Frauen schulden dir gar nichts

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Fußnoten

  1. Glasgow University Study, Bericht vom 1. März 2018 auf BBC Online: »Sex attack victims usually know attacker, says study«, https://www.bbc.co.uk/news/uk-scotland-43128350

  2. Quelle: »The Criminal Justice System«, Rape, Abuse & Incest National Network website, https://rainn.org/statistics/criminal-justice-system

  3. Quelle: Boise State Writing Center, https://sites.google.com/a/u.boisestate.edu/socialjustice-training/about-us/our-training/privilege-checklist

  4. Devah Pager, Marked: Race, Crime, and Finding Work in an Era of Mass Incarceration (Chicago: University of Chicago Press, 2009).

»Du bist niemandem Schönheit schuldig. Nicht deinem*r Partner*in/Freund*in/Ehemann*frau, nicht deinen Arbeitskolleg*innen und ganz besonders nicht irgendwelchen Typen, die dir auf der Straße begegnen. Du schuldest sie nicht deiner Mutter, du schuldest sie nicht deinen Kindern, du schuldest sie nicht der Gesellschaft. Schönheit ist keine Miete, die du als weiblich gelesene Person zahlen musst, um deinen Platz in der Welt einnehmen zu dürfen.« Erin McKean

Dieses Zitat hat mein Leben verändert und mich zum Titel dieses Buches inspiriert.

Im Laufe der Geschichte des Feminismus haben sich Frauen dem Thema »Schönheit als Währung« aus verschiedenen Blickwinkeln genähert, und es gibt verschiedene Ansätze dazu. So klärt beispielsweise Naomi Wolfs Buch Der Mythos Schönheit darüber auf, wie fest unsere Schönheitsideale an den Kapitalismus geknüpft sind. Chidera Eggerue zeigt in ihrem Buch What a time to be alone und ihrer #SaggyBoobsMatter-Kampagne auf, dass wir nicht perfekt sein müssen. Und die Trans-Aktivistin Janet Mock erzählt, dass ihr mehr und mehr an Schönheit geknüpfte Privilegien zugestanden wurden, sobald sie ihre Transition begann. In diesem Buch – Frauen schulden dir gar nichts – geht es um meinen Blick auf die Dinge.

Dieser eine Satz hat bei mir so einiges ausgelöst. Ich setzte mich mit meiner eigenen Identität auseinander und das zwang mich dazu, mich und mein Verhalten zum allerersten Mal wirklich genau unter die Lupe zu nehmen. Und so fragte ich mich, warum zur Hölle ich mich eigentlich diesen ganzen teuren, zeitfressenden und manchmal sogar

Schließlich ist ein Objekt etwas, was wir benutzen, ohne uns groß Gedanken darüber zu machen – die Beziehung ist recht einseitig. Und weil Objekte keine eigene Meinung haben sollen, konnten viele Männer nicht angemessen mit meiner Zurückweisung umgehen und beschimpften mich beispielsweise als »frigide«. All das einzusehen, war befreiend und unangenehm zugleich. Also genau so, wie sich Weiterentwicklung meistens anfühlt.

Dieses Zitat zwang mich außerdem dazu, mich mit den Standards, an denen die »Schönheit« einer Person gemessen wird, und damit, was »schön« überhaupt bedeutet, auseinanderzusetzen. In unserer Gesellschaft wird Schönheit danach bewertet, wie weiß, dünn, nicht-behindert und cisgender jemand ist. Ich begriff, wie oft mein eigenes Aussehen mir schon Vorteile verschafft hatte, Vorteile, die man Frauen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, nicht einfach so zugesteht. Ich erkannte, wie privilegiert ich bin. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich, dass ich, ob ich mich nun selbst für schön halte oder nicht, objektiv betrachtet weit oben auf der gesellschaftlichen Attraktivitäts-Skala stehe – und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass ich dünn, nicht-behindert und weiß bin. Wir Frauen wollen uns oft nicht eingestehen, dass wir von diesem »Schönheitsprivileg« profitieren, denn wir haben gelernt, dass wir das nicht dürfen und wir uns auf Komplimente hin lieber selbst schlecht machen sollen, indem wir Dinge sagen wie »Nein,

