Cover

JILL LEPORE

DIE GEHEIME GESCHICHTE VON

Aus dem Englischen übersetzt
von Werner Roller

C.H.Beck

Zum Buch

Jill Lepores berühmtes, nun endlich auch auf Deutsch vorliegendes Buch ist ein Kabinettstück. Es erzählt die Geschichte von Wonder Woman und dechiffriert zugleich in einer brillanten Spurensuche die darin versteckte Geschichte des Feminismus. So witzig und geistreich hat noch selten jemand Popkultur und Frauenbewegung miteinander verknüpft.

Über die Autorin

Jill Lepore ist Professorin für amerikanische Geschichte an der Harvard Universität und staff writer des New Yorker. Sie hat mehr als ein halbes Dutzend Preise für ihre Bücher erhalten. Ihr Buch «Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika» war auf Platz 1 der Sachbuchbestenliste und auch in Deutschland ein Bestseller. 2021 wurde sie mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet.

INHALT

DIE SPLASH PAGE

★ ERSTER TEIL ★: VERITAS

1: HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?

2: DIE AMAZONISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG

3: DR. PSYCHO

4: JACK KENNARD, FEIGLING

5: MR. UND MRS. MARSTON

6: DAS EXPERIMENTELLE LEBEN

7: MASCHINE ENTDECKT LÜGNER, SCHNAPPT GAUNER

8: STUDIEN ZU ZEUGENAUSSAGEN

9: FRYE UND DIE FOLGEN

★ ZWEITER TEIL ★: FAMILIENKREIS

10: HERLAND

11: DIE REBELLIN

12: DIE FRAU UND DER NEUE MENSCH

13: DIE BOYETTE

14: DIE BABY-PARTY

15: EHEGLÜCK

16: DIE GEFÜHLE NORMALER MENSCHEN

17: DER SCHARLATAN

18: VENUS MIT UNS

19: FICTION HOUSE

20: DER DUKE OF DECEPTION

21: HERRSCHAFT DER FRAU ZUR TATSACHE ERKLÄRT

★ DRITTER TEIL ★: PARADIESINSEL

22: SUPREMA

23: SO SCHÖN WIE APHRODITE

24: DIE JUSTICE SOCIETY OF AMERICA

25: DER MILCH-SCHWINDEL

26: DIE WONDER WOMEN DER GESCHICHTE

27: LEIDENDE SAPPHO!

28: SUPERPROF

29: DIE COMIC-GEFAHR

30: LIEBE FÜR ALLE

★ EPILOG ★: GROSSE HERA! ICH BIN WIEDER DA!

★ NACHWORT ★: DER HYDE-DETEKTOR

Bildteil

ANHANG

QUELLEN

MANUSKRIPTE IN PRIVATBESITZ

MANUSKRIPTE IN ARCHIVEN UND BIBLIOTHEKEN

ANMERKUNGEN

IN DEN ANMERKUNGEN VERWENDETE ABKÜRZUNGEN

ZU DEN ABKÜRZUNGEN VON FRAUENNAMEN

ZUR VERWENDUNG VON DC COMICS ALS ABKÜRZUNG

1 HAT HARVARD ANGST VOR MRS. PANKHURST?

2 DIE AMAZONISCHE UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG

3  DR. PSYCHO

4 JACK KENNARD, FEIGLING

5 MR. UND MRS. MARSTON

6 DAS EXPERIMENTELLE LEBEN

7 MASCHINE ENTDECKT LÜGNER, SCHNAPPT GAUNER

8 STUDIEN ZU ZEUGENAUSSAGEN

9 FRYE UND DIE FOLGEN

10 HERLAND

11 DIE REBELLIN

12 DIE FRAU UND DER NEUE MENSCH

13 DIE BOYETTE

14 DIE BABY-PARTY

15 Eheglück

16 Die Gefühle normaler Menschen

17 Der Scharlatan

18 VENUS MIT UNS

19 FICTION HOUSE

20 Der Duke of Deception

21 HERRSCHAFT DER FRAU ZUR TATSACHE ERKLÄRT

22 SUPREMA

23 SO SCHÖN WIE APHRODITE

24 DIE JUSTICE SOCIETY OF AMERICA

25 DER MILCH-SCHWINDEL

26 DIE WONDER WOMEN DER GESCHICHTE

27 LEIDENDE SAPPHO!

28 SUPERPROF

29 DIE COMIC-GEFAHR

30 LIEBE FÜR ALLE

EPILOG GROSSE HERA! ICH BIN WIEDER DA!

NACHWORT DER HYDE-DETEKTOR

ABBILDUNGSNACHWEIS

PERSONENREGISTER

Für Nancy F. Cott,
die Geschichte schrieb

★★★★★

So schön wie Aphrodite – so klug wie Athene – so schnell wie Merkur und so stark wie Herkules – man kennt sie nur als Wonder Woman, aber niemand weiß zu sagen, wer sie ist oder woher sie kam!

All-Star Comics, Dezember 1941

Bei der gestern erfolgten Ankündigung, dass der beliebten Comic-Heldin «Wonder Woman» ab dem 22. Juli ein ganzes eigenes Heft gewidmet sein wird, teilte M.C. Gaines, der Verleger der in der Lexington Avenue 480 ansässigen All-American Comics, erstmals offiziell mit, dass der Autor von «Wonder Woman» Dr. William Moulton Marston ist, ein Psychologe von internationalem Ruf.

Pressemitteilung,
All-American Comics, Frühjahr 1942

«Was ist der Grund dafür, mich mit Wonder Woman anzusprechen?»

Olive Byrne, in: Family Circle, August 1942

Wonder Woman war von Anfang an eine Figur, die auf Gelehrsamkeit beruhte.

The ΦBK Key Recorder, Herbst 1942

Wonder Woman ist, offen gesagt, psychologische Propaganda für den neuen Frauentyp, der meiner Ansicht nach die Welt beherrschen sollte.

