Ruby Recked

Don’t Wanna Change You

© 2018 Written Dreams Verlag

Herzogweg 21

31275 Lehrte

kontakt@writtendreams-verlag.de

www.writtendreams-verlag.de

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

ISBN ebook: 978-3-96204-469-5

ISBN print: 978-3-96111-551-8

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.

Widmung

Für alle, die glauben, es ständig jedem recht machen zu müssen.

Vergesst dabei niemals euch selbst!

Kapitel 1

Alexa

„Darf es für Sie noch etwas zu trinken sein?“, fragte die freundliche Stewardess Linda und mich.

„Ein Wasser bitte“, gab meine Mitbewohnerin ihre Bestellung auf und erhielt umgehend einen Becher.

„Für mich nichts, danke“, lehnte ich ab.

Während sich die Flugbegleiterin den nächsten Passagieren widmete, wandte sich Linda an mich: „Und, mit wem willst du dich auf der Hochzeit vergnügen?“

„Was?“, fragte ich irritiert.

Linda verdrehte die Augen, da ich nicht sofort geschnallt hatte, was sie meinte. „Diese ganzen heißen Typen, mit denen Travis arbeitet, werden bestimmt dort sein. Also, wer soll es sein?“

Erst jetzt begriff ich, was sie meinte. Travis, der Verlobte meiner Cousine Melissa, war ein Social-Media-Star und hatte eine ganze Armee an sexy Kollegen. Wenn die alle anwesend wären, könnte es tatsächlich ein interessanter Abend werden. Zumindest hätten wir Mädels ordentlich was zu gucken.

„Meinst du, wir können uns unseren Tischnachbarn aussuchen?“, hakte ich nach.

„Ich hatte eher an ein Betthäschen gedacht“, erläuterte sie kichernd. „Oder sagt man bei Männern Betthengst?“

Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. „Du bist unmöglich!“

„Was denn?“ Abwehrend hob sie beide Hände. „Wenn ich schon einmal die Gelegenheit bekomme, einen von den Shirtless Guys zu treffen, will ich sie auch ausgiebig nutzen.“

Ausgiebig nutzen“, wiederholte ich skeptisch. „An was hast du gedacht? Take one, get one free?“

„Dagegen hätte ich zumindest nichts einzuwenden“, lachte sie. „Aber mal im Ernst: Einer muss es schon sein. Auf jeden Fall!“

„Wie willst du das hinkriegen? Du klingst, als sei es das Leichteste der Welt, so einen Typen rumzukriegen.“

„Da gehört nicht viel dazu, glaub mir“, versicherte sie. „Die meisten Kerle sind einfach gestrickt, wenn es um unverbindlichen Sex geht.“

„Mag sein“, überlegte ich laut. „Hast du denn keine Angst, dass das sprachlich nicht hinhaut?“ Lindas Englischkenntnisse waren nicht besonders gut, deshalb wunderte es mich, dass sie so selbstbewusst und zuversichtlich war.

„Für Wanna fuck? wird es gerade noch so reichen“, erwiderte sie schnippisch. „Und auch faster, harder oder deeper wird er wohl verstehen.“

„Sorry, so war das nicht gemeint“, ruderte ich sofort zurück. „Ich meinte ja nur, dass du dich vorher doch bestimmt mit ihm unterhalten willst. Kennenlernen und so  …“

„Ach Lexi, es geht hier um einen One-Night-Stand, um reinen Sex, da muss ich nicht viel von ihm wissen. Das gilt umgekehrt genauso.“

Ich ließ ihre Worte auf mich wirken, als mir plötzlich ein Gedanke kam. „Glaubst du denn, dass gerade einer dieser Model-Typen wirklich gut im Bett ist?“

Augenblicklich zog Linda eine Augenbraue nach oben. „Na klar, warum nicht?“

„Na ja, ich habe mal gehört, dass heiße Männer nicht so gut im Bett sind, weil sie sich nicht anstrengen müssen“, erläuterte ich ihr meine Gedanken. „Die unscheinbaren Typen hingegen sind so dankbar, dass sie dich in den siebten Himmel schicken … oder ficken, wenn du es so willst.“ Ein Kichern entkam meiner Kehle.

„Ich hab keine Ahnung, wie du auf so eine Idee kommst. Nieten im Bett findest du auf der gesamten Hottie-Skala“, Linda schüttelte den Kopf und lachte. „Aber ich wäre sehr gerne dabei, wenn du Travis diese Theorie vorstellst. Am besten im Beisein von Melissa. Ach was, aller Shirtless Guys.“ Ihr Gackern wurde sogar noch lauter.

„Okay, vielleicht ist das eine blöde These“, murmelte ich, während mir die Schamesröte ins Gesicht stieg. Travis war der heißeste Kerl, den ich je live gesehen hatte und aus Melissas Erzählungen ging hervor, dass er eine Art Sexgott sein musste. Sie ging mir gegenüber zwar nie ins Detail, doch ich wusste, dass sie mehr als zufrieden war. „Oder aber er ist die goldene Ausnahme?!“

Meine Freundin wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie nun wieder ernst antwortete: „Ich glaube nicht, dass man das so verallgemeinern kann. Es gibt immer Jackpots und Nieten. Aber du machst dir viel zu viele Gedanken. Probier es einfach mal aus.“

„Einen One-Night-Stand?“, hakte ich entsetzt nach.

