SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Hinweis:
Im Sinne einer vereinfachten Lesbarkeit sind in diesem Buch immer alle Menschen gemeint, auch wenn nur eine weibliche oder männliche Form verwendet wird.
ISBN 978-3-7751-7566-1 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6101-5 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2022 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
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Die Bibelverse sind folgenden Ausgaben entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen. (ELB)
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT)
Hoffnung für alle ®, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel. (HFA)
Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)
Bibeltext der Schlachter Bibelübersetzung. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft.
Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung.
Alle Rechte vorbehalten. (SCHL)
Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de
Umschlaggestaltung: Sybille Koschera, Stuttgart
Autorenfoto: © Anja Kruse
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Für alle unter uns, die Zeiten kennen, in denen das, was bisher galt, nicht mehr gilt, und die sich fragen, wie sie gut hindurchkommen
Über die Autorin
Einführung
1 | Vom Alten zum Neuen – Was Übergänge zwischen Lebensphasen mit uns machen
2 | Vorbereitet oder überraschend – Die Arten von Veränderungen
3 | Schritt für Schritt – Die drei Phasen des Übergangs
4 | Hilfreiche Gestaltungsformen – Wie wir Übergänge managen können
5 | Von Unvollendet zu Mündig – Mit unvollendeten Übergängen umgehen
Zum Abschluss – Der große Übergang zwischen dem Heute und der Ewigkeit
Danke
Verwendete Literatur
Anmerkungen
HEIKE NAGEL (Jg. 1967) lebt und arbeitet in einer ostwestfälischen Kurstadt. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie vier erwachsene Kinder. Als Pädagogin und systemische Familientherapeutin führt sie seit 2013 eine pädagogischpsychologische Beratungspraxis. Sie ist Teil einer überkonfessionellen Netzwerkbewegung.
www.heikenagel.de
GESEHEN1
Wenn du das Gefühl hast, dass niemand dich versteht,
Ich verstehe dich, ich verstehe dich.
Wenn du denkst, dass keine Liebe dich jemals heilen kann,
Meine wird es, meine wird es.
Und wenn du das Gefühl hast, unsichtbar zu sein,
Und dass niemand dich sieht,
Will ich, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Denn ich sehe dich,
Und ich sehe auch,
Wer du bist.
Du kannst dich nicht
vor mir verstecken.
Ich möchte, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Wenn du das Gefühl hast, die ganze Welt sei gegen dich,
bin ich hier, ich bin hier.
Du wirst immer jemanden haben, der dich beschützt,
Genau hier, genau hier.
Und wenn du das Gefühl hast, unsichtbar zu sein,
Und dass niemand dich sieht,
Will ich, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Denn ich sehe dich,
Und ich sehe auch,
Wer du bist.
Du kannst dich nicht
vor mir verstecken.
Ich möchte, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Ganz allein auf dieser Welt,
Sehnen wir alle uns danach, gehört zu werden.
Denke nicht, dass niemand weiß,
was du fühlst.
Ich möchte, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Denn ich sehe dich,
Und ich sehe auch,
Wer du bist.
Du kannst dich nicht
vor mir verstecken.
Ich möchte, dass du weißt,
dass du gesehen wirst.
Es ruckelt immer ein bisschen, bevor das Leben in den nächsten Gang schaltet.
Instagram happydings
Inmitten von äußeren Veränderungen gibt es einen individuellen inneren psychologischen Prozess des Übergangs, die sogenannte Transition, in die wir durch äußere Situationen geworfen werden. Jeder Mensch wird mit solchen Übergängen konfrontiert, daher lohnt es sich, dieses Thema genauer zu betrachten und zu überlegen, wie wir Veränderungen und die damit verbundenen Übergänge im Leben erfolgreich bewältigen können. Gelingt uns das, dann entwickelt sich unsere Identität gesund, und wir haben die Chance, zu mündigen Menschen zu werden.
Dieses Buch soll aber nicht nur eine sachliche pädagogisch-psychologische Aufklärung über dieses Thema beinhalten, sondern es geht mir um Gottes Handeln mitten in den Übergängen des Lebens und um den großen Blick, den er auf unser Leben hat. Womöglich können wir durch die Beschäftigung mit Übergängen im Leben nämlich auch einiges über uns selbst erfahren – und über Gott und sein Wesen. Darum finden Sie hier auch persönliche Geschichten und Beispiele aus dem ganz normalen Leben.
