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Zum Inhalt

»Niemanden behandeln wir so schlecht wie uns selbst,« sagt Kristin Neff. Insbesondere Frauen neigen zu harscher Selbstkritik und bedingungsloser Selbstaufgabe, wenn es um das Wohl anderer geht. Doch es genügt nicht, sich selbst eine gute Freundin zu sein. Es erfordert Mut, aufzubegehren, Nein zu sagen, um sich vor Ungerechtigkeit und Verletzungen zu schützen und den eigenen Bedürfnissen mehr Raum zu geben. Kristin Neff erforscht, wie Frauen eine gesunde Balance finden können zwischen empathischer Fürsorge und selbstbestimmter Durchsetzungskraft, um sich authentisch in Beziehungen, im Job und in der Gesellschaft zu verwirklichen. Weibliches Selbstmitgefühl bedeutet ein bewusstes Ausbalancieren zwischen einfühlsam und kraftvoll, sanft und radikal. Wenn wir diesen Balanceakt beherrschen und dabei bedingungslos für uns selbst einstehen, können wir Großes bewirken.

Über die Autorin

Kristin Neff ist Professorin für Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung an der University of Texas in Austin. Durch den Buddhismus entdeckte sie das Konzept des Selbstmitgefühls und machte es vor zwanzig Jahren erstmals zum Gegenstand psychologischer Forschung. Neff hält international Vorträge und Seminare zum Thema Selbstmitgefühl.

Kristin Neff

Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen

Klar für sich selbst einstehen,
engagiert handeln und Erfüllung finden

Aus dem amerikanischen Englisch
von Dr. Heide Lutosch

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Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel FIERCE SELF-COMPASSION

How Women Can Harness Kindness to Speak Up, Claim Their Power, and Thrive bei Harper Wave, New York City, USA.

Deutsche Erstausgabe

© 2022 Kailash Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

© Kristin Neff 2021

published by arrangement with Harper Wave,

an imprint of Harper Collins Publishers, LLC

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

Umschlaggestaltung: ki 36, Daniela Hofner Editorial Design, München,

unter Verwendung eines Motivs von Nancy Singer

ISBN 978-3-641-28730-6
V001

www.kailash-verlag.de

Für meinen geliebten Sohn Rowan
und für alle Frauen auf der ganzen Welt

Inhalt

Teil I:
Warum Frauen kraftvolles Selbstmitgefühl
brauchen

Einleitung: Sorgende Kraft

Kapitel 1: Die Grundlagen des Selbstmitgefühls

Kapitel 2: Was hat das alles mit Geschlecht zu tun?

Kapitel 3: Wütende Frauen

Kapitel 4: #MeToo

Teil II:
Die Werkzeuge des Selbstmitgefühls

Kapitel 5: Sich selbst sanft halten

Kapitel 6: Standhaft bleiben

Kapitel 7: Den eigenen Bedürfnissen gerecht werden

Kapitel 8: Sich zum Guten verändern

Teil III:
Kraftvolles Selbstmitgefühl in der Welt

Kapitel 9: Gleichgewicht und Gerechtigkeit im Arbeitsleben

Kapitel 10: Für andere sorgen, ohne sich selbst zu verlieren

Kapitel 11: Wir geben alles für die Liebe

Nachwort: Ein Schlamassel voller Mitgefühl

Danksagung

Anmerkungen

Stichwortverzeichnis

Personenverzeichnis

Teil I

Warum Frauen
kraftvolles
Selbstmitgefühl
brauchen

Einleitung

Sorgende Kraft

Doch eines bleibt gewiss:
Wenn wir Milde der Macht beimessen, der Macht das Recht,
wird Liebe zu unserem Vermächtnis und Wandel
unserer Kinder Anrecht.1

Amanda Gorman, erste National Youth Poet Preisträgerin der USA

Es liegt etwas in der Luft. Alle Frauen, mit denen ich in Kontakt bin, spüren es. Wir haben die Schnauze voll, sind wütend, bereit für Veränderung. Traditionelle Geschlechterrollen und Machtstrukturen in unserer Gesellschaft hindern uns noch immer daran, uns so zu zeigen, wie wir wirklich sind – und das schadet uns sowohl persönlich als auch politisch. Es ist uns erlaubt, sanft, fürsorglich und zärtlich zu sein. Sind wir dagegen zu kraftvoll – zu wütend oder zu vehement –, löst das Angst und einen Schwall von Beschimpfungen aus (Hexe! Giftspritze! Drache! Furie! – um nur einige der harmloseren Diffamierungen zu nennen). Um aber die Dominanz der Männer zu brechen und endlich die uns zustehenden Plätze an den Tischen der Macht in Beschlag zu nehmen, müssen wir auf unserem Recht, kraftvoll zu sein, bestehen. Nur so können wir die Probleme, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, in Angriff nehmen: tief verwurzelte Armut, systemischer Rassismus, nicht funktionierende Gesundheitssysteme und schließlich der Klimawandel. Dieses Buch möchte Frauen genau dabei unterstützen.