„Exakt“, bestätigte sie meine Vermutung.

„Ich habe das noch nie gemacht“, warf ich meine Bedenken ein.

„Nicht?“, fragte Linda irritiert. „Du warst in letzter Zeit auf so vielen Partys und hast mir doch von Männern erzählt. Da lief gar nichts?“

„Zumindest kein Sex“, stellte ich klar. „Mit manchen habe ich geknutscht oder rumgemacht, aber bis zum Äußersten sind wir nicht gegangen.“

Lindas verwirrter Blick traf mich. „Geknutscht?! Das heißt, du hattest wann das letzte Mal Sex? Mit Dennis?“

„Ja“, erwiderte ich kleinlaut. Die Gedanken an meinen Ex trugen nicht gerade zu meiner guten Laune bei.

„Wie lang ist das her? Über ein Jahr?“ Ihre Stimme war vor lauter Unglauben schon schrill.

„Anderthalb.“

„Oh Gott, Lexi!“, stieß Linda aus. „Du bist gerade einmal neunzehn. Da sollte man sich ausprobieren und nicht so lange Sexpausen machen.“

„Warum?“, erkundigte ich mich. „Hast du Angst, dass ich verlerne, wie es geht?“

„Quatsch! Aber du betrügst dich selbst um den ganzen Spaß!“

„Also erstens bin ich überzeugt davon, dass ich es alleine besser hinkriege als die meisten Kerle und zweitens habe ich Angst, dass ich mich direkt verliebe. Ich kenne mich doch und bezweifle, dass ich Sex und Liebe trennen kann“, jammerte ich.

„Dann ist das jetzt die Chance für dich, es herauszufinden. Die Gelegenheit ist einmalig“, erklärte sie. „Wir sind nur ein paar Tage da, die Männer vermutlich ausschließlich diesen einen Abend. Unverbindlicher geht es nicht. So schnell verliebt man sich nicht und nur, weil Dennis offensichtlich eine Niete im Bett war, solltest du nicht alle Typen abschreiben. Viele wissen durchaus, was sie tun.“

Ihre Worte waren einleuchtend. Vielleicht sollte ich wirklich über meinen Schatten springen und es darauf ankommen lassen. Mir musste nur von vornherein bewusst sein, dass ich diesen Mann nie wiedersehen würde. So könnte es mir gelingen, meinen Kopf für den Moment auszustellen und einfach zu genießen. „Okay“, stimmte ich zu. „Hast du dir schon einen ausgesucht?“

Linda zückte ihr Handy und öffnete die Bildergalerie. Sie neigte dazu, sich alle möglichen Bilder abzuspeichern, die sie auf Facebook fand oder ihr per WhatsApp gesendet wurden. Zum Glück waren auch ein paar von den Shirtless Guys dabei.

„Also das hier wäre mein Favorit.“ Mit dem Zeigefinger verdeutlichte sie mir, wen sie meinte.

„Elijah?“, fragte ich dennoch nach. Ja, sein Körper war definitiv sexy, aber mit seinen hellblonden Haaren war er überhaupt nicht mein Typ. Außerdem strahlte er eine gewisse Arroganz aus und das war ein No-Go.

„Ich glaub schon“, erwiderte Linda und zuckte beiläufig mit den Schultern. „Mein Namensgedächtnis ist nicht das beste, das weißt du doch.“

„Gut, so kommen wir uns nicht in die Quere“, stellte ich erleichtert fest. „Ich würde mein Glück bei Luke versuchen.“

Luke war mit seinen dunklen Haaren und Augen optisch das genaue Gegenteil von Elijah. Außerdem war er seit Kindheitstagen Travis‘ bester Freund. Hoffentlich war er ein ähnlich toller Kerl wie der zukünftige Mann meiner Cousine. Wobei mir das eigentlich egal sein sollte, schließlich plante ich hier gerade nur eine unverbindliche Nummer. Aber sympathisch musste der Kerl schon sein.

„Also bist du dabei?“, wollte Linda von mir wissen. „Willst du das wirklich durchziehen?“

„Zumindest würde ich es versuchen.“

„Okay, und falls es nicht klappt, ziehst du es noch vor deinem zwanzigsten Geburtstag durch. Zur Not auch, wenn wir wieder in Deutschland sind.“

„Warum?“, hakte ich nach.

„Weil ich das sage!“, bestimmte sie, was uns beide zum Lachen brachte.

Kapitel 2

Luke

„Da muss eine Verwechselung vorliegen“, fauchte Julia den armen Hotelangestellten an. „Überprüfen Sie das umgehend!“

Ergeben drehte der Mann den Monitor so, dass meine Begleitung einen Blick darauf werfen konnte. „Schauen sie selbst, Ms. Bloom. Ich habe hier nur eine Buchung für ein Doppelzimmer auf den Namen Mendoza und sie stehen dort als zweite Person. Leider kann ich Ihnen nicht zwei Einzelzimmer anbieten, weil wir ausgebucht sind.“

„Aber …“, wollte Julia weiter protestieren, als es bei ihr offenbar Klick machte und sie sich zu mir umdrehte. „Du warst das!“ Sie bohrte mir ihren Finger in die Brust. „Hast du das mit Absicht gemacht?"