Nach der Lektüre dieses Buches werden Sie vermutlich manches über Übergänge wissen, was Ihnen vorher noch nicht so bekannt oder bewusst war. Meine Hoffnung ist aber auch, dass Sie durch dieses Buch neu begeistert werden von einem Gott, der uns unfassbar souverän und sanft, kraftvoll und zugewandt durch Phasen unseres Lebens begleitet, in denen wir besonders herausgefordert sind. Seine Ziele und Pläne sind größer, als wir ahnen. Ich glaube an ihn als einen Förderer und Begleiter, der in allen äußeren Veränderungen und inneren Übergängen unseres Lebens seine große Liebesgeschichte mit uns schreibt. Haben Sie Lust, sich auf diese Entdeckungsreise einzulassen? Dann lassen Sie uns starten!
Wir beginnen mit Corona. »Schon wieder …?!«, mögen Sie denken. Und ich habe es auch gedacht, denn sonst würde ich Ihnen diese ersten Zeilen so nicht schreiben. Ja, wir starten mit Corona, denn diese äußere Veränderung hat die gesamte Welt verändert und betrifft jeden einzelnen Menschen.
Als im Dezember 2019 durch die Medien ging, dass ein neuartiges Virus mit Namen SARS-CoV-2 im chinesischen Wuhan entdeckt worden war, ahnte die Welt noch nicht, dass dies zu einer nie gekannten Veränderung führen würde. Bereits am 13. Januar 2020 wurde berichtet, dass die erste bestätigte Corona-Infektion außerhalb Chinas aufgetreten sei, und nach und nach kamen immer mehr hinzu. Da sich ständig mehr Menschen mit dem Virus infizierten, folgte ein weltweiter Lockdown, der das öffentliche Leben stark einschränkte. Wer hätte gedacht, dass es möglich sein könnte, Haupteinkaufsmeilen in New York, Paris, Berlin und vielen anderen größeren und kleineren Städten der Welt komplett lahmzulegen? Wer hätte sich »vor Corona« eine derartige Einschränkung des Flugverkehrs träumen lassen? Und wer hätte gedacht, dass die Natur in kürzester Zeit an vielen Stellen so sicht- und spürbar aufatmen könnte, weil wir Menschen gezwungen waren, unsere »Füße still zu halten«?
Die Welt wurde durch die Corona-Schutzmaßnahmen eine andere. Menschen durften ihre Häuser nicht mehr oder nur noch nach Plan verlassen. Großveranstaltungen wurden abgesagt. Auch Feste wie Geburtstagsfeiern oder Hochzeiten durften lange Zeit nicht stattfinden, und wenn, dann nur unter strengsten Hygienemaßnahmen und im kleinsten Rahmen.
Die Auswirkungen betrafen natürlich nicht nur Festivitäten. Auch das Leben vieler Familien wurde durcheinandergeschüttelt. Kinder durften nicht mehr in Kindertagesstätten betreut werden, Schulen wurden geschlossen und auf die Eltern kam ein deutlich erhöhter Betreuungsaufwand zu. Parallel dazu wurde der Arbeitsplatz vieler Berufstätiger ins Homeoffice verlegt. So ergaben sich Homeoffice und Homeschooling in den eigenen vier Wänden, wie groß oder klein sie auch sein mochten, und in so mancher Familie tauchte die bange Frage auf, wie sie ohne die adäquaten technischen Geräte an all dem, was nun digital verlangt und angeboten wurde, in erwarteter Form teilnehmen konnte. Online-Meetings, die in anderen Ländern der Welt schon lange im Geschäftsleben viel geläufiger waren, wurden nun auch in Deutschland populärer und eroberten sich einen festen Platz als neue Form der kontaktfreien Zusammenkünfte. Mitten im privat-beruflich-schulisch-familiärgefüllten Zuhause gab es nun auch noch Meetings zu allen möglichen Themen. Selbst Gottesdienste fanden online statt.
An Urlaub war längere Zeit nicht mehr zu denken, und wenn, dann unter neuen Voraussetzungen. Einige berufliche Existenzen wackelten bis zum Umfallen – andere hatten zeitgleich eine explodierende Auftragslage zu verzeichnen. Eine weltweite Rezession wurde prognostiziert. Dazu kam das Social Distancing: Wir sollten von unseren Mitmenschen Abstand halten, also »soziale Distanz« üben, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dabei ging es zwar mehr darum, räumliche Distanz aufrechtzuerhalten, und nicht um die Eindämmung sozialer Kontakte, aber ältere und pflegebedürftige Menschen, Alleinlebende, Kinder, Schulabgänger, Studierende und viele andere hatten schwer damit zu kämpfen und litten darunter, dass Berührungen und Umarmungen unterbleiben sollten und ihre Mitmenschen häufig mit Masken zu sehen waren, die die gewohnte Mimik fast unsichtbar machten.