Das Konzept des Selbstmitgefühls ist ein Rahmen, innerhalb dessen sich wunderbar zeigen lässt, wie Frauen sich erfolgreich für Veränderung einsetzen können. Mitgefühl zielt darauf ab, Leid zu lindern – es ist der Impuls zu helfen, ein Zustand tätiger Sorge, der instinktive Wunsch, sich ganz konkret um die zu kümmern, die es schwer haben.2 Obwohl die meisten Menschen von Natur aus Mitgefühl für andere empfinden können, fällt es ihnen oft schwer, diesen Impuls auch nach innen zu richten. Ich selbst habe die vergangenen 20 Jahre meines Berufslebens damit verbracht, die gesundheitlichen Vorteile von Selbstmitgefühl zu erforschen und Menschen nahezubringen, wie sie sich selbst gegenüber freundlicher und unterstützender verhalten können. Zusammen mit meinem Kollegen Chris Germer habe ich das Trainingsprogramm »Mindful Self-Compassion« entwickelt, das inzwischen weltweit gelehrt wird.3 Doch um wirklich umfassend von Selbstmitgefühl zu profitieren, müssen wir nicht nur seine sanfte, sondern auch seine kraftvolle Seite in uns ausbilden.

Diese Erkenntnis ist noch relativ neu für mich. Früher habe ich bei meinen Workshops über Selbstmitgefühl oft eine lustige Geschichte erzählt, die wirklich so passiert ist und anhand derer ich zeigen wollte, wie Achtsamkeit und Selbstmitgefühl dabei helfen können, mit »schwierigen« Gefühlen wie Wut umzugehen.

Die Geschichte geht so: Als mein Sohn Rowan, der eine Autismus-Spektrum-Störung hat, ungefähr sechs Jahre alt war, gingen wir zusammen in den Zoo zu einer Vogelvorführung. Als wir auf unseren Plätzen saßen, fing Rowan an zu stören – nicht dass er herumschrie oder wild um sich schlug, aber er sprach ziemlich laut, und die meiste Zeit stand er eher auf seinem Stuhl, als dass er saß. Eine Frau, die mit ihren beiden extrem wohlerzogenen Töchtern vor uns saß, drehte sich mehrmals zu uns um und machte »Psst!«. Aber Rowan dachte gar nicht daran, leise zu sein. Ich versuchte ihm zu helfen, aber er war zu aufgeregt, um sich kontrollieren zu können. Nachdem die Frau wohl zum dritten Mal vergeblich versucht hatte, Rowan zum Schweigen zu bringen, drehte sie sich mit einem wirklich hasserfüllten Gesichtsausdruck zu ihm um und zischte: »Würdest du BITTE leise sein. Wir versuchen zuzuhören!«

Rowan war völlig verwirrt. »Wer war das, Mommy?«, flüsterte er mit wackeliger Stimme.

Wenn ich mitbekomme, dass irgendjemand drohend oder aggressiv mit meinem Kind spricht, verwandle ich mich in Mama Bär. Ich antwortete nicht besonders leise: »Das war eine …!« Das Wort fing mit Z an, aber es war nicht »Zuschauerin« – nehmen Sie einfach Ihre Fantasie zur Hilfe… Kurz darauf war die Vogelvorführung zu Ende, und wieder drehte sich die Frau zu uns um, diesmal, um mich zur Rede zu stellen.

»Was fällt Ihnen ein, mich so zu beschimpfen!«, begann sie.

»Was fällt Ihnen ein, meinen Sohn so hasserfüllt anzufahren!«, schnaubte ich zurück. Und dann ging es richtig los. Zwei Muttis, die sich in Anwesenheit ihrer Kinder bei einer Vogelvorführung gegenseitig anschreien! Glücklicherweise beschäftigte ich mich damals gerade viel mit dem Thema Achtsamkeit (ja, okay, das klingt jetzt vielleicht etwas unwahrscheinlich), und irgendwann sagte ich relativ ruhig: »Ich bin gerade so was von wütend.« »Was Sie nicht sagen«, blaffte die Frau zurück. Für mich war es trotzdem ein Schlüsselmoment, denn anstatt mich in meinem Zorn zu verlieren, schaffte ich es, ihn achtsam wahrzunehmen, mich langsam abzuregen und wegzugehen.

Mit dieser Geschichte kann man sehr gut zeigen, wie Achtsamkeit einem dabei helfen kann, zurück auf den Teppich zu kommen, wenn man in einer Auseinandersetzung von seinen Gefühlen überwältigt wird. Doch einen anderen unglaublich wichtigen Aspekt dieses Vorfalls habe ich jahrelang übersehen: nämlich die Mama-Bär-Energie, die da vollkommen instinktiv in mir aufgestiegen ist. Ich schätzte diesen beschützerischen Furor kein bisschen, im Gegenteil, ich betrachtete ihn als Problem, anstatt anzuerkennen, wie bemerkenswert und furchteinflößend er war.

