Inhalt

Die Vorgeschichte

Die Suche

Bei uns daheim

Im Pflichtjahr

Das Waldfest

Ami-Liebchen

Eine Vernunftheirat

7. Tagesmutter für Martina

Pflegemutter für Gerald und Harald

Neue Geldquellen – neue Aufgaben

Unruhiger Lebensabend

Nachtrag (Roswitha Gruber erzählt)

Die Vorgeschichte

Anfang Februar 2021 erhielt ich von Annemarie, einem Fan aus Dorfen, einen dicken Brief. In dem Umschlag befand sich unter anderem ein Zeitungsblatt mit einem ganzseitigen Bericht unter der Überschrift: »Es musste halt jemand machen«. Darin wurde Ursula vorgestellt, eine Frau Jahrgang 1923, die in Erding lebte.

»Vielleicht wäre das eine Geschichte für dich«, stand in dem ausführlichen Begleitschreiben. »Du könntest gewiss ein Buch daraus machen.«

In der Tat verrieten mir die Fotos und der Text so viel Interessantes über diese Frau, dass ich neugierig wurde. Sogleich begab ich mich auf »Spurensuche«. Mit »detektivischem Spürsinn« fand ich schnell die Telefonnummer der Tochter der alten Dame heraus. Meinen Anruf hielt sie zunächst für einen Scherz. Nachdem ich sie davon überzeugen konnte, dass ich es ernst meinte, antwortete sie: »Warum nicht?«, und lud mich ein, damit ich ihre Mutter interviewen konnte. Dazu muss ich vorausschicken, dass zu der Zeit die ganze Welt noch unter der Corona-Pandemie litt. Da wir bereits alle, das heißt, die Gastgeberinnen, mein Mann und ich gegen Corona geimpft waren, stand einem Besuch nichts im Wege.

Wie immer hatte ich mir vor dem Besuch zahlreiche Fragen aufgeschrieben, die ich der Frau stellen wollte. Unter jeder Frage hatte ich genügend Platz gelassen für die Antworten.

Die alte Dame empfing mich freundlich am gedeckten Kaffeetisch. Ihre Tochter Annemie hatte bereits alles vorbereitet. Bei Kaffee und Kuchen wurde es ein gemütlicher und ergiebiger Nachmittag für mich.

Bei manchen Fragen musste sich Ursula erst besinnen, ehe die Antwort erfolgte. Bei anderen lächelte sie verschmitzt und kam nur zögerlich mit ihrer Erzählung heraus.

Bereits am folgenden Tag begann ich damit, die Antworten zu sichten, und erstellte mir, wie zu Beginn eines jeden Buches, erst einmal die Stammtafel, damit ich weiß, wer wohin gehört. Nun folgte die Einteilung in Kapitel, und schon legte ich los. Nach einigen Seiten tauchten bei mir neue Fragen auf, die mir Ursula am Telefon zu meiner Zufriedenheit beantwortete.

Das Ergebnis liegt nun vor Ihnen, und ich hoffe, dass Sie beim Lesen von Ursulas Geschichte genauso viel Freude haben, wie ich sie beim Schreiben hatte.

Roswitha Gruber

Die Suche

Ehe ich von mir erzähle, möchte ich erst etwas über meine Eltern berichten. Mein Vater Kasper, 1880 geboren, war der zweite Sohn des Bauern von Haselöd, das in der Nähe von Dorfen liegt. Wie alle Bauernkinder musste er von klein auf im Betrieb mitarbeiten. Im Gegensatz zu manch anderem Kind tat er das mit großer Begeisterung und hatte keinen anderen Wunsch, als Bauer zu werden. Zu seiner Enttäuschung erfuhr er noch vor der Schulentlassung, die damals nach siebenjähriger Schulzeit erfolgte, dass nicht er den elterlichen Hof erben würde, sondern Matthias, sein älterer Bruder. Der Gedanke, bei diesem als Knecht dienen zu müssen, behagte ihm aber gar nicht. Deshalb entschloss er sich, ein Handwerk zu erlernen, damit er sich in absehbarer Zeit sein Brot selbst verdienen könne. Die Eltern erlaubten ihm, zu einem Zimmerer in die Lehre zu gehen, wenn auch schweren Herzens. Denn sie mussten, wie das damals noch üblich war, Lehrgeld für ihn zahlen. Obwohl der Hof genug abwarf, schmerzte es sie, Geld für den Sohn auszugeben, das sie lieber in den Betrieb gesteckt hätten. Der Lehrherr wohnte so weit weg, dass Kasper den Weg nicht täglich zu Fuß zurücklegen konnte, Verkehrsmittel hatte man noch nicht. Also wohnte der junge Bursche die ganze Woche über dort und kam nur am Samstagabend heim. Mit 16 legte er die Gesellenprüfung ab und wurde von seinem Meister ob seiner Tüchtigkeit übernommen. Die Arbeit machte ihm zwar Spaß, aber im Grunde seines Herzens wäre er lieber Bauer gewesen.

