Christian Uhle
Wozu das alles?
Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens
FISCHER E-Books
Christian Uhle, geboren 1988, ist Philosoph und lebt in Berlin. Die Frage nach dem Sinn treibt ihn seit Jahren um. Als Wissenschaftler hat er zu gesellschaftlichen Transformationen geforscht und seine Perspektiven in zahlreichen Vorträgen und Gastbeiträgen öffentlich gemacht. Er war philosophischer Berater der arte-Serie »Streetphilosophy«, ist Host mehrerer Veranstaltungsreihen und verkörpert eine engagierte, junge Philosophie.
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Die meisten Menschen stehen im Laufe ihres Lebens vor Sinnfragen – bei Begegnungen mit dem Tod, dem Schicksal, in Krisenzeiten wie der Pandemie oder ganz handfest am Arbeitsplatz: Wozu das alles? Was ist wirklich wertvoll und wichtig im Leben? Während Sinnangebote an jeder Ecke aus dem Boden sprießen, wird es immer schwieriger, darin Orientierung zu finden und fundierte Antworten von Sinnmärchen zu unterscheiden.
Christian Uhle zeigt, wie Philosophie uns als Kompass dienen kann. Auf ebenso kluge wie zugängliche Weise und mit vielen Beispielen entwickelt er neue Perspektiven auf die Sinnfrage. Dabei bringt er erstmals aktuelle Erkenntnisse aus Philosophie, Psychologie und Soziologie zusammen und zeigt: Sinn ist möglich – für jeden von uns!
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2022 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Andreas Heilmann und Gundula Hissmann, Hamburg
Coverabbildung: Inga Lankenau
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491568-5
Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), 2013, aufgearbeitet durch Statista: »Häufigkeit des Nachdenkens über den Sinn des Lebens in Deutschland 2012«, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/274799/umfrage/haeufigkeit-des-nachdenkens-ueber-den-sinn-des-lebens/.
Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA), 2021, aufgearbeitet durch Statista: »Lebenseinstellung – Sinnfragen des Lebens 2021«, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/455692/umfrage/umfrage-in-deutschland-zur-auseinandersetzung-mit-den-sinnfragen-des-lebens/.
Tractatus logico-philosophicus, 6.521.
Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1959, S. 15.
Angelehnt an Camus, ebd., S. 18.
Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft. Neue Ausgabe mit einem Anhange: Lieder des Prinzen Vogelfrei, Leipzig: Verlag von E.W. Fritzsch, 1887, Aphorismus 125, online: Digitale Kritische Gesamtausgabe von Nietzsches Werken und Briefen (eKGWB), http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/FW-125.
Sigmund Freud: »Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse«, in: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, Bd. V, 1917, S. 1–7.
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2000.
Siehe insb. Albert Camus: Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1959.
Siehe insb. Jean-Paul Sartre: Der Ekel, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1982.
Encyclopædia Britannica, 2010, aufgearbeitet durch Statista: »Verteilung der Weltbevölkerung nach Religionen 1900 und 2010«, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/256878/umfrage/verteilung-der-weltbevoelkerung-nach-religionen/.
Gen 1,26, zitiert nach der Bibel in der Einheitsübersetzung, online: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen1.html.
Nietzsche, a.a.O.
Aristoteles: Metaphysik, 982b. Vorher bereits ähnlich bei Platon in Theaitetos, 155d.
René Descartes: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, Hamburg: Felix Meiner, 2009.
Diese Aussage ist eine Umkehrung der Sätze von Wittgenstein: »Alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen […] Wovon man nicht [klar] sprechen kann, darüber muss man schweigen.« (Wittgenstein, a.a.O., 4.116 und 7) Damit grenze ich mich von der Tradition der analytischen Philosophie ab, welche die Präzision philosophischer Analysen zum Fetisch macht. Dabei forderte schon Aristoteles, »in jeder Gattung der Dinge nur so viel Genauigkeit zu suchen, wie die Natur der Sache es zulässt«. (Nikomachische Ethik, 1094b) Denn sonst redet man schnell an der Sache vorbei, und das Ergebnis ist eine abstrakte Elfenbeinturm-Philosophie.
Aristoteles: Nikomachische Ethik .
Jean-Paul Sartre: »L’existentialisme est un humanisme«, Paris: Editions Nagel, 1946. Des Textflusses willen mische ich die Übersetzung von Jean-Paul Sartre: »Der Existentialismus ist ein Humanismus«, in: Der Existentialismus ist ein Humanismus: Und andere philosophische Essays, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2000, S. 145–192, S. 148 und die Übersetzung in Jean-Paul Sartre: Drei Essays, Frankfurt am Main: Ullstein, 1986, S. 9f.
Sartre: »Der Existentialismus ist ein Humanismus«, a.a.O.
Wörtlich heißt es bei Anders: »Den Begriff verstehen wir erst dann, wenn wir uns klarmachen, dass ›Sinn‹ ursprünglich kein Abstraktum gewesen ist, sondern ein – wenn man so sagen darf – ›Psychologicum‹. Damit meine ich, dass die erste Frage nicht gelautet hat: ›Welchen Sinn hat dieses oder jenes?‹, sondern: ›Was hatte Gott, als er dies oder jenes schuf oder schickte oder auch nur zuließ, im Sinne?‹ Ohne die Unterstellung eines Im-Sinne-Habenden wäre die ursprüngliche Verwendung des Wortes ›Sinn‹ unsinnig gewesen.« – Günther Anders: »Die Antiquiertheit des ›Sinnes‹«, in: ders.: Die Antiquiertheit des Menschen Bd. II: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution, München: C.H.Beck, 1980.
