Der Autor

Dr. phil. Alexander Prölß ist Grundschullehrer und Staatlicher Schulpsychologe (Beratungsrektor) mit der Heilerlaubnis beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie (nach dem Heilpraktikergesetz). Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche aggressive Verhaltensweisen, Angststörungen, Stress- und Emotionsregulation.

Er ist Autor von zahlreichen Fachartikeln und Büchern zu schulpsychologischen Themen. Ferner ist er als Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen sowie als Referent bei pädagogischen Einrichtungen im In- und Ausland tätig.

Nähere Informationen: www.alexander-proelss.de

Alexander Prölß

Prüfungsangst: Was tun bei Zittern, Schwitzen, Blackout und Co.?

Ein Ratgeber für Betroffene, Lehrkräfte und therapeutische Berater

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In dieser Publikation wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind selbstverständlich stets alle Personen jeglichen Geschlechts.

Alexander Prölß

Prüfungsangst: Was tun bei Zittern,

Schwitzen, Blackout und Co.?

Ein Ratgeber für Betroffene, Lehrkräfte und

therapeutische Berater

| Einleitung

In unserem Leben sehen wir uns beständig mit Situationen konfrontiert, die Ängste auslösen können: Angst vor Prüfungen, vor Krankheiten, vor Gesprächen mit dem Vorgesetzten oder Angst vor Arbeitsplatzverlust. Manche Umstände werden als Bedrohung wahrgenommen, obwohl von ihnen objektiv keine Gefahr ausgeht. Somit können solche vermeintlichen „Bedrohungslagen“ auch zu dysfunktionalen (= nicht der Norm entsprechenden) und manchmal selbstschädigenden Verhaltensweisen führen, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

Die Eltern eines 10-jährigen Sohnes schilderten in einem Erstgespräch die folgende Situation: „Maximilian kann einfach nicht mehr in die Schule gehen. Er klagt jeden Tag über starke Bauch- und Kopfschmerzen sowie Übelkeit. Stellenweise sperrt er sich sogar in sein Zimmer ein oder versteckt sich unter seinem Bett. Haben wir Maximilian mal dazu gebracht, dass er zum Unterricht geht, kommt in der Regel nach der zweiten Stunde ein Anruf von der Lehrkraft, dass wir ihn wieder abholen müssen, weil er über starke Schmerzen klagt. Wir waren schon bei vielen Ärzten, aber keiner hat eine organische Ursache gefunden.“

Eine 21-jährige Studentin berichtete in einem Gespräch von folgendem Problem: „Ich war immer sehr gut in der Schule. Meine Eltern haben auch erwartet, dass ich mich zu 100 % auf die Schule bzw. jetzt auf das Studium konzentriere. Bis jetzt läuft es ganz gut – zumindest bei den schriftlichen Leistungsnachweisen. Wovor ich einfach horrormäßige Angst habe, sind die praktischen Prüfungen. Ich habe bis jetzt noch keinen Führerschein. Die theoretische Prüfung habe ich ohne Fehler bestanden, aber ich kann einfach nicht zur praktischen Prüfung antreten. Ich bekomme am Tag davor schon Magenkrämpfe, Übelkeit und Durchfälle. Ich kann dann auch nicht mehr ein-bzw. durchschlafen. Am Tag selbst wird mir dazu noch schwindlig und stellenweise schwarz vor Augen. Beim letzten Mal habe ich mich sogar kurz vorm Einsteigen ins Auto übergeben müssen. Die Prüfung wurde daraufhin abgebrochen. Nun habe ich das Problem, dass auch eine praktische Prüfung an der Uni anfällt und ich nicht weiß, wie ich diese absolvieren soll.“

Die zwei geschilderten Fälle haben etwas gemeinsam – sie handeln beide von Personen, die unter Prüfungsangst leiden. Diese kann für Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene unglaublich belastend sein. Wenn nicht gleich zum Zeitpunkt der Entstehung und des Erkennens der Angst eine Behandlung erfolgt, gelangen die Betroffenen und deren Bezugspersonen in einen Teufelskreis, den sie alleine nicht durchbrechen können: Die Angst bleibt bestehen, chronifiziert sich oder kann sich sogar noch verschlechtern. Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Angst vor Prüfungen müssen die Betroffenen nicht ein Leben lang haben. Wenn sie wissen, auf was sie achten müssen, können sie die Prüfungsangst erfolgreich bewältigen. Die Betroffenen können neben dem Selbststudium von Ratgeberliteratur auch Hilfe bei Beratungsstellen (z. B. als Schülerin oder Schüler beim schulpsychologischen Dienst bzw. als Studentin oder Student bei der psychologischen Beratungsstelle des jeweiligen Studentenwerks) oder direkt beim Psychotherapeuten suchen. Doch da die Wartezeiten stellenweise sehr lang sind, kann ein Ratgeber in Buchform bereits erste Hilfestellungen liefern.