Ich setzte mein charmantestes Lächeln auf und nickte. „Du hast doch gesagt, dass ich mich um das Hotel kümmern soll, also habe ich das nach meinen Vorstellungen getan“, klärte ich sie auf.

Sie verengte ihre Augenbrauen, sodass eine steile Falte dazwischen entstand. „Was soll das, Luke?“

„Reg dich nicht so auf, Jules“, versuchte ich, sie zu besänftigen. „Oder hast du etwa Angst, dass du dich nicht zurückhalten kannst, wenn wir im selben Bett schlafen?“

Möglicherweise hatte ich eine Spur zu laut geredet, denn die Aufmerksamkeit des Rezeptionisten und der anderen Gästen in der Lobby war uns plötzlich sicher. Auch Julia entging das nicht. Für eine öffentliche Konfrontation war sie jedoch viel zu sehr auf ihre Außenwirkung bedacht. Sie verdrehte die Augen und ließ sich im nächsten Moment die Schlüsselkarte für unser Zimmer aushändigen.

Na bitte, geht doch!

Hocherhobenen Hauptes marschierte sie in Richtung der Fahrstühle und ich folgte ihr, nachdem ich mir unser Gepäck geschnappt hatte. Die Fahrt in den sechsten Stock verlief, ohne dass wir ein Wort wechselten. Stattdessen hagelte es wütende Blicke. Diese zickige Art musste ich ihr austreiben, denn so langsam hatte ich die Schnauze voll davon. Eigentlich war sie nicht so, deshalb nervte mich diese Zickerei doppelt an ihr.

Nachdem wir den Raum betreten hatten, fiel Julias Blick zunächst auf das Kingsizebett und dann wieder auf mich.

„Ernsthaft, Luke. Was soll das?“ War das Resignation, die ich in ihrer Stimme hörte?

Ich trat an sie heran, bis ich direkt vor ihr stand. Eine Hand legte ich an ihre Wange und streichelte zärtlich mit dem Daumen darüber. Ihr Blick schien immer noch Blitze in meine Richtung zu schicken, dennoch schmiegte sie sich in meine Berührung.

„Kannst du es dir denn nicht vorstellen?“, fragte ich sie sanft. „Wir beide, in einer fremden Stadt, die romantische Stimmung der Hochzeit.“

Während ich sprach, bewegte ich mich immer weiter auf sie zu. Sie versuchte, nach hinten auszuweichen, stieß dabei aber gegen die Wand. Ich presste mich an sie und brachte meinen Mund ganz nah an ihr Ohr.

„Sag mir, wie du es brauchst und ich ficke dich genau so, wie du es willst.“ Auf meiner Wange spürte ich, wie sich ihr Atem beschleunigte. „Magst du es lieber langsam und zärtlich oder macht dich die härtere Gangart an? Vielleicht stehst du ja sogar auf ein kleines Spanking und tust immer nur so unschuldig. Seit ich dich kenne, will ich hören, wie du meinen Namen stöhnst und wissen, wie du schmeckst, wenn ich dich um den Verstand lecke.“ Julia begann, sich hin und her zu winden, stieß mich aber nicht weg. Offenbar hatte ich endlich den richtigen Weg gefunden. „Wir zwei könnten so viel Spaß miteinander haben, du musst es nur endlich zulassen.“

„Sag es“, keuchte sie, legte ihre Hand flach auf meinen Bauch, bewegte sie langsam abwärts und machte erst Halt, als sie meinen nach Aufmerksamkeit gierenden Schwanz erreichte.

Jackpot!

„Was denn?“ Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach und es war mir auch nicht möglich, darüber nachzudenken, da mein Blut gerade in anderen Regionen dringender, als in meinem Gehirn benötigt wurde.

„Sag, dass du mich liebst!“, forderte sie nun klarer.

Ich fühlte mich, als hätte mir jemand mit einem Vorschlaghammer vor den Schädel geschlagen. Mein erster Impuls war es, Julia zu fragen, ob sie noch alle Tassen im Schrank hatte.

Allerdings schnappte ich aufgrund der Absurdität nur nach Luft und hoffte, dass sie es auf die Tatsache schieben würde, dass sie durch meine Jeans meinen Schwanz rieb. Krampfhaft versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Eine negative Antwort wäre jetzt nicht hilfreich, da sie mich wortwörtlich an den Eiern hatte. Aber ich konnte auch nicht aussprechen, was sie von mir verlangte.

Früher hatte ich gelegentlich gelogen, um Frauen ins Bett zu bekommen, doch da war es stets um Kleinigkeiten gegangen. Ein falsches Liebesgeständnis war mir schon immer zuwider gewesen. Liebe war eine große Sache, das war selbst mir stets bewusst gewesen, obwohl ich damit noch nie etwas am Hut gehabt hatte. Mit so etwas scherzte man nicht.