Es gibt Debatten darüber, ob Attraktivität wirklich ein Privileg darstellt. Denn die Vorteile, die wir dadurch genießen, haben ihre Wurzeln in der Objektifizierung unserer Körper – und von daher nichts mit Respekt zu tun. Meine Schönheit ist sowohl der Grund dafür, dass Menschen mich besser behandeln, als auch das, was zu den traumatischsten Erlebnissen meines Lebens geführt hat. Wenn Männer in der Öffentlichkeit eine attraktive Frau sehen, denken sie sich nicht: »Sie ist hübsch, also werde ich sie nicht belästigen oder sie bis nach Hause verfolgen.« Sondern im Gegenteil. Ich bin ständig auf der Hut, ich warte ängstlich auf den nächsten Mann, der mir aus dem vorbeifahrenden Auto zuschnalzt oder mir etwas in den Drink kippt, den er mir aufgrund meiner »Attraktivität« gekauft hat, und natürlich gehe ich immer noch mal kurz in einen Kiosk, bevor ich mich auf den Weg nach Hause mache, um rauszufinden, ob mir gerade jemand folgt. Die Schlüssel stecken abwehrbereit in meiner geballten Faust, mein Herz rast, ich schaue über meine Schulter, während ich gleichzeitig überlege, was der sicherste Weg nach Hause ist, und zur Not bedeutet das, Geld für ein Taxi auszugeben. So sieht die Realität für die meisten Frauen aus, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich darüber nachgedacht habe, mir eine Glatze zu schneiden, um den größten Teil der sexualisierten

Mir wurde schon als kleines Mädchen beigebracht, wie man Kalorien zählt und dass man sich beim Essen einzuschränken hat und ruhig »Nein« sagen darf. Und zwar bevor ich lernte, wie wichtig es ist, persönliche Grenzen zu setzen, und dass ich »Nein« zu anderen Menschen sagen darf. Was meinst du, was ich daraus über das Frausein gelernt habe?

Ich habe gelernt, dass es wichtiger ist, das Objekt der Begierde zu sein, als dass meine eigenen Begierden erfüllt werden und ich als Mensch respektiert werde. Dank dieser schädlichen Glaubenssätze und meinem geringen Selbstbewusstsein landete ich in einer Beziehung, in der ich nur ausgenutzt wurde. Denn ich war null in der Lage, Grenzen zu setzen, und glaubte fest daran, eh nichts Besseres verdient zu haben. Ich war nur froh, dass mich überhaupt irgendjemand wollte.

Ich denke oft darüber nach, wie mein Leben wohl aussehen würde, wenn ich in dem Bewusstsein aufgewachsen wäre, dass mein Körper in erster Linie mir gehört. Mir ganz allein. Und dass mein Körper nicht zur Freude anderer existiert. Ich frage mich, wie mein Leben so wäre, wenn ich verstanden hätte, dass ich es niemandem schulde, »nett« zu sein oder »perfekt« oder »hübsch« oder »zierlich«. Wenn ich gewusst hätte, dass ich mich keineswegs möglichst klein machen muss, um den winzigen Platz einnehmen zu können, den unsere patriarchale Gesellschaft für Frauen bereithält. Sondern dass ich in aller Gänze die sein kann, die ich bin, egal, was andere Leute über mich sagen – und egal, ob dafür niemals Platz vorgesehen war.

Doch stattdessen machte ich mich klein, ich versteckte mein wahres Ich, um die Bestätigung zu bekommen, die ich glaubte so dringend zu

Und die Unterhaltung zwischen mir und meinem jüngeren Ich könnte ungefähr so ausgesehen haben:

Ältere Floss: Florence, warum stopfst du deinen BH aus und hast schon wieder das Frühstück ausgelassen?

