„Auf dem Niveau der sensomotorischen Handlungen geht es noch nicht um die Konstruktion einer Wirklichkeit, sondern einzig und allein um Erfolg in der praktischen Anpassung, das heißt um die Entdeckung eines Wegs, Perturbationen zu neutralisieren und ein zumindest vorübergehendes inneres Gleichgewicht zu erreichen. Auf dem Niveau der begrifflichen Operationen hingegen hat das sprachliche oder begriffliche Denken die Aufgabe, Wahrheiten zu erkennen, zu formulieren und miteinander in einem widerspruchslosen Netzwerk zu vereinen, das mit den eigenen bisherigen Erfahrungen und sozialen Interaktionen kompatibel ist“ (Piaget 1937: 316).
Heinz von Förster wird u. a. dem „radikalen Konstruktivismus“ zugerechnet, einer Spielart des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus, welche von der „Erfindung der Welt“ durch deren Beobachtung ausgeht (vgl. dazu aber auch Bateson 1983; von Glasersfeld 1987, 1992a, 1992b, 1996; Roth 1994; Watzlawick 1976; Watzlawick et al. 1981 und viele andere; für instruktive Zusammenfassungen siehe Schmidt 1991; Fischer et al. 1995; Dettmann 1999).
Die synaptischen Gewichte, mit denen ein Neuron eine bestimmte Decodierungsfunktion realisieren kann, hängen empfindlich davon ab, in welcher Weise die auszulesende Information codiert ist. Seit vielen Jahrzehnten ist die hier vorherrschende Lehrbuchmeinung, dass Neurone Informationen maßgeblich durch ihre „Feuerraten“ codieren, also durch die mittlere Anzahl von Spikes innerhalb eines bestimmten Zeitfensters. Auf der Grundlage dieser einfachen Ratenhypothese konnte das Verhalten vieler Nervenzellen erfolgreich beschrieben und erklärt werden. Jedoch haben Forschungsergebnisse innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte in zunehmendem Maße ein komplexeres Bild neuronaler Repräsentationen gezeichnet, in dem auch andere Parameter der Aktivität, wie zum Beispiel die genauen zeitlichen Abstände zwischen den Spikes verschiedener Zellen erhebliche Information über physikalische Reize mit sich führen können. Die schon lange und kontrovers geführte Debatte, so Robert Gütig vom Max-Plank-Institut für experimentelle Medizin 2014, ob und wie Nervenzellen solche komplizierteren Repräsentationen von Informationen überhaupt auslesen können, wurde durch diese Ergebnisse weiter angefacht (vgl. Gütig 2014).
Mit der internen Validität ist die Frage angesprochen, ob die angewandten Verfahren auch das messen, was sie messen sollen. Bei der externen Validität fragt man, ob die Laborergebnisse auch für andere Situationen außerhalb des Labors, für andere Gruppen in der realen Welt oder ggf. für die ganze Bevölkerung Geltung beanspruchen können (vgl. Pfeifer 2020).
Auf die transzendentale Reduktion, den methodischen Zugang zur transzendentalen Subjektivität, verzichten wir hier, da dies ganz und gar zur Philosophie Husserls gehört und es keine direkte Entsprechung in der qualitative Sozialforschung gibt.
Das Buch der „Der Strich“ erschien in der ersten Auflage 1985. Wir zitieren es nach der erweiterten Neuauflage von 1994.
„Unter ‚Strich‘ versteht GIRTLER, etwas abweichend vom (heute) allgemein üblichen Sprachgebrauch, jeden Ort – also Straße, Wohnung oder Bordell – an dem Prostituierte ihre Geschäfte eingehen und zum Teil auch abwickeln“ (Ottermann 2005: 2).
„Es bleibt unklar, ob es sich z. B. um Gedächtnisprotokolle oder um Transkripte von auf Tonband aufgenommenen Gesprächen handelt. Zum anderen findet sich auch nirgends ein Hinweis darauf, welcher Methode er sich zur Analyse der Texte bediente, worin vielleicht ein Grund dafür liegt, daß manche seiner Interpretationen nur schwer nachvollziehbar sind“ (Mühlhäuser 1987: 134; siehe auch Ottermann 2005: 19).
Ariely kommt zum Schluss, dass unter Umständen, in denen Betrug möglich ist, fast immer betrogen wird, auch wenn es nur eine geringe Belohnung gibt. Menschen betrügen bis zu dem Punkt, an dem sie anfangen, sich wegen ihres eigenen Integritätsgefühls schlecht zu fühlen (vgl. Ariely 2012; siehe auch Maslin 2012; Roth 2012).
Das wäre in diesem Fall ein Verhalten, welches auf gesellschaftliche Erwartungen reagiert, dass man sich im Umgang mit Geflüchteten wohlmeinend gibt.
Erziehung wird als ein sozialer Prozess identifiziert, der seine personenbezogenen Änderungsabsichten mitthematisiert. Als Erziehung haben alle Kommunikationen zu gelten, die in der Absicht des Erziehens in Interaktionen aktualisiert werden (vgl. Luhmann 2012: 287). „Damit ist klargestellt, was durch den Begriff der Erziehung ausgeschlossen werden soll, nämlich absichtslose Erziehung, also Sozialisation. Die andere, mit der Form Erziehung nicht beleuchtete, unmarkiert bleibende Seite ist zunächst die stets mitlaufende Sozialisation. Erziehung wird eingerichtet, um das zu ergänzen oder zu korrigieren, was als Resultat von Sozialisation zu erwarten ist“ (Luhmann 2012: 287).
