Seit langer Zeit trägt Herodot allgemein den Ehrentitel des Vaters der Geschichte. Er verdient diesen Namen nicht sowohl wegen des Alters seiner Schrift, der ältesten historischen, die wir von Griechen besitzen, als vielmehr wegen seiner vortheilhaften Auszeichnung vor Allen, die vor ihm für die Geschichte gearbeitet hatten, namentlich durch den Umfang und Reichthum des Stoffes, den er gesammelt bat, und durch die Zweckmäßigkeit und Schönheit der Form, die ihm eigen ist. Das Vaterland unsers Geschichtsschreibers, das kleinasiatische Griechenland, hatte bekanntlich den lebendigen Hellenischen Volksgeist leichter und schneller entfaltet, als das Mutterland selbst: die Reime der Kunst und der Cultur überhaupt, welche seine Söhne aus diesem mitgebrachthatten, waren schnell zu üppigen Blüthen erwachsen. Der glückliche Himmel und Boden Ionien's und der nahen Inseln, aufregende Kämpfe mit den alten Landesbewohnern, vielfacher Verkehr mit nähern und entferntern Nachbarn, die günstige Lage für Schiffahrt, Handel und Gewerbewesen, alles vereinigte sich, um hier ein reiches, bewegliches Städteleben zu bilden. Von der ersten kräftigsten Periode dieser Entwicklung hatte schon Jahrhunderte vor Herodot das Ionische Epos Zeugniß gegeben; für die innern Reibungen wurden die frühen Tone der Ionischen und Aeolischen Leyer, für die verfeinerte Ausbildung sinnlichen Genusses und gemüthlichen Lebens würde eben diese Poesie, für die steigende Cultur des Geistes die Ionische Philosophie beweisen, wenn wir auch nichts mehr wußten von den rüstigen Kämpfen, von den immer erweiterten Seefahrten, von den zahlreichen Colonien dieser aufgeweckten Volksstämme, und von dem Reichthum und Luxus, zu welchem ihre Städte sich erhoben. Bei allen Völkern waren es gerade solche Zeiten des Aufblühens, ein so betriebvolles Gesellschaftsleben, von nothwendiger Erweiterung der Natur- und Menschenkunde begleitet, mit aufregenden Bedürfnissen und lehrreichen Erfahrungen verbunden, welche die Bildung einer Geschichte und Geschichtschreibung herbeiführten. So hatte sich auch in Kleinasien, ungefähr ein Jahrhundert vor Herodot, die Prosa schriftlich zu bilden angefangen, und es entstanden da und dort Aufzeichnungen alter Ueberlieferung und neuer Erfahrung. Diese trugen den ziemlich unbestimmten Namen Logoi (λόγοι), welcher Sagen und Geschichten aller Art, Gegenstände des Wissens überhaupt und selbst solche der Dichtkunst unter sich begriff, womit jedoch auch noch unser Herodot seinen Stoff und die Mittheilung derselben bezeichnet. Es ist daher gewöhnlich geworden, diese Art alter Geschichtschreiber unter dem Namen Logographen zusammen zu fassen. Natürlich konnten diese ersten Historischen Versuche anfangs nicht wohl in etwas Anderen bestehen, als in bloßer Meldung jener geheiligten Sagen, die, bisher in den Dichtungen und im Volksglauben lebend, die einzigen Ueberlieferungen aus der Vergangenheit ausmachten, und ohne, ihrer Natur nach, eine kritische Behandlung zuzulassen, nur gesammelt und geordnet werden konnten; aber auch dieß Letztere nicht auf umfassende Weise, da die Verfasser zunächst und großentheils auf das Anhören von örtlichen Sagen und die Betrachtung von Lokaldenkmälern beschränkt waren. Auch Das, was näher mit der Gegenwart zusammenhing, und wozu äussere Verhältnisse Veranlassung gaben, konnte sich nicht viel über Stammes-, Stadt- und Familiengeschichte ausdehnen; nur daß zu einiger Belebung solcher Genealogien und Specialgeschichten einerseits ihre Mitgabe aus der alten Glaubenswelt, die sich mährchenartig umgestaltete, andrerseits allmählige Fortschritte in der Natur- und Länderkenntniß, endlich auch die eigenen Combinationen beitrugen, in welchen sich die Logographen oft ziemlich willkührlich versuchten. Als jedoch der Handel, die Reisen in's Ausland, besonders Seefahrten den Horizont erweiterten, da mußte die Geschichte durch die immer wachsende Länder- und Völkerkunde neue Nahrung und Kraft gewinnen. Dazu kam noch, daß nun auch das politische Leben in Ionien, namentlich, durch das Herandrängen Asiatischer Mächte in größere Bewegung versetzt, auch die historische Thätigkeit lebhafter aufregte und beschäftigte. So war es denn gerade die Zeitperiode, in welcher das kleinasiatische Griechenland die ersten, schönsten Blüthen abfallen sah, die ihm schneller und üppiger, aber auch minder kräftig, als dem Mutterlande aufgegangen waren: es war gerade diese Zeit der Stürme, in welcher die Ionische Geschichtschreibung zu reifen begann. Kurz vor Herodot erhielt so die Geographie, die Grundlage der Geschichte, mehr Umfang und Bestand, die Kenntniß der Hauptvölker und ihrer Schicksale mehr Hülfsmittel und das historische Urtheil größere Reife. Auf dieser Stufe stand der Milesische Logograph Hekatäus, dessen Blüthe ungefähr fünfzig Jahre früher fällt, als die des Herodot. Er spielte eine Rolle in der damaligen unruhigen Zeitgeschichte, 1 und wegen seines freieren Blickes, insbesondere wegen der Erdbeschreibung und Geschichtbücher, die er ausgearbeitet und wozu er den Stoff, wie nach ihm Herodot, auf Reisen gesammelt hatte, kann er als ein Vorläufer Desselben betrachtet werden. Wir lernen Dieß zum Theil daraus, daß Herodot ihn mehrmals namentlich berücksichtigt, 2 ja auch einigemal ohne Nennung tadelt; 3 was hier um so mehr Erwähnung verdiente, da Hekatäus höchstwahrscheinlich, der einzige Logograph ist, dessen Schriften Herodot nicht sowohl benützte als kannte. Denn daß wir die vollkommenste Frucht der Ionischen Geschichtschreibung, das Werk Herodot's, uns nicht aus vorangegangenen Arbeiten zu erklären haben, sondern theils aus den bildenden Zeit verhältnissen im Allgemeinen, theils aus seinem besondern Leben, das sollte die obige Darstellung jener, das soll nun weiter der Abriß dieses Lebens selbst beweisen, so weit wir ihn zu geben im Stande sind.
