Inhaltsangabe
Frank Hallenberger
Ein Vierteljahrhundert Kriseninterventionsteam in der Polizei Rheinland-Pfalz (KIT-Pol)
Birger Antholz
Mittlerer oder gehobener Dienst? Bezüge im Vergleich
Christina John
Next Generation Prüm – Aktuelle Entwicklungen im polizeilichen Informationsaustausch
Stephanos Anastasiadis, Jonas Grutzpalk, Jens Bergmann
Wachsende Komplexität und neue Herausforderungen als Aufgaben der polizeilichen Bildung. Ergebnisse einer explorativen Studie in Niedersachsen und NRW
Christian Herrmann
Die Rolle von transnationalen kriminellen Organisationen im Katastrophenfall am Beispiel der COVID-19-Pandemie
Impressum
Content
Frank Hallenberger
A quarter century Crisis Intervention Team in the Police of Rhineland-Palatinate (KIT-Pol)
Birger Antholz
Middle service or upper service? Salaries in comparison
Christina John
Next Generation Prüm – New Developments in the Exchange of Information between European Law Enforcement Officials
Stephanos Anastasiadis, Jonas Grutzpalk, Jens Bergmann
Growing complexity and new challenges as tasks of police education. Results of an Explorative Study in Lower Saxony and NRW
Christian Herrmann
A Gangster’s Paradise? Transnational Organised Crime in the COVID-19 Pandemic
Impressen
Anfang der 1990er Jahre schwappte eine Idee aus dem angloamerikanischen Raum nach Europa, Deutschland und auch Rheinland-Pfalz: Polizist*innen sind menschenähnlich. Ohne Ironie: Der Gedanke, dass Polizist*innen aufgrund der Ausübung ihres Berufes belastet werden können, war seinerzeit nicht weit verbreitet – und über diese Belastungen wurde innerhalb der Polizei wenig und außerhalb so gut wie gar nicht gesprochen. Man kann sagen, dies war ein Tabuthema1. Zumindest eine sehr große Anzahl von Polizisten (Polizistinnen waren im Einsatzwesen noch die Ausnahme) hat nicht einmal der Partnerin (Partner gab es öffentlich nicht) von dem im Dienst Erlebten erzählt. Ein noch heute nicht unüblicher Gedanke war, dass man mit seiner Uniformjacke die Probleme des Dienstgeschäfts ablegt und dass Frauen zu empfindlich seien, die Erzählungen zu verkraften. Auf die Schwächen in dieser Logik soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Zusammenfassung
Dieser Artikel soll einen Überblick zur Entwicklung der psychologischen Krisenintervention in der Polizei Rheinland-Pfalz von den Anfängen in der Mitte der 1990er Jahre bis heute bieten. Diese Entwicklungen führten über teilweise mühevolle Wege, bis zum heute weitgehend etablierten KIT-Pol. In aller Kürze werden die Meilensteine dieses Weges mit ihren Problemen und deren Lösungen aufgezeigt. Heute stellt das KIT-Pol eine Organisationeinheit dar, die es nicht nur nach einer krisenhaften Situation zu alarmieren gilt, sondern lageabhängig schon bei den Planungen einer BAO oder bei Zeitlagen eingebunden wird. Über den Ist-Stand hinaus werden die möglichen Verbesserungen bzw. Weiterentwicklungen aufgezeigt: Diese sind zum einen KIT-interner Natur (Einhaltung des Phasenmodells, Durchführung von Evaluationen, Qualitätssicherung durch Fortbildungen) und zum anderen die Schnittstellen des KIT-Pol mit anderen Einheiten (Wissen zum KIT).
Krisenintervention, Kriseninterventionsteam, Trauma, Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV).
Abstract
This article is inteded to provide an overview of the development of psychological crisis intervention in the Rhineland-Palatinate police force from its beginnings in the 1990s to the present day. These developments sometimes led through ardous paths to the KIT-Pol, which is largely established today. The milestones of these paths with their solutions are shown veiy briefly. Today, the KIT-Pol is an organizational unit that not only needs to be alerted after a crisis situation, but is also involved in the planning of a BAO or in time slots, depending on the situation. In addition to the current status, the possible improvements or further developments are shown: these are on the one hand a KIT-intemal nature (adherence to the phase mode, implemenation of evaluations, quality assurance through advance training) and on the other hand the interfaces of the KIT-Pol with other units (knowledge to KIT).