Vgl. hierzu auch A.J. Ayer: »The Claims of Philosophy«, in: E. D. Klemke/Steven M. Cahn (Hg.): The Meaning of Life, Oxford: Oxford University Press, 2008.
Vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen »Endursachen« und »wirkenden Ursachen« bei Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, B290.
Vgl. z.B. Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der modernen Biologie, München: Piper, 1971.
Vgl. Bernd Kanitscheider: Entzauberte Welt: Über den Sinn des Lebens in uns selbst. Eine Streitschrift, Stuttgart: S. Hirzel, 2008, S. 44.
Walter T. Stace: »Der Mensch in der Finsternis«, in: Christoph Fehige/Georg Meggle/Ulla Wessels (Hg.): Der Sinn des Lebens, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2000, S. 66.
Steven Weinberg: The First Three Minutes, New York: Basic Books. 1977, S. 148.
Steven Weinberg: Der Traum von der Einheit des Universums. München: Bertelsmann, 1993, S. 265.
Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben, Müchen/Berlin: Piper, 2002, siehe z.B. S. 18.
Siehe z.B. Myths from Mesopotamia. Creation, the Flood, Gilgamesh, and Others, übers. und hg. von Stephanie Dalley, Oxford: Oxford University Press, 2000, S. 1–38.
Robert Nozick: »Philosophy and the Meaning of Life«, in: Robert Nozick: Philosophical Explanations, Cambridge (MA): Harvard University Press, 1981.
Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA): Aktueller Stand und Entwicklungen der Präimplantationsdiagnostik, Drucksache 19/15000 des Deutschen Bundestags (19. Wahlperiode), 04.11.2019, online: https://www.bundestag.de/resource/blob/673602/8f43bccdf4768225d4a98bcb54e4e05c/19_15000-data.pdf.
Bertold Brecht: »Geschichten von Herrn Keuner«, in: Gesammelte Werke, Bd. 16, hg. in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 375–415, S. 377.
Siehe hierzu auch: Harry Frankfurt: »On the Usefulness of Final Ends«, in: Iyyun: The Jerusalem Philosophical Quarterly 41, Jan. 1992, S. 3–19.
Aristoteles: Nikomachische Ethik, a.a.O., 1094a.
Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen: Mohr Siebeck, 1968.
Die folgende Geschichte ist frei nacherzählt nach Das Gilgamesch-Epos, übers., kommentiert und hg. von Wolfgang Röllig, Ditzingen: Philipp Reclam jun., 2009. Wörtliche Zitate wurden entnommen von S. 36, 39, 40, 41, 44, 45.
Eine Paraphrasierung von: »Kummer ist in mein Herz eingezogen! Den Tod beginne ich zu fürchten« Das Gilgamesch-Epos, a.a.O., S. 92.
Damit folge ich der vermutlich gängigsten Interpretation von Platons Ideenlehre. Es gibt allerdings auch alternative Deutungen. Siehe Samuel Rickless: »Plato’s Parmenides«, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2020 Edition), hg. von Edward N. Zalta, online: https://plato.stanford.edu/entries/plato-parmenides.
Zu dieser Interpretation von Aristoteles siehe auch Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992, S. 52–58.
K.P. Schroder/Robert Connon Smith: »Distant Future of the Sun and Earth Revisited«, in: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 386 (1), 2008, S. 155–163.
Nach der Übersetzung von Raphael Löwenfeld, Leo N. Tolstoi: Meine Beichte, durchgesehene Neuausgabe mit Anmerkungen und einem Nachwort von Evelies Schmidt, München: Diederichs, 1990.
Zitat folgt der Übersetzung von Olof Gigon, z.B. in Ich denke, also bin ich. Grundlagentexte der Philosophie, eingeleitet und kommentiert von Ekkehard Martens, München: C.H.Beck, 2000, S. 81.
Vgl. Wittgenstein, a.a. O., 6.4311. Hier heißt es: »Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.«
Zur Unterscheidung zwischen Angst und Furcht vgl. Søren Kierkegaard: Der Begriff Angst, z.B. Reclam, 1992 und Martin Heidegger: Sein und Zeit, z.B. mit einführendem Kommentar von Andreas Luckner, Paderborn: UTB, 2001.
Koh 1, 3-4 sowie Koh 2, 16-17 (Zürcher Bibel).
So die Vorstellung einer Entelechie bei Aristoteles.
Viktor E. Frankl: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München: Penguin, 2018, S. 104.
Frankl, ebd., S. 112.
In der Philosophie greifen insbesondere nihilistische Positionen diesen negativen Ausgangspunkt auf. Eines der Kernargumente lautet: Weil es auf nichts hinausläuft, ist das menschliche Dasein sinn- los. Dies ist jedoch kein sauberes Argument, weil implizit bereits vorausgesetzt wird, unser Dasein sei (im Hier und Jetzt) sinnlos – und müsse daher auf irgendetwas hinauslaufen. Die düstere Konklusion im Nihilismus ergibt sich unmittelbar aus einer düsteren Prämisse –, welche wiederum der philosophischen Analyse nicht standhält.
Heinrich Böll: »Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral«, in: ders.: Romane und Erzählungen, Bd. 4, hg. von Bernd Balzer, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1977, S. 267–269. Die nun folgende Darstellung ist eine Nacherzählung.
Mit diesen Ausführungen orientiere ich mich an den Grundgedanken der Akteur-Netzwerk-Theorie, wie sie vor allem von Bruno Latour entwickelt wurde. Vgl. Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007.
So ein gängiges Argument. Dabei handelt es sich allerdings nicht – wie generell nicht in der Ökonomik – um ein unveränderliches Naturgesetz. Vielmehr hängt die Dynamik von zahlreichen Rahmenbedingungen ab, welche in Teilen auch gestaltbar sind. Eine treffende und knappe Zusammenfassung bietet: »Die zwei Seiten der Medaille«, Konzeptwerk Neue Ökonomie/Fairbindung, online: https://www.endlichwachstum.de/wp-content/uploads/2015/09/Kapitel-1_Medaillen_Arbeitsplätze.pdf.
