Ein ganz harmloser Mord

Waldviertel-Krimi

Lore Macho


ISBN: 978-3-99074-193-1
1. Auflage 2021
Copyright © 2022 Verlag federfrei



Umschlagabbildung: © Sonja Macho
Lektorat: E. Zahnt



Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Protagonisten dieses Romans, ihre Namen und ihre Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen nicht beabsichtigt. Sollte Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, doch etwas bekannt vorkommen, zeigt das nur, dass Sie über mehr Fantasie verfügen als ich.

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Inhalt

 

Lore Macho

 

wurde in Wien geboren, hat eine Tochter und lebt mit ihrem Mann seit 1987 in dem kleinen Weinort Straning, nahe Eggenburg, in Niederösterreich, in der schönen Landschaft, wo Wein- und Waldviertel ineinander übergehen.

Nach dem Besuch der Handelsschule und einigen Jahren als Sekretärin tätig, absolvierte sie 1974 die Sommerakademie für Malerei in Sirmione und ist seit dieser Zeit freischaffende Malerin.

Neben dem Malen gilt ihre große Freude dem Schreiben. Bisher wurden von ihr drei Bücher zum Thema Malen veröffentlicht sowie ihre Dorfkrimis im Verlag federfrei.

Zahlreiche Autorenlesungen ergänzen ihre Tätigkeit.

 

www.artmacho.at

 

Von Lore Macho bisher erschienen:

 

Tödlicher Reichtum

Tod am Nussbaum

Tod in Acryl

Mord im Waldviertelexpress

Tod im Tröpferlbrunnen

Tödliches Tarock

Mord im Dorfwirtshaus

 

 

»Logik bringt dich von A nach B,

Vorstellungskraft bringt dich überall hin.«

Albert Einstein

 

Prolog

 

Eigentlich fing die Sache ganz harmlos an.

Der Weinort Klein Schiessling, mit gerade einmal fünfhundert Einwohnern, einer Kirche aus dem 18. Jahrhundert, in der Pfarrer Miroslav Jankovic mit seiner Köchin Liesel für das Wohl seiner Schäfchen betet, daneben das Gemeindeamt, in welchem Bürgermeister Alfons Pummerl regiert, gleich gegenüber das Dorfwirtshaus mit den Wirtsleuten Herrn und Frau Krügerl und der Dorftratschen Annerl Passer, die, seit ihr lieber Mann vor vielen Jahren verstorben ist, immer noch Schwarz trägt, liegt an der Grenze vom Weinviertel zum Waldviertel im schönen Niederösterreich.

Es war Anfang November und Annerl Passer, die Klein Schiesslinger Dorftratschen, litt wieder einmal, wie so oft, an ihren legendären Schlafstörungen. Sie ging langsam auf die Achtzig zu, und da konnte es schon hin und wieder vorkommen, dass sie der Schlaf partout nicht ins Land der Träume befördern wollte. Er hatte sich vorübergehend verabschiedet, warum auch immer. Vielleicht ging ihm der seit Tagen anhaltende Novembernebel auf den Wecker, dessen undurchdringliche Decke aus feuchtem Dunst Bauernhäuser samt Kirche unter sich begrub. Selbst die in der romantischen Kellergasse aufgefädelten Presshäuser der Klein Schiesslinger Winzer blieben von diesem dichten Nebel nicht verschont.

Deshalb lehnte sich Annerl Passer weit nach Mitternacht aus ihrem Fenster, atmete tief die feuchtkühle Nachtluft ein und stierte in die Finsternis. Obwohl von ihrem Fenster aus nichts zu sehen war als der benebelte Eingang zum Friedhof. Und der auch nur, wenn sie sich weit genug hinausbeugte und den Kopf nach rechts drehte. Streckte sie ihn nach links, konnte sie gerade einmal die Ecke des neuen Kulturhauses dunkelgrau und schemenhaft erahnen.

Als Annerl eine Weile so nichtsahnend mit müden Augen die leere Hauptstraße betrachtete, fiel ihr plötzlich doch etwas auf, das normalerweise nicht da hingehörte. Zumindest nicht mitten in der Nacht.

Der Schatten einer Gestalt schlich die dunkle Straße entlang, auf den Friedhof zu und beim schmiedeeisernen Tor hinein, welches leise in den Angeln quietschte.

Nun wurde Annerl putzmunter.

