DUSTIN BREITENWISCHER, geb. 1983, ist Juniorprofessor für Amerikanistik an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die (afro-)amerikanische Literatur, Philosophie und Populärkultur.
Hip-Hop entstand als urbane Subkultur Ende der 1970er Jahre in den Armutsvierteln New Yorks und orientierte sich am Jazz, am Funk und an der Discoszene. Heute ist Hip-Hop die einflussreichste Spielart der Popmusik. Wie aber konnte er zu einem globalen Phänomen mit solch immenser kultureller, politischer und wirtschaftlicher Bedeutung werden?
Dustin Breitenwischer erzählt die Geschichte des Hip-Hop am Beispiel von 111 herausragenden Alben – von der Sugarhill Gang bis zu Kae Tempest und von IAM bis zu Haftbefehl. So wird der Band zu einem Listener’s Guide, der zum eigenständigen Nachhören und Erkunden einlädt.
Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.
Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.
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Die Zulu Nation ist bis heute aktiv und mittlerweile eine international agierende Gemeinschaft. Beispielsweise gehört die Heidelberger Gruppe Advanced Chemistry zu den ersten und bekanntesten deutschsprachigen Hip-Hopper:innen, die Mitglieder der Zulus wurden.
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Playing the dozens bezeichnet einen in der afroamerikanischen Kulturgeschichte traditionellen verbalen Schlagabtausch, bei dem insbesondere die weibliche Verwandtschaft des Gegenübers auf absurd-übertriebene Weise beleidigt wird, um die eigene Schlagfertigkeit zu demonstrieren – das englischsprachige Pendant zu den Deine-Mudder-Witzen.
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Jarobi White war nur sporadisches Mitglied der Gruppe.
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Der über viele Jahre affiliierte Rapper Cappadonna wurde erst im Jahre 2007 zu einem festen Mitglied der Gruppe. Das Gründungsmitglied Ol’ Dirty Bastard verstarb 2004.
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Zu Lebzeiten hat The Notorious B.I.G. nur noch ein weiteres Album – das in Titel und Inhalt ebenfalls prophetische Doppelalbum Life After Death – eingespielt, das nur wenige Tage nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Posthum erschienen zwei weitere von Puff Daddy arrangierte Alben, von denen das 1999 erschienene Born Again musikalisch am interessantesten ist.
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GZAs Faszination für Wissenschaft und ihre öffentlichkeitswirksame Präsentation fanden später beispielsweise Ausdruck in seiner von Red Bull produzierten und von Netflix 2017 ausgestrahlten TV-Serie Liquid Science, in der sich der Künstler in elf Episoden verschiedenen Phänomenen der Wissenschaft und Technik, von Erderwärmung bis Roboterentwicklung, widmet.
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Mit der Veröffentlichung seines Albums Magna Carta Holy Grail (2013) schrieb sich Jay-Z fortan ohne Bindestrich. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird in diesem Buch ausschließlich die ursprüngliche Schreibweise verwendet.
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In den Folgejahren kam es dann mit der Gründung des Modelabels Rocawear zum einen zur Ausweitung des hauseigenen Geschäftsmodells, zum anderen aber auch zu einer gewinnmaximierenden Geschäftsbeziehung mit dem erwähnten Plattenlabel Def Jam Recordings. Dabei haben Jay-Z und seine Partner stets darauf geachtet, den eigenen Einflussbereich nicht zu verringern.
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Das ursprünglich vierte Mitglied der Gruppe, Platin Martin, hat die Beginner vor der Fertigstellung von Bambule verlassen, ist aber auf den Tracks »Rock On« und »Geh’ bitte« noch mit Strophenbeiträgen vertreten.
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Und aus dieser Spannung heraus erfuhren Outkast ihren größten Widerstand. »Ah ha, hush dat fuss / Everybody move to da back of the bus / Do you wanna bump and slump wit us? / We da type of people make da club get crunk«, heißt es in dem Track »Rosa Parks«, und während man sich vor dem Hintergrund der poetisch-philosophischen Experimente (insbesondere in den Texten von André 3000) fragen kann, ob hier nicht auf besonders smoothe Hip-Hop-Art-und-Weise das Bewusstsein für die Traditionslinien des Bürgerrechtsprotests in die gemeinschaftsstiftende Kraft des Grooves übersetzt wird, klagte die besungene Parks bis zum Obersten Gerichtshof, denn sie warf der Band vor, ihren Namen willkürlich und ohne politische Motivation angeeignet zu haben. Man einigte sich schließlich auf die Förderung von Bildungsprogrammen im Namen der Bürgerrechtsaktivistin, und so gab sich das dekontextualisierte Sampling eines historischen Moments eine neue Form in der Möglichkeit fortdauernder pädagogischer Kontextualisierung.
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Freundeskreis’ drittes Studioalbum FK 10 aus dem Jahr 2007 ist im Grunde nur ein Best-of mit drei neuen Tracks.
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Der symbolische, kulturelle und ökonomische Wert des 1996 von den Fantastischen Vier gegründeten Labels Four Music für die deutschsprachige Hip-Hop-Community kann gar nicht hoch genug bemessen werden. In der Zusammenarbeit mit Freundeskreis, Blumentopf, Casper, Marteria und vielen anderen Hip-Hop- und Black-Music-Künstler:innen hat Four Music die deutsche Popkultur der vergangenen Jahrzehnte wesentlich mitbestimmt.