Auf einem anderen Einödhof, gar nicht allzu weit von Kaspers elterlichem Hof entfernt, wuchs Anna heran, Jahrgang 1883, als zweites von sieben Kindern. Auch sie half von Kindesbeinen an tüchtig im bäuerlichen Betrieb mit. Insgeheim beneidete sie ihren älteren Bruder, weil der einst das Sach übernehmen würde. Da sie sich schon als Schulmädchen zu einer wichtigen Stütze ihrer Mutter entwickelt hatte und ihrem Vater im Stall eine große Hilfe war, durfte sie nach ihrer Schulentlassung zu Hause bleiben. Ihre jüngeren Geschwister dagegen wurden gleich nach dem Pflichtschulabschluss zu anderen Bauern als Knechte oder Dirn gegeben.

Es gehörte damals zum normalen Ablauf, dass in regelmäßigen Abständen Jakob, der Viehhändler, in den Ställen der Bauern erschien, um Vieh zu kaufen oder anzubieten. Wenn er bei Annas Vater auftauchte, rief der immer den Hoferben dazu, damit dieser ein Auge für gutes Vieh entwickelte und das Handeln lernte. Dem Vater war es auch lieb, wenn Tochter Anna an den Gesprächen teilnahm. Er gab viel auf ihr Urteil und ihr Verhandlungsgeschick.

Als Anna 22 war und der Viehhändler von ihrem Vater zwei Kälber zu einem guten Preis gekauft hatte, fasste sie sich ein Herz und wandte sich an den Händler: »Jakob, weißt du nicht einen feschen Bauernsohn für mich, bei dem ich einheiraten könnte?«

Viehhändler waren nämlich gesprächige und aufgeschlossene Personen, die sich nicht nur in jedem Stall weit und breit auskannten, sondern auch über den Grundbesitz des Bauern und über seine Familienverhältnisse Bescheid wussten – etwa wie viele Kinder jeder hatte, in welchem Alter sie waren, wie viel Tagwerk Grund vorhanden war, ob und wie viel Mitgift eine Tochter zu erwarten hatte. Daher betätigten sie sich nebenher häufig als Heiratsvermittler, die man bei uns als Schmuser bezeichnete. Durch diese Tätigkeit verdienten sie sich ein nettes Zubrot.

Sechs Wochen später erschien Jakob wieder auf dem Hof von Annas Eltern. Er konnte ihr folgenden Bescheid geben: »Auf Haselöd, einem Hof mit 15 Hektar Land, gibt es einen Erben, der nach einer Bäuerin Ausschau hält. Den könntest du dir mal unverbindlich anschauen.«

Er arrangierte dann, dass Anna an einem Sonntagnachmittag im Oktober 1905 zum Kaffee eingeladen wurde. Außer Matthias, dem Heiratswilligen, saßen an der Kaffeetafel nicht nur seine Eltern, sondern auch seine Geschwister. Der Hausherr stellte jedes seiner Kinder mit Namen und Alter vor und welcher beruflichen Tätigkeit es nachgehe. Dann machten sich alle schweigend über den Streuselkuchen und den Malzkaffee her. Es ist verständlich, dass Anna sehr befangen war, als sie die vielen forschenden Augen auf sich gerichtet sah. Daher brachte sie kaum einen Bissen hinunter. Verstohlen warf sie immer wieder Blicke zum Hoferben, der seinerseits verstohlen zu ihr hinschielte.

Wie das damals üblich war, erwartete weder er noch sie die große Liebe. Waren sich die Väter in der Frage der Mitgift einig, traten die jungen Leute vor den Altar. Während die angehende Hochzeiterin an ihrem trockenen Kuchen kaute, wanderte ihr Blick auch immer wieder zu Kasper hin, den um ein Jahr jüngeren Bruder des Hoferben, den der Vater als Zimmerer vorgestellt hatte. Dabei wurde es ihr ganz warm ums Herz. Unter seinem Blick – denn auch er beäugte sie sehr aufmerksam – wurden Gefühle in ihr wach, die sie nicht gekannt hatte und die ihr keineswegs unangenehm waren. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch und hatte das Gefühl, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.

Als sie sich nach einer schicklichen Zeit erhob, bedankte sie sich freundlich für die Bewirtung und trat den Heimweg an, ohne dass sich der »Zukünftige« oder sein Vater in irgendeiner Weise erklärt hätten. Erst recht waren sie nicht auf die Idee gekommen, sie durch das Haus und die Wirtschaftsgebäude zu führen. Das war eher ein negatives Zeichen. Nachdem sie einige hundert Meter gegangen war, hörte sie, dass sie verfolgt wurde. Erschrocken wandte sie sich um. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass es nur Kasper war, der jüngere Sohn des Hauses. Ziemlich außer Atem sprach er sie an: »Anna, ich muss mit dir reden.« Sie verspürte heftiges Herzklopfen und hatte erneut das Gefühl, im Gesicht rot anzulaufen, daher brachte sie kein Wort heraus. Langsam setzte sie ihren Weg fort, während Kasper an ihrer Seite blieb und weiterredete: »Wie ich mitgekriegt habe, ist mein Bruder nicht sonderlich an dir interessiert, und wie ich beobachtet habe, scheinst du an ihm auch kein besonderes Interesse zu haben.«

Dazu konnte Anna nur nicken. Das ermunterte den Zweitgeborenen von Haselöd zu der Aussage: »Du gefällst mir, und so wie du immer zu mir hergeschaut hast, bin ich dir vielleicht auch nicht gleichgültig.«