„Ich warte, Hero“, informierte sie mich und erhöhte den Druck.

Da ich nach wie vor nicht wusste, was ich ihr antworten sollte, presste ich kurzerhand meine Lippen auf ihre, was sie mit einem leisen Stöhnen quittierte. Als sie ihren Mund öffnete, um meine Zunge willkommen zu heißen, währte ich mich schon nah an meinem Ziel, aber Julia hatte ihre Forderung nicht vergessen. Viel zu bald schob sie mich entschieden an den Schultern von sich und blickte mich ernst an. „Ich muss das einfach vorher von dir hören“, stellte sie erneut klar. „Dann kannst du alles mit mir machen, was du willst.“

Scheiße! Verfluchte Scheiße! In so eine Zwickmühle konnte auch nur ich mich manövrieren. Seit einem Jahr arbeitete ich darauf hin, dass sie endlich die Beine für mich breit machte und nun sollte es an drei kleinen Worten scheitern? Ich legte meine Hände an ihre Wangen und sah ihr tief in die Augen. „Julia, ich …“ Komm schon, Mendoza, sag es einfach! „Hör zu, ich mag dich wirklich gern, aber ich kann dir das nicht sagen.“ Mein Schwanz protestierte zwar wegen meiner verschissenen Moral, doch ich wollte mir morgen noch im Spiegel entgegensehen können.

In ihren Augen sammelten sich Tränen und in mir regte sich das schlechte Gewissen. „Noch nicht“, fügte ich also hinzu. „Aber wenn ich erst einmal weiß, wie es ist, in dir zu sein, ändert sich das bestimmt bald“, versuchte ich, sowohl für meine Ehre als auch für meinen Schwanz zu retten, was zu retten war.

Ich sah die Ohrfeige nicht kommen, die schallend meine linke Wange traf und einen stechenden Schmerz in meinem Gesicht auslöste. Erschrocken wich ich zurück.

„Du bist so ein Schwein, Luke!“, fauchte sie mich an. „Dieser letzte Satz zeigt mir, dass es die richtige Entscheidung war, bisher nicht mit dir zu schlafen.“

„Sag mal, geht’s noch?“, maulte ich sie an, fassungslos, dass sie mich geschlagen hatte. „Ich kauf doch nicht die Katze im Sack! Wenn es im Bett nicht funktioniert, dann hat auch die größte Liebe keine Chance.“ Zumindest war ich davon überzeugt.

„Du hast sie nicht mehr alle!“, knallte sie mir an den Kopf. „Und jetzt raus hier, ich will dich nicht mehr sehen!“ Überflüssigerweise deutete sie auf die Tür.

„Du kannst mich nicht rausschmeißen, das ist mein Zimmer. Ich habe es gebucht und bezahlt“, informierte ich sie über die Tatsachen.

Julia biss die Zähne dermaßen fest zusammen, dass ihr Kiefer sichtbar mahlte. „Willst du jetzt wirklich ein noch größeres Arschloch sein?“, fragte sie mich ernst, doch deutlich ruhiger. „Es ist deine Heimatstadt. Dir dürfte es leichter als mir fallen, irgendwo unterzukommen. Nach so einer Aktion kann ich einfach nicht mit dir in einem Raum schlafen.“ Sie schaffte es nicht mehr, ihre Tränen zurückzuhalten. Der Anblick ließ mich nicht kalt, aber ich konnte gerade auch keinen Schritt auf sie zumachen. Dafür war ich viel zu frustriert und wütend.

Ohne ein weiteres Wort schnappte ich mir meine Tasche und verließ das Zimmer.

Kapitel 3

Luke

Anna Banana!“, begrüßte ich meine Zwillingsschwester übertrieben fröhlich mit dem verhassten Spitznamen aus unserer Kindheit, als sie mir die Tür öffnete.

„Lucky Luke?“, stieß sie erstaunt hervor und zahlte es mir zeitgleich heim. „Was machst du denn hier? Ach egal, ich freu mich so, dass du da bist!“ Mit diesen Worten fiel sie mir um den Hals. Ich schlang meine Arme um sie und hob sie etwas an. Es tat so gut, ein vertrautes und vor allem freundliches Gesicht zu sehen.

Als wir uns ein Stück voneinander lösten, überfiel ich sie direkt mit meinem Anliegen. „Kann ich ein paar Tage bei dir pennen?“

Anna zögerte nur einen winzigen Moment. „Ähm … ja, klar, aber jetzt komm erstmal rein.“

Dicht hinter ihr betrat ich ihr Appartement. Oder sollte ich eher sagen ihren Schuhkarton? Meine Schwester lebte allein, daher reichte ihr vermutlich diese Zwei-Zimmer-Wohnung, allerdings hatte ich schon im Flur das Gefühl, Platzangst zu bekommen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee bei ihr unterzukommen, aber sie war die Erste, die mir eingefallen war und von der ich wusste, dass sie mir immer helfen würde.