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Im Jahr 1996 erschienen bereits wenige Pressungen des letzten Endes gefloppten Underground-Albums Infinite beim Detroiter Label Web Entertainment.
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Zumindest hat Kool Savas auf seinem Best-of-Album aus dem Jahr 2008 alle N-Wort-Passagen in seinem Solo-Track »King of Rap« nachträglich entfernt und das N-Wort bei Liveauftritten
aus seinem aktiven Wortschatz verbannt.
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Im Vergleich zum mittlerweile ebenfalls berühmten »Mein Block«-Remix der Beathoavenz, in dem der Rap und die Musik eher abgesetzt voneinander wirken, bilden Sidos Sprechgesang und die musikalische Untermalung in der Version von Roe Beardie eindeutiger das Verhältnis eines im Hausflur rappenden Querulanten zu seiner Umwelt ab, wie es auch das Musikvideo zeigt.
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Tatsächlich ist die letzte Veröffentlichung von Royal Bunker das 2009 erschienene K.I.Z-Album Sexismus gegen Rechts.
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Siehe Ka(t)e Tempest, Let Them Eat Chaos / Sollen sie doch
Chaos fressen. Lyrik, übers. von Johanna Davids, Berlin: Suhrkamp, 2018.
Hip-Hop ist einer der bedeutsamsten Spielräume für den Kampf um individuelle und kulturelle Selbstermächtigung unserer Zeit. In zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen prägt er unser Verständnis von Coolness, ästhetischem Widerstand und popkulturellem Selbstbewusstsein. Ob im Profisport oder in der Mode, im Film, Fernsehen oder in anderen Musikgenres, Hip-Hop macht seinen Einfluss seit einigen Jahrzehnten universell geltend. Hip-Hop-Musiker:innen wie Jay-Z, Kanye West, Cardi B oder Die Fantastischen Vier führen Medienunternehmen, besitzen Anteile von Sportvereinen, gestalten Modelinien, sie engagieren sich politisch in Bildungs- und Sozialreformbewegungen oder steigen in das Rennen um die US-Präsidentschaft ein. Gleichzeitig bestimmen sie schon seit Jahren die internationalen Charts. Und auf den gängigen Streaming-Plattformen produzieren sie gigantische Klickzahlen, wenn sie jene nicht sogar selbst besitzen. In der 2020 vom Rolling Stone veröffentlichten Liste der 500 besten Alben der Musikgeschichte ist Hip-Hop mit mehr als 60 Alben zum ersten Mal in der Geschichte dieses Kanons das am häufigsten vertretene Genre – Tendenz: steigend. Wie aber konnte diese an Jazz, Funk und der Discoszene orientierte urbane Subkultur, die in den späten 70er Jahren in den Armutsvierteln New Yorks ihre Ursprünge hatte, zu einem globalen Phänomen mit kulturellem, politischem und wirtschaftlichem Führungsanspruch werden? Welche Alben sind dafür verantwortlich, dass sich Hip-Hop im Pop-Mainstream verstetigen und sich gleichzeitig immer wieder neu als avantgardistische Sub- und Gegenkultur erfinden konnte? Und wie hält ein einzelnes Musikgenre, dessen Künstler:innen seit den Anfängen mit an Größenwahn grenzendem Selbstbewusstsein kokettieren, die ständig voranschreitende und oft spannungsreiche Heterogenisierung innerhalb der Popkultur aus, ohne sich dabei bis in die Bedeutungslosigkeit aufzureiben?
Dieses Buch erzählt entlang von 111 Alben eine Geschichte der Hip-Hop-Musik. Dabei soll ein möglichst vielfältiges und dennoch schlüssiges Bild von diesem wohl einflussreichsten Genre der internationalen Popmusik entstehen. Die Auswahl orientiert sich an etablierten Kanons, berücksichtigt dabei aber vornehmlich jene Alben, die im größeren Kontext kulturhistorischer Kommunikation entweder besondere Anschlussfähigkeit bewiesen haben oder mit einem außerordentlichen Avantgardismus bestechen. Zwar geht es hier nicht um die Nacherzählung einer wie auch immer gearteten Einfluss- oder Distinktionsgeschichte, doch es soll diesem Buch gelingen, seine Leser:innen mit einschlägigen Hörempfehlungen zu versorgen und sie dabei gleichzeitig in die Matrix einer der wichtigsten kulturellen Praktiken der vergangenen Jahrzehnte einzuführen. Es ist ein Buch für Fans und jene, die es womöglich noch werden; ein Buch für Insider:innen und Neugierige, angelegt als ein Gang durch die Hip-Hop-Geschichte mit Kopfhörern auf den Ohren.
