Luise Holthausen
Finn und die monsterige Rückwärtsmaschine
Mit Illustrationen von Tine SchulzTine schulz
FISCHER E-Books
Luise Holthausen, geboren 1959 in Nürnberg, arbeitete früher in einer Bank, bevor sie die Welt der Kinderbücher für sich entdeckte - nicht zuletzt durch ihre beiden mittlerweile erwachsenen Söhne. Heute lebt und arbeitet sie als freischaffende Autorin im Rheingau. Für ihr Buch "Bärenstarke Anna" erhielt sie den Preuschhof-Preis für die beste Neuerscheinung im Bereich Erstleser.
Tine Schulz studierte nach ihrer Ausbildung zur Mediengestalterin an der Hochschule Wismar Kommunikationsdesign und Illustration. Seitdem arbeitet sie als freie Grafikerin und Illustratorin. Tine Schulz lebt in Rostock.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Eigenlizenz Kinder-/Jugendbuch
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2022 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH,
Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Tine Schulz unter Mitarbeit von Dahlhaus & Blommel Media Design GmbH
Coverabbildung: Tine Schulz
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0457-8
Es ist Montagmorgen, alles wie immer. Finn liegt auf dem Teppich und liest ein Buch. Mama singt, während sie sich für die Arbeit fertig macht. Auf dem Weg vom Bad ins Bastelzimmer stolpert sie über ein merkwürdiges Drahtgeflecht.
Das Bastelzimmer war früher mal das Wohnzimmer, aber seit Papa sich dort eine Ecke zum Herumwerkeln eingerichtet hat, haben sie es umbenannt. Inzwischen ist der ganze Raum nämlich von Papas Basteleien überwuchert. Akkuschrauber, Bohrmaschinen und weitere Werkzeuge sind über den Boden verteilt. Auf dem Teppich thront ein eigenartiges Metallgestänge, das den Weg zum Fenster versperrt. Papa sitzt auf dem einzigen freien Stuhl am Tisch und schraubt an irgendwas herum.
Eins ist an diesem Montagmorgen aber doch anders. Es sind Ferien. Das Gute daran: Finn muss nicht zur Schule. Das Schlechte: Sein bester Freund Kalim ist mit seinen Eltern in die Türkei geflogen, und seine beste Freundin Anna ist bei ihrer Oma. Deshalb muss Finn sich in den kommenden Wochen allein langweilen. Immerhin hat er noch ein paar Bücher zu lesen, mit so Titeln wie »Die Monster-Welt« oder »Aliens im Anflug«.
Mama fegt ein weiteres merkwürdiges Drahtgeflecht von ihrem Stuhl und setzt sich an den Basteltisch. »Frühstück ist fertig«, sagt sie, auf der Stuhlkante balancierend. Finn setzt sich neben sie, nachdem er seinen Platz von einer Wasserwaage befreit hat. Zwischen dem Werkzeug, das auf dem Tisch verteilt liegt, zieht er den Brotkorb zu sich heran.
»Moment.« Mama lässt den Arm vorschnellen und fischt eine Schraube, die sich zwischen die Brötchen verirrt hat, aus dem Korb.
»Oh, die hab ich schon vermisst«, sagt Papa erfreut und dreht die Schraube in ein Stück Holz.
»Lia hat am Wochenende ihren ersten Geburtstag«, sagt Mama. Lia ist Finns kleine Cousine, die ein paar Stunden entfernt wohnt. »Könnt ihr ein Geschenk für sie besorgen? Wir müssen es bald zur Post bringen.«
»Okay.« Papa nickt mehrmals, mit diesem ganz speziellen glasigen Blick, bei dem Finn genau weiß: Papa hört überhaupt nicht zu. Man könnte auch zu ihm sagen: Heute Morgen sind Aliens auf der Erde gelandet, oder einfach nur: Brabbelbrabbelbrabbel, und Papa würde trotzdem okay sagen und zustimmend nicken.
»In der Seitenstraße hat ein Spielwarenladen neu eröffnet«, fährt Mama fort. »Am besten schaut ihr euch dort mal um.« Sie steht auf und drückt erst Papa einen Kuss auf die Wange, dann Finn. »Ich muss los.« Sie eilt in den Flur, wobei sie unterwegs elegant dem Schraubenzieher auf dem Fußboden ausweicht. An der Garderobe schlüpft sie in ihre hochhackigen Schuhe, hängt sich ihre Tasche über die Schulter und winkt noch ein »Tschüs«, ehe sie die Haustür hinter sich zuzieht. Im Treppenhaus fängt sie wieder an zu singen.
