Josephin Carter hat ihr Leben perfekt durchgeplant: Mit ihrem Verlobten Marten und ihrem vierjährigen Sohn lebt sie im gemeinsamen Traumhaus und sehnt die Hochzeit sowie ein kleines Geschwisterchen für Elliot herbei. Als Marten ihr aus heiterem Himmel gesteht, dass er sie seit Monaten betrügt, bricht für Jo eine Welt zusammen. Mit gebrochenem Herzen macht sie sich auf die Suche nach einer WG, da sie sich absolut nicht vorstellen kann, mit Elliot allein zu leben. Ausgerechnet beim arroganten, aber äußerst charmanten Frauenheld Leonard McEvans und dessen kleiner Tochter Maddie finden sie ein neues Zuhause. Dabei könnten Leonard und Jo nicht unterschiedlicher sein. Doch nach und nach knistert es zwischen den beiden und Jo merkt, dass Leonard gar nicht der schlechte Kerl ist, für den er sich gibt. Als plötzlich ihr Ex mit einem riesigen Blumenstrauß und einem Diamantring vor der Tür steht, nimmt das Chaos seinen Lauf …
Erstausgabe August 2021
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
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E-Book-ISBN: 978-3-96817-840-0
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-936-0
Covergestaltung: Anne Gebhardt
unter Verwendung von Motiven von
shutterstock.com: © Reinke Fox, © cve iv, © Black or White, © mirrelley, © GoodStudio
Lektorat: Astrid Rahlfs
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Ein türkisfarbenes Tuch elegant um das nackte Haupt geschlungen, mit eingefallenen Wangen und einer ungesund gelblichen Gesichtsfarbe ‒ das war die erste und zugleich letzte Erinnerung, die ich an Cassidy McEvans hatte. Resigniert und auffallend dürr hatte sie ihren Einkaufswagen in Begleitung einer älteren Frau (vermutlich ihrer Mutter) durch den Supermarkt geschoben und die freundliche Begrüßung ihres Angestellten und zugleich meines Langzeitverlobten Marten scheinbar gar nicht wahrgenommen. Wie ein Gespenst hatte sie ausgesehen, wie ein blasses Abziehbild ihrer selbst, an jenem sonnigen Dienstag, drei Wochen bevor sie starb.
Es war absolut kein Vergleich zu dem, was ich nun sah; diese strahlende, dezent geschminkte Frau auf dem Foto in der Kirche, das von einem schwarzen Rahmen gehalten wurde, schien von oben auf mich herabzublicken. Ihr Haar war, bevor es ausgefallen war, flammend rot und lockig gewesen, ihre Lippen voll, ihre Zähne makellos. Cassidy McEvans sah aus, als wäre sie einer Shampoo-, Zahnpasta- und Make-up-Werbung zugleich entsprungen. Wäre sie nicht tot und wäre das hier nicht ihre Beerdigung gewesen, hätte man glatt neidisch auf ihre Schönheit werden können.
Eigentlich wollte ich gar nicht hier sein. Das schwarze Kleid, das ich trug, kniff an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Ich spürte jede einzelne Haarnadel des zusätzlich mit mehreren Tonnen Haarspray fixierten Dutts und in Gedanken hatte ich seit unserem Erscheinen in der Kirche mindestens dreimal ausgerechnet, um welche Uhrzeit wir zu Hause sein würden. Die Trauerrede, ein kurzes Gespräch – und – mussten wir wirklich zum Essen bleiben? So nahe hatte Marten ihr doch gar nicht gestanden. Er leitete bloß eine ihrer Kanzleien.
Die Dame zu meiner Linken räusperte sich und bedachte mich mit einem strafenden Blick. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mit meinen Fingernägeln ungeduldig auf die Holzbank getrommelt hatte, wie so oft, wenn ich äußerlich ruhig bleiben musste, obwohl ich innerlich mehr als nervös war.