Crisis intervention, Crisis Intervention Team, Trauma, Psychosocial Emergency Care.
Es waren einzelne Personen mit psychosozialem Studium und der ein oder andere Polizeibeamte, die die Not der Polizist*innen erkannten, ernstnahmen und anfingen, zu handeln. In Rheinland-Pfalz waren dies ab 1994 in erster Linie ein Polizeiseelsorger und ein Polizeipsychologe. Zu dieser Zeit wurde in Rheinland-Pfalz auch bereits an einem Sozialberatungssystem gearbeitet, bei dem thematisch jedoch zunächst alkoholbedingte, finanzielle und private Schwierigkeiten im Vordergrund standen. Da es sich bei den Aktivitäten der beiden Pioniere um einzelne Einsätze mit hohem eigenem Engagement handelte, können diese Hilfen nicht als der Start des KIT-Pol angesehen werden. Im Folgenden soll u. a. verdeutlicht werden, dass der Beginn des KIT-Pol nicht so einfach festzusetzen ist. Aus diesem Grund steht im Titel „Vierteljahrhundert“, das ist etwas unverbindlicher als „25 Jahre“. Bei Letzterem würde ein Datum erwartet werden.
Es muss der Herbst des Jahres 1996 gewesen sein, als an der Landespolizeischule (LPS) eine Klausurtagung stattfand, zu der der Verfasser dieses Artikels eher zufällig stieß. Weitere Teilnehmende waren Polizeiseelsorger2 und die nun eingestellten Sozialberater*innen. Referenten waren Seelsorger, die in oder für die Polizei arbeiteten und als erste Experten für Krisenintervention galten.
In der Folge gab es mehrere Treffen pro Jahr, die vom Verfasser initiiert und moderiert wurden. Die Protokollführer wechselten und einer überschrieb das Protokoll mit AG „RABBE“ – „Arbeitsgemeinschaft Reaktionen auf besonders belastende Ereignisse“. So entstand eine Bezeichnung, die einige Jahre Verwendung fand.
Somit könnte die Geburt des KIT-Pol auf das Jahr 1996 zurückgeführt werden. Die erste Dokumentation an das Innenministerium erfolgte im Dezember 1997. Ausgehend von dieser Dokumentation nahm der Prozess der psychologischen Krisenintervention für die rheinland-pfälzische Polizei Fahrt auf. Somit könnte 1997 als Geburtsjahr gelten3. Kurz darauf erfolgte vom Verfasser eine Stellungnahme an das Innenministerium. In dieser wurden folgende Eckpunkte formuliert:
•Mitarbeitende eines Kriseninterventionsteams könnten Polizeibeamt*innen, Polizeiseelsorger*innen, Sozialbetreuer*innen (heute Sozialberater*innen) und Sozialwissenschaftler*innen der Polizei sein.
•Die Zahl der Mitarbeitenden sollte mindestens 26 Personen umfassen und zur Hälfte aus psychosozialen Fachkräften4 bestehen. Da in Teams von mindestens zwei Personen gearbeitet werden sollte, bedeutete dies vier Wochen Rufbereitschaft pro Person im Jahr.
•Für die Qualifizierung wurden drei Gruppen definiert: Qualifikation A (Grundqualifizierung) mit 12 Tagen: Psychologisches Grundwissen, Grundwissen Traumatologie, Rechtliches Grundwissen, Selbsterfahrung und Psychohygiene, Gesprächsführung und Kommunikation, Rhetorik und Umgang mit Pressevertretern, Organisationskenntnisse zu Polizei und anderen Einsatzdiensten, Sinn, Moral und Schuldbewältigung. Qualifikation B: Diese diente dazu, Leiter*innen für die Nachbereitungsgruppen zu gewinnen. Hierzu sollten psychosoziale Fachkräfte ihre Kompetenzen hinsichtlich Gruppenleitung und Moderation fortschreiben. Qualifikation C: Voraussetzung hierfür war, dass psychosoziale Fachkräfte sich ständig fortbilden (Psychotraumatologie, Krisenintervention, Gruppenarbeit, Therapie u. a. m.).