In der vierundsiebzigsten Olympiade erstem Jahre (v. Chr. 484.), zu Anfang der Regierung des Xerxes, zehn Jahre nach dem Aufstand der Asiatischen Griechen gegen die Persische Obermacht, sechs nach der Schlacht bei Marathon, wurde Herodot aus einem edeln Geschlecht 4 in Dorischen Halikarnaß geboren, der Hauptstadt des kleinen Carischen Königreiches, welches damals die Königswitwe Artemisia beherrschte, wiewohl dem Xerxes zinspflichtig, dem sie auch, als Herodot vier Jahre alt war, auf seinem Zug gegen Griechenland mit fünf Schiffen folgte, und durch klugen Rath sowohl als durch ihre Tapferkeit bei Salamis Achtung und Vertrauen abgewann. 5 Mag es seyn, daß vor dem Enkel dieser Artemisia, dem Tyrannen Lygdainis, 6 der herangewachsene Herodot nach Samos floh, und von da in's Vaterland zurückgekehrt, die Vertreibung desselben erkämpfte: Dieß ist es nicht, was uns sein Leben denkwürdig macht; Herodot's Reisen, welchen sein unsterbliches Werk bei weitem den größten Theil des Inhalte und dabei seine Anschaulichkeit und sinnliche Anmuth verdankt, bleiben das Wichtigste was wir aus seinem Leben wissen. Zwar wir haben noch eine Sage, wie Herodot zu Olympia den versammelten Hellenen seine Geschichte vorgelesen, wobei der Knabe Thucydides weinte; allein wenn wir diese Anekdote (aus Lucian, Suidas, Photius) auch so weit verstümmeln, daß wir ihn nur das erste Buch (Asiatischer Geschichten) in einer seiner jetzigen ungleichen Gestalt vortragen lassen, damit die Vorlesung in die alleinpassende einundachtzigste Olympiade (v. Chr. 456.), des Herodot zweiunddreißigstes und des Thucydides fünfzehntes Lebensjahr, noch gesetzt werden kann: so steht sie doch zu unsers Historikers und seines Werkes Character in keiner merklichen Beziehung, und sieht habe sie auch Lucian nicht rein aus der Luft gegriffen - der Erfindung eines Grammatikers sehr ähnlich.
Auch die andere Nachricht von einer spätern 7 Vorlesung zu Athen an den Panathenäen, wofür er von dieser Stadt mit zehn Talenten Tod belohnt worden seyn, könnte wenigstens ebenso gut durch die doch gar nicht panegyrische - Verherrlichung Athen's in seiner Schrift veranlaßt worden seyn, als die zwei bekannten Mährchen von einer Geldforderung Heros dot's, die ihm die Corinther und die Thebaner abgeschlagen hätten, daraus sich erklären, daß man den Schatten wegnehmen wollte, der in seinen unparteiischen Geschichten auf jene beiden Städte fällt. 8
Nur eine Thatsache aus Herodot's Leben bestätigt sich hinlänglich. Er mag schon einige Zeit in Athen sich aufgehalten haben, als die Sybariten, durch die Krotoniaten ihres Vaterlandes beraubt, Gesandte nach Griechenland schickten um Unterstützung ihrer Heimkehr und Verstärkung ihrer neuen Ansiedlung; welche Bitte Sparta abwies, Athen dagegen erfüllte, indem es durch Herolde in ganz Griechenland zur Theilnahme an der Colonie aufrufen ließ, und zehn Schiffe nebst den Anführern Lampon und Xenocrates hergab. So ward um's zwölfte Fahr vor dem Peloponnesischen Krieg (ungefähr 444 v. Chr.) unweit des zerstörten Sybaris, an der Duelle Thuria, einem Apollinischen Orakel gemäß, Thurium (Thurii) gegründet. Dieser Colonie schloß sich auch unser Geschichtschreiber entweder gleich an in seinem vierzigsten Jahr, oder folgte ihr etwas später nach. Aber die zwei vorhergehenden Jahrzehende seines Lebens waren ohne Zweifel durch die meisten jener bedeutenden Reisen ausgefüllt, von welchen und allein seine Geschichtbücher selbst, wenn auch nicht durchaus bestimmte, doch viele sichere Zeugnisse liefern. Scharfsinnige Forscher haben diese zusammengestellt, und daraus den Umfang von Herodot's autoptischer Länder- und Völkerkunde nachgewiesen; wie denn auch keinem aufmerksamen Leser seiner Musen das Hauptsächlichste davon entgehen kann. Demnach hat er die Griechischen Küsten Vorderasien's mit den zugehörigen Inseln, was wir, nach Herodot selbst, unter dem Namen Ionien im weitern Sinn des Worts zusammenfassen können, vielfach, besucht und beschaut; hat Lydien's Merkwürdigkeiten und seine Hauptstadt Sardes gesehen, und ist nicht nur über den östlichen Grenzstrom des lydischen Gebietes, den Halys, gegangen, dessen lauf er so genau beschreibt; er hat auch den Norden Kleinasiens bereist, mit den Pontischen Hellenen gesprochen, und ist bis zum Phasis gedrungen (nach Herodot Asien' nördliche Grenze), wo er die Colchier kennen lernte. Von den Caucasischen Völkern aber weiß er nur vom Hörensagen, wenn er auch vielleicht an's Caspische Meer gekommen ist. Die südlichen Theile Vorderasiens ließ er auch nicht unbesucht. Insbesondere hat der, von ihm vollständig beschriebene Weg, welcher von Ephesus über Sardes durch Phrygien, Cappadocien und sofort bis nach Susa hinaufging, ohne Zweifel auch unsern Herodot selbst in's innere Asien geführt. Da hat er den Euphrat und den Tigris gesehen und Babylon, das, wiewohl seine Mauern geschleift, seine Söhne unter die Perserherrschaft gedemüthigt waren, ihn noch durch Denkmäler seiner alten Hoheit, durch seinen Reichthum und seine üppige Fruchtbarkeit staunen machte. In Medien betrachtete er Ekbatana, die alte Stadt des Dejoces, mit ihren farbigen Ringmauern; in Arderikka fand er die von Darius hieher versetzten Eretrischen Gefangenen, und mag leicht in Susa, der Persischen Königsstadt selber gewesen seyn. Aber was hinter Persien lag, sah er nicht mehr; und Indien nicht minder, als die nördlichen, jenseits des Araxes und vom Scythenland östlich wohnenden Völker schwanden ihm in die Nebel der Sage. Dagegen vom westlichen Asien hat er auch den Küstenstrich, der nach Süden hin und mit Libyen (Afrika) zusammenläuft, Syrien, Phönicien und Palästina bereist. Dort sah er in Ascalon den Tempel der Venus Urania; in Palästina verglich er Cadytis (sey es nun Jerusalem oder nicht) in eigener Anschauung mit Sardes, und in Tyrus fragte er persönlich nach dem Alter des dortigen Heraklestempels. Ja, auch Arabien hat er betreten; obgleich er das Meiste, was von dessen Schätzen in seinen Büchern steht, der Fabel nacherzählen mußte.
Arabien's Busen hat er befahren und gemessen. Minder bekannt ist ihm das Indische Meer (welches er das rothe, im weitern Sinn als wir, sonst wohl auch das südliche nennt), und gar nicht, wie es scheint, der Persische Meerbusen. In jene untern Theile Asien's kam er zu Schiffe von Aegypten aus, wohin er gleichfalls zur See auf dem gewöhnlichen Wege der Griechea durch's Mittelmeer gekommen war. Wenn er denn also zuerst Kleinasien und von da aus das innere Asien besucht hat, so wird seine Fahrt in's eigentliche Griechenland und auch ein Theil seiner Griechischen Reisen zwischen die Innerasiatische und die Aegyptische Reise gefallen seyn, von welcher er dann über Syrien wieder nach Hellas zurückgekehrt seyn wird.