Ihr magerer Körper spannte sich, sie stellte sich auf die Zehenspitzen, fixierte die Stelle, an der sie das Friedhofstor erahnte, und wartete gespannt, was weiter geschah. Schon merkwürdig, überlegte sie und ließ dabei den Friedhofseingang keine Sekunde aus den Augen, was macht jemand um diese Uhrzeit auf dem Klein Schiesslinger Gottesacker? Kopfschüttelnd verharrte ihr Blick Richtung Friedhof, und es dauerte auch nicht lange, da kam dieselbe schemenhafte, menschliche Gestalt wieder zum Vorschein, erreichte Annerls Haus, schlich, einen Mief nach billigem Rasierwasser hinter sich her ziehend, unter ihrem Fenster vorbei und verschwand gleich darauf im dichten Nebel.

Rasch zog Annerl ihren Kopf zurück und schloss verwundert das Fenster. Verwundert nicht nur über diese merkwürdige Begegnung, sondern auch deshalb, weil das Friedhofstor offensichtlich nicht verschlossen war, wo doch der Hiasl, der Gemeindearbeiter, schon seit Jahren jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit das Tor gewissenhaft absperrte, damit seine Toten nicht in ihrer ewigen Ruhe gestört wurden.

Ordnung musste schließlich sein!

Annerl schüttelte verständnislos den Kopf.

Da ihr jedoch im Nachthemd kalt geworden war, marschierte sie zurück ins Schlafzimmer, legte sich in das in der Zwischenzeit ausgekühlte Bett und versuchte, Schlaf zu finden. Sie drehte sich ein paar Mal von einer Seite auf die andere und wieder zurück, bis sie endlich von der Müdigkeit übermannt einschlief und gleichmäßig vor sich hin sägte.

Und dann träumte sie vom alten Opa Blauburger.

Das ist jetzt genau zwei Wochen her.

 

Kapitel 1

 

Annerl Passer, von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, was ihre hagere Gestalt noch mehr betont, und ihre Freundin Berta Pitzer, ein bisserl weniger in Schwarz gehüllt, meist als Klein Schiesslinger Dorftratschen Nummer zwei bezeichnet, sind schwer damit beschäftigt, Bürgermeister Alfons Pummerls Geburtstagsfeier zu planen.

Dieser wird in wenigen Tagen fünfundsechzig. Er hat noch kein Deka an Gewicht verloren, wenn er redet oder lacht, schwabbeln seine Hängebäckchen wie Vanillepudding und seine Knollennase, welche vom guten Wein und Bier im Laufe der Jahre eine dunkelrote Farbe angenommen hat, ist zu seinem Markenzeichen geworden. Denn mit diesem Riechkolben kann kein Dörfler im Ort so richtig mithalten. Schuld daran sind die am Stammtisch konsumierten Krügerl Bier oder alternativ Vierterln vom Grünen Veltliner der einheimischen Winzer. Die Weine in den Rieden um den Ort Klein Schiessling sind für ihre hervorragende Qualität bekannt und sehr beliebt. Die Winzer des Ortes sind deshalb angesehen und deren Weine bei ihren Stammkunden gefragt.

Und weil Bürgermeister Alfons Pummerl in ein paar Tagen fünfundsechzig wird, steht ihm eine große Feier durchaus zu. Das ist nicht nur Annerl Passers Meinung.

Im Trubel dieser Vorbereitungsarbeiten für das Fest der Feste gerät ihre nächtliche Beobachtung logischerweise in Vergessenheit.

 

»Hallo Sandra!«, plärrt sie eines Morgens um halb acht durchs Telefon. »Willst uns nicht bei der Geburtstagsfeier für den Pummerl helfen kommen? Die Berta und ich schaffen’s nicht allein.«

Energisch stelle ich mein Kaffeehäferl ab.

Ja, hat sie die noch alle? Ich soll mithelfen, für den Bürgermeister eine Geburtstagsfeier zu organisieren? Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Gerade für den Bürgermeister, auf den ich ohnehin nicht gut zu sprechen bin, seit er uns bei der Abstimmung, als es darum ging, dem Steinbruchbesitzer Giselbert Knaller mehrere Hektar unseres Gemeindewaldes abzutreten, um alles in die Luft sprengen zu können, schändlich über den Tisch gezogen hat. An dieser Abstimmung beteiligte er nicht nur uns Klein Schiesslinger, sondern auch die übrigen Bewohner der gesamten Großgemeinde. Diese stimmten für die Verpachtung des Waldes, wussten sie doch überhaupt nicht, worum es eigentlich ging, weil die vorangehenden Informationen mehr als dürftig waren. Damit erzielte er ein positives Ergebnis und wir unmittelbar von den Auswirkungen der Sprengungen Betroffenen blieben auf der Strecke. Und unser schöner Gemeindewald ebenso!

