ISBN: 978-3-95428-785-7
1. Auflage 2021
© 2021 Wellhöfer Verlag, Mannheim
Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.
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Freitag früh. Ich war auf dem Weg zur Arbeit, als mein Handy klingelte.
»Sie können wieder umdrehen, Chef. Ein Toter in Kallstadt.«
»Totgesoffen?«
»Nee, da war jemand schneller. Klang eher unappetitlich. Ich hoffe, Sie haben schon gefrühstückt.«
Mit dem Handy am Ohr legte ich einen U-Turn auf der Landstraße hin. Gingen zwei Aspirin als Frühstück durch? Ich ließ mir die Adresse geben und fuhr die paar Kilometer nach Kallstadt.
Vor Ort empfing mich ein adipöser junger Mann, dessen rotblondes Haar sich bereits merklich lichtete. Blass und nervös wartete er vor einem Gebäude, das den Charme einer Mehrzweckhalle aus den Achtzigern verströmte. »P. Weinreich« stand auf einem Plastikschild an seinem Revers. Ich suchte nach meinem Dienstausweis, fand ihn aber nicht.
»Sind Sie …?«, begann Weinreich.
»Bin ich. Was haben Sie Schönes für mich?«
»Schönes?« Er starrte mich an. »Eher das Gegenteil. Ein Desaster.«
Gemeinsam betraten wir das Gebäude. Zwei Kollegen von der Streife kamen auf uns zu, die sofort Bericht erstatten wollten; ich wimmelte sie ab. Drinnen herrschte ein unglaubliches Chaos. Stühle und Tische lagen auf dem Boden, dazwischen Arbeitsgerät wie Hacken und Spaten, hin und wieder eine Schusswaffe, zerbrochenes Geschirr, umgestürzte Statuen, Bücher, Essensreste, Weinflaschen, Plakate. Auf einer Bühne ganz am Ende des Saals waren einige Kriminaltechniker zu Gange. Über ihnen hing eine Fahne mit der Aufschrift »The Outwanderers«.
»Dort hinten«, sagte der Dicke und wies zur Bühne.
Mühsam bahnten wir uns einen Weg durch das Gerümpel. Die beiden Polizisten folgten uns wie Dackel, verstimmt, weil sie keinen Rapport geben durften. Als uns die Kriminaltechniker bemerkten, wichen sie zur Seite, einer nach dem anderen, und gaben den Blick auf einen zu ihren Füßen liegenden Körper frei. Es war ein Mann, der da lag. Ein Mann in anthrazitfarbenem Anzug mit einer roten, viel zu langen Krawatte. Er war kräftig, nicht mehr jung, und seine Haare leuchteten orange.
Schweigend stand ich vor der Bühne und schaute auf die Leiche des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
»Donald Trump«, sagte ich schließlich mit feierlicher Stimme. »So musste er also enden.«
Es war sehr still in dem Raum. Niemand sprach. Bis sich Weinreich vorsichtig räusperte.
»Ja«, sagte er und grinste schief. »Fast.«
»Schön wär‘s«, brummte der eine Polizist, was ihm einen Ellbogencheck seines Kollegen einbrachte.
Ich schloss die Augen und stellte mir die Schlagzeilen vor: »Trumps Ende in der Pfalz« – »Warum musste der Ex-Präsident sterben?« – »Kallstadt bringt die USA zum Weinen«. Diplomatische Verwicklungen. Vorwürfe, Untersuchungen, Schuldzuweisungen. Eine weltumspannende Krise, ausgelöst durch uns Pfälzer. Wahnsinn.
»Sie denken jetzt aber nicht …«, hörte ich neben mir sagen.
Ich öffnete die Augen. »Was?«
»Dass das hier … dass das der echte Präsident ist?«
»Der echte heißt Biden und hat Besseres zu tun, als bei euch in Kallstadt einen zu bechern. Wer ist das?«
»Rüdiger Rebland. Der Rüdiger Rebland! Unternehmer, Künstler, Trump-Darsteller. Nun sagen Sie nicht, Sie hätten nie von ihm gehört?«
»Was ist passiert?«, wollte ich von den Kriminaltechnikern wissen.
»Mehrere Stiche in die Magengegend. Er ist verblutet.«
Unter der Leiche hatte sich eine respektable Pfütze gebildet. Sie war eher schwarz als rot, jedenfalls längst nicht so rot wie Reblands Krawatte.
»Und wann?«
»Später Abend vermutlich.«
»Grässlich«, flüsterte Weinreich. »Was für ein Verlust! Wie sollen wir denn jetzt …?«
»Darf ich?«, erkundigte ich mich bei den Kollegen in ihren Ganzkörperschutzfolien, und als genickt wurde, erstieg ich die Bühne, um mir den Toten aus der Nähe anzuschauen. Dem ehemaligen Präsidenten war er wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten, genauso unnatürlich gebräunt, genauso raubtierartig. Lediglich die orangefarbene Perücke war ein wenig verrutscht, darunter trug der Tote offenbar Glatze.
»Und was ist das hier?« Ich zeigte auf eine Handvoll Gegenstände, die um die Leiche herumlagen und an Miniatur-Burger erinnerten. Burger in hellgrün.