„Mehr als die Couch kann ich dir allerdings nicht anbieten“, teilte sie mir leicht geknickt mit und führte mich ins Wohnzimmer, um mir mein Nachtlager zu präsentieren. „Mein Bett ist zwar groß genug für zwei, das wäre mir allerdings zu strange.“

„Auf jeden Fall“, pflichtete ich ihr bei. „Die Couch ist super.“ Zumindest hoffte ich, dass ich dort die Nächte gut rumkriegen würde. Probehalber setze ich mich und meine Schwester tat es mir gleich.

„Hast du nicht erzählt, dass du im Hotel übernachten wolltest? Jetzt bin ich gar nicht auf deinen Besuch vorbereitet.“ Anna verschränkte die Arme vor der Brust. Diese Geste wirkte nicht ablehnend oder wütend mir gegenüber, sondern vielmehr, als wäre sie mit der Situation unzufrieden.

„Da komm ich gerade her“, klärte ich sie auf. „Aber Julia, meine … Begleitung hat mich rausgeschmissen.“ Leicht verlegen kratzte ich mir am Hinterkopf. „So wie’s aussieht, gab es da ein kleines Missverständnis.“

Anna schüttelte grinsend den Kopf. „Oh Mann, das klingt eher nach einer ausgewachsenen Meinungsverschiedenheit, als nach einem kleinen Missverständnis.“ Mit ihren Fingern malte sie Anführungsstriche in die Luft.

„Das Übliche halt“, gab ich mich betont unbeeindruckt. „Sie wollte was Festes, ich etwas Lockeres, nur dass ich mich diesmal komplett in dieser Sache verrannt habe.“

„Inwiefern?“

„Wir kennen uns schon länger als ein Jahr“, begann ich mit meiner Erklärung. „Bisher konnte ich nicht bei ihr landen, doch ich kann es auch nicht lassen, es zu versuchen.“ Anna wollte gerade etwas erwidern, als ich ihr über den Mund fuhr. „Und nein, das liegt nicht daran, dass ich in sie verliebt bin, falls du das sagen wolltest.“

Meine Schwester zog fragend eine Augenbraue nach oben. „Aber warum fällt es dir dann so schwer? Hast du mal darüber nachgedacht? Vielleicht ist da mehr?“, mutmaßte sie.

Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Das ist es wirklich nicht. Sowas müsste ich doch merken, oder? Wenn sie in der Nähe ist, habe ich weder Herzrasen noch weiche Knie. Im Gegenteil, weich ist da gar nichts.“

„Boah, Luke! Stopp!“, unterbrach sie mich. „Das will ich nicht wissen.“

Um ihr den Gefallen zu tun, lenkte ich das Gespräch wieder auf eine unverfängliche Ebene. „Wahrscheinlich liegt es eher daran, dass sie mir widersprüchliche Signale sendet, seit wir miteinander ausgehen. Sie hat mir nie eine klare Absage erteilt. Vielleicht ist es das“, sinnierte ich vor mich hin. „Ich meine, ich habe ja schon öfter Körbe bekommen, aber das war nie ein Problem für mich. Es gibt ja schließlich noch genug andere Frauen, also bin ich in so einem Fall weitergezogen.“

„Und was ist bei ihr anders?“, hakte Anna nach.

„Na ja, sie sagt zwar stets nein, wenn ich mal einen Versuch starte, ruft mich dann aber ein paar Tage später wieder an und fragt, ob wir was unternehmen wollen. Und irgendwie sage ich jedes Mal zu.“

Anna legte ihre Stirn nachdenklich in Falten. „So kenne ich dich gar nicht, dass du einer Frau so hinterherdackelst.“

„Ich dackele nicht!“, stellte ich klar.

„Dennoch hat sie dich dazu gebracht, ein Jahr zölibatär zu leben. Das nenne ich ne Leistung.“ Sie zwinkerte mir zu, weil sie wusste, dass ich noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen war.

„Ein Jahr!“, rief ich aus und zeigte ihr einen Vogel. „Das glaubst du doch wohl selber nicht. Da wäre ich ja schon längst geplatzt.“

Meine Schwester riss schockiert die Augen auf und wollte gerade etwas erwidern, als ich weitersprach. „Ich weiß, was du sagen willst. Und dann wunderst du dich, dass sie dich nicht ranlässt, wenn du fremde Frauen fickst? Tja, das habe ich mir irgendwann auch gedacht und deshalb habe ich jetzt drei Monate keine andere mehr angerührt.“

„Weiß Julia von deinem großen Opfer?“, hakte sie belustigt nach.

„Ich kann es ihr nicht sagen, dann müsste ich ja zugeben, was ich die ganzen Monate davor gemacht habe. Und du brauchst übrigens gar nicht so blöd zu grinsen. Für mich sind drei Monate ne Menge.“ Meine Durststrecke musste ich dringend beenden, da ich andernfalls demnächst einen Tennisarm oder eine Sehnenscheidenentzündung bekommen würde.

Kopfschüttelnd betrachtete sie mich und lachte mich aus. Ich kam mir dämlich vor, weil sie mich offensichtlich nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Vielleicht war eine Frau einfach nicht der richtige Ansprechpartner? Aber mit einem der Jungs konnte ich nicht darüber reden. Die würden mich nur noch mehr auslachen und mich für den letzten Loser halten. Und Travis? Tja, den gab es nur noch im Doppelpack. Ich mochte Melissa zwar, sehr sogar, aber sie verstand sich gut mit Julia und würde vermutlich ebenso wenig Verständnis aufbringen, wie meine Schwester.