William Moulton Marston, März 1945

Bildteil

 

«Eine große Bewegung [hat] sich jetzt auf den Weg gemacht – die zunehmende Macht der Frauen», schrieb William Moulton Marston im Februar 1941, als er sein erstes Manuskript einreichte, an seinen Redakteur Sheldon Mayer. «Lassen Sie das Thema so stehen – oder das Projekt fallen.» Als Zeichner wählte Marston Harry G. Peter, der, wie Marston selbst, Verbindungen zu den Frauenwahlrechts- und feministischen Bewegungen der Progressive Era hatte. Marston war 1911 ein Studienanfänger in Harvard, als die Universität einen Vortrag der militanten britischen Suffragette Emmeline Pankhurst auf dem Campus verbot. Elizabeth Holloway, die Marston 1915 heiratete, hatte sich am Mount Holyoke College als Suffragette engagiert, und Marjorie Wilkes Huntley, die etwa ab 1918 immer wieder für eine gewisse Zeit bei den Marstons wohnte, hatte Frauen zu den Wahllokalen begleitet. Olive Byrne, die Marston 1925 kennenlernte, war die Tochter von Ethel Byrne, die 1917 als erste Frau in den Vereinigten Staaten in den Hungerstreik trat, nachdem sie und ihre Schwester Margaret Sanger verhaftet worden waren, weil sie die landesweit erste Beratungsstelle für Empfängnisverhütung eröffnet hatten. Harry G. Peter hatte in den 1910er Jahren Zeichnungen für «The Modern Woman» angefertigt, die für das Frauenwahlrecht eintretende Kommentarseite der Zeitschrift Judge, bei der er als Zeichner Redaktionsmitglied war, ebenso wie die feministische Karikaturistin Lou Rogers, deren Arbeiten großen Einfluss darauf haben sollten, wie Peter später dann Wonder Woman zeichnete. Peter fertigte 1941 einige Skizzen an und schickte sie an Marston; Marston gefiel alles daran, mit Ausnahme der Schuhe.

Wonder Woman gelang ein spektakuläres Debüt an amerikanischen Zeitungskiosken, und das genau zum Zeitpunkt des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg, sie hatte einen Auftritt in All-Star Comics Nr. 8 (Dezember 1941/Januar 1942) und dann auf dem Titelbild von Sensation Comics Nr. 1 (Januar 1942). Beide Comic-Hefte erschienen im Verlag von Maxwell Charles Gaines. Als Autor der Geschichten wurde «Charles Moulton» angegeben, ein Pseudonym, das aus Gaines’ und Marstons mittleren Namensteilen zusammengesetzt war. Wonder Woman erschien in jedem Heft von Sensation Comics als Aufmachergeschichte, ebenso auf jedem Titelbild. Die National Organization for Decent Literature setzte die Sensation Comics im März 1942 auf ihre Liste der «Publikationen, die für Jugendliche nicht geeignet sind». Gaines schrieb an den Bischof, der für die Liste verantwortlich war, und fragte nach dem Grund. Der Bischof schrieb zurück: «Wonder Woman ist unzureichend bekleidet.»

wonder woman 001

Peter fertigte diese Zeichnung eines alternativen Kostüms für Wonder Woman an, die stark von den Zeichnungen Alberto Vargas’ beeinflusst waren, dessen «Varga girls» jeden Monat in der Zeitschrift Esquire erschienen und von Lesern als Pin-ups ausgeschnitten wurden. Diese Zeichnung von Peter scheint von einem patriotisch gekleideten Varga-Girl inspiriert worden zu sein, das zum 4. Juli 1942 in Esquire erschien. Eine offensichtlich von Marston stammende Notiz weist darauf hin, dass der Kragen am rückenfreien Oberteil schon bald aus der Mode kommen könnte. Wonder Woman übernahm die roten Stiefel mit den hohen Absätzen und die engen Shorts und legte den Rock aus früheren Geschichten ab. Aber dieser Entwurf wurde größtenteils nicht umgesetzt.

«Bekannter Psychologe als Autor des Bestsellers ‹Wonder Woman› enttarnt», schrieb Marston im Sommer 1942 in einer Pressemitteilung zur Ankündigung des Debüts von Wonder Woman. «Die einzige Hoffnung für die Zivilisation ist die größere Freiheit, Entwicklung und Gleichberechtigung der Frauen auf allen Gebieten menschlicher Aktivitäten», schrieb Marston zur Erklärung seiner Absicht, «bei Kindern und jungen Menschen einen Maßstab für starke, freie, mutige Weiblichkeit zu setzen und die Vorstellung zu bekämpfen, dass Frauen den Männern unterlegen seien, und Mädchen und junge Frauen zu Selbstbewusstsein und Leistungen im Sport, in der Arbeitswelt und in den freien Berufen anzuregen, die sämtlich von Männern monopolisiert sind.» Wonder Woman war die erste Superheldin, die ihre eigene Zeitschrift hatte.

Gaines veranstaltete im April 1942 eine Leserumfrage, bei der er wissen wollte: «Sollte es WONDER WOMAN gestattet werden, Mitglied der Justice Society zu werden, obwohl sie eine Frau ist?» Auf den ersten 1801 eingesandten Fragebögen sagten 1265 Jungen und 333 Mädchen «Ja»; 197 Jungen und nur 6 Mädchen sagten «Nein». Wonder Woman trat der Justice Society in der All-Star Comics-Ausgabe vom August/September 1942 bei. Die Geschichten wurden allerdings nicht von Marston, sondern von Gardner Fox geschrieben, der Wonder Woman auf die Rolle der Sekretärin reduzierte, wie in dieser Story aus All-Star Comics Nr. 14 (Dezember 1942/Januar 1943).