The Sugarhill Gang
Sugar Hill
Now what you hear is not a test
I’m rappin’ to the beat
Wonder Mike in »Rapper’s Delight«
Wenn die Sugarhill Gang aus den Boxen ertönt, werden in allen Ecken der Welt Hände zum Klatschen, Füße zum Hüpfen und Hüften zum Schwingen gebracht. Das von Sylvia Robinson (der »Mother of Hip-Hop«) produzierte und 1980 bei Sugar Hill Records erschienene Album Sugarhill Gang der gleichnamigen Gruppe hat die Hip-Hop-Musik in die internationale Popkultur katapultiert, bevor überhaupt von einer eigenständigen Hip-Hop-Bewegung die Rede sein konnte. Dabei ist zweierlei besonders hervorzuheben: Zum einen übernahm mit Sugar Hill ein u. a. von Schwarzen Produzent:innen gegründetes Label und mit Sylvia Robinson eine Frau die Pionierarbeit im kommerziell erfolgreichen Hip-Hop; zum anderen wurde mit »Rapper’s Delight« ein Track ins noch unerprobte Feld geführt, der es vermochte, das Beliebte (den Disco-Sound) mit dem Neuen (dem Rap) so zu verbinden, dass Hip-Hop nicht mit einem radikalen Bruch aufwarten musste, sondern geschmeidig erste Gehversuche unternehmen durfte. (Mit dem zwei Jahre später ebenfalls bei Sugar Hill erschienenen The Message von Grandmaster Flash & The Furious Five durfte er sich dann zumindest textlich schon etwas kratzbürstiger zeigen.) Wenngleich die Musik von Sugarhill Gang also im Grunde den Konventionen der Disco-Musik folgt, das Album mit seinen nur sechs Tracks verhältnismäßig kurz ist und es neben »Rapper’s Delight« und seinem berühmten »I said a hip-hop, the hippie, the hippie / To the hip, hip-hop and you don’t stop« keine weiteren Highlights vorweisen kann, vermochten es die Mitglieder der Sugarhill Gang, den neuartig ›gerappten‹ Sprechgesang zu einer anerkannten musikalischen Kommunikationsform zu machen. Mit Sugarhill Gang war der Anfang gemacht: Hip-Hop begann, die Welt zu erobern.
Zum Weiterhören: 8th Wonder (1981)
Grandmaster Flash & The Furious Five
Sugar Hill
Broken glass everywhere
People pissin’ on the stairs, you know they just don’t care
Grandmaster Melle Mel in »The Message«
Nachdem die Sugarhill Gang ein stattliches Stück Hip-Hop aus dem Disco-Marmor der späten 70er Jahre gehämmert hatte, gewährten Grandmaster Flash & The Furious Five der Popwelt einen ersten Einblick in den rauen Mikrokosmos dieses neuen Musikgenres: die Straße. Mit The Message gab die Hip-Hop-Kultur der Popmusik zu verstehen, dass sie mehr zu geben hatte als schwingende Hüften und ein loses Mundwerk. Hip-Hop präsentierte sich fortan (auch) als eine subversive Gegenkultur mit ›Botschaft‹, die sich aus der Armut und sozialen Ausgrenzung ihrer Protagonist:innen speiste und mithilfe deren die Musiker:innen symbolisches und politisches Kapital akkumulieren wollten. Im harmonischen Miteinander von exaltiertem Glamour und exaltierter Härte wurde der Mythos einer unbedingten Realness geboren, einer gleichermaßen wirkungsmächtigen und kompromisslosen Wahrhaftigkeit in Text, Sound und Performance, die Hip-Hop zu einem Modephänomen und einer quasi-missionarischen Widerstandsbewegung im Kampf gegen bedeutungslosen Oberflächenplastikpop stilisierte. Und so tritt das bei Sylvia Robinsons Label Sugar Hill erschienene Debütalbum der furiosen New Yorker vom ersten Takt an mit dem Selbst- und Sendungsbewusstsein einer sozialkritischen Pionierarbeit auf. Zum einen zeigt sich diese in dem vollkommen neuen und von Grandmaster Flash perfekt beherrschten Spiel mit den Plattentellern und der Erzeugung von Breakbeats, zum anderen in der politischen Sprengkraft der teilweise nicht mehr discofreundlichen Texte. Die Hauptbotschaft: Hier geschieht auf allen Ebenen etwas noch nie Dagewesenes. Mitreißend wie ein Bee-Gees-Track und aufrührerisch wie eine Rede von Malcolm X schepperten Tracks wie »The Message« oder »It’s a Shame (Mt. Airy Groove)« fortan aus den Boomboxen und Fernsehgeräten des Kalten-Krieg-Westens. In Lederhosen und Lederkappen, Nietengürteln und -armbändern, Baseballcaps, Paillettenhemden und Cowboystiefeln gekleidet und mit der zarten Naivität der Jackson Five und der poprevolutionären Kraft des Motown-Sounds im Rücken war die Gruppe ein völlig neues ästhetisches Großereignis. Mit The Message braute sich ein Sturm über der Popmusik zusammen. Der Rest ist Geschichte. Jene Geschichte, die in diesem Buch erzählt wird.
Zum Weiterhören: Grandmaster Flash, The Official Adventures of Grandmaster Flash (2002)
Afrika Bambaataa & The Soulsonic Force
Tommy Boy / Warner Bros.
In den frühen 2010er Jahren wurde der Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaataa von mehreren Männern beschuldigt, ihnen sexuell, emotional und psychisch Gewalt angetan zu haben, als sie schutzbedürftige Kinder und Jugendliche waren. Bambaataa wies die Vorwürfe zurück, soll seither aber unauffindbar untergetaucht sein. Unterdessen scheinen sich die Vorwürfe zu verhärten, und so wird an dieser Stelle auf eine würdigende Besprechung von Planet Rock – The Album von Afrika Bambaataa & The Soulsonic Force verzichtet.