•Als organisatorische Anbindung wurde die LPS vorgeschlagen.
Ende 1998 wurde die erste Konzeption einer Krisenintervention für die Polizei Rheinland-Pfalz vorgelegt. Somit könnte das Geburtsjahr der psychologischen Krisenintervention auch auf das Jahr 1998 gelegt werden. Als Bereiche der Krisenintervention wurden die Kriterien aus dem ICD-10 (APA, 1994) und dem DSM IV (WHO, 1994) herangezogen. Hinsichtlich der polizeilichen Ereignisse wurden drei Fallgruppen definiert:
ASelten auftretende Extremsituationen, z. B. schwerwiegende Verletzung oder Tötung einer anderen Person (Post Shooting Trauma) oder Einsatz bei Katastrophen mit vielen Toten und Verletzten (Flugzeug-, Busunglücke, Naturkatastrophen).
BBesonders belastende Ereignisse. Hier fließt die Personenkomponente stärker ein als bei A. Wichtiges Entscheidungskriterium ist das Empfinden der Beteiligten oder das Erkennen der Problematik durch die Vorgesetzten, wie beispielsweise Involviertheit in gewaltbesetzte Situationen (Amoklauf, Unfall bei Verfolgungsfahrt) oder Familientragödien (teilweise auch A, Verwesung, viele Tote, Kinder), aber auch besonders schwere Verkehrsunfälle mit Todesfolge (Kinder, eingeklemmt Sterbende).
CSummierte oder schwere Belastungen. Unterschiedliche berufsbedingte, schwere Belastungen der Vergangenheit, wie z. B. Situationen A und B, Überbringen von Todesnachrichten, Todesermittlungen, Bearbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs.
Aufgrund dieser situativen Merkmale wurden Betreuungsmaßnahmen abgeleitet:
Kategorie A (selten auftretende Extremsituationen):
Hierbei handelt es sich um eine „Sofortlage“, zu der mindestens zwei Personen des Kriseninterventionsteams für eine psychosoziale Betreuung beordert werden. Bereitstellung von Gesprächsangeboten/Debriefings nach 24 bis 72 Stunden mit zusätzlichen Hinweisen auf Seminare und gegebenenfalls Weitervermittlung an Selbsthilfegruppen und therapeutische Fachkräfte.
Kategorie B (besonders belastende Ereignisse):
Hier erscheint eine sofortige Krisenintervention nicht notwendig. In der Regel sind Hilfsmaßnahmen für Betroffene nach einer Ruhezeit von 24 bis 72 Stunden angezeigt. Wird die Notwendigkeit erkannt, ist das Angebot für alle Beteiligten verpflichtend.
Kategorie C
Bei einer Einstufung in diese Kategorie erfolgt eine Aufarbeitung von unterschiedlichen schweren Belastungen aus der Vergangenheit mittels bestehender Seminare sowie Selbsthilfegruppen der LPS und der Polizeiseelsorge.
Man kann erkennen, dass eine Struktur formuliert werden sollte, die den Polizeibediensteten vor Ort sowie deren Führungskräften Anhaltspunkte geben soll, wann das KIT-Pol zu alarmieren ist. So sollte nicht nur verhindert werden, dass Betreuungen nach besonders schwerwiegenden Einsätzen übersehen werden, sondern auch, dass eine Abgrenzung nach unten, zu „nicht so schweren Ereignissen“5, erfolgt. Die Polizeibeamt*innen und die Mitglieder des KIT-Pol sollten eine Vorstellung bekommen, in welchen Fällen eine Betreuung nicht sofort stattfinden muss.