Mitten in dieser äußeren großen Veränderung, die das Virus mit sich brachte, hatte jeder Mensch einen psychologischen Prozess zu bewältigen, einen eigenen Übergang von der Welt, wie wir sie gewohnt waren, hin zu einer neuen Welt, in der es nun Maßnahmen im Umgang mit diesem Virus und seinen potenziellen Auswirkungen gab.
Jede Person war außerdem unterschiedlich von den Auswirkungen betroffen. Manche wurden selbst infiziert und erlebten einen schweren Krankheitsverlauf, haben vielleicht auch Angehörige verloren, andere wurden infiziert und hatten gar keine Symptome und wieder andere wurden nicht infiziert, waren aber dennoch mit Veränderungen in ihrem persönlichen Leben konfrontiert, die sich aus den Schutzmaßnahmen ergaben.
Die große äußere Veränderung war also zunächst einmal für alle gleich. Die individuellen Veränderungen in dem Übergang waren jedoch sehr unterschiedlich und die darin zu bewältigenden psychologischen Prozesse ebenfalls. Mit der Zeit wuchs unter anderem dadurch, dass die Menschen an anderen (inneren oder äußeren) Stellen als zuvor kämpften, neben der Zahl der Befürworter der vom Staat beförderten Maßnahmen auch die Zahl derer, die sich bevormundet und gegängelt fühlten und die die Gefahr und Existenz des Virus und die nötigen Maßnahmen völlig anders einschätzten als die Wissenschaftler, die den Regierenden als Berater dienten. Es kam zu Protesten auf der Straße, im Internet und in den sozialen Medien.
Ja, die Welt ist definitiv für uns alle eine andere geworden. Und dennoch haben wir nicht alle auf die gleiche Weise reagiert. Als Menschen, die in dieser Welt leben, haben wir uns in dieser äußeren Veränderung nicht gleichgeschaltet, sondern sehr individuell entwickelt: in unserer ureigenen Transition, dem Übergang von Altbekanntem zu etwas Neuem.
Manchmal sind Übergangszeiten im Leben positiv und wie eine Vorbereitungszeit. Manchmal möchte man jedoch auch einfach nur, dass solche Zeiten vorbeigehen. Elementar ist, dass wir Veränderungen in unserem Leben als solche bewusst wahrnehmen und den Weg des Übergangs vom Altbekannten in etwas Neues ernst nehmen und gestalten. Es beginnt nämlich nicht einfach nur etwas Neues, sondern wir sind immer auch mit Abschiedsschmerz beschäftigt, weil etwas zu Ende geht. Dazwischen erleben wir eine Zeit, die sich anfühlt, als hätten wir gerade nichts mehr so richtig unter Kontrolle. Dies kann uns sehr verunsichern! Gleichzeitig jedoch stellt diese Zeit einen Entwicklungsraum bereit, in dem Neues möglich wird.
Abgesehen von weltweiten Krisen, wie dem Geschehen rund um das Thema Corona, sind wir auch täglich mit Veränderungen und damit verbundenen persönlichen Übergängen beschäftigt – meistens jedoch, ohne es groß zu bemerken. Wir erleben zum Beispiel den Wechsel von Tag und Nacht und damit verbunden jeden Abend einen persönlichen Übergang, wenn wir uns schlafen legen: Wir beenden den Tag, lassen los und gehen vom Wachbewusstsein in den Schlaf. Die meisten bewältigen diesen Übergang unbewusst und problemlos. So gibt es auch viele andere kleinere und größere Übergänge von einer Phase in die andere, die wir als alltäglich betrachten und gar nicht als herausfordernd wahrnehmen: Wir stehen morgens auf, wir frühstücken, wir bekommen eine kurzfristige Absage, unser Kind verletzt sich und wir müssen sofort zum Arzt, ein Freund kommt überraschend auf ein Bier vorbei, unser Partner überrascht uns mit einem Ausflug, eine berufliche Verabredung platzt … Immer müssen wir eine Situation beenden und uns in einem kleineren oder größeren Übergang auf eine neue Situation einlassen.