Als reifer Geschichtforscher - Dieß ist klar - hat er Aegypten mit vielseitiger Aufmerksamkeit durch forscht, und, wie er in richtiger Ansicht dieses Land1es feiner Zeit weit vorangegangen, so ist er noch jetzt eine Hauptquelle für die Kunde desselben. Mit welcher Sorgfalt hat Herodot am Nil verweilt, nach seinen Quellen, der Ursache seines Anschwellens geforscht, die Mündungen und das Werk dieses Stromes, wofür er's erkannte, das Deltaland kennen gelernt! Hier betrachtete er die Königsstadt Saïs, wo er in den Geheimdienst des Osiris einging, und Buto mit dem Latonaheiligthum und seiner schwimmenden Insel. Aber auch das hochgelegene Bubastis (gegen den östlichen Nilarm hin) war ihm merkwürdig, und der klarsten Anschauung verdanken wir die liebliche Zeichnung des dortigen Artemistempels. An der Pelusischen Mündung selbst beschaute er die Gebeine des Schlachtfeldes, auf welchem Cambyses das Heer Psammetich's besiegt hatte, und eine Bemerkung, die er hier macht, lehrt und nicht nur, daß er auch im westlich gelegenen Papremis war, sondern zugleich, daß Herodot's Aufenthalt in Aegypten zwischen sein dreißigstes und vierzigstes Lebensjahr (434 — 444. vor Christo) gefallen seyn muß. Wie fleißig erscheint der Reisende bei der alten Stadt Memphis, wo besonders die je erweiterten Vorhallen des Hephästustempels auch in seinen Geschichten jedesmal den Eins gang bilden, so oft er wieder an einen der alten Aegyptischen Könige kommt; wie denn auch die nahen Pyramiden, in seinem Werk neu aufgestellt und gemessen, doppelt als Denkmäler verherrlicht sind. Den Mörissee und das wunderbare Labyrinth beschreibt uns der Augenzeuge. Von Memphis sehen wir ihn als eigentlichen Geschichtforscher nach Heliopolis sich wenden, und von da, aus gleicher Absicht, mißt er uns den weiten Weg nach Theben, wo er staunend vor den unzähligen Piromisbildern der dialogisirenden Priester stand. Dieser Weg führte ihn durch Chemmis (Panopolis), wo er dem Perseus ein Heiligthum und Kampfspiele (die einzigen in Aegypten) gestiftet fand. Südwärts von Theben drang er noch bis zur Nilinsel Elephantine; weiter nicht, wie er selbst sagt. Ueber jenen Sandstrich mit den Salzbügeln, die von Theben westwärts durch das innere Libyen bis zu den Säulen des Herakles gehen, und zunächst liber das Ammonsorakel und die Sonnenquelle der Ammonier, mögen ihm Ammonier selbst, die er irgendwo in Aegypten traf, Kunde gegeben haben; aber auch diese Sagen gingen nur bis zum Atlasberg, nachdem sie von schlangenessenden Höhlenbewohnern mit schwirrender Sprache, von namenlosen Menschen, die der brennenden Sonne fluchen, und von Solchen, die keine Träume haben, gesprochen hatten.
Von Aegypten ist Herodot sicher nach Cyrene geschifft, und von da aus bereiste er die Küstenländer Libyen's; wie er denn auch die Völker bis zum Tritonsee aufzuzählen weiß. Sollte er auch in Carthago gewesen seyn; der Südwest Afrika's und der Abend blieben ihm doch dunkel, und er sah wiederum nur im trüglichen Spiegel der Sage, ihm selbst unglaubliche Mißgestalten von Thieren und Menschen, neben welchen blos noch Carthagische Handelsnachrichten von jenseits der Heraklessäulen zu hören waren.
Dieß wären denn Herodot's Außereuropäische Reisen; aber Wer kann ihren Gang genau bestimmen oder weiter angeben, in welcher Ordnung er die Inseln besuchte, die zwischen jenen Festländern im Meere liegen, wann er auf Cypern gelandet, von wo aus er nach Creta gelangt ist? Den vierzigjährigen Herodot finden wir in Athen, von wo er nach Thurium mit auswanderte, und finden in seinen Büchern lichte Spuren, wie er in den Griechischen Stadtgebieten und Eilanden bewandert war; nur nicht den Faden einer zusammenhängenden Reise. Unter den Inseln auf der Westseite Griechenlands sah er auf Zakynthus den pechhaltigen See; im Aegeischen Meer wissen wir, daß er mehrere Cycladen, besonders auch die heilige Delos betrat; in Aegina selbst ließ er sich Aeginetische Geschichten erzählen, und Artemisium, so wie den Kampf bei Salamis, konnte nur, Wer selber auf Euböa und Salamis war, so genau beschreiben.
Fragen wir noch, ob Herodot in Peloponnes gereist sey, der mit den Laconen so bekannt ist, Arion's Bild zu Tänarus gesehen hat, die Argivische Tracht aus Anschauung kennt, im Arcadischen Tegea den Tempel der Athene Alea, in Nonacris das Stygische Wasser, im Elischen Olympia den Zenstempel und in Triphylia die Trümmer der sechs Minnerstädte - der alles Dieß selbst gesehen hat? Nicht minder zuverläßig ist, daß Herodot seine Kenntniß Corinthischer Geschichten und Sitten an Ort und Stelle geholt hat. - Und geben wir nun über den Isthmus, so kennt er auch hier das Phönizische Dreiruder, ein heiliges Siegesmaal aus der Salaminischen Schlacht, so wie das eherne Poseidonsbild aus der Beute von Platää. Nach Athen kam unser großer Reisende nicht ganz als Fremder. Denn sein väterliches Halikarnaß stand damals schon in der Bundesgenossenschaft, deren mächtiges Oberhaupt jene Stadt war. Wem auch die - wenig bedeutenden -
Nachrichten von einer dortigen Vorlesung seines Geschichtwerks, 9 von einem Lied, das Sophocles auf Herodot gedichtet, 10 und von einem Grabmal (Cenotaph), das Herodot neben einem des Thucydides, in der Cimonischen Gruft zu Athen erhalten, 11 gar nichts beweisen, der erfährt doch aus seinen Schriften, daß er die Burg Athen's, das Aeacusheiligthum auf dem Markt, auch Simon's Gruft gesehen, daß er das Vorgebirg Zoster und das Sunische und mehrere Gauen Attica's, also dieses überhaupt gekannt hat, außerdem daß seine Runde von den Athenischen Geschichten und Ereignissen der Perserkriege nicht ohne einen Aufenthalt in diesem Freistaat zu erklären ist.
