ISBN: 978-3-99074-171-9
1. Auflage 2021, Marchtrenk, Österreich
© 2021 Verlag federfrei
Umschlagabbildung: © UrbanExplorer - Adobe Stock
Lektorat: F. Burgstaller
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Alle Rechte vorbehalten.
Sowohl die im Buch vorkommenden Personen als auch die Handlungen sind von der Autorin frei erfunden. Namen und Ähnlichkeiten mit Personen oder tatsächlichen Handlungen sind zufällig und nicht gewollt.
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Der alte Geheimrat Peter Stepanek hatte Besuch von Katja, seiner Enkelin. Sie studierte Wirtschaft und hatte vor, ein Auslandssemester in Schweden zu absolvieren. Bevor sie ihre Heimat für längere Zeit verließ, wollte sie sich auf jeden Fall von ihren Großeltern verabschieden. Ihr Großvater benutzte jedoch die Gelegenheit, sie beinahe mit Besitzerstolz durch das Schloss von Marchegg zu führen. Katja gähnte verstohlen. Sie wollte dem alten Herrn die Freude nicht verderben, weil sie wusste, wie sehr er an dem ehrwürdigen Gebäude hing, aber ihr selbst war die Geschichte des Schlosses ziemlich gleichgültig.
»Schloss Marchegg wurde schon im Jahr 1346 das erste Mal urkundlich erwähnt und danach öfter verändert und erweitert«, erklärte der Geheimrat in einem Tonfall, den Katja zur Genüge aus der Schulzeit kannte und eigentlich hasste. Sie ließ die Blicke über die Stuckdecke des Raumes gleiten, durch den sie gerade gingen. An allen Ecken und Enden waren deutliche Spuren des Verfalles zu erkennen.
Nur mit halber Aufmerksamkeit hörte sie den Worten ihres Großvaters zu. »Im siebzehnten Jahrhundert wurde das Gebäude abgerissen und als Wasserschloss neu errichtet. Es diente vor allem als Sommersitz und Jagdschloss und wurde 1720 zum Wohnschloss umgebaut«, deklamierte der alte Geheimrat.
Katja seufzte. Sie wusste, dass das Schloss als Veranstaltungsort für die NÖ Landesaustellung adaptiert werden musste. Ihr Großvater hatte sie hierher geschleppt, um ihr das Gebäude noch einmal in seinem ursprünglichen Zustand zu zeigen, bevor es dann im Jahr 2022 mit der Ausstellung ›Wunderwelt Natur‹ in neuem Glanz erstrahlen würde. Gelangweilt trottete Katja neben Peter Stepanek her und war mit ihren Gedanken ganz wo anders.
Schon seit einiger Zeit war ihr ein netter, junger Mann im Anzug aufgefallen, der mit einem Clipboard bewaffnet durch die Räume streifte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und sprach in sein Diktiergerät. Er maß Fensternischen aus, klopfte Wände ab, begutachtete Durchgänge und notierte alles genau. Wenn er einen Raum betrat, in dem sich jemand aufhielt, grüßte er freundlich, ließ sich jedoch niemals auf ein Gespräch ein. Er gefiel Katja auf den ersten Blick. Als sich ihre Blicke einmal zufällig trafen, lächelte sie ihn an, doch der junge Mann reagierte nicht und verschwand umgehend im nächsten Raum.
»Weißt du, nachdem das Schloss in den letzten Kriegstagen durch einige Artillerietreffer und anschließende Plünderungen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, gab es 1947 bereits eine Abbruchgenehmigung«, erzählte inzwischen der alte Herr in träumerischem Ton. »Ich kann mich noch dunkel dran erinnern. Mein Vater hatte einige engagierte Bürger zusammengetrommelt und dagegen protestiert. Schließlich konnte das Schloss durch die Zusammenarbeit der Gemeinde Marchegg mit dem Land Niederösterreich von der Stadt erworben und saniert werden.«
Katja hatte diese Geschichte schon unzählige Male gehört, aber ihr Großvater war so stolz darauf, dass es irgendwie vielleicht sogar seiner eigenen Familie zu verdanken war, dass es das Schloss heute noch gab, deshalb nickte sie zustimmend.
Im nächsten Jahr musste das historische Bauwerk von Grund auf renoviert werden. Die Planungen waren schon seit Monaten abgeschlossen und Katja sah, dass bereits da und dort Handwerker damit beschäftigt waren, das zu tun, wofür sie bezahlt wurden. In Kürze würde das Schloss nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich sein und der alte Herr Geheimrat lächelte etwas wehmütig. Zwischen einigen wenigen Besuchern bewegten sich bereits Baumeister, Vertreter des Landes und der Gemeinde oder Historiker.
Plötzlich erblickte Katja zu ihrer Freude wieder den jungen Mann, dem sie vorhin zugelächelt hatte, und sie versuchte, Näheres über ihn zu erfahren.
»Hast du eine Ahnung, wer das dort beim Fenster ist?«, wandte sie sich an ihren Großvater.
Der lachte schelmisch. »Der gefällt dir wohl, was? Ich habe keine Ahnung, hier laufen ja so viele Leute herum. Aber das werden wir gleich haben.«
Er machte eine kleine Pause und sah sich um. Dann steuerte er geradewegs auf einen grauhaarigen Herrn, der sich soeben von seinem Gesprächspartner verabschiedet hatte, zu.
»Servus, Gustl«, begrüßte er seinen Bekannten. »Jetzt wird es wohl bald ernst mit der Renovierung, hoffentlich läuft alles glatt und es kommt zu keinen unliebsamen Überraschungen.«
»Jaja, da haben wir ein schönes Stück Arbeit vor uns, aber ich bin mir sicher, dass wir es zeitgerecht schaffen werden«, antwortete der Angesprochene zustimmend.
»Sag einmal, kennst du den arbeitsamen Burschen da drüben?«, fragte der Geheimrat. »Er kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Mit diesen Worten zeigte er unauffällig in die Richtung des jungen Mannes, der die Aufmerksamkeit seiner Enkelin auf sich gezogen hatte.
»Nein, der ist schon ein paar Tage da, ich nehme an, dass er vielleicht zu den Leuten vom Denkmalschutz gehört. Vielleicht ist er auch Statiker oder etwas Ähnliches, von der Gemeinde kommt er jedenfalls nicht.«
In dem Augenblick entdeckte Peter Stepanek Markus Fleischer, den Vizebürgermeister der Stadt, der soeben zur Tür hereinkam. Zielstrebig ging er auf ihn zu.
»Hallo, Markus«, sprach er ihn an. »Gustl und ich haben gerade gerätselt, wer der fleißige Kerl da drüben ist?« Mit dem Kopf deutete er heimlich zu dem Fenster, an dem der Mann stand.
Der hatte jedoch offensichtlich seine Erkundigungen abgeschlossen, denn er steckte sein Diktiergerät ein und verließ höflich grüßend mit raschen Schritten den Raum.
Der Vizebürgermeister wollte ihn im Vorbeigehen aufhalten, aber Peter Stepanek sagte lächelnd: »Lass ihn! Er hat es eilig.«
Katja sah ein wenig wehmütig dem Davoneilenden nach. Ein kleiner Flirt wäre eine angenehme Abwechslung an ihrem sonst so langweiligen Nachmittag gewesen.
Hätten die Beteiligten gewusst, was die Zukunft bringen würde, hätten sie sich sicher näher mit dem eifrigen jungen Mann befasst.