»Schnäges«, erklärte einer der Kriminaltechniker. »War wohl eine Naschkatze, unser Mann.«
»Von wegen Naschkatze«, kam gleich der Protest von unten. »Eine Legende!«
Ich richtete mich auf. »Und was war so legendär an dem Herrn?«
»Alles!«, rief Weinreich. »Alles. Sein Leben, seine Ideen, seine Kraft. Schauen Sie sich doch um! Die Festspiele, das ganze Kulturprogramm – sein Baby. Ohne ihn hätte sich nichts getan in Kallstadt, nichts!«
»Festspiele?«
»Das wissen Sie nicht?« Der ältere Polizist schaute mich entgeistert an. »Sind Sie nicht von hier?«
»Aus Freinsheim.«
Weinreichs Miene verfinsterte sich. »Das erklärt einiges.«
»Na eben«, rief der Polizist. »Dann müssen Sie doch unsere Auswanderer-Festspiele kennen. Die ganze Region redet darüber!«
»Freinsheim nicht«, sagten der Dicke und ich wie aus einem Mund. Daraufhin meinten die Kriminaltechniker, wir sollten unsere Privatscharmützel gefälligst anderswo austragen, sie hätten schließlich zu arbeiten und würden nicht fürs Rumstehen bezahlt. Ich warf noch einen letzten Blick auf den Trump-Darsteller und seine hellgrünen Süßigkeiten, dann verließ ich die Bühne. Unten packte ich den jungen Mann am Arm und bugsierte ihn durch die Halle zu einem der wenigen aufrecht stehenden Tische. Ich hob zwei Stühle vom Boden auf und drückte den Dicken auf einen von beiden. Die beiden Polizisten wies ich an, den Tatort unter Einsatz ihres Lebens zu sichern. Dann zückte ich Notizblock und Kugelschreiber und nahm ebenfalls Platz.
»So, Herr Weinreich, Sie erzählen mir jetzt, was es mit dem Toten und den Festspielen auf sich hat. Und in welcher Funktion Sie hier sind.«
Bevor er antworten konnte, meldete sich einer der Kriminaltechniker zu Wort.
»Linkshänder!«, rief der Mann in unsere Richtung. »Die Stichwunden lassen auf einen linkshändigen Täter schließen.«
»Oder eine Täterin«, brüllte ich zurück. »Immer schön gendern da oben, ja?«
»Wird gemacht, Frau Kommissarin!«
»So viel Humor am frühen Morgen«, seufzte ich und schob Weinreich den Notizblock hin. »Hier, schreiben Sie mir Ihren vollen Namen und Ihre Handynummer auf, das ist am einfachsten. Und dann legen Sie los.«
»Ich bin Pressesprecher«, erklärte er, noch während er schrieb. »Pressesprecher der Festspiele.« Ob das mit dem Schreiben so langsam ging, weil er gleichzeitig sprach oder weil er die ungewohnte rechte Hand benutzte, war schwer zu beurteilen. »Der Bereich Öffentlichkeitsarbeit ist ja enorm wichtig, fast das Wichtigste bei so einem Projekt. Zumal, wenn es ganz neu ist. Jedenfalls habe ich seit Monaten einen 18-Stunden-Tag, und deshalb war ich heute auch als erster hier.«
»Fast«, sagte ich und imitierte sein schiefes Grinsen von vorhin.
Er schaute irritiert. »Wie?«
»Fast als erster. Rebland war schon da.«
»Ach so, ja. Die Tür stand offen, das fiel mir gleich auf. Und als ich rein bin, habe ich sofort gesehen, dass etwas nicht stimmt.«
Ich nickte. »Das Chaos.«
»Welches Chaos?«
»Na, das Durcheinander hier. Das Zeug, das überall rumliegt, sogar Waffen!«
»Ach, das!«, lachte er. »Nein, das gehört so.«
»Gehört so?«
»Aber ja. Hier wurde gestern der Sturm auf das Rathaus geprobt. Gehört zum Programm. Wir schreiben das Jahr 1881: Donald Trump senior verliert die Bürgermeisterwahl von Kallstadt, fühlt sich betrogen, daraufhin verwüsten seine Anhänger das Rathaus. Super Spektakel, wirklich. Einer der Höhepunkte der Aufführung, müssen Sie sich anschauen!«
Ich kratzte mich am Kopf. »Donald Trump senior?«
»Eine fiktive Gestalt. Aber sehr eindrucksvoll. Kallstadt als Keimzelle der Geschichte! Alles schon mal dagewesen, hier in der Pfalz.«
»Und Sie meinen, mit Ihren Trump-Festspielen …«
»Falsch!«, unterbrach er mich unerwartet heftig. »Nicht Trump-Festspiele, Herr Kommissar, auf keinen Fall. Es sind Auswanderer-Festspiele. Mit dem zwielichtigen Politiker dieses Namens hat unsere Aufführung nur am Rande zu tun. Der Blickwinkel ist viel weiter gefasst, es geht um die Auswanderungswelle im späten 19. Jahrhundert insgesamt. Schließlich kam auch der Vorfahr von Henry John Heinz von hier. Und der«, er langte zum Ende des Tischs, griff nach einer Ketchup-Flasche und stellte sie mit Schwung vor mich hin, »spielt ebenfalls eine Rolle bei The Outwanderers.«
Misstrauisch beäugte ich die Flasche. Sie war knallrot, ihr Deckel fehlte. »Der Ketchup-Heinz stammt aus Kallstadt?«
»Allerdings.« Sein Blick triefte vor Stolz.
Vielleicht lag es an seinem Blick, vielleicht war es aber auch bloß ein ganz normaler Reflex; jedenfalls griff ich die Flasche mit beiden Händen und drückte sie. Luft entwich und ein paar feuchte Spritzer. Weinreich zuckte zurück.
