Der Autor
Der Germanist Nicola Bardola wuchs zweisprachig in Zürich auf, wo er auch italienische Literatur und Philosophie studierte. Dank seines vieldiskutierten Romans Schlemm kennt er nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Autor die Gratwanderung zwischen biografischem und fiktionalem Schreiben. Er veröffentlichte Biografien u. a. über John Lennon, Yoko Ono, Ringo Starr und Elena Ferrante, im Herbst 2021 erschien Mercury in München.
Nicola Bardola
BEATNIK, GENIE, REBELL
DIE BIOGRAFIE
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Originalausgabe Februar 2022
Copyright © 2022 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Copyright © 2021 by Nicola Bardola
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,
unter Verwendung eines Fotos von gettyimages/(Allen Ginsberg LLC/Kontributor), München
Redaktion: Dr. Nastasja Dresler
MP · Herstellung: CF
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-28887-7
V001
www.goldmann-verlag.de
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Für Vera Seraina Bardola
Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.
JACK KEROUAC
VORWORT
TEIL EINS
DIE STÜRMISCHE, UNRUHIGE, STUMME, STIMMLOSE STRASSE
BIS IN DIE ZEHENSPITZEN
ZWISCHENSTOPP IN ASHEVILLE
NUR EIN FINGERSCHNALZEN
EIN GROSSER ROMAN ÜBER ALLES
EIN VERRÜCKTER AHAB AM STEUER
WIE EINE AUSGEROLLTE STRASSE
EIN ALLEIN FÜR SICH ROLLENDER STEIN
TEIL ZWEI
DER WIND IN DEN ÄSTEN
DU BIST EIN GENIE, DIE GANZE ZEIT
EITLER KÄFER VOLLER EIGENARTIGER IDEEN
FAHRTWIND UNTERM STERNENHIMMEL
DAS ZIEL EINES JEDEN GETRIEBENEN
EIN HISTORISCHES EREIGNIS
DIE WILDESTEN ALLER ZEITEN
DIE FIRST LADY LIEST JACKS BÜCHER
DIE SUMPFKIEFER VOR DEM NACHBARHAUS
DAS GEFÄLSCHTE TESTAMENT
Nachwort
BIBLIOGRAFIE
BILDNACHWEIS
BILDTEIL
PERSONENREGISTER
»Now’s the Time« – »Die Zeit ist jetzt«, so nennt Charlie Parker seinen Bebop-Blues von 1945. Die Rechte daran verkauft er noch im Studio für 50 Dollar. Die Melodie wird zu einem der bekanntesten Jazz-Standards Parkers. »Now’s the time«, sagt auch Dean Moriarty im Roman On the Road zu seinem Gefährten Sal Paradise. Die Zeit ist jetzt: In der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2021 fällt eine etwa 250 Jahre alte Eiche in Orlando, Florida, um und zerstört beinahe das Jack Kerouac House. Nur die Veranda wird beschädigt. Verletzt wird niemand. Die Kerouac-Stipendiatin, die Dichterin und Essayistin Tanya Grae, ist zum Zeitpunkt des Baumsturzes nicht im Haus. Lokale Medien berichten über den Vorfall und rufen zu Spenden auf. Das einfache Haus mit Holzfassade ist etwa hundert Jahre alt und soll auch noch weitere hundert Jahre an seinen berühmtesten Bewohner Jack Kerouac erinnern. Es befindet sich im idyllischen College Park, in der Clouser Avenue 1418, nördlich vom Zentrum Orlandos.
Jack Kerouac wählt 1957 dieses Cottage im beschaulichen Akademikerviertel, um dem Rummel zu entgehen, der ihn seit der Veröffentlichung des Romans On the Road (Unterwegs) umgibt. Er lebt dort mit seiner Mutter Gabrielle von Juli 1957 bis Frühling 1958 und schreibt die Fortsetzung von Dharma Bums (Gammler, Zen und hohe Berge). Die imposante Eiche nennt Kerouac »Grandfather«, und die Kerouac-Fans und Besucher tun es ihm bis heute gleich.
Seit Herbst 2000 beherbergt das Jack Kerouac House Stipendiaten: Vier Schriftsteller werden im Jahr bedacht und inzwischen sind es über 65 »Writers in Residence«, die hier ungestört jeweils drei Monate lang arbeiten konnten. Sie alle kennen Kerouacs »Großvater« und manche erwähnen ihn in ihren Arbeiten. 2013 wurde das Haus in das National Register of Historic Places aufgenommen. Jacks »Großvater« kann nun nicht mehr bestaunt werden, aber die Erinnerungen bleiben. Vor allem in den USA wird viel unternommen, um Leben und Werk Jack Kerouacs zu würdigen.