Selbst als Gardner Fox Wonder Womans Rolle auf die Beantwortung der Post und das Führen des Sitzungsprotokolls beschränkte, wütete Marston in den Geschichten, die er selbst schrieb, gegen das, was er als «häusliche Sklaverei» bezeichnete, wie in dieser Story, «The Return of Diana Prince», in: Sensation Comics Nr. 9 (September 1942). Das Thema geht, ebenso wie die Ikonografie, unmittelbar auf die mit dem Frauenwahlrecht und dem Feminismus befassten Autorinnen und Zeichnerinnen der 1910er Jahre zurück, die Marston wie auch Peter so stark beeinflusst hatten.

Elizabeth Holloway spielte im College Hockey; Olive Byrne spielte Basketball. Alice Marble, eine Weltklasse-Tennisspielerin, war nach ihrem Rücktritt vom Turniersport von 1942 bis 1944 Associate Editor von Wonder Woman. Marston stellte Wonder Womans sportliche Fähigkeiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Schau. Hier, in «The Earl of Greed», in: Wonder Woman Nr. 2 (Herbst 1942), spielt sie Baseball. In anderen Marston-Geschichten spielt sie Eishockey und Tennis; sie schwimmt und taucht. Und sie gründet sogar eine Kette von Fitnessklubs.

Marston benutzte Wonder Woman auch dazu, seine langjährige, bis in sein drittes Studienjahr zurückreichende Arbeit zur Feststellung von Täuschungen, das Thema seiner Doktorarbeit von 1921 an Harvards Psychology Department, in den Mittelpunkt zu stellen. Zeitungen bezeichneten Marston bereits 1923 als «Erfinder des Lügenmessgeräts». Marston veröffentlichte 1938 ein Buch mit dem Titel The Lie Detector Test, in dem er seinen Anspruch auf die Erfindung anmeldete, die dann als Polygraph bekannt wurde. In «The Duke of Deception», Wonder Woman Nr. 2 (Herbst 1942), setzt Wonder Woman das magische Lasso ein, um einen Schurken dazu zu zwingen, die Wahrheit zu sagen. Das magische Lasso erhielt Wonder Woman, ebenso wie ihre Armbänder, auf der Paradiesinsel, bevor sie das Land der Amazonen verließ, um nach «Amerika» zu reisen, in die «letzte Zitadelle der Demokratie und der Gleichberechtigung für Frauen».

Mit Ausnahme von Superman und Batman war keiner der Superhelden von DC Comics auch nur annähernd so beliebt wie Wonder Woman. Sie war die Führungsfigur in Sensation Comics; sie erschien regelmäßig in den All-Star Comics; und in der vierteljährlich erscheinenden Comic Cavalcade war sie mit weitem Abstand der Star: Sie war auf jedem Titelbild zu sehen, und ihr war auch die Aufmachergeschichte in jeder Ausgabe gewidmet, einschließlich dieses Beispiels, des ersten, in: Comic Cavalcade Nr. 1 (Dezember 1942/Januar 1943).

Die Justice Society of America hielt ihr erstes Treffen im Winter 1940 ab. «Jeder von ihnen ist in seinem eigenen Wirken ein Held, aber wenn die Justice Society ruft, sind sie alle nur Mitglieder, die auf die Wahrung von Ehre und Gerechtigkeit eingeschworen sind!» Fans, die einer eigens gegründeten Junior Justice Society beitraten, erhielten Mitgliedsurkunden zugeschickt, die von Wonder Woman unterschrieben wurden. Aus: All-Star Comics Nr. 14 (Dezember 1942/Januar 1943).

«Wonder Woman ist (…) psychologische Propaganda für den neuen Frauentyp, der meiner Ansicht nach die Welt beherrschen sollte», schrieb Marston. Er brachte diese Botschaft auch unter die Leser, etwa in einer Geschichte aus Wonder Woman Nr. 7 (Winter 1943), in der Diana Prince Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Eine League for a Woman President war 1935 in der Hoffnung gegründet worden, bereits 1940 die erste Frau ins Weiße Haus zu bringen. «Frauen durchlaufen im Vergleich zu Männern eine doppelt so umfangreiche emotionale Entwicklung zur Liebesfähigkeit», erklärte Marston. «Und da sie eine ebenso große Fähigkeit zum Erfolg in weltlichen Dingen entwickeln, wie sie in der Liebe bei ihnen bereits vorhanden ist, werden sie in Zukunft eindeutig das Wirtschaftsleben, die Nation und die Welt beherrschen.» Marston vertrat wie schon die Suffragetten die Ansicht, die Herrschaft der Frauen würde ein Zeitalter des Friedens einläuten.

Wonder Womans sportliche Fähigkeiten und ihre Kraft zeigten sich am häufigsten in den vielerlei Arten, auf die sie sich aus Fesselungen mit Ketten oder Seilen befreite, wie in «A Spy on Paradise Island», in: Wonder Woman Nr. 3 (Februar/März 1943). Die Abbildung von Frauen in Ketten war in Karikaturen zur Auseinandersetzung um das Wahlrecht in den 1910er Jahren allgegenwärtig, in denen die Frauen die Emanzipation durch das Erreichen des Wahlrechts anstrebten.

Geheime Identitäten gehören zum Kernbestand aller Superhelden-Comics, aber für Marston, der während des Ersten Weltkriegs für den US-Militärgeheimdienst gearbeitet hatte, nahm Wonder Womans geheime Identität als Diana Prince, Sekretärin in Diensten des US-Militärgeheimdienstes, eine besondere Form an. Marston hatte in seinem Haus einen Lügendetektor zur Verfügung, und er unterzog seine Gäste gerne einem Test. Hier, in «Victory at Sea», in: Sensation Comics Nr. 15 (März 1943), schlägt Steve Trevor Diana Prince einen Lügendetektor-Test in eigener Sache vor.