Auch dazu nickte das Mädchen verschämt, weshalb der junge Zimmerer noch mutiger wurde: »Willst du mich heiraten?«

Bei dieser Frage erwachte die Bauerntochter von Birkenöd aus ihrer Befangenheit: »Aber geh, Kasper, wie kannst du so etwas fragen! Wir kennen uns doch kaum.«

Darauf hatte er die passende Antwort parat: »Der Schmuser hat dich zu uns auf den Hof geschickt als Braut für meinen Bruder. Und wenn sich der Stockfisch dir erklärt hätte, hättest ihn auch genommen, ohne ihn lange zu kennen.«

»Das stimmt«, gab die verschmähte Braut zu. »Aber ich bin auf den Hof gekommen in der Absicht einzuheiraten, weil ich Bäuerin werden möchte. Du tätest mir schon gefallen, aber als Zimmerer kannst du mir keinen Hof bieten.«

Über diese ehrliche Aussage musste er laut lachen. »Ja, wenn weiter nichts fehlt! Einen Hof kann ich dir über kurz oder lang auch bieten.«

»Wie das?«, horchte sie auf.

»Schau, Anna, als Zimmerer verdiene ich genug, um eine Familie ernähren zu können. Doch so weit ich zurückdenken kann, ist es mein sehnlichster Wunsch, Bauer zu werden. Leider bin ich nicht der Erstgeborene, deshalb muss ich halt versuchen, auf andere Weise zu einem Hof zu kommen.«

»Da wüsst’ ich als einzige Möglichkeit nur die Einheirat bei einer Bauerntochter. Bei mir bist leider fehl am Platz. Unseren Hof kriegt mein großer Bruder.«

»Das ist mir bereits durch den Schmuser bekannt und darauf spekuliere ich auch nicht.«

»Was willst du dann tun?«, fragte Anna nach.

»Einen Hof kaufen.«

»Ja, glaubst du denn, ein Bauer gibt seinen Hof her?«

»Nein, das nicht. Es kommt aber immer wieder vor, dass ein Bauer ohne direkte Nachkommen stirbt und die entfernteren Verwandten sich nicht für die Landwirtschaft interessieren.«

»Ah!«, staunte die Bauerntochter. »Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Aber wird ein solcher Hof nicht sündhaft teuer sein?«

»Man muss halt ein bisserl Geduld haben. Seit ich als Geselle arbeite – und als Zimmermann verdient man nicht schlecht –, lege ich jeden Pfennig auf die Seite. Und ich halte ständig Ausschau nach einem Hof.«

»Aber dir ist noch keiner begegnet, der zum Verkauf anstand?«

»Doch, schon. Zwei Mal sogar. In meinem Beruf kommt man ja viel herum. Beim ersten Mal war ich aber erst 18 und hatte noch kaum Erspartes. Außerdem kann man ja als Minderjähriger keinen Hof kaufen. Das zweite Mal war vor drei Jahren. Da wurde ein großes Anwesen angeboten, das war so teuer, dass ich mir das nie hätte leisten können, selbst wenn ich noch dreißig Jahre lang mein Geld beiseite lege. Doch ich gebe nicht auf und spare eisern weiter. Das Richtige kommt schon noch. Weißt, es ist leichter einen passenden Hof zu finden als eine passende Frau. Deshalb heißt es zugreifen, wenn sie einem begegnet. In dir glaube ich sie gefunden zu haben.«

Diese Worte gefielen dem Dirndl. »Wenn das so ist, werde ich auf dich warten. Von daheim bekomme ich zwar auch eine Mitgift, die wird allerdings bescheiden ausfallen, da wir sieben Kinder sind. Vermutlich wird es ein bisserl mehr sein, wenn ich noch einige Jahre auf dem Hof diene.«

»Eine Mitgift bringt uns unserem Ziel gewiss ein Stückl näher, aber darauf kommt es mir gar nicht so sehr an, viel wichtiger ist, dass du aus der Landwirtschaft kommst und so gerne Bäuerin sein willst, wie ich Bauer sein will.«

»Ja, das kann ich dir versichern. Ich wüsste wirklich nicht, was ich lieber täte. Von klein auf bin ich nicht nur mit allem vertraut, was zu einem bäuerlichen Haushalt gehört, sondern auch mit allen Feld- und Stallarbeiten.«

»Das ist ja großartig! Weißt aber, was trotzdem die Hauptsache ist?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Dass du mich magst!«

Seine Worte erschienen ihr so ehrlich, dass sie sich widerstandslos von ihm in die Arme nehmen und ein Busserl auf den Mund drücken ließ.

»So, das war unser Verlobungskuss«, stellte der Kasper fest. »Jetzt gehörst zu mir. Meinem Bruder werde ich noch heute klarmachen, dass du bereits vergeben bist, damit er nicht doch noch auf die Idee kommt, um dich zu werben.«

Anna durchströmte eine solche Seligkeit, von der sie nie gedacht hätte, dass es so etwas gibt. Um auch etwas zu ihrer baldigen gemeinsamen Zukunft beizutragen, versicherte sie ihrem Verlobten, dass sie sich von nun an ebenfalls umhören werde, ob nicht irgendwo ein Bauernhof zu kaufen sei.