»Nein, Annerl! Für jeden anderen in der Gemeinde würde ich euch helfen, aber nicht für den Pummerl!«

»Was sagt die Sandra?«, höre ich im Hintergrund Berta brammeln.

»Sie hilft uns nicht!«

Gleich darauf ist Berta am Draht.

»Was hast denn gegen uns, Sandra? Wir haben dir doch nichts getan. Warum willst uns denn nicht helfen?«

Ich trete von einem Bein auf das andere. »Gegen euch hab ich überhaupt nichts, Berta! Aber auf den Pummerl bin ich noch immer stinksauer. Hast du schon vergessen, wie er uns damals bei der Steinbruchgeschichte hintergangen hat?«

Eine Weile herrscht Stille im Draht, dann vernehme ich ein Gemauschel, bis Berta wieder dran ist.

»Hast recht, Sandra! Daran hab ich gar nimmer denkt. Ich mach auch nicht mehr mit. Wenn die Annerl will, soll sie doch allein mit dieser depperten Geburtstagsfeier herumwurschteln.«

Augenblicklich plagt mich mein schlechtes Gewissen. Nicht Pummerl, sondern Annerl gegenüber.

Ich kann doch unsere liebenswerte, alte Dorftratschen nicht so im Stich lassen.

»Weißt du was, Berta«, meine ich deshalb versöhnlich, nachdem ich ein paarmal tief durchgeatmet habe, »sag der Annerl, ich komme euch doch helfen.«

 

Rasch trinke ich meinen Kaffee aus, stecke mir den letzten Zipfel eines Kipferls in den Mund, schlüpfe in meine dunkel­blauen Schuhe, werfe mir eine Jacke über die Schultern und fahre in den Ort hinunter. Mein Auto parke ich unmittelbar vor unserem Kulturhaus, überquere die Hauptstraße von Klein Schiessling, stehe gleich darauf vor Annerls Haustüre und werde bereits erwartet.

»Griaß eich!«

Annerl grinst über das hagere Gesicht und ihre Augen leuchten vor Freude.

»Schön, dass du uns hilfst, Sandra.«

Berta Pitzer, mit einem flaschengrünen Rollkragenpullover bekleidet, welchen sie sich erst unlängst in Horn gekauft hat, und der zu ihren rotgefärbten Löckchen einen schönen Kon­trast bildet, sitzt am großen Esstisch im Wohnzimmer, auf welchem eine Vase mit weißen und gelben Chrysanthemen steht. Nicht unbedingt mein Geschmack. Ein bunter Frühlingsstrauß würde mir besser gefallen, aber schließlich haben wir November, und zu diesem trübsinnigen und mieselsüchtigen Monat passen sie allemal. Ich lasse mich neben Berta fallen und augenblicklich steht ein anregend duftendes Häferl Kaffee vor meiner Nase.

Interessiert beuge ich mich über die Liste auf dem Tisch, in welcher Berta herumkritzelt. Etliche Punkte sind durchgestrichen, neue hinzugefügt, für mich im Moment das reinste Chaos.

»Was ist das?«, frage ich und deute auf das Blatt Papier.

»Das sind Ideen, wo wir dem Pummerl seine Geburtstagsfeier ausrichten könnten und was wir ihm schenken. Und von wem im Dorf wir Geld für das Ganze sammeln können. Weil, alle sind ja nicht unbedingt gut auf ihn zu sprechen, so wie du auch, Sandra.«

Dabei trifft mich ein undefinierbarer Blick, welchen ich ignoriere und die Liste an mich ziehe. Etliche Orte wie Kulturhaus, Heurigenlokale, Extrazimmer im Dorfwirtshaus kann ich ebenso lesen wie Gemeindeamt und Pfarrsaal. Darunter aufgelistet sind etwaige Geschenke für unseren Dorfboss. Die Auswahl ist groß.

»Habt ihr schon mit dem Pfarrer, dem Wirten und den Heurigenlokalbesitzern gesprochen, ob die überhaupt an so einer Monsterfeier interessiert sind?« Die Auswahl der Geschenke lasse ich erst einmal links liegen.

