Italien in der Moderne
Geschichte des Risorgimento
Italiens Weg in die Moderne (1770–1870)
Böhlau Verlag Wien Köln
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
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Umschlagabbildung: Das Treffen am Teano zwischen Guiseppe Garibaldi und Vittorio Emanuele (Lithografie nach dem Gemälde von Carlo Ademollo; (c) akg-images / Fototeca Gilardi)
Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien
Satz: Bettina Waringer, Wien
EPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISBN: 978-3-412-52097-7
Vorwort
1. Das Ancien Régime
2. Italien unter französischer Herrschaft 1789–1814
2.1 Jakobinische Politisierung (1789–1796)
2.2 Die Zeit der Schwesterrepubliken – das Trienno (1797–1799)
2.3 Das napoleonische Italien
2.4 Säkularisation und Immobilienspekulation
2.5 Die Alten Meister als Prestigeobjekte
2.6 Napoleonische Amalgampolitik: Elitäre Geselligkeit und die italienischen Höfe
2.7 Infrastruktur und Bildungswesen
2.8 Das Militärwesen
2.9 Kirchenpolitik und Volksreligiosität
2.10 Die Krise der Jahre 1811–1814
3. Der Wiener Kongress, Restaurationen und Revolutionen
3.1 Die neue, alte Staatenordnung
3.2 National- und verfassungspolitische Ideen nach 1815
3.3 Die südeuropäischen Revolutionen von 1820, 1821 und 1830
3.4 Italiener im Exil
4. Die Wirtschaft
4.1 König Landwirtschaft
4.2 Manufakturen und industrielle Anfänge
4.3 Europäische Unternehmernetzwerke
4.4 Mobilität und Migration
5. Gesellschaft und Kultur
5.1 Die sozialen Probleme
5.2 Die kleine Mittelschicht und die dominanten Eliten
5.3 Salons und Gesellschaften
5.4 Oper, Bildende Künste und Literatur
5.5 Schulen, Universitäten und Akademien
5.6 Religion, Konfessionen und gelebte Frömmigkeit
6. Die Revolutionen von 1847–1849
6.1 Die konstitutionellen Revolutionen 1847/48
6.2 Der erste Unabhängigkeitskrieg und die Revolutionen von 1849
7. Der Weg zum Nationalstaat
7.1 Die reaktionären Staaten und das liberale Königreich Sardinien-Piemont
7.2 Der zweite Unabhängigkeitskrieg und die Proklamation des Königreichs Italien (1860/61)
7.3 Der dritte Unabhängigkeitskrieg und die Eroberung Venetiens und Roms (1866 und 1870)
8. Durchstaatlichung und Widerstand
8.1 Zentralismus versus Föderalismus
8.2 Die politische Klasse: Gewinner und Verlierer
8.3 Il grande brigantaggio: Bürgerkrieg oder Bandenkriminalität?
Schlussbetrachtungen
Regententabellen der italienischen Staatenwelt 1770–1870
Auswahlbibliographie
Abbildungsverzeichnis
Kartenverzeichnis
Register
Vorwort
Das vorliegende Buch bietet einen aktuellen Überblick zur italienischen Geschichte des Risorgimento (1770–1870), der sowohl die klassischen Themen der italienischen Politikgeschichte und sozioökonomische Aspekte als auch die Ergebnisse der italienischen Kulturgeschichte der letzten zwanzig Jahre berücksichtigt. Mit Risorgimento bezeichnet die Geschichtsschreibung jene Epoche, in der die italienische Nationalstaatsgründung vorbereitet und besiegelt wurde. Namensgeberin war eine liberale Zeitung in Turin, die von führenden Politikern im Umfeld der 1848er Revolution herausgegeben wurde. Risorgere ist zu übersetzen mit „wiederaufstehen“ oder „wiedererblühen“. Doch dieser Titel führt ein wenig in die Irre, denn es konnte kein Nationalstaat wiedererstehen, der vorher nie bestanden hatte. Der Weg Italiens hin zum modernen Nationalstaat war äußerst komplex und hing letztendlich vor allem von Verschiebungen im europäischen Mächtesystem und inneritalienischen Reformprozessen ab. Viele der dazu vorliegenden Bücher beginnen die Geschichte des Risorgimento mit dem Einmarsch der französischen Truppen im Jahr 1796. Hier wurde ein anderer chronologischer Zuschnitt gewählt. Das erste Kapitel ist dem ausgehenden Ancien Régime gewidmet, denn wenn eine Darstellung mit der napoleonischen Zeit beginnt, blendet sie die Italien stark prägende Reformära der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts aus. Den Schlusspunkt bildet der Untergang des Kirchenstaates mit der Eroberung Roms im Jahr 1870, womit – abgesehen vom Trentino und Triest – Italien seine heute noch bestehenden Grenzen erhalten hat.
Der Stand der italienischen Forschung zur Geschichte des Risorgimento ist, verglichen mit dem Interesse, das die deutsche Historiographie der Sattelzeit (1750-1850) und den sich daran anschließenden Jahrzehnten bis zur Nationalstaatsgründung schenkt, erheblich besser. Geprägt wurde sie in den letzten rund zwanzig Jahren besonders von kultur- und diskursgeschichtlichen Arbeiten. Dabei griffen die Autorinnen und Autoren die Thesen von Benedict Anderson, Ernest Gellner und Eric J. Hobsbawm auf, die den Prozess der Nationalstaatsbildung als Erfindung von intellektuellen Eliten beschreiben. Einen Meilenstein setzte in diesem Zusammenhang zweifellos der italienische Historiker Alberto M. Banti. Kein Buch hat in den letzten Jahren die Historiker in Italien und die Italien-Historiker weltweit zu derart heftigen Diskussionen über die Themen Nation und Nationalgefühl im 19. Jahrhundert angeregt wie sein Titel La nazione del Risorgimento aus dem Jahr 2000. Ob man will oder nicht: Alle nachfolgenden Untersuchungen müssen sich an ihm abarbeiten und mit ihm auseinandersetzen. Mit großer Skepsis rezipiert von denjenigen, die mit strukturgeschichtlichen und eher klassischen politischen Ansätzen arbeiten, mit Enthusiasmus hingegen begrüßt von Forschern, die selbst mit iconological, linguistic, spatial und anderen turns experimentieren. Banti setzt sich zur Aufgabe, Sinn und Bedeutung des damaligen national-patriotischen Wortgebrauchs zu entschlüsseln und konstruiert mit von ihm ermittelten Leitbildern und Themen einen „Kanon“. Dieser wird entwickelt aus Beispielen bekannter und gut rezipierter Literatur sowie aus Geschichtswerken, politischen Schriften der wichtigsten italienischen Intellektuellen, der Historienmalerei und der romantischen Oper.