Mit der sekundären Sozialisation ist eine Sozialisationsphase gemeint, bei der die Verhaltensmuster, die sich bei der ersten Sozialisation herausgebildet haben, durch neue Sozialisationsagenten weiterentwickelt und variiert werden. Lehrer*innen spielen z. B. bei der sekundären Sozialisation eine wichtige Rolle (vgl. Miller 2000).
„Neuere Analysen der Abteilung Demokratie und Demokratisierung zeigen, dass die AfD auf der Ebene ihrer Kandidaten und ihres politischen Programms im Vergleich zu anderen Parteien eindeutig als rechtspopulistisch einzustufen ist“ (Vehrkamp 2017: 17f.). „Diese Analyse ergab für die empirische Verortung von AfD-Wählern vor der Bundestagswahl 2017 folgendes Bild: Deutlich mehr als die Hälfte (56 Prozent) sind nach der hier verwendeten Definition Populisten, ein weiteres Drittel (32 Prozent) ist populismusaffin. Das heißt: Fast neun von zehn aller AfD-Wähler vertreten populistische Einstellungen“ (Vehrkamp 2017: 18). „Zusammenfassend zeigt sich: Fast neun von zehn AfD-Wählern sind populistisch eingestellt, und mehr als zwei Drittel verorten sich rechts von der Mitte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wahlberechtigter die AfD wählt, steigt mit seinem zunehmenden Grad der Rechtsorientierung und seiner Populismusneigung von nahe null Prozent bei linken Nicht-Populisten auf mehr als 60 Prozent bei stark rechtsorientierten Populisten. Ein typischer Rechtspopulist hat damit eine um weit mehr als sechsfach höhere Wahrscheinlichkeit, die AfD zu wählen, als der Durchschnitt aller Wähler. Umgekehrt formuliert: Der typische AfD-Wähler ist ein Rechtspopulist, die AfD ist auch mit Blick auf ihre Wählerschaft eine eindeutig rechtspopulistische Partei“ (Vehrkamp 2017: 20).
Wo Sequenzen beginnen und enden, bestimmen die Interpretierenden. Je nach Datenmaterial kann eine Sequenz beispielsweise ein Wort, ein Halbsatz oder ein ganzer Satz sein. Häufig ist es sinnvoll, zu Beginn einer Interpretation sehr kurze Sequenzen auszuwählen und erst im Fortgang des hermeneutischen Prozesses etwas längere Sequenzen zu definieren (vgl. Kurt & Hebrik 2019: 483).
Anders als bei persönlichen Interviews, bei denen der*die Befragte ggf. eine fremde Person in die Wohnung lassen muss, wird das telefonische Interview als anonymer und persönlich weniger bedrängend erlebt (vgl. Bortz & Döring 2010: 239). Für bestimmte Fragestellungen, insbesondere bei sensitiven Fragen, ist dies unerlässlich. So sind frühere Befragungen zum Umgang mit Aids beispielsweise mit besseren Ergebnissen als Telefonbefragungen oder, alternativ dazu, mit einem schriftlichen Teil für „sensitive Fragen“ durchgeführt worden. Durch die Anonymität geschützt und nicht von Angesicht zu Angesicht, werden oft offenere Hinweise zu riskantem Sexualverhalten gegeben werden (vgl. z. B. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1991). Sensitive Fragen werden von Tourangeau und Yan (2007: 860) als solche definiert, deren wahrheitsgemäße Beantwortung eine sozial unerwünschte Antwort verlangt und bei denen Befragte in diesem Zusammenhang gebeten werden, die Verletzung einer sozialen Norm zuzugeben (vgl. dazu Krug et al. 2014).
Insbesondere wenn Interviews zum ersten Mal durchgeführt werden oder noch nicht viele Interviews geführt wurden, ist die Aufregung bei den Interviewer*innen nicht selten groß. Auch deswegen spricht vieles dafür, eine zweite Person mitzunehmen, die sich ganz auf das Gesagte konzentrieren kann.
Wenn standardisierte Befragungen unter Anwesenheit oder telefonisch durchgeführt werden, kommen in der Regel viele verschiedene Interviewer*innen zum Einsatz, um eine höhere Fallzahl zu gewährleisten, aber sie führen die Interviews nicht selten nur allein durch. Diese Interviewer*innen müssen ein ausführliches Interviewertraining durchlaufen, damit die hergestellte Befragungssituation nicht zu sehr variiert und gesichert ist, dass die Fragen in ähnlicher oder gleicher Weise gestellt sowie Interviewereffekte möglichst vermieden werden können.
Manchmal lässt es sich zwar nicht verhindern, dass mehrere Personen zugegen sind. Aber in der Regel ist dies Teil der Vorbereitung eines Interviews, dass man dafür Sorge trägt und erklärt, warum man allein mit dem*der Befragten sprechen möchte.