Jüngere Floss: Das mögen doch die Jungs! Dünne Mädchen mit großen Brüsten.

ÄF: Okay, Florence, darf ich mal was dazu sagen?

JF: Klar, was ist denn?

ÄF: Ich kann total gut nachvollziehen, warum du so denkst, aber …

JF: Echt? Alle beliebten Mädchen machen das so.

ÄF: Pass auf, du entscheidest ganz allein, was auch immer du mit deinem Körper anstellen willst. Aber ich halte es für wichtig, dass du die wirklichen Gründe hinter deiner Entscheidung verstehst. Denn das, was du da machst, ist total ungesund. Kannst du mir erklären, warum du Mahlzeiten auslässt? Was ist der Grund?

JF: Weil »nichts so gut schmeckt, wie Dünnsein sich anfühlt«. Ich mach das nicht für die Typen! Mir gefällt einfach, wie das aussieht.

ÄF: Ohgottohgott. Okay, also als Erstes: Ich weiß, du bist gerade im Jahr 2013, aber bei mir schreiben wir gerade das Jahr 2020 und Kate Moss höchstpersönlich hat mittlerweile öffentlich bereut, dass sie das

JF: Ja, aber es ist halt einfach anders bei Ju – oh, warte. Ich denke, das ist unfair so, oder?

ÄF: Genau. Während die Jungs zehn Minuten, bevor sie zur Schule gehen, aufstehen, ihre Schuluniform anziehen, ihr Frühstück essen und losgehen, verbringst du den ganzen Morgen vor dem Spiegel, um dich so zu stylen, dass du exakt diesen Jungen gefallen könntest. Du lässt dein Frühstück ausfallen, um das dünne, hübsche Objekt ihrer Begierde zu sein. Das muss so anstrengend sein. Hast du jemals darüber nachgedacht, was du stattdessen mit deiner Zeit anfangen könntest? Hast du jemals darüber nachgedacht, was sich ändern würde, wenn du einfach so in die Schule gehen würdest, wie du nun mal bist?

JF: Oh wow, so hab ich das noch nie gesehen. Bestimmt wäre es leichter, wenn ich direkt nach dem Aufstehen losgehen könnte … Aber trotzdem, alle beliebten Mädchen machen das halt so, und ich

ÄF: Und warum ist es dir so wichtig, dass du Männern gefällst?

JF: Wollen das nicht alle Frauen? Ich dachte, so funktioniert das Leben halt. Frauen machen sich hübsch, damit Männer an ihnen Gefallen finden.

ÄF: Also glaubst du, dass der Wert einer Frau sich daran bemisst, wie hübsch sie ist?

JF: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber ja, dann glaube ich das wahrscheinlich …

ÄF: Und wenn du also daran glaubst, dass der Wert einer Frau sich daran bemisst, wie hübsch sie ist, was denkst du dann über Frauen, die nicht als hübsch gelten? Schaust du auf sie herab? Hältst du sie für wertlos?

JF: Eigentlich nicht, aber vielleicht …

ÄF: Stylst du dich so, weil es dir gefällt, oder performst du eine gewisse Form von Weiblichkeit, weil du hoffst, dass die Leute dich dann besser behandeln? Nämlich so, wie du insgeheim eigentlich weißt, dass du selbst hübsche Frauen besser behandelst?

JF: OH GOTT, HÖR AUF, MICH FERTIGZUMACHEN!

ÄF: Das geht nicht gegen dich, Floss. Ich benutze diese Fragen, um dich zu spiegeln. Sie zeigen dir, dass du den Hass auf andere Frauen und Weiblichkeit internalisiert hast. Denk darüber nach und beantworte meine Frage.