Bei den Bezeichnungen (z. B. Debriefing) fällt auf, dass sich an dem Konzept von Mitchell und Everly (1993) orientiert wurde, auch das änderte sich im Laufe der Zeit mit der Anlehnung an Hallenberger (2003; 2006). Die Bezeichnung „Selbsthilfegruppe“ steht für die bundesweiten Treffen von Polizeikolleg*innen mit Schusswaffeneinsatz6 (Röhr, 2021). Bei der sogenannten Post-Shooting-Gruppe in Rheinland-Pfalz handelt es sich nicht um eine Selbsthilfegruppe, diese wird von dem Autor und einer Polizeiseelsorgerin oder einem Polizeiseelsorger geleitet (vgl. Hallenberger & von Ehr, 2002; Hallenberger, 2013).
Hinsichtlich der Qualitätssicherung wurden folgende Maßnahmen festgehalten:
•Aus- und Fortbildung
•Supervision
•Tagungen (auch länderübergreifend)
•Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer
•Fortschreibung der Konzeption
In einer Sitzung im September 1998 erklärten sich Interessierte bereit, an einem Kriseninterventionsteam mit Rufbereitschaft teilzunehmen. Als Voraussetzungen wurden eine Ausbildung für diese Tätigkeit und eine zeitliche Überschaubarkeit der Rufbereitschaften genannt. Teilweise wurde eine regionale Begrenzung des Einsatzbereichs gefordert. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Bereitschaftsleistenden versuchen sollten, ein Team zusammenzustellen, das aus der Nähe des Einsatzgebietes kommt. Wenn dies nicht funktionierte, müssten allerdings die Bereitschaftsleistenden in den Einsatz. Dies war letztlich regelmäßig der Fall und hatte weite Anfahrten zur Folge. Die Anwesenden gingen davon aus, dass mit diesen zwölf Personen der Start einer Krisenintervention für A-Maßnahmen nach einer auf die Vorkenntnisse abgestimmten Erstausbildung möglich war. Für ein voll funktionsfähiges Kriseninterventionsteam müsste der Personenkreis jedoch erhöht werden.
Anhand dieser Konzeption wurde eine offizielle Mitteilung des Innenministeriums formuliert und 1999 in die Behörden geleitet. 1999 könnte deshalb ebenso als das Entstehungsjahr des KIT-Pol gelten.
In der Mitteilung von 1999 hieß es zunächst, dass eine landesweite Rufbereitschaft nicht eingerichtet werden könne, stattdessen soll eine regionale, behördenbezogene Verfügbarkeit einer Krisenintervention realisiert werden.
Die allgemeine Beschreibung wurde im Verlauf der folgenden Jahre nur wenig verändert:
„Das Kriseninterventionsteam der Polizei Rheinland-Pfalz (KIT-Pol) soll ein Hilfsangebot der Polizei in Zusammenarbeit mit der Polizeiseelsorge sein, das ausschließlich Polizeibediensteten bei der Bewältigung besonders belastender Einsätze in einem engen polizeispezifischen Bereich (sog. A-Maßnahmen) unterstützt.“ Für diese Ereignisse sei eine möglichst unmittelbare Betreuung erforderlich.
Auch die beispielhaft aufgeführten Situationen blieben bis heute erhalten:
•Schwerwiegende Verletzung oder Tötung eines Menschen ohne oder mit Schusswaffe durch eine Polizeibeamtin/einen Polizeibeamten,
•Situationen mit extrem hohem Gewaltpotenzial (massive gewalttätige Ausschreitungen bei Fußballspielen, extrem gewalttätige Demonstrationen),
•Polizeibedienstete als Opfer schwerer Gewaltkriminalität (Geiselnahme, Entführung),
•Suizid(-versuch) von Polizeibediensteten.