Hartmut Rosa nennt diese gesellschaftliche Architektur eine »dynamische Stabilisierung«. Gemeint ist damit, dass Steigerung, Beschleunigung und Wachstum – also eine Dynamik – notwendig sind, um das System zu stabilisieren. Siehe Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin: Suhrkamp, 2016, insb. S. 517–522.
»Hartmut Rosa über die Macht der Beschleunigung«, Interview, geführt von Lisa Ruhwinkel, Goethe-Institut Brüssel, Mai 2014, online: https://www.goethe.de/ins/be/de/kul/mag/20575009.html.
John Maynard Keynes: »Economic Possibilities for our Grandchildren (1930)«, in: Essays in Persuasion, S. 358–373. New York: W.W.Norton & Co., 1963.
John Stuart Mill: Grundsätze der Politischen Ökonomie 3. Bd. 7, in: Theodor Gomperz (Hg.): Gesammelte Werke, Leipzig: Fues, 1869, S. 60.
Siehe Mill, ebd., S. 63.
Siehe z.B. Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert, München: C.H. Beck, 2016.
Siehe z.B. Tomas Sedlacek: Economics of Good and Evil: The Quest for Economic Meaning from Gilgamesh to Wall Street, Oxford/New York: Oxford University Press, 2011, S. 231–248.
Tilman Santarius: Der Rebound-Effekt, Marburg: Metropolis, 2015.
Einige Sätze habe ich wörtlich übernommen aus einem früheren Artikel von mir zu diesem Thema. Siehe Christian Uhle: »Digitalisierung jenseits von Erlösung und Apokalypse«, in: DER TAGESSPIEGEL, Ausgabe Nr. 23951, 20.09.2019, S 8, online: .
Dieses Phänomen ist in den Verkehrswissenschaften unter dem Begriff Constant Travel Time Budget oder Marchetti’s constant bekannt. Eine Zusammenfassung ist auf dem hervorragenden Blog Zukunft Mobilität zu finden. Martin Randelhoff: »[Grundlagenwissen] Das konstante Reisezeitbudget«, auf: Zukunft Mobilität (hg. von Martin Randelhoff), 11.05.2016/07.03.2018, online: https://www.zukunft-mobilitaet.net/5299/analyse/konstantes-reisezeitbudget-marchetti-konstante-verkehrsgenese-yacov-zahavit.
José Ortega y Gasset: Betrachtungen über die Technik. Der Intellektuelle und der andere, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1949.
Michael Ende: Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte, Stuttgart: Thienemann, 2005. Die hier zitierten Stellen sind zu finden auf S. 63, S. 74, S. 75. Zu den kommenden Ausführungen siehe auch Christian Uhle: »Momo in Zeiten der Digitalisierung«, in: transform, 12.07.2017, online: https://transform-magazin.de/momo-in-zeiten-der-digitalisierung/.
Anders, a.a.O.
Mit dieser Formulierung orientiere ich mit an den Science and Technology Studies.
Den Begriff des Homo ludens habe ich übernommen von Johan Huizinga: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, hg. von Andreas Flitner, Reinbek: Rowohlt, 2009.
Mihály Csíkszentmihályi: Flow: Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.
Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, hg. von Klaus L. Berghahn, Stuttgart: Reclam, 2008.
Moritz Schlick: »Vom Sinn des Lebens«, in: Fehige u. a., a.a.O., S. 309–322.
Wenngleich das vermutlich vor allem für Männer gilt. Hier ist die Kommerzialisierung des Fußballs ungleich weiter fortgeschritten.
Schlick, a.a.O.
Es droht ein Teufelskreis: Wenn wir nur in die Zukunft blicken und etwas Besseres anstreben, kann das unzufrieden machen. Und diese Unzufriedenheit über die Gegenwart kann wiederum die Suche nach etwas Besserem befeuern.
Natürlich führt kaum ein Mensch ein Leben, in dem jeder einzelne Moment wie eine Kette aus Dominosteinen streng logisch als Mittel einer Zukunft dient, die irgendwann durch den Tod unterbrochen wird. Das Problem ist insofern weniger ein analytisches als vielmehr ein psychologisches. Wer nur nach vorne schaut, verpasst sein Leben.
Irvin D. Yalom: In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet, München: btb, 2008, S. 42.
Eine solche Situation habe ich persönlich auf einer Reise erlebt.
Ein schönes Zitat von Wittgenstein schlägt den Bogen zu unserem Ausgangspunkt in diesem Kapitel: »Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.« (Wittgenstein, a.a.O., 6.4311)
Zu den Begriffen der »Eigentlichkeit«, »Uneigentlichkeit« und des »man« vgl. auch Heidegger, ebd. (Sein und Zeit). Allerdings wurde diese Bedeutung des Begriffs »Eigentlichkeit« auch vor Heidegger bereits verwendet, z.B. in Heinrich Mann: Der Untertan, München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1964: »Der eigentliche Diederich, der, der er hätte sein sollen, sprach wahr.« (S. 59)
Diese beiden Arten von Sinn können auch miteinander verknüpft sein, wenn man spielerisch wertvolle Ziele verfolgt.
Die Begriffe »Glück« und »Freude« verwende ich synonym, weil sich dieses Kapitel mit einem hedonistischen Verständnis des guten Lebens auseinandersetzt, dem ich auch weitestgehend folge. Dabei unterscheide ich allerdings das gute vom sinnvollen Leben.