Bei aller Brillanz einzelner Studien werden nie Fragen nach der Wirkmächtigkeit beziehungsweise Rezeption des „Kanons“ gestellt. Sie wird einfach voraussetzungslos behauptet. Aber reichen wirklich Lieder, Gedichte, romantische Geschichten, Bilder und Opern aus, um Menschen zu motivieren, für einen Nationalstaat zu kämpfen? Wie viele haben überhaupt freiwillig gekämpft und auf welcher Seite? Und wollten die Eliten alle den Nationalstaat, so wie er entstanden ist? Die Masse der Italiener hatte ohnehin existenziellere Sorgen und war kaum motiviert, Haus und Hof zu verlassen, um für eine abstrakte Idee zu kämpfen. Welche Rolle spielten ökonomische und machtpolitische Motive? Wer waren die Gewinner, wer die Verlierer in diesem komplizierten Prozess? Es herrschte unter den politischen Akteuren keineswegs Einigkeit darüber, wie der neue Staat zu gestalten sei und wie weit er sich denn überhaupt geographisch erstrecken sollte.
In der vorliegenden Überblicksdarstellung wird auch einer Gruppe prominent Rechnung getragen, die in älteren Studien noch vernachlässigt wurde: jener tausenden Italiener, die meist unfreiwillig Jahrzehnte ihres Lebens im politischen Exil verbrachten. Diese Exilsituation und die Rückkoppelung ihrer europäischen Diskurse in die Heimat sind in Ansätzen gut erforscht, wobei bisher vor allem transfergeschichtliche Prozesse in Europa und Amerika herausgearbeitet wurden. Zurückgekehrt nach Italien sollten die meist aus den adligen und bürgerlichen Eliten stammenden Exilanten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das liberale Königreich Sardinien-Piemont und das junge italienische Königreich in Schlüsselpositionen entscheidend mitgestalten. Dabei prägten die transnationalen politischen, militärischen und kulturellen Erfahrungen, die sie teilweise jahrzehntelang in den europäischen Nachbarländern gemacht hatten, ihr politisches Handeln nach 1848/49. Aber nicht nur für dieses Phänomen, auch für andere Aspekte der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte werden transnationale, vor allem europäische Transferprozesse im Folgenden Beachtung finden, weil sich auch die Protagonisten souverän im europäischen Rahmen bewegten.
Darüber hinaus vernachlässigen alle aktuellen Bücher zur Geschichte Italiens im langen 19. Jahrhundert weitgehend ökonomische Fragestellungen. Dabei ist die Entwicklung Italiens hin zu einem modernen europäischen Nationalstaat ohne wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte nur eingeschränkt nachvollziehbar. Zum einen waren die wichtigsten Politiker zugleich sehr erfolgreiche adlige Großagrarier, genannt sei hier nur Graf Camillo Benso di Cavour, der erste Ministerpräsident des neuen Nationalstaats, zum anderen war gerade eine sehr erfolgreiche Landwirtschaft Motor für die industrielle Entwicklung. Das Engagement des Adels wird hierbei bislang zu gering gewichtet, dabei spielte er in Italien noch bis weit in das 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle nicht nur als wirtschaftlicher Akteur. Darüber hinaus bewirkte die Industrialisierung im Norden Europas Transformationen der Handelsströme und neue Entwicklungen in der Landwirtschaft des Mezzogiorno, des italienischen Südens. Ohnehin hatten die stark unterschiedlichen agrarischen Strukturen große Auswirkungen auf Vermögensschichtung und Bildung. Die drückende Armut großer Teile der ländlichen Bevölkerung war ein zentrales Problem sowohl für die Einzelstaaten als auch für den jungen Nationalstaat. Sie führte zu beachtlichen nationalen, internationalen und globalen Migrationsprozessen. Und natürlich muss die Frage gestellt werden, wie sich diese (Bildungs-)Armut wiederum auf politische Partizipationsprozesse auswirkte. Das von Giuseppe Mazzini immer wieder beschworene Volk interessierte sich nämlich herzlich wenig für seine politischen Ideen. Darüber hinaus löst die Frage nach den sozialen und institutionellen Gründen für die Rückständigkeit des italienischen Südens immer wieder heftige Diskussionen aus. Historische Faktoren spielen auch in aktuellen Debatten eine eminente Rolle. Zu betonen gilt hingegen aber auch, dass das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg auf langfristigen Wachstumsprozessen beruht, die im frühen 19. Jahrhundert wurzeln. Schließlich fokussieren jüngere Arbeiten Transferprozesse des europäischen Unternehmertums in Italien. Auch diese Forschungen werden im vorliegenden Buch berücksichtigt.
Diese Geschichte Italiens auf dem Weg in die Moderne wäre ohne die materielle und ideelle Unterstützung der folgenden Institutionen und Personen kaum zu realisieren gewesen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte meinen Antrag auf Freistellung von der Lehre großzügig und trug so maßgeblich zum Entstehen des vorliegenden Buches bei. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Christof Dipper, Malte König und Jens Späth. Sie haben als kluge Korrekturleser nicht nur Flüchtigkeitsfehler korrigiert, sondern mit ihren kritischen Kommentaren und kenntnisreichen Anmerkungen einseitige Interpretationen meinerseits vermieden. Amerigo Caruso, Silvia Cavicchioli und Marco Meriggi standen mir jederzeit mit ihrem immensen Wissen über die Geschichte des Risorgimento mit Rat und Tat zur Seite, auch ihnen gilt mein ganz besonderer Dank. Meinem Lehrstuhlteam, allen voran Doris Kurz und Immanuel Geleszus, Junes Arib und Silvain Laschek danke ich für die Erstellung der Register sowie die nicht immer einfache Beschaffung der Bildrechte in Museen und Galerien. Alexander Reverchon erstellte dankenswerterweise die ansprechenden Karten. Schließlich gilt mein Dank Kirsti Doepner vom Böhlau Verlag. Am Rande des Historikertages in Münster hat sie mich nachdrücklich zu diesem Buch ermuntert, das ich schon länger schreiben wollte. Vor allem hat sie nicht die Geduld verloren, da nicht zuletzt wegen der wenig förderlichen Arbeitsbedingungen in der Coronakrise der Abgabetermin des Manuskripts mehrmals verschoben wurde.