In der Zwischenzeit waren sie schon ziemlich nah an ihr Zuhause herangekommen. Als es in Sichtweite war, verabschiedete sich der Jungmann mit einem weiteren Kuss und dem Versprechen, sie am folgenden Sonntag abzuholen.

Die ganze Woche über ging Anna wie auf Wolken. Er hielt Wort. Sie machten einen ausgedehnten Spaziergang durch die Flur, es gab ja noch so viel zu besprechen für ihre gemeinsame Zukunft. Dennoch blieben sie von Zeit zu Zeit stehen zu einem Busserl.

Von nun an holte Kasper seine Braut alle zwei Wochen zu einem Spaziergang ab. Jedes Mal versuchte sie in seinem Gesicht zu lesen, ob er in Sachen Hofsuche schon weiter gekommen war. Leider reagierte er auf ihren fragenden Blick immer mit der Antwort: »Wir müssen Geduld haben, Herzerl. Wir werden schon noch was finden.«

Als der Viehhändler wieder einmal Besuch auf Birkenöd machte, fragte er siegesbewusst: »Und, Anna, bist mit dem Matthias einig geworden?«

Sie antwortete kurz und knapp mit »Nein«. Da stand dem Jakob die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Doch schnell hatte er sich wieder gefasst und schlug ihr ganz geschäftsmäßig vor: »Dann werde ich mich halt weiter für dich umschauen. Heiratswillige Hoferben gibt’s mehrere.«

»Die Mühe kannst’ dir ersparen, Jakob. Wenn der Matthias auch nicht angebissen hat, auf Haselöd habe ich trotzdem einen Hochzeiter gefunden.«

»Wie? Was?«, fragte der Schmuser überrascht.

»Ja, den Kasper, den Zweitgeborenen.«

»Aber geh, Anna! Du hast mir doch ausdrücklich angeschafft, dass ich für dich eine Einheirat finden soll. Der Kasper ist Zimmerer und wird den Hof nie erben. Es sei denn, den Matthias würde ein Unglück treffen. Aber darauf wollen wir nicht hoffen.«

»Nein, Gott bewahre! Natürlich nicht. Einen Hochzeiter hast du mir verschafft, wenn auch um die Ecke herum. Nun musst du für uns nur noch einen Bauernhof finden, der zum Verkauf ansteht, damit wir heiraten können. Dein Schaden soll es nicht sein.«

Der Händler schob seinen Hut zurück und kratzte sich oberhalb der Stirn. Offensichtlich war das die Pose, in der er am besten nachdenken konnte. Endlich machte er den Mund auf: »Da wüsste ich um Dorfen herum absolut nichts. Selbst im weiteren Umkreis ist mir nichts bekannt.«

»Nun ja, es muss nicht direkt um Dorfen herum sein. Eine andere Gegend wäre uns auch recht, zum Beispiel um Erding, Altötting oder Wasserburg. Das ist ja alles nicht aus der Welt. Es muss auch nicht unbedingt ein Einödhof sein. Wir würden auch einen Hof nehmen, der mitten in einem Dorf liegt und der seine Felder außerhalb hat.«

Erneut kratzte sich Jakob am weit hinten beginnenden Haaransatz und meinte: »Da müsste ich meine Kollegen ansprechen. Einige von denen treffe ich gewiss auf dem nächsten Viehmarkt in Erding.« Doch auch bei seinem folgenden Besuch auf Birkenöd brachte Jakob nicht die ersehnte Neuigkeit.

Nachdem sich das junge Paar ein gutes Jahr lang kannte, sah Anna dem strahlenden Gesicht ihres Verlobten an, dass er eine gute Nachricht für sie haben musste. Die hatte er tatsächlich. Er hatte auf einem Einödhof Reparaturarbeiten durchgeführt. Dieser wurde von einem älteren kinderlosen Ehepaar bewirtschaftet, das sich entschlossen hatte, den Hof auf Rentenbasis abzugeben. Er lag etwa 15 Kilometer sowohl von Kaspers Elternhaus als auch von Annas Zuhause entfernt. Da die jungen Leute keine andere Gelegenheit hatten, dorthin zu gelangen, erlaubte Kaspers Vater dem Sohn, am folgenden Sonntag die Kutsche zu nehmen und eines der beiden Pferde vorzuspannen.

Nach zweieinhalbstündiger Fahrt erreichten sie das Anwesen. Der Bauer führte sie bereitwillig in den Wirtschaftsgebäuden herum und schritt mit ihnen die Felder und den Wald ab. Anschließend führte seine Frau die beiden Kaufinteressenten durchs ganze Haus, vom Keller bis zum Dachboden. Das Anwesen mit allem drum und dran hätte den jungen Leuten schon gefallen. Wohngebäude und Stallungen machten einen guten Eindruck. Aber je länger Anna mit der Bäuerin beisammen war, desto unguter wurde das Gefühl, das sie beschlich. Endlich setzte man sich in der Stube an den Tisch, wo der Bauer seine finanziellen Wünsche zur Sprache brachte. Bei den genannten Zahlen machte Anna große Augen. Außer, dass sie den Wert einer Kuh oder eines Kalbes einschätzen konnte, hatte sie keine Erfahrungen in Gelddingen. In diesem Punkt verließ sie sich ganz und gar auf Kasper, der als Handwerker öfter mit Finanziellem zu tun hatte. Aber auch der gab keinen Kommentar zu den Ausführungen des Bauern. Um Bewegung in die Sache zu bringen, fragte die Bäuerin schließlich: »Wie sieht’s aus? Wenn ihr wollt, können wir morgen schon zum Notar gehen.«