Das Streben nach Glück bzw. Lust oder Freude und das Vermeiden von Unglück bzw. Unlust verstehe ich, dem Utilitarismus folgend, als ein und dieselbe Motivation. Es sind verschiedene Eckpunkte auf derselben Werteachse.
Meine eigene, recht freie Übersetzung von John Stuart Mill: Utilitarianism, London: Parker, Son & Bourn, West Strand, 1863, Kap. 4. Dort steht im Original: »[T]here is in reality nothing desired except happiness. Whatever is desired otherwise than as a means to some end beyond itself, and ultimately to happiness, is desired as itself a part of happiness, and is not desired for itself until it has become so. […] human nature is so constituted as to desire nothing which is not either a part of happiness or a means of happiness […] mankind do desire nothing for itself but that which is a pleasure to them, or of which the absence is a pain … So obvious does this appear to me, that I expect it will hardly be disputed.«
Einen guten, wenngleich natürlich nicht erschöpfenden Überblick bietet der Sammelband Alexander Batthynany/ Pninit Russo-Netzer (Hg.), Meaning in Positive and Existential Psychology, New York: Springer Science+Business Media, 2014.
Siehe z.B.: Ranae J. Evenson/Robin W. Simon (2005): »Clarifying the relationship between parenthood and depression«, in: Journal of Health and Social Behavior, Vol. 46, S. 341–358. Mit ähnlichem Endergebnis, aber differenzierter siehe z.B. Jennifer Glass/ Robin W. Simon/ Matthew A. Andersson: »Parenthood and Happiness: Effects of Work-Family Reconciliation Policies in 22 OECD Countries«, in: American Journal of Sociology, Vol. 122(3), 2016, S. 886–929. Explizit auf den Einfluss des Alters geht auch ein: Berit Brogaard: »Does Being a Parent Really Make You Happier?«, in: Psychology Today, 05.02.2015, online: https://www.psychologytoday.com/us/blog/the-mysteries-love/201502/does-being-parent-really-make-you-happier. Es gilt zu beachten, dass sich die Erhebungen auf Personen in »westlichen« Ländern beziehen und nicht zwingend auch globale Geltung haben!
Nur ein Beispiel: S. Katherine Nelson/ Kostadin Kushlev/Tammy English/ Elizabeth W. Dunn/ Sonja Lyubomirsky: »In defense of parenthood: children are associated with more joy than misery«, in: Psychological Science, Vol. 24(1), 2013, S. 3–10.
Wertvoll scheint mir in diesem Kontext die Studie: S. Katherine Nelson/ Kostadin Kushlev/ Sonja Lyubomirsky: »The Pains and Pleasures of Parenting: When, Why, and How Is Parenthood Associated With More or Less Well-Being?«, in: Psychological Bulletin, 140(3), 2014, S. 846–895. Hier wird recht differenziert untersucht, welche Faktoren sich wie auf Glücksniveau und Sinnempfinden auswirken können.
Siehe ebd.
Quelle: John F. Helliwell/ Richard Layard/Jeffrey Sachs/Jan-Emmanuell De Neve (Hg.): World Happiness Report 2020, New York: Sustainable Development Solutions Network, 2020. Ich habe absichtlich die vorsichtige Formulierung »bewerten ihr Leben positiver« verwendet und nicht von »glücklicher« gesprochen. Denn wenn man etwas genauer hinschaut, bezieht sich der World Happiness Report nicht auf happiness im Sinne positiver Emotionen, sondern auf die Angabe allgemeiner Lebenszufriedenheit. Kurz und treffend geht folgender lesenswerte Artikel auf die methodischen Unterschiede ein: Jon Clifton: »Who are the happiest people in the world? The Swiss or Latin Americans?«, in: Diplomatic Courier, 23.04.2015, online: https://www.diplomaticourier.com/posts/who-are-the-happiest-people-in-the-world-the-swiss-or-latin-americans.
Shigehiro Oishi/Ed Diener: »Residents of Poor Nations Have a Greater Sense of Meaning in Life Than Residents of Wealthy Nations«, in: Psychological Science, Vol 25(2), 2014, S. 422–430.
Sowohl der World Happiness Report wie auch die zitierte Studie von Oishi/Diener basieren auf Rohdaten von Gallup.
Das ist natürlich eine grobe Tendenz, basierend auf den Daten der WHO für das Jahr 2016. Quelle: https://apps.who.int/gho/data/node.sdg.3–4-viz-2?lang=en. Diese Tendenz spiegelt sich übrigens auch innerhalb der USA wider. Siehe: Mary C. Daly/ Andrew J. Oswald/ Daniel J. Wilson: »Dark Contrasts: The Paradox of High Rates of Suicide in Happy Places«, in: Journal of Economic Behavior & Organization, Vol. 80(3), 2011.
Rosemarie Kobau/ Joseph Sniezek/Matthew M. Zack/ Richard E. Lucas/ Adam Burns: »Well-Being Assessment: An Evaluation of Well-Being Scales for Public Health and Population Estimates of Well-Being among US Adults«, in: Applied Psychology: Health and Well-Being, Vol. 2(3), 2010, S. 272–297. Einbezogen in die Angabe »fast ein Viertel« sind all diejenigen, die der Aussage I have a good sense of what makes my life meaningful nicht zugestimmt haben, also auch diejenigen, die neutral angekreuzt haben.
Togo und Sierra Leone nehmen Schlussplätze ein in der Lebenszufriedenheit (Togo: Platz 135 von 153, Sierra Leone: Platz 139 von 153.) – siehe World Happiness Report, Abbildung 2.1. Übrigens: Nicht nur in Bezug auf die Zufriedenheit stehen diese Länder schlecht da, auch in Bezug auf die Empfindung negativer Emotionen. Siehe: Gallup Global Emotions Report 2020 (Hg. von Gallup), online: https://www.gallup.com/analytics/324191/gallup-global-emotions-report-2020.aspx.