Gabriele B. Clemens |
Saarbrücken, im April 2021 |
1. Das Ancien Régime
Das Risorgimento, die Zeit der Nationalstaatswerdung, hatte von jeher eine besondere Bedeutung in der Geschichtsschreibung Italiens. Doch wann beginnt es und wann ist diese Epoche abgeschlossen? Periodisierungen helfen, Geschichte zu verstehen und zu interpretieren: Sie sind zugleich aber immer umstritten und Gegenstand mehr oder weniger gewinnbringender Diskussionen. Es gibt gute Gründe, bei der Betrachtung des Risorgimento mit der Französischen Revolution 1789 anzusetzen, da diese auch die italienischen Staaten in ihren Grundfesten erschütterte und sie aufgrund von Kriegshandlungen sukzessive von der Landkarte verschwinden ließ oder von Grund auf neu gestaltete. Es spricht aber auch viel dafür, mit dem Ancien Régime zu beginnen, da nur vor dem Hintergrund des Wissens um den Zustand der italienischen Staaten vor 1789 die Veränderungen in Folge der Revolution begriffen werden können. Deshalb setzt dieses Buch rund zwanzig Jahre vorher um 1770 an.
In der Frühen Neuzeit gab es keinen italienischen Flächenstaat. Seit dem Untergang des Römischen Reiches war das Territorium in zahlreiche Herrschaften aufgeteilt. Im Norden bildete sich im Mittelalter ein „Wald“ von rund 100 prosperierenden Stadtrepubliken, die jedoch in der Frühen Neuzeit den zu mächtigen Staaten gewordenen Nachbarn jenseits der Alpen keinen Widerstand entgegensetzen konnten und nacheinander von französischen und spanischen Truppen erobert wurden. Schließlich setzten sich in Norditalien die österreichischen Habsburger durch. Allein die ehemals mächtigen Seerepubliken Genua und Venedig konnten sich noch widersetzen und behaupteten ihre Herrschaft über die Stadt und das Umland. Ihre Rolle als Global Player hatten sie im ausgehenden Ancien Régime aber schon lange verloren. Zur Republik Venedig gehörten nur noch Korfu, die ionischen Inseln und Dalmatien. Genua beherrschte weiterhin die ligurische Küste. 1768 sah es sich gezwungen, die Insel Korsika an Frankreich zu verkaufen, da es nicht gelang, die korsische Autonomiebewegung effektiv zu bekämpfen. In Mittelitalien herrschten seit mehr als tausend Jahren die Päpste, im Süden nacheinander Araber, Normannen, Staufer, Franzosen, Spanier und Bourbonen. Nur im Nordwesten vermochten die Savoyer ihre Unabhängigkeit zu bewahren sowie ihr Territorium sukzessive zu vergrößern.
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Italien während des spanischen (1701–1714) und österreichischen Erbfolgekriegs (1740–1748) erneut Objekt von Kriegszügen und der europäischen Diplomatie. Erst mit dem Frieden von Aachen 1748 fanden die häufigen Herrschaftswechsel ein Ende. Es wurde eine territoriale Ordnung geschaffen, die für Stabilität sorgte, den Raum für Reformen bot und nach der französischen Epoche auf dem Wiener Kongress im Großen und Ganzen erneut bestätigt wurde. Der dominante österreichische Einfluss in der Sattelzeit (1750–1850) spiegelte sich nicht nur im Besitz des lombardischen Herzogtums wider, das wie Mantua direkt von Wien aus regiert wurde. Das ebenfalls von den Österreichern beherrschte Herzogtum Toskana war zwar formal unabhängig, doch auch hier war der Einfluss Wiens unübersehbar. Über weite Regionen Mittelitaliens, von Bologna bis nach Gaeta, erstreckte sich der Kirchenstaat, jedoch hatte die Papstherrschaft nach der Renaissance und der Prachtentfaltung im Barock ihren Zenit überschritten. Im Süden schloss sich das Königreich Neapel-Sizilien an, das die größte Insel Italiens als „Nebenland“ mit einem eigenen Vizekönig regierte. Seit 1734 saß eine Nebenlinie der spanischen Bourbonen auf dem Thron, die über familiäre Netzwerke mit Madrid und Wien verbunden war. Maria Karolina (1752–1814), eine der Töchter Maria Theresias (1717–1780), verheiratet mit Ferdinand I. (1751–1825) aus der Linie der spanischen Bourbonen, war eine durchsetzungswillige Königin, die sehr enge Kontakte nach Wien unterhielt. Sie versuchte gemäß den Leitlinien ihres Bruders Kaiser Joseph II. (1741–1790) den Süden zu modernisieren. Auch das Herzogtum Parma und Piacenza war auf dem Aachener Frieden an die spanischen Bourbonen vergeben worden. Maria Amalia (1756–1804), eine weitere Tochter der österreichischen Kaiserin, wurde mit dem Herzog von Parma verheiratet. Es handelte sich dabei um Ferdinand (1751–1802), den Enkel der spanischen Königin Elisabeth (1692–1766), die wiederum aus dem Haus Farnese stammte, das vor dem Aussterben der männlichen Linie in dem kleinen Herzogtum geherrscht hatte. In direkter Nachbarschaft befand sich das Herzogtum Modena unter der Dynastie der Este. Es bildete eine Art Pufferstaat zwischen dem Kirchenstaat, dem Herzogtum Toskana und der Lombardei sowie der Republik Venedig.
Die zweitgrößte Insel, Sardinien, ehemals spanischer und österreichischer Besitz, gehörte seit 1720 zum Königreich Sardinien-Piemont. Verglichen wird dieses Königreich gerne mit Preußen aufgrund seiner militärischen Tradition, seiner fortschrittlichen Verwaltung und seinem allmählichen Aufstieg von einem kleinen Herzogtum in Savoyen zur wichtigen Ordnungsmacht in Norditalien. Doch hinkt dieser Vergleich, denn anders als Preußen war es jederzeit bedroht von Frankreich und Österreich. In der Hauptstadt Turin residierte die Dynastie der Savoyer als einzige italienische Herrscherfamilie. Alle Italiener von den Savoyern im äußersten Norden bis zu den Bewohnern auf Lampedusa im Süden wurden absolutistisch regiert, wobei Kirche und Adel außerordentlich mächtige Stände blieben. In den letzten Jahrzehnten vor den Auseinandersetzungen mit dem revolutionären Frankreich setzten jedoch in der Mehrzahl der italienischen Staaten tiefgreifende Reformversuche ein und das intellektuelle Klima erfuhr entscheidende Impulse von italienischen Aufklärern.