»Vorsicht«, murmelte er. »Macht böse Flecken.«
Ich stellte die Flasche wieder zurück. »Gut. Trump und Heinz. Beide made in Kallstadt. Und das schlachten Sie hier touristisch aus.«
»Kulturell«, verbesserte er. »Kulturell, wenn ich bitten darf. Über Touristen freuen wir uns natürlich auch. Es ist ein Gesamtpaket, bei dem …«
»Bei dem Herr Rebland eine zentrale Rolle gespielt hat«, ergänzte ich.
»Richtig. Die zentrale Rolle. Es war seine Idee, er hat die Ortsgemeinde überzeugt, er hat die Sponsoren zusammengetrommelt, das Organisationskomitee, die Autoren und Schauspieler.«
»Und die Hauptrolle hat er gleich selbst übernommen.«
»Sicher. Er gibt den Trump ja schon seit Jahren. Seine Paraderolle, ein echtes Zugpferd.«
»Aber wenn es Ihnen gar nicht um den Ex-Präsidenten geht, sondern um einen erfundenen Pfälzer Urahn namens Trump, warum dann die Klamotte mit Perücke, Solariumsbräune und lächerlichen Krawatten? Ihr Donald Trump senior könnte doch ganz anders aussehen.«
»Könnte, ja. Aber für das Publikum ist es einfacher. Man erkennt dann gleich die Familienzugehörigkeit.«
»Ganz zu schweigen von den hübschen Bildern und Schlagzeilen, die man so erzielt. Aber«, ich schnappte mir die Ketchup-Flasche und zielte damit auf ihn, »aber, lieber Herr Weinreich, ist Ihnen klar, was dieser Mummenschanz für unsere Ermittlungen bedeutet?«
Er wich zurück. »Wie gesagt, total blöde Flecken.«
»Es bedeutet, dass wir es hier möglicherweise mit einem politischen Fall zu tun haben. Einem Fall von globaler Tragweite. Was, wenn der Mörder dachte, er hätte den echten US-Präsidenten vor sich und könnte die Welt ein für alle Mal von ihm befreien?«
»Was?«, machte Weinreich und starrte mich an. »Wieso …? Aber …« Jetzt kapierte er. »Ein politischer … ein Attentat? Das wäre ja …« Seine Augen wurden groß und rund. »Das wäre ja entsetzlich. Ganz furchtbar wäre das.«
»Hören Sie auf. Es wäre die beste Reklame, die Sie haben könnten.«
»Reklame?« Seine Stimme troff vor Empörung, aber es war Empörung aus dem Pressesprecher-Baukasten. Weinreich gab einen verdammt schlechten Schauspieler ab, wahrscheinlich sogar zu schlecht für seine eigenen Festspiele. Während er wortreich die Moral, die Verantwortung, den transatlantischen Blickwinkel und die Pfälzer Seele beschwor, überlegte er bestimmt, wie sich die Sitzplätze im Saal verdreifachen ließen.
Als er endlich fertig war mit seinem Sermon, donnerte ich die Flasche auf den Tisch und schnauzte ihn an: »Wo waren Sie gestern Abend?«
»Zu Hause. Mails schreiben, Unterlagen durchgehen. Warum fragen Sie?«
»Wann haben Sie Rebland zum letzten Mal gesehen?«
»Gegen fünf. Sie glauben doch nicht …« Auf seiner Stirn glänzte Schweiß. »Rüdigers Tod ist eine Katastrophe für die Festspiele! Der Worst Case, der Super-Gau, vielleicht müssen wir die gesamte Chose abblasen.«
»Können Sie sich vorstellen, was er hier abends noch gemacht hat?«
»Nicht direkt. Er hat ja ständig überall nach dem Rechten geschaut. Wobei …« Weinreich lächelte verlegen. »Ein Leckermaul war er schon, da hat Ihr Kollege recht.«
Bevor ich nachfragen konnte, was er damit meinte, ließ uns ein gellender Schrei zusammenfahren. Wir schauten zur Tür. Jemand stürmte in den Saal, gefolgt von einem der Polizisten.
»Rüdiger!«, schrie der Jemand. Eine Frau. Sie war mittelgroß und schlank, eine beeindruckende blonde Mähne wehte hinter ihr her. Der Polizist versuchte sie zu packen, geriet ins Stolpern und verschwand kopfüber zwischen den herumliegenden Stühlen.
»Wenn man vom Teufel spricht«, seufzte Weinreich.
Im Gegensatz zu ihrem Verfolger bewegte sich die Frau rasch und geschmeidig durch das Chaos. Schon hatte sie die Bühne erreicht und schickte sich an, sie zu betreten. Zwei Kriminaltechniker versperrten ihr den Weg.
»Rüdiger«, schluchzte sie. »Lassen Sie mich zu ihm!«
Ratlos schauten die beiden zu mir herüber. »Ist das jetzt Ivana«, fragte ich Weinreich, »oder Melania?«
»Weder noch. Karina Brankovic. Unsere Catering-Beauftragte.«
Ein Appetithappen für Rebland, hieß das wohl in Übersetzung. Würdevoll erhob ich mich und schlenderte zur Bühne hinüber, den Pressesprecher im Schlepptau.
»Immer mit der Ruhe, meine Dame«, dröhnte ich durch den Saal. »Lassen Sie die Herren bitte ihre Arbeit machen. Darf ich fragen, warum Sie polizeiliche Anweisungen missachten und …«
»Rüdiger ist tot«, schnaubte sie mich an, »und Sie kommen mir mit Anweisungen, Sie Beamter!«
»Karina«, wollte Weinreich besänftigen, doch ein Blick von mir ließ ihn verstummen.