Der Unterschied zwischen beiden Verfahren liegt in der Anwendung eines zufälligen oder willkürlichen Auswahlverfahrens für die letztlich in die Stichprobe einbezogenen Individuen/Elemente: Die geschichtete Zufallsstichprobe hat eine angebbare Ziehungswahrscheinlichkeit für jedes Element der Grundgesamtheit, während bei der Quotenstichprobe keine solche Ziehungswahrscheinlichkeit angegeben werden kann. Eine willkürliche Auswahl kann zum Beispiel auf Selbstselektion beruhen: Die Untersucher*innen suchen etwa per Annonce nach geeigneten Studienteilnehmer*innen, kontaktieren passende Mitglieder eines Online-Panels, die sich zur Teilnahme an Meinungsumfragen bereiterklärt haben, oder sprechen willkürlich geeignete Passant*innen an, von denen sich nur einige dafür entscheiden, ihnen zu antworten. Das tun sie so lange, bis sie die Quoten für ihre Stichproben erfüllt haben. Sofern nun die Eigenschaften der Teilnehmer*innen, die sie zur Selbstselektion bewogen haben, auch das interessierende Merkmal beeinflussen, werden die Ergebnisse der Quotenstichprobe gegenüber den Ergebnissen einer geschichteten Zufallsstichprobe verzerrt sein (ähnliches passiert bei einer Zufallsstichprobe allerdings durch Antwortausfall (vgl. Cumming 1990). Auch von Seiten der Interviewer*innen kann es bei der Quotenstichprobe zur Stichprobenverzerrung kommen, indem z. B. sympathiebasiert Passant*innen angesprochen werden oder eine Liste von Telefonnummern in einer bestimmten Reihenfolge „abgearbeitet“ wird. Quotenstichproben sind billiger, schneller und in ihren Voraussetzungen weniger anspruchsvoll als geschichtete Zufallsstichproben; in vielen Fällen können sie ein praktikabler Ersatz für diese sein. Quotenstichproben sind die Methode der Wahl in der kommerziellen Markt- und Meinungsforschung und werden durchaus auch in der akademischen Forschung eingesetzt (vgl. Meyer & Reutterer 2009: 239; Monette et al. 2011: 152).
Der optimale kognitive Prozess, den Befragte bei der Beantwortung einer Frage durchlaufen, umfasst mehrere Schritte (Verstehen der Frage, Gewinnung der relevanten Information aus dem Gedächtnis, Beurteilung der gewonnenen Information hinsichtlich der Vollständigkeit und Relevanz, Antwortgabe). Diese sind mit hohem kognitivem Aufwand verbunden, was in der Summe aller Fragen einer Erhebung unter Umstanden eine hohe kognitive Belastung für die Befragten bedeutet (vgl. u. a. Krosnick & Fabrigar, 1997). Dieser Informationenverarbeitung steht ein an einer Reduzierung von Belastung ausgerichteter Prozess gegenüber, welcher als Satisficing bezeichnet wird (vgl. Bogner & Landrock 2015: 1).
Trichterfragen sortieren in einem mehrstufigen Vorgang alle diejenigen Befragten aus, die keine Antwort auf die eigentliche Testfrage geben können. Wenn man etwas über die Mediennutzungsgewohnheiten von Pay-TV-Nutzer*innen wissen will, wäre die erste Frage, ob die Befragten überhaupt einen Fernseher haben. Im nächsten Schritt würde man den Empfangsmodus erfragen und im dritten Schritt nur noch diejenigen befragen, die tatsächlich Pay-TV nutzen. Alle anderen Befragten überspringen diesen Block. Filterfragen arbeiten mit derselben Logik, wobei man sogenannte Auskoppelungen und Gabelungen unterscheidet. Die Auskoppelung funktioniert nach dem Muster der Trichterfrage: Es werden dann Fragen übersprungen, wenn mit einer Vorfrage festgestellt wurde, dass die Befragten nicht sinnvoll antworten können. Gabelungen werden dann eingebaut, wenn man Auskünfte von der ganzen Stichprobe braucht, jedoch bestimmte Teilpopulationen in unterschiedlicher Formulierung befragen muss. Am Beispiel Pay-TV wird das deutlich. Mittels Trichterfragen wird die Stichprobe in zwei Gruppen geteilt: solche, die Pay-TV anschauen und jene, die nur Free-TV nutzen. Nun könnte man mit einer Gabelung beide Gruppen danach fragen, wie sie die jeweiligen Sendungen oder Genres finden, die typischerweise in dem einen oder anderen Empfangsmodus angeboten werden (vgl. Studlib 2021: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung).
Grundlegende Daten der Person werden maskiert oder werden zu allgemein wiedergegeben.
Autorität bezieht sich bei Max Weber auf die Art, wie eine Herrschaft vollzogen wird. Als Herrschaft qua Autorität beruht sie – idealtypisch verstanden – auf einer von den Interessen absehenden „schlechthinigen Gehorsamspflicht“ (Weber 1922/85: 542).
Sie richtet sich gegen eine Gleichheit, bei der grundsätzlich alle Staatsbürger*innen den gleichen Zugang zu den zentralen Ressourcen haben (z. B. die Ehe und ihre steuerrechtliche Bevorzugung).
Mit der Vorstellung von Residuen und Derivationen – eines Komplexes von Argumenten und Handlungen, im dem arationales Handeln sich als rationales versteht und/oder präsentiert – weist Pareto zugleich auf die vorrationalen Geltungsgründe der Rationalität hin (siehe oben).