Annerl mustert mich und Berta lässt den Kugelschreiber auf den Tisch sinken, mit dem sie gedankenverloren gespielt hat.

»Der Krügerl hat nix dagegen.«

»Und der Brandinger, der den Heurigen in Etzdorf hat, auch nicht«, ergänzt Annerl.

»Habt’s ihr euch eigentlich überlegt, für wie viel Personen das Fest sein soll?«

»Nein«, brummt Annerl, »aber das kannst ja du machen, jetzt, wost schon amal da bist.«

Na super!

Die leichteste Aufgabe fällt natürlich wieder einmal mir zu.

Eine Weile überlege ich, wobei sich meine Stirn in hundert Falten legt, welche mein Aussehen nicht gerade verbessern. Die Sache ist nicht einfach. Ist der Saal zu klein, müssen Gäste der Feier fernbleiben, ist er hingegen zu groß, verlieren sie sich und das Ganze wirkt deprimierend. Den Saal im Kulturhaus würde ich deshalb ausschließen, weil er ebenso wie die Heurigenlokale nicht groß genug ist, um eine Gästeflut, die zu erwarten ist, unterzubringen. Den Pfarrsaal dafür zu wählen, schließe ich ebenfalls aus, weil, wer soll dort, bitte schön, die Bewirtung übernehmen? Ich glaube kaum, dass unser Herr Pfarrer Speisen serviert, welche die Liesel, seine Köchin, zubereitet.

Nach diesem Ausschlussverfahren bleiben eigentlich nur die Wirtsleute Herr und Frau Krügerl übrig. Unser Dorfwirtshaus verfügt nicht nur über einen großen Festsaal, sondern auch über ein ansehnliches Extrazimmer. Selbst die Wirtsstube kann im Notfall genutzt werden, um hungrige und durstige Geburtstagsgäste aufzunehmen. Obendrein wird jede Feier durch Frau Krügerls Kochkünste zu einem königlichen Fest.

»Ihr solltet die Geburtstagsfeier im Wirtshaus planen. Da sind die geeigneten Räume ebenso vorhanden wie Speis und Trank.«

»Siehst, Annerl, hab ich dir doch gleich g’sagt, bei den Krügerls sollten wir das Ganze machen.«

Berta stimmt mir zu, was letztendlich auch unsere Dorftra­tschen überzeugt.

»Also gut! Dann hätt ma schon amal den Ort. Und was für Geschenk habt’s euch vorg’stellt?«

Gar keines!

»Glaubst du nicht, Annerl, dass die Organisation dieser Feier Geschenk genug ist? Immerhin macht die Vorbereitung jede Menge Arbeit und kostet unsere Zeit.«

Berta nickt und Annerl sendet einen rügenden Blick in meine Richtung.

»Nein! Irgendwas müss ma ihm schon geben. Ein schön eingepacktes Geschenk g’hört einfach dazu, Sandra. Das muss ja nicht viel kosten.«

»Hauptsache es ist groß«, füge ich an und muss grinsen. Berta räkelt sich und bringt mit beiden Händen ihre Frisur in Unordnung. Man kann förmlich aus ihrem Kopf Rauch aufsteigen sehen. Bevor sie uns allerdings an ihrem aufsteigenden Rauch teilhaben lässt, beißt sie erst einmal kräftig in eine Zimtschnecke und macht einen Schluck vom Kaffee. Nachdem sie alles mit Genuss hinuntergeschluckt hat, zieht sie ihre Augenbrauen bis zum Haaransatz hinauf und blickt zuerst Annerl und dann mich an, ob wir auch aufmerksam genug sind, für das, was kommt.

»Ich hab doch am Dachboden«, beginnt sie zögernd, »so einen alten Schinken liegen. Ein riesiges Bild mit Kühen und einer Almhütte drauf, was kein Mensch braucht.« Erwartungsvoll hebt sie den Blick. »Wäre das was für den Pummerl? Das könnten wir schön einpacken, ein riesiges Mascherl obendrauf machen und schon hätten wir ein Geschenk, das groß ist, nach viel ausschaut und nichts kostet.«

Ich verziehe mein Gesicht zu einem schelmischen Grinsen. Der Vorschlag gefällt mir. So einen alten, verstaubten Schinken vergönne ich unserem Herrn Bürgermeister. Das ist das ideale Geschenk!