Es mag sich angesichts dieser Geschehnisse als zynisch herausstellen, dass Bambaataa die Hip-Hop-Kultur als positive, kreative und sozialreformerische Kraft verstanden wissen wollte. Er verschrieb sich dem Kampf gegen soziale Ungleichheit und rassistisch motivierte Marginalisierung und gründete mit anderen New Yorker Straßengang-Mitgliedern in den 70er Jahren die afrozentrische Universal Zulu Nation, eine Art paramilitärisch organsierte Sozialarbeitermiliz, die u. a. mit Partys, Essensausgaben und Kinderbetreuung in unterprivilegierten Nachbarschaften Ordnung und Perspektiven schaffen wollte. In der Logik von Grandmaster Flash & The Furious Fives The Message sollte Hip-Hop nicht nur Party-Pop, sondern politische Intervention sein. Ausgelassenheit und Selbstdisziplinierung sollten sich nicht gegenseitig ausschließen, und so gab Bambaataa der Hip-Hop-Kultur ihren ganz eigenen Moralkodex, dessen Dogmen fortan die Kultur von der Bronx bis nach Heidelberg prägten.1 Die vier Säulen des Hip-Hop – MCing, Breakdance, Graffiti und DJing – wurden von Bambaataa und seinen Getreuen um eine fünfte ergänzt: Knowledge. Frei nach dem Motto »Wissen ist Macht« setzen die Zulus auf Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und gemeinschaftliche Solidarität. In diesem Kampf um kulturelles, soziales, politisches und ökonomisches Wissen erschien Bambaataa mit geradezu gottgleicher Omnipotenz und machte sich zum Epizentrum einer die Welt auf Jahrzehnte hin erschütternden Sub- und Gegenkultur. Womöglich aber wird er als einer jener Menschen in die Geschichte eingehen, die ihre Macht und ihren Einfluss zum Schaden anderer ausnutzten.
Run-D.M.C.
Profile
This speech is my recital, I think it’s very vital
Run in »It’s Tricky«
Nachdem die Sugarhill Gang sowie Grandmaster Flash & The Furious Five den Hip-Hop erfolgreich in die Popwelt entlassen hatten, entwuchs er Mitte der 80er Jahre nicht nur seinen Kinderschuhen, sondern tauschte sie selbstbewusst gegen ein Paar Adidas Superstars ein. Mithilfe des unwahrscheinlichen, aber umso kongenialeren Produzententeams Russell Simmons (Bruder des Rappers Run) und Rick Rubin sowie ihres Pionierlabels Def Jam Recordings wurde die New Yorker Gruppe Run-D.M.C. (oder auch Run DMC) zum Epizentrum der ersten Professionalisierung und Kommerzialisierung des Hip-Hop. Rubin gründete Def Jam Recordings noch als Schüler. Nachdem DJ-Legende Jazzy Jay ihn Anfang der 80er Jahre zum Hip-Hop gebracht hatte und er kurze Zeit später Simmons kennenlernte, begann die unvergleichliche Erfolgsgeschichte des Labels, das mit LL Cool J, den Beastie Boys und Run-D.M.C. umgehend Speerspitzen der noch jungen Musik im Popgeschäft etablierte. Die Gruppe um den DJ Jam Master Jay und die beiden Rapper Run und D.M.C. hatte sich mit ihren ersten beiden Alben Run-D.M.C. (1984) und King of Rock (1985) bereits nachdrücklich als international einflussreiche Stimme dieses noch jungen Pop-Genres gefestigt, doch fanden sie vollends erst mit Raising Hell und Tracks wie »My Adidas« oder dem oben zitierten »It’s Tricky« in ihren ureigenen Sound, in dem gleichermaßen schwungvoll rhythmisierte und aggressiv geschmetterte Raps und schlaghammerartig wummernde Drum-Beats eine bis dahin ungehörte und, man möchte sagen, unerhörte Symbiose eingingen. Hip-Hop hatte sich vom Disco-Sound der 70er Jahre gelöst und beschallte nun mit kompromisslosen Drum-Computereffekten die schmuddeligen Straßen der Großstädte. Aber es waren Run-D.M.C., die genau diesen Sound von den Straßen ins weltweit sichtbare Flackerlicht des Musikfernsehens überführten. Das Selbstbewusstsein der Gruppe war grenzenlos, und Keepin’ it real hin oder her: Run-D.M.C. verstanden, dass auch Hip-Hop in der selbstbezüglichen Logik des Pop einen Eventcharakter entwickeln und dass sich eine Gruppe als Marke positionieren muss, um den knallharten Gesetzen des Musikgeschäfts standhalten zu können und keine Existenz im finanzschwachen Untergrund fristen zu müssen. Einer Uniform ähnlich, waren sie meist in schwarze Trainingsanzüge, Hüte, verspielt große Goldketten und die immer gleichen weißen, schnürsenkellosen Sneakers gekleidet und verkörperten so die Coolness und das Selbstverständnis der afroamerikanischen Jugend in der Reagan-Ära. Und sie machten Raising Hell zum Ausdruck eines Hip-Hop, der sich selbst nicht genug sein, sondern in Kommunikation mit der ihn umgebenden Popmusik treten wollte. Lange bevor Jay-Z eine Mashup-EP mit Linkin Park aufnahm (Collision Course, 2004) und Mainstream-Hip-Hop sich als Musik verstand und vermarktete, deren Künstler:innen ihre Fühler in alle Pop-Genres und Fangruppierungen ausstreckten, kam es auf Raising Hell zu einer der witzigsten und im Endeffekt sogar gelungensten Hip-Hop-Rock-Kollaborationen aller Zeiten, dem Remake des Songs »Walk This Way« von und mit Aerosmith. Der Track war für beide Gruppen ein Wagnis, das sich auszahlen sollte – und er wäre wohl ohne die Zusammenarbeit der bereits erwähnten Produzenten Simmons und Rubin undenkbar gewesen. Das Ergebnis: ein Beat und ein Gitarrenriff für die Ewigkeit. Und obwohl es sicherlich ein Segen für alle Hip-Hop- und Rockfans ist, dass es nicht sehr viel mehr dieser Kollaborationen gab, ist es ein großes Glück für die Popmusik, dass es zu ebendieser kam.