Roy F. Baumeister/ Kathleen D. Vohs,/Jennifer L. Aaker/ Emily N. Garbinsky: »Some key differences between a happy and a meaningful life«, in: The Journal of Positive Psychology, Vol. 8(6), 2013, S. 505–516.
In der Wissenschaftstheorie wird dieses Problem als Theoriebeladenheit der Beobachtung bezeichnet. Es existiert eine lebhafte Debatte, inwieweit der Objektivitätsanspruch in den empirischen Wissenschaften gerechtfertigt werden kann. Für einen guten und zugänglichen Überblick siehe: Alan F. Chalmers (2001): Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie, 5. überarbeitete Auflage, hg. von Niels Bergemann und Christine Altstötter-Gleich, Berlin/Heidelberg: Springer. Außerdem: James Bogen: »Theory and Observation in Science«, in: Edward N. Zalta (Hg):The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2020 Edition), online: https://plato.stanford.edu/archives/win2020/entries/science-theory-observation.
Um das für unseren Fall zu verdeutlichen: Mal angenommen, eine Person vertritt die Theorie, dass der Sinn des Lebens darin besteht, möglichst viel zu philosophieren. Dann könnte diese Person erforschen, wie häufig Menschen in verschiedenen Ländern philosophieren und insofern messen, wie sinnvoll ihr Leben ist. Das wäre ein interessantes Projekt. Aber die ursprüngliche Theorie lässt sich auf diesem Weg weder beweisen noch widerlegen. Natürlich könnte man der Person widersprechen und sagen: »Warum sollte ausgerechnet Philosophie der Sinn des Lebens sein? Das klingt eingebildet und unplausibel!« Ein berechtigter Einwand. Aber an dieser Stelle geht es eben nicht mehr um Daten. Hier verlässt man die empirische Forschung und betritt das Terrain der Philosophie.
Robert Nozick: Anarchy, State, Utopia, New York: Basic Books, 1974.
Einen Überblick über verschiedene Studien zu dieser Frage sowie eigene Forschungsergebnisse bietet: Frank Hindriks/Igor Douven: »Nozick’s experience machine: An empirical study«, in: Philosophical Psychology, Vol. 31(2), 2018, S. 278–298.
16 Prozent der Befragten gaben an, das Angebot annehmen zu wollen in: Dan Weijers: »Nozick’s Experience Machine is Dead, Long Live the Experience Machine!«, in: Philosophical Psychology Vol. 27(4), 2014, S. 513–535. 29 Prozent in der genannten Studie von Hindriks/Douven.
Diese Aussage ist als philosophisches Argument zu verstehen. In der Realität können Psychopharmaka in Verbindung mit einer Therapie wichtige Mittel sein, um überhaupt den emotionalen Raum zu eröffnen, konstruktiv nach Orientierung zu suchen.
Siehe auch: Tatjana Schnell: Psychologie des Lebenssinns, 2. Überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin: Springer, 2020, Kap. 11.
Eine umfassende Übersicht über die empirische Forschung zu Sinnkrisen (bis 2005) bietet: Alexander Batthyany/ David Guttmann: Empirical Research in Logotherapy and Meaning-Oriented Psychotherapy: An Annotated Bibliography, Phoenix: Zeig, Tucker & Theisen, 2005. Meine Aussage zur verbesserten Lebenserwartung basiert auf der in diesem Buch entfalteten Konzeption, was Sinn überhaupt ist, nämlich wesentlich ein Handeln aus Menschenliebe. Die damit einhergehende höhere Lebenserwartung wurde empirisch bestätigt. Eine Übersicht bietet: Thomas William Nielsen: »Finding the Keys to Meaningful Happiness: Beyond Being Happy or Sad is to Love«, in: Meaning in Positive and Existential Psychology, Kap. 6.
Eigene Übersetzung. Im Original heißt es: »Those only are happy, who have their minds fixed on some object other than their own happiness; on the happiness of others, on the improvement of mankind, even on some art or pursuit, followed not as a means, but as itself an ideal end. Aiming thus at something else, they find happiness by the way.« Aus John Stuart Mill: Autobiography, London: Penguin Books, 1989, S. 117.
Die empirische Beweislage ist noch nicht hinreichend, aber es gibt bereits deutliche Anhaltspunkte. Siehe z.B. Iris B. Mauss,/Nicole S. Savino/Craig L. Anderson/Max Weisbuch/Maya Tamir/ Mark L. Laudenslager: »The pursuit of happiness can be lonely«, in: Emotion, Vol. 12(5), 2012, S. 908–912; Iris B. Mauss/Maya Tamir/Craig L. Anderson/ Nicole S. Savino: »Can Seeking Happiness Make People Happy? Paradoxical Effects of Valuing Happiness«, in: Emotion, Vol. 11(4), 2011, S. 807–815; Brett Q. Ford/ Amanda J. Shallcross/ Iris B. Mauss/ Victoria A. Floerke/June Gruber: »Desperately seeking happiness: Valuing happiness is associated with symptoms and diagnosis of depression«, in: Journal of Social and Clinical Psychology, Vol. 33(10), 2014, S. 890–905; Jonathan W. Schooler/Dan Ariely/George Loewenstein: »The Pursuit and Assessment of Happiness can be Self-Defeating«, in: Isabelle Brocas/Juan D. Carrillo (Hg.): The Psychology of Economic Decisions: Vol. 1: Rationality and Well-Being, Oxford: Oxford University Press, 2003, S. 41–70.