Die Reformbemühungen wurden nach dem Frieden von Aachen 1748 intensiviert. Der Dichter Giosuè Carducci (1835–1907) bezeichnet dieses Jahr symbolisch als Beginn des spirituellen Risorgimento, ein Jahrhundert vor der Revolution von 1848. Doch diese nationalistische Interpretation greift zu weit zurück. Zwar lassen sich in das Vorfeld der Französischen Revolution durchaus Forderungen einzelner Patrioten und Literaten datieren, die eine Nation fordern, aber sowohl die politischen als auch die intellektuellen Eliten agierten noch weitgehend isoliert und auf regionaler Ebene. Darum sollen in diesem Buch die unterschiedlichen einzelstaatlichen Entwicklungen bis zur nationalstaatlichen Einigung berücksichtigt werden, um so gleichzeitige Entwicklungen, aber auch verzögernde Elemente auf dem Weg Italiens in die Moderne zu skizzieren.
In der Forschung besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Geschichte Italiens im ausgehenden 18. Jahrhundert gekennzeichnet war von staatlichen Reformen, an denen sich die europaweit berühmten italienischen Aufklärer aktiv beteiligten, anders als die gleichzeitig publizierenden französischen Aufklärungsphilosophen, die immer eine Staatsferne charakterisierte. In allen italienischen Regionen kam es zu einer Reihe von antifeudalen Maßnahmen, zu Reformen in Justizwesen, Verwaltung und Finanzen, zu Säkularisierungsmaßnahmen (unter Ausnahme des Kirchenstaates) sowie zu humanitären Reformen und mehr Toleranz. Folter und Todesstrafen wurden partiell abgeschafft. Die staatstheoretische Grundlage dieser Maßnahmen bildeten die Naturrechtsdiskussionen mit ihrer Idee vom Herrschaftsvertrag, der allen Untertanen Rechte zusprach. Die großen britischen und französischen Aufklärer Locke, Montesquieu, Voltaire und Rousseau wurden rezipiert, die Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert in Livorno gedruckt mit einer Widmung für den Großherzog der Toskana. Und doch verlief eine charakteristische Trennlinie zwischen den Staaten, die systematisch die besten Köpfe der Aufklärung an den Reformen beteiligten (Lombardei, Toskana, Neapel-Sizilien, Parma-Piacenza und Modena) und denjenigen, die lediglich auf verwaltungstechnische Reformen setzten (Piemont, der Kirchenstaat, die Seerepubliken Venedig und Genua).
Unumstritten ist, ob die habsburgische Lombardei aufgrund der Reformen Maria Theresias und ihres Sohnes Joseph II. das fortschrittlichste Land auf dem Apennin war. Die bedeutenden administrativen Reformen im Bereich der Besteuerung und der Aufbau des berühmten Katasters erfolgten noch unter Maria Theresia, grundlegende Maßnahmen der Säkularisierung wie die Abschaffung der kirchlichen Zensur und der Inquisition unter der gemeinsamen Herrschaft von Mutter und Sohn. Er verfolgte ab 1780 mit der Auflösung der Zünfte und antifeudalen Maßnahmen den Reformweg konsequent weiter, wobei dieses Vorgehen das reiche lombardische Patriziat gegen den Kaiser aufbrachte. Wesentliche Impulse gingen in Mailand von dem Ökonomen Pietro Verri (1728–1797) aus, der in zahlreichen Verwaltungsämtern tätig war. In seinen Schriften konzentrierte er sich auf den Fortschritt im Handel. Von den Physiokraten beeinflusst, versuchte er auf seine Weise, die Handelsfreiheit mit der Entwicklung der Landwirtschaft zu versöhnen. Gemeinsam mit seinem Bruder, dem Dichter Alessandro Verri, gab er die kurzlebige, aber äußerst prominente Zeitschrift Il Caffè (1764–1766) heraus. Voltaire bezeichnete die Gruppe, der auch der Jurist Cesare Beccaria (1738–1794) angehörte, als École de Milan, als Schule von Mailand. Beccaria wurde als radikaler Strafrechtsreformer weit über Italien hinaus rezipiert. Sein auf der Naturrechtsphilosophie basierendes Hauptwerk Dei delitti e delle penne (Von den Verbrechen und Strafen) aus dem Jahr 1764 wurde in 22 Sprachen übersetzt. Der Staat dürfe nur verhältnismäßig strafen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, Gesetze seien konsequent anzuwenden. Die Todesstrafe und Folter lehnte Beccaria ab und im darauffolgenden Jahr wurde Letztere abgeschafft. Als weiteren durchsetzungsfähigen Beamten sei auf Pompeo Neri verwiesen, der den Kataster in der Lombardei realisierte. Er hatte zuvor die Landvermessung im Herzogtum Toskana auf den Weg gebracht. Überhaupt fällt auf, dass in beiden habsburgischen Herzogtümern qualifizierte Beamte aufgrund ihres Expertenwissens agierten. Die Reform des toskanischen Strafrechts war wiederum das Werk des Mailänders Beccaria.
Der Bruder des Kaisers, Leopold I. (1747–1792), und sein Neffe, Ferdinand III. (1769–1824), reformierten als Teil des Familienkartells das Herzogtum Toskana ohnehin nach denselben Grundsätzen. Auch hier wurde die Verwaltung zentralisiert, Zünfte, kirchliche Gerichtsbarkeit und die Inquisition abgeschafft. Hinzu kamen eine Bodenreform zugunsten kleinerer und mittlerer Grundbesitzer, die Entwässerung von Sumpfgebieten in der Maremma, die Abschaffung der Salzsteuer sowie der lokalen Wegegelder. Wie in der Lombardei opponierte das großgrundbesitzende Patriziat, weil die Schaffung eines modernen Beamtentums und die von diesem initiierten Reformen seinen Einfluss bedrohten. Die Abschaffung der Fideikommisse und des Freihandels vermochte es jedoch nicht zu verhindern: Erstere hatten bisher aufgrund eines privilegierten Erbrechts die Besitzzersplitterung verhindert und die zweite Maßnahme beeinträchtigte die sicheren Gewinne auf dem Agrarmarkt. Dennoch dominierte der Adel nicht nur die Ämter in den zentralen Ministerien sowie den Provinz- und Kommunalverwaltungen, denen Leopold I. weitreichende Verwaltungsrechte eingeräumt hatte. Die aristokratischen Eliten nutzten auch konsequent Ämtermonopole in Verwaltung, Militär und Diplomatie sowie ein dichtes Netzwerk von Patronage am Hof, um sich zu bereichern.