»Genau, Berta«, stimme ich zu. »Das wäre wunderbar. Und mit den Kühen auf dem Bild ist er am Abend auch nicht so allein.«

Wir platzen los und Lachtränen kollern über unsere Wangen. Selbst Annerl gefällt dieser Vorschlag und dem Pummerl gefällt überhaupt alles, was enorm teuer aussieht. Somit hätten wir zwei Fliegen mit einer Klappe erlegt.

Nachdem die letzten Lachtränen über Bertas Wangen gekullert sind, sprintet Annerl zur Anrichte, wo Gläser und einige Flaschen Obstler, ebenfalls von den Klein Schiesslinger Winzern gebrannt, darauf warten, von uns hinuntergekippt zu werden.

»Jetzt ham ma alles erledigt. Das müss ma feiern! Drauf stoß ma an!«

Drei Stamperln werden bis zum Rand gefüllt und je eines vor Berta und mich geschoben. Annerl zieht das dritte Stamperl zu sich und hebt es auffordernd uns entgegen.

»Prost!«

Nicht dass unsere Dorftratschen ein Bsuff wäre, aber sie weiß immer ganz genau, wann und worauf man anstoßen sollte. Diesbezüglich wurde sie von ihrem Gefühl noch nie getäuscht.

 

Kapitel 2

 

Die Wirtsleute, Herr und Frau Krügerl, treffen die nötigen Vorbereitungen für dieses Fest, während wir in Annerls Stube Bertas ‚Gemäldeschinken‘ in mit Wiesenblumen bedrucktes Papier wickeln und eine überdimensionale Schleife in Knallrot obendrauf setzen. Immerhin soll die Verpackung zu den Kühen passen und die Masche in Signalfarbe das Tüpfelchen auf dem i bilden.

»Der wird Augen machen, der Pummerl.«

Annerl hüpft freudig erregt von ihrem Sessel.

»Glaubst du, es gefällt ihm?« Berta ist sich nun nicht mehr so ganz sicher.

»Unbedingt«, beruhige ich sie und freue mich diebisch. »Wenn er am Abend vor dem Schlafengehen einen Blick auf das Bild wirft, kann er anstatt Schäfchen Kühe zählen, dann schläft er ganz bestimmt schnell ein.«

»Aber dann muss er das Bild ins Schlafzimmer hängen.«

»Natürlich, Annerl«, meint Berta. »Genau gegenüber von seinem Bett!«

Eine Weile blödeln wir herum, danach wird es Zeit für mich, aufzubrechen.

»Pfiat eich!«

Im Eilschritt verlasse ich Annerls gute Stube, lasse die Haustüre hinter mir zufallen und marschiere auf mein Auto zu. Aber noch ehe ich es erreiche, bemerke ich aus den Augenwinkeln eine dattrige Gestalt aus Richtung Friedhof kommen.

Ist das nicht der alte Opa Blauburger, frage ich mich.

Ich bleibe stehen und warte, bis er näherkommt.

»Grüß Gott, Herr Blauburger! Ich hab Sie ja schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s Ihnen denn? Waren Sie auf dem Friedhof und haben das Grab von Ihrem Sohn besucht?«

Doch Opa Blauburger gibt keine Antwort. Er stapfte an mir vorbei, als wäre ich Luft, und strebt auf die Kirche zu.

Merkwürdig!

Ist der so senil geworden, dass er mich nicht erkennt?

Seit sein Sohn vor ein paar Jahren ermordet wurde, hat man ihn nicht mehr gesehen. Hedwig Uhudler, die Gattin des Winzers Günter Uhudler, wusste sogar zu berichten, er sei in eine Anstalt eingeliefert worden, weil er den Tod vom Alois nicht verkraftet hat. Und jetzt taucht er plötzlich wieder in Klein Schiessling auf?

Nachdenklich schüttle ich den Kopf.

Es geht auf Mittag zu und ich will mir noch etwas zu essen kochen, deshalb vergesse ich diese Begegnung rasch. Viel zu rasch, wie ich mir ein paar Tage später eingestehen muss.

 

»Josef Maria!«

Der Wirt dreht seinen opulenten Körper seiner Frau zu, die ihren Kopf aus der Küche streckt.