2002 wurde Jam Master Jay in seinem Studio erschossen, die Gruppe löste sich offiziell auf, und die Ära von Run-D.M.C. endete tragisch, wie es im Hip-Hop leider viel zu häufig vorkommt.
Zum Weiterhören: Run-D.M.C. (1984); Tougher than Leather (1988)
Beastie Boys
Def Jam / Columbia
Your mom busted in and said, ›What’s that noise?‹
Aw, Mom, you’re just jealous. It’s the Beastie Boys!
»Fight For Your Right«
Jetzt gibt’s was auf die Ohren! So viel war klar, als die Beastie Boys nach einer kurzen Karriere als Untergrundpunkband The Young Aborigines das grelle Licht der Hip-Hop-Bühne erblickten. Die Gruppe begann bereits Anfang der 80er Jahre mit Rick Rubin, dem Überproduzenten in spe, als DJ zusammenzuarbeiten, so dass es nur folgerichtig war, dass sie nach Rubins und Russell Simmons’ Gründung von Def Jam Recordings (auf die im vorigen Eintrag zu Run-D.M.C.s Raising Hell näher eingegangen wird) ihren ersten Plattenvertrag als Hip-Hop-Gruppe unterschrieben. Geschickt stellten sich die drei New Yorker Mike D, Ad-Roc und der 2012 verstorbene MCA in den Windschatten der Kollegen von Run-D.M.C. und waren zu Beginn ihrer Hip-Hop-Karriere so etwas wie deren eigenwilliges (weil punkiges und irgendwie nerdiges, weißes) Gegenbild, aber in keiner Weise deren Abklatsch. Rubin schnappte sich die drei jüdischen Bengel und machte sich einen unwahrscheinlichen Spaß daraus, die eigene Arbeit am nur einige Monate zuvor erschienenen Raising Hell noch zu überbieten. Mit den Beasties schuf er einen Sound, dessen ästhetische Sprengkraft sich in erster Linie aus Anarchie, Unkonventionalität und Aufruhr speiste. Provokativ, ironisch und vor allem laut haben die Beastie Boys wie keine Gruppe vor oder nach ihnen nicht nur sprichwörtlich, sondern hörbar den Punk in den Hip-Hop gebracht und so eine Musik geschaffen, die nie moderat war und sich stets dem modernistischen Diktat des Neuen verschrieben hat. Bei den Beasties werden Verse nicht mehr gerappt, sondern gebrüllt, Drum-Effekte nicht einfach gesetzt, sondern mithilfe des berühmten 808-Drum-Computers an die Grenzen des Zerschmetterns hingeworfen, und Melodien und Harmonien werden sich durch kreischende E-Gitarren fast schon selbst unkenntlich. Es genügt, die ersten 30 Sekunden des eröffnenden Tracks »Rhymin & Stealin« zu hören, um zu verstehen, wie originell der Beastie-Sound ist. Ein kurzes Scratchen, bretthartes Schlagzeug, wieder ein Scratchen und dann – lauthals geschrien – der erste Vers: »Because mutiny on the Bounty is what we’re all about.« Bam! Zapp! Da habt ihr’s, Suckers! Hier werden keine Gefangenen genommen, eher wird das Schiff zum Sinken gebracht. Hier rappen drei, die zumindest so tun, als hätten sie nichts zu verlieren außer ihren Humor. Und dazu immer wieder Drums, Drums, Drums, die nie um die Ecke gedacht sind und dennoch brutal außergewöhnlich sind. Ohnehin gibt es bei den Beasties keine unüberbrückbare Kluft zwischen genialischem Wahnsinn und naiv-leichtem Kinderspiel, zwischen komplexen Soundkaskaden und simplen Taktloops. Die Beastie-Ästhetik ist ein nachdrücklich arroganter Tanz auf dem Drahtseil. Der mögliche Absturz ist Teil des Appeals und einer perfekt (in diesem Falle von Rick Rubin) abgestimmten und kalkulierten Choreographie des Anarchischen. Auch darin waren sie wegweisend für nicht minder grenzgängerische Musiker:innen wie Eminem. Nach seiner Veröffentlichung erklomm Licensed to Ill als erstes Hip-Hop-Album Platz 1 der US-amerikanischen Billboard-Charts – was wohl nicht zuletzt auch daran lag, dass sie eben keine Schwarzen Hip-Hopper waren und in einer von Vorurteilen bestimmten Gesellschaft symptomatisch eine breitere Hörerschaft ansprachen. Im Hip-Hop selbst wurden sie hingegen noch längst nicht von allen vollends ernst genommen. Zahlreiche Alben später gab es aber keine Zweifel mehr: Diese drei schwer erziehbaren Punks gehören zum Besten, das je seinen Weg in den Hip-Hop gefunden hat. Das kann man gerne in die Welt hinausschreien.