Ich schenkte ihr ein kleines, entschuldigendes Lächeln, schlug meine Beine übereinander, legte Marten eine Hand auf den Oberschenkel und räusperte mich ebenfalls diskret, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass die Trauerrede geendet hatte und nun die Verwandten zu Wort kamen. Das durchkreuzte zwar meine Tagesplanung, aber wenn sie sich ein wenig ranhielten, würden wir es dennoch schaffen, vor 18 Uhr zu Hause zu sein.
Während ein untersetzter Mann mit Schnauzbart und zu engem Anzug das Podium unter Schnauflauten erstieg, hob Marten kurz den Blick, schien erst in diesem Augenblick zu bemerken, wo er sich gerade befand, und steckte endlich sein Smartphone in die Tasche seines Jacketts. Ich unterdrückte ein Aufseufzen. Selbst auf einer Beerdigung konnte er das blöde Ding nicht aus den Händen lassen – eine scheußliche Sucht. Andererseits, da er gerade einen Blick darauf geworfen hatte …
„Hat sie irgendwas geschrieben?“, raunte ich ihm so leise wie möglich zu.
„Nein. Weshalb auch“, Marten schnaubte Luft durch die Nase, drückte sich das ohnehin schon platt am Kopf anliegende, blonde Haar noch platter, schob sich mit dem Zeigefinger die Brille höher auf die Nase und senkte seine Stimme zu einem beschwörenden Flüstern. „Sie kriegt das schon hin, Jo. Und er – er kriegt das auch hin! Hör endlich auf, dir ständig Sorgen um ihn zu machen.“
„Ich bin seine Mutter, es ist ja wohl meine verdammte Pflicht, mir Sorgen zu machen“, wisperte ich zurück.
Marten schnaubte erneut. Wir tauschten einen ungeduldigen Blick miteinander. Ich klimperte mit meinen künstlichen Wimpern, er verdrehte die Augen.
„Elliot ist vier Jahre alt, Jo! Vier! Er ist kein Säugling mehr. Er ist nicht mehr im Brutkasten.“
Der Brutkasten! Wie konnte er mich nur jetzt daran erinnern! Ich kniff wie vor Schmerz die Augen zusammen, um dieses schreckliche Bild so schnell wie möglich wieder aus meinem Kopf zu vertreiben. Natürlich wusste ich, dass er nicht mehr im Brutkasten lag! Dass all die Schläuche und Maschinen ihn nicht mehr am Leben erhielten, um das er wie ein Löwe gekämpft hatte. Dass er kein 35 Zentimeter kleines und 820 Gramm leichtes, stilles Häuflein Elend mit einem herzförmigen Pflaster im Gesicht und zu großen Strümpfen an den Füßchen mehr war. Dass er stärker geworden war –aber er war immer noch so klein. Er war immer noch so zart. Er war immer noch mein Baby.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und tat, als würde ich aufmerksam zuhören, während sich mein pochendes Herz nur langsam wieder zu beruhigen begann. Marten konnte wirklich unsensibel sein. Manchmal glaubte ich fast, die schlimme Zeit hatte ihn gar nicht so sehr mitgenommen wie mich. Während unser Sohn zu meinem kompletten Lebensinhalt geworden war, um den sich ab dem Tage seiner Geburt einfach alles drehte, hatte Marten stets seine Arbeit gehabt, die ihn abgelenkt hatte.
Es dauerte, bis das Blut in meinen Ohren nicht mehr allzu laut rauschte und ich wieder aufnahmefähig war.
„Cassidy hatte alles“, begann eine Frau mittleren Alters, die während der Abschweifung meiner Gedanken offenbar den Mann mit dem Schnauzbart abgelöst hatte, und tupfte sich mit einem violett karierten Taschentuch die Augen trocken. „Ein wundervolles Kind, ein schönes Haus und ganz großartige Eltern, die ihr immer zur Seite standen … Cassidy hatte viele, viele Freunde und zwei gut laufende Kanzleien mit vielen treuen Mitarbeitern, die allesamt heute hier sind, um ihr die letzte Ehre zu erweisen …“
„Und was ist mit dem Mann?“, raunte ich Marten zu.