»Was ist?«

Frau Krügerl mustert ihren Mann kritisch, der im Gegensatz zu ihrer schlanken Figur fast breiter als hoch ist. Er hat schon wieder seine Haare nicht ordentlich gekämmt und sie verdreht resigniert die Augen, während sie ihn fragt:

»Meinst du nicht, dass wir als Geburtstagsessen lieber Geselchtes mit Kraut und Knödel servieren sollten, anstatt Rindsbraten? Das ist billiger. Ich weiß ja nicht, wie viel Geld die Annerl zusammenkriegt bei ihrer Sammlung.«

Der Wirt kratzt sich am Kopf und bringt seine Frisur noch weiter in Unordnung.

»A bisserl Zeit hat’s ja noch, die Annerl«, brummt er und streift seine blütenweiße Schürze über dem weit vorgewölbten Bauch glatt.

»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«

»Ja, mach Geselchtes. Ist ohnehin egal, was du kochst. Es schmeckt alles gut. Und essen tun die immer, vor allem wenn’s nix kostet.«

Frau Krügerl zieht sich in die Küche zurück, aus der ein herrlicher Vanilleduft in Josef Marias Nase strömt.

»Machst du heut Topfenstrudel mit Vanillesoße zu Mittag?«, fragt er und zieht den Duft laut durch die Nase ein.

Die Wirtin nickt zustimmend, was ihr Mann jedoch nicht sehen kann, weil sie erstens bereits wieder an ihrem Herd steht und in einem Topf rührt und er zweitens gleich nach seiner Frage ins Extrazimmer marschiert ist, um die Tische zu decken. Das macht er öfters. Stellt eine Frage und verschwindet, ohne die Antwort abzuwarten.

 

»Griaß eich!«

Gemeinderat Hubert Burgunder, von den Klein Schiesslinger Dörflern liebevoll Huaberl genannt, reißt die Wirtshaustür auf und strebt auf den Stammtisch zu.

»Noch niemand da?«, fragt er ungläubig und schmeißt sich auf die Bank vor dem Fenster.

Josef Maria kommt mit Geschirrtuch bewaffnet aus dem Extrazimmer geschlurft und lässt sich neben den jüngsten Gemeinderat fallen. »Die werden bald kommen. Was willst denn trinken, Huaberl?«

»Ein Achterl Grünen Veltliner.«

Josef Maria schält sich mühsam wieder hoch, strebt der Theke zu, schenkt großzügig ein Achterl Grünen Veltliner vom Klein Schiesslinger Winzer Michael Rieslinger ein und bringt es an den Tisch.

»Prost!«

»Hast du eigentlich schon für den Pummerl seinen Geburtstag gespendet?«, fragt er. »Hoffentlich genug, dass die Annerl ein schönes Geschenk kaufen kann.«

»Na klar«, antwortet der Gemeinderat. »Wir alle haben unseren Obolus in Annerls Tascherl gesteckt. Ist doch Ehrensache!« Hubert Burgunder will eben an seinem Glas nippen, da wird die Wirtshaustür neuerlich aufgerissen und Gemeinderat Heinrich Silvaner entert die Gaststube.

»War einer von euch zufällig in letzter Zeit auf dem Friedhof?«, fragt er, kaum dass er richtig sitzt.

»Warum willst denn das wissen?« Hubert Burgunder mustert neugierig seinen Gemeinderatskumpel.

»Weil ich mich heute ein bisserl dort umgeschaut habe und da ist mir aufgefallen, dass auf der Walpurga ihrem Grab frische Blumen liegen.«

Nun reißen sowohl Hubert Burgunder als auch der Wirt Josef Maria Krügerl die Augen auf.

»Mir ist nichts aufg’fallen, aber ich geh auch nicht so oft auf den Friedhof. Von uns Burgunders liegt ja nur die alte Friedatante dort, und das Grab wird von ihrer jüngeren Schwester betreut.«

»Stimmt!«

Heinrich Silvaner bestellt sich ebenfalls ein Achterl Grünen Veltliner aus dem Weingut Rieslingers.

»Meine Frau war doch neulich unsere alte Oma besuchen«, gibt Krügerl seinen Senf dazu und marschiert in die Küche.

»Hast du auf der Walpurga ihrem Grab frische Blumen bemerkt, wie du auf dem Friedhof warst?«

Frau Krügerl streckt ihren Kopf durch die Küchentür.