»Wenn die Dame mir nicht sofort erklärt, in welcher Beziehung sie zu dem Opfer stand, lasse ich sie in Handschellen abführen.« Der gestürzte Polizist, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte, nickte grimmig.
»Beziehung?« Der Blonden fiel die Kinnlade hinunter. Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen – ein bisschen zu schnell, wie ich fand. »Beziehung? Wie würden Sie das nennen, wenn Ihnen ein Mann sein Leben widmet, wenn er Sie heiraten will, wenn er Sie … liebt?« Sie schluchzte auf.
»Wenn er mich liebt?« Es dauerte eine Sekunde, bis ich die Geschlechterverhältnisse geordnet hatte. »Sie und Rebland waren also ein Paar, Frau Brankovic?« Heftiges Nicken. »Waren Sie gestern Abend mit ihm zusammen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Ich habe bis spät in die Nacht an den Macarons gesessen. Auf seinen Wunsch. Er liebt sie doch so …« Jetzt gab es kein Halten mehr. Die Brankovic brach in Tränen aus und sackte an Weinreichs Schulter zusammen, der sie hilflos tätschelte.
»Was für Zeugs?«, knurrte ich.
»Ihre Macarons sind berühmt«, flüsterte der Pressesprecher. »Ein Gedicht. Für die Festspiele hat sie eine Sonderkreation gefertigt. Mit einem Schuss Pfälzer Riesling. Hinter der Bühne stehen immer ein paar kühl.«
Ich verstand kein Wort. Wovon sprachen die? Erst als ich sah, wie einer der Kriminaltechniker verstohlen auf die Leiche deutete, ging mir ein Licht auf.
»Sie meinen die grünen Ufos dort drüben? Maccaronis heißen die?«
»Unsere Premierenbesucher bekommen jeder ein Tütchen davon geschenkt.« Weinreich flüsterte und tätschelte immer noch. »Sie müssen unbedingt welche probieren.«
»Aber nicht von denen neben der Leiche. Frau Brankovic! Können Sie sich vorstellen, wer Ihren … wer Herrn Rebland ermordet hat?«
»Nein«, schniefte sie und hob den Kopf. »Ja! Er hatte so viele Neider. So viele, die nicht … Aber er war herzensgut. Der liebste Mensch auf der ganzen …« Wieder brach sie in Tränen aus. Weinreich nahm sie in die Arme und zerstrubbelte fürsorglich ihre Löwenmähne. Ich nutzte die Unterbrechung und ließ mir eins der grünen Dinger von der Bühne reichen. Lust hineinzubeißen machte die Farbe nicht unbedingt.
»Meine Frau ist verrückt nach dem Zeug«, sagte der Kriminaltechniker.
»Deine Frau hat ja auch jemanden wie dich geheiratet«, brummte ich.
Endlich waren die Tränenfluten der Karina Brankovic versiegt. Sie bat um die Erlaubnis, ihrem Rüdiger noch einmal ins Antlitz zu blicken, was ich ihr großzügig gewährte. Während sie die Bühne erklomm, nahm ich Weinreich zur Seite.
»Hat sie auch eine Rolle in dem Stück?«
»Eine kleine. Empfangsdame drüben im Trump-Hotel.«
»Drüben? Wird noch woanders gespielt?«
»Sicher. Wir haben das Ganze als Stationentheater angelegt, und eine der Stationen ist das Hotel, das Donald Trump senior in Kallstadt betreibt.«
»Die Besucher müssen also rumlaufen.«
Weinreich grinste stolz. »Das ist unser Konzept. Die Leute werden auch den großen Weinkeller kennenlernen, in dem Bürgermeister Trump sein Amtsenthebungsverfahren übersteht. Wir führen sie zur Telegrafenstation, von der aus der Bürgermeister seine Kurznachrichten in die Welt verschickt, und Trumps Mauer steht natürlich auch auf dem Programm.«
»Mauer?«
»Eine Art Schutzwall gegen illegale Einwanderer aus Freinsheim.« Der Pressesprecher zuckte mit den Achseln. »Nehmen Sie‘s nicht persönlich.«
»Garantiert nicht. So eine Mauer funktioniert ja in beide Richtungen.« Ich senkte meine Stimme. »Aber zurück zu Frau Brankovic. Ich halte sie für verdächtig.«
»Verdächtig? Karina? Sie war Rüdigers Freundin! Wo ist da das Motiv?«
»Das heißt nichts. Die echte Ivana Trump wurde von ihrem Ehemann vergewaltigt. Da haben Sie Ihr Motiv.«
»Eine Behauptung, die sie später zurückziehen musste«, sagte Weinreich mit einem triumphierenden Leuchten in den Augen. »Von wegen Motiv!«
»Einer Schauspielerin traue ich alles zu.«
»Aber doch nicht Karina. Fragen Sie die da!«
Er zeigte auf eine Frau, die eben durch eine seitliche Tür in den Saal trat. Offenbar gab es noch andere Zugänge zu dem Gebäude. Die Frau hatte ebenfalls lange blonde Haare, war allerdings ein Stück älter als Karina, und von Tränen konnte keine Rede sein. Als sie mich sah, zog sie eine Braue in die Höhe. Doch das war nichts im Vergleich zu der Reaktion, die ihr Erscheinen bei Reblands Geliebter hervorrief.
