So forsch, so furchtlos

Cover

Inhaltsverzeichnis

Die Übersetzung wurde gefördert von Acción Cultural Española, AC/E.

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde im Rahmen des Programms »NEUSTART KULTUR« aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Wie eine Katze. Isora kotzte wie eine Katze. Uckuckuck, und die Kotze platschte ins Klo, um vom unermesslichen Untergrund der Insel aufgenommen zu werden. Das machte sie zwei-, drei-, viermal in der Woche. Sie sagte, hier tut es mir total weh, und zeigte auf die Mitte ihres Oberbauchs, da, wo der Magen ist, mit ihrem dicken, braun gebrannten Finger mit dem ausgefransten Fingernagel, der aussah, als hätte ihn eine Ziege bearbeitet, und kotzte, wie andere sich die Zähne putzen. Sie zog die Spülung, klappte den Klodeckel zu, trocknete sich mit dem Ärmel ihres fast immer weißen Pullovers mit dem Wassermelonenaufdruck die Lippen und machte weiter. Sie machte immer weiter.

Früher hatte sie das nie gemacht, wenn ich dabei war. Ich erinnere mich noch an den Tag, als ich sie zum ersten Mal kotzen sah. Wir hatten unser

Die Feier war vorbei und wir kamen in den Speisesaal und da gab es noch mehr Essen. Die Köchinnen machten uns Kartoffeln mit Rippchen, Ananas und Soße, Isoras Lieblingsessen. Und als wir mit dem Metalltablett, mit unserem Brot und dem Glas Wasser (von dem wir vermuteten, dass es aus dem Wasserhahn kam, obwohl man das auf der Insel eigentlich nicht trinken durfte), unserem Besteck und den Joghurts an die Reihe kamen, fragten uns die Herrinnen des Speisesaals, rote oder grüne Soße, und Isora sagte, rote Soße, und ich dachte, so mutig, rote Soße, hat sie denn keine Angst, dass es scharf wird, hat sie keine Angst, Erwachsenensachen zu essen, und ich wollte sein wie sie, so forsch, so furchtlos.

Wir setzten uns an den Tisch und fingen an zu essen, und zwar in der gleichen Geschwindigkeit, mit der sich die Jungs aus San Andrés mit ihren Seifenkisten die steilen Straßen hinunterstürzten. Es gab

Isora stand auf und sagte, Shit, komm mit aufs Klo.

Und ich stand auf und folgte ihr.

Ich wäre ihr aufs Klo oder an den Krater des Vulkans gefolgt, hätte mich mit ihr drübergebeugt, bis wir das schlafende Feuer sehen würden, bis wir das schlafende Vulkanfeuer innen im Körper spürten.

Und ich folgte ihr, aber wir gingen nicht auf das Klo im Speisesaal, sondern in den ersten Stock, wo niemand war, wo es hieß, dort lebte das Gespenst eines Mädchens, das die Kackwürste der Mädchen auffraß, die ihre Hausaufgaben abschrieben.

Ich machte schnell Pipi, damit Isora gehen konnte. Sie pinkelte, und nachdem sie sich die Hose hochgezogen hatte, nachdem ich ihre Mimi gesehen hatte, die struppig war wie ein Gebüsch an einem Berghang,

Ich hörte sie kotzen.

In meinem Kopf stellte ich mir ihre Kette mit der Heiligen Jungfrau von Candelaria vor, wie sie ihr am Hals hing, knapp über dem Klowasser, das nachher alles wegspülen würde, was sie erbrochen hatte.

Doña Carmen, machen Sie Maggi-Suppe, die aus der Packung?, fragte Isora die alte Frau. Nein, meine Kleine, warum? Meine Oma sagt, die Maggi-Suppe ist für Nutten. Ah, meine Kleine, ich weiß ja nicht. Ich mach meine Suppe aus meinen Hühnern, die ich hier halte. Doña Carmen war seltsam im Kopf, aber grundgut. Fast alle verachteten sie, weil, wie meine Oma sagte, sie mit Vorsicht zu genießen war. Doña Carmen vergaß fast alles, lief stundenlang durch die Gegend und murmelte dabei Gebete, die niemand kannte, sie hatte einen Hund, bei dem die unteren Zähne abstanden, die standen ab wie bei einem Kamel. Du blöder Hund, blöder Hund du, geh weg, soll dich doch der Teufel holen, sagte sie zu ihm. Manchmal legte sie ihm zärtlich die Hand auf den Kopf, manchmal schrie sie ihn an, weg da, du

Isora trank den letzten Rest Kaffee, der noch in Doña Carmens Tasse war, und streckte gleich den Arm aus, um nach dem Gläschen zu greifen, in das die alte Dame Anislikör, Marke Del Mono, eingeschenkt hatte. Isora rülpste, rülpste vielleicht fünfmal nacheinander. Und dann gähnte sie. Und in dem Moment fasste Doña Carmen sie am Kinn und schaute ihr in die Augen, ihre grünen Augen, grün wie grüne Trauben. Sie stocherte in diesen feuchten Augen wie jemand, der mit dem Pickel Grubenwasser ablässt. Die Alte erschrak: Meine Kleine, weißt du, ob jemand neidisch auf dich ist? Isora saß bewegungslos da. Wieso, Doña Carmen? Was ist los? Mädchen, ich sehe bei dir den bösen Blick. Geh um Himmels willen zu Doña Eufracia, die soll dich segnen. Sag es deiner Großmutter, die kennt sich mit diesen Sachen aus, die soll dich hinbringen, damit Eufracia für dich betet.