Zum Weiterhören: Paul’s Boutique (1989); Check Your Head (1992); Ill Communication (1994); Hello Nasty (1998)
Salt-N-Pepa
Next Plateau
C’mon girls, let’s go show the guys that we know
How to become number one in a hot party show
»Push It«
Lange bevor TLC Mitte der 90er Jahre crazy, sexy und cool durch den Grenzbereich zwischen R’n’B und Rap zogen, waren Salt-N-Pepa bereits hot, cool und vicious. In einer Kultur, in der von Beginn an nicht nur Männer, sondern mit ihnen Misogynie und Sexismus den Ton angaben, galt es für eine rein weibliche Band zunächst einmal, sich zu behaupten. Und der Weg zur Selbstbehauptung führte auch im Falle von Salt-N-Pepa am schnellsten über die Provokation. Noch bevor die drei New Yorkerinnen Salt, Pepa und DJ Latoya Hanson (ab 1987 DJ Spinderella) die Popwelt 1991 aufforderten, über Sex zu reden, wirbelten sie mit lasziv-progressiven, also gleichermaßen anrüchigen und aufrührerischen Tracks wie »Push It«, »Tramp« oder »I’ll Take Your Man« den Staub in den von Machismen durchzogenen Plattenregalen auf. Geradezu organisch schlug die Musik Salt-N-Pepas die Brücke zwischen ungeschminktem Hip-Hop-Sprech und einem Tanzpartys zum Durchdrehen bewegenden Pop-Sound. Die kulturelle Ausnahmestellung der drei Pionier:innen ist kaum zu überschätzen, sind sie doch gleichermaßen verantwortlich für die Weiterentwicklung und kritische Selbstreflexion des Hip-Hop und die Initiation weiblicher (genauer: Schwarzer weiblicher) Stimmen, Perspektiven und – insbesondere – Politik innerhalb des noch jungen Musikgenres. (An dieser Stelle muss jenseits von Hot, Cool & Vicious der 1995 erschienene und Dr. Dre persiflierende Track »Ain’t Nuthin’ But a She Thing« erwähnt werden.) Dabei standen Salt-N-Pepa dem ›klassischen‹ Feminismus der 70er und 80er Jahre skeptisch gegenüber, wie insbesondere Tricia Rose in ihrer ebenfalls als Pionierarbeit zu bezeichnenden Studie Black Noise (1994) verdeutlicht. Die Gruppe wurde zwar berühmt für ihre bewusst politischen, weil grenzgängerisch provokativen Texte und Musikvideos, in denen die drei Musikerinnen regelmäßig neue Möglichkeiten suchten, selbstbewusste Weiblichkeit zu inszenieren und klischeehafte Repräsentationen von (Schwarzen) Frauen zu bekämpfen – im Englischen würde man von sex positivity sprechen. Damit wandten sie sich jedoch nicht an den Feminismus einer vornehmlich weißen, akademischen Mittel- und Oberschicht, sondern suchten mithilfe von Drum-Computern, Synthie-Sounds und schmuddeligen Texten auch den (wenn auch konfrontativen) Dialog mit einer ihrerseits von Ausgrenzung und kulturellen Klischees überfrachteten Hip-Hop-Männerwelt. Denn der Kampf, den Musiker:innen wie Salt-N-Pepa, aber auch Queen Latifah oder MC Lyte, zu kämpfen hatten, war ein doppelter, der gleichzeitig gegen die Hegemonie des Patriarchats und einen ebenso die männlichen Musiker affizierenden Rassismus geführt werden musste. Kaum vorstellbar ist der Spagat, den Schwarze Künstlerinnen nicht zuletzt in der Popwelt nach wie vor zu meistern haben. Salt-N-Pepa gelang er bereits 1986 mit dem Debütalbum. Und dies nicht nur crazy, sexy und cool, sondern unverhohlen hot, cool und vicious.
Zum Weiterhören: A Salt with a Deadly Pepa (1988); Blacks’ Magic (1990)
Eric B. & Rakim
4th & Broadway
It can be done, but only I can do it
For those that can’t dance, just clap your hands to it
»I Know You Got Soul«
Es heißt, Eric B. & Rakim hätten gerade einmal eine Woche benötigt, um ihr Debütalbum Paid in Full in den New Yorker Power Play Studios aufzunehmen. Unvorstellbar, selbst wenn man bedenkt, dass die meisten Texte bereits vorverfasst und die Beats und Samples vorkomponiert waren. Unvorstellbar aber nur so lange, bis man hört, wie intuitiv gut DJ Eric B. und sein MC Rakim sind. Hier und da muckt das Album zwar etwas – hier ein Vers, der nicht haargenau auf den Takt passt, da ein Sample, das etwas hölzern in den Beat fällt –, doch man spürt, dass es den beiden Künstlern gar nicht um das perfekte Ausbalancieren von Nuancen geht, sondern um eine Revolution des großen Ganzen: Hip-Hop soll ab sofort so klingen, wie Eric B. und Rakim es verlangen. Basta! Es mag diesem kulturrevolutionären Anspruch vielleicht sogar gedient haben, dass Eric B. und Rakim keine Jugendfreunde, sondern eine kurz vor der Aufnahme von Paid in Full zusammengeführte Zweckgemeinschaft waren. Eric B. wollte eine Hip-Hop-Platte aufnehmen und suchte einen MC. Über Umwege stieß er auf Rakim, der zwar mit Hip-Hop vertraut war, aber eigentlich den Wunsch hegte, Quarterback im Football zu werden. Letztlich ließen sich der DJ und der MC aufeinander ein und machten im wahrsten Sinne das Beste daraus: das schillerndste Album im Golden Age of Hip-Hop. Paid in Full wurde zum Teil in Marley Marls privatem Studio aufgenommen. Marley Marl war bereits in den 80er Jahren eine Radio-DJ-Legende und Gründungsmitglied der legendären Juice Crew, die zum Sprungbrett für Musiker wie MC