Bei einem Autounfall zu sehen, wie eine Mutter ein fast eineinhalb Tonnen schweres Fahrzeug anhob, um ihr darunter eingeklemmtes Baby zu retten, hatte den Autor der Marvel Comics, Jack Kirby, einst so beeindruckt, dass er die Figur des Incredible Hulk erfand.4 Diese kraftvolle Seite unserer Natur ist nämlich in Wirklichkeit überhaupt nicht problematisch, sondern eine Superkraft. Etwas, das wir feiern sollten, anstatt es mit achtsamer Aufmerksamkeit zähneknirschend zu »akzeptieren«. Wir können mit dieser Kraft nicht nur unsere Kinder beschützen, sondern auch uns selbst: Sie kann uns helfen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, Veränderungen anzustoßen und für Gerechtigkeit zu kämpfen. Dieses Buch soll Frauen dabei helfen, ihre kraftvolle Seite, ihre innere Kriegerin zum Einsatz zu bringen: Auf diese Weise können wir uns erheben und die Welt verändern.

Sorgende Kraft

In der männerdominierten Gesellschaft, in der wir Frauen noch immer leben, müssen wir alle Mittel, die wir zu fassen kriegen, zum Einsatz bringen – einerseits um uns zu behaupten, andererseits um gesund und unversehrt zu bleiben. Sorgende Kraft ist eine der mächtigsten Waffen in unserem Arsenal. Um Leid zu lindern, greift das sanfte Selbstmitgefühl auf die Energie der Fürsorglichkeit zurück, während sich das kraftvolle Selbstmitgefühl die Energie des Handelns zunutze macht – wenn beide Seiten vollständig verbunden sind, werden sie zu sorgender Kraft. Unsere Kraft ist wirksamer, wenn sie sorgend ist, denn auf diese Weise sind Stärke und Liebe verbunden. Die herausragenden Gestalten gesellschaftlichen Wandels – Mahatma Gandhi, Mutter Teresa, Nelson Mandela, Susan B. Anthony – standen für genau diese Botschaft. In seinem Aufruf zur Beendigung des Vietnamkrieges formulierte es Martin Luther King Jr. so: »Wenn ich von Liebe spreche, meine ich nichts Sentimentales oder Zartes. Ich spreche von jener Kraft, die (…) das höchste Verbindungsprinzip des Lebens ist.«5

Glücklicherweise kann sorgende Kraft sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet werden. Sie kann uns auf unserem persönlichen Weg zu Wachstum und Heilung genauso helfen wie in unserem Kampf für Gerechtigkeit. Letztendlich ist auch politischer Aktivismus ein Akt des Selbstmitgefühls (nicht nur des Mitgefühls mit anderen), denn wir sind miteinander verbunden, und Ungerechtigkeit betrifft uns alle.

Lange Zeit dachte ich, dass meine eigene kraftvolle Seite ein Charakterfehler wäre, den ich überwinden müsse, aber inzwischen ist mir klar, dass ich ohne diese Seite im Leben nicht so viel Erfolg gehabt hätte. Im Jahr 2003 veröffentlichte ich meinen ersten wissenschaftlichen Artikel zum Thema Selbstmitgefühl6, und noch im selben Jahr entwickelte ich die Self-Compassion Scale (SCS), um dieses Gefühl messbar zu machen.7 Meine ersten Untersuchungen ergaben, dass Menschen, die auf der SCS höher abschnitten, auch beim allgemeinen Wohlbefinden mehr Punkte erreichten.8 Damals war ich eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die über Selbstmitgefühl forschte, aber inzwischen hat es einen regelrechten Boom auf diesem Gebiet gegeben: In wissenschaftlichen Zeitschriften sind bis dato über 3000 Artikel zu dem Thema erschienen, und Tag für Tag werden neue Studien veröffentlicht.9 Dieses unbekannte Territorium zu betreten hätte ich wohl ohne meine freie Energie kaum gewagt – jene Kriegerinnen-Energie, die mich eben manchmal auch in Schwierigkeiten bringt (zum Beispiel wenn ich vor meinem Kind bei einer Vogelvorführung eine vollkommen fremde Frau eine Z… nenne).