Als wir aus der Tür gingen, lief die Fünf-Uhr-Telenovela. Um diese Tageszeit legte sich immer eine

Als wir aus Doña Carmens Tür kamen, hatte ich einen fetten Wurmkloß im Hals. Dieser schwarze Wurm flüsterte, du warst schon mal neidisch auf Isora. Ich mochte die Farbe ihrer Haare und ihrer Arme. Mir gefiel ihre Schrift. Sie machte ihr G mit einem riesigen Schweif, der unlesbar machte, was in der Zeile drunter stand. Mir gefielen ihre Augen und noch so viele andere Sachen. Ich beneidete sie dafür, wie sie mit Erwachsenen reden konnte. Sie war in der Lage, Unterhaltungen zu unterbrechen und zu sagen, nein, Moreiva ist die Tochter von Gloria, die in der Kurve wohnt, nicht die andere Gloria. Ich beneidete sie um ihre runden Brüste, weich wie gezuckerte Geleestücke, obwohl ihr die nicht schmeckten. Und weil sie schon ihre Tage hatte und Haare auf der Mimi. Isora hatte eine Menge dicke schwarze Stachelhaare, wie der Kunstrasen in den Landhäusern. Ich beneidete sie um das Modul mit den Gameboy-Spielen drauf, das ein Cousin zweiten Grades für sie gerippt hatte, der war Informatiker und lebte in Santa Cruz. Ich beneidete sie darum, weil auf dem Modul das Hamtaro-Spiel drauf war, und ich liebte Hamtaro.

Isora hatte keine Mutter. Sie lebte bei ihrer Tante Chuchi und ihrer Großmutter Chela, der der

Isora hasste ihre Großmutter mit aller Kraft. In der Schule hatte sie gelernt, dass Bitch Schlampe heißt, und seitdem antwortete sie, wenn die Großmutter ihr sagte, bring Doña Carmen die Kartoffeln und die Eier, kassier hier mal ab, hol dem Mädchen doch mal zwei Packungen Hähnchenkeulen, vier Brote, zweihundert Gramm Käse, zweihundertfünfzig Gramm Ziegenkäse, tu dem Mädel noch ein Stück Guavengelee dazu, einen Sack Kartoffeln, hol ein paar Garnelen aus dem Keller, kassier mal den Ausländer ab, du kannst doch Englisch, ich sprech ja nur die Christensprache, okay, Bitch, ich geh schon, Bitch, in Ordnung, Bitch,

Im Laden arbeitete auch Chuchi. Chuchi, Isoras Tante, war Chelas zweite Tochter. Chuchi wurde von allen Chuchi genannt, aber niemand wusste, wie sie wirklich hieß. Chuchi hatte grüne Augen wie Isora, aber ihre hatten Flecken in der Farbe von auf weißem Grund verschüttetem Kaffee. Wie Kaffeereste auf dem Boden einer Tasse. Chuchi war groß und schlank, hatte lange Arme und Beine, war hager, vertrocknet. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit Isora, außer den Augen. Niemand hatte sie je mit einem Mann gesehen und sie hatte keine Kinder. Chuchi war auch andauernd in der Kirche, aber sie träumte nicht wie ihre Mutter davon, eine Heilige zu sein, sondern davon, Verkäuferin zu sein. Eine Zeit lang hatte sie den Nachbarinnen im Dorf Schminke und Cremes fürs Gesicht und Seife fürs Haar und Seife für den Körper verkauft. Sie ging im Sekretärinnendress von Haus zu Haus, grünes Jackett, grün wie ihre Augen, grüner Rock, grün wie die Augen von Isora, braune Stiefel mit quadratischem Absatz, eine Mappe mit den Katalogen von Avon unterm Arm, in denen die Produkte aufgeführt waren. Ihre Mutter sagte zu den Leuten, ihre Tochter ginge vor die Hunde, weil sie den ganzen Tag auf der Straße herumlief wie die Nutten.

Als wir zu Eufracias Haus kamen, stellte sich Isora vor die Tür, schaute mich an und sagte, klingel du, und ich klingelte und ging zur Seite und Eufracia kam in einer völlig blutverschmierten Küchenschürze raus. Meine Kleine, mich hat Carmitas schon angerufen. Kommt rein, ich hab grade das Kaninchen zerlegt fürs Abendessen, setz dich, Mädchen, sagte sie zu Isora und schob sie auf einen Plastikstuhl im Innenhof, mitten zwischen den grünen, buschigen Farnpflanzen, grün und riesig wie auf dem Monte del Agua. Während Isora es sich bequem machte, griff ich mir einen Stuhl und setzte mich in eine Ecke, weil ich ja nicht die Hauptperson war. Isora war die mit dem bösen Blick, nur sie hatte solche Sachen, bei mir passierte nie irgendwas, meine Oma sagte zwar immer, ich hätte einen verkorksten Magen, aber

amen!

Und Eufracia fing an, das Glaubensbekenntnis zu beten, und ich fing auch an zu beten. Und ich wurde nervös, weil mir niemand das Beten beigebracht