Seelenruhig antwortete der Zimmerer: »So schnell geht das freilich nicht. Wir haben alles zur Kenntnis genommen und müssen das in Ruhe miteinander besprechen. Dazu werden wir einige Tage benötigen. Dann melden wir uns wieder.«

»Lasst euch aber nicht zu viel Zeit«, drängte die Bauersfrau. »An unserem Sach sind noch mehr Leute interessiert.«

Als Kasper und Anna wieder auf dem Kutschbock saßen und Richtung Heimat fuhren, blieb ihnen genügend Zeit, alles durchzugehen. Anna hielt sich zunächst mit ihrer Meinung zurück und hörte zu, wie ihr Verlobter seinem Herzen Luft machte: »Also, was die sich einbilden! Die meinen, sie hätten einen Dummen gefunden! Allein, was wir bar auf den Tisch legen sollen, ist schon eine Unverschämtheit. Damit wäre das Anwesen bereits mehr als bezahlt. Wie du gehört hast, erwarten sie darüber hinaus eine horrende monatliche Rente. Gehen wir solche Verpflichtungen ein, kommen wir auf keinen grünen Zweig! Tut mir leid, Anna, dieses Angebot kann ich nicht annehmen, auch wenn wir deshalb mit der Heirat noch warten müssen.«

»Gott sei Dank!«, kam es bei Anna aus tiefstem Herzen.

»Wie? Du bist nicht enttäuscht?«, fragte der junge Mann überrascht.

»Nein, Kasper, kein bisschen. Glaub mir, ich bin zutiefst erleichtert über deine Entscheidung. So brauche ich dir diesen Hof wenigstens nicht auszureden.«

»Und was ist es, was dich abschreckt?«, wollte er wissen.

»Abgesehen davon, dass die Bäuerin sehr herrisch ist, gesteht sie uns nur eine einzige Kammer zu. Sie meinte, Küche, Stube und alles andere könnten wir gemeinsam nutzen. Damit wäre der Unfriede im Haus vorprogrammiert. Dabei gibt es im Haus genug freie Zimmer, von denen sie uns einige überlassen könnte.«

»Ja, das ist mir bei dem Rundgang auch aufgefallen«, bestätigte Kaper.

»Wären die Bauersleute über neunzig, würde ich dieses Wagnis vielleicht noch eingehen«, fuhr Anna in ihren Erklärungen fort. »Da beide aber erst Anfang fünfzig sind, ist davon auszugehen, dass wir womöglich dreißig Jahre mit ihnen zusammenleben müssten. Das scheint mir nicht verlockend. Und wie würde es erst sein, wenn Kinder kommen? Gewiss, die Kammer, die sie uns zugedacht hat, ist sehr geräumig. Darin hätten außer unserem Bett auch noch einige Kinderbettchen Platz. Aber die armen Kinder würden sich im ganzen Haus nicht rühren dürfen. Nein, nein, das will ich ihnen nicht antun. Wir werden schon noch was Besseres finden.«

»Anna, du bist ein Schatz«, flüsterte der junge Mann und küsste sie auf die Wange. Mehr Zärtlichkeiten waren nicht angebracht, er musste ja darauf achten, dass sein Ross in der Spur blieb.

Einige Monate später konnte der Schmuser endlich mit einem Vorschlag aufwarten. Es ging um einen Bauernhof, der mitten in einem Dorf in der Nähe von Wasserburg lag. Voller Enthusiasmus fuhr das Liebespaar hin. Voller Enttäuschung kehrte es zurück. Das Anwesen stand leer und wurde mit riesigem Grundbesitz, der außerhalb des Ortes lag, zum Verkauf angeboten. Die Gebäude waren in gutem Zustand, doch der Preis war unerschwinglich. Erneut wurde den beiden viel Geduld abverlangt.

Zwei Jahre nachdem Anna den Viehhändler beauftragt hatte, für sie einen Hof zu finden, unterbreitete er ihr ein neues Angebot, diesmal in der Nähe von Erding. Es handelte sich um einen Einödhof, der zu Maierklopfen gehörte, was wiederum ein Ortsteil von Bockhorn war. Der Hof stand schon seit vielen Jahren leer. Das alte Bauernpaar war ohne Nachkommen gestorben und hatte kein Testament hinterlassen. Daher fiel der Besitz an eine Erbengemeinschaft, die aus mehreren Nichten und Neffen bestand. Von denen wollte aber niemand den Hof bewirtschaften. Lange Zeit waren sie sich nicht einig geworden, ob sie den Hof verkaufen sollten. Nach Jahren hatten sie sich endlich dazu durchgerungen und boten ihn nun zu einem weit überhöhten Preis an. Als Jakob von dem Hof erfuhr, hatten bereits zahlreiche Interessenten das Anwesen besichtigt, aber niemand hatte zugeschlagen. Da die Erben endlich Geld sehen wollten, gingen sie mit dem Preis erheblich herunter.

