ein Weitersprechen aus sich heraus, ein sich zu einem Metaquatsch-verselbstständigter BUCHMARKT, gipfelnd jedes Jahr im KLAGENFURTWAHNSINN
Da weiß ich wirklich am wenigsten, wozu das gut sein soll
Das ist ja wirklich total irre, wie da Bücher manchmal unter welchen Kriterien besprochen werden
CRAZIEST
So jetzt aber weg davon
weg weg
Gott sei Dank, unten vor dem Haus klappen die Autotüren
O und E waren mit meiner Mutter Lego kaufen in FREUDENSTADT
das wird jetzt also auf jeden Fall gleich
schön
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Zwei wirklich coole
JEEPS
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E ist nach dem Abendessen beim Quatschmachen mit O plötzlich auf den harten Küchenboden gefallen mit dem Kopf
ein sehr erschreckendes Geräusch
Aber es scheint ihm wieder gut zu gehen
sie toben jetzt weiter im Bett herum, die kleinen Spinner
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Es regnet und regnet und regnet
Peter Handke geht morgen hier im Wald wandern
das kann ich euch sagen
Sonst bekommt Peter Handke hier den sogenannten
BUDENPIEPS
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Hier jetzt eben, beim Lüften
ist ein dürres Falterchen ins Zimmer gekommen
und sitzt jetzt in der Falte meines aufgeschlagenen Notizbuches
unter der Schreibtischlampe
Und hat ganz große, dunkle Augen am winzigen Kopf außen dran
Irgendwie sehr sympathisch
Bleib so, ich schreibe jetzt einfach noch ganz behutsam
weiter
Peter Handke hat jetzt doch keine Lust, im Wald wandern zu gehen, weil es immer noch regnet, die ganze Zeit
das ist Peter Handke einfach zu nass
Stattdessen ist Peter Handke mit dem Auto in den fünf Kilometer entfernten Ort einkaufen gefahren
Dort ist nach den goldenen Jahren der Kurzeit nur noch ein seltsamer Laden übrig, ein Laden mit dem sogenannten Notwendigsten
Es erinnert an einen Drugstore aus einem Western, nur ohne Hüte
Es gab nicht mal SALAT, heute
dafür aber Schleich-Tierfiguren, und kurz hat sich Peter Handke überlegt, für die Kinder zwei dieser Figuren statt Salat mitzubringen
aber dann doch nicht, den Kindern sind diese Tierfiguren eigentlich seit Jahren schon egal
Die Leute schauen einen hier merkwürdig an, aber im Gegensatz zu früher ist das nicht unangenehm gewesen, es ist eher eine Art freudiges Anschauen, dass da jemand Fremdes hier ist
Mit irgendwie doch einer klein bisschen anderen Hose an, oder so, ohne dass Peter Handke jetzt genau sagen könnte, was an der Hose anders ist
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Heute Nacht bin ich kurz aufgewacht
nein, falsch
Heute Nacht ist Miley Cyrus kurz aufgewacht, ganz aufgeregt, und sie hat sofort an ihr Theaterstück gedacht
von dem ja gar nicht klar ist, ob es ein Theaterstück wirklich sein kann, es ist ja mehr ein Sprechgedicht für einen Chor, und Miley weiß immer noch nicht, ob das auf einer Bühne überhaupt funktionieren kann
Jedenfalls ist Miley Cyrus ganz aufgeregt gewesen und hat plötzlich gedacht, der Text müsste jetzt doch ausgeweitet werden, formal, obwohl dieser Gedanke von Anfang an tabu war, weil der Text ja als eine Art meditative Endlosigkeit des rhythmisch Immergleichen gedacht war, was natürlich nicht einfach unterbrochen werden kann, und wo sich vielleicht mit der Zeit etwas einstellt, und vielleicht auch nicht, das ist schreibend eben nicht zu sagen, das ist das schöne Risiko
Aber irgendwie hatte Miley heute Nacht kurz das Gefühl, da liegend in der Dunkelheit im Zimmer, dass diese Art von Beschränkung auch falsch sein könnte, dass es vielleicht jetzt tatsächlich einen Sprung geben müsste, hinein in etwas ganz Anderes, aus dem ganz lyrischen Singsang in etwas vielleicht teilweise sogar Episches
Aber klar war sofort, dass so ein Sprung etwas unerhört Unverfrorenes sein müsste, eine totale Zumutung aus der bisherigen Form heraus, ein ausgiebiges Reden über irgendwas Anderes plötzlich, das mit dem Bisherigen direkt gar nichts zu tun hat, aber auf der tiefen assoziativen Ebene natürlich ultrastimmig und genau das Bisherige fortsetzen müsste, dass also die Verweigerung, die der ganze Text bisher ja praktiziert, sich jetzt auf den Text als Ganzes beziehen müsste, sich der Text sich selbst verweigert und so in einen anderen Raum hineinschießt, um dann irgendwann doch wieder über eine Art verschlungenen Bergpfad wieder anders in das schon Vorhandene zurückzukehren
Und aus der Arbeit an den bereits geschriebenen Stücken weiß Miley, dass das eine ganz genaue und wahnsinnig anstrengende Suche ist, dass da etwas ganz Unpassendes gefunden wird, das trotzdem genau passt
Aber solche Aufgaben, gestellt vom Text, zunächst unmöglich erscheinende Aufgaben, versetzen Miley Cyrus jedes Mal in die allergrößte freudige Aufregung, und so hat sich Miley noch einige Zeit umhergewälzt, bevor sie wieder eingeschlafen ist