Das wird auch durch psychologische Forschungen bestätigt: »As a large number of research papers published from the 1970 s onward demonstrate, they produced ample evidence that suggests that the will to meaning cannot be deduced from or reduced to other psychological variables, but is a motivation in its own right.« — Alexander Batthyany/ Pninit Russo-Netzer: »Psychologies of Meaning«, in: Meaning in Positive and Existential Psychology, a.a.O., S. 6.
Karl Groos: Die Spiele der Menschen, Jena: Gustav Fischer, 1899, S. 489. Seine Formulierung legt nahe, dass er den genannten Begriff von A.I. Sikorski übernommen hat oder zumindest an ihn anlehnt.
Das Konzept der Selbstwirksamkeit wurde entwickelt von Albert Bandura: »Self-efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change«, in: Psychological Review, Vol. 84 (2), 1977, S. 191–215.
Michael I. Norton/Daniel Mochon/ Dan Ariely: »The IKEA effect: When labor leads to love«, in: Journal of Consumer Psychology, Vol. 22(3), 2012, S. 360–453. Die Ergebnisse dieser Studie konnten repliziert werden von Marko Sarstedt/Doreen Neubert/Kati Barth: »The IKEA Effect: A Conceptual Replication«, in: Journal of Marketing Behavior, Vol. 2, 2016, S. 307–312.
Ähnlich argumentiert auch die Psychologieprofessorin und Sinnforscherin Tatjana Schnell auf Grundlage ihrer empirischen Untersuchungen. Sie bezeichnet diese Bedingung als Bedeutsamkeit und bezieht sich dabei ebenfalls auf Bandura. Siehe Tatjana Schnell, a.a.O., S. 10.
Dieser Überzeugung ist z.B. Sartre, wenn er schreibt: »[D]as Leben hat a priori keinen Sinn. Bevor Sie leben, ist das Leben nichts, es ist an Ihnen, ihm einen Sinn zu geben, und der Wert ist nichts anderes als dieser Sinn, den Sie wählen.« Vgl. Sartre: »Der Existenzialismus ist ein Humanismus«, a.a.O., S. 174.
Harry G. Frankfurt: Gründe der Liebe, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005/2016.
So auch: Frankfurt, a.a.O., S. 23.
Ebd., S. 66.
Frankfurt, a.a.O.; Susan Wolf: Meaning in Life and Why It Matters, Princeton: Princeton University Press, 2010.
Susan Wolf, »Meaningfulness: A Third Dimension of the Good Life«, in: Foundations of Science, 2014, S. 1–17, S. 11.
Susan Wolf: »Meaning in Life«, in: Wolf, a.a.O., S. 1–33, S. 8.
Siehe insb. Wolf: Meaning in Life and Why It Matters, a.a.O., S. 36–48 und Thaddeus Metz: Meaning in Life. An Analytic Study, Oxford: Oxford University Press, 2013.
Siehe Wolf: »Meaningfulness: A Third Dimension of the Good Life«, a.a.O., S. 13 und Wolf: Meaning in Life and Why It Matters, a.a.O., S. 47.
Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, Berlin: Europäischer Literaturverlag, 2014, S. 14.
Stace: »Der Mensch in der Finsternis«, a.a.O., S. 67.
Zumindest aus seinen expliziten Ausführungen über den télos geht das hervor. Weil Aristoteles télos und eudaimonia gleichsetzt und ein vielschichtiges Verständnis von eudaimonia hat, ließe sich auch argumentieren, dass sein Sinnverständnis komplexer ist als hier dargestellt.
Dass aktuell mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung homophobe Einstellungen hat und auch die hier genannte Intuition teilt, ist eine Annahme, die empirisch gestützt wird z.B. durch Richard Florida: »The Global map of Homophobia«, in: Bloomberg CityLab, 07.02.2014, online: https://www.bloomberg.com/news/articles/2014-02-07/the-global-map-of-homophobia.
Diese schöne Formulierung stammt von Axel Honneth: Das Ich im Wir: Studien zur Anerkennungstheorie, Berlin: Suhrkamp, 2010.
Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow, London u.a.: Penguin Books, 2012, S. 59–70.
Eigene Übersetzung von Bruno S. Frey: »Well-Being and War«, in: International Review of Economics, Vol. 59(4), 2012, S. 363–375. Im Original heißt es: »Persons who have experienced war often refer to a feeling of happiness due to the solidarity emerging and even more importantly due to the common effort and shared purpose.«
Dieser Zusammenhang wurde erstmals beschrieben von Émile Durkheim: Le suicide. Étude de sociologie, Paris: Félix Alcan, 1897 und seitdem häufig bestätigt. Er scheint nicht nur bei internationalen Kriegen, sondern auch bei intranationalen Bürgerkriegen zu bestehen, wie für Sri Lanka gezeigt wurde von Takeshi Aida: »Revisiting suicide rate during wartime: Evidence from the Sri Lankan civil war«, in: PloS ONE, Vol. 15 (10), 2020, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240487.
Diese Formulierung ist eine Anspielung auf die Ansprache von Winston Churchill am 13.05.1940 vor dem britischen Unterhaus. Die Rede ist bekannt auch unter dem Namen »Blood, Toil, Tears and Sweat«.
Vgl. Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2012.
Die hier dargestellte Antwort auf die Frage nach einem zweckhaften Sinn habe ich 2016 im Rahmen meiner Masterarbeit entwickelt. Auch Terry Eagleton kommt – allerdings mit einer ganz anderen Hinführung – in seinen Überlegungen über den Lebenssinn auf das Agape-Konzept zu sprechen, das auch bei ihm einen zentralen Stellenwert einnimmt.