: Nun, wenn ich ohne Make-up zur Schule gehe und meine Haare nicht mache, höre ich immer, dass ich müde aussehe. Ich werde besser behandelt und wertgeschätzt, wenn ich gut aussehe, deswegen passe ich mich einfach an. Ich versteh schon, was du sagen willst. Es ist nicht fair und Männer können einfach so auftauchen, wie sie nun mal aussehen, bla bla bla. Aber ich bin mir sicher, wenn ich mich hübsch mache und mich so style, wie es den Typen gefällt, dann wird mich einer von ihnen erwählen.

ÄF: Aber warum ist es dir denn so wichtig, dass sie dich erwählen? Warum kannst du nicht einfach zur Schule gehen, um zu lernen?

JF: Ich weiß es nicht. Das ist halt das, was man mir immer gesagt hat – dass ich einen Mann wollen soll. Ich glaube, ich habe mich einfach nie gefragt, warum ich will, dass ein Mann mich »aussucht« oder wo dieser Wunsch herkommt.

ÄF: Dann frag dich das jetzt mal!

JF: Weil das das ist, was alle anderen machen? So wie in den Filmen. Alle Mädchen wollen gut aussehen, damit Männer sie attraktiv finden! Keine Ahnung, das ist halt so.

ÄF: Du hast nicht ganz unrecht, Floss. Natürlich ist es wahrscheinlicher, dass ein Typ dich auswählt, wenn du deine Weiblichkeit so performst und dich so aufhübschst, wie er es attraktiv findet …

JF: Das versuche ich ja die ganze Zeit zu erklären!

ÄF: … aber nicht so, wie du es dir eigentlich wünschst.

JF: Oh.

ÄF: Wenn du erst einen bestimmten Grad an »Schönheit« mitbringen musst, um jemandem zu gefallen, dann wird er dich auf Basis

JF: BITTE WAS? Ich dachte, wir brauchen Männer für einfach alles?

ÄF: Nö.

JF: Aber was ist mit Geld? Ich dachte immer, ich heirate einen reichen Mann …

ÄF: Wenn du das unbedingt willst, klar. Aber du könntest auch erst mal selbst reich werden. Auch du kannst ein reicher Mann sein.

JF: Na gut, okay, aber was ist mit Kindern?

ÄF: Willst du denn überhaupt Kinder? Oder denkst du, du musst welche bekommen, weil unser gesellschaftlicher Wert als Frauen in dieser Gesellschaft nun mal nicht nur nach unserer »Schönheit«, sondern auch nach unserer Fruchtbarkeit bemessen wird? Du bist nicht automatisch nutzlos, nur weil du keine Kinder bekommst.

: Wie – keine Kinder bekommen? Darauf komme ich noch zurück. Aber was ist denn mit Sex und Liebe? Wir brauchen Männer für Sex.

ÄF: Kauf dir einen Vibrator. Außerdem sind Männer nicht die einzigen Menschen, mit denen man eine romantische Beziehung eingehen kann, auch, wenn uns der gesellschaftliche Mainstream das einreden will. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, ob du dich nicht eigentlich von anderen Geschlechtern angezogen fühlst?

JF: Oh scheiße.

ÄF: Was denn?!

JF: Ich wollte immer Frauen und andere Geschlechter daten, aber ich hatte Schiss, es auch wirklich zu machen, weil ich mich ja auch zu Männern hingezogen fühle. Dann dachte ich, dass meine Gefühle für die anderen nicht richtig sein können …

ÄF: Siehst du. Man erzählt uns einfach bei so vielen Sachen, dass wir uns auf Männer verlassen sollen, um glücklich zu werden. Aber wir brauchen sie gar nicht. Und übrigens, meine Liebe, du bist SO WAS VON queer.

JF: Du meinst also, dass ich eigentlich nur dann Männer in meinem Leben brauche, wenn sie zu meinem eh schon großartigen Selbst eine Ergänzung darstellen?