Aber es ist überhaupt unzweifelhaft, daß Herodot in ganz Griechenland keinen merkwürdigen Ort unbesucht ließ. Bald hatte er die Arbeiten der Natur zu betrachten, wie die Echinadischen Inseln, die der Fluß Achelous an's Acarnanische Festland angeschwemmt, oder den Kessel Thesaliens, das ehemals ein See, wie er einsah, durch Erdbeben seinen Wasserabfluß gewonnen hatte; bald seinen Sinn an Götterstätten mit heiligen Dingen zu beschäftigen, wie auf Samothrace, in dessen Mysterien er eingeweiht ward, im Eichwald Dodona's, wo er der ältesten Zeusverehrung nach fragte, und in Delphi, wo er getreulich die zahllosen Weihgeschenke sich aufzeichnete, was er auch in Theben that, wo er zugleich am Tempel des Ismenischen Apollo die Cadmeischen Inschriften las. Besonders zog es ihn aber dahin, wo er etwas Geschichtliches durch eine örtliche Sage, durch Denkmäler und die Ortslage sich veranschaulichen konnte. Dieß findet jeder Leser der Musen zu seiner Freude bewährt in der lebendigen Schilderung nicht nur der Kampfstätten an den Thermopylen und bei Platää, sondern auch des ganzen Weges, auf dem sich das unendliche Heer des Xerxes herabwälzt.
Mit welcher Genauigkeit verfolgt Herodot diesen Zug von Doriscus an, wo der übermächtige König die Zählung zehntausendweis vornahm, längs Thraciens Küsten hin, vorüber all den Städten, die kaum Lebensmittel, all den Flussen, die nicht Trinkwasser genug hatten, und zeigt dabei nähere Kenntniß jener vielen Thracischen Völkerschaften! Und während uns der treffliche Wegweiser mit der Landmacht über die Strynonbrücke in Macedonien hineinführt, läßt er auch die Flotte uns nicht aus den Augen verlieren, die von Acanthus durch den Athosgraben bis in den Thermaischen Busen läuft. Nicht nur dieser Busen und die demselben östliche Halbinsel und das ihm westliche Pierien ist unserm vielkundigen Manne wohl bekannt; sehen wir ihn doch auch am andern Orte vertraut mit den Päoniern und ihren Sitten, und wie mit den Thraciern am Aegeischen Meer, so mit den Bewohnern des Chersoneses am Hellespont, den Küsten der Propontis und des Bosporus. Denn diese Gewässer, ja nach Länge und Breite den Pontus Euxinus hat er durchfahren und nach Tag- und Nachtfahrten gemessen. Hier bereiste er wieder nicht nur einen Theil Thracien's und der Griechischen Pflanzstädte am Pontus, er ging auch über den Ister und lernte das Scythenland und Volk mit seinen Flussen und Erzeugnissen, seinen Sitten und Sagen kennen, und stand selbst vor dem ungeheuern Kupferkessel, einem eigenthümlichen Denkmal der Menge dieses Volke. Ostwärts ist er bis an die weidenreichen Ufer des Borysthenes (Dnieper) gekommen, und auf seiner Fahrt durch den Pontus an der unwirthbaren Taurischen Halbinsel vorbeigesegelt; aber seine Kunde, eingezogen in Griechischen Factoreien, geht noch hinauf nach Mitternacht bis zu den kahlköpfigen Argippäern (Kalmücken am Ural) und zu den Issedonen; dann steht sie an steilen Bergen still; denn an die ziegenfüßigen Menschen, die einäugigen Arimaspuer und goldbewachenden Greifen und an die heiligen Hyperboreer glaubt er nicht; und so bleibt ihm der ganze Nordrand Asiens dunkel, den er noch Europa zutheilt, da ihm Asiens Grenze der Phasis ist. Ein Gleiches gesteht er vom Westen. Gleich nördlich von Thracien kann er jenseits des Ister nur von Bienenschwärmen hören, dann von den Sigynnern, die bis zu den Venetern sich erstrecken und aus dem ferneren Abend spricht die Sage Unglaubliches vom Eridanusstrom, Unbestimmtes vom Bernstein und den Zinninseln, endlich von den Quellen des Ister bei Pyrene im äußersten Celtenland.
Alles Dieses nun, oder doch gewiß das Meiste hatte Herodot von seinem zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahre gesehen oder erkundet, als von Athen aus das Italische Thurium gestiftet ward, wohin auch er, vielleicht erst einige Jahre später, gezogen ist, um ein zweites Vaterland dort zu finden. Wirklich wird er häufig von den Alten der Thürische Geschichtschreiber genannt. Von Thurium aus machte er seine letzten Reisen. Außer den Städten Unteritaliens besuchte er wenigstens auch noch Sicilien. Aber seine Hauptbeschäftigung war hier endlich nicht mehr das Sammeln, sondern das Ordnen und Gestalten seines für alle Zeiten kostbaren, einzigen Werkes. In Halikarnaß oder in Samos, wohin einige Nachrichten seine Geschichtschreibung verlegen, kann er dieselbe höchstens begonnen, in Thurii kann er sie nicht erst begonnen haben. Es leuchtet ein, daß er Vieles während seiner Reisen selbst muß aufgezeichnet haben, jedoch an die Bildung eines Ganzen dann erst gehen konnte, als er sich einen festen Ruhesitz gewählt hatte. Die späte Vollendung der großen Arbeit seines Lebens beweisen mehrere Notizen im Werke selbst, zugleich die einzigen Spuren für die Dauer seiner Lebensjahre.
Herodot's Geschichte endigt zwar mit der Zerstörung Persischer Macht in Hellas und an Kleinasiens Küsten nach den Schlachten bei Platää und Mycale; allein zerstreute Erwähnungen in seinen Büchern beziehen sich noch auf spätere Griechischpersische Geschichten, die zum die zum Theil bis in die Zeiten des Peloponnesischen Krieges hinein laufen. 12 Den Peloponnesischen Krieg selbst deutet Herodot nicht nur in einer allgemeinen Bemerkung an (VI, 98.),er erwähnt nicht nur (VII, 233.) des gewaltthätigen Signals zu demselben, der Eroberung von Platää, die in sein dreiundfünfzigstes Jahr fiel (431 v. Chr.), wie auch einzelner Ereignisse in den ersten Fahren dieses Krieges; sondern nennt ihn auch ausdrücklich (IX, 73.), indem er einen Vorfall aus dessen neunzehntem Sommer berücksichtigt. Ja, zwei Stellen (III, 15, I, 130.) können uns glauben machen, daß er bis über das 408te Fahr vor Christus das vierundzwanzigste jenes verderblichen innern Kampfes der Griechen hinaus gelebt, und die letzte Hand au sein Werk nicht vor dem siebenundsiebzigsten Jahre seines Alters gelegt haben kann.