Für Carola †
Dieses Buch hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte. Es kam überhaupt nur zustande, weil zwei Ereignisse zusammentrafen. Zum einen eine hohe Nachfrage von Studierenden, welche aus einem Seminar eine Vorlesung mit mehr als 100 Teilnehmern werden ließ. Zum anderen der erste Lockdown während der Corona-Pandemie 2020, welcher dazu führte, dass diese Vorlesung online gehalten und mit Skripten, Audiofiles, Übungen für Zuhause etc. versorgt werden musste. Dadurch waren wir ins kalte Wasser der Online-Lehre geworfen und mussten sehen, wie wir damit zurechtkamen. Ich hatte die Vorlesung ursprünglich so konzipiert, dass die Studierenden in jeder zweiten Sitzung ins Feld gehen und erste Erfahrungen mit qualitativen Erhebungen sammeln sollten, aber das war nun Geschichte. Als Feld diente uns jetzt das Internet, das wenigstens ersatzweise Erfahrungen bot, wenn auch oft aus zweiter Hand. Das Produkt, das aus dieser Vorlesung entstanden ist, liegt nun vor Ihnen. Meine Absicht war es, das Buch so zu gestalten, dass es hilft, selbständig ins Feld zu gehen. Ich habe dafür kleine Gehhilfen und Wegekarten bereitgestellt. Ziel war es, dass Sie diese ersten Schritte ohne allzu viel Gepäck, ohne allzu viel Vorbereitung absolvieren zu können und dafür ist dieses Buch gedacht.
Aber dieses Buch verdankt sich nicht nur den oben beschriebenen Zufällen, sondern auch einem Team, das mich sehr unterstützt hat und Kolleg*innen, welche den Text kommentiert und mit mir diskutiert haben. Dafür bin ich sehr dankbar. Zuallererst möchte ich Aleksandra Barjaktarević und Meira Hilbertz danken, die nicht nur die Vorlesung als Tutorinnen mit unterstützt haben, sondern auch in vielfältiger Weise an dem Buch mitgewirkt haben. Auch Jan Hoffmann hat tatkräftig zum Gelingen des Buches beigetragen. Katharina Döllinger hat das Buch Korrektur gelesen und Kathia Serrano Velarde hat es mit ihrem Feedback unterstützt. Viele andere haben ebenfalls ihr Feedback zu dem Buch gegeben. Auch ihnen gebührt mein herzlicher Dank.
Inspiriert ist das Buch auch von meinen drei Kindern, die mir beim Homeschooling während der verschiedenen Lockdowns immer wieder klargemacht haben, wie wichtig es ist, Spaß beim Lernen zu haben. Auch meiner Frau danke ich sehr für ihre fortwährende Unterstützung und die Arbeitsteilung, welche es uns im Zweischichtbetrieb ermöglicht hat, unsere Schriften, wenn auch bisweilen im Schneckentempo, trotz der Lockdowns fertigzustellen.
Gewidmet ist dieses Buch einer sehr guten Freundin und Kollegin, die viele Jahre sehr schwer erkrankt war und in dem Jahr, in dem dieses Buch entstand, 2021, von uns gegangen ist. Ihr Mut und ihr Durchhaltevermögen werden mir immer unbegreiflich bleiben. Das Buch hat ihrem Vorbild viel zu verdanken.
Alle Fragen zur Vertiefung und die Übungen für Zuhause finden Sie unter http://qs-pohlmann.de.
Mein erstes InterviewInterview als Student im zweiten Semester des Soziologiestudiums in Freiburg fand im Rahmen einer standardisierten Befragung zum Wertewandel statt. Wir bekamen Interviewpartner in unterschiedlichen Vierteln der Stadt zugeteilt und ich hatte eines in einem Lehrer- und Akademikerviertel und eines in einem Arbeiterviertel zu führen. Ich begann mit dem Arbeiterviertel. Es war später Nachmittag. Ich war aufgeregt, klingelte an der Tür und wurde von der Frau eines Straßenarbeiters – konkret: Pflasterers – eingelassen. Ich wurde ins Wohnzimmer gebeten, bekam einen Kaffee und das Interview begann. Der Interviewte war anfangs ebenfalls nervös und ich merkte, dass er mit einigen der Fragen nichts anfangen konnte. Der Fragebogen war lang. Ab und an kam seine aufmerksame Frau herein, schenkte Kaffee nach oder brachte Kekse und bemerkte dann jedes Mal: Wir sind eine glückliche Familie. Die Nervosität meines Interviewpartners legte sich erst, als er sich einen Schnaps zum Kaffee genehmigte. Immer wieder verließ das Gespräch die Vorgaben meines Fragebogens. Die Antworten des Interviewten wurden zwar immer flüssiger, aber hatten immer weniger mit den Fragen des Fragebogens zu tun. Wir kamen nur langsam voran. Seine Frau erzählte immer wieder von ihren Kindern, wenn sie dazu kam. Nach einer weiteren halben Stunde kam sein Cousin zu Besuch und nach weiteren Schnäpsen begann dieser meine Fragen zu beantworten. Kurzum: Es war interviewtechnisch eine Katastrophe. Das Interview erwies sich nach den Vorgaben der Studie als nicht verwertbar. Ich war enttäuscht. Aber dennoch hatte ich viel gelernt. Ich hatte ein neues Milieu und