Letztere hatte sich inzwischen wieder in den Griff bekommen. „Und was hast du jetzt vor?“, erkundigte sich Anna interessiert. „Gibst du sie auf oder springst du über deinen Schatten und lässt dich auf sie ein?“

„Keine Ahnung“, gab ich zu. „Eine Beziehung wird es auf keinen Fall. Eine Freundschaft ist auch aussichtslos, so, wie es momentan aussieht. Morgen Abend ist das Probedinner. Wahrscheinlich sollte ich in Ruhe mit ihr reden, aber ehrlich gesagt, habe ich noch nicht einmal Lust darauf, sie zu sehen.“

Kapitel 4

Alexa

Schon als wir den Ankunftsbereich des Flughafens in Charlotte betraten, entdeckte ich Travis. Der Kerl war einfach riesig und wäre es nicht seine Größe gewesen, so hätte seine Ausstrahlung allein gereicht, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen.

„Da drüben sind sie“, informierte ich Linda.

„Schon gesehen“, gab sie zurück.

Während wir uns unseren Weg durch die Menschenmenge bahnten, konnte ich auch einen Blick auf meine Cousine erhaschen, die sich sofort in Bewegung setzte, als sie uns erkannte.

„Endlich seid ihr da!“, begrüßte sie uns und schloss zunächst Linda in die Arme, sodass Travis mich an sich drückte. Nach einem kurzen Moment tauschten wir. Als sich Melli von mir löste, beäugte sie mich einmal von oben bis unten.

„Wow, Lexi! Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“ Sie griff nach einer meiner braunen Strähnen und begutachtete sie genauer.

„Ach das“, winkte ich ab. „Das ist nur ein bisschen Farbe.“

„Das sieht fantastisch aus und so erwachsen.“

Sehr gut. Exakt das war der Effekt, den ich erzielen wollte, als ich meine blonden Haare vor ein paar Tagen braun gefärbt hatte. Ich wollte seriöser wirken und pflegte die Hoffnung, dass mein Umfeld mich mit der neuen Haarfarbe ernster nehmen würde. „Danke“, freute ich mich über das Kompliment.

Melissa legte den Kopf leicht schief. „Das gefällt mir richtig gut, vielleicht sollte ich auch …“

„Nein!“, unterbrach Travis sie abrupt. „Deine Haare bleiben genau so, wie sie sind. Ich mag meine Frau blond.“

„Noch bin ich nicht deine Frau“, erinnerte Melissa ihren Verlobten.

„Aber übermorgen wirst du es sein!“

Bei Travis‘ Satz schnellten Melissas Mundwinkel in die Höhe. Sie wandte sich ihm zu und drückte ihre Lippen auf seine. „Ich kann’s kaum erwarten.“

„Oh Gott!“, stöhnte Linda genervt auf. „Ich habe ein liebestolles Monster erschaffen!“

Linda war nicht ganz unschuldig daran, dass Travis und Melissa nun zusammen waren. Schließlich hatte sie meine Cousine seinerzeit in ein Flugzeug gesetzt, damit die zwei Turteltäubchen wieder vereint sein konnten.

Nachdem die beiden sich voneinander gelöst hatten, machten wir uns auf den Weg zu Travis‘ Auto, mit dem er uns zu seinem Elternhaus brachte. Da ich stets knapp bei Kasse war, war ich sehr froh, dass uns die Möglichkeit eingeräumt wurde, bei den Andersons unterzukommen. Ein Hotel wäre für mich einfach nicht drin gewesen, denn selbst zu dem Flug hatte mir Melissa schon etwas dazugeben müssen. Optisch konnte ich mich mit dem Färben meiner Haare vielleicht älter machen, aber meinen Geldbeutel interessierte das herzlich wenig.

***

Am nächsten Abend, dem Vorabend der Hochzeit, luden Travis und Melissa ihre engsten Freunde und Verwandten zu einem gemeinsamen Essen ein. Zusammen mit Travis‘ Eltern Cliff und Britt betraten wir das italienische Restaurant, wo uns das glückliche Paar schon erwartete. Auch Dean und dessen Frau Gemma waren bereits anwesend. Nachdem sich alle begrüßt hatten, nahmen wir an einer Tafel Platz, an der vierzehn Stühle standen.

Wir mussten nicht lange warten, bis die fehlenden sechs Personen auftauchten. Hierbei handelte es sich um die L.A.-Fraktion. Dank Facebook kannte ich sie alle, da sie mehr oder minder berühmt waren, zumindest in der Social-Media-Welt. Zunächst betrat Travis‘ leiblicher Vater und Tattoo-Gott Gavin McElroy mit seiner Frau Shawna den Raum. Auf seiner Hüfte saß seine kleine Tochter Victoria, kurz Vicky. Lange konnte ich mich jedoch nicht auf das zuckersüße Kleinkind konzentrieren, denn direkt hinter den McElroys folgten drei der Shirtless Guys. Lindas Schwarm Elijah Anklewood, Danny Williams und Luke Mendoza. Letzterer sorgte dafür, dass mir die Spucke wegblieb.