Die Begriffe Agape und Nächstenliebe wurden sowohl im antiken Griechenland wie auch in der christlichen Theologie teils anders verstanden. Eine Auseinandersetzung mit den Begriffsgeschichten ist hier aber nicht relevant. Die beiden Begriffe scheinen mir einfach am besten geeignet, um der hier dargestellten Haltung einen Namen zu geben, weil es bereits deutliche semantische Schnittmengen gibt.
Beziehe ich mich fürsorglich auf einen Mitmenschen, dann habe ich die Überzeugung, dieser Mensch sei meiner Sorge wert. Es erwächst daraus der Wunsch, der Person möge es gut gehen. Von seiner Situation bin ich betroffen, das heißt, ich habe Emotionen, die im Wechselspiel mit meinen Überzeugungen und Wünschen entstehen. Auf dieser Grundlage handele ich und handele nicht aus Eigeninteresse oder aus Pflichtgefühl, sondern um der anderen Person willen. Weil diese Sorge ganzheitlich ist und nicht bloß ein äußerlich sichtbares Tun, kann sie als Haltung verstanden werden. Eine solche Haltung ist eine im Laufe des Lebens zwar veränderliche, doch situationsübergreifende Bezugnahme. Sie besteht fort, auch wenn man schläft oder spazieren geht. Sie ist eine Grundeinstellung, ein Kompass, eine Bezogenheit auf Mitmenschen. Ihr entspringt ein fürsorgliches Verhalten. Ohne ein solches Verhalten wäre die Haltung leer.
Ronald D. Gerste: »Die Lobotomie: Wie ein Relikt aus finsterer Zeit«, in: Deutsches Ärzteblatt, 105 (18), 2008, A945-A946.
Idealtypisch also entwickeln die sorgende und die umsorgte Person eine gemeinsame Vorstellung davon, was es in dem konkreten Fall heißt zu sorgen. Dafür bedarf es eines Dialogs. An einem solchen dialogischen Modus der Sorge sind beide Personen in ihrer Individualität beteiligt.
Ein solcher Dialog ist nicht immer lang und ausführlich. Oftmals führt schon die simple Frage: Wie kann ich dir helfen? zu einer Klärung des Fürsorgebedarfs. Und manchmal ist die Situation so klar, dass selbst ein solch zweizeiliger Minidialog nicht notwendig ist. Wenn ein Kind vor uns hinfällt, dann helfen wir ihm auf, sein Weinen ist uns Information genug. Bei aller Vielfalt haben wir Menschen viele Gemeinsamkeiten und teilen basale Vorstellungen vom Guten. Auf dieses Gemeinsame können wir uns jedoch nicht blind verlassen, denn es gibt immer Ausnahmen und Menschen, die nicht in dieses Raster passen.
Siehe schon den Verweis auf die Studie von Baumeister et al. Im Kapitel »Ist Glück der Sinn des Lebens?« sowie den mit wiederum durch viele Quellen gestützten Beitrag von Nielsen: »Finding the Keys to Meaninful Happiness«. Ein lesenswerter, ebenfalls gut hinterlegter Artikel, ist außerdem: Elizabeth Hopper: »Can Helping Others Help You Find Meaning in Life?«, in: Greater Good Magazine (hg. von Greater Good Science Center, University of California, Berkeley), 16.02.2016, online: https://greatergood.berkeley.edu/article/item/can_helping_others_help_you_find_meaning_in_life. Siehe außerdem: Tatjana Schnell: »Deutsche in der Sinnkrise? Ein Einblick in die Sinnforschung mit Daten einer repräsentativen Stichprobe«, in: Journal für Psychologie Vol. 16 (3), 2008. Hier wird Fürsorge (verstanden als Lebensbedeutung) als wesentlicher Faktor für den subjektiven Sinn im Leben identifiziert.
Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, Frankfurt amMain: Ullstein, Abschnitt »Objekte der Liebe« (S. 57 in der 45. Auflage von 1993).
Das lässt sich auch empirisch belegen. Siehe z.B. die bereits zitierte Studie von Baumeister et al., a.a.O., sowie unzählige Untersuchungen zum positiven Effekt, anderen etwas zu geben, für den eigenen Lebenssinn, die eigene psychische und auch physische Gesundheit. Für Referenzen siehe Nielsen, ebd.
»Objektive Werte« sind also nicht unabhängig von jedem Subjekt, sondern unabhängig vom handelnden Subjekt. Vgl. dazu auch Thomas Nagel: »Vieles von dem jedoch, was auf der Welt Wert und Bedeutung hat, wird nur aus der Innenansicht einer bestimmten Lebensform unmittelbar verständlich, und diese Tatsache kann auch aus der Sicht von außen anerkannt werden. Dass der Witz einer Sache aus einer rein objektiven Perspektive nicht zu verstehen ist, rechtfertigt nicht den Schluss, dass sie objektiv witzlos sei.« Thomas Nagel: »Wichtigkeit«, in: Fehige u a., a.a.O., S. 219–228, S. 224. Auch die »äußere Sicht muss die vielen anderen wirklichen und möglichen subjektiven Werte anerkennen«. Ebd., S. 225.
J. Stuart Bunderson/Jeffery A. Thompson: »The Call of the Wild: Zookeepers, Callings, and the Double-edged Sword of Deeply Meaningful Work«, in: Administrative Science Quarterly Vol. 54 (1), 2009, S. 32–57.
Wiederum andere kämpfen aus Eigeninteresse gegen Ungerechtigkeiten, etwa um bewundert zu werden. Und dann gibt es noch Personen, für die dieser Kampf irgendwann zum Selbstzweck geworden ist. Im letzten Fall hat sich wieder mal ein Luftschloss eingeschlichen. Und auch wenn es sehr viel schädlichere Luftschlösser als dieses gibt, hat sogar dieses seine Schattenseiten. Denn vergisst man, dass es auch beim Kampf gegen Ungerechtigkeiten um reale Menschen geht, bleiben die Menschen um einen herum manchmal auf der Strecke.