»Das ist ein gutes Zeichen«, meinte Kasper. »Dann können wir den Hof billig über den Schnabel nehmen.«

An einem Sonntagmorgen fuhren die Verlobten schon in aller Herrgottsfrühe mit der Kutsche hin. Diesmal waren 23 Kilometer zurückzulegen, wofür das brave Pferd knapp vier Stunden brauchte. Für 10 Uhr hatte man sich mit einem Neffen verabredet, den die Erbengemeinschaft als ihren Sprecher auserkoren hatte. Lustlos führte er sie durch die Felder, die Wiesen und den Wald, insgesamt waren es 15 Tagwerk Grund. Ebenso lustlos zeigte er ihnen anschließend das Wohnhaus und was von den Wirtschaftsgebäuden noch übrig war. Mit den Jahren des Leerstands waren diese ziemlich heruntergekommen.

»Stall und Stadl gehören abgerissen«, kommentierte Kasper.

»Das fürchte ich auch«, gab der Neffe kleinlaut zu. »Wir haben halt zu lange gewartet.«

»Das Wohnhaus kann man erhalten, wenn man es so bald wie möglich an einigen Stellen saniert«, konstatierte Kasper. »Vor allem muss sofort ein neues Dach drauf, damit man bei Regen nicht mit einem Schirm im Bett sitzen muss.«

Mit säuerlich verzogenem Gesicht lachte der Vertreter der Erben auf: »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie wollen den Hof auch nicht?«

»Das möchte ich damit nicht andeuten. Sollten wir uns im Kaufpreis einigen, werde ich das Wagnis durchaus eingehen. Was meinst du, Anna?«

»Mir ist klar, dass man hier noch viel Arbeit und Geld reinstecken muss. Wenn aber der Preis stimmt, bin ich bereit, das Beste daraus zu machen.«

Völlig desillusioniert, weil er schon so viele Besucher vergeblich durch Haus und Grund geschleust hatte, kam der Neffe den jungen Leuten, was die Kaufsumme anging, sehr entgegen. Schon wenige Tage später unterzeichnete man beim Notar in Erding den Kaufvertrag. Der Preis war wirklich so günstig, dass Kaspers Ersparnisse und Annas Mitgift fast gereicht hätten. Dennoch mussten sie bei der Bank einen Kredit aufnehmen. Sie brauchten ja Material, um Stall und Scheune neu zu errichten und das Dach des Wohnhauses decken zu lassen. Lohnkosten fielen so gut wie keine an. Durch seine Arbeiten am Bau war der Zimmerer Kasper mit zwei Maurern befreundet, für die er mal Holzarbeiten an ihren Häusern ausgeführt hatte. Diese halfen ihm nun, die verfallenen Wirtschaftsgebäude abzureißen, und mauerten sie wieder so auf, wie sie ursprünglich gewesen waren, sodass man von der Küche aus gleich in den Stall und von dort in den Stadl gelangen konnte. In diesen konnte man mit den beladenen Heu- und Erntewagen einfahren und das Heu dann gleich vom Wagen aus auf den Heuboden laden, der sich zur Linken, direkt über dem Stall befand. Auf der rechten Seite des Stadls war der Getreidespeicher. Darunter gab es einen Keller, in dem man die Runkelrüben frostsicher lagern konnte. Die freie Fläche zwischen den beiden Speichern, auf welche die Wagen einzufahren pflegten, diente als Tenne, auf der man mit Dreschflegeln das Getreide drosch.

Alles, was an Holzarbeiten zu machen war, übernahm Kasper selbst. Ein Dachdecker, mit dem er von Berufs wegen ebenfalls befreundet war und für den er auch schon tätig gewesen war, deckte ihm kostenlos sämtliche Dächer. Nachdem das Dach des Wohnhauses abgetragen war, erkannte der neue Eigentümer, dass die Balken und Dachlatten so morsch waren, dass sie kein neues Dach getragen hätten. Denn statt des bisherigen Schindeldaches deckte man nun alle Dächer mit roten Dachziegeln. Diese waren wesentlich schwerer, dafür waren sie aber so stabil, dass sie bis an sein Lebensende halten würden.

Bis alles wirklich so war, dass man einziehen und Vieh halten konnte, dauerte es noch ein ganzes Jahr. Im April 1908 wagte es das junge Paar endlich zu heiraten. Eine eigentliche Hochzeitsfeier gab es nicht. Da die beiderseitigen Eltern und Geschwister weit weg wohnten, wollte man ihnen die Anreise nicht zumuten. Außerdem war es auch eine Kostenfrage. Die beiden Nachbarn, die direkt hinterm Hügel sechs bzw. zehn Gehminuten von ihrem Gehöft entfernt wohnten, bat man zu Trauzeugen. Das sahen diese als Ehre an. Mit ihnen kehrte man nach der Trauung in Hörgersdorf in das einzige Wirtshaus am Ort ein, das unweit der Kirche lag. Auf diese Weise machte man sich nicht nur bekannt, man gewann auch Freunde. In einer Einöde war eine gute Nachbarschaft wichtig. Jeder konnte in die Verlegenheit kommen, dass er auf Hilfe angewiesen war.