Doch obwohl wir täglich viele äußere Veränderungen und dadurch unsere persönlichen kleinen Übergänge erleben, haben wir gewöhnlich keine Ahnung, welche Phasen einen Übergang ausmachen und wie man sie gut durchschreiten kann. Dieses Wissen ist jedoch sehr hilfreich, insbesondere dann, wenn wir im Laufe unseres Lebens mit größeren Veränderungen und Lebensübergängen konfrontiert werden, sogar mit Veränderungen, die globale Ausmaße haben. Es kann sonst passieren, dass wir zwar durch äußere Umstände in eine neue Lebensphase kommen, innerlich aber immer noch im Alten leben und dort auf gewisse Weise stecken bleiben, was sich auf unsere persönliche Entwicklung auswirken kann. Es beeinflusst die Bildung unserer Identität erheblich, wie wir die großen Entwicklungsphasen unseres Lebens durchschreiten, Identitätsumbildungsprozesse gibt es jedoch auch in jedem kleineren Lebensübergang. Bleiben wir an irgendwelchen Punkten und aus irgendwelchen Gründen in unserer inneren Entwicklung stecken, können Identitäten einer anderen Altersstufe aktiv bleiben, die uns in unserem Alltag gehörig dazwischenfunken können. (Die gute Nachricht ist, dass diese »stecken gebliebenen« Identitäten sich noch entwickeln können!) Dies ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, sich mit diesem Thema zu befassen.
Um den Zusammenhang zwischen einer äußeren Veränderung und dem damit verbundenen Übergang zu erläutern, ist das Transitions-Modell des US-amerikanischen Organisationsberaters William Bridges (1933–2013) hilfreich. Bridges betont, dass uns eigentlich nicht die Veränderungen unseres Lebens zu schaffen machen, sondern die Übergänge, in die wir dadurch geraten.2 Er definiert den Unterschied zwischen einer Veränderung und einem Übergang folgendermaßen:
• Eine Veränderung (Change) wird durch ein Ereignis oder eine äußere Situation ausgelöst: ein Kind wird geboren, ein Wohnortwechsel steht an, eine Beförderung wird ausgesprochen, eine Firma wird verkauft, ein Virus taucht auf.
• Übergänge (Transitions) dagegen beschreiben den inneren psychologischen Prozess, den Menschen durchschreiten, während sie sich mit einer solchen neuen Situation arrangieren und sie sich zu eigen machen.3
Übergänge (Transitions) ereignen sich in drei Phasen, die allerdings nicht als getrennte Stufen mit klaren Grenzen zu verstehen sind. Sie laufen nicht strikt nacheinander ab, sondern sind eher Prozesse, die parallel stattfinden und sich überlappen können. Um eine Veränderung auch innerlich zu vollziehen, müssen wir alle drei Phasen durchschreiten und abschließen. Es geschieht daher häufig, dass wir uns gleichzeitig in mehreren Phasen befinden, während wir Übergänge durchleben. Die Bewegung darin ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Dominanz einer Phase verändert, aber es gibt keinen klaren Wechsel von der einen Phase zur anderen.4 Für die Beschäftigung mit Übergängen ist es dennoch sinnvoll, die einzelnen Phasen einzeln zu betrachten.
Zunächst geht es darum, etwas Altes bewusst zu beenden (Ending) und zurückzulassen. Das liest sich leichter, als es getan ist. Allzu oft beginnen wir einfach etwas Neues, ohne das Alte wirklich abzuschließen, und hängen dann noch gehörig darin fest – oft ohne es zu bemerken. Früher war es beispielsweise durchaus üblich, dass junge Menschen daheim auszogen, ihrer Mutter aber weiterhin die schmutzige Wäsche zum Waschen und Bügeln vorbeibrachten. Wenn sich Dinge verändern, dann gehört die Phase des Beendens dazu. Es gibt immer etwas, das durch die Veränderung beendet wird oder beendet werden muss. Horchen Sie doch einmal in die Veränderungen Ihres eigenen Lebens hinein, und kommen Sie dem jeweiligen Ende darin auf die Spur.