Wonder Woman wird in nahezu jedem ihrer Abenteuer gefesselt, meistens mit Ketten. Die Fesselungen in Wonder-Woman-Comics sorgten in Gaines’ Beratergremium für großen Unmut, aber Marston bestand darauf, dass Wonder Woman in Ketten gelegt oder gefesselt werden müsse, damit sie sich befreien und – symbolisch – emanzipieren könne. «Meine weibliche Kraft ist wieder da!», ruft sie hier in «The Rubber Barons», in: Wonder Woman Nr. 4 (April/Mai 1943).

Gaines bat 1943 seine Redakteurin Dorothy Roubicek um einen Lösungsvorschlag, der die Mitglieder des Expertengremiums zufriedenstellen könnte, die Bedenken wegen der Fesselungsszenen in Wonder-Woman-Comics äußerten. Zugleich wirkte er beschwichtigend auf Marston ein, der auf der Bedeutung dieses Themas für sein feministisches Anliegen bestand. Nach einer Besprechung mit Roubicek schickte Gaines Roubiceks Vorschlags-«Liste von Methoden, die eingesetzt werden können, um Frauen ohne Verwendung von Ketten einzuschließen oder einzusperren» an Marston. Der gab sich ungerührt. «Bitte danken Sie Miss Roubicek für die Liste der Bedrohungen», lautete seine kühle Antwort an Gaines. Dennoch wird Wonder Woman in «Victory at Sea», in: Sensation Comics Nr. 15 (März 1943), in eine Zwangsjacke gesteckt und in eine Gefängniszelle gesperrt – die Art von Bedrohung, die Roubicek bevorzugte.

Im Frühjahr 1943 erreichte Wonder Woman eine Millionen zählende Leserschaft und tauchte in jedem Comic-Heft, in dem sie einen Auftritt hatte, an prominenter Stelle im Titelbild auf, obwohl sie nur die Sekretärin der Justice Society war, wie hier in diesem Beispiel aus All-Star Comics Nr. 16 (April/Mai 1943), mit einer Zeichnung von Frank Harry. Sie blieb die einzige Frau in der Justice Society.

In «Battle for Womanhood», in: Wonder Woman Nr. 5 (Juni/Juli 1943), bekommt es Wonder Woman mit ihrem Erzfeind Dr. Psycho zu tun, der sowohl ein Faschist (hier mit einem dreiköpfigen Monster mit den Gesichtszügen von Mussolini, Hitler und Hirohito zu sehen) als auch ein Gegner von Frauenrechten ist. Als Inspiration für Dr. Psycho fungierte Marstons Mentor in Harvard, der Psychologe Hugo Münsterberg, bei dem Marston von 1912 bis 1916 studierte. Münsterberg, der Harvards Psychologisches Labor leitete, war gegen das Frauenwahlrecht und vertrat die Ansicht, anständige, gesittete Frauen hätten im Haus zu viel zu tun, um ihre Stimme abzugeben, und jede Frau, die sich tatsächlich im Wahllokal blicken ließe, wäre leicht zu korrumpieren, mit dem Ergebnis, dass «die politische Maschinenwirtschaft bei der geringen politischen Widerstandskraft der Frauen neue, hässliche Triumphe davontragen würde». Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass «die Politik die Eheleute in getrennte Lager treiben möge». Wonder Womans «Battle for Womanhood» gegen Dr. Psycho ist zugleich Marstons Kampf gegen Münsterberg.

OBEN: Franklin Delano Roosevelt rief im Mai 1942 das Women’s Army Auxiliary Corps ins Leben. 150.000 Frauen traten in die Armee ein und übten Tätigkeiten aus, die mehr Männer für den Kampfeinsatz freistellten. «Das Women’s Army Auxiliary Corps scheint die endgültige Verwirklichung des Traums der Frau von der völligen Gleichberechtigung mit den Männern zu sein», schrieb Margaret Sanger in der New York Herald Tribune. In der 1943 erschienenen Geschichte «Battle for Womanhood», genau zu dem Zeitpunkt, als die Beteiligung der amerikanischen Frauen an den Kriegsanstrengungen in der Heimat wie in Übersee am wichtigsten war, versucht Dr. Psycho in der Gestalt des Geistes von George Washington die amerikanische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass «Frauen ihr Land durch Schwäche verraten werden».

MITTE: Unterdessen bindet Dr. Psycho seine Frau Marva in seinem psychologischen Labor auf eine sehr ähnliche Art, wie Hugo Münsterberg einst Radcliffe-Studentinnen mit den Maschinen in Harvards Psychologischem Labor verbunden hatte. Dr. Psycho verkündet: «Keiner Frau kann die Freiheit gewährt werden!»

UNTEN: Die Beteiligung der Frauen am Krieg nahm zu, und für Wonder Woman galt das auch. In «The Invisible Invader», in: Comic Cavalcade Nr. 3 (Sommer 1943), besiegt sie die deutschen Soldaten, mit denen sie es zu tun bekommt. Später wird sie zu «General Wonder Woman» befördert. «Frauen gewinnen an Macht in der Männerwelt!», berichtete Wonder Woman zum Jahresende 1943 ihrer Mutter Hippolyte.

Jede Ausgabe von Wonder Woman enthielt einen vier Seiten umfassenden Mittelteil unter dem Serientitel «Wonder Women of History»: eine Kurzbiografie einer außergewöhnlichen Frau. Der springende Punkt der Serie bestand darin, die Lebensleistung heldenhafter Frauen zu würdigen und die Bedeutung der Geschichte der Frauen zu erklären. «Frauen haben selbst in dieser emanzipierten Welt immer noch viele Probleme, sie haben deshalb ihre vollständige Entwicklung noch nicht erreicht», schrieb Wonder Womans Associate Editor, die Tennislegende Alice Marble, in einem Brief, der an Frauen im ganzen Land verschickt wurde. «‹WONDER WOMAN› steht für das erste Beispiel, bei dem Wagemut, Stärke und Einfallsreichtum als weibliche Eigenschaften hervorgehoben worden sind. Dieses Beispiel muss zwangsläufig eine dauerhafte Wirkung auf das Denken und Bewusstsein der heutigen Jungen und Mädchen ausüben.» Ein Porträt von Susan B. Anthony erschien in Wonder Woman Nr. 5 (Juni/Juli 1943), in derselben Nummer wie «Battle for Womanhood».