Shan, Biz Markie, Masta Ace und Big Daddy Kane wurde und den frühen Hip-Hop über Jahre geprägt hatte. In diesem kreativen Umfeld also entstand das Debütalbum von Eric B. & Rakim. Und es wurde schnell zum besten Beweis dafür, dass Hip-Hop nicht nur eine Kooperations-, sondern wahrlich eine Wiederverwertungskultur ist. Und damit ist nicht allein der kongeniale Einsatz von James-Brown-, Funkadelic-, und Jackson-Five-Samples gemeint. Es gibt darüber hinaus kaum eine Hip-Hop-Platte, deren Beats und Rhymes in den Folgejahren für derart viele Samples, Scratches und Cuts im internationalen Hip-Hop herhalten musste wie Paid in Full selbst. Und während Eric B.s Rolle in der Erfolgsgeschichte der Combo zwar keineswegs zu unterschätzen ist, ist da vor allen Dingen Rakim, dieser im Hip-Hop bis heute fast alle überragende MC. Mit gerade einmal 19 Jahren zeigt er sich als lyrischer Großmeister mit einem außerordentlichen Gespür für den Effekt mühelos ineinanderfließender Enjambements. Als könne er nur in Versen denken und sprechen, setzt Rakim Zeile für Zeile derart selbstverständlich in Beziehung, dass man meinen könnte, seine Texte wären gerade nicht das Resultat aneinandergefügter Reimketten, sondern immer schon aus sich herauswachsende Organismen. Er ist ein Ästhet, der auf Inhalt und Form besteht und sich dem klischeehaften Diktat prahlerischer Hip-Hop-Performances konsequent verweigert. Diese Konsequenz macht seinen Rap zu einem metaphysisch anmutenden Spektakel, in dem er mit jedem Vers erkennen lässt, dass er im Herzen immer ein Jazzer geblieben ist, dem das Saxophon John Coltranes näher ist als der Sprechgesang eines Kurtis Blow. Eric B. hatte das große Los gezogen, als er sich dafür entschied, seine Mainstream-Karriere als DJ an den Rap des zunächst zögerlichen Rakim zu binden. Mit Paid in Full brach das Duo mit dem Drum-Machine-Stakkato-Rap-Einerlei seiner Zeit und schenkte dem Hip-Hop den Flow.
Zum Weiterhören: Follow the Leader (1988); Rakim, The 18th Letter (1997)
Ice-T
Sire
6 in the morning, police at my door
Fresh Adidas squeak across the bathroom floor
»6 ’N the Mornin’«
Crime pays, ›Kriminalität zahlt sich aus‹. So lautet die Devise in einer von Zynismus zerfleischten Welt, in der man schlicht selbst schuld ist, wenn man versucht, sich mit einem rechtschaffenen Leben über Wasser zu halten. Das schnell verdiente Geld findet sich andernorts, und zwar im undurchsichtigen Bereich des Illegalen. Aber, so mag man tröstend entgegensetzen, auch die Produktion eines Hip-Hop-Albums kann sich bezahlt machen, sollte man das nötige Talent für Sprechgesang haben. Zudem bietet gerade der Hip-Hop seinen Künstler:innen die besondere Möglichkeit, die eigene, oftmals von Kriminalität und ihren juristischen Konsequenzen geprägte Erfahrungswelt musikalisch zu verarbeiten, um daraus wiederum völlig legal Profit zu schlagen: Rhyme pays lautet dann die Devise, und im noch jungen Hip-Hop der 80er Jahre wusste dies kaum jemand so gut für sich zu nutzen wie der in Los Angeles aufgewachsene Ice-T. Mit ihm zogen der brandgefährlich anmutende Gangster und der faszinierend smoothe Zuhälter, der sogenannte Pimp, in den Hip-Hop ein. Während Eric B. & Rakim sich im weit entfernten New York daranmachten, den Hip-Hop-Sound zu revolutionieren und ihm den Disco-Muff früher Jahre auszutreiben, machte Ice-T den hybriden Typus des urbanen Soziopathen zur kulturellen Kontrastfolie in einer Welt, in der eine kaum mehr zu bändigende Wirtschaft die soziale Ungleichheit und die urbane Ghettoisierung unverhältnismäßig befeuerte. Dabei war der Gangster-Pimp Ice-Ts eine gleichermaßen authentische und durch und durch stilisierte Figur, die sich modisch, habituell und ohne viele Umschweife in das prüdere Arsenal poptauglich frisierter Figuren einfügte. In einer optisch und musikalisch ansprechenden Mischung aus Blaxploitation- und Gangbanger-Ästhetik feierte Ice-T in einer sich an Sexismus und Hypermännlichkeit labenden Kultur das transgressive Moment, das die Verschränkung von Kriminalität und Kunst der Popkultur bereitet. Vor dem Hintergrund einfacher, aber keineswegs einfältiger Beats, kalifornisch leichter Melodien und mithilfe einer Stimme, die so geölt dahingleitet wie der Pferdeschwanz des Rappers, geht es in Rhyme Pays in jedem Track darum, der hässlichen Wahrheit der Straße mit einer gewissen Eleganz zu trotzen und ein wenig Glamour und Extravaganz in eine in der Außenwahrnehmung gänzlich von Glamour und Extravaganz befreite Lebenswelt zu bringen. Ice-T verschreibt sich kompromisslos dem Verdikt, Kriminalität zahle sich aus, und übersetzt es in einen Hip-Hop-Sound, der zum einen dem knallharten Guerilla-Stil von N.W.A und der selbstironischen Player-Inszenierung eines Big Daddy Kane den Weg ebnen sollte und dabei zum anderen mit einer Offenheit bestach, die Genregrenzen obsolet und den fulminanten Crossover-Thrash-Metal-Rap von seiner Gruppe Body Count möglich werden ließ.
