It looks so dark the end of the world may be near
Charles Simic
Reproduktion eines Portraits von Kafka, das ich vor vielen Jahren auf einem Straßenmarkt in Barcelona gekauft habe.
Projekt Kafka – sein Portrait mitnehmen auf die Reise. Ein rechteckiger Begleiter; ein Begleiter mit den Maßen: 20 mal 10 bei einer Stärke von 1,5 cm.
An eine allgegenwärtige Magie glauben, die das Verhältnis zwischen Abbild und Anwesenheit beeinflusst. Die neuen Technologien suggerieren: Abbild ist Anwesenheit. Antiquiert und übertrieben aktuell: Die Landschaft durch Kafkas geisterhafte Anwesenheit verändern.
Projekt Kafka.
Spezialist darin sein, Seltsames vorzubringen. Oder darin, infrage zu stellen; Kafkas Gesicht trägt diese Impulse an neue Orte. Trägt es ein Warum? Weshalb? Ein Gesicht, das eine Frage transportiert. Eine Frage, die gewissermaßen eine Anklage ist. Eine Anklage, die sich nicht zwangsläufig auf gehobene oder historisch wichtige Themen bezieht. Warum diese Farbe? Warum dieser Stuhl und nicht ein anderer? Warum diese Landschaft? Aber auch: Warum so leben?
Jonathan nimmt in der Farbe einen Exzess des Lebens wahr, der sich gegen das Leben selbst wendet. Das Leben soll ein Flüstern sein und keine gesättigten Farben, die unsere Augen anzuschreien scheinen, als würde die Farbe zur Verkäuferin. Eine Farbe, die ohne Worte sagt: „Kaufe!“, die Dollars verlangt oder den Vorbeigehenden auffordert, seinen Weg nicht fortzusetzen, bis er vor dieser Farbe innehält, die für irgendein Getränk wirbt, das der Reisende unbedingt und sofort braucht. Die Farbe wird zu einem Stuhl; Ort des Innehaltens, der ein Vorbeigehen verhindert.
Jonathan denkt an Kafka als Maler. Welche Farben würde er verwenden? Der erste, ja unmittelbare Bezugspunkt wäre die Scham, dann das Flüstern, aschgraue Töne: Schwarz-Weiß: ein Schwarz-Weiß-Bild, wie früher die Fernseher, wie eine Bildstörung, eine Störung in der Malerei. Jonathan stellt sich Kafkas Bild schwarz-weiß vor. Nicht, weil er keinen Zugriff auf andere Farben gehabt hätte; sie standen in Reichweite seiner rechten Hand. Aber Kafka sah sie nicht. Das ist die Wahrheit. Kafka sah nur das Schwarz unter den Farben, die neben ihm standen; und das Weiß der Leinwand.
Aber Jonathan fällt plötzlich etwas ein: Und was, wenn entgegen der Tradition die Leinwand ausnahmsweise schwarz wäre statt weiß?; statt einladend weiß, weiß wie der leere Raum, die Farbe der Gastfreundschaft, in Gesten wie in Worten: Sprich, ich höre dir zu, während der Zuhörende Platz nimmt und zeigt, dass Zuhören Geduld bedeutet, den Weg unterbrechen und rasten; wäre die Leinwand anstelle von weiß also schwarz, eine Farbe, die zu sagen scheint: Kein Durchgang!; wäre dem so, hätte Kafka sich vielleicht dem Weiß angenähert, wäre hineingeschlüpft, um eine Erwartung zu wecken oder sogar Hoffnung: ein gewisses Weiß inmitten einer großen dichten Dunkelheit.
Aber Leinwände sind weiß, zu weiß. Kafka würde diesen Optimismus nicht ertragen haben.
Und wir können von einer Störung sprechen: ein schwarz-weißes Gemälde, als wäre aus mysteriösen Gründen das Fernsehbild gestört und in diese zwei Grundfarben zurückgekehrt und dabei in einer Sekunde um Jahrzehnte gealtert: eine technologische Alterung, künstlich, aber doch: plötzliche Alterung und auch plötzliche Melancholie.
Nimm die Farbe weg und du hörst sofort den Laut, den die Traurigkeit hervorbringt, wenn sie nichts sagt.