In Sensation Comics Nr. 20 (August 1943) haben sich Wonder Womans beste Freundin Etta Candy und ihre Sorority-Schwestern dem Women’s Army Auxiliary Corps angeschlossen, sie folgten dem Rat, den Wonder Woman Dr. Psychos eingesperrter Frau gegeben hatte: «Was kann eine schwache Frau schon tun?», hatte Marva Wonder Woman gefragt. «Werde stark!», lautete Wonder Womans Vorschlag. «Verdiene dein eigenes Geld – melde dich zum Dienst beim WAAC oder bei den WAVES und kämpfe für dein Land!»

Frauen wie Dr. Psychos Ehefrau Marva, die den fatalen Fehler beging, sich einem sehr bösartigen Mann zu unterwerfen, waren ein Typ der mit Fehlern behafteten Frau. Cheetah, die es genoss, anderen Menschen Leid zuzufügen, war ein anderer Typ. In «The Secret Submarine», in: Sensation Comics Nr. 22 (Oktober 1943), erfindet Cheetah eine neue Art, Wonder Woman in Ketten zu legen.

Marston lernte Olive Byrne 1925 in Tufts kennen, als er ihr Psychologie-Professor und außerdem Leiter einer psychologischen Beratungsstelle für Studentinnen war. Byrnes Studentinnenverbindung in Tufts, Alpha Omicron Pi, taucht in Wonder Woman als Etta Candys Verbindung Beeta Lambda auf, und die psychologische Beratungsstelle erscheint als «Fun Clinic». Gay, die von Wonder Woman gerettet wurde, als sie versuchte, sich die Niagarafälle hinunterzustürzen, gewinnt neue Lebensfreude, als sie sich Ettas Verbindung anschließt, wie das auch Olive Byrne getan hatte. Das Bild links stammt aus «The Fun Foundation», in: Sensation Comics Nr. 27 (März 1944). Olive Byrne zog im Sommer 1926 bei Marston und seiner Frau ein. (Marston ließ seiner Frau die Wahl: Er würde sie entweder verlassen, oder Byrne konnte bei ihnen wohnen.) Beide Frauen bekamen schließlich jeweils zwei Kinder von Marston. Byrne und Marston legten den 21. November 1928 als ihren Hochzeitstag fest, es war der Tag, an dem Byrne erstmals dicke Armbänder an den Handgelenken trug – Armbänder von der Art, wie sie auch Wonder Woman trägt.

LINKS: Wonder Woman wurde 1944 auch zum Zeitungsstrip, der von King Features an Zeitungen im ganzen Land vertrieben wurde. Es hatte neben Superman und Batman – keine andere Superheldengestalt den gigantischen Sprung aus den Heften in die Verbreitung durch ein Zeitungssyndikat mit einer enormen täglichen Auflage geschafft. Eine der Anzeigen, die den Tageszeitungsstrip bewarb, erschien in Sensation Comics Nr. 32 (August 1944).

OBEN RECHTS: In «The Amazon Bride», in: Comic Cavalcade Nr. 8 (Herbst 1944), stimmt Wonder Woman einer Heirat mit Steve zu – bis sie aufwacht und zu ihrer Erleichterung erkennt, dass es nur ein Alptraum war. Der Psychiater Fredric Wertham empfand den Feminismus in Wonder Woman als abstoßend: «Was nun die ‹fortschrittliche Weiblichkeit› anbelangt, wie sehen denn die Aktivitäten in den Comic-Heften aus, mit denen Frauen, ‹den Männern gleichgestellt, befasst sind›? Sie arbeiten nicht. Sie sind keine Hausfrauen. Sie ziehen keine Kinder groß. Mutterliebe ist völlig abwesend. Selbst wenn Wonder Woman ein Mädchen adoptiert, sind lesbische Untertöne im Spiel.» Werthams Rivalin, die Psychiaterin Lauretta Bender, widersprach. Die Wonder Woman-Hefte zeigten ihrer Ansicht nach «eine verblüffend fortschrittliche Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit».

UNTEN LINKS: Marston hielt trotz des zunehmenden Drucks von Kritikerseite daran fest, Wonder Woman in Ketten zu legen, wie in diesem Beispiel in «Girls Under the Sea», in: Sensation Comics Nr. 35 (November 1944). Gaines bat Lauretta Bender, seinem Beratergremium beizutreten. Roubicek interviewte sie und berichtete an Gaines: «Sie ist nicht der Ansicht, dass Wonder Woman zu Masochismus oder Sadismus neigt. Außerdem glaubt sie, selbst wenn dem so wäre, dass man Kindern keine der beiden Perversionen beibringen kann (…)»

Wonder Womans Prominenz in Gaines’ Comic-Sortiment wird gut veranschaulicht durch ihre zentrale Platzierung auf dem Titelbild eines Sonderhefts, das 1944 unter dem Titel The Big All-American Comic Book erschien.

Marston brach im August 1944 zusammen und verbrachte einen ganzen Monat im Krankenhaus; er hatte sich eine Polio-Infektion zugezogen und sollte nie wieder gehen können. Wonder Woman erreichte 1945 eine monatliche Leserschaft von zweieinhalb Millionen, aber für Marston war es jetzt schwierig, weiterhin die benötigte Textmenge zu liefern. Gegen Kriegsende wurden die Storys des ans Bett gefesselten Marston häuslicher und sehr viel weniger kontrovers. Wonder Woman ist hier auf dem Titelbild von Sensation Comics Nr. 38 (Februar 1945) als Miss Santa Claus zu sehen.

