Eine köstliche literarische Feier der Genussfreude und Gastfreundschaft: Ein exquisiter Leckerbissen der Weltliteratur in leinengebundener Neuausgabe – erstmals aus dem Dänischen übersetzt und mit einem exklusiven Nachwort von Erik Fosnes Hansen

Die Französin Babette hat es ins norwegische Dörfchen Berlevaag verschlagen, wo sie jahrein, jahraus ihren Dienst im Haushalt der Pfarrerstöchter Philippa und Martine tut. Dabei ahnen ihre Herrinnen nicht, welches Talent in ihr schlummert: Menschen mit ihren Kochkünsten glücklich zu machen. Babette war ehemals die gefeierte Meisterköchin eines Gourmettempels, des Pariser «Café Anglais». Doch für Schwelgereien und sublime Genüsse scheint im hohen pietistischen Norden niemand einen Sinn zu haben. Bis Babette eines Tages in der Lotterie gewinnt und die Damen samt Gästeschar zu einem echt französischen Festmahl lädt. Und endlich kann sie zur Überraschung aller beweisen, dass auch Norweger nicht vom Knäckebrot allein leben.

Jenseits der realistischen Lesart offenbart Blixens Erzählung eine parabelhafte Botschaft: die der Befreiung des Menschen aus schicksalhaften Zwängen durch die Kunst. «Babettes Gastmahl» liest sich als eine alle Sinne ansprechende Feier kultivierten Genießens. Ulrich Sonnenbergs meisterliche Neuübersetzung, die erste seit vielen Jahrzehnten und aus dem dänischen Originaltext, haucht dem zeitlosen Werk neues Leben ein. Die ideale Gelegenheit, Blixens bezaubernde Geschichte um eine französische Meisterköchin neu kennenzulernen!

Tania Blixen

Babettes Gastmahl

Erzählung

Aus dem Dänischen übersetzt und
kommentiert von Ulrich Sonnenberg

Mit einem Nachwort von
Erik Fosnes Hansen

MANESSE VERLAG

Zwei Schwestern

In Norwegen gibt es einen langen, engen Fjord zwischen hohen Bergen, den Berlevaag Fjord. Am Fuß der Berge liegt Berlevaag wie das Spielzeugdorf eines Kindes aus kleinen Holzklötzchen, die in Grau, Gelb, Weiß, Rosa und vielen anderen Farben bemalt sind.

Vor fünfundsechzig Jahren lebten in einem der kleinen gelben Häuser zwei Schwestern, die ihre erste Jugend längst hinter sich gelassen hatten. Es gab zu dieser Zeit Damen in Berlevaag, die mit Tournüren ausgingen, und die beiden Schwestern hätten sie ebenso anmutig tragen können wie irgendeine dieser Damen, denn beide waren groß, schlank und graziös. Und doch hatten sie ihr Dasein in glücklicher Unwissenheit über die Gebote und die Tyrannei der Mode verbracht, ja, überhaupt über deren Existenz, und waren ehrbar und still in Grau und Schwarz durchs Leben gegangen. Getauft waren sie auf die Namen Martine und Philippa, nach Martin Luther und seinem Freund Philipp Melanchthon. Ihr Vater war Propst und ein Prophet gewesen, Gründer einer frommen und strengen kirchlichen Bewegung, die im ganzen Land bekannt und geachtet, wenngleich auch ein wenig gefürchtet war. Die Anhänger seiner Kirche entsagten den irdischen Freuden, der Welt und all dem, was ihr zugehörte. All dies schienen ihnen nur Trugbilder zu sein, und das wirkliche Wahre, dem sie aus tiefstem Herzen entgegenstrebten, war das Neue Jerusalem. Sie missbrauchten den Namen des Herrn nicht, ihre Rede war ja, ja und nein, nein, und sie nannten einander Brüder und Schwestern.

Der Propst hatte spät geheiratet und war nun schon lange glücklich heimberufen und heimgekehrt. Und seine Jünger wurden mit jedem Jahr weniger, schwerhöriger, weißhaariger oder kahler. Ja, es kam vor, dass sie auch ungeduldiger und aufbrausender wurden und es zu betrüblichem Streit und Unstimmigkeiten in der Gemeinde kam. Und doch trafen sie sich noch immer, um die Worte des Herrn zu lesen und auszulegen und sich an ihren Meister zu erinnern. Sie alle hatten die Töchter des Pastors von Geburt an gekannt und betrachteten sie noch immer als ihre kleinen Schwestern, die ihnen nicht nur um ihres Vaters Willen teuer und lieb waren. Bei ihnen, in dem kleinen gelben Haus, in dem unverändert Frieden und Eintracht herrschte, spürten die Alten den Geist ihres Meisters.