Die Schwester Leopolds I. und Josephs II., Maria Karolina, beeinflusste in den Jahren vor der Revolution ihren wenig an den Regierungsgeschäften interessierten Gatten dahingehend, ebenfalls gemeinsam mit den führenden Aufklärern Neapels das Königreich zu modernisieren. Nach 1770 setzte die Politik der Abschaffung von feudalen Privilegien und Reformen gegen die mächtigen Baroni ein. In der Basilikata erfolgte mit der Aufteilung der Domänen eine Bodenreform. Ferner wurde die Macht der Kirche mit der Beschlagnahmung von Klostergütern und der Ausweisung der Jesuiten reduziert. Ein 1782 eingerichteter oberster Finanzrat sollte die finanzielle und steuerliche Rationalisierung fortsetzen. Die Tarife der Binnenzölle wurden gesenkt. Für die Reorganisation der Armee und den Neuaufbau der Flotte konnte Lord John Francis Edward Acton (1736–1811) aus der Toskana gewonnen werden. Der einflussreichste Aufklärer am Hof war zweifelsohne der aus neapolitanischem Adel stammende Gaetano Filangieri (1757–1788), der als Vertreter des paternalistischen Gesetzesstaats schon mit Anfang zwanzig ein fünfbändiges Oeuvre Scienza della legislazione publizierte. Der erste Band seiner „Wissenschaft von der Gesetzgebung“ erschien 1780, der letzte posthum 1791. Europäische Zeitgenossen betrachteten das Werk als grundlegende Philosophie der Verfassung. Auch Filangieri geißelte das Feudalrecht und plädierte für ein auf Vernunft basierendes Rechtssystem. Dieses Werk fand internationale Anerkennung und begründete den Ruhm Filangieris. Nicht nur Johann Wolfgang Goethe suchte auf seiner Italienreise 1787 den Kontakt zum führenden Kopf Neapels, auch Benjamin Franklin, der Filangieris Schriften während seiner Zeit als amerikanischer Botschafter in Frankreich gelesen hatte, stand mit ihm in Briefkontakt. Er schickte dem Rechtsphilosophen seinen Entwurf der amerikanischen Verfassung mit der Bitte um einen Kommentar. Die über 70 Editionen und Übersetzungen von Filangieris Standardwerk im 18. und 19. Jahrhundert trugen entscheidend dazu bei, die italienischen Diskussionen über das Ende des Ancien Régime in den Kontext der europäischen Aufklärung zu integrieren.
Mit Benjamin Franklin verband ein weiterer bemerkenswerter Reformer Süditaliens, Domenico Caracciolo dei Duchi di San Teodoro (1715–1789), ein paralleles Karrieremuster: Beide kamen als Diplomaten mit aufklärerischem Gedankengut in Kontakt, das sie ihr Leben lang prägen sollte. Caracciolos Stationen als Diplomat führten ihn nach Turin, London und Paris, wo er Jacques Necker (1725–1802) und Jean Baptiste d’Alembert (1717–1783) kennenlernte. 1781 wurde Caracciolo zunächst als Vizekönig in Palermo eingesetzt (1780–1786), wo er sich mit Elan für aufklärerische Reformen einsetzte. Im Zentrum seiner Maßnahmen standen eine gerechtere Steuerverteilung und der Aufbau eines Katasters, was der mächtige Feudaladel zu hintertreiben wusste. Immerhin wurden die Privilegien des Adels eingeschränkt. Daraufhin berief die Königin Caracciolo nach Neapel, wo unter seiner Regie der Reformprozess intensiviert werden sollte.
Während die Königin von Neapel ganz gezielt Intellektuelle aus den Akademien und Zirkeln der Freimaurerlogen an den Hof zog und ihnen hohe Verwaltungsämter anvertraute, mussten Aufklärer im Kirchenstaat und im Königreich Sardinien-Piemont mit Verfolgung rechnen. Dennoch setzte auch in diesen beiden Staaten ein Reform- und Modernisierungsprozess ein. Im Kirchenstaat kämpfte Papst Pius VI. (1717–1799) gegen neue Ideen auf religiösem oder philosophischem Gebiet, während unter seinem Vorgänger Clemens XIV. (1705–1774) auf internationalen Druck der intransigente Jesuitenorden abgeschafft worden war (1773). Sein Nachfolger konzentrierte sich auf wirtschaftliche Maßnahmen, die durchaus mit denen in den Nachbarstaaten vergleichbar waren. Die Landwirtschaft sollte mit einer merkantilistischen Politik gefördert werden und auch im Kirchenstaat wurde ein Kataster eingeführt.
Als Musterland straffer moderner Verwaltung galt das Königreich Sardinien-Piemont. Hier hatten die Reformen schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Karl Emanuel III. (1701–1773) eingesetzt. Was Ludwig XV. und Ludwig XVI. im benachbarten Frankreich vergeblich versuchten, gelang den Königen in Turin: den Feudalismus entschiedener zu bekämpfen. Die fiskalischen Privilegien von Adel und Kirche wurden einerseits effizient eingeschränkt, andererseits war das Bündnis zwischen Thron und Altar und Thron und Aristokratie in keinem weltlichen Staat Italiens so eng wie in Piemont. Zwar büßte der piemontesische Adel einen Teil seiner Feudalrechte im 18. Jahrhundert ein, wuchs aber, weiterhin privilegiert durch militärische und administrative Karrierechancen, zu einem staatstragenden Beamtenadel heran. Die überwiegend erst in der Frühen Neuzeit geadelten Familien fokussierten sich loyal auf das Haus Savoyen. Symbolisches Abbild des Aufstiegs der Savoyer war der Ausbau der Residenz in Turin nach dem Vorbild der französischen Prachtarchitektur.
Neuere Studien beschränken sich aber keineswegs darauf, die prominentesten Aufklärer und ihre Werke hervorzuheben. Analysiert werden Kommunikation, Zirkulation von Ideen, akademische Geselligkeit bis hin zur öffentlichen Meinung, außerdem die Geschichte der Editionen und Verbreitung von Büchern, die Geschichte der Bibliotheken sowie der Lektüre. Um das politische und gesellschaftliche Klima jener Jahrzehnte vor der Revolution besser zu erfassen, gilt es, diese Ausnahmeintellektuellen in ihren Rahmenbedingungen zu schildern. Sie waren Teil einer europaweit transnational agierenden Öffentlichkeit, die sich trotz Zensur und Versammlungsverboten ausbildete.