Und vom Strand von Malibu geträumt hat, vielleicht, wer weiß
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Gerade lese ich, dass Julia einen Preis bekommen hat, schon habe ich den Namen des Preises vergessen, aber das ist egal
Sofort einen fröhlichen Quatsch geSMSt
Das ist doch alles sehr gut, Julia, und ich bin etwas deprimiert, dass ich gerade aus Leipzig fortgehe, wo du jetzt hergezogen bist
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Das Äffchen der Gerechtigkeit
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Mein Vater war heute Morgen mit einem extrem geschwollenen Fuß aufgewacht, wurde dann von meiner Mutter ins Krankenhaus gefahren
Davor kurz Tränen, mit seinen über achtzig Jahren natürlich auch bei solchen Dingen immer schon der in ihm heranbrausende Gedanke, eventuell nicht mehr zurück zu kommen
War aber eineinhalb Stunden danach wieder da, Medikamente, wird besser
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Langholzer, fahr
Fahr, Langholzer
Bring uns all die Bäume weg
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Heute mit Steffen aus Rostock telefoniert, seit Langem. Er erzählt nebenbei, wie es Uli ging, von seinem Kind
Das Kind
Wie mich das trifft, dass ich Uli so lange nicht mehr gesprochen habe, seit dieser Scheiße vor – ja – nun fast drei Jahren
Aber dass es nun vergessen sein soll, warum bin ich da so nachtragend gewesen bisher
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Heute Abend wieder so erschöpft, warum, keine Ahnung
Aber ich wache ja oft am späteren Abend nochmal richtig auf
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Wie die Wikinger genervt haben müssen: Immer kamen sie, einfach so, plünderten, vergewaltigten und zerhackten einen
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Heute weiter Texte gelesen für den Edit-Essay-Preis, Mathias hatte mich gefragt
Und ich muss sagen: Das ist so eine große Freude
Wenn ich sonst immer in anderen Gegenwartsliteraturkontexten die große Müdigkeit bekomme, sind alle diese Texte auf irgendeine Weise: Richtig und gut
Und das liegt natürlich an der Form, dem VERSUCH
Dass da doch immer wieder vom ganz speziellen Ding, von der ganz speziellen Erfahrung ausgegangen wird, und die Sprache dann erst gesucht wird, einen im Detail doch immer neuen Weg
Da kommt nicht so schnell so ein abgelatschter Ton rein wie es meistens in Erzählungen der Fall ist
Die Erzählungen beginnen ja eben doch meistens bei ihrem Genre, auf irgendeine Weise, irgendeiner will eine Erzählung schreiben, hat dann irgendwie so eine Idee, furchtbar
Der Essay ist halt die genuin literarische Form, gerade, weil es keine feste Form ist, sondern DIE OFFENE: Es wird ganz neu nach der Sprache gesucht, das zu Beschreibende literarisch ganz unsicher hervorbugsiert
Und wie egal es ist, ob es gelingt, ob die Texte auch ihre Schwächen haben, aber das, was mich so begeistert, ist, diesem Versuch zusehen zu können
Da, beim Lesen dieser Texte, bin ich mit der Gegenwartsliteratur ganz ausgesöhnt:
Es gibt doch so viele tolle Schreiberinnen, eigentlich, das ist da zu sehen
Dies ist eine Tasse Kaffee
Dies ist ein Stück Rhabarberkuchen
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Gestern Abend in ein Video hineingeschaut, ein Gespräch mit: ja naja
Friedrich Dürrenmatt
der übers Dramenschreiben spricht, und gedacht, wie unfassbar das ist
wie der da saß, wie die da saßen, diese Nachkriegsautoren
und im Fall von Dürrenmatt, wie er seine komische Zigarre oder was das ist
mümmelt und schwadroniert, in dieser Zurückgelehntheit, unfassbar, unfassbar, das ist das Selbstverständnis der Moderne
der helle Ego-Dichter-Selbstverständnis-Wahnsinn
Und was er sagte, mit einigem kann ich übereinstimmen, aber trotzdem diese Grundenttäuschung, weil das Sprechen so grob bleibt, doch so ungenau den Schichten des Schreibens gegenüber
Es bezieht sich so sehr – das merke ich – auf die Grundannahmen, die es so über das Schreiben gibt in der Öffentlichkeit, und vom Vorgang des wirklichen Schreibens geht es schon sehr dorthin, spricht dahinein in diesen Bereich, durchaus mit Widerspruch, aber dennoch zu sehr darauf bezogen
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Das habe ich ja auch gemerkt, bei den vielen Interviews zu Die lächerliche Finsternis, wie sehr ich nach und nach angefangen habe, ganz unbewusst, in das äußere Sprechen über das Stück – da also immer mehr hinzuquatschen, ins Medial-Politische-Gequassel, anstatt da erneut ganz von der (nicht so gut mit allen kommunizierenden Position der Kunst) immer wieder zu beginnen