Durch die bewusste Beendigung der Dinge, die wir innerlich oder äußerlich verlassen (müssen), schaffen wir Raum für die sogenannte neutrale Zone (Neutral Zone). Dies ist eine unwirtliche Phase, die aber eine große Chance für kreative und innovative Prozesse birgt und in der wir viel lernen können – zum Beispiel, wie man auf individuelle Weise Verantwortung für das eigene Leben übernimmt und seine Wäsche selbst wäscht, mit oder ohne Bügeln. Wir müssen nur ein wenig schürfen und Geduld haben, denn die Schätze liegen nicht an der Oberfläche für uns bereit, sondern eher darunter.
Da wir in dieser Phase, in der weder das Alte noch das Neue so richtig passt, nicht gerne verweilen, neigen wir dazu, die Beine in die Hand zu nehmen und hindurchzueilen. Dies ist aber von vornherein zum Scheitern verurteilt, wie wir in der intensiveren Beschäftigung mit den drei Phasen noch erkennen werden. Die neutrale Zone, so ungemütlich sie auch erscheinen mag, ist wichtiger, als wir zunächst glauben. Schätze hebt man nicht im Vorübergehen.
Das Erleben, Aushalten und Durchschreiten der neutralen Zone kann uns in einen echten Neuanfang (New Beginning) führen. Irgendwann merken wir: Wir haben es geschafft! Aus der Ahnung davon, dass etwas eventuell neu werden könnte, ist nun Wirklichkeit geworden. Unseren Haushalt führen wir allein und dem Unverständnis unserer Eltern über unsere ungebügelte Hose können wir mit Humor begegnen. Wir bewegen uns in einem neuen Bereich. Wir entspannen uns, lassen alle Seelenarbeit hinter uns und begeben uns auf die Erkundung unseres neuen Lebenslandes.
Zwei wichtige Fragen an dich selbst: Was solltest du zum jetzigen Zeitpunkt deines Lebens loslassen? Welches neue Kapitel möchte Gott gerade in deinem Leben schreiben?
Peter Scazzero6
Kennen Sie Übergangszeiten in Ihrem Leben? Zeiten, die sich anfühlen wie Niemandsland? Zeiten, in denen das Alte irgendwie nicht mehr gilt, das Neue schon anklopft, aber beides nicht so richtig belastbar ist? Zeiten, die »nicht Fisch, nicht Fleisch« sind, in denen es sich unsicher und ungewohnt lebt und die Sie – vielleicht – einfach nur hinter sich lassen möchten? Herzlich willkommen im ganz normalen Leben! Um Ihnen eine Idee davon zu geben, wie Übergänge aussehen können, möchte ich Ihnen zu Beginn eine Geschichte aus meiner Familie erzählen.
Im Jahr 2008 bekam ich mehr und mehr den Eindruck, dass mir die Tür in ein Studium geöffnet wurde. Dies war mein offenes, unerfülltes Lebensthema und ich konnte mein Glück nicht fassen. Nach 16 Jahren, in denen ich in unserer intensiven Familienphase mit vier heranwachsenden Kindern bei so einigen beruflichen Aufbruchsversuchen immer wieder den Eindruck gehabt hatte, dass Gott mich stets zurück an meinen Platz als Hausfrau und Mutter stellte, hatte ich nun den Eindruck, dass er mich losschickte. Irgendetwas schien zu Ende zu gehen, etwas Neues schien zu gelten.
In einer Übergangszeit von mehreren Monaten fragte ich immer wieder im Gebet nach, ob dies wirklich mein Weg sein durfte. Einige Jahre vorher hatte ich eine Krebserkrankung überstanden, unsere Ehe war trotz dieser immensen Belastung über fast 20 Jahre erhalten und bewahrt geblieben, wir hatten vier prächtige, gesunde Kinder und ein wunderschönes Zuhause – da erschien es mir einfach zu großzügig, dass ich nun auch noch studieren durfte. Doch ich bekam eine spürbare Bestätigung nach der anderen und so ging ich immer weiter durch geöffnete Türen, bis ich eines Tages im Alter von 41 Jahren furchtbar aufgeregt als eingeschriebene Psychologiestudentin in der Uni saß.
Diese Zeit bis zum Beginn des Studiums, in der so viel aufbrach, versetzte mich einige Wochen in eine große, freudige innere Anspannung – und ich landete mit einem angehenden Hörsturz beim HNO-Arzt. Dieser schaute mir eindringlich in die Augen und sagte: »Frau Nagel, so kann man nicht leben!« Ging schon. Wurde auch wieder besser. Doch der Weg bis zum Bachelor blieb eine Aneinanderreihung von Übergängen, die mich noch öfter in größere Anspannung versetzen sollte. Das Familienleben zu gestalten und mittendrin Klausuren, Prüfungen und Lernzeiten zu organisieren, blieb ein Vorantasten mit ungewissem Ausgang, bis die Bachelorarbeit geschrieben und abgegeben war. Dann aber war es ein Freudenfest. Ich hatte den Grundstein für einen neuen Beruf in der Tasche!