So sind Herodot's Leben und sein schriftliches Denkmal eines vom andern durchdrungen, daß wir jedes nur noch im andern recht erkennen. Den Schluß seines Lebens weiß die Geschichte nicht; so erscheint auch sein Buch ungeschlossen. Denn gleichwie seine Persönlichkeit, obgleich in der originalen Haltung des Ganzen unverkennbar, bescheiden und fast unsichtbar hinter dem eigenen Werke zurücktritt: so hat auch dieses Werk selbst im Wesentlichen keinen speciellen Character, und die Schranken, in denen es sich hält, sind ihm weit weniger durch die Absicht des Verfassers, als vielmehr durch seine Stellung in seiner Zeit, durch die Grenzen des Raumes, in dem er sich bewegte, durch die Endlichkeit seiner Natur und seines Lebens gegeben. Dieser universale Mensch, da er nicht Alles sehen und erleben konnte, bewahrte wenigstens alles das Merkwürdige, was er sah und zu erfahren vermochte. Er widmete sich der Geschichte im weitesten Sinn, der Betrachtung der Natur und der Menschheit. Beide waren ihm gegeben in besonderer Erscheinung von Ländern und Völkern. Darum liegt seinem Werk ein gedoppelter Plan zu Grunde, ein geographischer und ein historischer. Dieser gestaltet sich im Allgemeinen ethnographisch, jener, der untergeordnete, drängt sich oft im Werke sichtlich hervor. Für beide ward ihm nach damaliger und eigener Erdkunde, so wie nach der Zeitgeschichte, fein heimathliches Ionien der Mittelpunkt. Um dieses, dem das schönste Maß der Temperatur und Naturgaben zu Theil geworden, lagern sich rings die bekannten Meere und Länder, der nähere Ost, Süd und Nordwest mit großerem aber minder gleichartigem Reichthum; der fernere Abend und Morgen, wie auch die Enden der Welt nach Mitternacht und Mittag mit den kostbarsten Gütern der Erde. Um dasselbe Ionien bewegen sich auch die Wechselwirkungen Asiatischer und Europäischer Völker, von welchen aus allseitige Pfade in die Vergangenheit zurückführen, bis auch sie in die Fernen der Sage verschwinden.
Demgemäß stellt uns Herodot gleich vorn in den Mittelpunkt seines Gemäldes; und die Anfänge jener feindlichen Berührungen Asiens und Europa's, ausgehend von Lydien, knüpfen sich von selbst an Cyrus, der und in den Osten führt, wie hernach Cambyses in den Süden, Darius nach Norden, bis wir den Xerxes nach Westen begleiten, wobei aber immer noch die allseits hergezogenen Massen, mit denen wir nach Europa übergehen, und die Ausmalung des Weges selbst verhüten, daß wir nicht eine einzelne Kriegsgeschichte vor uns zu haben wähnen. Wohl muß indessen die kräftige Reaction Europa's im Griechenvolk, zumal bei ihrer historischen Nähe, den Geschichtschreiber ganz besonders in Anspruch nehmen. Der Sieg der Hellenen über die Perser ist nicht Endzweck des Werkes; aber Asien's und des Griechenlandes Streit bildet (was ja Herodot's eigene Einleitung kurz, aber deutlich besagt) die äußerste Form des Ganzen, weil er ohne Zwang zum Ueberblick desselben verhilft, leicht mögliche Zerstreuung beschränkend durch Anziehung des meisten Stoffes. Das Uebrige lagert sich an, oder wird gelegentlich und episodisch eingeschaltet. Nicht ein epischer Rhapsode, nicht ein Logograph, nicht Naturforscher, noch pragmatischer Geschichtschreiber ist unser Herodot; aber er ist alles Dieß, wie und wie weit es sein Gegenstand mit sich bringt, oder wenigstens auch verstattet. Er hatte nicht den Uebermuth, seinen Stoff nach einer Idee zu mißhandeln, wohl aber Ruhe, Heiterkeit, Ausdauer genug, ihn vielseitig aufzufassen. Die schwebende Sage fesselt er nicht; dagegen, wo er Boden spürt, weiß er zu scheiden und zu bestimmen. Eigene Anschauung, eigene Erkundigung sind beinahe seine ausschließlichen Quellen. Jene gibt freilich schöne, sinnliche Nähe, nur darum noch keine poetische, unwahre; diese behandelt er mit Recht nur dann kritisch, wann der Gegenstand kritischen Waffen erreichbar ist. Doch die Glaubwürdigkeit Herodot's im Allgemeinen ist bereits hinlänglich anerkannt; hätte man ihm nur eben so wenig einen zusammengesetzten Pragmatismus unterschieben wollen. Denn so wie die rühmlichen Thaten der Hellenen auf der obersten Höhe seines Geschichtbildes stehen, ohne das Ziel des Werkes zu seyn: so schwebt Herodot's religiöser Glaube, seine Scheu vor einer eifersüchtigen Gottheit blos über einzelnen Gestaltenund Zügen des Ganzen, ohne bildendes Princip desselben zu seyn.
Auf Wahrheit und Wirklichkeit haftete das ruhige Auge des genialen, erfahrungsvollen Mannes, keine Leidenschaft betäubte sein Ohr, und sein reiner Mund sprach in einfacher Rede, in lieblicher, Ionischer Zunge die Zeugnisse seines Geistes und seiner Welt. Wer es daher immer gewesen seyn mag, der seine Schrift in neun Bücher eintheilte, und der dies selben mit den Namen der Musen bezeichnete; 13 durch das Werk selbst ist der sinnige Gedanke gerechtfertigt, den auch das einfachschöne Griechische Epigramm ausdrückt:
Herodot herbergte die Musen, da gab zur Belohnung
Ihrem gastfreundlichen Wirth jegliche Muse ein Buch.
Was die vorliegende Verdeutschung der Musen betrifft, so konnte sich dieselbe nicht immer so genau, wie es bei manchen Vorgängen mit Glück geschehen seyn mag, an die eigenthümlichen Formen des Originals anschließen; doch suchte sie denselben so nahe zu bleiben, als es der besondere Zweck der Uebersetzung erlaubte.
Zu Grunde gelegt ist der Text der Ausgabe von Thomas Gaisford (Leipz. bei Schwickert 1824 - 26.). aus welcher auch die chronologischen Bestimmungen der Hauptbegebenheiten nach christlicher Zeitrechnung, um ihrer Richtigkeit im Allgemeinen und ihrer einleuchtenden Zweckmäßigkeit willen, der Uebersetzung beigefügt sind.
Zu den nöthigen Anmerkungen sind theils vorhandene Erklärungen unsers Schriftstellers, theils hierher gehörige Bemerkungen aus andern neuerer Schriften mitbenützt worden.
Hier gibt Herodot von Halikarnaß eine Denkschrift seiner gesammelten Kunde, damit nicht die Handlungen der Menschen durch die Zeit verloren gingen, noch große und wunderbare Werke, wie sie Hellenen sowohl, als Barbaren ausgeführt, des Ruhmes verlustig würden;. besonders auch, aus welcher Ursache sie einander bekriegt haben.
(Kambyses 530 v. Chr.)
1. Nach dem Ende des Cyrus kam nun das Königthum an Kambyses, der ein Sohn war des Cyrus und der Kassandane, der Tochter des Pharnaspes; bei deren früherem Tod Cyrus selbst große Trauer angestellt, und so auch Allen, die er beherrschte, Trauer angesagt hatte. Kambyses also, der Sohn dieser Frau und des Cyrus, sah in den Ioniern und Aeoliern seine Knechte aus väterlicher Erbschaft; gegen Aegypten aber machte er einen Heereszug, wozu er unter andern Unterthanen auch die Hellenen mitnahm, die unter seiner Obermacht standen.