Zum Weiterhören: O. G. Original Gangster (1991); Body Count, Body Count (1992)
EPMD
Fresh
Relax your mind, let your conscience be free
And get down to the sounds of EPMD
Erick Sermon in »You Gots to Chill«
Ein Jahr nachdem Eric B. & Rakim mit Paid in Full den Hip-Hop in den Grenzbereich eines erhöhten ästhetischen Anspruchs getrieben hatten, gaben EPMD ihm mit ihrem Debütalbum den letzten Stoß. Dabei ging es den beiden Rappern Erick Sermon und Parrish Smith (die ihrem Crewnamen entsprechend angetreten sind, um Kohle zu machen: EPMD = Erick and Parrish Making Dollars) nicht um künstlerisches Kleinklein, sondern Strictly Business. Und das Geschäft wird am ehesten dadurch belebt, dass man der Musik unverhoffte Impulse gibt. Auch EPMD ließen den lieblichen Disco-Sound der frühen 80er Jahre deutlich hinter sich und speisten ihren samplelastigen Hip-Hop mit den Klängen progressiver Rockmusik. Das Ergebnis war ein funky Mix aus pumpenden Beats, groovigen Riffs und herzerfrischendem Party-Rap. Strictly Business ist eine jener besonders nachdrücklichen musiktherapeutischen Interventionen, die dem Hip-Hop Ende der 80er Jahre seine Kinderkrankheiten nahmen. Und der eine oder andere Dollar dürfte für EPMD auch abgefallen sein.
Zum Weiterhören: Unfinished Business (1989)
MC Lyte
First Priority Music / Atlantic
Lyte as a rock, or should I say a boulder
Rolling down your neck, pounding on your shoulders
»Lyte as a Rock«
Im Golden Age beschleunigte Hip-Hop immer aggressiver auf der popkulturellen Überholspur. Hip-Hop war jung, hungrig und hatte noch unzählige Meilensteine und Nova vor sich. In diesen Möglichkeitsraum unverhoffter Entwicklungen trat MC Lyte. Mit gerade einmal siebzehn Jahren war die gebürtige New Yorkerin nicht nur die jüngste, sondern überhaupt die erste weibliche Rapperin, die ein Soloalbum veröffentlichte. Konsequent mäandernd zwischen pumpendem Party-Rap, aufmüpfigem Battle Rap und feministischem Conscious Rap ist das Album das Werk eines Wunderkinds, das bereits besonders sensible Sensoren für die Bedürfnisse seiner Kultur ausgebildet hatte und in den im weiblichen Rap noch nicht besetzten Bereich zwischen Salt-N-Pepas lasziv-aufrührerischem und Queen Latifahs aktivistisch-politischem Hip-Hop trat. MC Lyte half mit ihrem Debüt aber nicht nur dabei, weiter Licht ins Dunkel dieses von Männern und Stereotypen dominierten Musikgeschäfts zu bringen: Lyte as a Rock besticht mit einer ganz eigenen Schwerkraft und ist insofern wahrlich kein Leichtgewicht. Denn während Eric B. & Rakim dem Hip-Hop den Flow gaben, bescherte MC Lyte ihm eine ordentliche Portion Freshness und hatte nicht zuletzt mit einem der wichtigsten Diss-Tracks aller Zeiten, dem oft zitierten und gesampelten »10 % Dis«, ihren unumstrittenen Anteil daran, das Ansehen und das Selbstverständnis dieser schon bald als Goldenes Zeitalter in die Geschichte eingehenden Ära des Hip-Hop ordentlich aufzubürsten.
Zum Weiterhören: Ain’t No Other (1993)
N.W.A
Ruthless/Priority
As I leave, believe I’m stompin’
But when I come back, boy, I’m comin’ straight outta Compton
Ice Cube in »Straight Outta Compton«
Seit dem Ende der 80er Jahre hat kaum ein Album die Welten dies- und jenseits der Hip-Hop-Kultur derart auf den Kopf gestellt wie Straight Outta Compton der aus Los Angeles stammenden Gruppe N.W.A. Mit ihrem ersten – finanziell erfolgreichsten und kulturhistorisch nachhaltigsten – Studioalbum präsentierten die Rapper, Musiker, DJs und Produzenten Ice Cube, Eazy-E, MC Ren, Arabian Prince, Dr. Dre und DJ Yella einen Hip-Hop, der zwar nicht das Ende der Jheri Curls (jener so beliebten Dauerwellenfrisur), wohl aber das des Disco-Hip-Hop besiegelte und so den Straßenrap in noch unbekannte Gefilde zu lotsen wusste. Dabei erscheint Straight Outta ComptonUSAStraight Outta ComptonStraight Outta ComptonStraight Outta ComptonStraight Outta Compton
Zum Weiterhören: Eazy-E, Eazy-Duz-It (1988); Ice Cube, AmeriKKKa’s Most Wanted (1990); Dr. Dre, The Chronic (1992)