Die beiden Pastorentöchter hatten ein französisches Dienstmädchen mit dem Namen Babette. Dieser Umstand mag sonderbar erscheinen bei zwei sich der Welt entsagenden alten Jungfern in einem kleinen norwegischen Fjorddorf, sodass eine Erklärung erforderlich ist. Die Menschen in Berlevaag fanden diese Erklärung in der Herzensgüte und tiefen Frömmigkeit der Schwestern. Denn die alten Töchter des Propstes widmeten bedenkenlos und ohne sich dessen zu rühmen all ihre Zeit und ihre gesamten bescheidenen Renteneinkünfte den Armen und Unglückseligen dieser Welt; niemals klopfte eine bekümmerte oder notleidende Seele vergeblich an ihre Tür. Und Babette war vor vierzehn Jahren als ein gejagter Flüchtling an diese Tür gekommen, beinahe wahnsinnig vor Kummer und Angst.

Die tatsächliche und eigentliche Erklärung für Babettes Anwesenheit im Haus der beiden Schwestern lag indes mehr als vierzehn Jahre zurück und war weit tiefer in der verborgenen Welt des Herzens zu finden.

Martines Verehrer

Als junge Mädchen waren Martine und Philippa geradezu außergewöhnlich hübsch gewesen, von einer Schönheit der gleichsam leuchtenden, beinahe überirdischen Art wie die blühenden Obstbäume und der ewige Schnee. Man sah sie weder bei Festen noch Tanzvergnügungen, aber die Menschen drehten sich auf der Straße nach ihnen um, und die jungen Männer in Berlevaag besuchten den Gottesdienst, um zu sehen, wie die beiden durch die Kirche schritten. Die jüngere Schwester hatte zudem die hübscheste Stimme, die am Sonntag die Kirche mit Wohlklang erfüllte.

Die irdische Liebe wie auch die Ehe waren für die Gemeinde des Propstes Begriffe ohne größere Bedeutung, menschliche Illusionen. Und doch darf man getrost annehmen, dass mehr als einer der älteren Brüder diese Jungfrauen für weit wertvoller hielt als Perlen und Edelsteine, und bestimmt hatten sie es ihrem Vater auch zu verstehen gegeben. Der Propst jedoch hatte erklärt, seine Töchter würden ihm in seinem Amt die rechte und die linke Hand bedeuten, und wem könnte es wohl einfallen, ihn seiner Hände zu berauben? Die hübschen jungen Mädchen waren im Licht der himmlischen Liebe aufgewachsen und gänzlich davon erfüllt, ihnen bedeuteten die weltlichen Flammen nichts.

Und doch war es geschehen, dass sie zwei Herzen bewegt und beunruhigt hatten; sie hatten in zwei Schicksale aus der großen Welt außerhalb von Berlevaag eingegriffen.

Es gab einen jungen Offizier, der Lorens Löwenhielm hieß und in seiner Garnisonsstadt ein munteres Leben geführt hatte. Er hatte sich so tief verschuldet, dass er sich seinem Vater gegenüber offenbaren musste. Im Jahr 1854, als Martine achtzehn und Philippa siebzehn Jahre alt waren, schickte der aufgebrachte Vater ihn zu einem dreimonatigen Besuch zu seiner alten Tante auf ihr Gut Fossum in der Nähe von Berlevaag, wo er Zeit genug hätte, seinen Lebensstil zu überdenken und sich zu bessern.

Eines Tages ritt er in die Stadt und begegnete Martine auf dem Marktplatz. Er schaute auf die hübsche junge Frau herab, und sie sah zu dem kecken Reiter hinauf. Als sie an ihm vorbei durch die Tür des Propsthauses gegangen war, beschlich ihn das Gefühl, seinen Augen nicht mehr trauen zu können.

In der Familie Löwenhielm gab es die Überlieferung, dass ein männliches Mitglied der Familie vor einigen Hundert Jahren eine Elfe geheiratet hatte, einen weiblichen norwegischen Berggeist, die so hübsch war, dass die Luft um sie herum zitterte und bebte. Seither hatten die Mitglieder der Familie von Zeit zu Zeit Erscheinungen. Der junge Lorens hatte bisher allerdings keine besonderen seelischen Kräfte an sich bemerkt. Doch in diesem Moment stand vor seinem Blick plötzlich die machtvolle Offenbarung eines höheren und reineren Daseins, ohne Zahlungsaufforderungen oder väterliche Ermahnungen, ohne heimliche Schuld oder Gewissensqualen, sondern mit einem sanften Engel mit goldenen Haaren an seiner Seite, um ihn auf den rechten Pfad zu bringen und zu belohnen. Mithilfe seiner gottesfürchtigen Tante verschaffte er sich Zugang zum Haus des Propstes und sah, dass Martine ohne den großen Hut mit den Kinnbändern noch anmutiger war. Er folgte ihrer schlanken Gestalt mit anbetenden Blicken, verspürte aber eine unerwartete, nie zuvor erlebte Verachtung, geradezu einen Abscheu vor der Figur, die er selbst in ihrer Nähe abgab. Er war verblüfft, ja sprachlos bei dem Gefühl, dass ihm nichts einfiel, was er zu ihr sagen sollte, und das Glas Wasser, das ihm am Tisch des Propstes eingeschenkt wurde, lieferte keinerlei Inspiration.

«Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen einander, liebe Brüder», sagte der Propst. «Gerechtigkeit und Freude sollten sich küssen.» Und die Gedanken des jungen Mannes verweilten bei dem Augenblick, wenn er und Martine sich küssen würden.

Er wiederholte seine Besuche wieder und wieder, und es schien ihm, als würde er mit jedem Mal kleiner, unbedeutender und elender. Wenn er am Abend zu seinem hübschen Zimmer auf Fossum heimgeritten war, trat er seine glänzenden Reitstiefel in die Ecke, ja es kam vor, dass er den Kopf auf den Tisch legte und weinte.

Am allerletzten Tag seiner Verbannung unternahm er einen allerletzten Versuch, Martine seine Gefühle zu offenbaren. Bisher war es ihm immer leicht gefallen, ein hübsches Mädchen davon zu überzeugen, dass er sie liebe, nun blieben ihm die glühenden Worte, die tiefer in seinem Herzen saßen als alle Liebeserklärungen jemals zuvor, im Halse stecken, als er in ihr jungfräuliches Gesicht sah.

Er hatte in der Stube des Propstes Lebewohl gesagt, und Martine begleitete ihn mit einer Kerze in der Hand zur Tür; der Schein fiel auf ihren Mund, und ihre langen Wimpern warfen Schatten auf ihre Stirn. Schon wollte er in stummer Verzweiflung aufbrechen, als er plötzlich allen Mut zusammennahm, ihre Hand zu ergreifen und an seine Lippen zu pressen.

«Ich gehe nun für immer fort», flüsterte er, «und ich werde Sie nie, niemals wiedersehen. Denn hier habe ich gelernt, dass das Schicksal hart und unerbittlich ist und es in dieser Welt Dinge gibt, die unmöglich sind.»

Als er in seine Garnisonsstadt zurückkehrte, änderte sich der Charakter seiner Abenteuer, und er bemerkte, dass ihm der Gedanke an seine früheren Ausschweifungen nicht behagte. Wenn die anderen jungen Offiziere sich über ihre Liebesaffären unterhielten, erzählte er nicht von seiner eigenen. Denn von der Offiziersmesse aus gesehen, sozusagen mit den Augen seiner Kameraden betrachtet, war es eine traurige Geschichte. Wie konnte es angehen, dass ein Leutnant der Husaren sich von einem kleinen, einfältigen, gottesfürchtigen Kreis rund um einen bescheidenen Abendbrottisch aus dem Felde hatte schlagen und vernichten lassen?

Der Gedanke beunruhigte ihn, Lorens wurde, als er ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte, beinahe von Panik ergriffen. Gab es doch Wahnsinn in seiner Familie, durch den er fortwährend das Traumbild einer so holden Jungfrau mit sich herumschleppte, dass die Luft um sie herum vor Reinheit und Frömmigkeit zitterte? Er wollte kein Träumer, er wollte wie seine Offizierskameraden sein.

Lorens Löwenhielm riss sich zusammen und beschloss in der größten Anstrengung seines jungen Lebens, zu vergessen, was ihm in Berlevaag widerfahren war. Von nun an, so entschied er, wollte er nach vorn und nicht zurück blicken. Er wollte all seine Energie auf seine Karriere konzentrieren, und der Tag sollte kommen, an dem er in einer glänzenden Welt eine glänzende Figur abgeben würde.

Seine Mutter war zufrieden mit dem Resultat seines Besuches auf Fossum und drückte ihre Dankbarkeit in einem Brief an seine Tante aus. Sie ahnte nicht, auf welch merkwürdig gewundenen Pfaden ihr Sohn seinen hohen moralischen Standpunkt erreicht hatte.

Der ehrgeizige junge Offizier, der in der Dunkelheit der Nacht hin und wieder aufs Neue von seiner Furcht vor einem Traum getrieben wurde, erregte bald die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten und kam ungewöhnlich rasch voran. Er wurde nach Frankreich und Russland entsandt, und nach seiner Heimkehr heiratete er eine der Hofdamen Königin Sophias. In den höheren Kreisen, in die sie ihn einführte, fühlte er sich zu Hause, zufrieden mit sich und seiner Umgebung. Im Laufe der Zeit kamen ihm sogar die Worte und Redewendungen aus dem Heim des Propstes zugute, denn der Ton bei Hofe war zu dieser Zeit sehr gottesfürchtig.

Im Haus des Propstes in Berlevaag kam Philippa bisweilen auf den strahlenden, merkwürdig wortkargen jungen Mann zu sprechen, der plötzlich aufgetaucht und ebenso plötzlich wieder verschwunden war. Ihre ältere Schwester antwortete ihr dann freundlich wie immer mit einem ruhigen und klaren Gesichtsausdruck und lenkte das Gespräch auf andere Themen.