Bei uns daheim

Die Felder, die zu Kaspers neu erworbenem Anwesen gehörten, lagen alle um die Gebäude herum. Die zögerlichen Erben waren wenigstens so gescheit gewesen, dass sie diese bisher verpachtet hatten. Das hatte ihnen nicht nur ein bisschen Pachtzins eingebracht, die Felder waren auch bearbeitet worden und deshalb nicht verwildert. Gleich nach Abschluss des Kaufvertrages hatte Kasper den Pächtern gekündigt. Daher konnte er die Felder nach einem Jahr selbst bewirtschaften. Bis dahin war das Haus auch bezugsfertig. Für das eine Jahr hatte Kasper noch Pacht kassiert, was ihm beim Kauf des Viehs dann zugute kam. Noch vor der Hochzeit hatte sich das Paar nach passenden Tieren umgeschaut. Einen Ochsen oder gar ein Pferd konnten sie sich nicht leisten, aber drei Kühe. Dabei achteten sie darauf, dass zwei davon zum Pflügen und zum Wagenziehen abgerichtet worden waren. Zwei Schweine kauften sie auch, Federvieh dagegen hatten sie von ihren Eltern bekommen, als Bestandteil des Heiratsgutes. Jedes bekam von daheim einige Hühner, ein Gänsepaar und etliche Tauben. Damit sich die Hühner vermehren konnten, bekam Kasper zusätzlich noch einen Gockel. Auch die Tauben waren kein Luxusgut. Sie vermehrten sich eifrig, und war der Bestand groß genug, landeten einige von ihnen als sonntäglicher Leckerbissen im Bratrohr.

Die alten Ackergeräte waren zwar stark verrostet, taten ihren Dienst aber noch einwandfrei. Für Möbel brauchten meine Eltern zunächst auch kein Geld auszugeben. Bescheiden, wie sie waren, begnügten sie sich jahrelang mit dem alten Mobiliar, das noch von den verstorbenen Bauersleuten stammte.

Soweit ich mich erinnere, war das Bauernhaus sehr klein. Eigentlich war es kein Haus, sondern eher ein Häuschen. Das Erdgeschoss bestand aus einer Küche mit Speisekammer, einer Stube und einem winzigen Raum, in dem zwei Betten standen. Das Obergeschoss befand sich direkt unter dem Dach. Außer einer kleinen Abstellkammer gab es dort zwei geräumige Schlafzimmer. In meiner Kindheit sah das so aus: Eines war die Bubenkammer, das andere die Dirndlkammer. In jeder standen unter der Dachschräge vier Betten. An der geraden Wand, den Betten gegenüber, stand ein Kleiderschrank. Bei der Heirat meiner Eltern muss das alles noch ganz anders ausgesehen haben. Als das Paar einzog, hatten in den Kammern unter jeder Dachschräge nur jeweils zwei Betten gestanden. Es gab auch keine Kleiderschränke. Meine Mutter erzählte mir, dass sie die Schränke erst wesentlich später angeschafft hatten. Das bisschen Gewand, das sie besaßen, hatten sie, genau wie es die Vorbesitzer gehandhabt hatten, viele Jahre lang an die Haken gehängt, die an den geraden Wänden angebracht gewesen waren.

Vor dem Haus hatten meine Eltern einen verwilderten Garten vorgefunden, dessen Lattenzaun total zusammengebrochen war. Eine der ersten »Amtshandlungen« meines Vaters war es gewesen, die Überreste des Zauns wegzuräumen und als Brennholz beiseitezulegen. Die Wildnis pflügte er kurzerhand um. Nachdem das Unkraut unter der Erde verschwunden und weitgehend vermodert war, ging er mit der Egge darüber. Dann grenzte er den Garten mit einem soliden Lattenzaun vom übrigen Hof ab, damit die Hühner nicht hineinlaufen und das Eingesäte wegpicken konnten. Einsäen konnte die Mutter aber erst im folgenden Frühjahr. Aus der anfänglichen Wildnis hatten beide schon bald einen fruchtbaren Nutzgarten gezaubert, der die Familie fast das ganze Jahr über mit allem versorgte, was damals in unserer Region wuchs: Zwiebeln, Lauch, Möhren, Kopfsalat, Gurken, Radieschen, Bohnen, Erbsen, Blaukraut und Weißkraut. Auch Petersilie und Schnittlauch fehlten nicht. Ja, sogar Frühkartoffeln erntete sie aus ihrem Garten.

Für die Winterkartoffeln hatte der Vater ein ganzes Feld angelegt. Hinter dem Haus standen noch einige Obstbäume, die allerdings recht verwahrlost wirkten. Von einem Nachbarn, der sich mit der Pflege von Obstbäumen auskannte, ließ er sie schneiden. Danach hatten wir von Juli bis Oktober unser frisches Obst. Auch im Winter profitierten wir davon. Äpfel wurden in dem kleinen Keller unter der Küche gelagert. Aus Zwetschgen und Birnen wurde Dörrobst gemacht, und viele Jahre später, als es Weckgläser gab, wurden Kirschen, Zwetschgen und Birnen eingemacht, sodass wir den ganzen Winter über Kompott hatten.