Milieunette Leute kennengelernt, die mir in ihren Erzählungen viel über ihre Relevanzen, Sichtweisen, aber auch ihre Werte und Bedürfnisse mitgeteilt hatten. Das Erzählte hatte eben nur nicht in den Fragebogen gepasst. Das Interview sollte 45 Minuten dauern, aber ich war erst zweieinhalb Stunden später wieder draußen, mit mehr Erfahrungen, aber auch mit dem Gefühl, versagt zu haben. Erst später habe ich verstanden, dass das InterviewInterview trotz aller Einschränkungen, Erhebungsfehler und des Schnapses in Bezug auf das Erkenntnisinteresse gut funktioniert hat. Ich möchte das im Nachhinein nicht schönreden. Meine Interviewtechnik war nicht gut, ich war aufgeregt, anfangs steif und habe wahrscheinlich auch die Fragen nicht so flüssig und neutral gestellt, wie ich das gesollt hätte. Erst viel später habe ich verstanden, dass ich über die Wertehorizonte und ihren Wandel, also über das Erkenntnisinteresse der Studie, sehr viel erfahren hatte. Es war eben nur nicht geordnet, in den vorgesehenen SkalenSkalen und Kästchen untergebracht, wie wir uns das ursprünglich gewünscht hatten. Viele der standardisierten Fragen waren an dem Befragten einfach vorbeigegangen. Was bei dem zweiten Interview mit einem Studienrat dann ohne Probleme funktioniert hatte, erwies sich bei dem Straßenarbeiter nicht als anschlussfähig. Und das lag nicht daran, dass die Fragen nicht vorher getestet worden wären oder zu kompliziert waren. Sie waren nur nicht anschlussfähig an die Lebenswelt, die Interessen und Orientierungen des Straßenarbeiters und seiner Familie. Damals, im zweiten Semester, wusste ich noch nicht viel über die MethodenMethoden der qualitativen Sozialforschung, aber ohne es zu wissen, hatte ich durch mein erstes Interview viel über diese gelernt und gemerkt, wie erkenntnisreich sie sein können. Natürlich hat man hinterher keine Kreuzchen oder Klicks in Kästchen und muss sich gut überlegen, wie man diese Gespräche auswerten und ihre ErgebnisseErgebnisse generalisieren kann, aber der Informationsgehalt und der Zugang zum Milieu, zur Lebenswelt und zu den Wertorientierungen in den Worten und in der Perspektive der Befragten gingen weit über das hinaus, was die standardisierte Befragung zugelassen hatte. Mir wurde klar, wie erkenntnisreich und einfach der Zugang zu anderen Lebenswelten war, wenn man auf bestimmte Dinge achtete und wie vielversprechend eine Kombination offener, gesprächsorientierter Methoden mit stärker standardisierten Fragen sein kann.
Von diesen Erfahrungen als Student ist dieses Lehrbuch inspiriert. Es soll jenen helfen, die forschend unterwegs sein wollen, den Zugang zu anderen Lebenswelten zu öffnen und zugleich aufzeigen, wie man diesen offenen, qualitativen Zugang mit anderen, stärker standardisierten Herangehensweisen kombinieren kann. Es soll eine Einladung zur qualitativen Sozialforschung sein, aber auch eine Einladung dazu, verschiedene MethodenMethoden einzusetzen und miteinander in Beziehung zu bringen. Denn wer Forschung, insbesondere Primärforschung betreibt und als Student*in oder Forscher*in ins Feld geht, sollte wissen, dass die Methoden je nach Fragestellung ausgewählt, variiert und kombiniert werden – und nicht umgekehrt. Dies zumindest ist die im vorliegenden Lehrbuch vertretene Ansicht.
MethodenMethoden sind Hilfsmittel, um empirische Phänomene zu verstehen und ihr Auftreten erklären zu können. Je nach Fragestellung und Phänomen, je nach den anvisierten Erklärungsfaktoren (Explanans) und dem, was erklärt werden soll (Explandum), müssen daher unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen. Sie sollen sich darauf bezogen als nützlich erweisen. Welche besser geeignet sind, bestimmt sich nicht nach dem Paradigma, also nach den wissenschaftlichen Denk- und Glaubensgrundsätzen, denen die Forscher*innen ggf. anhängen, sondern danach, wie sehr sie helfen, ein empirisches Phänomen verstehen und erklären zu können. Wenn man sie selbst zum Gegenstand weiterer Reflektionen macht, kann man viel diskutieren und streiten, Paradigmen und Positionen verteidigen, kommt aber als Forscher*in dennoch nicht umhin, zu entscheiden, welche Theorien und Methoden am besten geeignet erscheinen, das jeweilige empirische Phänomen zu analysieren. Das vorliegende Lehrbuch orientiert sich nicht an den Paradigmen und Positionen des fortwährenden Methodenstreits in den Sozialwissenschaften, sondern ausschließlich daran, wie man Methoden einsetzen kann, um in einem wissenschaftlichen Verfahren Antworten auf die Fragestellung zu generieren.