Heilige Scheiße! In echt sah Luke um ein Vielfaches besser aus als auf Fotos oder Videos und ich hätte nicht gedacht, dass das möglich wäre. Die kurzen, schwarzen Haare hatte er perfekt gestylt und seine blauen Augen funkelten belustigt, als ihm Danny etwas erzählte. Während er auf den Bildern, die ich von ihm kannte, meist glattrasiert war, zierte heute ein Dreitagebart sein Gesicht und dieser stand ihm ausgezeichnet. Ich erkannte, dass er nicht ganz so groß wie Travis war, es aber bestimmt trotzdem auf einen Meter fünfundachtzig brachte. Neben dem muskulösen Verlobten meiner Cousine wirkte er fast schmal, doch dank der Bilder, die ich von ihm kannte, wusste ich, dass er durchaus athletisch und gut trainiert war. Davon zeugte auch das blaue T-Shirt, das an den Oberarmen spannte. Seine Unterarme waren, wie bei seinen Kollegen auch, bedeckt mit Tattoos. Schon oft hatte ich versucht, am Bildschirm Details zu erkennen, was mir aber nur teilweise gelungen war. Ich hoffte auf eine Möglichkeit, dies bald zu ändern.

Das Beste allerdings war Lukes Lachen, als Danny mit seiner Erzählung fertig war. Das Geräusch jagte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Meine Güte, was war bloß mit mir los? Natürlich fand ich ihn schon lange attraktiv, sonst hätte ich ihn mir nicht für mein One-Night-Stand-Experiment ausgesucht. Aber dass mein Körper allein auf seine Anwesenheit und dieses Lachen so stark reagierte, irritierte mich.

In dem Moment, als sich sein sinnlicher Mund zu einem Grinsen verzog und er sich über die Unterlippe leckte, stellten sich die Härchen auf meinen Unterarmen auf. Wie erstarrt saß ich da. Alles, was ich tun konnte, war, Luke anzugaffen. Ein leiser, wimmernder Laut verließ meine Kehle und ich war froh, dass die Neuankömmlinge immer noch mit der Begrüßung beschäftigt waren, sodass es niemand hören konnte. Niemand, bis auf Linda, die neben mir saß. Irritiert schaute sie mich an. „Alles klar bei dir?“, erkundigte sie sich auf Deutsch.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte ich. Genaugenommen wusste ich nicht einmal, warum zur Hölle ich gerade flüsterte, mich verstand hier niemand. Um mich wieder zur Besinnung zu rufen, schüttelte ich den Kopf. „Mir geht es gut“, stellte ich jetzt etwas überzeugter dar. „Aber guck ihn dir doch mal an. Der spielt eindeutig in einer anderen Liga als ich.“

„Komm mal runter“, forderte Linda mich auf. „Es ist doch noch gar nichts passiert.“

„Das wird es auch bestimmt nicht“, zischte ich. „Was soll denn so einer wie er mit mir anfangen? Er ist viel älter als ich, viel sexier und bestimmt auch viel erfahrener.“

„Na und? Auf alten Besen lernt man fliegen“, erwiderte meine Sitznachbarin. „Mach dir nicht so einen Kopf. Straff die Schultern und sei selbstbewusst! Du bist doch sonst nicht so zurückhaltend.“

„Aber …“

„Nichts aber! Reiß dich mal zusammen, du Lappen!“, nach ihrer strengen Ansage, brach sie in schallendes Gelächter aus.

Obwohl sie sich damit ein bisschen über mich lustig machte, stimmte ich mit ein. Linda war zwar eigentlich seit jeher Melissas beste Freundin, aber seitdem wir zusammenwohnten, war sie mir sehr ans Herz gewachsen. Sie schaffte es mit ihrer verrückten Art immer wieder, mir Mut zu machen oder mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Je nachdem, was gerade nötig war.

„Was gibt es denn da zu lachen?“, wandte sich nun Melissa an uns.

Linda ergriff als erste das Wort: „Ach, Lexi bekommt Lampenfieber, weil …“

Schnell hielt ich ihr die Hand vor den Mund. „Halt die Klappe“, fuhr ich sie an.

Melissa sollte nicht unbedingt erfahren, was ich mir vorgenommen hatte. Zwar glaubte ich nicht, dass mich meine Cousine für die One-Night-Stand-Pläne verurteilen würde, aber herausfordern wollte ich es trotzdem nicht. Am besten war es, wenn sie sich allein auf ihre Hochzeit konzentrierte.

„Will ich überhaupt wissen, was ihr beide schon wieder ausheckt?“, fragte Melissa skeptisch nach.

„Nein, willst du nicht“, sagte ich bestimmt und entfernte meine Hand von Lindas Mund. Zum Glück schüttelte auch sie den Kopf.

„Ach kommt schon“, jammerte meine Cousine. „Ich will auch etwas zu lachen haben. Ihr und eure Scherze fehlt mir!“ Dabei zog sie einen Schmollmund und guckte gespielt traurig.