Vielleicht möchte Kafka auf dem Foto genau das sagen. Aber, was weiß schon Jonathan?
Wie die Natur befragen? Wie die Natur verhören? Wie die Natur foltern, um sie zum Reden zu bringen?
Das ist das Schwierige. Naturwissenschaft als einen solchen Versuch verstehen, als eine freundliche Folter. Einige würden sagen; aber ja: Die Natur muss schließlich auspacken, sich erklären, ihr Geheimnis verraten; warum geschieht dies, warum das, warum diese Landschaft?
Ein Labor wie etwas, das eine gestohlene Probe aus der Natur in Empfang nimmt, die in sorgfältig kontrollierte Parameter übersetzt wird, damit sie ihre Wahrheit preisgibt, damit sie sich enthüllen kann.
Der stummen Natur eine Formel entreißen, als würde man ein Geständnis abpressen. Gute und gütige Wissenschaft, aber auch böse. Inquisition.
Ich spiele Padel, etwas wie Tennis, nur ohne Schläger, man schlägt den Tennisball mit der Hand gegen die Wand.
Das Seltsame: Einem der Spieler fehlt ein Arm, der rechte Arm. Verstörendes Gefühl; ich denke bei diesem Mann ohne den einen Arm an zwei Tennisschläger; als wäre es mehr als ein Problem, eine Unmöglichkeit – eine Geschmacklosigkeit; eine Drohung. Warum zum Teufel machen Leute sowas? Warum zwingen sie uns, Angst zu haben?
Jonathan steht neben mir, und ich spüre sein Unbehagen. Warum spielt dieser Mann ein Spiel mit Händen, wenn ihm ein Arm fehlt?
Jonathan weiß nicht, wie er sich verhalten soll. In die Hände klatschen, die rechte gegen die linke schlagen und einen Knall erzeugen? Die Hände instinktiv hinter dem Rücken verstecken, als wolle er damit sagen: Diese Gliedmaßen sind eigentlich überbewertet? Was tun, wenn man zwei Arme hat und zu dem Mann mit der roten Kappe rüber schaut, dem ein Arm fehlt?
Warum tut er das? Er scheint uns anzuklagen.
Mikroben, die in heißen Temperaturen leben, Mikroorganismen, die gut untersucht sind und es uns ermöglichen, das Leben auf bestimmten Planeten mit extra-extraterrestrischen Temperaturen besser zu verstehen. Vorher glaubte man, es könne bei dieser Hitze (96,5 °C) unmöglich Leben geben. Intelligenz, sagt Jonathan, hängt offenkundig vom Kontext ab. Da drinnen denkst du nicht mehr.
Das ist eine gute Zusammenfassung. Wer es aushält, lebt.
Jonathan hat mich in die Vereinigten Staaten von Amerika begleitet. Man kann sagen, er ist ein Freund.
Ich denke an das Projekt, Kafkas Portrait vor Kinoplakaten zu platzieren. Zwei Bilder verursachen einen Auffahrunfall, ein Aufeinanderprallen zweier Sinneseindrücke. Als wären diese Eindrücke greifbare Gegenstände mit einer Richtung, einem Ziel, einer Geschwindigkeit. Zwei Portraits vorsichtig einander annähern; behutsam.
In den Vereinigten Staaten sind die Bäume älter als die ältesten Religionen.
Eine schnell erzählte Geschichte. Ein Baum, der anfangs unterrichtete; dann, am nächsten Tag, wurde er von seinen besten Schülern in zwei Stücke gesägt.
Die größten Bäume der Welt sind natürliche Kreisverkehre, einmal um den Baum herumgehen, als würde man zu einer Reise aufbrechen. Man muss symbolisch und pragmatisch den Koffer packen: Was nimmst du mit auf diese Rundfahrt?
Gehe nicht los, ohne das mitzunehmen, was du auf der anderen Seite zurücklassen willst. Gehe nicht los, ohne das mitzunehmen, was du vergessen möchtest.
Aber wenn der Weg im Kreis verläuft, was dann?
Ein Baum von großer Widerstandskraft, der beim ersten Erhängten an einem seiner Äste umfällt: Ein Mensch ist schon eine Überlastung, ist zu viel.