Auch wenn wir uns nicht an Paradigmen orientieren, eint eine qualitative Herangehensweise mehr als die Vielfalt ihrer Ansätze vermuten lässt. Für Studierende macht es die überbordende Vielfalt an MethodenMethoden, Ansätzen, Postulaten derzeit schwer, den Wald vor lauter Bäumen noch zu erkennen. Es ist nicht zu übersehen, dass es sich bei der qualitativen Sozialforschung mittlerweile um eine “broad church” handelt, der sich Wissenschaftler aus ganz verschiedenen Fächern zeitweise angeschlossen haben, mit teils unvereinbaren methodologischen Positionen und Verfahren. Bei genauerem Hinsehen eint sie sicherlich kein geteiltes methodologisches Paradigma (siehe dazu die Diskussion bei Kelle 2017: 59) oder Verfahren. Dennoch gibt es für viele Verfahren und Positionen – wenn auch nicht für alle – Ähnlichkeiten in den Herangehensweisen, die sich gut beschreiben und von einer stärker standardisierten Forschung gut unterscheiden lassen. Dazu gehören u. a. der offene, oft das Vorwissen zurückstellende Zugang, der Ausgangspunkt beim empirischen Material selbst und der Einsatz von vergleichenden Verfahren, um zu Schlussfolgerungen und zu Generalisierungen zu gelangen. Dabei gibt es einen fließenden Übergang zu Verfahren der stärker standardisierten, quantitativ orientierten Forschung und eine Vielzahl von Methodenkombinationen. Auch wenn dies die Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Sozialforschung viel gradueller werden lässt, als der stete „Methodenstreit“ suggeriert, bleiben prinzipielle Unterschiede in der Herangehensweise erkennbar. Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von Ansätzen und Verfahren sind immer noch größer als die internen Unterschiede in den jeweiligen Gruppen. Gerade dies macht ja ihre Kombination in der Sozialforschung so reizvoll und eröffnet die Möglichkeit, die qualitative Sozialforschungqualitative Sozialforschung in einem vergleichsweise eher schmalen Lehrbuch darzustellen anstatt der dicken Handbücher und Kompendien, die es bereits zum Thema gibt.
Das vorliegende Lehrbuch versteht sich dabei als Arbeitsbuch, um verschiedene Denk- und Herangehensweisen der qualitativen Sozialforschung kennenzulernen, aber auch um Einblicke in verschiedene MethodenMethoden und deren Kombinationen zu geben. Zu den einzelnen Methoden gibt es bereits zahlreiche Bücher, deren Detaillierungsgrad und Ausführlichkeit das vorliegende Lehrbuch weder ersetzen noch wiedergeben kann. Es verweist bei Gelegenheit auf diese und wer sich in eine Methode vertiefen möchte, sollte sich am besten ihrer bedienen. Das vorliegende Lehrbuch versteht sich vielmehr als ein Arbeitsbuch, das man zur Hand nehmen kann, um erste Schritte in diesem Feld selbständig zu gehen. Es soll dazu inspirieren, selbst in die Empirie zu gehen, die Hallen der Universität und die kurzatmige Welt des Internets und der sozialen Medien zu verlassen, um selbst erste Schritte im Feld zu gehen. Erst wenn man mit den realen Problemen im Feld konfrontiert ist – wie im Falle des Interviews mit dem Straßenarbeiter –, wächst für viele von uns auch das reale Interesse an Methoden. Dazu soll das Buch befähigen.
Mit der Konzeption dieses Lehrbuches als Lern- und Arbeitsbuch ist verbunden, dass es immer wieder Übungen, Werkzeug- und Informationsboxen enthält, welche helfen sollen, das Gelesene anzuwenden und zu vertiefen. Es soll zumindest ein simuliertes “learning by doing” ermöglichen, auch wenn es nicht ersetzen kann, selbst ins Feld zu gehen und erste Erfahrungen zu sammeln. Dabei wurde immer wieder versucht, die Einführung in die MethodenMethoden und Verfahren auf konkrete inhaltliche Fragestellungen zu beziehen und die ersten Schritte zur Beantwortung der inhaltlichen Fragestellungen mit Ihnen gemeinsam zu gehen. Es wurde in der Regel davon abgesehen, bereits durchgeführte Studien nachzuvollziehen und bereits geprüfte, validierte und getestete Instrumente in den Vordergrund zu stellen. Dafür stehen zahlreiche Handbücher zur Verfügung. Ziel war es vielmehr, mit den Leser*innen gemeinsam diese Schritte zu gehen und damit das Verfahren in der konkreten Durchführung zu illustrieren und zu lernen, worauf wir bei der Durchführung achten müssen.
Unsere Vorgehensweisen bei den inhaltlichen Fragestellungen sind dabei nicht in Stein gemeißelt. Sie sind immer auch anders möglich und sicherlich kann man diskutieren, ob man dies so oder anders durchführen sollte. Und genau darauf basiert die qualitative Sozialforschungqualitative Sozialforschung auch: auf InterpretationsgemeinschaftenInterpretationsgemeinschaften, welche im Streit um Deutungs- und Verfahrensweisen zur intersubjektiven Validierung der ErgebnisseErgebnisse beitragen. Wenn wir Hinweise zu den Ergebnissen der Übungen oder zur Beantwortung von Fragen geben, so sind sie genau als solches zu verstehen: als Vorschläge, zu welchen Ergebnissen man kommen kann, aber nicht ohne Wenn und Aber kommen muss. Im Vordergrund steht immer das grundlegende Verständnis, das wir generieren wollen, und eine Vorstellung davon, wie man vorgehen könnte, wenn man erste Schritte in einem solchen Feld unternimmt.
Am Ende jedes Kapitels haben wir Vertiefungsfragen und Übungen für Zuhause bereitgestellt. Sie dienen der Ergebnissicherung sowie der vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema des Kapitels. Die Antwortvorschläge unsererseits werden jeweils auf einer Homepage von uns zur Verfügung gestellt. Zugleich finden Sie dort weiterführende Literatur, wenn Sie das Studium der qualitativen MethodenMethoden weiter vertiefen wollen.