„Das nächste Mal, okay?“, zeigte ich mich versöhnlich.

„Offensichtlich kann ich euch ja eh nicht umstimmen“, grummelte sie. „Achso, was ich eben noch sagen wollte: Ich habe zwar nicht verstanden, worum es ging, aber versucht bitte, Englisch zu sprechen. Deutsch zu reden ist ganz schön unhöflich, da es keiner, außer euch, versteht.“

Linda schaute zerknirscht. „Wenn es sein muss.“

Im Gegensatz zu Linda hatte ich keine Probleme mit der englischen Sprache. Als Melissa vor einigen Jahren aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt war, hatte ich sie darum gebeten mit mir nur noch Englisch zu sprechen. In erster Linie wollte ich so meine Schulnoten verbessern, was auch hervorragend geklappt hatte. Dank ihrer Hilfe fiel es mir leicht, ein Gespräch zu führen, das weit über Smalltalk hinausging.

Melissa drehte sich um und stand auf, um die Gäste zu begrüßen. Linda und ich waren die nächsten, zu denen sie kommen würden, also folgten wir Melissas Beispiel.

„Fake it till you make it“, flüsterte meine Mitbewohnerin mir zu. „Du suchst hier nicht deinen zukünftigen Ehemann oder Vater deiner Kinder, sondern nur ne unverbindliche Nummer. Das ist wie Tinder! Dieses Kleinmädchengehabe macht ihn bestimmt nicht an. Sei selbstbewusst und wenn du es nur spielst!“

Bevor ich ihr antworten konnten, standen schon Gavin, Shawna und die kleine Vicky vor uns, inzwischen auf dem Arm ihrer Mama. Zur Begrüßung gab es jeweils Küsschen rechts und links auf die Wangen. Während Shawna und ich uns vorstellten, streckte Vicky ihre kleinen Ärmchen nach mir aus, als wolle sie unbedingt zu mir. Shawna drehte sich ein bisschen zur Seite, um die Kleine aus meiner Reichweite zu bringen.

„Sorry“, entschuldigte sie das Verhalten ihres Kindes augenblicklich. „Normalerweise ist sie nicht so. Eigentlich fremdelt sie eher.“

„Das ist kein Problem für mich“, erwiderte ich mit einem Lächeln. „Vor allem, weil die kleine Maus so süß ist.“

Vicky hatte die gleichen blaugrauen Augen wie Gavin und Travis, aber ihre Haare waren pechschwarz wie die ihrer Mutter.

„Hätte ja sein können, dass es dich stört“, erklärte Shawna ihr Verhalten. „Man weiß nie, wie Leute auf Kinder reagieren.“

„Ich verdiene seit Jahren mein Geld mit Babysitten. Es wäre ganz schlecht, wenn ich Kinder nicht mögen würde“, erläuterte ich und sah, wie jetzt auch Shawna zu lächeln begann.

„Gut zu wissen!“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und zog den Stuhl neben meinem heraus.

Als ich mich umdrehte, blickte ich geradewegs auf eine breite Männerbrust, die in einem blauen Hemd steckte. Ich hob den Kopf und sah direkt in die stechendblauen Augen von Elijah.

„Und wen haben wir hier?“, begrüßte er mich. „Melissa hat mir gar nicht erzählt, dass sie eine kleine Schwester hat.“

„Ich bin ihre Cousine. Alexa, hi“, stellte ich mich vor.

„Alexa also?“, hakte er nach und begann blöd zu grinsen. Innerlich ahnte ich schon, was nun folgen würde und natürlich tat es das auch prompt. „Alexa, wie wird das Wetter heute?“

Und noch so ein Idiot, der sich über meinen Namen lustig machte. Übertrieben auffällig verdrehte ich meine Augen, bevor ich mit blecherner Stimme antwortete: „Ach, auf einmal bin ich gut genug? Frag doch Siri, die blöde Schlampe, mit der du immer abhängst.“

Elijah lachte laut und wandte sich direkt Linda zu. Ich sah ihm hinterher und schüttelte den Kopf. „Und das von einem Typen, der so heißt wie der ewig heulende Frodo“, murmelte ich vor mich hin.

„Den muss ich mir merken“, ertönte auf einmal eine tiefe, samtweiche Stimme neben mir. „Hi, ich bin Luke.“ Mein persönlicher Adonis streckte mir seine Hand entgegen und grinste mich an, wobei er eine Reihe strahlendweißer Zähne entblößte, die einen deutlichen Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildeten.

Jetzt oder nie! Fake it till you make it!

„Lexi“, erwiderte ich mit fester Stimme. Anstatt seine Hand zu ergreifen, entschied ich mich dazu, ihn zu umarmen und ihn auf beiden Wangen zu küssen. Für den Bruchteil einer Sekunde versteifte er sich, ehe er meine Begrüßung auf gleiche Weise erwiderte.

Dort wo seine Lippen meine Haut berührten, lösten sie ein Prickeln aus, das sich über meinen gesamten Körper ausbreitete.

Ich entfernte mich ein Stück von ihm und schaute in sein Gesicht, weil ich wissen wollte, ob er dieses Prickeln auch gespürt hatte.