Eine gewisse Aufregung vor Prüfungen ist etwas absolut Normales. Die Nervosität und ein wenig Lampenfieber vor einem wichtigen Referat oder Vortrag gehören durchaus dazu. Sobald Ängste jedoch die Gefühlswelt dauerhaft belasten, den Alltag beherrschen (sodass sich die Gedanken nur noch um die Prüfung drehen) oder die eigene Handlungsfähigkeit einschränken (sodass ein Besuch der Schule oder der Universität nicht mehr möglich ist), wird es Zeit, den Ängsten auf den Grund zu gehen. Die Frage, ab wann eine Angst noch gesund ist und ab wann sie als pathologisch gilt, wird in den ersten beiden Kapiteln dieses Buches erläutert. In den nächsten Abschnitten wird der Problematik nachgegangen, wie die Angst bei betroffenen Schülern/Studenten/Erwachsenen erkannt werden kann und welche Möglichkeiten zur Diagnostik vorhanden sind. Der Schwerpunkt dieses Werkes liegt auf den praktischen Hilfen, die seitens der Lehrkräfte, Erzieher, Eltern und der Betroffenen selbst ergriffen werden können. Hierunter fallen konkrete Hilfestellungen zum „Lernen lernen“, Prüfungsvorbereitung, Entspannungsverfahren bei aufkommender Angst und Methoden zum Umgang mit dysfunktionalen Gedanken (z. B. „Ich bin zu doof für Mathematik.“).

Dieser Ratgeber soll Betroffenen helfen, ihre Gefühlszustände angemessen zu bewerten und sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Es wird zudem versucht aus der Schnittmenge verschiedener Disziplinen, wie der Klinischen Psychologie und der Schulpädagogik, wesentliche Kernaspekte herauszuarbeiten, um ein tieferes Verständnis für Prüfungsangst als Grundlage für weiteres Handeln und mögliche Intervention zu entwickeln.

| Angst – ein urmenschliches Gefühl

Angst spielt in der normalen Handlungsregulation immer eine Rolle. Sie ist eine Grundform menschlichen Erlebens und Verhaltens. Angst steuert unser Verhalten in Alltagssituationen (z. B. im Straßenverkehr), aber auch bei Konfrontationen mit neuen, gefährlichen Bedrohungen (z. B. Katastrophen) sowie in unterschiedlichsten sozialen Situationen (z. B. bei sozialen Auseinandersetzungen). Angst ist mitunter lebensrettend und in der Regel eine normale Reaktion des Organismus auf eine bedrohliche Situation.

Man stelle sich einen Urzeitmenschen vor, der sich gerade auf der Jagd befindet, als plötzlich ein Säbelzahntiger aus dem Gebüsch springt: eine lebensbedrohliche Situation für die Person. Nun hat unser Vorfahr drei Möglichkeiten zu reagieren (siehe Abb. 1): Flucht, Erstarren oder Kampf (auch genannt: Flight-Freeze-Fight-Reaktion).

Abb. 1: Die drei Reaktionsformen in einer bedrohlichen Situation

Der Urzeitmensch reagiert auf solche Bedrohungen in der Regel mit Flucht oder Angriff. Die die Angst begleitenden Körperreaktionen – ausgelöst durch das Hormon Adrenalin – helfen ihm dabei, seine Muskeln anzuspannen, den Herzschlag und die Atmung zu beschleunigen und nebensächliche Funktionen wie beispielsweise die Verdauung zurückzufahren. Körper und Geist sind somit hoch konzentriert und leistungsbereit, um die Gefahrensituation zu meistern. Ist die Bedrohung abgewendet, klingt die Stressphase wieder ab und Entspannung stellt sich ein. Angst aktiviert Vermeidungs- und Fluchtreaktionen, die dazu dienen, einer Bedrohung zu entrinnen. Somit hat das Erleben von Angst eine wichtige Schutzfunktion für unseren Organismus. Die Reaktion „Erstarren“ tritt dann ein, wenn Flucht sowie Kampf nicht möglich sind. Dieses Starrwerden vor Angst (gleich dem Totstellen im Tierreich) kennt man beispielsweise von Gewaltopfern, die sich lebensbedrohlichen Situationen nicht entziehen können und die Gewalteinwirkung deshalb über sich ergehen lassen.

Es gibt aber auch Menschen, die gar keine Angstreaktionen in bedrohlichen Situationen erleben oder verspüren, was sehr problematisch, wenn nicht sogar (lebens-)gefährlich sein kann. Diese Personen zeigen häufig in sehr jungen Jahren ein hochrisikobehaftetes Sexual- und Freizeitverhalten (z. B. promiskuitives Verhalten, alkoholisiertes Autofahren). Derartige Verhaltensweisen würden von gesunden Personen nicht praktiziert werden, weil diese Art der Aktivitäten bei vielen Unwohlsein, kritisches Hinterfragen der Handlung oder eben auch ein Angstgefühl auslösen würde. Viele Menschen suchen aber auch bewusst Angstsituationen auf, erleben sie als prickelnd oder angenehm und brauchen diesen Kick in gewissen Abständen (z. B. Fallschirmspringen oder Bungee-Jumping).

Zudem gilt es zu beachten, dass Angst als zentrales Phänomen bei vielen psychischen Störungen auftreten kann. Sie stellt nicht nur ein eigenständiges Störungsbild dar, sondern bildet eine Komponente vieler psychischer und somatischer Probleme (z. B. bei Depressionen, Schizophrenien, Krebserkrankungen, …). Daher ist bei einer ausgeprägten Angstproblematik immer ein Psychologe oder Arzt zu konsultieren.