»Was hast g’sagt?«

»Ich hab dich g’fragt, ob du auf der Walpurga ihrem Grab frische Blumen bemerkt hast.«

»Nein! Wie ich letztens dort war, hab ich mir noch dacht, dass sich irgendjemand ein bisserl um das Grab kümmern sollte. Ist doch eine Schande, wenn es so vernachlässigt wird. Die Walpurga hat allen von uns bei jedem Wehwehchen mit ihren Kräutern geholfen. Nicht umsonst war sie für uns die gute, alte Kräuterhexe.«

Gemeinderat Heinrich Silvaner nickt zustimmend und steckt beschämt seinen Riechkolben ins Weinglas. Frau Krügerl hat recht. Walpurga hatte keine Familie, die sich um das Grab kümmern könnte und so wäre es mehr als angebracht, dass die Gemeinde für die Grabpflege aufkommt.

»Ich rede gleich morgen mit unserem Boss.«

Nachdem dieses Problem in seinen Augen vom Tisch ist, trinkt er mit einem großen Schluck sein Glas leer und schiebt es Josef Maria zu.

»Geh, bring mir noch ein Achterl.«

Hubert Burgunder hebt den Kopf.

»Und von wem stammen dann die frischen Blumen auf ihrem Grab? Irgendwer kümmert sich doch darum.«

Er versteht nicht, warum sich die Gemeinde zusätzlich um die Grabpflege kümmern soll, wenn ohnehin jemand anders das tut, was ja die frischen Blumen beweisen.

Dieses Thema ist jedoch im Augenblick nicht so interessant, weil erstens Walpurga aus Wartberg stammt und zweitens man im Augenblick Wichtigeres zu tun hat, nämlich die Geburtstagsfeier für Alfons Pummerl zu besprechen. Und das erfordert von allen Beteiligten höchst konzentrierten Einsatz. Dieser Event soll ein Jahrhundertereignis werden, zu welchem selbstverständlich auch die Presse eingeladen wird, um darüber ausführlich zu berichten, damit ganz Niederösterreich, wenn auch erst im Nachhinein, informiert ist.

»Die Feier muss schon was hermachen«, posaunt Hubert Burgunder über den Tisch. »Immerhin ist ja unser Bürgermeister eine öffentliche Persönlichkeit und da dürfen wir uns nicht lumpen lassen!«

»Genau!«, schiebt Josef Maria nach. »Diese Geburtstagsfeier muss was ganz Besonderes werden.«

Und das wird sie dann auch!

Etwas ganz Besonderes!

 

Kapitel 3

 

Es geht auf Mittag zu und das Dorfwirtshaus von Klein Schiessling ist zum Bersten mit Geburtstagsgästen gefüllt.

Sämtliche vorhandenen Sessel, Bänke und sonstige Sitzgelegenheiten werden im letzten Augenblick zusammengerafft und im Festsaal platziert, weil der Besucherstrom nicht abreißen will. Mitgebrachte Blumensträuße türmen sich in der Gaststube vor der Theke zu einem Gebirge auf und die Wirtsleute laufen händeringend umher. Zum Glück haben sie vorsorglich zwei Hilfskräfte eingestellt, die ihnen ein wenig zur Hand gehen.

Der Küche entströmt appetitanregender Duft nach Selchfleisch und die letzte Knödelpartie sprudelt in drei großen Kochtöpfen vor sich hin. Der Topf mit Sauerkraut befindet sich auf einer Warmhalteplatte, und daneben der Nachtisch, bestehend aus mehreren riesigen Geburtstagstorten, verziert mit Schokostreusel, Schlagobers, Kerzen und sonstigem Klimbim, welchen die Bewohnerinnen von Klein Schiessling in Eigenregie für das Fest gebacken haben. Alles ist fix und fertig und wartet darauf, gelöffelt oder gegabelt zu werden.

 

Ich betrete den großen Saal und mein Blick bleibt sofort an unserer Dorftratschen hängen. Dem festlichen Anlass entsprechend trägt sie ein schwarzes Wollkleid, darüber einen schwarzen Blazer und am Revers eine dezente Brosche mit Altschliffdiamanten, die sie einmal von ihrem verstorbenen Mann zum Hochzeitstag geschenkt bekam, und um den Hals eine zarte Perlenkette. Sie versetzt mich in Staunen. So elegant sah ich Annerl bisher noch nie.