»Du Miststück!«, brüllte Karina von der Bühne herunter. »Eifersüchtige Schlampe! Du hast ihn umgebracht! Dafür wirst du büßen!«
Dieser Ankündigung folgte ein dreiminütiger Ringkampf, der jeder Art von Festspielen Ehre gemacht hätte. Der Polizist und zwei Kriminaltechniker versuchten, die Brankovic davon abzuhalten, sich auf ihre Konkurrentin zu stürzen und ihr wer weiß was anzutun. Weinreich, der sich friedensstiftend einmischte, bekam einen Schwinger gegen das Kinn. Endlich gelang es der Staatsgewalt, die zeternde Frau aus dem Saal zu geleiten. Ihr Wutgeheul war noch lange zu vernehmen.
»Entschuldigen Sie«, keuchte der Pressesprecher, sich das Kinn haltend. »Sie ist … Das müssen Sie verstehen.« Hilfesuchend schaute er von mir zu der neu Eingetroffenen, und als er merkte, dass wir wortlos Blicke wechselten, verstummte er ebenfalls.
»Hallo, Frieder«, sagte die Frau.
»Hallo, Frieda«, sagte ich.
Weinreich sperrte Mund und Augen auf. Vielleicht lag es an dem Kinnhaken, dass er so begriffsstutzig war. »Sie«, stotterte er, »Sie sind … Sie kennen sich?«
Ich nickte.
»Wie man sich so kennt, wenn man acht Jahre miteinander verheiratet war«, bestätigte meine Exfrau.
»Verhei-?« Das war zu viel für den armen Kerl.
»Du hast schon wieder zugenommen«, stellte Frieda mit Blick auf meine Körpermitte fest. »Außerdem hast du Ketchupflecken auf dem Hemd.«
Ich schielte an mir hinunter. Tatsächlich, zwei dunkle Spritzer! Ich befeuchtete einen Daumen und versuchte sie wegzuwischen, aber sie waren schon ganz eingetrocknet.
»Also so was«, freute sich der Pressesprecher. »Dann brauche ich Sie einander gar nicht vorzustellen.«
»Was machst du hier?«, herrschte ich meine Ex an. »Sag bloß, du spielst auch in dem Stück mit!«
»Nur ein bisschen«, erwiderte sie trocken. »Nur Hauptdarstellerin.«
»Sie ist Donald Trumps Gattin«, strahlte Weinreich. »Frieda Trump.«
»Die Gattin«, ich zeigte auf den Toten, »von dem da?«
Sie schaute zur Bühne. »War es Mord? Wenn du kommst, muss man das ja annehmen.«
»Die Brankovic sprach von Eifersucht. Wie war dein Verhältnis zu Rebland?«
Meine Ex zuckte mit den Achseln. »Professionell.«
»Professionell?«, fuhr ich auf. »Was heißt das? Was lief da zwischen euch?«
»Nichts«, beeilte sich Weinreich einzuwerfen. »Gar nichts! Ein rein künstlerisches Zusammenwirken, zum Wohl der Festspiele. Außerdem war Rebland mit Karina liiert.«
»Mit dem Flittchen?«, höhnte meine Ex. »Die war doch bloß Ablenkung für den. Ein Pausensnack! Da hätte ich ja mehr Chancen gehabt …«
»Das stimmt«, platzte ich heraus.
»... wenn ich gewollt hätte«, beendete sie ihren Satz. Sie sah mir in die Augen. »Aber das wollte ich nicht.«
Bevor ich etwas entgegnen konnte, kam ein Kriminaltechniker auf mich zu; er schwenkte ein Plastikkärtchen. »Hier, Chef«, sagte er, »haben Sie verloren.«
»Verloren, ich?«
»Ihren Dienstausweis. Lag unter der Leiche.« Er war schon wieder am Gehen. »Hat leider ein bisschen was abbekommen.«
Das Ding war zu stark mit Blut verschmiert, um es einzustecken. Notgedrungen behielt ich es in der Hand. »Gut, wo waren wir?« Ich zeigte mit dem Ausweis auf meine Exfrau. »Du wolltest mir sagen, wo du gestern Abend warst.«
»Wollte ich das?«
»Wo, mit wem und warum?«
Sie lächelte. »Lassen Sie mich nachdenken, Herr Kommissar. Ja, richtig, jetzt fällt es mir wieder ein: Ich hatte Besuch. Von Rüdiger Rebland. Er war bei mir.«
»Und wozu?«
»Wir haben geprobt. Einige Szenen waren noch nicht so, wie wir es wünschten.«
»Geprobt?«, schnaubte ich. »Nennt man das jetzt so?«
»Ich bitte Sie«, mischte sich Weinreich ein. »Die beiden sind Mann und Frau. Im Stück natürlich nur. Da muss man doch …«
»Was muss man da? Ihr die Hand auf den Hintern legen? Sie knutschen, bis sie keine Luft mehr bekommt? Tatschen und fummeln?«
Meine Ex schüttelte den Kopf. »Das klingt ja, als seist du dabei gewesen!«
»Im 19. Jahrhundert kam man halt gleich zur Sache«, erklärte der Pressesprecher. »Erst recht im Hause Trump.«
»Das ist es ja«, knirschte ich. »Trump! Dieser Grapscher. Wenn so ein Lustmolch sich über deine Frau hermacht, kann man doch nicht ruhig bleiben. Da muss man etwas tun!«
»Tun?« Weinreich starrte mich an. Dann fiel sein Blick auf meinen Dienstausweis, mit dem ich immer noch drohend herumfuchtelte. »Sagen Sie … sind Sie Linkshänder?«
»Du warst da?«, stieß meine Ex hervor. »Du hast uns bei der Probe beobachtet?«
»Nein!«, rief ich. »Also ja, ich war in Kallstadt. Wollte dich endlich mal wieder sehen. Stattdessen sehe ich diesen … diesen Typen mit seinen orangenen Haaren, wie er an dir rumfuhrwerkt … Ekelhaft!«
Sie schluckte. »Dann stammen die Flecken auf deinem Hemd gar nicht vom Ketchup?«
»Sie«, stammelte Weinreich, »Sie haben Rüdiger …«
»Nein!« Jetzt brüllte ich. Kapierten die denn gar nichts? »Nicht Rebland! Was interessiert mich diese Kallstädter Luftnummer? Um Trump ging es, immer nur um Trump. Den habe ich mir vorgeknöpft. Einer musste dem mal das Handwerk legen.«
»Sie haben ihn hierher verfolgt«, begann Weinreich.