Ähnlich argumentiert auch John Taurek in seinem einflussreichen Aufsatz »Should the Numbers Count?«, in: Philosophy & Public Affairs Vol. 6 (4), 1977, S. 293–316.
Die Angabe bezieht sich auf das Jahr 2019. Quelle: Statistisches Bundesamt. Online: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/woechentliche-arbeitszeitl.html.
Siehe auch Axel Honneth: »Arbeit und Anerkennung«, in: Das Ich im Wir, a.a. O., S. 78–102.
Shawn Achor/Andrew Reece/Gabriella Rosen Kellerman/Alexi Robichaux: »9 Out of 10 People Are Willing to Earn Less Money to Do More-Meaningful Work«, in: Harvard Business Review, 09.11.2018, online: https://hbr.org/2018/11/9-out-of-10-people-are-willing-to-earn-less-money-to-do-more-meaningful-work.
Laut Payscale empfinden 88 Prozent aller Feuerwehrleute ihren Job als sinnvoll und gehören damit zur Spitzengruppe, online: https://www.payscale.com/data-packages/most-and-least-meaningful-jobs.
Jane E. Dutton/Gelaye Debebe/ Amy Wrzesniewski: »Being valued and devalued at work: A social valuing perspective«, in: Beth A. Bechky/Kimberly D. Elsbach (Hg.): Qualitative organizational research: Best papers from the Davis Conference on Qualitative Research Vol. 3, IAP Information Age Publishing, 2016, S. 9–51.
Matthias Schmidt: »Jeder dritte Arbeitnehmer hält seinen Job für sinnlos«, Mitteilung von YouGov, 26.08.15, online: https://yougov.de/news/2015/08/26/jeder-dritte-arbeitnehmer-halt-seinen-job-fur-sinn/ Zu GB: Will Dahlgreen: »37 % of British workers think their jobs are meaningless«, Mitteilung von YouGov, 12.08.15, online: https://yougov.co.uk/topics/lifestyle/articles-reports/2015/08/12/british-jobs-meaningless
Quelle zu den Niederlanden: »4 op de 10 medewerkers vinden hun werk niet zinvol«, auf: Schouten & Nelissen, 30.03.2017, online: https://www.sn.nl/inspiratie/vitaliteit-stress-en-werkdruk/4-op-de-10-medewerkers-vinden-hun-werk-niet-zinvol.
Siehe Gallup Engagement Index Deutschland 2019. Die volkswirtschaftlichen Kosten dieser schlechten emotionalen Bindung belaufen sich auf schätzungsweise 105 bis 122 Milliarden Euro jährlich.
Es ist schwierig, diese Frage empirisch zuverlässig zu untersuchen. Einerseits gibt es eine gigantische Bandbreite an Berufen, andererseits sind verschiedene Studiendesigns möglich. Die genannte Angabe bezieht sich auf eine Erhebung von Peakon. Siehe: Curd Wunderlich: »Weltweit geht niemand so ungern zur Arbeit wie wir Deutschen«, in: Die Welt, 10.03.2020, online: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article206473163/Weltweit-geht-niemand-so-ungern-zur-Arbeit-wie-wir-Deutschen.html. Laut einer Forsa-Umfrage von 2019 geht jeder Zweite täglich gern zur Arbeit. Siehe: Birger Nicolai: »Kündigungsgrund Chef – Die größten Fehler deutscher Führungskräfte«, in: Die Welt, 28.02.2020, online: https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/article206192647/Mitarbeiterzufriedenheit-Nur-jeder-zweite-Deutsche-geht-gern-zur-Arbeit.html.
Alice Natter: »Wie viele Dinge braucht der Mensch?«, in: Main-Post, 25.06.2009 (aktualisiert: 17.10.2017), online: https://www.mainpost.de/regional/magazin/wie-viele-dinge-braucht-der-mensch-art-5181412.72.
Natter, ebd.
Diese Zahl wird in zahlreichen Artikeln genannt, manchmal als Durchschnitt für europäische, manchmal als Durchschnitt für deutsche Haushalte, sehr häufig auch als Durchschnittswert pro Person (nicht Haushalt). Siehe z.B. Madeleine Amberger: »Unser Leben platzt aus allen Nähten«, in: SRF Wissen, 19.12.2014, online: https://www.srf.ch/wissen/mensch/unser-leben-platzt-aus-allen-naehten (Europa/Haushalt); Marie-Charlotte Maas: »Wie viele Dinge besitze ich – und warum?«, in: Der SPIEGEL, 28.03.2017, online: https://www.spiegel.de/spiegel/unispiegel/bwl-studentin-zaehlt-was-sie-besitzt-inventur-ihres-lebens-a-1136118.html (Europa/Person); Stefan Kern: »Wie viel ist genug?«, in: Rhein-Neckar-Zeitung, 26.04.2014, online: https://www.rnz.de/panorama/magazin_artikel,-Magazin-Wie-viel-ist-genug-_arid,20959.html (Deutschland/Haushalt); Stefanie Pfeifer: »Wie viele Dinge braucht der Mensch?«, in: Psychologie Journal, 13.12.2013, online: https://psychologie-journal.de/minimalismus/1197/wie-viele-dinge-braucht-der-mensch/ (Deutschland/Person). Es war mir nicht möglich, den Ursprung dieser weit verbreiteten Zahl nachzuvollziehen, und denke, wir sollten alle hier genannten Zahlen lediglich als Anhaltspunkte und Größenordnungen betrachten.