«Wonder Woman war von Anfang an eine Figur, die auf Gelehrsamkeit beruhte», sagte Marston gerne, und hier, in «The Conquest of Venus», in: Wonder Woman Nr. 12 (Frühling 1945), offenbart Wonder Woman inmitten eines Kostümwechsels die Gelehrte, die in ihr steckt. Marston erhob zu diesem Zeitpunkt einen akademischen Anspruch für seine Comic-Figur. In seinem Essay «Why 100.000.000 Americans Read Comics», der 1944 in The American Scholar erschien, der Zeitschrift der Phi Beta Kappa Society, betonte Marston, der sich dabei seiner pompösesten akademischen Prosa bediente, dass Comic-Hefte eine besonders gehobene Form von Literatur seien: «Die Fantasie der Bildergeschichte legt die hemmenden Überreste von Kunst und Kunstfertigkeit ab und rührt an die empfindlichen Stellen universeller menschlicher Sehnsüchte und Ambitionen, die üblicherweise unter langfristig angehäuften Schutzschichten der Unehrlichkeit und Verstellung verborgen sind.»

Die meisten Superhelden überstanden den Friedensschluss nicht. Wonder Woman gehörte zu den wenigen Ausnahmen. Sie blieb bis lange nach Kriegsende eine Führungsfigur der Justice Society, wie hier, in «The Day That Dropped Out of Time» (All-Star Comics Nr. 35, Juni/Juli 1947), in einer Zeichnung von Irwin Hasen, zu sehen. Wonder Woman, die seit mehr als sieben Jahrzehnten erscheint, ist eine der beständigsten Superheldenfiguren aller Zeiten. Nur Superman und Batman hielten genauso lange durch.

Marston starb im Mai 1947. Gaines kam drei Monate später bei einem Bootsunfall ums Leben. Joye Hummel heiratete noch im Jahr 1947 und gab ihre Arbeit auf, und Sheldon Mayer, der Redakteur von Wonder Woman, verließ DC Comics. Auch Dorothy Roubicek und Alice Marble waren gegangen. Aber Wonder Woman machte weiter. Zwei Jahre nach Kriegsende hatte sich geklärt, dass Wonder Woman, Batman und Superman tatsächlich die Einzigen waren, die noch ihren Superhelden standen oder, wie hier, auf dem Titelbild von All-Star Comics Nr. 36 (August/September 1947), einer Zeichnung von Win Mortimer, marschierten.

Marstons Witwe Elizabeth Holloway Marston warb 1948 bei DC Comics für ihre Einstellung als neue Wonder-Woman-Redakteurin. Doch DC Comics machte Robert Kanigher zum Redakteur. Kanigher hasste Marstons Schöpfung und machte durch seinen Umgang mit der Marston-Figur Duke of Deception seine eigene Überzeugung deutlich, dass die politische Gleichberechtigung der Frauen ein Fehler sei – ein Fehler, der leicht zu korrigieren wäre. In Kanighers Story «Deception’s Daughter», in: Comic Cavalcade Nr. 26 (April/Mai 1948), verschwören sich der Duke und seine Tochter Lya zu einer Revision der politischen Errungenschaften von Frauen.

Die Wonder-Woman-Redakteurin Dorothy Roubicek heiratete 1947 den Comic-Heft-Autor William Woolfolk, und gemeinsam hoben sie das Wonder-Woman-Imitat Moon Girl aus der Taufe, das hier, auf dem Titelbild von Moon Girl Nr. 3 (Frühling 1948), bei der Abwehr von Raketen zu sehen ist. «Als Team sind sie gerüstet für die Veröffentlichung eines Qualitätsprodukts und einer starken Konkurrentin für Wonder Woman», lautete Holloways Warnung an die Adresse von DC. «Die eine Sache, die sie nicht haben, ist die Marston-Psychologie des Lebens, die auf jeder Seite von WW zu finden war.» Moon Girl hatte keinen Bestand.

Ein ungewöhnlich beziehungsreiches Titelbild aus der Kanigher-Ära zeigt Wonder Woman, die eine in viktorianischer Mode und den dazugehörigen Sitten gefangene Frau in die Moderne führt, Titelbild von Wonder Woman Nr. 38 (November/Dezember 1949).

Nach dem Krieg folgte Wonder Woman den Hunderttausenden von amerikanischen Frauen, die während des Krieges einer Erwerbsarbeit nachgegangen waren, um sich schließlich, als der Frieden kam, anhören zu müssen, dass ihre Arbeitskraft jetzt nicht nur nicht mehr gebraucht werde, sondern auch den Zusammenhalt der Nation bedrohe, weil sie die Autorität der Männer untergrabe. Sie wurde auch nicht mehr von Harry G. Peter gezeichnet, der 1958 starb. Dieses Titelbild von Sensation Comics Nr. 94 (November/Dezember 1949) ist typisch für die Ära Kanigher. Wonder Woman wurde von Jahr zu Jahr schwächer. In den 1950er Jahren hatte sie Auftritte als Babysitterin, als Mannequin und als Filmstar. Und sie wollte Steve unbedingt heiraten. Kanigher schaffte auch den herausnehmbaren «Wonder Women of History»-Mittelteil ab und ersetzte ihn durch eine Serie über Hochzeiten unter dem Titel «Marriage a la Mode».

Wonder Woman Nr. 178 (September/Oktober 1968) steht für den Beginn eines Zeitabschnitts, der als «Diana-Prince-Ära» bezeichnet wird, in der die Heldin, wie Joanne Edgar 1972 in der Zeitschrift Ms. erklärte, «ihre übermenschlichen Amazonen-Kräfte ebenso aufgab wie ihre Armbänder, ihr goldenes magisches Lasso und ihr unsichtbares Flugzeug. Sie wurde ein menschliches Wesen. Diana Prince, die jetzt Hosenanzüge aus der Boutique und Tuniken trug, legte sich dafür konventionelle Gefühle zu, die Verletzbarkeit durch Männer, die Weisheit eines Beraters (natürlich die eines Mannes namens I Ching) und Fertigkeiten in Karate, Kung-Fu und Jiu-Jitsu. Mit anderen Worten: Sie wurde ein weiblicher James Bond, aber ohne dessen sexuelle Heldentaten.»