ÄF: GENAU!

JF: Und ich muss mich gar nicht für sie einschränken … weil ich selbst genug bin?

ÄF: JA! Dieses ganze System, was Frauen dazu anhält, sich stundenlang aufzubrezeln und so zu stylen, dass Männer sie möglichst attraktiv finden, ist absichtlich so gestrickt. Und zwar, damit wir all unsere Zeit darauf verschwenden und nicht etwa

JF: Aber warum werden wir Frauen dafür geshamet, wenn wir genauso viel Spaß haben wie Männer? Das klingt nicht besonders fair.

ÄF: Da hast du recht, das ist unfair. Aber es passiert trotzdem. Wenn Frauen nämlich entscheiden, ihr Leben außerhalb der vorgefertigten Geschlechterrollen zu leben, dann stellen sie einen ganzen Haufen jahrhundertealter Unterdrückungsstrukturen infrage – und es gibt leider Menschen, die es ganz schlecht aushalten können, wenn ihre Realität derart auf den Kopf gestellt wird. Vorgeblich, um »Traditionen« zu bewahren, benutzen diese Menschen Scham bzw. Shaming als Werkzeug, um uns kleinzuhalten.

Ein Beispiel dafür ist, wenn Frauen als »Schlampe« bezeichnet werden, wenn sie durchsetzungsstark sind, deutliche Grenzen setzen oder für sich selbst einstehen. Und oft sind es nicht mal Männer, die andere Frauen als »Schlampe« labeln. Wenn wir Frauen uns gegenseitig bekämpfen, ist das das kluge Werk des Patriarchats. Klug deshalb, weil es uns Frauen selbst dazu bringt, die Drecksarbeit zu machen, und es uns gar nicht auffällt, dass es patriarchale Muster sind, deretwegen wir untereinander konkurrieren und uns hassen – anstatt uns zu verbünden.

JF: Moment mal, also sagst du, dass Sexismus und doppelte Standards nur billige Tricks sind, die uns davon abhalten sollen, uns um unser berufliches Fortkommen zu kümmern, unser eigenes Geld zu verdienen, Sex zu haben und unser Leben zu genießen, und uns stattdessen dazu zu bringen, uns gegenseitig zu bekämpfen und uns glauben zu machen, dass wir Männer brauchen und nicht ohne sie leben können?

: Ja, das kommt hin.

JF: Aber ein paar Frauen können trotzdem alles haben, oder?

ÄF: Bei manchen Frauen mag es von außen so aussehen, als könnten sie alles haben, ja. Sie legen eine beeindruckende Karriere hin, haben Sex und vielleicht sogar Kinder – aber sie zahlen einen Preis dafür. Wir werden einfach anders behandelt als Männer. Andere Leute werden sich über dich lustig machen oder dich egoistisch nennen, wenn du versuchst, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wie Männer es tun. Oft genug finden wir heraus, dass wir für den gleichen Job weniger Gehalt bekommen als ein Mann. Genau das wird übrigens auch dir passieren, gleich mehrmals. Stell dich schon mal darauf ein.

JF: Aber warum sollte ich dann überhaupt versuchen, »ich selbst zu sein«, wenn ich dafür eh nur kritisiert und schlecht behandelt werde? Warum kann ich dann nicht einfach so weitermachen wie bisher – Männern Weiblichkeit vorspielen und genau die Rolle spielen, die die Gesellschaft für mich vorsieht –, damit ich weiterhin dafür belohnt werde?

ÄF: Da sagst du was. Ich verstehe, dass du verwirrt bist, und das sind sehr wichtige und richtige Fragen, die du stellst. Für viele Frauen ist es schlicht und einfach ein Weg zu überleben, wenn sie klassische Weiblichkeit und Schönheit performen. Warum also sollte man den Weg des »Man-selbst-Seins« einschlagen, wenn man doch genau weiß, dass es einen viel einfacheren, vorgefertigten Pfad gibt? Noch dazu einen, auf dem man besser behandelt wird und alles, was man dafür tun muss ist, einen Make-up-Pinsel und einen Rasierer in die Hand zu nehmen.