In der Zeit, in der ich gerade mit dem Studium begonnen hatte, stand ich eines Tages bügelnd in unserem Wäschekeller und telefonierte mit einer Freundin. Seit drei Monaten fuhr ich nun regelmäßig in das vierzig Kilometer entfernte Bielefeld und tauchte in den Uni-Alltag ein. Das war für mich eine lang ersehnte und anregende neue Welt und gleichzeitig sehr herausfordernd. Nun war die Weihnachtszeit gekommen, alle unsere Kinder, damals zwischen 10 und 16 Jahre alt, hatten Ferien und die entsprechend hochkarätige Lebensenergie, der Weihnachtsbaum stand geschmückt im Wohnzimmer (obwohl ich mich jedes Jahr wieder frage, warum wir Menschen so komische Dinge tun, wie einen Baum ins Zimmer zu stellen, und warum ich dabei mitmache), und auch mein Mann hatte in seinem Landschaftsarchitekturbüro die Weihnachtspause eingeläutet. Es war gemütlich bei uns und die Kerzen im Haus verströmten eine wohlige Atmosphäre. Nur ich war innerlich in Aufruhr.
Wenn ich im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich doch eigentlich am Schreibtisch sitzen musste, um für meine erste Klausur zu lernen, die im Januar anstand: Forschungsmethoden! Ein grausam statistisch durchzogenes Thema, vor dem ich eine gehörige Portion Respekt verspürte. Saß ich aber am Schreibtisch, so quälte mich der Gedanke, dass ich doch eigentlich zu meiner Familie ins Wohnzimmer gehörte. Beidem gleichzeitig konnte ich aber einfach nicht gerecht werden!
Meine Freundin hörte mir aufmerksam zu, während ich ihr mein Leid klagte, und fragte irgendwann: »Heike, möchtest du denn zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens?«
Meine Schilderungen und mein Klagen hatten meine Freundin offensichtlich an die Geschichte des Volkes Israel erinnert, die im Alten Testament erzählt wird. Die Israeliten waren während einer Hungersnot ungefähr 1200 Jahre vor Christus nach Ägypten gekommen, wo es genug zu essen gab. Nun waren sie schon seit vier Generationen als Sklaven in dem Land, das sie damals freundlich aufgenommen hatte. Es ging ihnen körperlich gut, sie hatten ausreichend Nahrung und sie waren gut versorgt. Aber sie waren unfrei und die Bedrückung durch die Ägypter wuchs.
Gott wollte sie aus der Sklaverei befreien und so berief er Mose, einen Mann aus ihrem eigenen Volk, der als Findelkind von der Tochter des Pharao aufgenommen worden und am Königshof aufgewachsen war. Mose sollte das Volk aus Ägypten führen. Nach einigen Anläufen, in denen Mose versuchte, Gott zu überzeugen, dass er für so eine Aufgabe garantiert nicht die richtige Person sei, und einigen Fehlversuchen, in denen sich der Pharao nicht darauf einließ, die Israeliten freizugeben, gab es endlich den Durchbruch: Das Volk durfte wieder in das Land ziehen, aus dem seine Vorfahren gekommen waren und das Gott ihm vor langer Zeit zugedacht und geschenkt hatte! Dies bedeutete erst einmal: heraus aus Ägypten und hinein in die Wüste, auf den Weg in das verheißene Land.
Und nun? Die Israeliten waren zwar herausgerettet aus dem Sklavendasein, aber sie hatten damit auch keine Versorgung mehr durch die ägyptischen Speisekammern. Stattdessen erlebten sie eine völlig neue Abhängigkeit von Gott in allen Lebensbereichen. In dieser Situation beklagen sich die Israeliten bei Mose und Aaron, seinem Bruder und Sprecher:
Wären wir doch durch die Hand des HERRN im Land Ägypten gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung! Denn ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt, um diese ganze Versammlung an Hunger sterben zu lassen.7
Mit »Fleischtöpfen« meinte meine Freundin also das Altbekannte, Gewohnte, Verlässliche. Wollte ich das zurückhaben? War ich nicht auch ausgezogen aus etwas Altbekanntem? Und klagte ich nun auf dem Weg genauso wie die Israeliten in der Wüste? Wollte ich lieber die Sicherheit der alten Zeit zurück, statt in Abhängigkeit von Gott in ein verheißenes Land zu wandern, das er mir offenbar zugedacht und geschenkt hatte? Auweia. Da war etwas dran!