Vor allem die Akademien und Freimaurerlogen nutzten die Eliten, um über aktuelle Themen zu diskutieren. Es entstanden europaweit Netzwerke von Gelehrten und eine dichtere Kommunikation und die Buchproduktion stieg exponentiell. Kommt der Akademiebewegung in diesem Prozess überall eine große Bedeutung zu, so ist sie in Italien allein schon aufgrund ihrer ungleich größeren Zahl und ihren älteren Traditionen etwas ganz Besonderes. Allein für Neapel lässt sich vom 15. bis zum 20. Jahrhundert eine Gesamtzahl von 197 Akademien ausmachen; in Rom sind im entsprechenden Zeitraum 185 Akademien nachzuweisen. In anderen italienischen Metropolen verhielt es sich ähnlich. Vor 1800 lässt sich die Existenz von annähernd 2000 Akademien oder gelehrten Gesellschaften in rund 350 größeren Gemeinden und Städten belegen. Die meisten entstanden im Umfeld von Regierungssitzen oder ehemaligen Hauptstädten: Bologna, Florenz, Ferrara, Mailand, Neapel, Padua, Palermo, Rom, Siena, Venedig oder Verona. Viele Akademien hatten vergleichbare Ursprünge: Zunächst bildeten sich humanistische private Zirkel, oft entstanden aus Freundschaften, in denen eine kleine Gruppe Erfahrungen austauschte, diskutierte, Kontakte zu in- und ausländischen Gleichgesinnten suchte und zudem die Geselligkeit pflegte. Teils handelte es sich dabei um sehr kurzlebige Initiativen, teils entstanden aus diesen privaten Gelehrtenzirkeln aber bedeutende Akademien wie diejenigen Neapels, Mantuas oder Paduas. Kennzeichnend für die frühe Phase sind skurrile Namen wie die Accademia degli Audaci, Accademia dei Cupi, dei Delicati, dei Depressi (Akademie der Tollkühnen, der Finsteren, der Heiklen, der Bedrückten) usw. Wenige Akademien, die sich in dieser Zeit konstituierten, hatten längeren Bestand, wie etwa die berühmte römische Accademia dei Lincei (Akademie der Luchse).
Im 18. Jahrhundert wurden zunehmend wissenschaftlich ausgerichtete Akademien gegründet und eine Institutionalisierung setzte ein mit Satzungen, Ämtern und regelmäßigen Versammlungen. In diese Zeitspanne fiel die Gründung der königlichen Akademien in Neapel (1778) und Turin (1783). Sie zählten zum Typus der staatlichen Gründungen, der ebenfalls europaweit Verbreitung fand. Als Vorbilder dienten die Royal Society in London (1660), die Académie royale des sciences in Paris (1665) oder die Akademien in Berlin (1701), Sankt Petersburg (1724) sowie Stockholm (1739). Diese landesfürstlichen Prestigeobjekte unterschieden sich, was ihre finanzielle Ausstattung und den Ruf der Akademiker anbelangte, beträchtlich von den älteren kleinen meist privaten Ursprungs. Sie achteten streng auf Wissenschaftlichkeit. Weiterhin kam es im 18. Jahrhundert zu einer förmlichen Gründungswelle von Agrarakademien, die sich dem Fortschritt in der Landwirtschaft verschrieben hatten. Es galt, eine rasch wachsende Bevölkerung vor Erntekrisen und Hungerkatastrophen zu bewahren. 1753 gingen die Accademia dei Georgofili in Florenz und die im selben Jahr stattfindende Gründung in Palermo voran, 40 weitere Agrargesellschaften sollten ihnen folgen. Aber nicht nur eine Spezialisierung für Fragen der Agrarwirtschaft lässt sich nachweisen, sondern auch eine für archäologische Forschungen. In Neapel rief der König 1755 die Reale Accademia Ercolanese ins Leben, um die zahlreichen Ausgrabungsfunde von Herculaneum auszuwerten und einer europäischen elitären Öffentlichkeit zu präsentieren. Die von den Akademiemitgliedern publizierten Prachtbände mit den Ausgrabungsergebnissen verschenkte er über Diplomaten an europäische Fürsten. Die wichtigsten italienischen Akademien standen über Korrespondentennetzwerke und Ehrenmitgliedschaften in Verbindung mit den großen Akademien in London, Sankt Petersburg, Stockholm und Paris. Bei der Pariser Académie royale des sciences stellten die Italiener die meisten ausländischen Korrespondenten. Die Publikationen der italienischen Wissenschaftler erfuhren so schneller und effizienter Verbreitung.
Zielten die Akademien nicht direkt auf Gemeinnützigkeit ab, so verfolgten sie doch naturwissenschaftliche und kulturelle Interessen wie die französischen Sociétés savantes (Gelehrtengesellschaften). Gemeinsam war ihnen im 18. Jahrhundert der Glaube an die Aufklärung und den Fortschritt, den sie mit den Mitgliedern der zahlreichen Freimaurerlogen teilten. Sie sind zu den frühesten standesübergreifenden Gesellschaften zu zählen. Die ersten Großlogengründungen dieser international vernetzten Bewegung fanden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland statt. In ihnen versammelten sich Adlige und Bürger, allen voran Diplomaten, Offiziere, Kaufleute, Intellektuelle und vereinzelt hochrangige Kleriker. Nach ihren mystischen Sitzungen, deren Ritual von den mittelalterlichen Bauhütten und der Tradition des Templerordens abgeleitet wurde, trafen sich die Logenbrüder zur Diskussion. Im Vordergrund des weitgehend antiständisch-egalitär geprägten Zusammenseins stand das Ideal einer humanitären Ethik, wobei Wahrheits- und Nächstenliebe, Toleranz und Selbstkritik zur vollkommenen Bildung des Einzelnen führen sollten. Zu einer Welle sehr früher Logengründungen kam es in Neapel, Florenz und Venedig in der ersten Jahrhunderthälfte, worauf die Kirche mit Exkommunikationen und Verurteilungen reagierte. Freimaurer wurden verhaftet und gefoltert. Im milderen Klima des letzten Jahrhundertdrittels setzte eine zweite Gründungswelle ein und es entstanden neue Logen unter anderem in Livorno, Turin, Genua, Mailand, Neapel und sogar in Rom. Eine entscheidende Rolle spielten bei den (Gründungs-) Aktivitäten europaerfahrene Diplomaten, Kaufleute und Militärs sowie die zahllosen Adligen, die während ihrer Grand Tour Italien bereisten. Es gehörte für den europäischen Adel zum guten Ton und zur Ausbildung, eine Kavalierstour zu unternehmen, die sie zunächst nach Paris und dann nach Italien führte. Einerseits lernten sie so die Welt der Höfe kennen, andererseits ging es um kulturelle Erziehung. Gerade in Italien genossen die vermögenden Eliten reichlich Anschauungsmaterial, um ihre ästhetische Erziehung und Kunstkennerschaft voranzutreiben. Abends fanden sie Aufnahme in die elitäre städtische Geselligkeit der Logen und Salons.