Im Hof neben dem Nutzgarten befand sich der Ziehbrunnen, aus dem wir unser Trink- und Brauchwasser schöpften. Dieses Wasser war aber zu kostbar, um damit den Nutzgarten zu gießen, falls es einmal längere Zeit nicht geregnet hatte. Zum Gießen benutzten wir Regenwasser. Beim Decken der Dächer hatte der Vater genügend Weitblick bewiesen und ordentliche Dachrinnen und solide Fallrohre an allen vier Ecken anbringen lassen. Unter jedem stand ein Regenfass, in dem das wertvolle Nass aufgefangen wurde. Zum Wäschewaschen benutzte die Mutter dieses Wasser auch gerne, weil es weich war, sodass man weniger Waschpulver benötigte.

Meine Eltern waren sehr glücklich, als sie endlich beisammen sein konnten. Dass ihr Leben nicht einfach werden würde, war ihnen von vorneherein klar gewesen. Dass sie sich von früh bis spät im Stall und auf den Feldern abrackern mussten, hatten sie ebenfalls gewusst. Dennoch waren beide selig, ihren Traum vom eigenen Bauernhof verwirklicht zu haben. Damit ein bisschen Bargeld einging und sie schneller von ihren Schulden herunterkommen würden, nahm mein Vater, nachdem die eigenen Gebäude und Felder instand gesetzt waren, wieder eine Tätigkeit als Zimmermann an. Er hatte das Glück, bei einem Meister angestellt zu werden, der seine Werkstatt in Maierklopfen hatte. So kam er jeden Abend heim und konnte seine Feldarbeiten erledigen. Meine Mutter kam mit dem Stall ganz gut allein zurecht.

Für beide bedeutete es ein weiteres Glück, als übers Jahr ein gesundes Kind in der Wiege lag. Die Wiege hatten sie in der Abstellkammer gefunden, auf dem Holz war die Jahreszahl 1754 zu lesen. Vermutlich hatten die Ahnen unserer Vorbesitzer diese voller Stolz über ihren Stammhalter aufmalen lassen. Meine Eltern waren nicht enttäuscht, dass ihr erstes Kind ein Mädchen war. Sie gaben ihm den Namen Maria, und die junge Mutter meinte: »Dann haben wir schon mal eine Kindsmagd für die anderen, die noch kommen werden.«

Kasper sah das ebenso positiv: »Ein Dirndl ist gut, so hast du bald eine Hilfe im Haushalt.«

Im Jahr darauf kam ein Bub zur Welt. Zur Enttäuschung seiner Eltern war er so schwächlich, dass er keine Überlebenschance hatte. In der Nottaufe durch die Hebamme bekam er den Verlegenheitsnamen Toni, denn seinen eigenen Namen wollte der Bauer aufheben für seinen Hoferben. Der kleine Toni starb nach einigen Stunden.

Als im Jahre 1911 Tochter Anna zur Welt kam, waren die jungen Eltern nicht allzu enttäuscht. Doch als 1913 mit Jung-Kasper endlich der Stammhalter in der alten Wiege lag, jubelten sie.

Ein Jahr später brachte Anna wieder ein Mädchen zur Welt. Es bekam den Namen Elisabeth. Im Sommer desselben Jahres brach leider der unselige Krieg aus. Anfangs hatte mein Vater noch Glück, aber nach dem ersten Kriegsjahr wurde auch er zu den Waffen gerufen. Nun stand meine Mutter allein da mit der Landwirtschaft und vier kleinen Kindern, von denen noch keines alt genug war, um mithelfen zu können. Für sie muss es eine schwere Zeit gewesen sein. Als sie mir davon erzählte, konnte sie sich selbst nicht mehr vorstellen, wie sie alles geschafft hatte. Nur für die schweren Feldarbeiten hatte sie Hilfe gehabt. Der Altbauer von einem Nachbarhof hatte für sie gepflügt, denn ihr fehlte es an Kraft, den Pflug tief genug in die Erde zu drücken.

Zur Heuernte bekam Kasper glücklicherweise Fronturlaub, und auch zur Getreideernte war er wieder da. Ende Oktober durfte er sogar noch mal für zwei Wochen nach Hause, um Brennholz zu schlagen. Im Winter 1916 erkrankte die kleine Elisabeth an Lungenentzündung und starb nach wenigen Tagen. Ihr Vater konnte noch nicht mal zur Beisetzung kommen.

Im vierten Kriegsjahr erlitt mein Vater eine Schussverletzung am Unterschenkel. Damit war für ihn der Krieg aus, und er wurde nach einem kurzen Lazarettaufenthalt nach Hause entlassen. Bis sein Bein wieder völlig genesen war, war der Krieg vorbei. Nach seiner Heimkehr wuchs die Kinderschar weiter an. Ende 1918 wurde Magdalena (Leni) geboren. Im Jahr darauf erblickte Josef (Sepp) das Licht der Welt. Im Jahre 1920 kam Johann (Hans) bei uns an und zwei Jahre später der Michael, von allen nur Mich genannt. Im Inflationsjahr 1923 tat ich meinen ersten Schrei in meinem Vaterhaus und zwar am 25. Mai.