„Wie bitte?“ Ertappt und mit irritiertem Blick schob er das Handy zurück in seine Jackettasche. Seine hellblauen Augen musterten mich kurz, als hätte er gar nicht gewusst, dass ich schon die ganze Zeit über neben ihm gesessen hatte. Mit fragendem Ausdruck im Gesicht schob er sich seine Brille zurück auf den Nasenrücken.
„Was ist mit dem Mann?“, wiederholte ich betont leise. „War sie nicht verheiratet?“
Marten rümpfte die Nase.
„Hat sie verlassen, als sie krank wurde. Hat nur ihr Geld gewollt und sie betrogen und alles“, flüsterte er zurück.
Ich erschauderte.
„So ein elender Mistkerl!“
„Ja“, Marten zog das Wort in die Länge wie Kaugummi.
Die Dame zu meiner Linken räusperte sich erneut, und bedachte mich mit einem Kopfschütteln. Abschätzig betrachtete ich sie. Ich konnte mich nicht entscheiden, was hässlicher war: ihr Hut, ihr Kostüm oder ihre Schminke. Wie konnte jemand mit einem so schlechten Geschmack nur so streng mit anderen Leuten sein?
Schweigend wandte ich mich wieder zu Marten um. Arme Cassidy. Ich hatte sie zwar nicht gekannt, aber ein solches Schicksal gönnte ich niemandem. Ihr Mann musste ein schrecklicher Mensch sein. Er hatte sie verlassen, als sie ihn am meisten gebraucht hatte. Eine Gänsehaut kroch mir über den gesamten Körper. Wahrscheinlich war er nicht einmal zu ihrer Beerdigung erschienen. Ich beugte mich etwas näher zu Marten. Ein Glück, dass er nicht so war. Er war sogar das exakte Gegenteil von Cassidy McEvans Ehemann.
„Aber du bleibst für immer und ewig bei mir, oder? Auch wenn ich einmal krank werde? Oder alt und faltig? Oder fett und unansehnlich?“, säuselte ich ihm ins Ohr, ganz ohne die Frage todernst zu meinen oder wirklich eine Bestätigung dafür bekommen zu wollen.
Natürlich würde er für immer bei mir bleiben! Wir waren seit zehn Jahren ein Paar, die letzten sechs davon miteinander verlobt. Hatten unseren ersten Kuss miteinander erlebt und das erste Mal miteinander erlebt. Hatten ein Kind. Planten ein weiteres. Besaßen ein gemeinsames Haus, in das wir mehr Geld, Arbeit und Energie gesteckt hatten, als wir damals, bevor Marten im Job so aufgestiegen war, eigentlich zur Verfügung gehabt hatten. Unser ganzes bisheriges Leben war nach Plan gelaufen, und durchorganisiert bis an unser Lebensende. Ich wusste bereits, wie unser zweites Kind heißen würde, (natürlich hatte ich Namen für beide Geschlechter in petto, sicher ist sicher) wo wir unsere goldene Hochzeit feiern würden und – so makaber das auch wirken mochte – wer unsere Särge anfertigen sollte. Natürlich würde er für immer bei mir bleiben!
Und in eben diesem Moment geschah es. In eben dieser Sicherheit, dass es mir, Josephin Carter, ganz gewiss niemals so ergehen würde wie Cassidy McEvans. Irgendetwas in Martens Haltung veränderte sich plötzlich. Mit einem Male war er vollkommen ernst, wirkte versteift und rutschte, wie um Abstand zwischen uns zu bringen, einen guten halben Meter weiter nach rechts. Es war, als würde der Mann, den ich seit über zehn Jahren kannte, sich unmittelbar vor meinen Augen in einen Fremden verwandeln.