JF: Genau das meine ich!

: Klar, du fällst auf, wenn du hübsch aussiehst. Männer lieben es, wenn du dich klein machst, denn das wertet sie selbst in ihrer Männlichkeit auf.

JF: Also, du meinst, wenn ich mich klein mache und auf meinem angestammten Platz bleibe, dann geschieht das, damit sie ihre männliche Rolle besser spielen können und sich von meinem Selbstvertrauen nicht bedroht fühlen müssen?

ÄF: So sieht es aus.

JF: Nun, das fühlt sich an, als sei es … überhaupt nicht mein Problem? Warum sollte ich mich klein machen, nur, damit sich jemand besser fühlt?

ÄF: Genau, es ist nicht dein Problem. Viele Cis-Typen wissen überhaupt nicht, was sie mit sich anfangen sollen, wenn sie nicht für eine Frau »sorgen« können. Manchmal machen wir die verrücktesten Sachen, um ihren Egos zu schmeicheln. Zum Beispiel tun wir so, als wüssten wir etwas nicht, damit sie es uns erklären können. Unsere Gesellschaft belohnt Frauen, die nicht erst daran erinnert werden müssen, auf ihrem angestammten Platz zu bleiben. Sie liebt Frauen, die still und leise die Geschlechterrollen akzeptieren, anstatt sie immer wieder infrage zu stellen. Man geht leichter durchs Leben, wenn man Männern die Chance gibt hervorzustechen.

Doch Weiblichkeit wird mit »Schwäche« assoziiert, deswegen kann es passieren, dass Menschen uns genau deswegen schlecht behandeln. Man muss nur einmal schauen, wie die meisten Männer reagieren, wenn man ihnen sagt, sie würden sich »wie ein Mädchen« verhalten. Wenn »Mädchen« mit das Schlimmste ist, was man zu einem Mann sagen kann, was für eine Botschaft vermittelt man damit an Mädchen und junge Frauen?

: Wow. Das erklärt, warum ich so stolz darauf bin, dass ich »nicht wie die anderen Mädchen« bin.

ÄF: Genau. Denn »die anderen Mädchen« sind wir alle. Hör auf mit dem Scheiß. Das nennt sich »internalisierter Frauenhass«. Du versuchst, dich so weit es geht von dem Konzept der »Weiblichkeit« zu distanzieren, um damit die Typen zu beeindrucken. Frauen werden oft nicht richtig ernst genommen. Man macht sich über unsere höhere Tonlage lustig. Das geht so weit, dass man Frauen in Medientrainings beibringt, mit tieferer Stimme zu sprechen. Man nennt uns »Schlampe«, wenn wir einen One-Night-Stand mit einem Typen eingehen, und »prüde«, wenn wir es nicht machen. Unsere Silhouette und unsere Kurven werden dafür benutzt, uns Produkte zu verkaufen, die reiche Männer noch reicher machen, aber man sagt uns, dass wir uns bedecken sollen, wenn wir unsere Kinder stillen, und …

JF: Okay, ich hab’s verstanden. Das heißt aber doch, dass ich nicht gewinnen kann, egal, für welchen Weg ich mich entscheide, weil ich eine Frau bin. Gibt es immer einen Haken?

ÄF: Ja.

JF: Das finde ich richtig scheiße.

ÄF: Nicht, wenn du die Perspektive wechselst.

JF: Was meinst du damit?

ÄF: Na ja, wenn du eh einen draufbekommst, egal, was du machst, was für eine Möglichkeit hast du dann?

JF: Einfach das zu machen, was ich will?

ÄF: Ganz genau.

Das Patriarchat profitiert nur davon, dass du deine Kraft nicht entfaltest.