»Und die Erde von einem Monster befreit«, ergänzte ich. »Er war so mit seinen Maccaronis beschäftigt, dass er mich gar nicht bemerkte. Ich rief: Make Palatia great again – und tat es. Sie brauchen mir nicht zu danken, es war ja meine Pflicht.«
Das Letzte, was ich sah, war der Spatenstiel in den Händen meiner Exgattin, mit dem sie ausholte, um kräftig zuzuschlagen.
Zutaten
für den Teig:
90 g gemahlene Mandeln
150 g Puderzucker
72 g Eiweiß (ca. 2 Eier)
20 g Zucker
Lebensmittelfarbe nach Bedarf
für die Füllung:
200 g geraspelte weiße Schokolade
80 g Weißwein
20 g Sahne
1 EL Mascarpone
geriebene Zitronenschale
Zubereitung:
Mandeln und Puderzucker sehr fein sieben. Das Eiweiß steif schlagen, Zucker einrieseln lassen, Lebensmittelfarbe hinzugeben. Dann die Mandel-Puderzucker-Mischung so lange unterheben, bis eine flüssige, glänzende Masse entsteht. Diesen Teig in einen Spritzbeutel mit großer Tülle füllen und Kreise von der Größe eines Zweieurostücks auf ein Blech drücken. Das Blech ein paar Mal auf den Tisch klopfen, damit sich die Oberfläche der Macarons glatt zieht. 45 Minuten stehen lassen, bis sich eine dünne Haut auf den Macarons gebildet hat.
In der Zwischenzeit Weißwein und Sahne erwärmen, Schokolade einrühren und schmelzen lassen. Mascarpone und Zitronenschale hinzu, alles glatt rühren. Sobald die Masse etwas abgekühlt ist, schaumig schlagen.
Ofen auf 150° Ober-/Unterhitze vorheizen. Sobald das Blech im Ofen ist, auf 145° regulieren. 14 Minuten backen, abkühlen lassen, in Pärchen sortieren. Die Ganache in einen Spritzbeutel füllen, auf die flache Seite eines Plätzchens spritzen und mit einem zweiten vorsichtig zudrücken. Ergibt ca. 24 Stück.
Ich wusste von Anfang an, was für ein Typ er war.
Fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, die Haare viel zu lang, ein Lächeln, mit dem er jede halbwegs attraktive Frau bedachte. Und natürlich immer zu wenig Geld in der Tasche. Die Sorte Männer kannte ich. Aber es war mir egal. Seine blitzenden Gigolo-Augen gefielen mir einfach zu gut.
An Tag zwei führte ich ihn aus. Zum Abendessen in den Winzerhof, ein exquisites Restaurant in Sankt Martin, einem der schönsten Dörfer Deutschlands im Pfälzer Weinland mit Fachwerkflair, vielen Erinnerungen und günstiger Lage. Nämlich weit weg von Landau, wo mich jeder kennt.
Nach dem Essen schlenderten wir durch den mittelalterlichen Ortskern bis zur Kirche, die dem heiligen Bischof Martin von Tours geweiht ist, dem Schutzpatron des Dorfes. Ich zeigte meinem Süßen die historischen Fachwerkhäuser, das ehemalige Kelterhaus, in dem früher die Untertanen ihren Weinzehnt an die hiesigen Barone ablieferten, und den idyllischen Blick auf den ›Malerwinkel‹. Sogar zur Kropsburg, den ehemaligen Adelssitz der Dalberger am Rande der Pfälzer Berge, spazierten wir hinauf.
Für Mitte März war es ungewöhnlich warm. Die ersten Mandelbäume blühten, in verträumtem Weiß und duftigem Rosa, und es roch schon jetzt nach Sommer. Mein Herzensbrecher drückte mich immer enger an sich.
Seine Ausdauer imponierte mir. Ganz gleich, ob es um die Anzahl seiner Komplimente ging, die unserer zusammen geleerten Riesling-Gläser in einem der unzähligen Weingüter mit ruhigen Ecken oder die unserer erotischen Stunden in einem verschwiegenen Hotel. Ich beglückwünschte mich. Nicht jeder Liebhaber hält, was er im Schein von zwanzig Kerzen verspricht.
Irgendwann geschah das, was keine einigermaßen vernünftige Frau glaubt, auch wenn sie ein Leben lang davon träumt. Er schwor mir ewige Liebe und bedingungslose Treue. Ich lachte ihn aus. Ich bin dreiundvierzig Jahre alt und habe viel erlebt.
Aber er wurde nicht müde, den letzten aufrechten Vertreter der Gattung Mann zu mimen, und bald fand ich Gefallen an seinen Geschichten. Schließlich braucht jeder Mensch ein paar Illusionen. Ich wurde auch nicht stutzig, als mein Märchenprinz immer weniger Zeit hatte. Würden Sie etwa nicht verstehen, dass ein zielorientierter Architekturstudent für die nächste Prüfung büffeln muss?