Der Kreis schließt sich

Ich habe also erst kürzlich begonnen, in meiner wissenschaftlichen Forschung zwischen einer kraftvollen und einer sanften Seite des Selbstmitgefühls zu unterscheiden, und darüber ausführlicher zu schreiben steht noch aus. Gleichzeitig greife ich damit einen Faden auf, der sich durch meine gesamte Laufbahn zieht. Meine Doktorarbeit zum Thema Moralentwicklung schrieb ich an der University of California, Berkeley, bei Elliot Turiel. Er war ein Schüler Lawrence Kohlbergs, der die These aufgestellt hat, dass sich Moralentwicklung in drei Phasen vollzieht. Diesem Modell nach ist man in der ersten Phase (die mit der Kindheit zusammenfällt) vor allem mit persönlicher Bedürfnisbefriedigung beschäftigt, in der zweiten Phase (die in der Adoleszenz zu beobachten ist) liegt der Fokus auf der Fürsorge für andere und der Erfüllung ihrer Bedürfnisse, und in der letzten Phase (die, wenn überhaupt, erst im Erwachsenenalter erreicht wird) geht es schließlich um Gerechtigkeit: Hier werden die Rechte und Bedürfnisse aller in den Blick genommen. Eines der Ergebnisse von Kohlbergs Forschung vorwiegend aus den 1960er-Jahren lautete, dass Frauen angeblich dazu neigen, moralische Entscheidungen auf der Grundlage von Fürsorge zu treffen, während Männer solche Entscheidungen tendenziell eher auf der Grundlage von Recht und Gerechtigkeit träfen.10 Prompt hieß es, Kohlberg habe bewiesen, das moralische Denken von Frauen sei weniger weit entwickelt als das von Männern, was von Feministinnen völlig zu Recht als tendenziös kritisiert wurde. Carol Gilligan, die Autorin des einflussreichen Buches Die andere Stimme, stellte dagegen die These auf, dass Fürsorge auf der einen und Gerechtigkeit auf der anderen Seite schlicht zwei unterschiedliche ethische Blickwinkel seien, unter denen man die Welt betrachten könne. Die weibliche Art des Wissens beruhe eher auf Verbundenheit als auf Autonomie, sei aber dadurch der männlichen Perspektive keineswegs unterlegen. Eigentlich wollte die Autorin mit ihrer Theorie die Behauptung entkräften, dass Frauen weniger moralisch seien als Männer, aber paradoxerweise charakterisierte sie Frauen dann letztendlich selbst als Menschen, die die Kategorie der Gerechtigkeit nicht für wichtig erachteten!

Ich halte beide Positionen für falsch, denn jede ist auf ihre Weise sexistisch. Turiel löste die Kontroverse auf, indem er zeigte, dass männliche und weibliche Menschen in allen Entwicklungsstadien moralische Urteile je nach Kontext auf der Grundlage von Autonomie, Fürsorge oder Gerechtigkeit treffen.11 Unabhängig von Alter, Geschlecht und Kultur ist fast jeder Mensch der Ansicht, dass es besser ist, für andere zu sorgen und ihnen zu helfen, als ihnen Schaden zuzufügen, dass Menschen in persönlichen Angelegenheiten autonome Entscheidungen treffen können müssen und dass Gerechtigkeit ein zentraler Wert ist. »Aber das ist ungerecht!« ist in der Tat eines der ersten moralischen Urteile, das kleine Kinder fällen. Turiels Untersuchungen zeigen außerdem, dass soziale Macht beim Fällen solcher Urteile eine zentrale Rolle spielt.12 Wer in einer dominanten Position ist, kann häufiger autonome Entscheidungen treffen, während abhängige Menschen eher gezwungen sind, für andere zu sorgen. Schon per Definition ist eine zentrale Eigenschaft von Macht die Fähigkeit, das zu tun, was man möchte, während Unterordnung vor allem dadurch definiert ist, dass man die Bedürfnisse derer, die Macht haben, befriedigen muss. Um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse eines und einer jeden gleichermaßen zählen, ist also die gerechte Verteilung von Macht vorausgesetzt. Für meine Dissertation verbrachte ich ein Jahr in Indien, um zu erforschen, wie sich kulturell verwurzelte Annahmen über Geschlechterhierarchien auf die verschiedenen Positionen in Ehekonflikten auswirken (dazu später mehr).

Erst als ich nach Berkeley zurückgekehrt war, um meine Dissertation zu Ende zu schreiben, hörte ich von Selbstmitgefühl. Wie in meinem ersten Buch Self-Compassion (New York 2011, dt. Selbstmitgefühl, München 2012) ausführlich beschrieben, war meine Reise zu mehr Freundlichkeit mir selbst gegenüber ziemlich schmerzhaft. Ich verließ nämlich kurz vor meinem Auslandsforschungsjahr meinen Partner für einen anderen Mann (was mich selbst auch deshalb so entsetzte und beschämte, weil ich mich bis dahin für einen liebevollen und aufrechten Menschen gehalten hatte). Eigentlich war der Plan, dass dieser Mann mir nach Indien folgen würde. Doch weder verließ er umgekehrt seine Partnerin, noch tauchte er jemals in Indien auf. Als wäre das nicht schlimm genug, erfuhr ich kurz nach meiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten, dass er einen Hirntumor hatte, an dem er bald darauf starb.

Um die Scherben meines Lebens zusammenzusammeln, wollte ich lernen, wie man meditiert. Ich schloss mich einer Gruppe an, die der Lehre des vietnamesischen Zenmeisters Thich Nhat Hanh folgte, der besonders betont, wie wichtig es ist, Mitgefühl mit sich selbst und anderen zu haben. Ich las Bücher von wegweisenden westlichen Lehrerinnen und Lehrern des Buddhismus, zum Beispiel Sharon Salzbergs Metta Meditation und Jack Kornfields Frag den Buddha: Auch diese beiden Autoren legen großen Wert darauf, dass wir uns selbst in den Kreis des Mitgefühls einbeziehen.