„Um ehrlich zu sein …“, er sah mich nicht an, sondern fummelte unbeholfen an seiner Jackettasche herum, in welcher das Handy steckte, „… um ehrlich zu sein – nein. Ich … ich werde dich verlassen. Es tut mir leid, Jo, aber ich habe jemanden kennengelernt und … es liegt nicht an dir, weißt du …“
Zuerst hielt ich es für einen Scherz. Doch Marten war kein Freund von Scherzen, und die tiefe Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht zeigte deutlicher als alles, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Wie ein paradoxes Echo wiederholten sich seine Worte immer wieder und wieder in meinem Kopf.
Ich werde dich verlassen … ich habe jemanden kennengelernt …
Ich werde dich verlassen … ich habe jemanden kennengelernt …
Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich und sich ein Gefühl von Kälte in mir ausbreitete. Mein Magen krampfte sich ruckartig zusammen und eine überwältigende Übelkeit ergriff von mir Besitz. Obwohl Marten nach wie vor flüsterte, hatte ich mit einem Male das Gefühl, alle Menschen in dieser Kirche würden uns zuhören.
Mit einem schiefen Lächeln, das nicht seine Augen erreichte, hob er die Schultern an und ließ sie wieder sinken.
„Hey, Jo …“, unbeholfen streckte er den Arm aus und tätschelte kurz meine Schulter, „… ich wollte nicht, dass du es so erfährst, echt nicht. Und vor allem nicht hier und heute. Auf einer Beerdigung. Ich meine, ist irgendwie makaber, findest du nicht? Aber na ja, was sollte ich tun? Du hast ja gefragt, und belogen werden wolltest du sicher nicht. Wir wissen doch beide, wie wichtig Ehrlichkeit ist. Wir finden schon eine vernünftige Lösung für alles.“
Ich hatte ja gefragt … Es war also meine Schuld? Wie betäubt starrte ich ihn an, während die Bedeutung hinter seinen Worten langsam, ganz langsam zu mir durchdrang und das Grauen, von dem ich dachte, dass es mich bereits erfüllt hatte, seine gesamte monströse Größe entfaltete.
Man erwartet immer, dass man in Momenten wie diesem das Gefühl hat, der Boden würde einem unter den Füßen weggezogen werden und die Erde würde aufhören, sich zu drehen. Aber es war nicht so. Es fühlte sich ganz anders an. Eher wie der Augenblick, in dem man sich den kleinen Zeh am Tischbein anstößt und instinktiv die Luft anhält … in Erwartung eines Schmerzes, der einem jeglichen Atem raubt.
Und plötzlich spürte ich alles noch viel intensiver ‒ das enge schwarze Kleid, das an allen möglichen und unmöglichen Stellen zwickte, und das ich nur seinetwegen angezogen hatte, da er es früher so gern an mir gesehen hatte. Dabei passte es mir gar nicht mehr richtig. Die vielen Haarnadeln, die sich mit einem schrecklichen Stechen jäh tiefer und tiefer in meine Kopfhaut einzugraben und blutige Wunden zu hinterlassen schienen. Die künstlichen Wimpern, die mit einem Male furchtbar schwer waren. Die Schuhe, die meine Zehen einquetschten und meine Fersen wund rieben. Das Make-up, das ich aufgelegt hatte, und das plötzlich in jeder einzelnen Pore juckte und brannte.
Da saß ich also, auf der Beerdigung einer Frau, die ich nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen hatte, und hatte plötzlich etwas mit ihr gemein. Ich wandte mich von Marten ab, richtete meinen Blick nach vorn und weinte stumme, unaufhaltsame Tränen, weil das Leben, dessen ich mir stets so sicher gewesen war, urplötzlich zerbrochen war. Schweigend reichte die schäbig gekleidete Dame zu meiner Linken mir ein nach Weichspüler duftendes Taschentuch, das ich, ohne sie anzusehen, annahm. Und ich weinte und weinte, und niemandem fiel sie auf, diese weinende, dunkelhaarige Frau, die neben dem blonden Kerl mit dem Handy saß. Denn es war nun einmal eine Beerdigung, und auf Beerdigungen weinen Menschen.