DAS BUCH
Von hinten im Bandbus bis nach ganz vorne an die Bar, vom abgeranzten Hotel in die Notaufnahme, auf der Bühne, hinter der Bühne: Sing backwards and weep schildert die ernüchternde Wirklichkeit hinter einer oft allzu romantisierend dargestellten Dekade der Rockmusik, erzählt von einem, der sie hautnah gelebt hat und seine eigenen Verfehlungen als Außenseiter, Schläger, Blackout-Trinker und Misanthrop mit brutaler Ehrlichkeit offenbart.
Als Mark Lanegan Mitte der 1980er-Jahre in Seattles Musikszene auftauchte, war er bloß ein weiteres »arrogantes, sich selbst hassendes Arschloch, das im Rock’n’Roll einen Ausweg suchte.« Innerhalb eines Jahrzehnts brachte er es als Frontmann der Grunge-Vorzeigeband The Screaming Trees zu Majorlabel-Ruhm, bevor er tief fiel und sich als abgewrackter Crack-Dealer und obdachloser Heroinsüchtiger durchschleppte, während seine besten Freunde mit Bands wie Nirvana, Alice in Chains oder Soundgarden an die Spitze der Charts schossen.
In seiner Autobiografie nimmt Lanegan den Leser mit in die düsteren, drogenverseuchten Gassen von Seattle, erweckt die damals brodelnde, alternative Grungeszene noch einmal zum Leben. Er schildert den Aufstieg und Fall der Screaming Trees, einer berüchtigten Acid-Rockband, die sich von den kleinsten Bars bis zu den größten Festivals der Welt hochspielte und deren Musik bis heute nachhallt. Lanegans erzählt mit brutaler Ehrlichkeit von seinen persönlichen Katastrophen, seinem Kampf mit der Drogensucht, der in Obdachlosigkeit, Straßenkriminalität und dem Tod einiger seiner engsten Freunde endet.
DER AUTOR
Mark Lanegan ist ein amerikanischer Sänger und Songwriter. Von 1983 bis 2000 war er Frontmann der Screaming Trees. Bereits 1990 erschien sein erstes Soloalbum, dem bis heute rund ein Dutzend weitere folgten. Zudem kollaborierte er mit Bands und Musikern wie Kurt Cobain, Pearl Jam, Marianne Faithfull, Moby, Queens of the Stone Age, UNKLE, Greg Dulli, PJ Harvey oder Isobell Campbell. Er lebt in Los Angeles.
MARK LANEGAN
SING BACKWARDS
AND WEEP
EINE AUTOBIOGRAFIE
AUS DEM AMERIKANISCHEN
VON NICOLAI VON SCHWEDER-SCHREINER
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel SING BACKWARDS AND WEEP bei Hachette Books, an imprint of Perseus Books, LLC, a subsidiary of Hachette Book Group, Inc.
Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
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Copyright © 2020 by Mark Lanegan
Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Markus Naegele
Redaktion: Thomas Brill
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, Memmingen
unter Verwendung des Originalumschlags von Alex Camlin/Chris Hannah
Umschlagabbildung: Anna Hrnjak
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-29884-5
V001
Für Tony
Und all meine anderen abwesenden Freunde
Fix
It’s true
It keeps raining baby
So crystalline in my head
Gonna watch from the balcony
Sing backwards and weep
Inhaltsverzeichnis
PROLOG
1 JUGENDJAHRE EINES JUNKIES
2 DAS FRAGILE KÖNIGREICH
3 VERFÜHRT UND VERARSCHT
4 WENN DU WIEDER ANFÄNGST, IST ES, ALS HÄTTEST DU NIE AUFGEHÖRT
5 MEAT LOAF
6 KLEINE DOLCHE
7 GEFEUERT, WIEDER ANGEHEUERT UND TAUSEND FORMEN VON ANGST
8 SCHICKES OUTFIT
9 YEAH, THIS IS THE COPS!
10 HOUSE OF PAIN
11 BLUT IM WASSER
12 ERSCHÖPFT UND AUSGEBRANNT
13 VIEL SPASS MIT DEM IDIOTEN
14 NICHT SCHLECHT, JUNGER MANN
15 TAKE ME TO THE RIVER
16 JEFFREY LEE PIERCE
17 HABEN SIE DEN NACHTPORTIER GERUFEN?
18 DAS IST GENIAL, HÖRST DU DAS NICHT?
19 SPANKING THE MONKEY
20 PARASITENKIND
21 TAGE DER FINSTERNIS
22 MEER DES SCHRECKENS
23 GO FUCK A DONKEY
24 WIEDER AN DER NADEL
25 MÄNNERABEND MIT JERRY
26 ZEITEN DES WAHNSINNS
27 MISS AUSTRALIA 1971
28 RACHE IST SÜSS
29 LOTTOGEWINN
30 LUCKY
31 IST DAS LIEBE?
32 FAMILIENTREFFEN
33 ICH HAB GRAS GERAUCHT – HIV-POSITIV
34 AUS GOLD SCHEISSE MACHEN
35 EINE DICKE TRÄNE
36 VON WU-TANG ZU WAYLON
37 SPIEL MIT DEM TOD
38 WIR SEHEN UNS IN MIAMI, MANN!
39 NOT UND ELEND
40 EISKALTE GEISTERBAHN EUROPA
41 BAUMWOLLFIEBER
42 LETZTE SPROSSEN
43 SEELENSTÜRME, ERLEUCHTUNG UND WIEDERGEBURT
EPILOG – DER WOLF IM SEEHUNDPELZ
DANKSAGUNG
PROLOG
»POLIZEI.«
Mir war nicht gleich klar, was er meinte, zumal ich in Gedanken bei meinem ersten Schuss war, dem ersehnten Ende meiner Morgenroutine, dem Moment, an dem der dumpfe Schmerz allmählich nachließ.
»Polizei«, flüsterte der afrikanische Taxifahrer noch mal mit starkem Akzent, während er die Augen verdrehte und kurz die Schultern hochzog, woraufhin ich in den Rückspiegel sah und die drei jungen Typen in dem Van hinter uns entdeckte, definitiv Undercover-Cops, die dringend ein Opfer suchten. Zum Beispiel mich.
Mein eins neunzig großer Crossdressing-Drogen-Buddy St. Louis Simon und ich hatten gerade jeweils ein Tütchen Heroin und Koks organisiert, beides hatte ich relativ sorglos in meiner offenen Hemdtasche verstaut. Vorne in meiner engen Hose steckte außerdem eine Packung neuer Spritzen. Ich hatte nicht unbedingt damit gerechnet, der Polizei über den Weg zu laufen. Jetzt fühlte ich mich komplett ausgeliefert.
Zehn Blocks weiter war klar, dass wir verfolgt wurden. Wir fuhren durch Capitol Hill in Seattle, und als das Taxi in der Nähe meiner Wohnung hielt, sprang ich raus und lief möglichst unauffällig die Straße lang. Simon stieg auf der anderen Seite aus, er trug einen prolligen Jeansrock und Schuhe mit Keilabsatz, in denen er noch größer wirkte, und als er auf ein Baugrundstück zwischen zwei Häusern abbog, sah ich aus dem Augenwinkel, wie zwei Typen ihn zu Boden rangen. Schlechtes Zeichen. Ich war fast an der Ecke, als mir plötzlich ein kleiner junger Cop in Jeans und Muscleshirt vor die Füße sprang, mir seine Marke vor die Nase hielt und meinte: »Moment mal, Freundchen! Wo willst du denn so schnell hin?«
Ich hob automatisch die Hände und machte ein möglichst dämliches, ahnungsloses Gesicht.
»Nach Hause, wieso?« Ich zeigte auf das Haus, in dem ich wohnte.
»Was ist das?«, fragte er und griff nach dem Dope in meiner Hemdtasche.
»Was soll der Scheiß, Mann? Ich wohn hier! Was wollen Sie?«, rief ich mit gespielter Empörung und wich ein Stück zurück. Ich stellte mir vor, wie dreckig es mir im Knast ergehen würde, bevor mich jemand auf Kaution rausholen konnte, zumal ich mir wie gesagt noch keinen Schuss gesetzt hatte. Etwas weiter sah ich Simon und den Taxifahrer in Handschellen auf der Bordsteinkante sitzen, die Füße im Rinnstein. Der Rücksitz aus dem Taxi war komplett herausgerissen.
»Okay, Mann, ich will deinen Ausweis sehen.«
Ich sah meinen Pass oben auf dem Couchtisch liegen, neben Crackpfeifen und gebrauchten Spritzen. Keine Option.
»Den hab ich nicht dabei. Mein Name ist Mark Lanegan.«
Der Cop kniff die Augen zusammen, musterte mich und sagte: »Warst du nicht mal Sänger?«
Nachdem er mich zu seinem Überwachungswagen begleitet hatte, holte er ein kleines Schwarz-Weiß-Foto vom Armaturenbrett: ein Typ, der wegen Autodiebstahl gesucht wurde und mir ähnlich sah. Ich musste es mit seinem Kugelschreiber signieren, dann ließ er uns gehen.