Meine Lektüre und Meditationspraxis führten dazu, dass ich versuchte, mir selbst gegenüber mehr Wärme aufzubringen und mich besser zu unterstützen. Anstatt mich selbst für das, was ich getan hatte, zu geißeln (ich konnte mich nur davon überzeugen, dass ich ein guter Mensch war, indem ich den Menschen, der ich gewesen war, aus tiefstem Herzen hasste: So absurd können die Wege des Denkens manchmal sein), versuchte ich, verständnisvoller und versöhnlicher zu werden. Ich muss zugeben, dass sich das am Anfang ziemlich unbehaglich anfühlte. Wenn ich mir selbst sagte »Menschen machen Fehler«, dann war da sofort eine andere Stimme, die konterte: »Du willst dich doch nur rausreden«. Aber nach und nach verstummte die Gegenstimme, während ich lernte, das Unheil, das ich angerichtet hatte, anzuerkennen und in diesem Prozess mir selbst gegenüber freundlich zu bleiben. Ich sagte zu mir: »Ich weiß, dass du es anders gemacht hättest, wenn du es gekonnt hättest, aber damals warst du dazu nicht in der Lage. Deine Ehe lief nicht gut, und du wolltest glücklich sein. Jeder möchte glücklich sein.« Anstatt mich auf mich selbst und meine Missetaten zu fixieren, begann ich, meine unvollkommene Menschlichkeit und die Art und Weise, wie sie mich mit dem großen Ganzen verband, zu würdigen. Ich legte mir die Hand aufs Herz und sagte: »Ich weiß, es tut weh, aber es wird nach und nach besser werden. Ich nehme dich genauso an, wie du bist. Mit all deinen Fehlern.« Indem ich das tat, konnte ich, ohne mich dabei selbst zu geißeln, die volle Verantwortung für das übernehmen, was ich getan hatte, so schmerzhaft es war. Mit etwas Übung lernte ich, meine Scham liebevoll zu halten – und mein Leben veränderte sich radikal zum Guten.

Nach meinem Abschluss bekam ich an der University of Denver eine Postdocstelle bei Susan Harter, damals eine der führenden Forscherinnen der USA zum Thema Selbstachtung, ein Begriff, der die psychologische Wahrnehmung von »Wohlbefinden« über Jahrzehnte bestimmt hatte. Selbstachtung kann als positive Bewertung des Selbstwerts definiert werden. Die Forscherinnen und Forscher begannen damals gerade zu verstehen, dass eine positive Selbstbeurteilung Menschen zwar glücklicher machen, aber auch in diverse Fallen und Sackgassen führen konnte, wie zum Beispiel in den Narzissmus oder den Zwang, sich permanent mit anderen zu vergleichen. Davon abgesehen basiert Selbstachtung zu häufig auf sozialer Anerkennung, auf gutem Aussehen und der Betonung von Erfolg. Selbstachtung ist eine Gutwetterfreundin. Sie ist da, wenn es gut läuft, lässt einen aber im Stich, wenn alles schiefgeht – also genau dann, wenn man sie am meisten braucht. Selbstmitgefühl ist die perfekte Alternative zur Selbstachtung. Es verlangt nicht, dass man sich besser fühlt als andere, ist nicht davon abhängig, dass andere Menschen einen mögen, und verlangt auch nicht, dass man immer alles richtig macht. Um Selbstmitgefühl entwickeln zu können, muss man einfach nur ein fehlbares menschliches Wesen sein, wie jede und jeder andere auch. Selbstmitgefühl ist ein zuverlässiger Ort des Rückhalts und der Zuflucht.

Als ich dann eine Professur an der University of Texas Austin annahm, setzte ich meine Forschung über den Einfluss von Macht auf Autonomie, Fürsorge und Fairness in Beziehungen zunächst noch fort. Zur gleichen Zeit begann ich aber schon, meine Gedanken zum Thema Selbstmitgefühl als einer gesünderen Alternative zur Selbstachtung genauer auszuarbeiten und erste Artikel darüber zu veröffentlichen. Irgendwann begeisterte mich das Thema so sehr, dass ich alle anderen Forschungsschwerpunkte beiseiteließ; seither konzentriere ich mich hauptsächlich auf das Thema »Selbstmitgefühl«. Erst vor Kurzem habe ich im Zusammenhang mit diesem Thema den Faden meiner früheren Forschungsinteressen wieder aufgegriffen. Wer sanftes Mitgefühl für sich selbst aufbringen kann, kümmert sich fürsorglich um sich selbst. Wer kraftvolles Selbstmitgefühl kultiviert, macht seine Autonomie geltend und steht für seine Rechte ein. Erst wenn kraftvolles und sanftes Selbstmitgefühl in ein Gleichgewicht kommen, können wir fair und gerecht handeln. Aber auch beim Selbstmitgefühl können Macht und Erwartungen an die Geschlechter eine Rolle spielen, indem die männliche Dominanz die kraftvolle Seite betont, während weibliche Unterordnung eher zu Sanftheit tendiert. Das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit verlangt, dass wir beide Seiten integrieren. Meine beiden bis vor Kurzem noch völlig disparaten Forschungsgebiete passen plötzlich zusammen wie zwei Puzzleteile.