Es dauerte nach diesem Telefonat noch einige Zeit, bis ich für mich eine gute Struktur entwickelt hatte, wie ich Familienleben und Studium miteinander vereinbaren konnte. Irgendwann aber gelang es immer besser und ich lernte, mein schlechtes Gewissen nicht zum Maßstab zu machen, sondern das Altbekannte wirklich aktiv hinter mir zu lassen und mit ganzem Herzen in die Richtung zu gehen, für die ich mich entschieden hatte.
Die positive Entwicklung begann mit der bewussten Wahrnehmung, dass etwas bisher Bekanntes zu einem Abschluss gekommen war. Nun konnte ich mich entscheiden: Wollte ich dem Bekannten nachtrauern und in Zerrissenheit stecken bleiben? Oder wollte ich akzeptieren, dass die Art, wie wir bisher Familie gelebt hatten, vorbei war, um meine ganze Kraft auf den Einzug in mein verheißenes Land zu richten, der gestaltet werden wollte?
Der Beginn des Studiums stellte nicht nur für mich persönlich, sondern für jedes Mitglied unserer Familie eine Veränderung dar. Mein Mann und ich hatten uns einvernehmlich dafür entschieden, diesen Schritt zu gehen, und er unterstützte mein Vorhaben. Wir hatten gemeinsam eine Veränderung für unsere Familie herbeigeführt. Innerhalb dieser übergeordneten Situation, die von uns so beschlossen worden war, hatte nun jedes Mitglied unseres Familiensystems ihren oder seinen ganz eigenen persönlichen Übergang zu durchleben.
Nach William Bridges beginnen Veränderungsprozesse in Unternehmen ähnlich: Es wird eine neue Business-Strategie eingeführt, es gibt einen Wechsel in der Leitung, ein neues Produkt wird eingeführt … Die Aufmerksamkeit liegt dabei auf dem erwünschten Ergebnis, das durch die beschlossene Veränderung hervorgebracht werden soll. Solch eine Veränderung kann in Unternehmen sehr schnell entschieden und durchgeführt werden. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass alle Mitarbeiter ihren persönlichen Übergang gut managen können und die äußere Veränderung innerlich gut mitgehen können.8
Auch in unserem »Familien-Unternehmen« fand die Veränderung recht zügig statt, nachdem klar war, dass ich den Weg an die Uni wagen wollte. Wir entschieden uns für eine neue »Familien-Strategie« mit einem klaren Ziel. Unser erwünschtes Ergebnis war langfristig eine abgeschlossene Ausbildung mit beruflichem Potenzial und auf dem Weg dahin ein möglichst harmonisches, gut organisiertes Familienleben. Mit Beginn des ersten Semesters war diese neue Situation für unsere Familie gesetzt. Nun aber musste sie tatsächlich gelebt werden.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht alles »in trockenen Tüchern«, sondern jetzt begann die eigentlich spannende Phase. Mein Mann und ich hatten als Eltern eine wichtige Aufgabe: Wir mussten beachten, dass die veränderte Situation unsere Kinder in eine Krise bringen konnte. Bridges beschreibt es als eine wichtige Fähigkeit von empathischen Leitern, zu erkennen, dass eine Veränderung eine Krise für die betroffenen Personen bedeuten kann.9 (Und wer möchte als Eltern nicht emphatisch für seine Kinder da sein?)
Dazu gehörte, dass wir zunächst einmal anerkennen mussten, dass jedes unserer vier Kinder sich auf eine neue Wegstrecke einlassen und Gewohntes hinter sich lassen musste. Erst dann war die Voraussetzung dafür gegeben, dass wir sie in dem vor ihnen liegenden Prozess angemessen begleiten konnten. Dabei brauchte es ganz unterschiedliche Unterstützung, denn unsere Zehnjährige durchlebte sicher eine andere Krise als unser Ältester im Alter von 16 Jahren oder die beiden mittleren Jungs mit ihren damals 12 und 14 Jahren.