2. Die Aegyptier hatten, bevor über sie Psammitichus König war, den Glauben, sie setzen die allerältesten Menschen. Seitdem aber König Psammitichus hat wissen wollen, Wer die Aeltesten seyen, glauben sie, die Phrygier seyen älter, als sie, und sie, als die übrigen. Als nämlich Psammitichus auf dem Wege der Erkundigung keine Spur davon auffinden konnte, Wer die ältesten Menschen seyen, ersann er diesen Kunstgriff. Zwei neugeborne Knäblein von den nächsten besten Leuten gab er einem Hirten, um sie bei seinen Heerden auf die Art zu erziehen, daß er ihm aufgab, Niemand dürfe vor ihnen einen Laut hören lassen, sie müßten für sich in einer einsamen Hütte liegen, und er zur Stunde ihnen Ziegen zuführen; wenn er sie aber mit Milch gesättigt, seiner sonstigen Verrichtungen nachgehen. Das that Psammitichus und gab es so auf, um an den Knäblein, wenn sie über das undeutliche Lallen hinaus wären, zu hören, in welchen Laut sie zuerst ausbrächen. So geschah es denn auch. Denn als es eine Zeit von zwei Jahren war, daß der Hirt Dieß vollzog, und Derselbe die Thür öffnete und eintrat, fielen die beiden Knäblein ihn an, mit dem Laut Bekos, wobei sie die Hände ausstreckten. Wie denn Das der Hirt zum erstenmal hörte, ließ ergehen. Als aber bei wiederholtem Besuchen und Abwarten dieses Wort immer wiederkam, da zeigte er's endlich seinem Gebieter an, und führte, auf Dessen Geheiß, die Knäblein vor sein Angesicht. Nun hörte es Psammitichus selber und erkundigte sich, welche Menschen ein Wort Bekos haben; wobei er fand, daß es die Phrygier haben für das Brod. So räumten die Aegyptier ein, besonders in Erwägung dieser Geschichte, daß die Phrygier älter seyen, als sie.
3. Diesen Hergang der Sache habe ich von den Hephästuspriestern in Memphis gehört. Die Hellenen aber sagen unter anderem thörichtem Zeug, Psammitichus habe Weibern die Zungen ausgeschnitten, und dann die Knaben von diesen Weibern pflegen lassen. Ueber die Erziehung der Knaben also sagten sie so viel. Ich habe aber noch mehr zu Memphis gehört in Gesprächen mit den Hephästuspriestern. Dazu habe ich auch nach Theben und Heliopolis wegen des Nämlichen mich gewendet, weil ich wissen wollte, ob es mit Dem, was ich in Memphis hörte, übereinkommen werde. Denn die Heliopoliten sollen die größten Geschichtskundigen in Aegypten seyn. Was ich indessen von göttlichen Dingen erzählen hörte, bin ich nicht Willens, wieder zu erzählen, mit Ausnahme ihrer bloßen Namen, in Betracht, daß hievon Jedermann die gleiche Ueberzeugung hat; und werde nur Das das von aufzeichnen, wozu ich durch den Verlauf der Geschichte genöthigt bin.
4. Von menschlichen Dingen aber sagten sie Folgendes in Uebereinstimmung miteinander. Die Aegyptier hätten zuerst unter alten Menschen das Jahr erfunden, welchem sie vom Ganzen der Jahreszeiten zwölf Abtheilungen gaben. Und Das rechnen sie, nach meinem Urtheil, um so viel klüger, als die Hellenen, wiefern Diese nach jedem zweiten Jahr einen Schaltmonat, der Jahreszeiten wegen, einschalten; die Aegyptier dagegen bei ihrer Rechnung von zwölf dreißigtägigen Monaten, alljährlich fünf Tage über die Zahl dazu rechnen, wodurch für ihren Jahreszeitenkreis immer derselbe Ablauf herauskommt. Auch die zwölf Götternamen, sagten sie, seyen zuerst bei den Aegyptiern im Brauch gewesen, und von ihnen hätten sie die Hellenen angenommen. Wiederum Altäre, Standbilder und Tempel hätten sie zuerst den Göttern bestimmt, wie auch Bildnisse in Stein geschnitten. Hievon wiesen sie denn das Meiste in der Wirklichkeit nach. Weiter sagten sie, von den menschlichen Königen Aegyptens sey Menes der erste, unter welchem, außer dem Thebischen Kreis, ganz Aegypten ein Sumpf gewesen sey, so daß nichts daraus hervorstand von Allem, was jetzt unterhalb des See's Möris liegt; und es ist in diesen See, vom Meere aus, eine Fahrt von sieben Tagen stromaufwärts.
5. Was sie über das Land ragten, darin mußte ich ihnen beipflichten. Ist es doch, auch wenn man Nichts davon gehört, und blos gesehen hat, ganz offenbar, wenigstens für jeden Verständigen, daß jenes Aegypten, wohin die Hellenen schiffen, ein neu gewonnenes Stück vom Aegyptenland und ein Geschenk des Flusses ist; ja sogar, Was bis auf eine Fahrt von drei Tagen über den See hinaus liegt, und wovon Jene nichts mehr sagten, ist wiederum von dieser Art. Folgendes ist nämlich die Landesbeschaffenheit von Aegypten. Wer gleich beim Heranschiffen, noch eine ganze Tagereise weit vom Lande, das Senkblei hinabläßt, wird Schlamm heraufbringen und seine eilf Klafter messen. Dieß beweist, daß das angeschwemmte Land so weit geht.
6. Das eigentliche Aegypten aber hat längs dem Meer sechzig Schönen 59 in der Länge, nach meiner Begrenzung Aegyptens vom Plinthinetischen Busen bis zum Serbonischen See, an welchem das Kasische Gebirg hinläuft. Von da an also sind es sechzig Schönen. Alle landarmen Leute nämlich messen ihr Feld mit Klaftern, die minder landarmen mit Stadien, die viel haben, mit Parafangen, die sehr viel, mit Schönen. Nun gibt der Parasang dreißig Stadien; jeder Schönus aber, ein Aegyptisches Maß, sechzig Stadien. Demnach hätte Aegypten längs dem Meere dreihundert und sechzig Stadien.
7. Von da bis Heliopolis im Binnenlande ist Aegypten breit und durchaus ein abgedachtes, wasserloses Marschland. Und vom Meere landeinwärts nach Heliopolis ist es fast ein Weg von gleicher Länge, wie aus Athen, vom Altar der zwölf Götter, nach Pisa zum Tempel des Olympischen Zeus. Um Weniges nur, wie eine Berechnung zeigen müßte, sind diese Wege verschieden in der Länge, nicht über fünfzehn Stadien. Nämlich von Athen nach Pisa fehlen fünfzehn Stadien zu einem Weg von eintausend fünfhundert Stadien; vom Meer nach Heliopolis geht diese Zahl gerade auf.