Warum dieses Buch für Frauen
geschrieben wurde und warum jetzt

Selbstmitgefühl hilft allen Menschen, und das meiste, was ich darüber in der Vergangenheit geschrieben habe, ist geschlechterunabhängig. Aber ich glaube, dass in dem historischen Moment, in dem wir uns befinden, Selbstmitgefühl für Frauen besonders notwendig geworden ist. Wir Frauen haben die Nase voll davon, dass Männer uns die Welt erklären und uns bezahlen, als hätten wir nichts auf dem Kasten. Wir wollen endlich faire Löhne, wir wollen in Firmen und in Regierungen gleichberechtigt vertreten sein und Machtpositionen übernehmen. Kraftvolles Selbstmitgefühl, besonders, wenn es sich mit sanftem Selbstmitgefühl im Gleichgewicht befindet, kann uns dabei helfen, für unsere Rechte zu kämpfen und gegen all das Leid anzuarbeiten, das dadurch entstanden ist, dass man uns jahrhundertelang dazu angehalten hat, hübsch auszusehen und den Mund zu halten.

Was mich außerdem dazu angeregt hat, dieses Buch zu schreiben, war die #MeToo-Bewegung. Viel zu lange haben Frauen Belästigungen und sexualisierte Übergriffe unter den Teppich gekehrt. Wir haben immer befürchtet, dass uns niemand glauben würde, wenn wir die Wahrheit sagten. Es würde nur Schande über uns bringen und weiteren Schaden anrichten. Doch das änderte sich im Jahr 2017, als Hunderttausende von Frauen den Hashtag #MeToo nutzten, um ihre Erfahrungen mit Belästigung und sexualisierter Gewalt öffentlich zu machen. Plötzlich waren es die Männer, deren Ruf ruiniert war und die sich einen neuen Job suchen mussten.

Wie ich später genauer ausführen werde, stehen meine eigenen Erfahrungen im Einklang mit den Berichten unzähliger anderer Frauen auf der ganzen Welt. Trotz meiner Tätigkeit als Leiterin von weithin bekannten Achtsamkeits- und Mitgefühlskursen bin auch ich von jemandem getäuscht und manipuliert worden, der sich als Sexualstraftäter entpuppte. Ein Mann, dem ich vertraute und den ich unterstützte, hatte ohne mein Wissen zahllose Frauen belästigt und angegriffen. Meine Praxis des Selbstmitgefühls hat es mir ermöglicht, mit dem Entsetzen umzugehen, das die Flut von Enthüllungen in mir auslöste. Sanftes Selbstmitgefühl half mir zu heilen, und kraftvolles Selbstmitgefühl trieb mich an, den Mund aufzumachen und dafür zu sorgen, dass der Horror ein Ende nahm.

Die Frauenbewegung hat uns Zugang zum Berufsleben verschafft, doch um in diesem Bereich Erfolg zu haben, müssen wir uns wie Männer benehmen und unsere in ihrer Welt abgewertete sanfte Seite unterdrücken. Gleichzeitig machen wir uns immer wieder unbeliebt, wenn wir zu aggressiv oder zu energisch auftreten. Uns bleibt nur die Wahl zwischen zwei falschen Möglichkeiten: erfolgreich und verachtet oder gemocht und ohnmächtig. Auch heute noch stehen wir Frauen unter dem zunehmenden Druck, uns bei der Arbeit beweisen zu müssen, sind aber gleichzeitig Opfer von sexualisierten Übergriffen und ungerechter Bezahlung. Im Endeffekt muss man sagen: So wie es läuft, funktioniert es für uns nicht mehr. Ich glaube fest daran, dass wir Frauen, wenn wir unser kraftvolles und unser zartes Selbstmitgefühl entwickeln und in ein Gleichgewicht bringen, viel besser gerüstet sind zu erkennen, wer wir wirklich sind, und die notwendigen Veränderungen in der Welt anzugehen. Das Patriarchat ist quicklebendig und verursacht unglaubliches Leid. Die drängenden Themen unserer Zeit – sexualisierte Gewalt, ungleiche Bezahlung, grassierende Vorurteile, Ungerechtigkeit im Gesundheitswesen, politische Spaltung – rufen uns dazu auf, unsere Kraft in die Waagschale zu werfen und zu handeln

Weil ich eine weiße, heterosexuelle Cis-Frau bin, wird das, was ich schreibe, nicht frei von unbewussten Vorurteilen sein. Zwar werde ich mein Bestes tun, um die vielfältigen Erfahrungen all jener Menschen einzubeziehen, die sich als Frauen identifizieren, aber diese Anstrengungen werden mit Sicherheit zu kurz greifen. Bitte sehen Sie es mir nach. Meine Hoffnung ist, dass dieses Buch ein paar allgemeine Prinzipien zur Sprache bringen kann, die für alle Menschen, deren Identitäten und Erfahrungen durch unterschiedliche intersektionale Diskriminierungsformen geprägt sind, Bedeutung haben. Nicht alle Frauen gleichen sich, und auch die leidvollen Erfahrungen, die sie machen, sind nicht immer vergleichbar. Aber ich glaube daran, dass das kraftvolle und das sanfte Selbstmitgefühl für alle Menschen hilfreich sind und im Kampf gegen Sexismus, Rassismus, Heteronormativität, Ableismus und andere Unterdrückungsformen eine gute Rolle spielen können.