Natürlich standen die Logen unter scharfer Beobachtung der Polizei. Wenn sich Eliten in größerer Zahl regelmäßig trafen und über Toleranz, Gleichheit, Geist und Humanität diskutierten, reagierten die Herrschenden alarmiert. Nicht zuletzt wurden die Logen auch genutzt, um politische Seilschaften zu bilden. Die 1768 in Turin etablierte Loge war der Treffpunkt der Offiziere. Der Erbprinz, Viktor Amadeus III. (1726–1796), war dort Mitglied, und der Thronfolger instrumentalisierte die Loge Mystérieuse als eine Art Parallelhof, um gegen seinen alten Vater (Karl Emanuel III., 1701–1773) und dessen mächtigen Minister Giambattista Lorenzo Bogino Stimmung zu machen. Diese wie andere Logen entwickelten sich zum ersten Treffpunkt der aristokratischen Gesellschaft, wo die versammelten „Brüder“ Prestige erwerben und Netzwerke jenseits der starken Familienstrukturen aufbauen konnten.
Europaweit wurde über das Schicksal der Freimaurerei in Neapel diskutiert, wo die junge Königin Maria Karolina ihr Engagement für die Loge einsetzte, um sich vom übermächtigen Einfluss ihres Schwiegervaters Carlo von Spanien und seinem verlängerten Arm, dem Minister Marchese Bernardo Tanucci zu befreien. Ihr Vater, Franz Stephan, ein entschiedener Anhänger der Freimaurerei, war der erste Regent, der einer Loge angehörte und die Erziehung seiner Söhne einem Logenmeister anvertraute. Im süditalienischen Königreich war die Freimaurerei hingegen verboten. 1773 unterstützte die Königin den kaiserlichen Botschafter Josef Wilczek und neapolitanische Adlige dabei, eine große nationale Loge mit dem sprechenden Namen lo Zelo (der Eifer) zu gründen. Zu den Mitgliedern zählte unter anderem Gaetano Filangieri. Als zwei Jahre nach der Gründung bekannt wurde, dass sich junge Kadetten aus dem königlichen Regiment der Loge angeschlossen hatten, beeinflussten der spanische König und Tanucci Ferdinand IV. massiv dahingehend, die Freimaurerei abermals zu verbieten. Es kam zur öffentlich inszenierten Verhaftung von Logenmitgliedern vor den Toren der Stadt auf Capodimonte und zu einem Prozess, der europaweites Echo fand. Den Logenbrüdern wurde Majestätsbeleidigung vorgeworfen, was bei einer Verurteilung zur Todesstrafe führen konnte. Das Verfahren wurde zu einem zähen Machtkampf, denn die Freimaurer waren bestens vernetzt und nutzten ihre internationalen Kontakte, um öffentlich Druck aufzubauen. Schließlich wurde der Prozess eingestellt und die Logenbrüder kamen frei. Maria Karolina wurde als Heroin der Freimaurer gefeiert und der Überfall auf Capodimonte und seine Folgen grub sich bei den Aufklärern in das historische Gedächtnis als Sieg der Vernunft gegenüber Intoleranz und Willkürherrschaft ein.
Die Anhänger der Aufklärung nutzten aber nicht nur Akademien und Logen zum Gedankenaustausch. Sie trafen sich auch in den zahlreichen städtischen Salons und Cafés, wo sie bespitzelt wurden. Die Zirkulation von Ideen erfolgte über eine blühende Briefkultur und vor allem über Printmedien. Für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts ist ein enormer Anstieg von Druckerzeugnissen zu verzeichnen. Die Buchproduktion lag zu Beginn des Jahrhunderts bei 45.000 Bänden und stieg gegen dessen Ende auf 60.000 Werke an. In Neapel waren doppelt so viele Bücher zu kaufen wie hundert Jahre zuvor. Venedig konnte seinen traditionellen Ruf als europäische Hauptstadt des Buchdrucks noch behaupten. Während in anderen italienischen Städten häufig für den lokalen und regionalen Gebrauch produziert wurde, gingen in der Serenissima 60–80 Prozent der Produkte in den Export. Beliefert wurden von Venedig aus Spanien, der süddeutsche Raum, Wien, der Balkan, Griechenland und alle italienischen Staaten. Doch der Zenit der patrizischen Betriebe war überschritten und in den anderen italienischen Staaten war ein sprunghafter Anstieg von Druckereien zu verzeichnen. Wie in Venedig war es vornehmlich patrizisches oder adliges Kapital, das in diesen expandierenden Markt floss. Diese Eigentumsverhältnisse schützten bis zu einem gewissen Grad vor staatlicher Verfolgung. Abgesehen von Venedig dominierten französische Händler aus der Dauphiné den Buchhandel. Sie waren in den wichtigsten italienischen Städten vertreten, wobei sie über Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen den transnationalen Handel im westlichen Mittelmeer organisierten. Importiert wurde vor allem französische Literatur.
Waren die zahllosen, eher risikoscheuen Drucker und Verleger meist Kleinunternehmer mit ein oder zwei Pressen und lange von den Aufträgen des Staats, des Adels und der Kirche abhängig, so entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts ein neuer, politischerer Typ von Druckern und Verlegern, der in der französischen Zeit in höhere Positionen aufstieg. Zensur und Überwachung waren an der Tagesordnung und die katholische Kirche setzte die Werke der französischen und italienischen Aufklärung regelmäßig auf den Index. In der Toskana herrschte noch die größte Freiheit im Verlagswesen. Aber letztendlich ließ sich die Zirkulation von Büchern, erlaubten und verbotenen, nicht verhindern, allenfalls behindern oder verzögern. Die italienischen Eliten besaßen Ende des 18. Jahrhunderts hervorragend sortierte Bibliotheken, in denen die Hauptwerke der europäischen Aufklärung selbstverständlich ihren Platz einnahmen.
2. Italien unter französischer Herrschaft 1789–1814
Die Auswirkungen der großen Revolution, die Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten, waren auch in weiten Teilen Italiens zu spüren. Die Herrschenden schauten gebannt und mit zunehmendem Entsetzen auf die politische Entwicklung im Nachbarland, vor allem als sich die Revolution seit dem Sommer 1792 immer mehr radikalisierte. Sie reagierten mit dem Abbruch der Reformpolitik und (wiederum) verstärktem obrigkeitlichem Druck. Die vormals geförderten Logen mussten schließen, die Zensur wurde verschärft, die politisch Verdächtigen wurden engmaschiger überwacht und eingesperrt. Zahlreiche Anhänger der Revolution flohen nach Frankreich. Maria Karolina in Neapel und Maria Amalia in Parma mussten ohnmächtig hinnehmen, dass ihre Schwester Marie Antoinette auf dem Schafott starb. Dieser und zahllose weitere Morde an französischen Adligen machten nicht nur sie zu erbitterten, auf Rache sinnenden Revolutionsfeindinnen. Darüber hinaus flohen bereits im Sommer 1789 die Brüder des französischen Königs, tausende Adlige, Offiziere und Priester nach dem Sturm auf die Bastille und den Plünderungen der französischen Schlösser in benachbarte Länder, unter anderem in das Königreich Sardinien-Piemont. Dort in Turin agitierten sie gegen die revolutionäre Regierung.