8. Von Heliopolis weiter landeinwärts, ist Aegypten schmal. Denn an der einen Seite, der von Arabien, erstreckt sich ein Gebirg von Norden gegen Mittag und den Süd; welches immer landeinwärts nach dem sogenannten Erythräischen Meer hinläuft; und darin sind die Steinbrücke, die man zu den Pyramiden in Memphis ausgebrochen hat. Dorten geht nun das Gebirg aus und wendet sich in der besagten Richtung. Wo dasselbe seine größte Weite hat, soll es wie ich mir sagen ließ, von Morgen gegen Abend ein Weg. von zwei Monaten seyn; sodann gegen Morgen sollen seine Ausläufe Weihrauch tragen. Also das ist dieses Gebirge. Aber auf der Seite Aegyptens gegen Libyen läuft ein anderes felsiges Gebirg, worin die Pyramiden sind; das ist mit Sand überdeckt und hat denselben Zug, wie der Theil des Arabischen, der gegen Mittag geht. So ist der Landstrich von Heliopolis an eben nicht mehr groß für Aegypten; sondern vier Tagfahrten aufwärts (den Nil stromaufwärts), geht der schmale Theil von Aegypten. Was nun zwischen den besagten Gebirgen liegt, ist flaches Land; und es schienen mir, wo es am schmalsten ist, vom Arabischen Gebirg zum sogenannten Libyschen höchstens zweihundert Stadien zu seyn. Von da an aber ist Aegypten wieder breit. So ist also dieses Land beschaffen.
9. Von Heliopolis nach Theben ist es eine Fahrt von neun Tagen aufwärts; ein Weg von viertausend achthundert und sechzig Stadien, was einundachtzig Schönen sind. So finden sich die Stadien von Aegypten zusammen. Von dem Theil, der am Meere liegt, habe ich bereits vorhin angezeigte daß er dreitausend und sechzig Stadien hat; nun will ich auch merken, wie weit es vom Meer in's Binnenland bis Theben ist: nämlich sechstausend einhundert und zwanzig Stadien. Endlich von Theben nach der sogenannten Stadt Elephantine sind es tausend achthundert Stadien.
10. Das besagte Land also schien auch mir zum großen Theil, so wie es die Priester behaupteten, neu hinzugewonnen zu Aegypten. Denn Was zwischen den besagten Gebirgen ist, die über der Stadt Memphis liegen, das sah mir als ein einstiger Meerbusen aus, ziemlich, wie die Gegend um Ilium und Teuthranien, oder um Ephesus, und die Ebene des Mäander; so weit dieß Kleine mit Großem sich vergleichen läßt. Denn von den Flüssen, welche diese Lande angeschwemmt haben, ist keiner mit einer einzigen Mündung des Nil (und derselbe hat fünf) dem Maße nach einer Vergleichung werth. Und es sind noch mehr Flüsse, die, ohne eine Größe wie der Nil zu haben, Großes in's Werk richteten, als welche ich namentlich anzugeben vermag, und darunter nicht zuletzt, den Achelous, der durch Akarnanien fließt, und, wo er sich in's Meer ergießt, die Echinadischen Inseln zur Hälfte bereits zum Festland gemacht hat.
11. Um Lande Arabien nun, von Aegypten unsern, ist ein Meerbusen, der aus dem sogenannten Erythräischen Meere hereingeht; und wie lange und schmal dieser ist, will ich jetzt angeben. In die Länge nämlich, wenn man von der Bucht aus durch fährt nach dem offenen Meere, braucht man vierzig Tage zur Fahrt mit einem Ruderschiff; in die Breite, wo der Busen am breitesten ist, eine halbe Tagfahrt. Es ist in demselben jeden Tag Ebbe und Fluth. Eben ein solcher Busen, meine ich, ist auch Aegypten einmal gewesen, so daß der eine Busen aus dem nördlichen Meere hereinging gegen Aethiopien hin; der andere (Arabische, an dem ich bin) aus dem südlichen sich herzog gegen Syrien hin, und dieselben beinahe durch ihre Buchten sich zusammenbohrten, nur durch ein kleines Stück Landes getrennt. Sollte nun einmal der Nil sein Strombett in diesen Arabischen Busen herein leiten, was hindert dann, daß derselbe vom Fluß nicht zugeschwemmt werde, wenigstens inner zwanzigtausend Jahren? Indessen, ich denke doch, schon inner zehntausend Jahren würde er zugeschwemmt werden. Konnte also nicht auch, in all der Zeit, die vor mir verging, ein Meerbusen, und selbst ein viel größerer, als dieser, von einem Flusse zugeschwemmt werden, der so groß ist und so gewaltig arbeitet?
12. Ueber Aegypten also glaube ich, was man sagt, und bin selber ganz davon überzeugt, in Betracht, daß Aaegypten vor dem anstoßenden Lande hervorsteht, auf seinen Gebirgen Muscheln zeigt, und daß es Salztheile ausstößt, wovon selbst die Pyramiden angegriffen werden (auch ist dort oberhalb Memphis das einzige Aegyptische Gebirg, welches Sand hat); ferner, daß Aegypten weder dem benachbarten Arabischen Lande ähnlich ist, noch dem Libyschen, noch auch dem Syrischen (denn an Arabiens Küsten wohnen die Syrier); sondern einen schwarzen und brüchigen Boden hat, nämlich Moor und Schlamm, durch den Strom aus Aethiopien herabgeführt. Dagegen ist Sibyens Erde, wie bekannt, mehr röthlich und sandig; die Arabische und Syrische mehr thonhaltig und auch felsig.
13. Auch sagten von diesem Lande mir die Priester noch Dieß als ein bedeutendes Merkmal, daß unter König Möris der Fluß, wenn er zum wenigsten auf adit Ellen stieg, Aegypten unterhalb Memphis bewässerte. Und Möris war noch keine neunhundert Jahre todt, als ich Das von den Priestern hörte. Wenn aber jetzt der Fluß nicht zum wenigsten auf sechzehn oder fünfzehn Ellen steigt, so tritt er in's Land nicht aus. Und so, glaube ich, mag einmal den Aegyptiern, die unterhalb des See's Möris wohnen, darunter namentlich den Bewohnern des sogenannten Delta, dieses ihr Land, wenn es nach solchem Maß in seiner Höhe zusetzt, und in seiner Vermehrung immer das Gleiche absetzt, vom Nil unüberschwemmt bleiben, und den Aegyptiern selbst widerfahren, was sie behaupteten, daß den Hellenen widerfahren werde. Als sie nämlich hörten, daß der Hellenen ganzes Land Regen, aber keine Flüsse hat, die es bewässern, wie das ihrige, behaupteten sie "die Hellenen dürften einmal, getäuscht in ihrer Haupthoffnung, übel Hunger leiden." Dieses Wort will sagen: "Wenn einmal daselbst der Gott nicht regnen wollte, sondern Dürre andauern ließe, so würden die Hellenen dem Hunger Preis gegeben seyn; weil sie ja für das Wasser keine andere Hülfe haben, als daß es von Zeus kommt."