Gegen zehn, als alle Läden in der Stadt aufmachen, brechen auch Finn und Papa auf. Das dauert ein bisschen, denn Papa fällt erst draußen auf der Straße auf, dass er am rechten Fuß eine schwarze Sandale und am linken einen braunen Wanderschuh trägt, und sie müssen noch mal umkehren. Danach biegen sie in die falsche Richtung ab und laufen einen Umweg zum Spielwarenladen. Aber das macht nichts, denn so kommen sie an einem Eiscafé vorbei. Papa spendiert Finn eine große Waffel mit zwei Kugeln.
»Woran bastelst du eigentlich gerade?«, fragt Finn, während sie nebeneinander auf einer Bank sitzen und er sein Eis isst.
»Ich bastle nicht«, erwidert Papa würdevoll. »Ich erfinde.«
»Und was erfindest du gerade?«
»Eine AKSÖ.«
»Was ist das?«
»Eine automatische Küchenschranköffnung. Funktioniert schon fast.« Er hält Daumen und Zeigefinger ein paar Millimeter auseinander. »Ich bin so nah dran.«
»Und braucht man denn diese … diese AKSÖ überhaupt?«, fragt Finn.
»Natürlich braucht man die!«, ruft Papa. »Wenn man zum Beispiel beim Kochen im Topf rührt, damit nichts anbrennt, und muss das Essen noch würzen – wie kommt man dann an die Gewürze im Schrank? Na?«
»Man öffnet den Gewürzschrank und nimmt sie heraus?«, rät Finn.
»Ha, das geht ja eben nicht, weil man mit einer Hand den Topf festhält und mit der anderen Hand rührt«, sagt Papa triumphierend.
Finn überlegt. »Aber wäre dann eine ARF nicht besser?«
Papa guckt erst überrascht, dann deutlich interessiert. »Eine was?«, fragt er.
»Eine Automatische Rührfunktion. Dann rührt der Kochlöffel allein weiter, während man mit seinen Händen den Schrank öffnet.«
»Hm.« Papa verfällt in nachdenkliches Schweigen.
Finn isst gemütlich sein Eis zu Ende und schlenkert mit den Beinen. Papa schweigt immer noch. Nach einer Weile wird es Finn langweilig. »Gehen wir jetzt weiter?«
Papa taucht aus seinen Gedanken auf. Er blinzelt. »Wohin?«
»Zum Spielwarenladen.«
»Warum?«
»Weil wir ein Geschenk für Lia kaufen müssen.«
»Ach ja, stimmt.« Papa steht auf. »ARF«, murmelt er vor sich hin. Dabei glänzen seine Augen leicht fiebrig, als sähe er schon das nächste Projekt vor sich. »Das ist gar keine schlechte Idee.«
Über der Eingangstür vom Spielwarenladen hängt ein Schild:
SPIELE-WILLECKE
Doch obwohl Mama gesagt hat, der Laden wäre gerade neu eröffnet, sieht er eher verlassen aus. Die Scheiben sind trüb, als seien sie schon ewig nicht mehr geputzt worden. Dahinter ist lieblos alles mögliche Spielzeug verteilt. Es sieht aus wie in einem unaufgeräumten Kinderzimmer. Das soll wohl die Schaufensterdekoration sein.
Innen ist es kaum besser. Finn schaut sich ratlos um. »Und was sollen wir hier für Lia kaufen?«
»Wir schenken ihr ein Kuscheltier«, schlägt Papa vor. »Alle kleinen Kinder mögen Kuscheltiere.«
Das stimmt. Finns Teddy hat erst kürzlich seinen Stammplatz im Regal über Finns Bett aufgeben müssen. Jetzt liegt er in einer Kiste im Keller. »Okay, wir schenken Lia … äh …« Er wandert die Regalreihen mit vergilbten Modellbaukästen und Büchern ab, auf die Ecke mit den Kuscheltieren und Spielfiguren zu. Zwischen schmuddeligen Stoffbären und einem Schwertkämpfer aus Plastik entdeckt er ein seltsames plüschiges Wesen, giftgrün, mit großem Kopf, großem Maul, kurzen Beinen und nur einem Auge, das ihn riesig anglotzt.