Die bäuerlichen Unterschichten blickten wiederum mit großen Hoffnungen nach Frankreich. Sie wünschten sich, die drückenden Belastungen von Pacht und Steuern abschütteln zu können. Zwar hatte es schon zuvor bäuerliche Erhebungen gegeben, aber durch die schlagartige Abschaffung der Feudalrechte im August 1789 in Paris erhielten ihre Forderungen neuen Auftrieb. Der revolutionäre Funke übersprang die Grenze und 1792 kam es zu antifeudalen Massenprotesten in Piemont, 1793 dann auch im weit entfernten Süditalien. Desgleichen begrüßten einzelne Intellektuelle die liberalen Errungenschaften der Revolution, doch die Mehrheit blieb vorsichtig. Die aufklärerischen Eliten begegneten als Anhänger eines Reformweges der Entwicklung im Nachbarland mit Skepsis und jenen großen revolutionären Ereignissen, die man als Journées bezeichnet, mit ostentativer Ablehnung: etwa dem Sturm auf die Bastille, dem Zug der Marktweiber nach Versailles oder überhaupt jeglichen Protesten der Volksmassen. Nach dem Tod des Königs befürchteten sie nicht umsonst eine weitere politische Radikalisierung.
2.1 Jakobinische Politisierung (1789–1796)
Vergleichsweise klein war die Zahl der italienischen Jakobiner, jenen Anhängern einer radikalen Revolution, die für ihre Ziele auf italienischem Boden kämpften. Ihre berühmteste Gallionsfigur war zweifelsohne Filippo Buonarroti (1761–1837), ein Nachfahre von Michelangelo Buonarroti. Als Sohn einer toskanischen Patrizierfamilie, die enge Beziehungen zum Großherzog der Toskana pflegte, wurde Filippo 1773 Page am Hof. Er studierte Jura in Pisa und entwickelte sich zu einem glühenden Anhänger Jean-Jacques Rousseaus und seiner Ideen vom Gesellschaftsvertrag. Wie andere Patrizier investierte er in den aufblühenden Buchhandel und betätigte sich darüber hinaus als Journalist. Seine Verbreitung revolutionären Gedankenguts führte zu staatlicher Verfolgung, der sich Buonarroti 1789 durch Flucht nach Korsika entzog. Hier setzte er seine publizistische Tätigkeit fort und gab den L’amico della libertà italiana und das Journal patriotique de Corse heraus. Seine radikale revolutionäre Gesinnung dürfte ihn 1792 für den Posten eines Kommissars des Distrikts Corte empfohlen haben. Diesen Kommissaren oblag die Überwachung der politischen Gesinnungen in der radikalen Phase der Revolution. Buonarroti erwarb die französische Staatsbürgerschaft und bekämpfte 1793 die Gegenrevolutionäre Korsikas. Als hervorragenden italienischen Vorkämpfer der jakobinischen Prinzipien schickte man ihn als Revolutionsagenten in seine alte Heimat. Im April 1794 wurde er zum Kommissar der Republik von Oneglia ernannt, die er bis zum 12. Mai 1795 regierte. Diese kleine ligurische Küstenstadt war im Zuge des ersten Koalitionskrieges von Frankreich erobert worden. Oneglia entwickelte sich kurzfristig zum Laboratorium der jakobinischen Reformen und wurde zum Hauptquartier der italienischen Revolutionäre, organisiert nach den Prinzipien einer Republik mit Gütergemeinschaft, unterstützt von den Bauern des Umlandes. Nach dem Ende der Terrorherrschaft wurde Buonarroti vom gemäßigten Direktorium wiederum für seine Ideen einer sozialen Revolution verfolgt. Das von ihm propagierte Konzept einer Mischung aus revolutionärem Patriotismus, utopischem Kommunismus und radikalem Republikanismus war nicht mehr erwünscht. Konnte die kleine patriotische Jakobinerbewegung in diesen Jahren nur wenig ausrichten – auch in den anderen italienischen Städten, etwa in Turin, Bologna, Neapel, Palermo und Rom, wurden alle politischen Aufstandsbewegungen gleich im Keim erstickt –, so bewirkte sie doch langfristig viel für die politischen Diskurse und Bewegungen im 19. Jahrhundert. Von diesen Patrioten, so bezeichneten sich die italienischen Jakobiner selbst, wurde zum ersten Mal die Forderung artikuliert, die Halbinsel in einen Nationalstaat zu verwandeln.
Das Experiment von Oneglia war nur während der kurzen Phase der französischen Jakobinerherrschaft möglich gewesen. Die italienischen Radikalen erhofften sich von weiteren militärischen Interventionen Frankreichs die Befreiung vom „Joch der Tyrannen“. Buonarroti versuchte nach dem Ende der Republik von Oneglia mit allen Mitteln, die Direktoren in Paris zum Eingreifen in Italien zu bringen. Die nun folgenden weiteren Kriegshandlungen brachten dann tatsächlich ganz Italien sukzessive unter die französische Herrschaft, mit Ausnahme Siziliens und Sardiniens, die von den Briten geschützt wurden. Dabei importierten die Soldaten und Offiziere ebenso revolutionäres Gedankengut wie auch Publikationen. Ihre Verheißungen von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ sowie „Krieg den Palästen und Friede den Hütten“ blieben unerfüllt, denn im Prinzip handelte es sich um machtstrategische Eroberungskriege, in deren Folge es zwar zu grundlegenden Reformen und Modernisierungsmaßnahmen kam, jedoch nicht im Sinne der Jakobiner, sondern der liberalen Notabeln.
Die italienischen Fürsten beteiligten sich mehrfach an den europäischen Koalitionen gegen das revolutionäre und napoleonische Frankreich, um sich vor einer weiteren Expansion des mächtigen Nachbarn zu schützen. Doch vergeblich, den Verlust ihrer Herrschaft konnten sie nicht aufhalten. Betroffen war zunächst Piemont, das sich