Die Praxis des Selbstmitgefühls

Selbstmitgefühl ist mehr als eine Idee. Es ist etwas, dass wir tun können. Wir können unser Gehirn trainieren und neue Gewohnheiten ausbilden, um auf unserem eigenen mentalen, physischen und psychischen Schmerz mit Mitgefühl zu reagieren. Wissenschaftliche Studien zeigen nicht nur, dass mehr Selbstmitgefühl erlernbar ist, sondern auch, dass diese Praxis unser Leben radikal verbessert.13 Dieses Buch wird Begriffe erklären, Forschungsergebnisse erörtern und Sie dabei unterstützen, ein Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln, das sowohl sanft als auch kraftvoll ist. Sie werden lernen, wie Sie beide Seiten so kombinieren können, dass eine sorgende Kraft in Ihnen entsteht, die Sie in unterschiedlichen Lebensbereichen zum Einsatz bringen können: in Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, in der Sorgearbeit und im Beruf.

Während der Lektüre bekommen Sie immer wieder Tipps und Anleitungen, wie Sie das, was Sie kognitiv erfahren, auch körperlich verankern können. Ab und zu werde ich Ihnen auch wissenschaftlich validierte und in der Forschung breit eingesetzte Messmethoden für Aspekte wie Selbstmitgefühl, Geschlechterstereotype oder Beziehungsstile vorstellen, sodass Sie diese Tests an sich selbst ausprobieren können! Außerdem werde ich konkrete Übungen bereitstellen, die Ihnen helfen, Ihren »Selbstmitgefühl-Muskel« zu entwickeln. (Für viele dieser Übungen finden Sie unter FierceSelf-Compassion.org angeleitete Audioversionen.) Trotz einiger Meditationsübungen ist dies jedoch keine Anleitung zum Meditieren. Ich bin keine spirituelle Lehrerin, sondern Wissenschaftlerin. Doch wenn Selbstmitgefühl sehr tief geht, kann es tatsächlich zu einer spirituellen Erfahrung werden.

Die meisten Übungen, die in diesem Buch vorgestellt werden, stammen aus dem Mindful-Self-Compassion-Programm, das ich zusammen mit Chris Germer entwickelt habe. Sie können online unter www.CenterforMSC.org an einem MSC-Kurs teilnehmen oder selbstständig das Arbeitsbuch The Mindful Self-Compassion Workbook durchgehen (dt.: Kristin Neff & Christopher Germer, Selbstmitgefühl. Das Übungsbuch, Freiburg 2019). Obwohl MSC keine Therapie ist, kann das Programm durchaus therapeutische Wirkung entfalten. Der Schwerpunkt von MSC liegt eher darauf, den Alltag mit mehr Selbstmitgefühl anzugehen, als auf dem Versuch, bestimmte Wunden aus der Vergangenheit zu heilen. In einer frühen Studie über die Wirksamkeit von MSC fanden wir heraus, dass acht Wochen Training das Selbstmitgefühl um 43 Prozent steigerten.14 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten, dass sie zudem achtsamer und mitfühlender gegenüber anderen geworden waren; auch fühl-ten sie sich weniger deprimiert, ängstlich und gestresst, und ihre emotionalen Vermeidungsstrategien kamen nicht mehr ganz so häufig zum Einsatz; sie waren glücklicher und insgesamt zufriedener mit ihrem Leben. Am auffälligsten war jedoch, dass die Ressource Selbstmitgefühl für diese Menschen von nun an eine Art zuverlässiger Freund wurde. Wir konnten darüber hinaus zeigen, dass das durch MSC gesteigerte Selbstmitgefühl und das daraus resultierende größere Wohlbefinden mindestens ein Jahr anhielten.

Wie sehr eine Person von dem Programm profitierte, war davon abhängig, wie viel sie geübt hatte. Ich möchte Sie deshalb ermutigen, sich ganz bewusst jeden Tag mindestens 20 Minuten Zeit zu nehmen, um Selbstmitgefühl zu üben. Wir konnten zwar wissenschaftlich nachweisen, dass die Instrumente aus dem Werkzeugkoffer des Selbstmitgefühls tatsächlich funktionieren, aber der einzige Weg, dies zu testen, ist, es selbst auszuprobieren.