Zum anderen standen mein Mann und ich vor der Aufgabe, unsere eigenen individuellen Übergänge gut zu managen. Auch in unserer Rolle als Paar und Eltern mussten wir Altes loslassen und uns auf den zunächst ungewohnten Weg einlassen, der nun vor uns lag.
Mit der veränderten Situation wurde also jedes Familienmitglied in einen persönlichen Übergangsprozess geworfen. Und jeder hatte seinen eigenen Zeitrahmen und eine eigene Dynamik. Hier ging es im Gegensatz zu der äußerlichen Veränderung nicht um ein vorher erwünschtes, definiertes Ergebnis, sondern eher darum, durch eine bewusste Beendigung des bisher Bekannten einen guten Start in die jeweiligen persönlichen Übergangsprozesse auf dem Weg in ein sicheres neues Land zu ermöglichen. Für jedes einzelne Familienmitglied ging etwas anderes zu Ende, für jedes begann eine individuelle Übergangszeit. Diesen Umstand galt es zu würdigen, denn nur so würde irgendwann etwas wirklich Neues beginnen können.
Was für unsere Kinder neben einigen anderen Dingen definitiv zu Ende ging, war, dass ich als Mutter nahezu immer verfügbar war. Das war natürlich vorher auch nicht zu hundert Prozent der Fall gewesen, aber grundsätzlich hatten mein Mann und ich uns mit der Geburt unseres ersten Kindes dafür entschieden, dass er die finanzielle Versorgung der Familie übernehmen würde, sodass er tagsüber in seinem Büro und auf den Autobahnen und Baustellen der Republik unterwegs war, während ich zu Hause die Versorgung der Kinder abdeckte. Das änderte sich nun.
Zu Beginn des Studiums gab es Tage, an denen ich schon vor den Kindern das Haus verließ und abends als Letzte nach Hause kam. Dass sich meine Verfügbarkeit für die Kinder veränderte, fanden unsere Teenies gar nicht so schlecht (oder sogar ziemlich verlockend), während die jüngeren Kinder ein wenig zaghaft fragten, was das denn für sie ganz praktisch bedeute. Nach den ersten Wochen konnten sie die Lage besser einschätzen. Sie genossen es, wie hingebungsvoll und kreativ sich eine Freundin unserer Familie während meiner Abwesenheit um sie (und ihre angelockten Freunde, die sich das Spiel- und Spaßprogramm nicht entgehen lassen wollten) kümmerte, und konnten daher das Altbekannte gut loslassen. Sie freuten sich sogar auf die »mutterfreien« Tage. Dabei kam erleichternd hinzu, dass allen Kindern das Essen an diesen Tagen besser schmeckte als zuvor, denn unsere Freundin war gelernte Köchin. Mein Mann brachte sich nun zu bestimmten Zeiten stärker im familiären Ablauf ein und er genoss die Zeiten allein mit den Kindern, die sich aus meiner Abwesenheit ergaben.
Im Rückblick glaube ich, dass uns beim Abschiednehmen vom Gewohnten half, dass wir uns nach vorne ausgerichtet hatten und dass allen klar war, dass wir nur im Notfall das Ende des Altbekannten rückgängig machen würden. Es gab eine klare Blickrichtung hin zum Neuen, und daher nützte es uns nichts, uns nach den »Fleischtöpfen Ägyptens« zurückzusehnen. Es half nur, das Alte wirklich loszulassen und nach vorne zu gehen, so wie die Israeliten hinter Mose hergelaufen waren, als er zum Aufbruch blies.
Fühlen Sie sich durch die Schilderung unseres Change-Prozesses und der damit verbundenen persönlichen Übergänge in unserem »Familien-Unternehmen« an eigene Übergänge in Ihrer Familie oder in einer anderen Gruppe von Personen, der Sie angehören, erinnert? Wir alle haben schon Veränderungen erlebt, die nicht nur uns persönlich betroffen haben, sondern in die auch andere Personen aus unserem persönlichen Umfeld involviert waren, und könnten sicherlich so einige spannende Geschichten zusammentragen.
Da diese Veränderungen in unseren Familien und Beziehungen eine Parallele zu Change-Prozessen in Organisationen aufweisen, lassen sich die Erkenntnisse aus der Wirtschaft gut auf das Privatleben übertragen. Deshalb möchte ich Ihnen die sechs Schritte von William Bridges im Umgang mit Übergängen in Organisationen vorstellen. Weitere Hilfen für die Gestaltung von Übergängen auf der persönlichen Ebene stelle ich in Kapitel 4 vor.
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