Nicht nur Dörflerinnen und Dörfler inklusive der aufgeregten Annerl Passer, einer ebenso nervösen Berta Pitzer, wetzen in Erwartung eines kulinarischen Genusses ihre Hintern auf den zahllosen bequemen und weniger bequemen Sitzen, sondern auch Polizeiinspektor Julius Schreiner, welcher einen grauen Anzug mit dunkelblauer Krawatte trägt. Der Polizist Sepp Tauber in Uniform wohnt ebenso der Feierlichkeit bei wie Gemeinderat Walter Zweigelt, der im letzten Moment die Idee hatte, auch die Polizei einzuladen. Man weiß ja nie, wofür etwas gut ist.

Ich zwänge mich zwischen Berta Pitzer und Sepp auf eine Heurigenbank, die zu den eher unbequemeren Sitzen zählt, während unsere Dorftratschen an der großen Ehrentafel links neben Bürgermeister Alfons Pummerl hockt und ihm unmotiviert die Hand tätschelt. Sie wirkt leicht nervös, was verständlich ist, trägt sie doch die volle Verantwortung für das Gelingen dieses heutigen Ehrenfestes.

Unser Dorfboss, zur Feier des Tages mit frisch gewaschenem, nicht, oder noch nicht, bekleckertem Hemd, sogar mit sauberer Krawatte, die locker gebunden ist und wie ein zu klein geratenes Kinderlätzchen über seinem gewölbten Vorbau liegt, grinst über die komplette Gesichtsbreite und genießt es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. Besser gesagt zu sitzen, noch besser gesagt zu residieren. Er ist sich seiner Wichtigkeit bewusst, und das kostet er, wo er schon einmal Gelegenheit dazu bekommt, voll aus. Laufend hebt er die Hand zum Gruß, winkt seinen Dörflerinnen und Dörflern gnädig zu und beugt sich quer über den Tisch, um mit seinem Vis-à-Vis ein paar belanglose Worte zu wechseln. Er genießt es sichtlich, endlich einmal Hauptperson eines Geschehens zu sein. Neben unserer Dorftratschen, die langsam zu schrumpeln beginnt, wirkt er wie ein üppiger Fels in der Brandung, jedoch ohne Kanten und Ecken. Gerade so, als hätten ihn die Wasser im Laufe der Jahre geschliffen, poliert und zu einem übergroßen Schmeichelstein verarbeitet.

Die Presseleute bemühen sich, zwischen den Menschenmassen herumzuspringen, um von allen Seiten Schnappschüsse zu bekommen, was nicht einfach ist, drehen doch Dorffrau und Dorfmann ihre Köpfe ständig in eine andere Richtung, um mit unmittelbaren und weiter entfernten Bekannten eine halbwegs vernünftige Unterhaltung zu führen. Und da jeder einzelne der zahlreichen Reporter bemüht ist, die besten Aufnahmen an seine Redaktion, in der Hoffnung auf eine Belobigung des jeweiligen Chefredakteurs, übermitteln zu können, ist das keine leichte Aufgabe. Einer kniet, um Aufnahmen aus der Froschperspektive zu schießen, ein besonders Schlauer nimmt einen freien Sessel zu Hilfe, schwenkt seine Kamera gefährlich in luftiger Höhe, und der Rest wuselt zwischen den Tischen herum als gäbe es nichts Wichtigeres als ihr Geknipse.

In der Wirtsstube, gleich gegenüber dem Tresen, wurde für alle Presseleute der gemeinderätliche Stammtisch umfunktioniert, gedeckt, um auch sie in den Genuss von Frau Krügerls Kochkünsten kommen zu lassen. Mit den Medien muss man sich gutstellen, will man nicht irgendwann einmal für negative Schlagzeilen sorgen. Was aber auch egal ist, denn Schlagzeile bleibt Schlagzeile! Egal ob positiv oder negativ!

Selbst für musikalische Umrahmung ist gesorgt. Franz Pfaffenbichler, der Leiter der Klein Schiesslinger Blasmusikkapelle, hat sich bereiterklärt, mit Unterstützung eines seiner Musiker, des jungen Rudi Stiefel, zu trompeten, was das Zeug hält. Nicht besonders schön, aber laut genug, um die Geräusche im Saal kräftig zu übertönen.

Unsere Annerl hat an alles gedacht und konnte zum Teil mit dörflicher Unterstützung auch alles bewerkstelligen.

Berta lacht mir zu und ich drücke ihren Arm.

»Jetzt kann nichts mehr passieren, Berta! Alles ist bestens!«

Doch das hätte ich lieber nicht sagen sollen!