Testen Sie, wie groß Ihr Selbstmitgefühl ist

Wenn Sie einschätzen möchten, wie viel Mitgefühl Sie für sich selbst aufbringen können, sollten Sie einfach diese Kurzversion des Selbstmitgefühlstests machen, der in den meisten Studien zum Thema Selbstmitgefühl zum Einsatz kommt.15 Wenn Sie möchten, können Sie sich Ihr Ergebnis aufschreiben und den Test noch einmal machen, wenn Sie das Buch zu Ende gelesen haben, um herauszufinden, ob Ihr Selbstmitgefühl größer geworden ist. Ihnen wird wahrscheinlich auffallen, dass der Test nicht zwischen kraftvollem und sanftem Selbstmitgefühl unterscheidet. Im Moment fungiert er tatsächlich noch als allgemeiner Maßstab für Selbstmitgefühl insgesamt, aber es ist möglich, dass ich ihn irgendwann so überarbeite, dass beide Seiten des Selbstmitgefühls darin abgebildet werden.

Anleitung

Bitte lesen Sie sich jede Aussage sorgfältig durch, bevor Sie antworten. Notieren Sie auf der linken Seite jeder Aussage, wie häufig Sie sich auf die beschriebene Weise verhalten. Ihre Antworten sollten Ihr tatsächliches Verhalten wiedergeben und nicht das Verhalten, das Sie für richtig halten.

Nutzen Sie für den ersten Aussagenblock die folgende Skala von 1 (fast nie) bis 5 (fast immer) oder einen der dazwischenliegenden Werte:

Für den nächsten Aussagenblock nutzen Sie eine Skala von 1 (fast immer) bis 5 (fast nie) oder einen der dazwischenliegenden Werte. Beachten Sie, dass die Zählweise umgedreht worden ist; eine höhere Ziffer verweist jetzt also auf eine niedrigere Häufigkeit:

Gesamtsumme aller 12 Aussagen = _____________

Mittlerer Selbstmitgefühlwert (Gesamtsumme/12) = ______________

Generell gilt ein Wert zwischen 2,75 und 3,25 als durchschnittlich, ein Wert unter 2,75 als niedrig und ein Wert über 3,25 als hoch.

Lassen Sie sich Zeit

Beim Lesen dieses Buches werden Sie wahrscheinlich auch schwierigen Gefühlen begegnen; sie können hochkommen, wenn Sie Mitgefühl praktizieren. Sobald wir uns nämlich selbst mit Liebe begegnen, kann es geschehen, dass wir uns plötzlich an Zeiten erinnern, in denen wir nicht geliebt wurden, oder uns überfällt der Gedanke, wir seien nicht liebenswert. Wenn Sie zum Beispiel versuchen, sich selbst in Schutz zu nehmen, indem Sie einen Kollegen, der sich immer wieder unangemessen über Ihre Figur äußert, in seine Grenzen weisen, kann es passieren, dass Ihnen plötzlich einfällt, wie Ihr Vater sich immer über Ihren Kleidungsstil lustig gemacht hat. Oder wenn Sie versuchen, sich in Ihrer Trauer über eine gescheiterte Liebesbeziehung selbst zu trösten, könnten Sie plötzlich von alten Ängsten überflutet werden, nicht lustig oder attraktiv oder interessant genug zu sein.

In Wirklichkeit ist das ein gutes Zeichen. Es zeigt, dass Sie Ihr Herz öffnen. Es bedeutet, dass der alte Schmerz, den Sie in die Abgründe Ihres Unterbewusstseins verbannt haben, ans Tageslicht treten darf. Wenn er Raum bekommt und mit Wärme gehalten wird, kann er anfangen zu heilen.

Dennoch können diese Gefühle manchmal überwältigend sein. Praktizieren Sie Selbstmitgefühl unbedingt auf eine Weise, die sich sicher anfühlt, anderenfalls haben Sie kein Mitgefühl mit sich selbst! Gerade Frauen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, sollten sich unbedingt Zeit lassen und in ihrem eigenen Tempo vorgehen. Hören Sie, wenn Sie das Gefühl haben, es wird zu viel, mit dem Üben auf: Gönnen Sie sich Pausen und machen Sie später weiter, vielleicht sogar unter Anleitung einer Person mit therapeutischer Ausbildung. Wer überwältigt ist, kann unmöglich etwas Neues lernen. Bitte übernehmen Sie Verantwortung für Ihre eigene emotionale Sicherheit und drängen Sie sich niemals zu einer Handlung, die sich gerade nicht gut anfühlt.

Dieses Buch ist so konzipiert, dass es Sie dabei unterstützt, Ihre Selbstmitgefühlspotenziale sowohl in der kraftvollen als auch in der sanften Variante freizusetzen. Sehr häufig befinden sich diese beiden Seiten nicht im Gleichgewicht, und es ist wichtig, dass wir herausfinden, wie wir sie besser in Einklang bringen können. Selbstmitgefühl wird es Ihnen ermöglichen, einen Zugang zu Ihrer eigenen inneren Kraft zu finden, auf dass Sie aufblühen und glücklich sind. Sie werden aber auch authentischer sein und sich innerlich erfüllter fühlen und so in die Lage versetzt, sich für gesellschaftlichen Fortschritt einzusetzen. Die Welt verändert sich rapide, und wir Frauen müssen die Führung übernehmen und dafür sorgen, dass sie sich zum Guten verändert. Mit sorgender Kraft ist alles möglich.