Das vorliegende Lehrbuch hat zum Ziel, einen Überblick über die wichtigsten Verfahren der qualitativen Forschung zu geben – inklusive der Möglichkeiten, sie mit anderen MethodenMethoden zu kombinieren. Gemessen an der großen und wachsenden Vielfalt der qualitativen Methoden ist es also sehr selektiv, im Grunde auf die “basics” der qualitativen Forschung konzentriert. Dazu gehören u.E. ExperimenteExperimente, Beobachtungen, Inhaltsanalysen und Interviews. Das hört sich nach wenig an, ist aber tatsächlich in der Darstellung der wichtigsten Grundlagen bereits eine Herausforderung für ein Lehrbuch. Denn hinter jedem dieser qualitativen ErhebungsverfahrenErhebungsverfahren stecken weitere zahlreiche Möglichkeiten und Varianten der Durchführung sowie der Analysemethoden. Wir haben versucht, uns auf die grundlegenden Perspektiven zu konzentrieren, um das Buch halbwegs schlank zu halten und dadurch natürlich viele Verfahrensvarianten, neue Ansätze und Autoren nicht oder nicht hinreichend berücksichtigen können. Aber dazu ist die “broad church” der qualitativen Sozialforschung mittlerweile zu groß und auch zu bedeutend geworden, um all dies in einem Lehrbuch darstellen zu können.
Bevor wir jedoch auf die grundlegenden ErhebungsverfahrenErhebungsverfahren eingehen, ist es für uns wichtig, die erkenntnistheoretischen Grundlagen, auf welchen viele Verfahren basieren, zu klären (Kapitel 2). Ohne diese und eine grundlegende Idee von „Verstehen“ und „InterpretationInterpretation“ können wir u.E. die Erhebungs- und AnalyseverfahrenAnalyseverfahren in ihrem Kern nicht verstehen. Zugleich wollen wir – bei allen Unterschieden – das Gemeinsame und Verbindende in den Prinzipien dieser “broad church” der qualitativen Forschung herausarbeiten (Kapitel 3) und so einen Ausgangspunkt gewinnen, um in die grundlegenden Erhebungsverfahren tiefer hineinzugehen. Bezogen auf die grundlegenden Verfahren haben wir mit Experimenten (Kapitel 4) begonnen, weil insbesondere Krisenexperimente für uns einen guten Zugang eröffnen, um Sinn und Zweck der Sozialforschung nachvollziehen zu können. Deren Vorgehensweise, das Gewebe alltäglicher Normen, Erwartungen und informeller Regeln kennen zu lernen, indem man gegen sie verstößt, macht zugleich deutlich, dass die qualitative Sozialforschungqualitative Sozialforschung auch für die Forschenden nicht äußerlich bleibt. Vielmehr fordert sie heraus, sich auch persönlich einzubringen und eigene Widerstände zu überwinden. Das Gleiche gilt für die BeobachtungBeobachtung (Kapitel 5), insbesondere die teilnehmende Beobachtungteilnehmende Beobachtung. Sie eröffnet nicht nur einen direkten Zugang zum Forschungsfeld, sondern verlangt zugleich auch eine Mitwirkung in diesem Feld. Die Beschäftigung mit der qualitativen InhaltsanalyseInhaltsanalyse (Kapitel 6) eröffnet dann u. a. eine hermeneutische Perspektive auf empirisches Material und Texte und fördert damit das Einüben einer Kernkompetenz in der qualitativen Forschung: das Zwischen-den-Zeilen-Lesen, das Herausarbeiten des Hintergründigen, Nicht-Offensichtlichen. Diese wird in Kapitel 8 mit der DeutungsmusteranalyseDeutungsmusteranalyse weiter vertieft, doch zuvor werden wir in Kapitel 7 noch eine Königsdisziplin der qualitativen Forschung genauer kennenlernen: Das InterviewInterview. Auch wenn die Reihenfolge der Darstellung der grundlegenden Erhebungs- und Analyseverfahren nicht zwingend ist und jedes Kapitel für sich stehen kann, ist sie doch so angelegt, dass sie den sukzessiven Erwerb von Kernkompetenzen befördern kann.
Entlang der Theorien, welche für die qualitative Sozialforschungqualitative Sozialforschung wegweisend sind, sollen im vorliegenden Lehrbuch verschiedene Kompetenzen eingeübt werden. Sie sollen den Leser*innen helfen, sich im Forschungsfeld zurechtzufinden und nicht nur eigene Erhebungen durchführen, sondern deren ErgebnisseErgebnisse auch einordnen zu können.