Wonder Woman erlebte im Verlauf des Women’s Liberation Movement einen vielfältigen Gestaltwandel. Die Women’s Liberation Basement Press im kalifornischen Berkeley brachte im Juli 1971 unter dem Titel It Aint Me Babe ein Underground-Comic-Heft heraus. Das Titelbild der ersten Ausgabe zeigte Wonder Woman in einer Parade mit weiblichen Comic-Figuren, die gegen die handelsüblichen Klischee-Comicerzählungen protestieren. In einer Geschichte des Heftes verlässt Veronica Archie wegen Betty, Petunia Pig sagt Porky, er solle sich sein Abendessen selbst zubereiten, und Supergirl sagt Superman, er solle verschwinden.

DC Comics brachte im Dezember 1972 eine «Special! Women’s Lib Issue», Wonder Woman Nr. 203, heraus, geschrieben von einem Science-Fiction-Autor namens Samuel R. Delany, die als erste Folge einer sechsteiligen Erzählung gedacht war. In der ersten Story besiegt Diana Prince einen Kaufhaus-Eigentümer, der seine weiblichen Beschäftigten unterbezahlt. In jeder der verbleibenden fünf Geschichten sollte sie es mit einem anderen Anti-Feministen aufnehmen. «Ein anderer Schurke war ein College-Studienberater, der tatsächlich die Ansicht vertrat, der richtige Platz für eine Frau sei im Haus», sagte Delaney später. «Das setzte sich fort bis zu einer männlichen Gangsterbande, die versucht, eine von Ärztinnen betriebene Abtreibungsklinik zu zerstören. Und Wonder Woman sollte mit all diesen Leuten kämpfen und triumphieren.» Nur die erste Geschichte wurde veröffentlicht.

Die Gründungsredaktion von Ms. setzte Wonder Woman 1972 auf das Titelbild der ersten regulären Ausgabe der Zeitschrift. Die Redakteurinnen hofften, die Distanz zwischen dem Feminismus der 1910er und dem Feminismus der 1970er Jahre mit der Wonder Woman der 1940er zu überbrücken, dem Feminismus ihrer Kindheit. «Wenn ich mir heute diese Wonder-Woman-Storys aus den 40ern anschaue, staune ich über die Aussagekraft ihrer feministischen Botschaft», sagte Gloria Steinem. Allen Kontroversen und allen Mehrdeutigkeiten zum Trotz, die diese Figur umgeben, ist Wonder Woman am besten als Missing Link in der Geschichte des Kampfes um die Gleichberechtigung der Frau zu verstehen, einer Abfolge von Ereignissen, die mit den Kampagnen für das Frauenwahlrecht in den 1910er Jahren beginnt und mit dem unruhigen Standort des Feminismus ein volles Jahrhundert später endet.

Aus: Wonder Woman Nr. 1, Sommer 1942

DIE SPLASH PAGE

WONDER WOMAN ist die beliebteste Comic-Heft-Superheldin aller Zeiten. Mit Ausnahme von Superman und Batman hat keine andere Comic-Figur eine so lange Geschichte. Wie alle anderen Superhelden verfügt auch Wonder Woman über eine geheime Identität. Im Unterschied zu allen anderen Superhelden verbirgt sich hinter ihr auch eine geheime Geschichte.

Superman sprang erstmals 1938 über hohe Gebäude. Batman lag seit 1939 im Schatten auf der Lauer. Wonder Woman landete 1941 mit ihrem unsichtbaren Flugzeug. Sie war eine Amazone von einer Insel der Frauen, die seit den Zeiten des antiken Griechenland von Männern getrennt gelebt hatten. Sie kam in die Vereinigten Staaten, um für Frieden, Gerechtigkeit und Frauenrechte zu kämpfen. Sie trug goldene Armbänder; mit ihnen konnte sie Kugeln abwehren. Sie besaß ein magisches Lasso; wer mit diesem Lasso eingefangen wurde, musste die Wahrheit sagen. Um ihre wahre Identität zu verbergen, verkleidete sie sich als Sekretärin namens Diana Prince; sie arbeitete für den US-Militärgeheimdienst. Ihre Götter waren weiblich, und das waren auch ihre Ausrufe. «Große Hera!», rief sie. «Leidende Sappho!», fluchte sie. Sie sollte die stärkste, klügste, tapferste Frau sein, die die Welt je gesehen hatte. Sie sah aus wie ein Pin-up-Girl. 1942 wurde sie in die Justice Society of America aufgenommen und schloss sich Superman, Batman, The Flash und Green Lantern an; sie war die einzige Frau. Sie trug ein goldenes Diadem, ein rotes Bustier, blaue Shorts und kniehohe, rote Lederstiefel. Sie war ein bisschen verführerisch; sie war ziemlich speziell.

Über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten, über Kontinente und Meere hinweg waren Wonder-Woman-Geschichten immer im Handel. Die Zahl ihrer Fans geht in die Millionen. Generationen von Mädchen trugen ihre Pausenbrote in Wonder-Woman-Lunchboxes zur Schule. Aber nicht einmal die leidenschaftlichsten Anhänger von Wonder Woman kennen die wahre Geschichte ihres Ursprungs. Sie ist ein Herzensgeheimnis.