Besonders einflussreich ist die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics, die 1974 als Teil der Naropa University in Boulder, Colorado, gegründet wird. Initiator sowohl der Kerouac School als auch der Universität, der einzig staatlich anerkannten Hochschule, die sich auf buddhistische Prinzipien beruft, ist der schillernde, trinkfreudige und westlich orientierte tibetische Buddhist Chögyam Trungpa Rinpoche. International bekannt wird Chögyam, weil er während des Tibetaufstands 1959 zu Fuß über den Himalaya nach Indien flieht. Als er 1970 als Dreißigjähriger, frisch verheiratet und in London ansässig, die USA bereist, knüpft er als Erstes Kontakte zu den dortigen Philosophen und Schriftstellern: »Führt mich zu den Dichtern«, bittet er seine Begleiter. Jack Kerouac ist kurz zuvor gestorben, doch seine Freunde und Verehrer gedenken seiner. Die Dichterinnen Anne Waldman und Diane di Prima, Kerouacs Freund Allen Ginsberg und der Komponist und Künstler John Cage sowie Chögyam selbst sind die Gründer, Namensgeber und ersten Leiter der Kerouac School. Anne Waldman lehrt dort heute noch Creative Writing und viele Absolventen messen ihre Fortschritte immer aufs Neue an dem Werk Jack Kerouacs und setzen sich mit dem Erbe der Beat Generation auseinander. Die Liste der Dozenten an der Kerouac School ist lang und enthält u. a. William S. Burroughs, Ken Kesey, Gregory Corso, Joanne Kyger, Philip Whalen oder Lawrence Ferlinghetti. Anne Waldman führt die Überlieferungslinie weiter: Sie spricht von der »Outride Lineage« und definiert »Outrider« als Dichterinnen und Dichter, die sich außerhalb des akademischen Mainstreams der Dichtung bewegen, aber nicht außerhalb der Welt der Poesie. Man fahre parallel, so Waldman im Sinne Kerouacs. »Disimbodied«, »körperlos«, heißt die Kerouac School einerseits, weil sie zunächst ein Gedankenspiel kreativer Menschen, nicht genrefixiert, experimentell und risikofreudig war und ist. Andererseits erklärt sich der Begriff auch aus den Gegebenheiten ihres Gründungsjahres, wie Waldman erläutert: »Es gab am Anfang wirklich keine Wandtafeln und Hörsäle. Die Schule war zunächst tatsächlich körperlos.«
Anne Waldman, Diane di Prima oder Hettie Jones sind bekannte Autorinnen, die zur Beat Generation gezählt werden. Viele Frauen von damals stehen aber im Schatten der prominenten Beatniks Jack Kerouac, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Herbert Huncke oder Gregory Corso. Nachfolgend kommen zwei Frauen zu Wort, Carolyn Cassady und Joyce Johnson. Beide führten Langzeitbeziehungen mit Jack Kerouac und beide analysierten nachträglich ihre Liebeserlebnisse mit Kerouac, dem »King of the Beats«.
Der Kult um Jack Kerouac ist mit dem um John Lennon vergleichbar. Jack und John trennen 18 Jahre, der Atlantische Ozean und zwei Musikrichtungen. Beide sind aber die kreativen Köpfe in ihren Kreisen, beide sterben jung, beide haben zum Zeitpunkt des Todes ihren schöpferischen Zenit überschritten, beide beschäftigen sich sehr mit sich selbst, beide hinterlassen ein Werk, dessen Faszination nicht nachlässt. Jack Kerouac ist in Amerika eine Ikone wie der junge Elvis, der junge Marlon Brando oder James Dean.
Jack Kerouac öffnet mit seinen Schriften die Türen für künftige Jugendkulturen, damals für die Hippies und die Yippies. Er schaut hinein, sieht nicht seinen Platz darin und bleibt draußen, bleibt bei sich. »Ich weiß, ich bin ein guter Autor, ein großer Autor. Ich bin kein mutiger Mann. Aber eine Sache kann ich, und das ist Geschichten schreiben.« Jack Kerouacs Storys sind auch die Wegbereiter für den Reportage- und Schreibstil des New Journalism. Es ist ein weiter Weg dahin: »Eines Tages werde ich die richtigen Worte finden, und es werden einfache sein«, sagt Jack Kerouac alias Ray Smith im Roman Dharma Bums. Jack Kerouac hat sie unterwegs gefunden, in Bewegung und mit Ausdauer. In seinem bekanntesten Roman On the Road findet folgender Dialog statt zwischen Jack Kerouac (Sal Paradise) und seinem Freund Neal Cassady (Dean Moriarty):
»Sal, wir müssen gehen und nie anhalten, bis wir dort sind.«
»Wohin gehen wir, Mann?«
»Ich weiß es nicht, aber wir müssen gehen.«
Der Zeitschrift Paris Review sagt Jack Kerouac im Sommer 1968: »Ich habe meine ganze Jugend damit verbracht, langsam zu schreiben, mit Überarbeitungen und endlosem Wiederkäuen von Mutmaßungen und Streichungen, so dass ich einen Satz pro Tag schrieb und der Satz kein Gefühl hatte. Verdammt, Gefühl ist das, was ich in der Kunst mag, nicht Schlauheit und das Verbergen von Gefühlen.«
Im Mittelpunkt dieser Biografie steht Jack Kerouacs literarisches Schaffen, seine Suche nach dem eigenen Sound, seine Gefühle für den Tod und für das Leben, das Reisen und das Schreiben.
Nicola Bardola, November 2021