Es passte mir sowieso gut in den Kram. Irgendwann musste auch ich mich um andere Dinge kümmern. Der achtzehnte Geburtstag meiner Tochter rückte näher, und ich hatte noch nichts vorbereitet. Sie wünschte sich von mir ein bodenständiges Drei-Gänge-Menü, eine Reise in die Karibik und einen Fiat Cinquecento in knalligem Rot. Adele tritt in meine Fußstapfen. Sie weiß die angenehmen Seiten des Lebens zu schätzen.
Also stöberte ich in meinen Kochbüchern und forschte im Internet nach einer interessanten Speisenfolge. Schließlich entschied ich mich für eine deftige Kartoffelsuppe und Pfälzer Saumagen mit Bauernbrot als Vorspeise und Rumpsteak mit hausgemachten Spätzle an Pfefferrahmsauce als Hauptgang. Nur beim Dessert wurden wir uns nicht gleich einig. Crème Brûlée, Melonenkaltschale, Apfel-Tarte – was auch immer ich Adele vorschlug, hartnäckig bestand sie auf meinen berühmten Rotweinkuchen.
Manch einer unserer Gäste hat beim Anblick dieser Nachspeise schon das Gesicht verzogen. Stinknormaler Rotweinkuchen – wie einfallslos, war in ihren Mienen zu lesen. Aber beim ersten Bissen glätteten sich die Züge, und ich musste früher immer aufpassen, dass für meine Kleine genug übrigblieb. Feinste Zartbitterschokolade, frisch gelegte Eier von glücklichen Hühnern, ein trockener, edler Spätburgunder vom besten Winzergut der südlichen Weinstraße – bei dieser Mischung kann kaum jemand widerstehen.
Drei Tage vor der Feier, als ich den Einkaufszettel schrieb, vertraute Adele mir ihr Geheimnis an. Dieses Mal würde sie zum Geburtstagsessen nicht nur den Reitklub und ihre altbewährten Busenfreundinnen einladen, sondern auch einen Freund. Wir dürften gespannt sein: Mr. Right alias das achte Weltwunder.
Also gab ich mir am großen Abend besondere Mühe mit der Dekoration. Herzen überall: auf der Tischdecke, an der Wand, auf Kerzen und Servietten sowieso.
Richard führte das Geburtstagskind in den festlich gedeckten Speisesaal. Der Traumprinz hielt lächelnd die Hand meines großen Mädchens, und sie blinzelte ihn verliebt an. Meine Adele und ihr Dreamboy ...
Diese miese, kleine Ratte! Am liebsten hätte ich den Kerl gevierteilt, in der Luft zerrissen, im Rhein versenkt. Ich hatte schon immer viel Phantasie. Nicht nur im Bett oder beim Kochen.
Natürlich ließ ich mir nichts anmerken und begrüßte das neue Familienmitglied mit strahlendem Lächeln. Schließlich hatte ich in meinem früheren Beruf gelernt, meine Emotionen zu kontrollieren. Aber nach der Wut spürte ich die Traurigkeit. Wem sollte ich jetzt die Sehenswürdigkeiten von Sankt Martin zeigen? Mit wem im malerischsten Weindorf Deutschlands schlemmen? Und wie sehr würde ich das Bett in jenem versteckten Romantik-Hotel in Zukunft vermissen?
Andrerseits, wer ist schon unersetzbar?
Der Abend war ein voller Erfolg. Alle lobten das gelungene Menü, und nach dem Dessert erfuhren wir ganz nebenbei, dass wir nicht nur ein Geburtstagsfest feierten, sondern auch eine Verlobung. Nach vier Monaten sei es an der Zeit, an den Bund fürs Leben zu denken, teilte Adeles Strahlemann uns unverblümt mit. Keine Spur von Verlegenheit.
Richard bemerkte natürlich nichts. Wenn er nicht mit einer von Adeles Freundinnen das Tanzbein schwang, führte er mit seinem zukünftigen Schwiegersohn Fachgespräche über Architektur und Landschaftspflege. Ansonsten lächelte mein Göttergatte zufrieden vor sich hin, weil er seine Tochter in guten Händen wähnte.
Was ich für mich behielt: Es gab noch einen dritten Grund zum Feiern. An diesem Abend beschloss ich, mich wieder meiner früheren Arbeit zu widmen. Achtzehn Jahre lang hatte ich mich bei Tennis und Golf gelangweilt. Achtzehn Jahre lang hatte ich Gläser aus geschliffenem Kristall gesammelt und Grillabende für Richards Parteifreunde im Landauer Stadtrat organisiert. Achtzehn Jahre lang hatte ich mir beim wöchentlichen Kaffeeklatsch der aktuellen Gattinnen die ewig gleichen Geschichten über die Erfolge von Männern und Kindern anhören müssen. An diesem Abend wehte der Wind der Veränderung so stark, dass er fast das gute Rosenthal-Geschirr in Scherben fegte.
Gleich am nächsten Tag schritt ich zur Tat. Ich organisierte die besten Handwerker und gab endlich den Ausbau des lange geplanten Hobbyraums in Auftrag. Im hintersten Kellerwinkel, wohin sich niemand verirrte außer mir. Auch meine alten Kontakte funktionierten noch, und dort, wo sie nicht mehr existierten, tat ich neue auf. Ambrosius, mein früherer Chef, versuchte sofort, mich trotz der langen Pause für einen kniffeligen Auftrag anzuwerben. Immer schon hatte er meine Fähigkeiten zu schätzen gewusst. Mich hingegen faszinierte der Gedanke, mich selbstständig zu machen. Allerdings nur mit Kompagnon. Als Einzelkämpfer hat man’s überall schwer, nicht nur in meiner Branche.
