Thomas Hohn
Das
undenkbare
Universum
Meister Eckhart
und die Erfindung des Jetzt
Historischer Roman
Hohn, Thomas: Das undenkbare Universum. Meister Eckhart und die Erfindung des Jetzt, Hamburg, acabus Verlag 2022
Originalausgabe
EPUB-ISBN: 978-3-86282-823-4
PDF-ISBN: 978-3-86282-822-7
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Print-ISBN: 978-3-86282-821-0
Lektorat: Michael Haitel
Korrektorat: Lilly Pia Seidel, acabus Verlag
Satz: Katharina Breu, acabus Verlag
Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, acabus Verlag
Umschlagmotiv: Sonne © LollaDesign/stock.adobe.com;
Sterne © designed by freepik.com; Hintergrund © pixabay.com
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Hermannstal 119k, 22119 Hamburg
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© acabus Verlag, Hamburg 2022
1. Auflage 2022, acabus Verlag Hamburg
Alle Rechte vorbehalten.
http://www.acabus-verlag.de
Inhalt
„Köln, Sommer 1326“
„Erfurt, Frühjahr 1272“
„Ende März, 1274“
„Herbst 1276“
„Frühjahr 1277“
„Frühjahr 1280“
„Trier, Frühjahr 1281“
„Frühjahr 1283“
„September 1293“
„Februar 1298“
„Pfingsten 1303“
„Sommer 1303“
„Anfang März 1304“
„Frühjahr 1305“
„Frühjahr 1306“
„Mai 1310“
„Juli 1311“
„Sommer 1313“
„Dezember 1325“
„Frühjahr 1326“
„26. September 1326“
„Januar 1327“
„Sommer 1327“
„Der Autor“
Köln, Sommer 1326
Hastig kratzte der Gänsekiel über das Pergament. Eile war geboten. Immer wieder warf er einen nervösen Blick zur Tür, während er seine Worte auf das Pergament bannte.
Sie würden gleich da sein. Es gab kein Entkommen. Nicht für ihn. Wütend ballte er seine Faust. Wie konnten sie es wagen?
Vielleicht gelang dieser Schrift die Flucht, vermochten diese Buchstaben Weisheit und Licht in die Dunkelheit zu tragen, wenn er es nicht mehr vermochte.
Unten im Haus polterte es. Erschrocken hielt er inne, lauschte.
Es blieb still.
Nichts.
Schnell schrieb er weiter, fügte Buchstaben zu Wörtern, Wörter zu Sätzen, wob seine Gedanken in sie hinein. Sie waren Melodien, die in seinem inneren Universum Form annahmen, wie eine leise Musik, die aus dem Nichts in ihn hineinfiel. Selbst jetzt, trotz all seiner Angst, spürte er das Wunder.
Schritte. Rasche, schwere Schritte.
Hatten sie es so eilig, ihn zu holen? Wenn er es nur rechtzeitig schaffen könnte. Verzweifelt schaute er auf das Geschriebene. Er war fast fertig. Mit zittriger Hand nahm er noch einmal das Tintenhörnchen aus der vorgesehenen Pultfassung und tauchte den Kiel in das rußige Nass.
Krachen. Die Tür zu seiner Zelle flog auf.
Erschrocken von der Wucht des Eindringens glitt ihm die Tinte aus den Händen. Das Schwarz ergoss sich über den Boden, glänzte wie eine sternenlose Nacht. Eckhart starrte zur Tür.
Aber es waren nicht die erwarteten Häscher, nicht die Boten des Todes und der Unwissenheit. Goswin, der Gute, stand im Rahmen. Atemlos. Der große, überaus korpulente Mann füllte den gesamten Türrahmen, sein Gesicht war puterrot.
»Ihr habt mich gerufen, Magister«, stieß er hervor. »Das wäre allerdings kaum nötig gewesen, die Stadt ist wegen Euch in Aufruhr. Ich bin so schnell gekommen, wie es mir möglich war.«
»Dank dir für dein eiliges Kommen. Einen kurzen Moment noch, bitte.«
Meister Eckhart setzte die Feder erneut an, diesen letzten Satz wollte er noch vollenden, dann musste es reichen.
»Sie sind schon unterwegs, Magister, ich habe sie gesehen, wie sie am Bischofspalast aufgebrochen sind. Sie werden jeden Augenblick hier sein.« Sorge stand in Goswins rundem Gesicht.
Meister Eckhart schnaubte. Der Bischofspalast. Der Palast war seines Namens nicht wert. Dort wohnte kein Erzbischof. Die Kölner hatten ihre Erzbischöfe in einem Streit vor etwa vierzig Jahren kurzerhand vor die Tür und damit vor die Stadttore gesetzt. Sie residierten seitdem im südlichen Umland von Köln.
Doch ein Erzbischof blieb ein Erzbischof, das galt auch in Köln und so hatte dieser immer noch weitreichende Befugnisse innerhalb dieser Mauern. Leider. Über klerikale Fragen saß man in dem »Saal« zusammen, wie die Kölner das Innere des verwaisten Bischofspalastes nannten. Auch in Fragen der Häresie. Nicht wenige ereilte an diesem Ort das Todesurteil. Seine Zelle im Studium generale der Stolkgasse war nur ein Katzensprung von dem »Saal« entfernt. Keine Frage, sie würden jeden Moment hier sein. Eckhart konzentrierte sich auf sein Schreiben.
Sei ledig aller Angst. Habe allezeit acht auf dich und deinen Sinn, soweit es nur möglich ist.
Herr Gott, du seiest gelobt ewiglich. Amen.
Wie weit war er in diesen Momenten von dem entfernt, was er selbst lehrte. Er seufzte, trocknete die frische Schrift mit etwas Sand und blies die Körner vom Pergament. Ein Sonnenstrahl fand seinen Weg in die Zelle, ließ den Sand kurz aufblitzen, ein Schauspiel, das sogleich wieder erlosch. Es blieben einzelne Sandkörner, die sich über den Boden ausbreiteten. Würde auch sein Wirken im Staub der Geschichte verschwinden?
Er gab sich einen Ruck. Jetzt war keine Zeit für Sentimentalitäten. Hastig raffte er die losen Pergamente zusammen.
»Hier, guter Goswin. Schaffe sie fort, schnell. Der werte Herr Tauler wird wissen, wie es zu verbergen ist.« Mehr zu sich selbst murmelte er: »Hoffe ich zumindest.«
Von unten waren aufgeregte Stimmen zu hören. Sie waren da. Daran gab es keinen Zweifel mehr.
»Schnell, Goswin. Hinten raus!«
Goswin konnte zwar weder lesen noch schreiben, aber er hatte schon oft bewiesen, dass er der Richtige für solche Aufgaben war. Mit einem Sprung war er bei der zweiten Tür und rannte mit einer Behändigkeit die Hintertreppe hinunter, die bei seinem Gewicht niemand vermutet hätte.
Eckhart atmete durch und stützte sich auf das hohe Schreibpult. Er konnte nur hoffen und beten, dass sie niemanden an der Hintertür postiert hatten und Goswin mit den Schriften entkommen konnte. Er schüttelte seinen Kopf. In was war er da bloß hineingeraten?
Sein alter Lehrmeister in Erfurt hatte einst gesagt: »Ein Gedanke langt aus, die ganze Welt zu verändern.« In diesem Fall wehrte sich die Welt allerdings gegen die Veränderung, und zwar mit Krallen und Klauen. Es klopfte an der offenen Tür.
Die heilige Inquisition war da.