Dabei soll eine Verpflichtung des (Dienst-)Vorgesetzten zur Alarmierung des KIT-Pol über die Führungszentrale (FZ) des zuständigen Polizeipräsidiums (PP) vorgegeben werden. Die FZ sollte wiederum ein Teammitglied nach dem Zufallsprinzip anhand einer je nach PP variierenden Namensliste alarmieren. Dieses Teammitglied fordert einen oder mehrere Teampartner selbständig an. Hinsichtlich der Anbindung im Einsatz hieß es, dass das KIT-Pol unmittelbar an die Polizeiführung angebunden sowie grundsätzlich mit mindestens zwei Personen vor Ort einsatzbereit sein soll. Sehr wichtig war die Formulierung: „Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des KIT-Pol ist der unmittelbare Zugang zu den Betroffenen zu gewähren.“ Bis Anfang der 2000er Jahre gab es einen inoffiziellen Wettlauf zwischen den ermittelnden Polizeibeamt*innen und den Betreuer*innen. Wenn nach einem Schusswaffengebrauch die Ermittler zuerst vor Ort waren, wurden die Betroffenen häufig durch diese vereinnahmt.
Weiterhin sollten die alarmierten Teammitglieder die Nachbetreuung der betroffenen Polizeibediensteten entweder selbst übernehmen oder an die örtlich zuständige Sozialberatung oder an die Polizeiseelsorge übergeben.
Das Jahr 2000 war geprägt von Treffen, die sich mit der Integration der Sozialberater*innen befassten. Die zwei wesentlichen Aspekte hierbei waren eine Erhöhung der Anzahl der Mitglieder des KIT-Pol sowie die Forderung, dass eine Ausbildung für KIT-Pol-Mitglieder erfolgen müsse. Weiterhin wurde die Einbeziehung von SAP7 diskutiert. Eine Ausbildungsreihe wurde bereits im Jahr 2000 begonnen. Unter der Leitung des Autors wurden folgende Seminare durchgeführt:
•Psychotraumatologie
•SBE-Grundausbildung
•Recht und Vorgehensweisen in anderen Bundesländern
Trotz der Kritik an der Methode von Mitchell und Everly (1993), die in Deutschland von SBE e.V.8 verwendet wird (vgl. Hallenberger, 2006), wurde mehrfach ein Referent dieser Vereinigung eingeladen und mit ihm die Aus- und Fortbildungsinhalte modifiziert.
Im Protokoll zu einer Arbeitssitzung zwischen den potenziellen Mitgliedern eines Kriseninterventionsteams und Vertretern des Innenministeriums findet sich ein wesentlicher Meilenstein, nämlich, dass eine Externalisierung der Krisenintervention (außerpolizeiliche Gruppierungen) nicht infrage kommt. Die einleuchtenden Einwände gegen eine Externalisierung waren: geringe formelle und informelle Kenntnisse hinsichtlich der Polizeiorganisation, kein Einfluss auf die Qualität der Ausbildung, geringe Akzeptanz.
Weiterhin heißt es im Protokoll: „Das KIT-Pol geht ab dem 01.11.2000 in den Einsatz.“ Ein weiterer möglicher Geburtstag.
Nach diesem Prozess erging ein erneutes Rundschreiben des Innenministeriums Anfang 2001. Im Begleitschreiben wurde zum ersten Mal offiziell von der Implementierung der Krisenintervention für die Polizei Rheinland-Pfalz gesprochen. Somit könnten die Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des KIT-Pol noch bis 2026 warten.
In diesem Begleitschreiben wurde ein weiterer Eckpfeiler des KIT-Pol gesetzt, dem Einsatz von Peers (heute auch „Krisenhelfer“) wurde offiziell zugestimmt. Dies war nicht nur eine Frage der Zustimmung seitens des Innenministeriums, auch innerhalb des KIT-Pol wurde mehrfach engagiert diskutiert, ob Peers hinzugezogen werden sollten. Dem mussten noch die Behördenleiter zustimmen; ein Prozess, der sich weit in das Jahr zog.