Als im Garten die ersten Sonnenblumen blühten, hatte ich alles beisammen, was ich brauchte. Wie in jedem Beruf, den man lange nicht mehr ausgeübt hat, hatte sich auch in meinem vieles verändert. Aber wer einmal gelernt hat, einen Sprengsatz zu bauen, verlernt es nie.
Das Schwierigste war die exakte Planung, wann und wo die Detonation erfolgen sollte. Sie musste absolut tödlich sein, durfte aber keine Unbeteiligten verletzen. Das hatten sie uns beim MAD, dem Militärischen Abschirmdienst, eingetrichtert. Natürlich gab es auch Betriebsunfälle, Kollateralschäden waren oft unvermeidbar, auch unter der Zivilbevölkerung. Aber bei diesem Einsatz würde alles glattgehen. Mein Süßer würde keine Herzen mehr brechen.
Wie immer konnte ich auf Richard zählen. Wenn er nicht gerade mit einer seiner häufig wechselnden Assistentinnen, die allesamt wie Models aussahen, eine unaufschiebbare Geschäftsreise unternehmen musste, spielte er mit Leidenschaft Golf. Schon auf Adeles Geburtstagsfeier hatte er angekündigt, ihren Sonnyboy in diesen wichtigen Sport einzuführen. Auf dem Golfplatz wurden schließlich weit mehr Verträge ausgehandelt als in jedem Architekturbüro dieser Welt. Und wenn Richard seinen Schwiegersohn in spe regelmäßig in den Golfclub Landgut Dreihof in Essingen mitnahm, würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nach reiflicher Überlegung setzte ich deshalb auch meinen Ehemann als Zielobjekt mit auf die Liste.
Seit Richard die Schwelle zur Midlife-Crisis überschritten hatte, hatte sich auch in meinem Leben viel verändert. Zuvor waren wir beide noch ein richtiges Liebespaar gewesen. Adele, unser Wunschkind, war gerade zehn Jahre alt geworden. Mein Beruf als MAD-Agentin fehlte mir nicht. Schließlich wollte ich ein ganz normales Leben führen. Was gibt man nicht alles auf für die Familie und den Mann, den man liebt.
Wenn Richard Zeit hatte, machten wir Ausflüge zu dritt. Auf dem Blätterberg bei Roth erkundeten wir die Ruine Rietburg, in den Wäldern bei Edenkoben sammelten wir Esskastanien und im Landauer Zoo bestaunten wir die Pinguine. In Annweiler am Trifels spazierten wir jedes Mal durch die Wassergasse und schleckten Eis am Keyser‘schen Eck auf dem Rathausplatz. Zwei Kugeln für jeden. Noch heute sehe ich meine kleine Adele vor uns herlaufen, mit wehendem Röckchen und über das Kopfsteinpflaster klappernden Sandalen.
Einmal, an einem sonnigen Julitag, verschwand sie einfach. Es verging über eine Stunde, bevor wir sie in dem Gewühl von Einheimischen und Touristen auf dem mittelalterlichen Richard-Löwenherz-Fest endlich wiederfanden. Seelenruhig saß sie vor der protestantischen Stadtkirche und sah mit großen Augen zwei kleinen Jungs zu, die inmitten all der bunten Gaukler und Ritter mit Holzschwertern gegen imaginäre Drachen und böse Zauberer kämpften. Wie gekonnt die beiden parierten, wie sie tobten und lachten. Vor Erleichterung spendierte ich jedem der drei eine Eistüte. Fünf Kugeln. Pistazie, Walnuss, Kirsch, was immer sie wollten.
Nach diesem Erlebnis sprach mein Mädchen nur noch von einem: Sie musste einfach Fechtunterricht nehmen. Ich war einverstanden, aber Richard fand, das sei nichts für Mädchen. Also überredete ich beide zu Karate. Eine geeignete Selbstverteidigungstechnik kann schließlich niemandem schaden.
Bald darauf stellte Richard mir seine neue Assistentin vor. An ihren Namen erinnere ich mich nicht mehr, aber sie war so gertenschlank, wie ich nie werden würde, blutjung und voller sprühender Ideen. Die frisch diplomierte Architektin krempelte alles um. Aus Richards mehr schlecht als recht laufendem Architekturbüro machte sie die Topadresse in Landau. Natürlich mussten Köpfe rollen. Wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, darf nirgendwo auf Milde hoffen, weder langjährige Mitarbeiter noch Alleinverdiener mit fünfköpfigen Familien. Nur einer der Punkte, in denen sich der Chef und seine neue rechte Hand einig waren.
Zutaten:
200 g Margarine
250 g Mehl
200 g Zucker
1 Päckchen Vanillezucker
4 Eier
1/2 Päckchen Backpulver
2 EL Kakao
1 TL Zimt
100 g Schokostreusel (zartbitter)
200 ml Rotwein (trocken)
Zubereitung:
Die Margarine, den Zucker, den Vanillezucker und die Eier schlagen. Die restlichen Zutaten mischen und unterheben. In eine Kastenform oder Kranzform geben und bei 180 Grad/Ober-Unter-Hitze (Ofen vorheizen) 45 bis 60 Minuten lang backen, mit der Stäbchenprobe testen, ob der Kuchen durchgebacken ist; mit Puderzucker bestreuen.