Während in diesem Kapitel der Zugang zum Thema im Vordergrund steht, ist es in Kapitel 2 die methodologische, erkenntnistheoretische ReflexionReflexion der uns entgegenscheinenden WirklichkeitWirklichkeit. Es soll mithilfe einer Bezugnahme auf den erkenntnistheoretischen KonstruktivismusKonstruktivismus eine Reflexion unserer „natürlichen Einstellung“ (wie uns die Welt ganz selbstverständlich erscheint) ermöglichen und die Voraussetzungen schaffen, um die Kernkompetenzen des Interpretierens und Konstruierens einzuüben. In Kapitel 3 werden unter Bezugnahme auf die PhänomenologiePhänomenologie Husserls sowie auf die Grounded TheoryGrounded Theory Kompetenzen der phänomenologischen ReduktionReduktion, des Codierens sowie des Theorieaufbaus aus dem Material heraus eingeübt. In Kapitel 4 entwickeln wir erste ethnomethodologische Kompetenzen und lernen, wie wir Alltagssituationen gezielt in die KriseKrise bringen und ExperimenteExperimente durchführen können, um mehr über den Aufbau der sozialen Welt zu erfahren. Zugleich trainieren wir, wie wir unter Bezugnahme auf GoffmanGoffman die Rahmungen identifizieren können, welche vielen sozialen Situationen zu Grunde liegen (siehe Tabelle 1).
| Theoretische Ansätze | Kernkompetenzen |
Kapitel 1 | Einleitung |
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Kapitel 2 | Konstruktivismus (Kant, Piaget, von Förster, Berger & Luckmann etc.) |
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Kapitel 3 | Phänomenologie (Husserl) Grounded Theory (Glaser & Strauss) |
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Kapitel 4 | Ethnomethodologie (Garfinkel) Rahmenanalyse (Goffman) |
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Kapitel 5 | Symbolischer Interaktionismus (Blumer, Mead) |
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Kapitel 6 | Hermeneutik (Dilthey) |
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Kapitel 7 | Wissenssoziologie (Schütz, Berger, Luckmann) |
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Kapitel 8 | Deutungsmusteransatz (Oevermann) |
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Theoretische Ansätze und Kompetenzerwerb in den einzelnen Kapiteln
In Kapitel 5 lernen wir, auf Bedeutungszuweisungen in Interaktionen zu achten und wie man unstrukturiert sowie strukturiert beobachtet. Kapital 6 dient dem Erwerb von Kompetenzen des hermeneutischen Interpretierens, welche später in Kapitel 8 weiter vertieft werden. Zugleich lernen wir, verschiedene Arten der InhaltsanalyseInhaltsanalyse durchzuführen und zu kombinieren. Kapitel 7 dient dann dem Kompetenzerwerb rund um das InterviewInterview. Wir lernen, Interviews vorzubereiten, Interviewer*innen zu schulen, verschiedene Textsorten einordnen zu können, InterviewfragenInterviewfragen zu gestalten und verschiedene Arten des Interviews durchzuführen. Auch Kapitel 8 dreht sich noch ganz um Interviews, aber in diesem lernen wir zum Abschluss, wie wir Interviews interpretieren und welche Fehler wir dabei machen können. Der hermeneutische Kompetenzerwerb wird weiter vertieft und wir lernen die Durchführung eines genuin soziologischen Interpretationsverfahrens, die Durchführung der DeutungsmusteranalyseDeutungsmusteranalyse kennen.
Wenn wir das alles durchlaufen haben, ist ein erster Kompetenzerwerb in der qualitativen Sozialforschung möglich geworden und wir sollten dann in der Lage sein, selbständig ins Feld zu gehen. In der PraxisPraxis der qualitativen Sozialforschung können wir dann die frisch erworbenen Kompetenzen anwenden und weiter vertiefen.
Kelle, Udo (2017): „Die Integration qualitativer und quantitativer Forschung – theoretische Grundlagentheoretische Grundlagen von ‚Mixed MethodsMixed Methods‘“, in: KZfSS – Kölner Zeitschrift für SoziologieSoziologie und SozialpsychologieSozialpsychologie 69 (2), S. 39–61.
In der ersten Lerneinheit wollen wir die wissenschaftstheoretischen Grundlagen für die qualitative Sozialforschungqualitative Sozialforschung (QS) legen. Dies ist wichtig, weil große Teile der qualitativen Sozialforschung nur auf der Grundlage einer ausgeführten ErkenntnisErkenntnis- und Wissenschaftstheorie zu verstehen sind. Wir werden deshalb nach einer kurzen Einleitung verschiedene Disziplinen dazu befragen, welche erkenntnistheoretischen Stellenwert sie dem Vorgang des Interpretierens und Konstruierens von WirklichkeitenWirklichkeiten – der im Mittelpunkt der qualitativen Sozialforschung steht – zuweisen. Wir wandern dabei von den kognitiven Grundlagen der WirklichkeitswahrnehmungWirklichkeitswahrnehmung unserer Gattung (WahrnehmungspsychologieWahrnehmungspsychologie (2.2), philosophische ErkenntnistheorieErkenntnistheorie (2.3), KognitionspsychologieKognitionspsychologie (2.4) und NeurophysiologieNeurophysiologie (2.5)) zu den sozialen und gesellschaftlichen Faktoren in ihrem Einfluss auf unsere Wirklichkeitswahrnehmung (SozialpsychologieSozialpsychologie (2.6) und SoziologieSoziologie (2.7)). Wir tun dies, um uns Schritt für Schritt von der alltäglichen Vorstellung zu lösen, dass wir das, was uns umgibt, einfach nur abbilden und uns der Vorstellung näher zu bringen, dass wir Wirklichkeiten durch unsere InterpretationenInterpretationen schaffen – also nicht nur abbilden, sondern konstruieren. Wenn wir dies erkannt haben, dann können wir auch besser verstehen, warum es der MethodenMethoden bedarf, um zu rekonstruieren, wie andere dies tun.