Was es jedoch nicht gab, war eine Rufbereitschaft. Im Ereignisfall sollte anhand von Listen, die bei den FZen hinterlegt wurden, versucht werden, KIT-Pol-Mitglieder für die Betreuung zu bekommen. Auf diesen Listen waren ausschließlich psychosoziale Fachkräfte verzeichnet, womit sich die Anzahl der potenziell erreichbaren Personen sehr in Grenzen hielt. Pro PP gab es fünf bis sieben Nennungen, wobei einige KIT-Pol-Mitglieder bei mehreren PPen aufgeführt waren. Diese Namen wurden von oben nach unten abtelefoniert, bis jemand für den Einsatz gewonnen wurde – oder auch mit dem Ergebnis, dass niemand erreichbar war. Eine unbefriedigende Situation. Einige KIT-Pol-Mitglieder waren fast immer bereit, loszufahren, andere weniger. Schnell wurde zudem klar, dass eine Reduzierung der Einsätze auf die sogenannten A-Maßnahmen nicht funktioniert, vor allem weil die Ereignisse der Kategorie B aufgrund der individuellen Reaktionen die Qualität derer aus A haben konnten und weil aufgrund von Ereignissen der Kategorie A häufig B-Maßnahmen nötig wurden.
Aufgrund der teilweise recht emotionalen Diskussionen der letzten Jahre wurde 2001 ein gruppendynamisches Seminar durchgeführt, das dem Zusammenhalt des KIT-Pol sehr dienlich war.
In der Folge gab es mehrere Fortbildungen pro Jahr und zum Ende eines jeden Jahres einen Organisationstag mit Rückblick und Planungen für das kommende Jahr. Ein wesentlicher großer Punkt hierbei waren die Einsätze nach Schusswaffengebrauch. Mit der Post Shooting Gruppe (Hallenberger & von Ehr, 2002; Hallenberger, 2013) wurde schon in den 1990er Jahren eine Ideensammlung für Vorgesetzte formuliert: „Schusswaffengebrauch durch und gegen Polizeibeamte – Was ist zu tun?“ An dieser Ideensammlung orientierte sich die Krisenintervention, insbesondere was die Beratung der Vorgesetzten anging. Als offizielle Handreichung gingen diese Ideen jedoch nie ans Netz, da es juristische Einwände zu einigen Punkten seitens des Innenministeriums gab. Strittig waren die Punkte, wann eine Befragung durchgeführt werden soll bzw. durchgeführt werden kann, sowie die Frage nach dem Status der am Ereignis Beteiligten. Beides Fragen, die bis heute nicht 100%-ig abschließend geklärt sind. Seit Jahren erhalten die Schützen in Rheinland-Pfalz den Beschuldigtenstatus und die Betreuung funktioniert gut, in Absprache mit den ermittelnden Beamten. Den Schutz durch den Beschuldigtenstatus haben jedoch die – neben den Schützen – beteiligten Beamten nicht. Aus psychologischer Sicht ist das sehr unbefriedigend, da diese Mitbeteiligten in aller Regel mindestens so betroffen sind wie die, die geschossen haben.
Irritationen erzeugten Presseberichte, die universitäre Wissenschaftler zitierten, wonach Krisenintervention im besten Fall nicht schaden würde. Das ist natürlich in dieser Konsequenz nicht richtig. Die bis heute andauernde, teilweise unsauber geführte Debatte (vgl. Hallenberger, 2006) richtet sich überwiegend auf Einzelverfahren, insbesondere das sog. Debriefing nach Mitchel und Everly (1993) bzw. Everly und Mitchell (2002). Zur wissenschaftlichen Betrachtung bietet sich Hallenberger (2006) an.