14. Das ist denn von den Aegyptiern in Betreff der Hellenen mit Recht bemerkt worden. Jetzt laßt mich aber auch angeben, wie es bei den Aegyptiern selber steht. Sollte sich daselbst, wie ich oben schon äußerte, das Land unter Memphis (denn das ist es, welches sich vermehrt) nach Maßgabe der verflossenen Zeit in die Höhe vermehren, was anders wird geschehen, als daß die dort wohnenden Aegyptier Hunger leiden? wenn ja doch ihr Land keinen Regen haben und der Fluß nicht im Stande seyn wird, auf die Felder auszutreten. Freilich wohl jetzt bringt man nirgends so mühelos die Frucht aus dem Boden, wie bei ihnen, weder bei den andern Menschen insgesammt, noch bei den übrigen Aegyptiern; da sie nicht die Mühe haben, mit dem Pfluge Schollen aufzuwühlen, auch nicht zu hacken, noch mit sonst einer Arbeit, womit sich die andern Menschen um die Saat bemühen; sondern ist jedesmal der Fluß von selbst gekommen, hat die Felder bewässert, und ist nach der Bewässerung wieder zurückgetreten, so besä't Jeder sein Feld und treibt dann Schweine 60 darauf. Hat er aber durch die Schweine die Aussaat einstampfen lassen, so wartet er von nun an die Ernte ab. Dann läßt er durch die Schweine das Korn ausdreschen, und so bringt er es ein.
15. Wenn wir es nun, in Bezug auf Aegypten, mit den Ansichten der Ionier halten wollten, welche behaupten, das Delta allein sey Aegypten, nämlich längs dem Meere gehe dasselbe von der sogenannten Perseuswarte bis zu den Pelusischen Taricheen (Mumienstätten), wo es dann vierzig Schönen sind, und wiederum vom Meere in's Binnenland erstrecke es sich bis zur Stadt Cerkasorus, woselbst der Nil sich spaltet, um nach Pelusium zu strömen und nach Kanobus; das übrige Aegypten sey theils Libysches, theils Arabisches Land wollten wir's mit dieser Meinung halten, so könnten wir demnach darthun, daß die Aegyptier vordem kein Land hatten. Ist ja doch eben das Delta, wie die Aegyptier selbst sagen und mir vorkommt, hervorgeschwemmt, und neuerlich, so zu sagen, zum Vorschein gekommen. Wenn sie also nicht einmal ein Land gehabt haben, was hatten sie ihre Annoth mit dem Glauben, daß sie die ersten Menschen gewesen? So durften sie auch, nicht in den Versuch mit den Knäblein sich einlassen, was für einen Laut sie zuerst von sich geben würden. Allein ich glaube, daß die Aegyptier mit dem, von den Ioniern so genannten, Delta nicht gleichzeitig, sondern von jeher da sind, reit es ein Menschengeschlecht gibt; nur, als das Land sich hervorstreckte, ihrer Viele waren, die zurückblieben und Vielen die nach und nach herabkamen. Vor Zeiten war es denn Theben, was Aegypten genannt wurde, welches einen Umfang hat von sechstausend einhundert und zwanzig Stadien.
16. Wenn wir nun hierüber richtig urtheilen, so haben die Ionier keine rechte Vorstellung von Aegypten; wenn aber die Ansicht der Ionier richtig ist, so thue ich dar, daß die Hellenen sammt den Ioniern nicht zu rechnen verstehen, indem sie behaupten, aus drei Theilen bestehe die ganze Erde, Europa, Asien und Libyen. Sie müssen ja noch einen vierten dazu rechnen, das Delta von Aegypten; da es denn doch weder zu Asien, noch zu Libyen gehört. Denn nun ist es doch nicht der Nil, nach dieser Ansicht, was Asien von Libyen abgrenzt; vielmehr bricht sich der Nil an der Spitze des Delta, so daß dieses zwischen Asien und Libyen in der Mitte wäre.
17. Lassen wir nun die Ansicht der Ionier; was aber wir eben hierüber ragen, ist Dieses. Aegypten ist al das Land, welches von den Aegyptiern bewohnt ist, so gut wie Cilicien das von den Ciliciern, Assyrien das von den Assyriern bewohnte. Grenzscheide von Asien und Libyen wissen wir eigentlich keine rechte, außer die Aegyptischen Grenzen. Wenn wir aber an die Annahme der Hellenen und halten wollen, so können wir annehmen, ganz Aegypten zerfalle, von den Katadupen (Wasserfällen) und der Stadt Elephantine an, in zwei Hälften, und schließe sich beiden Namen an, indem dieß eine Stück zu Libyen, das andere zu Asien gehöre. Denn eben der Nil fließt von den Katadupen an so, daß er Aegypten mitten durchschneidet, in's Meer. Und zwar bis zur Stadt Cerkasorus fließt der Nil als ein Strom; und von dieser Stadt an spaltet er sich in drei Arme, wovon sich der eine gegen Morgen wendet, was man die Pelusische Mündung nennt, und der andere gegen Abend geht, welches die Kanobische Mündung heißt. Aber der gerade Arm des Nil ist da, wo er in seiner Strömung an die Spitze des Delta kommt, und nun, indem er das Delta mitten durchschneidet, in's Meer ausläuft mit einem Theile seines Wassers, der mit nichten der schwächste oder unbekannteste ist; was man die Sebennytische Mündung nennt. Und trennen sich noch zwei andere Mündungen von der Sebennytischen, und strömen in's Meer, unter dem Namen der Saitischen die eine, und der Mendesischen die andere. Die Bolbitische Mündung und die Bukolische 61 sind keine ursprünglichen Mündungen, sondern gegraben.
18. Noch zeugt für meine Meinung, daß Aegypten so groß ist, als ich eben darthue, auch der von Ammon ertheilte Götterspruch, den ich hinterher nach meiner Meinung über Aegypten erfuhr. Es haben nämlich die von den Städten Marea und Apis, welche Aegypten, wo es an Libyen grenzt, bewohnen und sich selbst für Libyer, nicht für Aegyptier halten, weil ihnen die heiligen Gebote zur Last waren, und sie der Kühe sich nicht enthalten wollten, zu Ammon gesandt, mit der Erklärung: "sie hätten Nichts mit den Aegyptiern gemein, da sie ja außerhalb des Delta wohnen, und nicht mit ihnen zusammenstimmen; so wollten sie auch, daß ihnen frei stehe, von dem zu genießen." Allein der Gott ließ ihnen Das nicht zu und erklärte, das sey Aegypten, was der Nil in seinem Austritt bewassert, und das seyen Aegyptier, die unterhalb der Stadt Elephantine, wohnen, und aus diesem Flusse trinken.
19. So ward ihnen Dieß gesprochen. Der Nil tritt aber, wenn er anschwillt, nicht allein über das Delta aus, sondern auch auf das, als Libysch bezeichnete, Land und auf das Arabische, hie und da einen Weg von zwei Tagen auf beiden Seiten, oder drüber oder drunter. Doch über die Natur des Stromes konnte ich weder von den Priestern, noch von sonst Jemand Etwas vernehmen.