Wonder Woman, Tageszeitungs-Comicstrip, 12.–13. Mai 1944

In einer Episode aus dem Jahr 1944 setzt ein Zeitungsredakteur namens Brown, der unbedingt Wonder Womans geheime Vorgeschichte aufdecken will, ein Team von Reportern auf sie an. Sie entkommt ihnen mühelos, rennt mit ihren hochhackigen Stiefeln schneller, als das Reporter-Auto fährt, und springt wie eine Antilope. Brown, vor Enthüllungseifer halb verrückt geworden, erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird ins Krankenhaus eingeliefert. Wonder Woman, die Mitleid für ihn empfindet, verkleidet sich als Krankenschwester und bringt ihm eine Schriftrolle. «Dieses Pergament scheint die Geschichte der jungen Frau zu erzählen, die Sie ‹Wonder Woman› nennen!», sagt sie ihm. «Eine fremde, verschleierte Frau gab es mir.» Brown springt aus dem Bett und rennt im Patientenkittel zurück an seinen Lokalchef-Schreibtisch, wo er, die Schriftrolle schwenkend, brüllt: «Haltet die Druckerpressen an! Ich habe die Geschichte von Wonder Woman!»

Brown ist übergeschnappt; er hält nicht die wirkliche Geschichte von Wonder Woman in Händen. Alles, was er hat, ist ihre Amazonen-Legende.

Dieses Buch bietet etwas anderes. Die geheime Geschichte von Wonder Woman ist das Ergebnis von jahrelangen Recherchen in Dutzenden von Bibliotheken, Archiven und Sammlungen, einschließlich des Nachlasses von Wonder Womans Schöpfer William Moulton Marston, von Dokumenten, die bis dahin nur Familienangehörige zu sehen bekommen hatten. Ich las zunächst das bereits veröffentlichte Material: Zeitungen und Zeitschriften, Fach- und wissenschaftliche Zeitschriften, Comicstrips und Comic-Hefte. Dann ging ich in die Archive. Dort fand ich nichts, was auf Pergament festgehalten war; ich fand etwas Besseres: Tausende Seiten von Dokumenten, Manuskripte und Typoskripte, Fotografien und Zeichnungen, Briefe und Postkarten, Gerichtsakten aus Strafprozessen, auf Buchränder gekritzelte Notizen, Anwaltsschriftsätze, medizinische Dokumente, unveröffentlichte Memoiren, Storyentwürfe, Skizzen, Studienbücher, Geburtsurkunden, Adoptionsunterlagen, militärische Dokumente, Familienalben, Sammelalben, Vorlesungsmitschriften, FBI-Akten, Filmdrehbücher, die sorgfältig getippten Protokolle von Treffen eines Sexkults und winzige, in einem Geheimcode verfasste Tagebücher. Haltet die Druckerpressen an. Ich habe die Geschichte von Wonder Woman.

Wonder Woman ist nicht nur die Geschichte einer Amazonenprinzessin mit ausgefallenen Stiefeln. Sie ist das fehlende Glied in einer Kette von Ereignissen, die mit den Kampagnen für das Frauenwahlrecht in den 1910er Jahren beginnen und mit dem unruhigen Standort des Feminismus ein volles Jahrhundert später enden. Der Feminismus schuf Wonder Woman. Und dann sorgte Wonder Woman für ein Remake des Feminismus, was für den Feminismus nicht vorbehaltlos gut war. Superhelden, die vermeintlich besser sind als alle anderen Lebewesen, sind hervorragend, wenn es darum geht, Widersacher zusammenzuschlagen; im Kampf um Gleichberechtigung haben sie eine miserable Bilanz.

Aber Wonder Woman ist keine gewöhnliche Comic-Heft-Superheldin. Die Geheimnisse, die dieses Buch enthüllt, und die Geschichte, die es erzählt, verschaffen Wonder Woman nicht nur einen Platz in der Geschichte der Comic-Hefte und Superhelden, sondern rücken sie auch ins Zentrum der Geschichte von Wissenschaft, Recht und Politik. Superman macht Anleihen beim Science-Fiction-Genre, Batman steht in der Tradition des abgebrühten, nüchtern-sachlichen Detektivs. Wonder Woman hat Bezüge zum fiktionalen feministischen Utopia und zum Kampf für Frauenrechte. Ihre Ursprünge liegen in der Vergangenheit von William Moulton Marston und in den Lebensläufen der Frauen, die er liebte; auch sie schufen Wonder Woman. Wonder Woman ist keine gewöhnliche Comic-Heft-Figur, weil Marston kein gewöhnlicher Mann und seine Familie keine gewöhnliche Familie war. Marston war ein Universalgenie. Er war ein Experte für Täuschungen: Er erfand den Lügendetektor-Test. Er führte ein ungewöhnliches Privatleben: Er hatte vier Kinder von zwei Frauen; sie lebten zusammen unter einem Dach. Sie waren Meister in der Kunst der Verheimlichung.

Ihr Lieblingsversteck waren die Comics, die sie produzierten. Marston war Gelehrter, Professor und Wissenschaftler; Wonder Woman begann auf einem College-Campus, in einem Vorlesungssaal und in einem Labor. Marston war Rechtsanwalt und Filmemacher; Wonder Woman begann in einem Gerichtsgebäude und in einem Kino. Die Frauen, die Marston liebte, waren Suffragetten, Feministinnen und Befürworterinnen von Verhütungsmitteln. Wonder Woman begann bei einem Protestmarsch, in einem Schlafzimmer und in einer Klinik für Empfängnisverhütung. Das rote Bustier ist noch nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Margaret Sanger, eine der einflussreichsten Feministinnen des 20. Jahrhunderts, war, ohne dass die Welt davon gewusst hätte, ein Teil von Marstons Familie.

Wonder Woman, als Mann verkleidet, versucht den verletzten Steve Trevor vor Reportern zu verstecken. Aus «Racketeer’s Bait», einer unveröffentlichten, für Sensation Comics geschriebenen Story

Wonder Woman hat sehr lange für Frauenrechte gekämpft. Es waren hart geführte, aber nie gewonnene Kämpfe. Dies ist die Geschichte ihres Ursprungs – der Stoff, aus dem Wunder und auch Lügen sind.

ERSTER TEIL

VERITAS

Aus: «In the Clutches of Nero», in: Sensation Comics Nr. 39, März 1945