Bis die Arbeit des KIT-Pol etabliert war, galt es noch einen langen Weg zu bestreiten. Immer wieder lehnten Vorgesetzte eine Betreuung ab oder fragten die Betroffenen, ob sie denn eine Betreuung bräuchten. Selbstredend wurde dies verneint. So mussten viele Gespräche geführt und Stellungnahmen geschrieben werden, um diese Problematik zu verdeutlichen. Außerdem musste erläutert werden, dass das KIT-Pol nicht nur für die Betroffenen im engeren Sinne da ist, sondern auch für Menschen, die nicht direkt beteiligt waren, wie z. B. Beamte der FZ, Kolleg*innen der Schicht und auch für die Vorgesetzten. Die Mitglieder des KIT-Pol wirken in aller Regel deutlich häufiger im Rahmen von Ausnahmesituationen mit als die Dienstvorgesetzten und können deshalb die Vorgesetzten gut beratend unterstützen. Im Jahr 2003 wurde die Abgrenzung/Zusammenarbeit mit der Verhandlungsgruppe (VG) konkretisiert. Priorität hat die Polizeiarbeit der VG, bei der jedoch schon eine Einbindung des KIT-Pol erfolgen soll. Hierdurch soll gesichert werden, dass die spätere Betreuung durch das KIT-Pol nahtlos weiterlaufen kann. Bis heute kam es zu keinen derartigen Einsätzen. Da das KIT-Pol nur für Polizeibedienstete zuständig ist, müssten Polizeibeamt*innen Opfer beispielsweise einer Geiselnahme oder Erpressung werden9, sodass diese Überschneidung in der Tätigkeit zum Tragen käme. Zum besseren Informationsaustausch wurde verabredet, dass ein Verbindungsbeamter der VG regelmäßig an den Veranstaltungen des KIT-Pol teilnehmen soll. Dieses Vorgehen wurde in knapp 20 Jahren nicht stabil.
Die Fortbildungen des KIT-Pol beinhalteten sinnvollerweise sehr häufig Situationstrainings und Wissen zu Psychotraumatologie. In diesem Zusammenhang wurde das Thema „Qualitätssicherung“ immer wieder in den Fortbildungen diskutiert: Wie viele Fortbildungstage sollen verpflichtend sein, um das Wissen und den Gruppenzusammenhalt zu verbessern und wie kann Psychohygiene/ Supervision gewährleistet werden? Hinsichtlich der Psychohygiene wurden sodann Veranstaltungen mit finanzieller Selbstbeteiligung der Teilnehmer durchgeführt. Weitere Fragen waren: Welche Aufnahmebedingungen sollen erfüllt sein, welche Ausschlussregelungen soll es geben? Da es zu diesen Fragen keine offiziellen Maßgaben des Innenministeriums gab, blieb es zunächst bei den internen Beratungen. Es entstand jedoch Handlungsdruck. Ab 2004 wurden die Einsätze des KIT-Pol an das Innenministerium gemeldet.
Anlässlich des Besuchs von George W. Bush 2005 in Mainz wurde die psychosoziale Versorgung der Polizist*innen noch in die Hände der örtlichen Sozialberatung gelegt. Von einer Einbindung des Leiters der Arbeitsgruppe (von einer Leitung des KIT-Pol wurde noch nicht gesprochen) sowie erhöhten Bereitschaften für die Mitglieder des KIT-Pol wurde seinerzeit noch abgesehen. Das änderte sich bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Bei allen Spielen in Rheinland-Pfalz (Kaiserslautern) war der informelle Leiter des KIT-Pol in der Lagezentrale anwesend. Weiterhin gab es eine für diese Zeiten erweiterte Bereitschaftsliste.
Im Jahr 2006 begann der große Umbruch in der rheinlandpfälzischen Krisenintervention. Ein Qualitätszirkel sowie die Sitzungen der AG KIT-Pol führten letztlich zu einer Neuorganisation des KIT-Pol 2007, die bis heute Bestand hat.
In einem fast zwei Jahre währenden Prozess, der mit einem moderierten Qualitätszirkel am 20.02.2006 begann und mit der Inkraftsetzung eines ministeriellen Rundschreibens vom 01.12.2007 endete, wurde das KIT-Pol evaluiert und mittels Workshops und Arbeitsgruppen neu aufgestellt.
Die drei wesentlichen und notwendigsten Änderungen waren die Einführung einer 7/24 – Rufbereitschaft, ein definiertes Interventionskonzept sowie die Verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen. Die Rufbereitschaft sollte zwar grundsätzlich immer noch versuchen, örtlich näher am Betreuungsort befindliche KIT-Pol-Mitglieder zu erreichen, war aber auch selbst für den Einsatz vorgesehen. Intern wurde dies dahingehend geändert, dass die in Bereitschaft stehende Person, soweit es irgendwie möglich ist, nicht in den Einsatz fährt, sondern koordiniert und weiter als Bereitschaft fungiert.